Kampf für Mieterrechte und gegen Privatisierung von öffentlichem Raum im Wedding

„Organisiert Mieterinitiativen. Lernt Eure Nachbaren kennen.  Nutzt öffentliche Plätze für Eure Treffen“.   Diese Aufforderung richtete eine Rednerin der StadtteiIinitiative   „Hände weg vom Wedding“  an ca. 250 Menschen, die sich dort am Donnerstagabend auf dem Leopoldplatz   zu Open-Air Aufführung des  Films „Mietrebellen“ von Gertrude Schulte Westenberg und Matthias Coers versammelt hatten.
Er zeigt die Vielfalt der Berliner  Mieterkämpfe von den Protesten der Senioren der Stillen Straße und der Palisadenpanther bis zu der Bewegung gegen Zwangsräumungen.  Daran knüpften Rednerinnen des Weddinger Bündnisses,  in dem sich MieterInnen und StadtteilaktivistInnen zusammengeschlossen haben, mit aktuellen Beispielen aus dem Stadtteil an. Sie erinnerten daran, dass im Juni  Tina S. aus ihrer Wohnung in der Weddinger Buttmannstraße 18, in der sie über 30 Jahre gewohnt hat,  zwangsgeräumt wurde.  Eine Erwerbslosenaktivistin berichtet, dass die Mieten auch im Wedding  oftmals über den Satz liegen, den das Jobcenter Hartz IV-EmpfängerInnen zubilligt.  Für sie bleibt dann nur die Alternative, den Rest der Miete von ihren kargen Einkünften zu bestreiten oder wegzuziehen.
Bereits  2010 trafen sich MieterInnen zu mehreren  Veranstaltungen,  um über die aktuellen Aufwertungsentwicklungen im Stadtteil zu analysieren und Gegenstrategien zu entwickeln (siehe MieterEcho 541/Juni 2010).   Seit letztem Jahr veranstaltet die Initiative „Hände weg vom Wedding“ regelmäßig Kundgebungen auf öffentlichen Plätzen und  vor Jobcentern, um auf  die  Verarmungsprozesse und die drohende Verdrängung  einkommensschwacher Menschen im Stadtteil aufmerksam zu machen.

Wenn die Grundrechte nicht mehr gelten

Der  Teil des Leopoldplatzes, der seit 2006 im Eigentum  der Nazareth-Kirchgemeinde ist,  sollte für die MieterInnenkundgebung  zur Verfügung stehen.    Der  Vorsitzende  des Gemeindekirchenrates  Sebastian Bergmann erklärte, man müsse die politische Neutralität achten. Davon  war er  auch nicht durch den Offenen Brief der beiden Regisseure des Films „Mietrebellen“  abzubringen, in dem sie fragten, ob „eine evangelische Gemeinde ihrem Anspruch nach, als Ort der Armen und Verdrängten, ihre Tore nicht öffnen müsste, statt sie für diese öffentliche Filmaufführung zu schließen.“   Unterstützung bekam die Kirchengemeinde durch das Berliner Amtsgericht. Es lehnte eine Einstweilige Verfügung gegen das Platzverbot mit der Begründung ab, dass  die Kirchengemeinde  „nicht unmittelbar an die  Grundrechte gebunden“ sei. Denn bei ihr handele es nicht um  „eine staatliche Organisation oder ein Unternehmen, das mehrheitlich im Eigentum der öffentlichen Hand steht.“   Mit dieser Begründung bekommen aber private Organisationen eine Handhabe, demokratische Grundrechte wie  Demonstrations- und Versammlungsfreiheit z außer Kraft zu setzen. Vor einer solchen Entwicklung hatten  KritikerInnen der neoliberalen Stadtentwicklung in den 90er Jahren mit  Innenstadtaktionstagen gewarnt.   Die Weddinger Initiative hat nun den Kampf um den öffentlichen Raum und die Interessen der MieterInnen zusammengeführt, in dem sie  den Platz für einige Stunden in Besitz genommen  und über  den MieterInnenwiderstand zu diskutieren.

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/mietrebellen-evangelische-kirche.html

MieterEcho online 08.08.2014

Peter Nowak

Service für Wohnungslose bedroht

SOZIALES Die Straßenzeitung „Querkopf“ hat eine Kündigung erhalten – und stellt sich dagegen quer

Man darf Werner Schneidewind einen Querkopf nennen. Der Erwerbslosenaktivist legt sich mit den Behörden und Jobcentern an. „Macht euch unabhängig von Sozialämtern. Es ist leichter, als ihr glaubt“, steht auch in der Straßenzeitung Querkopf, für die Schneidewind arbeitet.

