Vom Zentralismus zum Kommunalismus?

Direkte Erfahrungen mit der Umstrukturierung in der kurdischen Befreiungsbewegung. Ein Erlebnisbericht vom mesopotamischen Sozialforum 2009

Im September 2009 hatte ich die Gelegenheit als Besucher des mesopotamischen Sozialforums in Diyarbakir in Ansätzen mitzubekommen, wie die in Öcalans Buch Jenseits von Staat, Macht und Gewalt skizzierten Grundsätze konkrete Auswirkungen auf die Menschen in Kurdistan haben. Die meist mehrsprachigen Veranstaltungen deckten eine große thematische Bandbreite ab. Dort ging es unter anderem um das Recht auf Bildung, drohende Kriege um Energie und Wasser und den Zustand der Gewerkschaftsbewegung im Nahen Osten. Viele Diskussionen gab es um das Projekt des Demokratischen Kommunalismus, mit dem die kurdische Bewegung die Demokratisierung der Gesellschaft voranbringen will und das in Öcalans Verteidigungsschriften eine große Rolle spielt. Es ist vom mexikanischen Zapatismus und den sozialistischen Rätevorstellungen beeinflusst und stieß auch bei den Linken aus Westeuropa auf großes Interesse. Der Interpret dieser Idee in die Vorstellungswelt der kurdischen Bevölkerung ist aber vor allem Öcalan. Seine Texte, die in der hiesigen Linken kaum wahrgenommen werden, sind für die große Mehrheit der kurdischen Bevölkerung, unabhängig von Alter und Bildungsgrad, tatsächlich eine Art Wegweiser zu Konzepten der Befreiung in der Geschichte und der Gegenwart. Mag es für theoretisch vorgebildete LeserInnen eher eine Mischung von verschiedenen theoretischen Ansätzen sein, für Teile der kurdischen Bevölkerung sind es Hinweise für die praktische Politik. Das wurde auf dem Sozialforum besonders beim Themenbereich „Patriarchat“ deutlich, dem Öcalan in seinen Schriften großen Raum widmet.

Kurdischer Gender Trouble

So befassten sich in Diyarbakir zahlreiche Arbeitsgruppen mit Diskriminierungen und Verfolgungen, denen Menschen aufgrund ihres Geschlechts ausgesetzt sind. Im Workshop Gender-Trouble wurde anhand von Fotos über den männlichen Blick in den Medien diskutiert. Daran nahmen Menschen allen Alters teil, von der über sechzigjährigen Frau mit Kopftuch bis zum Jugendlichen. Organisiert wurde er von der Organisation Lambda, einer Vereinigung von Bi- und Homosexuellen und Transgender-Personen in der Türkei. Diese Themen spielen nicht nur auf dem Sozialforum eine wichtige Rolle. Ein Mitglied des türkischen Menschenrechtsvereins (IHD) berichtete in einer Arbeitsgruppe, dass bei ihren wöchentlichen Aktionen in Diyarbakir an unterschiedliche Opfer des Staatsterrorismus erinnert wird. Dazu gehören auch die Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung verschleppt und ermordet wurden. Ein aus Istanbul angereister Teilnehmer, der sich selbst als Anarchist bezeichnete, zeigte sich über die Themen und die Diskussionskultur positiv überrascht. Die kurdische Linke sei hier ein Vorreiter für linke emanzipatorische Ideen. Dort würden feministische Themenstellungen angesprochen, die in Teilen der türkischen Linken noch immer eine marginale Rolle spielen, erklärte er.

Auch über staatskritische Themen sowie eine generelle Ablehnung von Macht und Hierarchien werde in der kurdischen Linken seit einigen Jahren sehr offen diskutiert. Er könne sich mit seinen anarchistischen Vorstellungen daher in der Linken von Diyarbakir eher wiederfinden als in Istanbul, betonte der Mann, der auch bekundete für die PKK als Anarchist keine großen Sympathie gehabt zu haben.

Grenzen der Machtkritik

Auch viele westeuropäische TeilnehmerInnen des Sozialforums teilten das positive Urteil über das Sozialforum. Es sei gelungen, sich auch über kontroverse Themen in solidarischer Atmosphäre auszutauschen. Zu diesen strittigen Themen gehört die Rolle von Führungspersönlichkeiten wie Abdullah Öcalan in der linken Bewegung.

Hier liegt auch einer der größten Schwachpunkte in Öcalans Schriften. Bei aller durchaus ernsthaften Auseinandersetzung mit staats- und machtkritischen Texten und Theorien bleibt Öcalans Rolle als Prophet außerhalb jeder Kritik. Öcalans Machtkritik reicht bedauerlicherweise nicht aus , seine eigene Rolle in der Organisation zu hinterfragen.

Schwachpunkt Soziale Frage

Ein weiterer Schwachpunkt in Öcalans Schriften ist die fehlende Ökonomiekritik. Daher kommt es in den Schriften auch zu durchaus missverständlichen Formulierungen. So heißt es an einer Stelle: „Besser wäre, sich auf einen schlanken Staat zu einigen, der lediglich Aufgaben zum Schutz der inneren und äußeren Sicherheit und zur Versorgung sozialer Sicherheitssysteme wahrnimmt.“ Die Metapher vom schlanken Staat spielt heute auch oft in wirtschaftsliberalen Theorien eine große Rolle. In Öcalans Schriften sind soziale Fragen weitgehend ausgeblendet. Mehrmals verweist er ausdrücklich darauf, dass Klassenkämpfe keine große Bedeutung haben. Auch die Rolle von Gewerkschaften als Selbstorganisation der Lohnabhängigen kommt in den Schriften kaum vor. Dafür finden sich mehrere positive Bemerkungen zur sozialdemokratischen Globalisierung, die Öcalan als Alternative zum klassischen Imperialismus in die Diskussion bringt. Es gäbe also genügend kritische Fragen an Öcalans Vorstellungen zu stellen. Allerdings sollte durchaus zur Kenntnis genommen werden, dass in seinen Schriften eine mit starken geschichtlichen und mythologischen Bezügen versehene Kritik an Macht und Staat vorliegt. Diese Kritik sollte in Zukunft auch in Deutschland Gegenstand einer kritischen Diskussion sein.
http://www.direkteaktion.org/211/vom-zentralismus-zum-kommunalismus
Peter Nowak

Immer noch zu deutsch

Ein Jahr nach Entstehung der Bewegung der »Empörten« ist diese noch immer kein gesamteuropäisches Phänomen. Auch im Rahmen der »Blockupy«-Proteste in Frankfurt standen eher die Verbotsverfügungen der Behörden als die europäische Krisenpolitik im Vordergrund.

Nachdem am vergangenen Wochenende in vielen europäischen Städten die Entstehung der Bewegung der Indignados vor einem Jahr mit Demonstrationen gefeiert worden ist, wird in dieser Woche Frankfurt zum Zentrum der Proteste gegen die europäische Krisenpolitik. Das ist zumindest der Wunsch einer großen Anzahl von Gruppen, die seit Monaten unter dem Sammelbegriff »Blockupy« zu Aktionstagen vom 16. bis zum 19. Mai aufrufen. In den vergangenen Wochen bekam die Protestbewegung neuen Schwung. Allerdings war dies weniger auf die jüngsten politischen Entwicklungen in Europa, insbesondere die griechischen Wahlen, zurückzuführen. In Griechenland gibt es gegenwärtig keine parlamentarische Mehrheit mehr für die Weiterführung des von der EU vorgeschriebenen Spardiktats. Die Volksabstimmung über den Sparplan, die der ehemalige sozialdemokratische Ministerpräsident Georgios Papan­dreou nach starkem Druck aus Brüssel und Deutschland wieder zurückziehen musste, hat so in Form von Parlamentswahlen doch noch stattgefunden. Plötzlich sind ganz neue Töne aus Griechenland zu hören, wenn einer der Wahlsieger, der Vorsitzende der zweitstärksten Partei Syriza (Linksallianz) in einem Brief an die EU-Verantwortlichen die Zeit der Spardiktate für beendet erklärt. Die Tageszeitung Der Standard aus Wien hat den Wahlausgang in Athen in einem Kommentar zu einer »griechischen Revolution« stilisiert, die den Kritikern des Kapitalismus Auftrieb gebe.

Obwohl die Proteste in Frankfurt sich genau gegen die EU-Politik richten, die in Griechenland exemplarisch exekutiert werden soll, wurden die Wahlergebnisse im Rahmen der Protestaktionen kaum diskutiert. Schließlich nennt sich eine der wichtigsten Gruppen im Protestbündnis »No Troika«, und bezieht sich so unmittelbar auf die Gruppe der EU-Abgesandten, die die Sparmaßnahmen diktiert hat und für die Umsetzung sorgen soll. Popularität verschafft wurde den »Blockupy«-Protesten dennoch eher von den deutschen Ordnungsbehörden. Die haben in der vorigen Woche sämtliche angemeldeten Aktionen verboten. Dazu gehören das Aufstellen von Zelten in der Innenstadt von Frankfurt, eine Rave-Party sowie eine Mahnwache von kapitalismuskritischen Ordensleuten.

