Die Linke zurück zur Ostpartei?

Ein Kommentar zur Wahlniederlage der Linkspartei in NRW

Verkehrte Welt. Während in ganz Europa die Krise im Alltag vieler Menschen spürbar wird, triumphieren bei der Landtagswahl in NRW neben der SPD drei liberale Parteien. Die Grünen werden mit der SPD die Regierung stellen. Die Piraten und die FDP gehen in die Opposition. Letztere schon lange totgesagt, ziehen mit 8,6 % wieder in das Parlament ein.

Die Linkspartei, die in NRW am stärksten die Forderungen von sozialen Initiativen und kritischen Gewerkschaftern vertreten und beispielsweise mit einer stärkeren Besteuerung von Vermögen ein eigenes Finanzierungskonzept vorgelegt hat, ist hingegen an der Fünfprozentklausel gescheitert. Mit 2,5 % kann sie sich nicht mal damit trösten, eben nur Pech gehabt zu haben. Sie hat damit ein ähnlich schlechtes Wahlergebnis eingefahren wie letzte Woche die Linke in Schleswig-Holstein. In NRW gibt es eine Jahrzehnte lang ideologisch vorherrschende sozialdemokratische Arbeiterbewegung, die sich mit dem Agenda 2010-Kurs Gerhardt Schröders in Teilen politisch heimatlos fühlte und in der Linken eine Art Fortsetzung der guten alten Zeit der sozialdemokratischen Zeit suchte.

Dahinter steckte viel Verklärung und Ideologie. In den 70er Jahren sind gegen diese Verhältnisse viele Menschen aufgestanden. Gleichwohl ist eine Forderung nach einer Rückkehr zu dieser Zeit illusionär. Daher könnte das Wahlergebnis für die Linke auch ein Ausdruck dafür sein, dass eben mit einer Sehnsucht zur alten SPD keine Zukunftsperspektive verbunden ist und auf Dauer keine Wahlen zu gewinnen sind. Allerdings wäre auch das ein verkürztes Bild. Die Linke in NRW war durchaus auch ein Sprachrohr verschiedener sozialer und politischer Bewegungen, deren Horizont nicht bei der Nostalgie einer fordistischen Arbeitsgesellschaft endete. So ist die Niederlage der Linken auf der parlamentarischen Ebene genauso wie die Schwierigkeit, in Deutschland soziale Proteste außerparlamentarisch zu organisieren, ein Ausdruck davon, dass große Teile der Bevölkerung in Zeiten der Krise vor allem das Wohl des Standorts Deutschland im Auge haben.

Soll die Linke Mehrheitsbeschaffer für rot-grün werden?

„Die richtigen Argumente der Linken werden totgeschwiegen, weil sie nicht in das neoliberale Schema passen, das in Deutschland offensichtlich inzwischen zum nahezu flächendeckenden Glaubensbekenntnis in Politik und Medienwelt geworden ist. Die Mehrheit der konkurrierenden Parteien und Medien reagiert inzwischen aggressiv und undemokratisch auf die Linke“, kommentierte Albrechet Müller vor den Wahlen auf den kapitalismuskritischen Nachdenkseiten. Er zieht daraus das Fazit, dass sich die Linke bei Lösungsvorschlagen für die Finanz- und Wirtschaftskrise gerade nicht den etablierten Parteien annähern sollte, weil sie sich damit überflüssig machen würde.

Ein anderes Angebot für die Linke kommt vom Taz-Kommentator Stefan Reinicke. Im Kern läuft es darauf hinaus, dass die Linke möglichst schnell regierungsfähig wird und sich als Mehrheitsbeschafferin für ein rotgrünes Projekt zur Verfügung stellt. Das Konzept der Gegenmacht außerhalb des Parlaments diskutiert Reinecke gar nicht, weil für ihn selbstverständlich zu sein scheint, dass eine Partei sich an einer Regierung beteiligen muss Solche Ratschläge nützen vor allem dem rot-grünen Milieu, aber würden die Linkspartei wohl mittelfristig überflüssig machen. Zudem stimmt Reinekes Vorannahme nicht, dass die Linken im Westen Regierungsbeteiligungen generell abgelehnt hätte. Im Saarland hat es die SPD vorgezogen, sich lieber zum Juniorpartner der CDU degradieren zu lassen, als in einer Koalition mit der Linken den Ministerpräsidenten zu stellen.