Er ist nicht nur Mitglied des „Querkopf“-Vereins, er betreut auch die Vereinsräume in der Blücherstraße 37. Plakate zeugen von den vielfältigen politischen Aktivitäten dort. Der Kampf gegen Ämterwillkür gehört ebenso dazu wie der Umweltschutz oder der Einsatz für eine Legalisierung von Drogen. Jetzt ist der Standort bedroht.

Wenn Schneidewind derzeit einen kleinen Klapptisch vor dem Verein aufstellt, auf dem dann neben der aktuellen Querkopf-Ausgabe auch Comics und Flugblätter zu finden sind, erkundigen sich viele NachbarInnen oft über den neuesten Stand der Auseinandersetzung mit der Hausverwaltung. Die Immobilienfirma Bearm GmbH hatte dem Verein die Räume, die er 2001 gemietet hat, zum 31. März dieses Jahres gekündigt.

Doch die Querköpfe holten nicht den Umzugswagen, sondern formulierten einen Solidaritätsaufruf unter der Überschrift: „Man will uns aus dem Kiez vertreiben“. Seitdem erreichten die Bearm GmbH zahlreiche Protestschreiben. Auch Anne Allex vom „Arbeitskreis Marginalisierte gestern und heute“ fordert die Rücknahme der Kündigung. „Der Querkopf ist eine der am längsten in Berlin erscheinenden Wohnungslosenzeitungen. Sie bietet in ihrer Zeitung einen Service für Wohnungslose an, in dem sie Beschlüsse der Politik, neue Gesetzesregelungen, Gerichtsurteile mitteilt und Beratungsstellen und Anlaufstellen empfiehlt“, heißt es in ihrem Schreiben. Ein Verlust der Räume würde die Arbeit gefährden, befürchtet Allex.

Schließlich ist der Verein Anlaufpunkt für viele Menschen, die sich durch den Verkauf der Zeitung etwas dazuverdienen. Zudem dienen die Räume auch als Depot für Gegenstände aus Haushaltsauflösungen, ein Zuverdienst für die Erwerbslosen.

Einen persönlichen Erfolg hat Schneidewind gegenüber den Bearm-Geschäftsführer schon errungen. Der habe ihm im März prophezeit, dass die Vereinsräume in sechs Monaten leer sein werden. Bisher ist aber noch nicht einmal ein Gerichtstermin zu einer möglichen Räumung benannt worden. Eine Mitarbeiterin der Bearm GmbH erklärte gegenüber der taz, ihre Firma gebe in der Angelegenheit keine Auskünfte.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2014%2F08%2F07%2Fa0212&cHash=b81bac59ea9b6ba3040c6262959b1b1f

Peter Nowak

Mietrebellen vor Kirche unerwünscht

Es sollte eine Premiere werden. Am heutigen Donnerstag wollte die Initiative »Hände weg vom Wedding« ab 19 Uhr den Film »Mietrebellen« erstmals unter freiem Himmel zeigen. Die Dokumentation über die Mieterbewegung in Berlin läuft derzeit recht erfolgreich in den Kinos. Auch der Auftritt eines Hip-Hop-Musikers war geplant.

Doch aus dem Vorhaben wird wohl nichts. »Aus Gründen der politischen Neutralität darf die Veranstaltung auf dem Platz nicht stattfinden«, erklärt Sebastian Bergmann von der Nazareth-Kirchengemeinde. Die Kirche ist zuständig, weil ein Teil des Leopoldplatzes 2006 in ihr Eigentum überging.

»Ein öffentlicher Platz wird privatisiert, und dann soll dort das Demonstrationsrecht nicht mehr gelten«, kritisiert Anna Dorn von »Hände weg vom Wedding«. Die Stadtteilinitiative will nun mit einer einstweiligen Verfügung die Kundgebung doch noch kurzfristig durchsetzen. Dorn verweist in diesem Zusammenhang auf das »Fraport-Urteil« des Bundesverfassungsgerichts von 2011. Die Karlsruher Richter erklärten damals, dass auch privatisierte Orte wie Flughäfen, Bahnhöfe oder Malls öffentliche Foren seien, in denen eine unmittelbare Grundrechtsbindung gelte, so dass Demonstrationen nicht ohne Weiteres verboten werden können. In einem Brief an die Kirchengemeinde forderten unterdessen auch die Regisseure von »Mietrebellen«, das Verbot aufzuheben.