Mittlerweile haben die Ordnungsbehörden gar wieder einen von Juristen heftig gerügten Ladenhüter aus der Hochzeit der globalisierungskritischen Proteste aus der Schublade geholt. So verschickte die Polizei an politische Aktivisten Verfügungen, sich während der Protesttage nicht in der Frankfurter City aufzuhalten. Die Verbotspolitik wird flankiert von Versuchen, das Bündnis »M31« zu kriminalisieren, das am 31. März eine Demonstration an der Baustelle der EZB am Rande der Frankfurter Innenstadt organisiert hatte. Diese war aufgelöst worden, nachdem es zu auch innerhalb des Bündnisses umstrittenen Steinwürfen gekommen war. Viele der Demonstrierenden wurden stundenlang eingekesselt. Nach diesen Vorfällen wurde das »M31«-Bündnis vom Frankfurter CDU-Ordnungsdezernenten Markus Franz zu einer »gewaltbereiten Gruppierung« erklärt.

Die Verbotsversuche in Frankfurt liegen ohnehin im europäischen Trend. Die konservative Regierung in Spanien verfolgt etwa Gewerkschafter, die sich am Generalstreik am 29. März beteiligt haben. Laura Gómez, eine Funktionärin der CGTg seit dem 24. April in Untersuchungshaft. Zudem will man das Errichten von Zelten in den spanischen Innenstädten mit hohen Strafen belegen. Auf dieser Grundlage hat die Polizei in der Nacht zum 13. Mai in vielen Städten, in denen Demonstranten Protestcamps errichten wollten, die Kundgebungen aufgelöst. An der Puerta del Sol, wo sich am Samstag laut Polizeiangaben rund 30 000 Menschen versammelt hatten, schritt die Polizei in der Nacht ein und räumte gewaltsam den Platz, auf dem sich noch mehrere hundert Demonstranten befanden. Mindestens 15 Menschen wurden festgenommen.

Ähnlich wie über die sozialen Kämpfe in anderen europäischen Ländern ist auch über die Repression in den Publikationen der deutschen Kapitalismuskritiker wenig zu erfahren. Facebook und Twitter hin oder her: Von einer europäischen Protestbewegung kann nicht die Rede sein. Der hiesigen Protestbewegung gegen die europäische Krisenpolitik könnte man genau dasselbe vorwerfen, was sie an der Politik der großen Gewerkschaften seit Jahren zu Recht kritisiert: Auch sie agiert noch vorwiegend im nationalstaatlichen und nicht im europäischen Rahmen. Daher sorgt nicht das »No-Troika« der griechischen Wähler, sondern das Frankfurter Ordnungsamt für die Mobilisierung.

Dabei gibt es seit Monaten immer wieder Aufrufe von unterschiedlichen Teilen der griechischen Protestbewegung, die Verbündete in anderen europäischen Ländern sucht. Statt eine Antwort aus dem linken Spektrum kursiert nun ein von Intellektuellen verfasster moralischer Appell zur »Neugründung Europas« (s. Seite 5), aus dem man schließt: Alles soll so weitergehen, wie bis jetzt, nur die Rhetorik soll etwas sozialer werden. Dazu passte auch der Wahlsieg des Sozialdemokraten François Hollande in Frankreich. Selbst konservative Politiker aus Italien und Spanien nutzen jetzt die Chance, die deutsche Dominanz in der EU zu kritisieren, während die Bundesregierung eisern am Grundsatz festhält, Sparkurs und Wirtschaftswachstum gehörten zusammen. So könnte gerade der oft beschworene »frische Wind aus Frankreich« dazu dienen, den alten EU-Kurs mit Unterstützung von Grünen und Sozialdemokraten gegen die »No-Troika«-Rufe aus Griechenland, Irland oder anderen Ländern der europäischen Peripherie zu festigen.

Ob es während der Frankfurter Aktionstage die Gelegenheit geben wird, sich mit solchen Szenarien auseinanderzusetzen, ist offen. Dabei fehlt es an einer transnationalen Kommunikation. Auf einem europäischen Treffen zur Krise in der EU von Gewerkschaftern und sozialen Initiativen Anfang Mai in Brüssel gab es vielfach die illusionäre Hoffnung auf neokeynesianische Elemente in der europäischen Wirtschaftspolitik durch eine Stärkung der sozialdemokratischen Parteien auf EU-Ebene.

Ob das »M31«-Bündnis eine eigene Strömung im Rahmen der europaweiten Proteste bilden wird, bleibt abzuwarten. An einer maßgeblich von dieser Strömung organisierten Demonstration in Berlin Anfang Mai, die sich unter dem Motto »Mehr Technokratie wagen« mit den sozialen Bewegungen in Griechenland solidarisierte, hatten sich noch höchstens 150 Menschen beteiligt. Am vergangenen Wochenende demonstrierten in Berlin nach Veranstalterangaben knapp 5 000 Menschen für eine Neubelebung der »Occupy«-Bewegung. Nach Verboten der Polizei wurde gar nicht erst versucht, das geplante Zeltlager am Alexanderplatz zu erreichten.

Ende Mai wird in Irland in einem Referendum über den Fiskalpakt abgestimmt. Dort rufen soziale Gruppen und Gewerkschaften zu einem linken »Nein« auf. Einen besseren Anlass für die Mobilisierung für die europäischen Krisenproteste im Mai könnte man sich eigentlich nicht vorstellen. Man muss ihn nur nutzen.

http://jungle-world.com/artikel/2012/20/45454.html
Peter Nowak

Blockupy – Erfolg oder Niederlage?

Mehr als 25.000 Menschen sollen heute in der Frankfurter Innenstadt nach Veranstalterangaben gegen die Politik der EU-Troika demonstriert haben

Das Spektrum der Demonstranten reichte von Gewerkschaften, der Linkspartei, Attac bis den außerparlamentarischen Bündnissen Ums Ganze und der Interventionistischen Linke. Große Blöcke aus Italien und Frankreich machten deutlich, dass die Kritik an der aktuellen EU-Politik im europäischen Maßstab wächst.

Aus aktuellem Anlass wanden sich viele Parolen auch gegen eine autoritäre Staats- und Sicherheitspolitik, wie sie in den letzten Tagen in Frankfurt auf den Straßen zu erleben war. Die flächendeckenden Protestverbote, das Anhalten von Bussen und die Aufenthaltsverbote für viele Aktivisten in den letzten Tagen in der Frankfurter Innenstadt haben die Diskussion über den Abbau der Grundrechte parallel zur wirtschaftlichen und sozialen Krise wieder belebt. Tatsächlich hat nur die Polizei das Bankenviertel blockiert. „Ihr habt Euch selbst blockiert“, lautete denn auch eine häufig gerufene Parole auf der Demonstration.

Doch das geht am Kern der Vorgänge der letzten Tage vorbei. Die Belagerung des Bankenviertels legte das Bankengeschäft keineswegs lahm. Facebook konnte genauso problemlos an die Börse gehen, wie auch Kredite vergeben wurden. Was die Polizei in den letzten Tagen lahmgelegt hat, war vielmehr der Protest gegen den Krisenkapitalismus. Wenn die Protestorganisatoren in einer Presseerklärung trotzig behaupten: „Die Blockupy-Aktionstage mit der Besetzung des Paulsplatz und des Römerbergs sowie die heutige Demonstration zeigen: Wir lassen nicht zu, dass Frankfurt zur demokratiefreien Zone wird. Empörung lässt sich nicht verbieten“, dann ist das vor allem Zweckoptimismus. Die vergangenen Tage haben vielmehr gezeigt, dass alle Proteste, die über eine Großdemonstration hinausgehen, effektiv behindert wurden. Die Frankfurter Polizei erklärte gestern, die Bürger seien größtenteils zufrieden. Es herrsche nun das Gefühl, „dass alles nicht so schlimm sei“. Das könnte auch erklären, warum die massiven Grundrechtseinschränkungen der letzten Tage ohne große Proteste hingenommen wurde.

Die Zahl der Aktivisten war am Donnerstag und Freitag kleiner als erwartet. Damit zusammenhängt, dass es erkennbar schwierig ist, die Krisenproteste mit aktuellen sozialen Kämpfen zu verbinden. So ist in den letzten Wochen wieder viel von einer Schließung des Opelwerks in Bochum die Rede. Dort gibt es eine kämpferische Minderheit in der Belegschaft, die schon vor Jahren mit selbstorganisierten Streiks auf sich aufmerksam gemacht hat. Trotzdem war die drohende Schließung von Opel-Bochum auf der Demonstration genauso wenig ein Thema wie die Abwicklung vieler Schlecker- Filialen in den letzten Wochen. Dabei hat die Berliner Schlecker-Gesamtbetriebsrätin Mona Frias einen gewerkschaftlichen Unterstützungsaufruf für Blockupy mit unterzeichnet.