Innenpolitisch bedeutet das Wahlergebnis eine Stärkung der pragmatischen Politiker der alten PDS, die eine linke Volkspartei in der Mitte der Gesellschaft als ihr Ziel anvisieren und auf einen Erfolg von Dietmar Bartsch bei seiner Kandidatur für den Parteivorsitz hoffen. Einen Unterstützerbrief an Bartsch haben auch mehrere der Kommunalpolitiker unterschrieben, die kürzlich bei der Kommunalwahl in Thüringen kommunale Ämter gewonnen haben.

Schwächung für Lafontaine?

Geschwächt wurdet dagegen der Flügel um Oskar Lafontaine, der die Partei auf eine linkssozialdemokratische Linie bringen und eine größere Distanz zu Rot-Grün wahren will. Vor allem Lafontaines Taktik, sich vor den Landtagswahlen in Schleswig Holstein und NRW zu einer eigenen Kandidatur nicht zu äußern, um nicht für Wahlniederlagen in Haftung genommen zu werden und sich statt dessen als Retter in der Not präsentieren zu können, stößt auch parteiintern auf Kritik.

Mit den Wahlniederlagen im Westen schrumpft überdies Lafontaines Machtbasis. Trotzdem ist es wahrscheinlich, dass er gewinnen würde, wenn er kandidieren sollte, auch wenn der Kreis der Kritiker wächst. Lafontaine will sich nun angeblich morgen entscheiden.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151997
Peter Nowak

Ost-West-Populismus im NRW-Wahlkampf

Immer zu Wahlkampfzeiten kommt ein alter Dauerbrenner in die politische Debatte: die Zukunft des Solidarpakts Ost

Jetzt haben vier Oberbürgermeister aus dem Ruhrgebiet das Ende des Solidarpakts Ost gefordert. Gelsenkirchens Stadtoberhaupt Frank Baranowski will sich für eine Bundesratsinitiative gegen den Solidaritätsbeitrag einsetzen. Mittlerweile hat die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Kraft die Forderungen mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Solidarpakt vertraglich festgeschrieben sei und nicht einfach aufgekündigt werden könne. Damit vermied es die Politikerin allerdings, sich inhaltlich zu positionieren.

Dafür trumpfen ihre Parteifreunde aus den Oberbürgermeisterämtern um so mehr mit starken Sprüchen auf. So sprach der Dortmunder Bürgermeister Ullrich Sierau in der Süddeutschen Zeitung von einem „perversen System, das keinerlei inhaltliche Rechtfertigung hat“. Es sei nicht mehr zu vermitteln, dass die armen Städte des Ruhrgebietes sich hoch verschulden müssten, um ihren Anteil am Solidarpakt aufzubringen. Der Osten sei mittlerweile so gut aufgestellt, dass die dort doch gar nicht mehr wissen, wohin mit dem Geld.

„Während in seiner Stadt Einrichtungen schließen müssten, sanierten die Kommunen im Osten ihre Etats“, schließt sich Essens SPD-Oberbürgermeister Reinhard Paß dem Lamento an.

Droht jetzt die Solidaritätskeule?

Sein Gelsenkirchener Parteifreund Frank Baranowski hat gar schon die Solidaritätskeule entdeckt, mit der Kritiker des Solidarpakts angeblich bedroht und als Feinde der deutschen Einheit dargestellt würden.

Bisher waren die Reaktionen auf den Ruhrgebietsvorstoß allerdings moderat. Während der SPD-Politiker Wolfgang Thierse zusätzlich zum Solidarpakt Ost noch einen Ruhr-Solidaritätsbeitrag auflegen will, stellte sich der einflussreiche Bund der Steuerzahler hinter die Forderungen der Lega-West. So könnte man die westdeutschen Politiker nach dem Vorbild der italienischen Lega Nord nennen, die in regelmäßigen Abständen und über Parteigrenzen hinweg immer mal wieder, meistens vor wichtigen Wahlen, den Solidarpakt Ost aufkündigen wollen. 2008 ist der CSU-Vorsitzende Seehofer mit ähnlichen Forderungen hervorgetreten. Vor vier Jahren mischten sich noch Vorwürfe in die Debatte, die Ostdeutschen wären undankbar, wenn sie trotz des Solidarpakts noch die Linke stark machen.

Die Ähnlichkeiten dieser Debatte mit den Ressentiments der Lega Nord gegen die italienische Bevölkerung südlich von Rom sind ebenso wenig zufällig, wie die Parallelen zur Diskussion über die „Pleitegriechen, die in den letzten Monaten immer wieder geführt wurde. Bei diesen Debatten sollen Schuldige außerhalb des eigenen Verantwortungsbereich für die offenkundige soziale Misere herhalten. Dass es einen Kultur-und Sozialkahlschlag in vielen Städten nicht nur in NRW gibt, ist auch eine Folge der Schuldenbremse – und die wiederum resultiert aus einer Finanzklemme, welche die Politik mit ihrer Niedrigsteuerpolitik zu verantworten hat.