Anwohner berichten unterdessen, dass seit der Privatisierung einiges anders sei auf dem Leopoldplatz: So seien einkommensschwache Menschen dort generell nicht mehr erwünscht – auch dagegen soll protestiert werden.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/941626.mietrebellen-vor-kirche-unerwuenscht.html

Peter Nowak

Kein Gott, kein Staat, kein Chef

Ménilmontant war der Ort der Handwerker, Arbeiter und politischen Rebellen, nun wird der Pariser Stadtteil von Besserverdienenden erobert

Politaktivisten schauen bei einem Besuch in Paris gern beim Alt-Anarchisten Lucio Urtubia vorbei. In dieser Ecke ist die revolutionäre Geschichte der Stadt noch gegenwärtig. Doch wie lange noch?

Rund um die Mauer ist schon lange kein Platz mehr und auch auf den Wiesen haben sich viele Menschen zum Picknick niedergelassen. Bei schönem Wetter entwickelt sich der Park von Belleville zum größten Naherholungsgebiet von Paris. Schließlich hat man von dem über 100 Meter hohen Hügel aus einen hervorragenden Blick auf die Stadt. Doch auch die nähere Umgebung der Anlage lockt Menschen aus aller Welt an. Schließlich gilt der Ménilmontant, wie der 20. Bezirk von Paris heißt, als einer der letzten Orte jenes vielbesungenen rebellischen Paris der letzten Jahrhunderte.

An allen Aufständen seit der Revolution 1789 waren die Arbeiter und Handwerker des Quartiers an vorderster Front beteiligt. Auch die Pariser Kommune hatte hier viele Anhänger. Die alten Gewalten nahmen nach ihrem Sieg auch unter den Bewohnern des Stadtviertels grausame Rache. Die meisten Gefangenen wurden sofort erschossen, von Schnellgerichten abgeurteilt oder nach Versailles deportiert. Die ermordeten Kommunarden wurden am nahen Friedhof Père Lachaise in Massengräbern verscharrt.

Lucio Urtubia sieht mit seiner Baskenmütze nicht nur so aus, als wolle er diese rebellische Tradition fortsetzen. Als Dokumenten- und Banknotenfälscher im Dienste verschiedenster revolutionärer Bewegungen wurde der Anarchist einst zum Schrecken von Bankiers und Grenzbeamten. Unter den Rebellen aller Länder genießt Lucio, wie man ihn nennt, hingegen große Anerkennung. Schließlich hat er sich bei den Fälschungen nie selber bereichert oder andere persönliche Vorteile verschafft. Für ihn waren diese Aktivitäten politische Solidarität. In einer steilen Gasse des Ménilmontant hat er mit dem »Espace Louise Michel« einen Ort geschaffen, in dem für Widerständige aus aller Welt die Türen immer offen stehen. Seit seine Lebensgeschichte in Buchform und als Film in mehreren Sprachen veröffentlicht wurde, bekommt er ständig Besuch. Gewerkschafter, Bauernaktivisten, Angehörige politischer Gefangener schauten schon bei ihm vorbei. Auch für die Teilnehmer der alternativen »Tour de Frances« ist eine Visite im »Espace Louise Michel« ein fester Termin. Aus Deutschland machen sich jedes Jahr Mitte Mai Basisgewerkschafter und soziale Aktivisten zu einer einwöchigen Reise in die französische Hauptstadt auf. Sie bewegen sich auf den Spuren des widerständigen Paris.

Inzwischen ist Lucio Urtubia über 80 Jahre alt und begrüßt jeden Teilnehmer freundlich. Immer wieder bleiben Touristen vor der Tür stehen und fotografieren das Haus mit der schwarzroten Fahne. Sie sind nicht zufällig hier. An den Aufdrucken auf ihren T-Shirts und Taschen erkennt man schnell, dass sie mit den politischen Vorstellungen des modernen Robin Hood sympathisieren, die sich mit der Parole »Kein Gott, kein Staat, kein Chef« zusammenfassen lassen.