Zwischen Krisenpolitik und Krisenwahrnehmungen

Doch es sind weder in erster Linie abschreckende Maßnahmen der Polizei noch große Fehler der Protestorganisatoren, die verhindern, dass Opel- oder Schlecker-Beschäftigte sich massenhaft an den Blockupy-Protesten beteiligen. Die Ungleichzeitigkeit der Krisenpolitik und der Wahrnehmung bei den Betroffenen erschwert einen gemeinsamen Widerstand. Diese Entkoppelung stellt für die Linken ein großes Problem dar, „das keineswegs mit bloßen Appellen und weltweiten Aufrufen bewältigt werden kann“, schreiben die Sozialwissenschaftler Peter Birke (http://www.assoziation-a.de/autoren/Birke_Peter.htm ) und Max Henninger (http://www.assoziation-a.de/autoren/Henninger_Max.htm ) in dem von ihnen kürzlich im Verlag Assoziation A herausgegebenen Buch mit dem Titel Krisen Proteste. Dort sind 12 Aufsätze dokumentiert, die größtenteils auf der Onlineplattform Sozial.Geschichte.online veröffentlicht wurden. Hier werden seit 2009 die sozialen Bewegungen der Gegenwart analysiert.

Die Beiträge aus Italien, Griechenland, den USA, Tunesien und China zeichnen sich durch eine analytische Schärfe auf, wie man sie heute selten liest. So zeigt Kirstin Carls auf, wie die technokratische Monti-Regierung in den letzten Monaten Einschnitte in die Arbeits-, und Sozialgesetzgebung umgesetzt hat, die die Berlusconi-Regierung nach heftigem Widerstand noch zurückgezogen hatte. Peter Birke zeigt am Beispiel der Besetzung des Hamburger Gängeviertels auf, dass eine „Recht auf Stadt“-Bewegung, die nicht auch die soziale Frage thematisiert, schnell in die Gefahr der staatlichen Vereinnahmung gerät. Für eine Auswertung der Blockupy-Aktionen und die Perspektive weiterer Krisenproteste kann das Buch wichtige Impulse liefern.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152029
Peter Nowak

Polizeifestspiele in Frankfurt

Aktivisten fühlten sich an die bleiernen Jahre des Deutschen Herbstes erinnern. Nicht Blockupy, sondern die Polizei hat das Bankenviertel blockiert

„Blockupy: EZB und Bankenviertel erfolgreich blockiert“, heißt es auf der Homepage des globalisierungskritischen Netzwerkes Attac. Damit hatten sie nicht unrecht, aber es war die Polizei, die mit ihren Maßnahmen für die Blockaden sorgte. Den ganzen Tag über waren sie auf der Suche nach Menschen, die sich vielleicht zu politischen Zwecken im öffentlichen Straßenraum bewegten. Immer wieder wurden Menschen eingekesselt, gelegentlich setzte die Polizei auch Wasserwerfer ein. Insgesamt wurden im Laufe des Tags fast 500 Personen zumindest kurzzeitig festgenommen.

Auswärtige Aktivisten kamen oft schon gar nicht nach Frankfurt, das von Schwarz-Grün regiert wird. So waren schon am Donnerstag mehrere Busse aus Berlin in unmittelbarer Nähe von Frankfurt angehalten und von der Polizei zur Rückkehr nach Berlin aufgefordert worden. Eine italienische Protestgruppe musste in den letzten Tagen auf einen Campingplatz am Rande von Frankfurt bleiben. Wenn sie in der Innenstadt entdeckt worden wären, hätte ihnen Haft gedroht. Dagegen regte sich in Italien Protest. Vor der deutschen Botschaft in Rom demonstrierten Menschen gegen die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit. In Venedig wurde sogar das deutsche Konsulat besetzt.

Die erneuten Stadtverbote sind schon deshalb erstaunlich, weil erst vor wenigen Tagen an mehr 400 Personen persönlich gerichtete Verfügungen aufgehoben worden waren, während der Aktionstage die Frankfurter Innenstadt nicht zu betreten. Damals waren die Maßnahmen zuvor begründet worden, dass die Betroffenen während des antikapitalistischen Aktionstages am 31. März polizeilich kontrolliert worden seien. Da aber niemandem eine Straftat nachgewiesen wurde, hätte das Stadtverbot wohl einer juristischen Nachprüfung nicht standgehalten, was ein Grund für die Aufhebung war. Wieso aber nun ein Stadtverbot gegen Personen, die nur mit einem Bus aus Berlin nach Frankfurt gefahren sind, eine größere rechtliche Basis haben soll, konnten auch Anwälte nicht beantworten.

Die Frankfurter Polizei zumindest äußerte sich höchst zufrieden mit dem bisherigen Ablauf. In der täglichen Pressemitteilung wurde unter den wenigen Sachbeschädigungen ein abgerissenes Verkehrsschild aufgeführt. Trotzdem geht der harte Kurs, der vor allem von der Lokalkorrespondentin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ausdrücklich begrüßt wurde, noch bis in die Abendstunden weiter. Am späten Freitagabend wurden rund um den Unicampus, auf dem sich zahlreiche Aktivisten aufhielten, die Kontrollen verstärkt.

Weniger Teilnehmer als erwartet

Insgesamt blieb die Zahl der Teilnehmer an den Aktionen hinter den Erwartungen der Organisatoren zurück. Daran hat sicher das Verbot ebenso beigetragen wie die mediale Berichterstattung, die Menschen von der Teilnahme abschrecken sollte. Allerdings zeigte sich auch in den letzten Tagen wieder einmal, dass ein ausgeprägtes Krisenbewusstsein bei einem großen Teilen der Bevölkerung nicht vorhanden ist und auch nicht durch Großaktionen erzeugt werden kann.

Jetzt wird von der Teilnahme an der genehmigten Großdemonstration abhängen, ob die Aktionstage ein Erfolg waren oder nicht. Nach den Tagen der Demonstrationsverbote wird eine fünfstellige Teilnehmerzahl erwartet. Vor allem wird sich nun zeigen, ob sich das liberale Frankfurter Bürgertum, das in den letzten Tagen still blieb, in die Debatte einmischt. Schließlich können sich selbst langjährige Aktivisten, wie die Ökolinx-Stadtverordnete Jutta Ditfurth, an ähnlich massive Demokratieeinschränkungen in Frankfurt nicht erinnern. Man muss schon in die späten 70er Jahre zurückblicken, um auf ähnliche flächendeckende Verbote zu stoßen.

http://www.heise.de/tp/artikel/36/36964/1.html
Peter Nowak

„Wir sind laut, weil man uns die Freiheit klaut“

Trotz eines starken Polizeiaufgebots gab es heute Demonstrationen von Kapitalismuskritikern in der Innenstadt von Frankfurt, Blockupy plant weitere Kundgebungen

Um die 1000 Menschen protestierten auf dem Frankfurter Paulsplatz mit dem Grundgesetz in der Hand gegen die gerichtlich bestätigten Demonstrationsverbote in der Frankfurter Innenstadt und die gestrige Räumung des Occupy-Camps. „Wir sind hier und wir sind laut, weil man uns die Freiheit klaut“, lautete ein häufig gerufener Protestslogan.

Der Platz wurde wegen der historischen Implikationen bewusst gewählt. Die Paulskirche gilt als Geburtsstätte der bürgerlichen Demokratie von 1848. Allerdings ist dieser Bezug nicht unproblematisch. Schließlich waren die in der Paulskirche diskutierten Konzepte längst nicht so demokratisch, weil dort Freiheiten weitgehend vom Einkommen abhängig gemacht wurden. Außerdem bekommen die Proteste durch den Paulskirchenbezug einen nationalstaatlichen Bezug, den die Blockupy-Proteste gerade überwinden wollten. So könnte schnell in den Hintergrund geraten, dass noch immer die griechische Bevölkerung von den EU-Sparplänen am meisten betroffen ist.

Attac erinnerte in einer Pressemitteilung immerhin daran, dass die EZB massiven Druck auf die griechische Regierung ausübt, gegen den Wählerwillen die Vereinbarungen mit der EU-Troika umzusetzen. Zudem hat die EZB mehreren griechischen Banken keine weitere Liquidität mehr zur Verfügung gestellt, um den Druck zu erhöhen „Mit dieser Entscheidung beteiligt sich die EZB an der Erpressung Griechenlands. Sie will das Land zwingen, die desaströse Austeritätspolitik fortzuführen, die weder tragbar noch erfolgreich ist“, sagte Thanos Contargyris von Attac Hellas, der sich an den Blockupy-Protesten beteiligen will. Auch aus weiteren europäischen Ländern sind Aktivisten auf dem Weg in die Mainmetropole.