Was bei Befürwortern wie Kritikern des Solidarpakts Ost übersehen wird, ist die offensichtliche Tatsache, dass sich ausbreitende Alltagsarmut und gut restaurierte Innenstädte gut kombinieren lassen. Dafür ist ein Niedriglohnsektor verantwortlich, der nach 1989 im Osten Deutschland eingeführt wurde und sich längst auch im Westen etabliert hat. Deshalb müssen die dort lebenden Menschen genauso wenig vom Solidarpakt Ost profitieren wie die griechische Bevölkerung von den Rettungspaketen der EU-Troika.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151652
Peter Nowak

Rot-Grüner Haushalt in NRW gekippt

Das Urteil wird die Diskussion über die von der Politik gewollte Selbstentmachtung durch Schuldenbremsen verstärken
Der Verfassungsgerichtshof von NRW hat am 15. März den Nachtragshaushalt der rot-grünen Landesregierung wegen Überschreitung der Kreditgrenzen für verfassungswidrig erklärt.

Der Haushalt verstoße gegen den Artikel 83 Satz 2 der Landesverfassung. Dort heißt es: „Die Einnahmen aus Krediten dürfen entsprechend den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts in der Regel nur bis zur Höhe der Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen in den Haushaltsplan eingestellt werden; das Nähere wird durch Gesetz geregelt.“

Das Gericht stellt in der Urteilsbegründung fest: „Von der in Art. 83 Satz 2 LV normierten Regelverschuldungsgrenze dürfe grundsätzlich nur zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abgewichen werden. Nach gefestigter Rechtsprechung müsse die Störungslage ernsthaft und nachhaltig sein oder als solche unmittelbar drohen. Die erhöhte Kreditaufnahme müsse außerdem zur Störungsabwehr geeignet und final hierauf bezogen sein.“

Im Gesetzgebungsverfahren seien keine Gesichtspunkte der konjunkturellen Entwicklung aufgezeigt worden, die eine weitere Erhöhung der Kreditaufnahme gegenüber dem Stammhaushalt trotz deutlich verbesserter Wirtschaftslage zur Störungsabwehr plausibel und nachvollziehbar machten, so das Gericht.

Die Parteien im NRW-Landtag reagierten unterschiedlich auf die Gerichtsentscheidung. Die oppositionelle FDP hat die Landesregierung aus Konsequenz auf das Urteil aufgefordert, „den Marsch in den Verschuldungsstaat zu stoppen“. Für die ebenfalls oppositionelle Linke „spielt das Urteil den Neoliberalen aller Couleur, die einen schwachen Staat und sowie Privatisierung und Sozialbbau wollen, in die Hände“. Die Linke, die die Landesregierung in bestimmten Fragen unterstützt, fordert diese auf, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts besser darzulegen.

Die NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft geht ebenfalls weiterhin von einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts aus und bezeichnet die Folgen des Urteils für den Haushalt von NRW als gering. Allerdings wird weiterhin über baldige Neuwahlen in NRW geredet. Damit will die Landesregierung eine Mehrheit von SPD und Grünen erreichen. Ob diese Kalkulation aufgeht ist fraglich.

Selbstentmachtung durch Schuldenbremse?

Die Gerichtsentscheidung dürfte die Diskussion um die Schuldenbremsen in den Landesverfassungen neu beleben. Es sind von der Politik gewollte Bestimmungen, die zu dem Richterspruch und damit dazu führte, dass sie immer weniger Spielraum hat. In Hessen, wo ebenfalls eine 1397977 Schuldenbremse in die Verfassung eingefügt werden soll, muss die Bevölkerung am 27. März in einer Volksabstimmung darüber entscheiden.

Ein Bündnis aus verschiedenen Parteien, Gewerkschaften und sozialen Initiativen spricht sich gegen dagegen aus. Es könnte durch die Entscheidung von NRW Auftrieb bekommen. 
 http://www.heise.de/tp/blogs/8/149457

Peter Nowak

Studenten als Kunden?

»Statt Studiengebühren als Köder für die Haushaltsverhandlungen zu missbrauchen, sollten sich die Fraktionen endlich mit der Umsetzung der Gebührenabschaffung beschäftigen. Per Nachtragshaushalt ist das zum Sommersemester 2011 gut möglich«, heißt es in einen offenen Brief, den das »Aktionsbündnis gegen Studiengebühren« Mitte Juli an die Landtagsfraktionen von SPD, Grünen und Linkspartei in NRW adressierte. Die Ungeduld ist verständlich. Schließlich haben die drei Parteien im Wahlkampf die Abschaffung der Unimaut versprochen.