Doch nicht nur Menschen auf der Suche nach der Revolte kommen nach Ménilmontant. Zunehmend wird der Stadtteil im Osten von Paris für die »Bobos« interessant. Das ist die Abkürzung für die »Bourgeois Bohèmes«, wie in Frankreich der besserverdienende Mittelstand mit seiner Vorliebe für Altbauwohnungen in historisch gewachsenen Stadtteilen und multikultureller Umgebung leicht spöttisch bezeichnet wird. Viele Stadtteilbewohner sehen den Zuzug der Bobos mit wachsendem Argwohn.

Elsa ist in Ménilmontant aufgewachsen und schwärmt von dem Leben im Quartier: »Das ist fast wie in einem Dorf. Nach einer gewissen Zeit kennen dich die Leute und man redet miteinander.« Doch sie befürchtet, dass es mit dem idyllischen Leben mitten in Paris bald vorbei ist. »Auch in Ménilmontant entwickelt sich der private Immobilienmarkt rasant. Die vergleichsweise niedrigen Preise und nicht zuletzt dieser dörfliche Charakter ziehen eine neue Bevölkerung an«, erklärt die Frau. In die Stuben der Handwerker und Arbeiter, die für den Stadtteil so typisch waren, ziehen jetzt Künstler, Designer und Architekten ein. Zuvor wurden die Häuser luxusmodernisiert. »Die Immobilienbüros sind in den letzten Jahren wie Champignons aus dem Boden geschossen«, erklärt Luis, der seit 15 Jahren in Ménilmontant wohnt. Allein zwischen 1991 und 2007 seien de Wohnungspreise um 120 Prozent gestiegen.

Viele glauben, dass einkommensschwache Bewohner auch hier bald nicht mehr wohnen können, wie es im Rest der innenstadtnahen Teile von Paris bereits seit Langem der Fall ist. Von den zehn Millionen Einwohnern der französischen Metropole leben acht Millionen in den Außenbezirken.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/941428.kein-gott-kein-staat-kein-chef.html

Peter Nowak

Selbsthilfe-Zeitung für Arbeits- und Obdachlose ist bedroht

Vermieter kündigte dem »Querkopf«-Magazin aus Kreuzberg die Räumlichkeiten, das Redaktionskollektiv will aber nicht weichen

Für viele Erwerbslose bieten selbstorganisierte Straßenzeitungen ein kleines zusätzliches Einkommen. In Kreuzberg ist der »Querkopf« als eine solche helfende Zeitung selbst in Schwierigkeiten.

»Kein Ort für Nazis« oder »Marx neu entdecken« steht auf zwei der zahlreichen Aufkleber, die eine Tür in der Blücherstraße 37 in Berlin-Kreuzberg schmücken. Wenn sie offen ist, gibt sie den Blick auf einen kleinen Raum mit vielen Büchern, Postern und Plakaten frei. Es ist der Vereins- und Redaktionsraum des »Querkopfs«, einer Publikation, deren Name Programm ist. »Berliner Arbeits-Obdachlosen, Selbsthilfe-Mitmachzeitung« lautet der sperrige Untertitel, der an Zeiten erinnert, als manche Linke möglichst viele politische Positionen schon im Titel unterbringen wollten.

Vereinsmitglied Werner Schneidewind dürfte die Bezeichnung »Querkopf« als Kompliment empfinden. »Sich gegen die Willkür der Mächtigen zur Wehr zu setzen«, bezeichnet er als ein wichtiges Anliegen. Schneidewind betont auch, dass er sich nicht einschüchtern lässt und besonders wütend wird, wenn der Druck von außen steigt. Vor einigen Jahren haben mutmaßlich Neonazis mehrmals die Scheiben des Ladens eingeworfen und die Fassade mit rechten Parolen beschmiert. »Wir haben es überstanden«, sagt Schneidewind. Doch seit einigen Monaten ist die Zeitung erneut bedroht. Im Herbst des vergangenen Jahres hat die Immobilienfirma Bearm GmbH, die das Gebäude verwaltet, dem Verein gekündigt. Bereis zum 31. März dieses Jahres sollten die Räume »besenrein« übergeben sein. Doch Schneidewind hat den Termin ignoriert und einen Solidaritätsappell gestartet: »Sie wollen uns aus dem Kiez vertreiben«, heißt es darin. Erste Reaktionen gab es inzwischen – sogar bundesweit. So hat der »Arbeitskreis GewerkschafterInnen Aachen« von der Bearm GmbH die Rücknahme der Kündigung gefordert.