Das Blockupy-Bündnis hat mittlerweile eine aktuelle Protestagenda veröffentlicht, die sie trotz der massiven Behinderungen in den nächsten Tagen umsetzen will. Neben Demonstrationen und Kundgebungen will man auch eine Konferenz der sozialen Bewegungen abhalten.

Juristische Auseinandersetzung geht weiter

Schon jetzt ist klar, dass die juristische Auseinandersetzung auch nach dem Ende der Aktionstage weitergehen wird. So ist es nicht unwahrscheinlich, dass wie schon in der Vergangenheit bei anderen Protestaktionen das Verbot nachträglich für rechtswidrig erklärt wird. Die juristischen Auseinandersetzungen der letzten Monate haben nach Meinung von Protestbeobachtern Auswirkungen auf den Polizeieinsatz in Frankfurt. So sei bisher auf den Einsatz von Drohnen und die Funkzellenauswertung verzichtet worden. Diese Maßnahmen kamen bei Demonstrationen in den letzten Jahren zur Anwendung und haben Kritik von Datenschützern und Juristen ausgelöst.

Morgen wird sich zeigen, ob die Polizei weiterhin ohne diese viel kritisierten Instrumentarien auskommen wird. Dann werden Tausende Globalisierungskritiker aus der ganzen Republik zu den lange geplanten Protesten in Frankfurt eintreffen. Allerdings hat die Polizei mit ihren Maßnahmen bereits für ein Ziel des Protestes gesorgt: das Bankenviertel in Frankfurt ist blockiert.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152017
Peter Nowak

Der Sicherheitsstaat ist in Frankfurt in Aktion

Mit der Räumung des Occupy-Camps hat die Polizei die Konfrontation gegen die Kapitalismuskritiker eingeleitet

Sie haben kalten Winternächten getrotzt, sich mit Bankiers und Polizisten ablichten lassen und waren fast schon eine Art Berühmtheit in der Stadt: die Occupy-Aktivisten, die seit letztem Herbst vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt/Main campten. Nun wurde das Camp einen Tag vor Beginn der internationalen Krisenproteste geräumt, die unter dem Namen Blockupy einen Neustart der Occupy-Bewegung mit dem Protest von sozialen Bewegungen aus ganz Europa verbinden wollten.

Mit der Räumung haben die Behörden die Gelegenheit genutzt, die Bewohner los zu werden, die längst nicht mehr so wohlgelitten in der Stadt waren wie noch vor Wochen. Schließlich haben viele Wohnungslose in Frankfurt das Camp als Refugium genutzt und damit einen Skandal deutlich gemacht: Wohnungslosigkeit in der Bankenmetropole wurde sichtbar. Schon längst hat das Frankfurter Bürgertum genug davon, dass Elend so hautnah zu sehen, wenn man abends aus dem Theater kommt.

Doch die Räumung des Camps war auch eine Kampfansage an die in Deutschland schwache kapitalismuskritische Bewegung. Einen Tag vor den lange geplanten europäischen Protesten hat die Polizei mit der Räumung die Konfrontation begonnnen. Das Verwaltungsgericht Kassel hatte am Mittwochmorgen eine Klage von Campbewohnern gegen die Räumung zurückgewiesen und damit den repressiven Kurs der Frankfurter Behörden bestätigt. Die Bewohner wehrten sich gemeinsam mit den ersten aus ganz Europa einreisenden Kapitalismuskritikern mit Sitzblockaden gegen die Räumung. Daran konnten auch einige der Personen teilnehmen, die noch vor einigen Tagen von der Frankfurter Polizei während der Aktionstage Stadtverbot hatten.

Stadtverbote aufgehoben

„Nach einer intensiven Erörterung mit dem Verwaltungsgericht Frankfurt hat sich das PP Frankfurt entschlossen, die am 11.05.2012 ausgesprochenen Aufenthaltsverbote zurück zu nehmen. Das Gericht signalisierte, dass die Ereignisse am 31. März hierfür nicht ausreichten. Es werden daher die auf dieser Grundlage erlassenen Aufenthaltsverbote nicht durchgesetzt“, heißt es in einer kurzen Erklärung der Polizei.

Allerdings gilt die Aufhebung nur für die Betroffenen, die mit einem Eilantrag Widerspruch gegen das Stadtverbot eingelegt hatten. Man könnte zynisch sagen, wenn sowieso fast alle Aktionen verboten sind, brauchen keine besonderen Stadtverbote mehr verhängt werden.

Wenn Proteste zum Gefahrenpotential werden

In einer Erklärung der Frankfurter Polizei wird dieser Zusammenhang ebenso hergestellt. Dort hieß es:

„Nachdem durch den VGH Kassel am heutigen Vormittag die Verbotsverfügungen der Versammlungsbehörde bestätigt wurden, sind aktuelle keine Veranstaltungen im Zusammenhang mit der ‚Blockupy- Bewegung‘ genehmigt.

Die Polizei weist daher daraufhin, dass Teilnehmer dieser verbotenen Veranstaltungen – damit sind auch Besucher der Raveveranstaltung gemeint – abgewiesen werden. Auf der Anfahrt befindliche Teilnehmer werden daher gebeten umzukehren.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Beschluss deutlich gemacht, dass einer der Entscheidungsgründe die Sicherheit der eingesetzten Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten war. Die dann hier bleibenden Teilnehmer würden auch das Gefahrenpotential in der Stadt erhöhen.“

Nur wenige Stunden später erklärt die Frankfurter Polizei, dass der erste Protesttag ruhig verlaufen sei und die von der Blockuppy geplanten Proteste nicht stattgefunden haben.

Nicht wenige Menschen, die nicht nur zur Protestzwecken in der Frankfurter Innenstadt das große Polizeiaufgebot gesehen haben, fühlten sich an die immer wieder verbotenen Aktionen der Putingegner in Russland erinnert. Dazu gibt es immer große Debatten über die schlechte Menschenrechtssituation in Russland. Schon vor einigen Jahren hatte Putin solche Kritiker auf den Umgang der Polizei mit den G8-Protesten in Heiligendamm hingewiesen. Jetzt kann er auf Frankfurt verweisen.

Auch die Universitätsverwaltung wurde in die Strategie eingespannt und ließ für die Dauer der Aktionstage sämtliche Universitätsgebäude der Stadt schließen, was von der Studierendenvertretung kritisiert wurde.

Wie weiter?

Der Fortgang der Protesttage wird auch davon abhängen, wie viele Aktivisten in den nächsten Tagen sich nicht von den Warnungen der Polizei abschrecken lassen und doch noch nach Frankfurt kommen. Unter dem Motto „Jetzt erst recht! Kommt alle nach Frankfurt“ rufen die Protestorganisatoren dazu auf.

Allerdings geben auch Aktivisten offen zu, das Totalverbot und die gerichtliche Bestätigung in dem Ausmaß nicht für möglich gehalten zu haben. Dabei gab es in der Geschichte der Bundesrepublik durchaus ähnliche Beispiele. So wurden 1987 auf dem Höhepunkt der zweiten Anti-AKW-Bewegung eine Bundeskonferenz der AKW-Gegner in Regensburg verboten.

Eine Fachschaftskonferenz von Chemiestudierenden, die die Gebannten Asyl gewährten, wurde im Anschluss ebenfalls untersagt. Die Grünen haben sich damals mehrheitlich mit den Umweltaktivisten solidarisch erklärt.

Heute findet man auf der Homepage der Grünen im Römer nur die Polizeimeldung über die Verbote der Proteste. Schließlich sind die Grünen Teil der Frankfurter Stadtregierung. Mittlerweile haben sich allerdings führende Vertreter der Grünen, der Piratenpartei und die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles kritisch über das Blockupy-Verbot geäußert. Schließlich wurde auch eine Mahnwache der Frankfurter Jusos gegen Homophobie und Transphobie am 17.Mai in Frankfurt verboten, weil die Polizei eine Blockupy-Unterstützung vermutete.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152015
Peter Nowak

Reise nach Teheran mit Folgen

Ein Besuch bei Irans Präsidenten könnte bei einem FDP-Politiker zum Karriereknick führen

Bisher war Claus Hübscher wohl vor allem in Delmenhorst bekannt, wo er bei der niedersächsischen Landtagswahl im nächsten Jahr für die FDP kandidieren will. Mittlerweile aber wird starker Druck aus seiner Partei auf ihn ausgeübt, seine Kandidatur zurück zu ziehen. Grund ist eine vom Betreiber des Internetportals Muslim-Markt organisierte Iran-Reise, zu der auch eine 90minütige Audienz beim iranischen Präsidenten Ahmadinedschad gehörte.

Kaum war der liberale Lokalpolitiker durch die Reise im Fokus der Medien, redete er sich schon um Kopf und Kragen. So erklärte er dem Weser-Kurier, dass er den iranischen Präsidenten gefragt habe, ob er wirklich den Holocaust geleugnet habe. „Definitiv nein“, sei die Antwort gewesen. Nachdem es zunächst schien, als hätte sich Hübscher diese Meinung zu eigen gemacht, versuchte er später die Gemüter mit der Erklärung zu beruhigen, die er in einer persönlichen Erklärung noch einmal betonte, dass der Holocaust als Teil deutscher Geschichte nicht geleugnet werden dürfe. Mittlerweile hat Iran-Reise schon einige Folgen gezeitigt. So wurde er aus dem Freundeskreis der Jüdischen Gemeinde“ ausgeschlossen.

Kündigung ohne Anhörung

Auch die Volkshochschule Delmenhorst hat ihren bisherigen Vorsitzenden Hübscher sofort entlassen. Selbst die Tageszeitung, die Hübschers Iran-Reise heftig kritisierte, spricht von einem Berufsverbot. Unklar ist noch, ob sich Hübscher als FDP-Kandidat halten kann. Rechtlich wäre es nicht so einfach, ihn von der Liste zu streichen, da das Prozedere für die Wahlen schon abgeschlossen ist.

Hübscher erklärte, er würde nur zurücktreten, wenn der Kreisverband Delmenhorst, der ihn nominiert hat, das wünsche. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass die Angelegenheit auf der Lokalebene entschieden wird. Die FDP will sich nicht erneut eine parteiinterne Nahostdebatte aufhalsen, wie sie vor knapp 10 Jahren von den damaligen FDP-Politker Jürgen Möllemann und dem von den Grünen zu den Liberalen übergewechselten NRW-Landtagsabgeordneten Karsli ausgelöst worden war. Beide kritisierten scharf die israelische Politik.

Ob allerdings die Eile, mit der Hübscher jetzt zum Rückzug von der Kandidatur gedrängt werden soll, politisch sinnvoll ist, ist die große Frage. Schließlich ist bei der Debatte viel Heuchelei im Spiel. So ist Hübscher keineswegs der einzige Politiker ist, der in den letzten Jahren den iranischen Präsidenten besucht hat. Noch 2009 war der Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder, 2011 Bundesaußenminister Westerwelle dort. Erst vor einigen Wochen reiste der Moderator Claus Kleber nach Teheran, um Ahmadinedschad zu interviewen. Auch die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Iran waren lange Zeit gut. Doch darüber soll nicht geredet werden. Daher soll die Hübscher möglichst schnell in der Versenkung verschwinden.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152010
Peter Nowak

Auch der Weihnachtsmann war Nazi

GESCHICHTE Eine Ausstellung im Haus der Demokratie zeigt die Verfolgung von Kindern durch die Nazis

„Joseph, du bist ein Mulatte. Für solche Kinder habe ich nichts.“ Mit diesen Worten weist der Weihnachtsmann den Wunsch eines Zwölfjährigen nach Geschenken im Jahr 1934 zurück. Im Nationalsozialismus blieb die Rassenideologie auch am Heiligen Abend gültig.

Eine Ausstellung im Haus der Demokratie dokumentiert auf 50 Tafeln die Schicksale von Kindern und Jugendlichen, die aus unterschiedlichen Gründen im NS verfolgt oder diskriminiert wurden – wie der Zeitzeuge, der die Weihnachtsszene schildert. Mehrere Tafeln gehen auf die Opfer der sogenannten Euthanasie ein, Jugendlichen und Kinder, die wegen angeblicher erblicher Krankheiten oder krimineller Vorfahren in Anstalten gequält und häufig sterilisiert wurden.

Ein großer Teil der Ausstellungstafeln wurde von einer kirchlichen Initiative aus Freiburg erstellt. Zehn Tafeln gestalteten SchülerInnen des Berliner Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Gymnasiums. Sie interviewten Zeitzeugen und recherchierten über Verfolgte in ihrer Nachbarschaft.

„Bis heute ist wenig über das Schicksal der im NS verfolgten Kinder und Jugendlichen bekannt“, sagt Kuratorin Anne Allex vom Arbeitskreis Marginalisierte gestern und heute. „Wir wollen an diese vergessenen NS-Opfer erinnern.“ Allex erinnert daran, dass die noch lebenden Betroffenen oft noch an den Folgen der Verfolgung leiden und keine Entschädigung bekommen haben.

Ein Ausstellungskatalog, der eine Lücke in der Geschichte der NS-Verfolgung schließen würde, konnte bisher nicht erstellt werden, weil Fördermittel fehlen.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig
=2012%2F05%2F16%2Fa0177&cHash=2bce8e8944

Peter Nowak

„Unrecht an Kindern und Jugendlichen im deutschen Faschismus, Haus der Demokratie, Greifswalder Straße 4. www.anne-allex.de

Grundrechte im Zeitalter der Krise

Die Behörden fahren eine harte Linie gegen Occupy, weil sie die Interessen der Geschäftswelt bedroht sehen. Die konservative Presse gibt dem Vorschub

Die Frankfurter Innenstadt dürfte in den nächsten Tagen zu einem heißen Pflaster werden. Kapitalismuskritiker aus ganz Europa wollen im Rahmen der Blockupy-Tage ab dem 16. Mai gegen die Politik von Banken, Konzernen und Regierungen protestierten. Seit Monaten hat ein Bündnis, das von Attac über Linkspartei bis zur Interventionistischen Linken reicht, ein umfangreiches Protestprogramm vorbereitet.
Doch in den letzten Tagen sind die Aktivisten vor allem mit der Repression beschäftigt, mit der die Behörden auf die Proteste reagieren. Schon in der letzten Woche wurden sämtliche Anlauf- und Kundgebungspunkte verboten. Das Verwaltungsgericht Frankfurt hat die Verbote inzwischen weitgehend bestätigt und lediglich das Demonstrationsverbot für einige Veranstaltungen am Mittwoch und Samstag aufgehoben. Auch das Occupy-Camp in unmittelbarer Nähe der Europäischen Zentralbank (EZB) soll während der Aktionstage geräumt sein.
Zudem wurde mehreren Hundert Menschen aus ganz Deutschland verboten, sich während der Protesttage in der Frankfurter Innenstadt aufzuhalten. Sollten sie dagegen verstoßen und etwa auf die Idee kommen, in der Frankfurter Innenstadt auch nur einzukaufen, wird ihnen die „Anwendung unmittelbaren Zwanges“ durch die Polizei und ein Zwangsgeld von 2.000 Euro oder eine entsprechende Ersatzfreiheitsstrafe angedroht, heißt es in einem Schreiben. Viele der von dem temporären Frankfurt-Verbot Betroffenen sind nie wegen einer Straftat verurteilt worden. Es genügte offenbar schon, auf dem Weg zu einer Demonstration von der Polizei kontrolliert worden zu sein, um auf die Liste der verbannten Personen zu geraten.

Altes Instrument aus der Schublade gezogen

Mit dieser Maßnahme haben die Ordnungsbehörden wieder ein Instrument aus der Schublade gezogen, das vor einem Jahrzehnt auf dem Höhepunkt der globalisierungskritischen Proteste extensiv zur Anwendung kam und in ganz Europa in die Kritik geraten ist. Schon damals monierten Menschenrechtler und Juristen, dass die Unschuldsvermutung aufgehoben würde, wenn schon eine Polizeikontrolle für ein Demonstrationsverbot ausreichen sollte. Zahlreiche Betroffene haben deswegen vor Gericht geklagt – und Recht bekommen. In den letzten Jahren haben die Behörden nur noch selten von der Einschränkung der Bewegungsfreiheit Gebrauch gemacht.
Dass nun im Vorfeld der Krisenproteste in Frankfurt wieder die Repressionskeule geschwungen wird, hat nicht nur lokale Gründe. Es greift zu kurz, wenn Frankfurter Rechtshilfegruppen vor allem dem Frankfurter Ordnungsdezernenten Markus Frank (CDU) vorwerfen, eine neue Eskalationsstufe beschritten zu haben. Die Maßnahmen gegen die Proteste in Frankfurt liegen im europäischen Trend. So wurden kürzlich in Spanien neue Gesetze erlassen, die das Zelten auf öffentlichen Plätzen mit hohen Strafen belegt. Als „die Empörten“ am 12. Mai ihre Bewegung neu erwecken und öffentliche Plätze besetzen wollten, verhinderte das die Polizei prompt.
Während Feuilletonisten der Occupy-Bewegung bescheinigen, sie hätten doch sehr vernünftige Forderungen und man sollte mit ihnen in den Dialog treten, regieren Behörden und Polizisten mit Verboten, Polizeiknüppel und sogar Untersuchungshaft. So wurde in Spanien die CGT-Gewerkschafterin Laura Gomez am 29. März verhaftet, nachdem sie einen landesweiten Generalstreiks maßgeblich mitorganisiert hatte. In den Leitmedien Deutschlands war das bisher keine großen Berichte wert.