Für den Verein Querkopf wäre ein Verlust der Kreuzberger Vereinsräume, die er im Jahr 2001 bezogen hat, existenzbedrohend. Schließlich finden dort nicht nur die monatlichen Redaktionssitzungen von sechs Mitarbeitern statt. Der Verein ist vor allem eine Anlaufstelle für die viel zahlreicheren Verkäufer der Zeitung. Die Hälfte des Preises von 1,50 Euro geht an sie. »Ab Mitte des Monats, wenn das ALG-II aufgebraucht ist, wächst die Zahl der Menschen, die sich mit dem Zeitungsverkauf ein Zubrot verdienen«, sagt Schneidewind.

Außerdem dienen die Vereinsräume als Lager für zahlreiche Gegenstände, die bei Wohnungsauflösungen gesammelt wurden und auf Kunden warten. Der Verkauf ist eine der Möglichkeiten, wie sich aktive Erwerbslose Verdienstmöglichkeiten schaffen und dabei möglichst unabhängig vom Jobcenter bleiben können. Das ist Schneidewind und seinen Mitstreitern ein wichtiges Anlegen. Daher ist für sie der Kampf um den Verbleib der Räume in der Blücherstraße auch mit der Frage verbunden, ob für einkommensschwache Projekte und Menschen noch Platz in Kreuzberg ist.

Auch aus der Nachbarschaft gibt es freundliche Ermunterung für die »Querköpfe«. Häufig bleiben Anwohner stehen und erkundigen sich nach dem aktuellen Stand in der Auseinandersetzung, wenn Schneidewind seinen kleinen Klapptisch vor der Vereinslokalität aufstellt. Dort werden neben dem aktuellen »Querkopf«, auch Comics angeboten, die Geschichten aus linker Perspektive erzählen. »Auch andere Mieter haben Probleme mit der Hausverwaltung«, sagt ein Anwohner.

Den juristischen Auseinandersetzungen um die Kündigung sieht Schneidewind aber gelassen entgegen. »Das kann sich noch Jahre hinziehen«, gibt er sich optimistisch. Der Geschäftsführer der Bearm GmbH Frank Emuth habe ihm im März angekündigt, in sechs Monaten werde er die Räume leer haben. Emuth war gegenüber »nd« zu einer Stellungnahme ebenso wenig bereit wie andere Mitarbeiter der Bearm GmbH.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/941356.selbsthilfe-zeitung-fuer-arbeits-und-obdachlose-ist-bedroht.html?sstr=Querkopf

Peter Nowak

Nato-Bündnisfall an der russischen Grenze?

Nichts gelernt?

Im Berlin wurde das Restaurant eines Ägypters mit rechtsextremen Parolen beschmiert und verwüstet. Nun ermittelt die Polizei gegen den Restaurantbesitzer. Viele erinnert das an die polizeilichen ­Ermittlungen zu den Morden des NSU, bei denen die Opfer zu Tätern gemacht wurden.

Mit bewegter Stimme dankte Hussein Badiny in einer kurzen Ansprache für die große Solidarität der Nachbarn. Die hatten ein Fest organisiert, nachdem das Restaurant des in Ägypten geborenen deutschen Staatsbürgers Ende Mai im Berliner Stadtteil Friedrichshain mit rechten Parolen beschmiert und verwüstet worden war. Spendengelder wollte Badiny nicht annehmen, denn es gebe Menschen, die noch schlechter dran seien, erklärte er. In einem Restaurant, das er an einem anderen Platz neu einrichten wolle, solle es deshalb für einkommensschwache Menschen ein Drei-Gänge-Menü für fünf Euro geben.

Doch wenn man den Namen Hussein Badiny in Suchmaschinen eingibt, findet man Websites, auf denen er als »mohammedanischer Täuscher« verunglimpft wird.