Faz lieferte Drehbuch für Demoverbot

Wenn jetzt auch in manchen Medien verhaltene Kritik aufkommt, ob die Ordnungsbehörden in Frankfurt mit ihrer harten Linie nicht über das Ziel hinausschießen, so darf nicht vergessen werde, dass konservative Medien schon vor Wochen genau eine solche harte Hand gegen Krisenprotestler forderten. Unter der Überschrift „Stadt muss Flagge zeigen“ lieferte die FAZ am 11. April praktisch das Drehbuch für den Umgang der Behörden mit Blockupy. „Warum suchen linksextreme Demonstranten immer wieder ausgerechnet diese Großstadt heim? Die Antwort dürfte einfach sein: Weil Frankfurt wie keine andere deutsche Stadt für die Finanzwelt steht und sich deshalb besonders eignet, um den Protest gegen Kapitalismus und die europäische Finanzpolitik kundzutun“, schrieb die FAZ-Korrespondentin Katharina Iskandahar und listete konkrete Gegenmaßnahmen auf. „Dass es als liberale Großstadt aber auch darum geht, im Sinne der Bürger zu entscheiden und, wenn auch nur symbolisch, ein Verbot auszusprechen, hat die Politik lange Jahre versäumt.“

Nicht nur für konservative Journalisten sind Demonstrationen und Proteste in erster Linie eine Bedrohung für die Interessen der Geschäftswelt statt Bürgerrecht. Darauf stützen sich auch die Verbote der Ordnungsbehörden. Ob sie symbolisch bleiben, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Schon jetzt aber hat die Haltung der Behörden nicht nur in Frankfurt denjenigen Recht gegeben, die davor warnen, dass eine neoliberale Wirtschaftspolitik und eine autoritäre Innen- und Rechtspolitik einander bedingen.
http://www.freitag.de/politik/1219-grundrechte-im-zeitalter-der-krise
Peter Nowak

Krisenproteste in Frankfurt/Main weiter größtenteils verboten

Das Verwaltungsgericht folgte in weiten Teilen den Bedrohungsanalysen von Polizei und Politikern

Am Montagabend hat das Frankfurter Verwaltungsgericht ein erstes Urteil zu den von der Stadt Frankfurt ausgesprochenen Verboten der am kommendem Donnerstag beginnenden Krisenproteste in Frankfurt/Main gefällt. Danach wird die Großdemonstration am Samstag unter Auflagen erlaubt sein, auch ein Rave-Konzert am Mittwoch kann stattfinden.

Verboten bleiben allerdings weiterhin die Aktionstage am Donnerstag und Freitag, die eigentlich der Kern des Blockupy-Protestes sein sollen. An diesen Tagen soll das Bankenviertel gewaltfrei blockiert werden. In Schreiben an die Beschäftigten haben die Organisatoren schon deutlich gemacht, dass sich die Aktion nicht gegen sie sondern gegen die kapitalistischen Verwertungsinteressen richtet, denen sie selber unterworfen sind. Zudem haben die Organisatoren mehrmals betont, dass es sich um gewaltfreie Proteste des zivilen Ungehorsams handeln soll und von den Aktivisten keine Gewalt ausgehen wird. Trotzdem folgte das Verwaltungsgericht in weiten Teilen den Bedrohungsanalysen von Polizei und Politik.

Räumung des Occupy-Camps am Mittwoch

Auch die von den Ordnungsbehörden verfügte Räumung des Occupy-Camps vor der Europäischen Zentralbank hat das Gericht genehmigt. Sollten die Aktivisten den Platz nicht freiwillig verlassen, könnte am Mittwoch eine polizeiliche Räumung erfolgen. In diesem Fall sind Sitzblockaden angekündigt. Die Gerichtsentscheidung kann als Bestätigung der Linie der Ordnungsbehörden verstanden werden, wie es die meisten Medien auch kommentieren.

Die Aktivisten hingegen sprechen von einen Teilsieg vor Gericht und schüren damit Illusionen. Schließlich war klar, dass in erster Linie die Aktionstage verboten werden sollten. Schon in der Vergangenheit wurde sowohl von der Politik als auch den Ordnungsbehörden eine Großdemonstration anders behandelt als dezentrale Kleinaktionen. Mit dem Totalverbot haben die Behörden so einen Spielraum für das Gericht geschaffen, einige Verbote aufzuheben, aber den Teil der Protestagenda zu untersagen, die über Symbolpolitik hinausgeht.

Große Macht der Polizei

Zudem hat das Gericht ein Junktim zwischen dem Ablauf der Aktionstage und der Demonstration hergestellt, der der Polizei einen großen Ermessensspielraum gibt. Sollte es beispielsweise bei der Räumung des Occupy-Camps zu Auseinandersetzungen kommen, können alle Folgeaktionen, auch die Großdemonstration verboten werden. Die Protestorganisatoren haben angekündigt, vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof Berufung einzulegen. Die Begründung zeigt auch, dass die Organisatoren das Urteil nicht als Teilsieg sehen, wie sie in der Überschrift suggerieren.

„Wenn man die Beschlüsse des Gerichts liest, stellt man fest, dass es sich das allein auf die Aussagen und Gefahrenprognosen von Stadt und Polizei bezieht. Die Bedeutung des Grundrechtes auf Versammlungsfreiheit wird – anders als die Grundrechte der Berufsfreiheit und des Eigentums – nicht gewürdigt“, moniert Blockupy-Sprecher Martin Behrsing.

Mittlerweile wächst der Kreis der Unterstützer der Blockuppy-Aktionen. Das Komitee für Grundrechte hat für den 17.Mai in Frankfurt eine Kundgebung für ein uneingeschränktes Versammlungsrecht angemeldet.

Dort soll auch dagegen protestiert werden, dass über 400 Menschen ein Aufenthaltsverbot für Frankfurt während der Protesttage bekommen haben. So scheinen sich schon im Vorfeld der Aktionstage jene Warnungen zu bestätigen, die einen Zusammenhang zwischen der Durchsetzung einer neoliberaler Wirtschaftspolitik und eine autoritäre Innen- und Rechtspolitik sehen. Damit liegt Frankfurt im europäischen Trend. So wurde kürzlich bekannt, dass in Spanien die Gewerkschafterin Laura Gomez, die an der Vorbereitung des dortigen Generalstreiks beteiligt war, seit 29. März in Untersuchungshaft sitzt.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152002

Peter Nowak

Die Linke zurück zur Ostpartei?

Ein Kommentar zur Wahlniederlage der Linkspartei in NRW

Verkehrte Welt. Während in ganz Europa die Krise im Alltag vieler Menschen spürbar wird, triumphieren bei der Landtagswahl in NRW neben der SPD drei liberale Parteien. Die Grünen werden mit der SPD die Regierung stellen. Die Piraten und die FDP gehen in die Opposition. Letztere schon lange totgesagt, ziehen mit 8,6 % wieder in das Parlament ein.

Die Linkspartei, die in NRW am stärksten die Forderungen von sozialen Initiativen und kritischen Gewerkschaftern vertreten und beispielsweise mit einer stärkeren Besteuerung von Vermögen ein eigenes Finanzierungskonzept vorgelegt hat, ist hingegen an der Fünfprozentklausel gescheitert. Mit 2,5 % kann sie sich nicht mal damit trösten, eben nur Pech gehabt zu haben. Sie hat damit ein ähnlich schlechtes Wahlergebnis eingefahren wie letzte Woche die Linke in Schleswig-Holstein. In NRW gibt es eine Jahrzehnte lang ideologisch vorherrschende sozialdemokratische Arbeiterbewegung, die sich mit dem Agenda 2010-Kurs Gerhardt Schröders in Teilen politisch heimatlos fühlte und in der Linken eine Art Fortsetzung der guten alten Zeit der sozialdemokratischen Zeit suchte.

Dahinter steckte viel Verklärung und Ideologie. In den 70er Jahren sind gegen diese Verhältnisse viele Menschen aufgestanden. Gleichwohl ist eine Forderung nach einer Rückkehr zu dieser Zeit illusionär. Daher könnte das Wahlergebnis für die Linke auch ein Ausdruck dafür sein, dass eben mit einer Sehnsucht zur alten SPD keine Zukunftsperspektive verbunden ist und auf Dauer keine Wahlen zu gewinnen sind. Allerdings wäre auch das ein verkürztes Bild. Die Linke in NRW war durchaus auch ein Sprachrohr verschiedener sozialer und politischer Bewegungen, deren Horizont nicht bei der Nostalgie einer fordistischen Arbeitsgesellschaft endete. So ist die Niederlage der Linken auf der parlamentarischen Ebene genauso wie die Schwierigkeit, in Deutschland soziale Proteste außerparlamentarisch zu organisieren, ein Ausdruck davon, dass große Teile der Bevölkerung in Zeiten der Krise vor allem das Wohl des Standorts Deutschland im Auge haben.

Soll die Linke Mehrheitsbeschaffer für rot-grün werden?

„Die richtigen Argumente der Linken werden totgeschwiegen, weil sie nicht in das neoliberale Schema passen, das in Deutschland offensichtlich inzwischen zum nahezu flächendeckenden Glaubensbekenntnis in Politik und Medienwelt geworden ist. Die Mehrheit der konkurrierenden Parteien und Medien reagiert inzwischen aggressiv und undemokratisch auf die Linke“, kommentierte Albrechet Müller vor den Wahlen auf den kapitalismuskritischen Nachdenkseiten. Er zieht daraus das Fazit, dass sich die Linke bei Lösungsvorschlagen für die Finanz- und Wirtschaftskrise gerade nicht den etablierten Parteien annähern sollte, weil sie sich damit überflüssig machen würde.

Ein anderes Angebot für die Linke kommt vom Taz-Kommentator Stefan Reinicke. Im Kern läuft es darauf hinaus, dass die Linke möglichst schnell regierungsfähig wird und sich als Mehrheitsbeschafferin für ein rotgrünes Projekt zur Verfügung stellt. Das Konzept der Gegenmacht außerhalb des Parlaments diskutiert Reinecke gar nicht, weil für ihn selbstverständlich zu sein scheint, dass eine Partei sich an einer Regierung beteiligen muss Solche Ratschläge nützen vor allem dem rot-grünen Milieu, aber würden die Linkspartei wohl mittelfristig überflüssig machen. Zudem stimmt Reinekes Vorannahme nicht, dass die Linken im Westen Regierungsbeteiligungen generell abgelehnt hätte. Im Saarland hat es die SPD vorgezogen, sich lieber zum Juniorpartner der CDU degradieren zu lassen, als in einer Koalition mit der Linken den Ministerpräsidenten zu stellen.

Innenpolitisch bedeutet das Wahlergebnis eine Stärkung der pragmatischen Politiker der alten PDS, die eine linke Volkspartei in der Mitte der Gesellschaft als ihr Ziel anvisieren und auf einen Erfolg von Dietmar Bartsch bei seiner Kandidatur für den Parteivorsitz hoffen. Einen Unterstützerbrief an Bartsch haben auch mehrere der Kommunalpolitiker unterschrieben, die kürzlich bei der Kommunalwahl in Thüringen kommunale Ämter gewonnen haben.

Schwächung für Lafontaine?

Geschwächt wurdet dagegen der Flügel um Oskar Lafontaine, der die Partei auf eine linkssozialdemokratische Linie bringen und eine größere Distanz zu Rot-Grün wahren will. Vor allem Lafontaines Taktik, sich vor den Landtagswahlen in Schleswig Holstein und NRW zu einer eigenen Kandidatur nicht zu äußern, um nicht für Wahlniederlagen in Haftung genommen zu werden und sich statt dessen als Retter in der Not präsentieren zu können, stößt auch parteiintern auf Kritik.

Mit den Wahlniederlagen im Westen schrumpft überdies Lafontaines Machtbasis. Trotzdem ist es wahrscheinlich, dass er gewinnen würde, wenn er kandidieren sollte, auch wenn der Kreis der Kritiker wächst. Lafontaine will sich nun angeblich morgen entscheiden.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151997
Peter Nowak

Lässt sich die Occupy-Bewegung reaktivieren?

Im Gegensatz zur neuen spanischen Empörungswelle zeichneten sich die gestrigen Demonstrationen in Berlin dadurch aus, dass ein Großteil bald wieder nachhause ging

Mit Trommeln, bunten Regenschirmen und Anticapitalista-Sprechchören hat sich gestern die Occupy-Bewegung in Berlin mit einem Sternmarsch zurück gemeldet. Die Aktion in Berlin war Teil eines europäischen Aktionstages. Wie schon im vergangenen Jahr zeigten sich auch beim Neustartversuch länderspezifische Unterschiede.

Während in Spanien wie im vergangenen Jahr wieder Tausende auf die öffentlichen Plätze zurückgekehrt sind und sich auch durch staatliche Repression nicht einschüchtern ließen, war in Berlin ein Großteil der nach Veranstalterangaben knapp 5.000 Demonstranten schon vor Ende der Abschlusskundgebung verschwunden.

Polizei, Kunst und Occupy

Die Polizei hatte bereits im Vorfeld angekündigt, wie auch im letzten Jahr keine Zelte in der Innenstadt zu dulden. Im Gegensatz zum letzten Jahr hat die Occupy-Bewegung allerdings einen Rückzugsort in den Berliner Kunstwerken gefunden, wo in der großen Halle im Erdgeschoss auch Zelte aufgestellt werden können. Im Rahmen der 7.Biennale wurde auch die Occupy-Bewegung zu einer Kunstform erklärt. Es gibt dort auch regelmäßige Veranstaltungen und Filmvorführungen. Allerdings ist die Kooperation zwischen Kunst und Occupy von beiden Seiten umstritten.

Einen Effekt hat sie aber schon gehabt. Sie wird auch von Künstlern mittlerweile als Protestform benutzt. Als in der letzten Woche Studierende der Schauspielschule Ernst Buch um den ihnen zugesagten, dann aus finanziellen Gründen wieder gestrichenen neuen Standort in Berlin-Mitte kämpften, kopierten sie von Occupy die Aktionsformen und zelteten einige Tage und Nächte auf einer Wiese. In diesem Fall ließen sich die Träger von konkreten Alltagskämpfen durch Occupy inspirieren. Was in Spanien in den letzten Monaten Alltag geworden ist, wird in Deutschland zumindest gelegentlich ausprobiert. .

Occupycamp in Frankfurt soll geräumt werden

In der nächsten Woche werden allerdings die monatelang geplanten europaweiten Krisenprotesttage (Nachgetreten!) in Frankfurt/Main im Mittelpunkt der Protestbewegung stehen. Dafür wurde am Samstag kräftig geworben. Der konkrete Ablauf ist noch sehr unklar, weil das Frankfurter Ordnungsamt einen Großteil der vom Veranstalter angemeldeten Plätze und Straßen frei von Protesten halten will. Davon ist auch das Occupy-Camp betroffen, das seit Herbst vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt ausharrt.

Während der Protesttage soll der Platz geräumt werden. In der Verfügung wird auch ausdrücklich untersagt, eine Versammlung an einem Platz in Frankfurt während dieses Zeitraums zu organisieren. In der Verbotsverfügung wird auch darauf hingewiesen, dass die geplanten Aktionen „die europarechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Vertragspartnern und der EZB“ beeinträchtigten würde.

Gefährderansprachen

Mittlerweile hat die Polizei ein Instrumentarium wieder belebt, das in der Hochphase der globalisierungskritischen Bewegung öfter zum Einsatz kam und von Juristen scharf kritisiert wurde, die sogenannte Gefährderansprachen. So sollen mehrere hundert Menschen aus ganz Deutschland Verfügungen erhalten, die ihnen den Aufenthalt während der Protesttage in Frankfurt untersagen.

Medien bereiteten harte Maßnahmen mit vor

Die Maßnahmen wurden schon vor Wochen von konservativen Medien wie der FAZ („Warum suchen linksextreme Demonstranten immer wieder ausgerechnet diese Großstadt heim?“) nahegelegt. Gleichzeitig war in den Medien unterschiedlicher politischen Richtungen in Zusammenhang mit den Protesten pauschal von Randalierern und Gewalttätern die Rede. Damit wurden die juristischen Grundlagen geschaffen, mit denen jetzt ein Verbot der Aktionen begründet wird.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151990
Peter Nowak

Und keiner geht hin

Was bringt der politische Streik? Darüber diskutierten Gewerkschafter aus verschiedenen europäischen Ländern am Wochenende in Berlin.

Jahrelang seien die Gewerkschaftsfunktionäre nicht hinter ihren Schreibtischen hervorgekommen. Doch der Generalstreik habe alles verändert. Michael Pieber von der österreichischen Gewerkschaft der Privatangestellten berichtete fast schwärmerisch über den Generalstreik gegen die Rentenreform im Jahr 2003. Schließlich handelte es sich damals um den ersten landesweiten Streik seit 50 Jahren. Zum Vergleich: In Portugal gab es in den vergangenen 30 Jahren acht Generalstreiks. In Griechenland wurde in den vergangenen drei Jahren sogar ein Dutzend Mal der Generalstreik ausgerufen.