Bereits wenige Tage nach dem Solidaritätsfest warf die Berliner Polizei ihm vor, den rechten Angriff vorgetäuscht zu haben. Seine Wohnung wurde durchsucht und seine Computer wurden beschlagnahmt. »Die Polizei untersuchte den Tatort an jenem Tag. Danach passierte erstmal nichts. Man ermittle in alle Richtungen, hieß es. Jetzt steht fest: Ermittelt wird vor allem gegen Hussein Badiny«, schrieb die Berliner Zeitung. Sie nannte auch Beispiele für die nachlässigen Ermittlungen: »Warum zum Beispiel untersuchte die Polizei erst am Dienstag, zwei Wochen nach der Tat, das aufgebrochene Türschloss des Restaurants? Und warum steht im Polizeiprotokoll, dass er alleine im Restaurant war, als er die Zerstörung entdeckte, obwohl sein Koch ebenfalls da war?« Er habe das Gefühl, die Polizei arbeite nicht sauber, sagte Badiny der Berliner Zeitung. »Sie verschwendet ihre Zeit mit mir, statt die Täter zu finden. Die nehmen das nicht ernst.«

Die Berliner Grünen-Politikerin Canan Bayram, die sich seit Jahren gegen Rassismus und Neo­nazis engagiert, übt heftige Kritik an der Stilisierung eines Opfers rechter Gewalt zum Täter. »Menschen haben einen Anspruch auf eine ordentliche polizeiliche Dienstleistung. Dazu gehört, dass sie nicht ohne triftigen Grund selbst in den Fokus der Ermittlungen geraten, wenn sie Opfer geworden sind«, sagt Bayram. »Badiny droht, durch staatliches Handeln ein weiteres Mal Opfer zu werden«, warnt die Politikerin. Nicht nur sie fühlt sich beim Fall Badiny an die Opfer des NSU erinnert, die wie Kriminelle behandelt worden waren und deren Umfeld zum Gegenstand staatlicher Ausforschung geworden war. Auch Nico Roth von der Antifa Friedrichshain fühlt sich angesichts des Vorgehens gegen Badiny an den Umgang mit den NSU-Opfern erinnert. Die Polizei habe sich zu schnell auf Badiny festgelegt. Auch die Spurensicherung sei dem Vernehmen nach nicht gründlich genug gewesen, sagt Roth im Gespräch mit der Jungle World. Sowohl er als auch Bayram monieren, dass die Ermittlungsbehörden gegen Badiny mit einem Argumentationsmuster arbeiten, das auch bei den NSU-Morden Anwendung fand. Die Aktion gegen das Restaurant sei nicht typisch für die rechte Szene, begründet die Polizei den Verdacht gegen Badiny. »Richtig ist, dass ein nächt­licher Einbruch in eine Pizzeria und die profes­sionelle Zerstörung szeneuntypisch ist«, erklärt Roth. Typisch für die rechte Szene seien Über­fälle, bei denen alles zerstört werde, was im Weg stehe. »Doch der Umkehrschluss passt nur dann, wenn man Neonazis als im Affekt handelnde Unprofessionelle einordnet«, entgegnet Roth.

Nicht erst der NSU habe gezeigt, dass Neonazis, vor allem in Verbindung mit Rockern, die es in Berlin nachweislich gibt, durchaus professionell agieren und in der Lage sind, Wohnhäuser und Autos anzuzünden. Roth weist auf eine Serie von Anschlägen gegen linke Aktivisten und Haus­projekte hin, die bis heute nicht polizeilich aufgeklärt wurden. Der Umgang mit Badiny sorgt auch unter Migranten für Verunsicherung. Sie müssen feststellen, dass jenseits aller Sonntagsreden nach der Selbstenttarnung des NSU Opfer rechter Gewalt ohne Beweise von den Ermittlungsbehörden zu Tätern und danach von Rechten erneut zur Zielscheibe ihres Hasses gemacht werden.

http://jungle-world.com/artikel/2014/31/50313.html

Peter Nowak

Cobas ante portas

Italienische Logistikbeschäftigte kämpfen gegen schlechte Arbeitsbedingungen. Einige Unternehmen machen Zugeständnisse, doch Ikea entlässt 24 Angestellte.

»Vor zwei Jahren hatte unsere Gewerkschaft in Rom drei Mitglieder. Heute sind es 3 000«, sagt Karim Facchino. Der Lagerarbeiter ist Mitglied der italienischen Basisgewerkschaft S.I. Cobas sieht den rasanten Mitgliederzuwachs als Folge eines Arbeitskampfs, der auf die Selbstorgani­sation der Beschäftigten vertraut: »Wir haben keine bezahlten Funktionäre, nur einen Koordinator, doch sein Platz ist nicht am Schreibtisch eines Büros, sondern auf der Straße und vor der Fabrik.«

In den vergangenen Monaten war er dort häufig zu finden. Denn seit 2011 kämpfen die Logistikbeschäftigten in Italien gegen ihre besonders schlechten Arbeitsbedingungen. »Regelmäßig wurde ihnen durch falsche Lohnabrechnungen ein Teil ihres Lohnes gestohlen. Sie waren nicht gegen Unfälle geschützt, bekamen kein Urlaubs- und Weihnachtsgeld und hatten keine garantierten Arbeitszeiten«, sagt Johanna Schellhagen von Labournet.tv im Gespräch der Jungle World.

Besonders schlecht waren die Arbeitsbedingungen der Lagerarbeiter großer Warenhäuser, die oft aus europäischen, arabischen und nordafrikanischen Staaten angeworben wurden. Sie waren meist nicht direkt bei den Warenhäusern, sondern bei Subunternehmen angestellt. »Die Bosse haben gedacht, wir können uns nicht wehren, doch da haben sie sich getäuscht«, sagt Facchino, der in Marokko geboren wurde.

Ein zentrales Mittel im Arbeitskampf waren Blockaden, wenn Waren angeliefert werden sollten. Die Polizei ging oft mit brutaler Gewalt gegen die Beschäftigten vor. Die Bilder von Streikenden, die von der Polizei blutiggeschlagen worden waren, sorgten in Italien für Empörung. Dadurch wuchs die Unterstützung für die Beschäftigten. In mehreren Unternehmen konnten eine Verkürzung der Arbeitszeiten und höhere Löhne durchgesetzt werden.

Doch vor allem Ikea scheint entschlossen, den Streik der Beschäftigten repressiv zu beantworten. Im Juni wurden 24 Beschäftigte des Ikea-Lagers in Piacenza entlassen, alle sind Mitglieder der Gewerkschaft S.I. Cobas. Gleichzeitig wächst die polizeiliche und juristische Repression. So wurden gegen vier Mitglieder von Laboratorio Crash und gegen fünf Mitglieder des Collettivo Hobo Aufenthaltsverbote für die Orte verhängt, in denen sich die bestreikten Unternehmen befinden. Die beiden linken Gruppen unterstützen die Logistikbeschäftigten. Eine Unterstützerin, die in Piacenza wohnt, bekam eine mündliche Verwarnung mit der Aussicht auf ein Aufenthaltsverbot in ihrer eigenen Stadt. Käme es dazu, könnt sie ihre Wohnung nicht mehr legal betreten.

Dieser Repression von Unternehmen und Polizei wollen die Beschäftigten mit einer Ausweitung der Solidarität begegnen. Bereits am 25. Juni gab es den ersten Ikea-Aktionstag mit kleinen Kundgebungen vor Filialen in Hamburg und Berlin. Der zweite Ikea-Aktionstag am 26. Juli fand bereits in weiteren Städten statt. Ikea ist als internationaler Konzern ökonomisch verwundbar, wenn Kunden die Arbeitsbedingungen in den italienischen Logistikzentren nicht mehr gleichgültig sind.

Ausgangspunkt der Solidaritätsarbeit war ein Treffen europäischer Basisgewerkschafter Ende März in Berlin (Jungle World 12/2014). »Dort berichteten zwei Kollegen von S.I. Cobas über den Kampfzyklus. Danach haben wir begonnen, diesen Arbeitskampf bekannt zu machen«, erzählt Johanna Schellhagen. Mitte Mai wurde einer der engagierten Lagerarbeiter aus Bologna zu Informationsveranstaltungen nach Deutschland eingeladen. In Berlin wurde auch ein Austausch mit Gewerkschaftern aus der Logistikbranche in Deutschland organisiert. Damit wird auch noch einmal die Bedeutung der neuen Medien für die Solidaritätsarbeit deutlich. Denn zuvor hatte der jahrelange Arbeitskampf kaum Beachtung gefunden.

http://jungle-world.com/artikel/2014/31/50320.html

Peter Nowak

Mit der Reform nicht versöhnt

Auf einer Konferenz von Studierenden wurde anhaltende Unzufriedenheit deutlich

Katharina Mahrt studiert an der Christian Albrecht Universität Kiel Jura und ist Mitglied des Vorstands des freien zusammenschlusses von studierendenschaften (fzs). Anlässlich einer vom fzs organisierten Konferenz in Bonn sprach Peter Nowak mit ihr über die Probleme der Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge, die auch nach 15 Jahren seit Beginn des Bolognia-Prozesses noch nicht behoben sind.