Am vergangenen Samstag kamen Gewerkschafter aus verschiedenen europäischen Ländern auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin zu einer Konferenz mit dem Titel »Politische Streiks im Europa der Krise« zusammen. Einen Grund für den Meinungsaustausch deutete Florian Wilde an, der Referent für Gewerkschaftspolitik bei der Stiftung: »Die massive Zunahme politischer Generalstreiks führte bisher leider nicht zu durchgreifenden Erfolgen der Gewerkschaften.«

Olga Karyoti lieferte eine Erklärungen dafür. Sie gehört der griechischen Übersetzergewerkschaft an, einer kleinen Gewerkschaft prekär Beschäftigter, die sich in den vergangenen Jahren jenseits der traditionskommunistisch und sozialdemokratisch orientierten Gewerkschaftsverbände gegründet hat. Karyoti beschrieb den Generalstreik als ein Gewerkschaftsritual, das von den Vorständen oft ohne Basisbeteiligung beschlossen werde. Die jüngsten beiden Streiks seien zudem erst einen Tag vor Beginn bekannt gemacht worden. Entsprechend schwach sei die Beteiligung gewesen. Auch Deolinda Martin von der portugiesischen Lehrergewerkschaft hatte wenig Ermutigendes über die jüngsten Generalstreiks in ihrem Land zu berichten. Die Beteiligung sei sehr gering gewesen, die Streiks hätten die Gewerkschaften geschwächt. Nun wollen diese enger mit den sozialen Bewegungen kooperieren.

Aus Deutschland konnten keine Erfahrungen beigesteuert werden, weil Generalstreiks hierzulande rechtswidrig sind. Eine Organisation hessischer Gewerkschafter, die sich für das Recht auf einen politischen Streik einsetzt, war mit einem Informationsstand vertreten. Der Verdi-Bezirk Stuttgart plant zudem für nächstes Jahr eine weitere Konferenz, in der es auch um die Bedeutung politischer Streiks in Krisenzeiten gehen soll. Für eine ergiebige Debatte wäre es allerdings wohl sinnvoll, wenn auch Personen zu Wort kämen, die nicht dem DGB angehören.

Anna Leder wäre eine geeignete Referentin. »Selbstermächtigte Arbeitskämpfe tragen Elemente rätedemokratischer und syndikalistischer Konzepte in sich, indem sie Stellvertreterpolitik ablehnen und zum Mittel der direkten Aktion greifen«, schreibt sie im Vorwort des von ihr herausgegebenen Buches »Arbeitskämpfe im Zeichen der Selbstermächtigung«, das vor kurzem im Promedia-Verlag erschienen ist. Darin werden Arbeitskämpfe betrachtet, an denen die großen Gewerkschaften gar nicht oder nur am Rande beteiligt waren.

Der Kölner Autor Christian Frings diagnostiziert in seinem Beitrag eine deutliche Zunahme solcher Arbeitskämpfe in Deutschland. »Das Auftreten neuer, autonomer Formen des Arbeiterwiderstands muss auch als Reaktion auf den völligen Ausfall einer gewerkschaftlichen Abwehrpolitik in den Jahren zuvor verstanden werden«, lautet seine Einschätzung. Frings’ Skepsis bezüglich der Rolle des DGB ist gut begründet, allerdings bewertet er die selbstorganisierten Basiskämpfe doch etwas sehr optimistisch.

Dass man sich auf der Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung auf den DGB konzentriert und andere Gewerkschaften ausgespart hat, ist ein Merkmal der Gewerkschaftspolitik der Linkspartei, der die Stiftung nahesteht. Der Parteivorsitzende und ehemalige Gewerkschafter Klaus Ernst verhielt sich denn auch ganz wie ein Funktionär. Nachdem er seinen Eröffnungsbeitrag gehalten hatte, eilte er zu anderen Terminen.

http://jungle-world.com/artikel/2012/19/45415.html
Peter Nowak

Bürgerbeteiligung

Auf www.dialog-ueber-deutschland.de lädt die Kanzlerin ein zur Diskussion: Wie wollen wir zusammen leben? Wovon wollen wir leben? Wie wollen wir lernen? Merkel: »Jeder kann seine Ideen vorschlagen oder auf gute Praxisbeispiele hinweisen. Diese Vorschläge können dann wiederum kommentiert und bewertet werden.« Für den Publizisten Thomas Wagner ist dieser Bürgerdialog im Internet eine »Mogelpackung«: das Beispiel eines »demokratisch verkleideten autoritären Regierungsstils«. Für eine Direktwahl des Bundespräsidenten gibt es Unterstützung in allen politischen Lagern. Der konservative Parteienkritiker Hans Herbert von Arnim fordert zudem einen deutlichen Machtzuwachs für das Staatsoberhaupt. Rechte Parlamentskritik betreibt auch der ehemalige Wirtschaftslobbyist Olaf Henkel. Dieser fordere eine »plebiszitär abgesicherte Elitenherrschaft«, schreibt Wagner. Bürgerbeteiligung als Vehikel für eine Verfestigung von Elitenherrschaft, mag auf den ersten Blick paradox klingen. Doch Wagner zeigt an verschiedenen Beispielen auf, wie in rechtskonservativen Kreisen mit dem Verweis auf die schweigende Mehrheit soziale Regelungen, Forderungen von Gewerkschaften, aber auch von sozialen Initiativen und Umweltverbänden ausgehebelt werden sollen. Der Parteienstaat, der unterschiedliche Interessen austarieren müsse, hindere am kraftvollen Durchregieren, lamentierten schon rechte Parlamentskritiker in der Weimarer Republik.

Peter Nowak
http://www.akweb.de/ak_s/ak571/08.htm
Thomas Wagner: Demokratie als Mogelpackung. Deutschlands sanfter Weg in den Bonapartismus. Papyrossa-Verlag, Köln 2011. 142 Seiten, 11,90 EUR.

Netzwerk gegen Rassismus?

-nd: Frau Kleff, kürzlich wurde mit dem Domgymnasium aus Naumburg an der Saale die 1000. Schule in das bundesweite Netzwerk »Schule ohne Rassismus« aufgenommen. Dieser Tage haben Sie auf einer Tagung in Berlin über die Arbeit des Netzwerkes diskutiert. Wie hat sich seit der Gründung des Netzwerkes vor 17 Jahren die Situation in Deutschland geändert?
Kleff: Darauf hat Barbara John, die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Opfer der rechten Mordserie, eine Antwort gegeben. Sie hat in ihrer Rede die heutige gesellschaftliche Situation skizziert und kam zu dem Schluss, dass diese in vielerlei Hinsicht nicht mehr identisch mit der Situation Mitte der 1990er Jahre ist, als wir mit unserer Arbeit begonnen haben.

Besteht der wesentliche Unterschied vielleicht darin, dass in den 1990er Jahren der Fokus auf der Abwehr rassistischer Angriffe aus der deutschen Mehrheitsgesellschaft lag, während heute auch islamistische und antisemitische Tendenzen in der migrantischen Jugendszenen Thema sind?
Für uns gab es diese Unterscheidung nie. Wir haben uns immer gegen sämtliche Ideologien gewandt, die Ungleichwertigkeiten propagieren und die nach ähnlichen Mechanismen funktionieren, wie der Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer auf dem Podium ausführte. Dazu gehören Rassismus, Islamismus, Homophobie und Antisemitismus. Wir wurden vor einigen Jahren noch häufig dafür kritisiert, dass wir uns nicht auf ein Feld beschränken. Heute ist der Ansatz, sich gegen alle Ideologien der Ungleichwertigkeit zu wenden, weitgehend anerkannt.

Die finanzielle Absicherung des Projekts ist seit der Gründung ein großes Problem. Gibt es Aussicht auf Verbesserung?
Die Probleme liegen auch daran, dass die Bildung in Deutschland Ländersache ist, wir aber eine Organisation mit einer Bundesstruktur sind. Wir brauchen in Zukunft Finanzierungsmodelle, die uns Planungssicherheit auch über einen längeren Zeitraum als nur die nächsten Monate gibt. Zu unserer Freude hat die Kultusministerkonferenz begonnen, unser Netzwerk zu fördern. Dadurch wächst auch auf Landesebene die Bereitschaft auf Unterstützung.

Die heutige Jugend wird von vielen als unpolitisch klassifiziert. Teilen Sie diese Einschätzung?
Ich kann diese Beurteilung nicht bestätigen. Es ist richtig, dass, als wir mit unserer Arbeit begannen, ein großer Druck bestand, gegen den Rassismus aktiv zu werden. In den folgenden Jahren ging das Engagement vieler Jugendlicher zurück. Doch in den letzten Jahren ist ihr Interesse an gesellschaftlichen Fragen wieder enorm gewachsen. Ökologische Themen spielen dabei ebenso eine Rolle wie der Umgang mit privaten Daten, wie sich bei den Protesten gegen das Anti-Produktpiraterieabkommen ACTA zeigte, an denen sich viele Jugendliche beteiligten. Sie nehmen die Krisen des Systems bewusst war und reagieren darauf.

Welche Rolle kann das Netzwerk »Schule ohne Rassismus« dabei spielen?
Ich freue mich, wenn dieses Projekt es schafft, in der Schule einen Handlungsansatz zu bieten und Wege aufzuzeigen, wie sich dort etwas verändern lässt.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/226692.netzwerk-gegen-rassismus.html
Interview: Peter Nowak