Der fzs hat Studierende zu ihren Erfahrungen mit dem Bologna-Prozess befragt.
Zum 15. Geburtstag des Bolognaprozesses haben wir im Sommersemester 2014 eine bundesweite Online-Umfrage unter Studierenden organisiert. Über 3300 Kommilitonen und Kommilitoninnen haben sich daran beteiligt. Wir wollten damit die aktuelle Sichtweise der Studierenden auf ihre Studiensituation, auf Erfolge aber auch auf Probleme der Umsetzung des Bologna-Prozesses evaluieren, um daraus Forderungen an die Politik abzuleiten.

Welche Probleme haben die Studierenden in der Umfrage genannt?
Immer noch findet über ein Drittel, dass das Studium zu viele Prüfungen hat. 50 Prozent kritisieren, dass Leistungspunkte den benötigten Arbeitsaufwand kaum widerspiegeln und viele Lehrpläne weiterhin überfrachtet seien. Studierende müssen auch 15 Jahre nach Beginn des Bologna-Prozesses noch immer hohe Hürden überwinden, wenn sie ins Ausland gehen wollen. Diese Probleme sind seit langem bekannt. In den vergangenen Jahren wurden sie mit der Umstellung des Studiensystems auf Bachelor- und Masterprogramme begründet und als Kinderkrankheiten abgetan. Wenn aber, wie die Umfrageergebnisse zeigen, diese Probleme 15 Jahre nach der Bologna-Reform noch immer auftreten, kann man sagen, dass der Bologna-Prozess auch als Teenager noch Kinderkrankheiten hat.

Gab es auch Klagen über die finanzielle Situation der Studierenden?
Die Ergebnisse der Umfrage verdeutlichen, dass für die Hälfte aller Kommilitonen die fehlende Studienfinanzierung ein gravierendes Problem bei der Fortsetzung ihres Studiums ist. Angesichts der gerade anlaufenden Novellierung des BAföG besteht hier dringender Nachbesserungsbedarf, um die sozialen Rahmenbedingungen zu schaffen, allen Interessierten die Aufnahme und Fortführung eines Studiums zu ermöglichen.

Sie sehen auch bei den Masterabschlüssen Handlungsbedarf.
Ja, die Ergebnisse zeigen, dass die Studierenden den Master weiterhin als Regelabschluss ansehen. 71 Prozent der Bachelorstudierenden streben einen Masterabschluss an, aber nur 38 Prozent sehen den Master dabei als Weg zur Promotion. Die Hochschulen haben aufgrund der schlechten Umsetzung der Bachelorstudiengänge versäumt, den Bachelor als vollwertigen Abschluss zu etablieren, jetzt müssen sie den Studierenden den Weg in den Master ebnen.

Am Freitag endete in Bonn eine zweitägige Konferenz zum Bologna-Prozess, mit welchem Ergebnis?
In den Jahren 2009 und 2011 fanden zwei Bologna-Konferenzen statt, die wesentlich vom Ministerium für Bildung und Forschung organisiert waren. Sie waren eine Folge der Bildungsproteste 2009 und sollten den Dialog zwischen Studierenden, Hochschulmitarbeitern und Politikern über die weitere Umsetzung des Bologna-Prozesses fördern. Es gab aber damals von vielen Studierenden die Kritik, dass auf diesen Konferenzen vor allem der Bachelor als Erfolgsmodell hingestellt wurde. Seit zwei Jahren organisiert der fzs eine eigene Bologna-Konferenz.

Auch in Bonn diskutierten Studierende mit Vertretern der Hochschulen und der Kultusministerkonferenz. Auf unserer Konferenz standen allerdings die aktuellen Umsetzungsprobleme des Bologna-Prozesses im Mittelpunkt. Zudem erarbeiteten wir Vorschläge an die Politik, wie die Schwierigkeiten behoben werden können.

Jahrelang gab es massive studentische Proteste gegen den Bologna-Prozess. Haben diese Spuren hinterlassen?
Ja. In vielen Hochschulen wurden in den letzten Jahren die Prüfungsordnungen überarbeitet, was auch eine Folge der Proteste ist. Wir brauchen weiterhin eine kritische Begleitung des Bologna-Prozesses, müssen auf die Umsetzungsprobleme aufmerksam machen und von der Politik Reformen einfordern.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/941089.mit-der-reform-nicht-versoehnt.html

Interview: Peter Nowak

„Ich brauche keinen importierten Rassismus“