Das parteipolitische Gezerre sorgt auch an vielen Unis für Unmut. Eine mittelfristige Haushaltsplanung sei nicht möglich, wird der Sprecher der Kölner Universität zitiert. An manchen Hochschulen werden Stellenkürzungen angedroht, wenn die Gelder aus den Studiengebühren wegfallen. Dass es dabei nicht nur um fehlende Gelder geht, macht der Präsident der Universität des Saarlandes, Volker Linneweber, deutlich, wenn er ein neues Studentenbewusstsein lobt: »Als zahlende Kunden ihrer Hochschule haben sie es sich längst nicht mehr gefallen lassen, wenn Vorlesungen etwa aus allen Nähten platzten und sie dort keinen Platz mehr fanden.« Hier wird die durch die Unimaut vorangetriebene neoliberale Denkweise auf den Punkt gebracht. Studierende sollen nur als Kunden das Recht haben, sich zu beschweren. Auf der anderen Seite wird auch unter Jungakademikern das Elitedenken stärker, so die Beobachtung des Darmstädter Soziologen Michael Hartmann. Diese Studenten finden es völlig in Ordnung, wenn die Elite mittels Bezahlstudium begrenzt wird. Die Gebührengegner sollten deshalb den Streit nicht nur mit den politischen Parteien, sondern auch mit den Studierenden suchen, die sich als Kunden präsentieren. Sonst könnten sie genau so enttäuscht werden wie viele Anhänger eines längeren gemeinsamen Lernens nach dem Volksentscheid in Hamburg.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/177812.studenten-als-kunden.html

Peter Nowak

Schwarz-Gelb am Ende?

Nach den Ergebnissen der NRW-Landtagswahl wird sich der Konflikt zwischen FDP und Union zuspitzen
Die grünennahe Taz sieht nach der NRW-Wahl Das Ende von Schwarz-Gelb. Doch bisher ist nur eines sicher. In Düsseldorf wurde diese Farbkonstellation erwartungsgemäß abgewählt. Nicht einmal 42 % der Wähler votierten für diese beiden Parteien. Die Union hat über 10 % verloren und ist damit in NRW wieder auf ihr Normalmaß geschrumpft. Schließlich war es nach einem kurzen CDU-Intermezzo in der Nachkriegszeit lange Zeit fast ein sozialdemokratisches Stammland. Deshalb wurde in der Union auch der Wahlsieg von Rüttgers vor 4 Jahren mit so viel Aufmerksamkeit bedacht. Für die Schröder-SPD war die damalige Wahlniederlage in NRW der Grund für die vorgezogenen Neuwahlen 2005 und dem Ende von Rot-Grün.
   

Zweiter Wahlverlierer SPD

Doch die SPD hat eigentlich wenig Grund zur Schadenfreude, auch wenn sie jetzt in den Medien zur Gewinnerin stilisiert wird, weil sie mit der Union fast gleichauf liegt. Dabei konnte die SPD selbst in ihrem Stammland nicht von der Niederlag der CDU profitieren und rutschte von 37,1 % auf 34,5 %. Damit wiederholt sich in NRW, was schon in vielen Landtagswahlen der letzten Jahre zu verzeichnen war. Union und SPD laufen die Wähler weg und keine der beiden Parteien profitiert von der Schwäche der anderen.
 Union SPD Grüne FDP Linke Piraten Andere

Auch für die SPD ist das NRW- Ergebnis ein Desaster. Sie hat mit der Nominierung von Hannelore Kraft als Spitzenkandidatin vom Kurs der Schröder-Jahre abrücken wollen, der von der NRW-SPD unter Clement und Müntefering lange Zeit bis ins Detail mitgetragen wurde. Mit der Nominierung des DGB-Vorsitzenden von NRW Guntram Schneider zum designierten Arbeits- und Sozialminister sollte besonders das Klientel angesprochen werden, das die SPD in NRW jahrzehntelang unbesehen gewählt hat und erst durch die Politik der Schröder-Regierung, hier ist in erster Linie Hartz IV zu nennen, auf Distanz zur SPD ging.

 
 

Die Hoffnung, der SPD-Strategen, diese Kreise mit einem expliziten Pro-Rot-Grün Wahlkampf wieder anzusprechen, ist nicht aufgegangen. Daher ist es ihr auch nicht gelungen, die Linkspartei aus dem NRW-Landtag rauszuhalten, was auch ein Wahlziel der SPD war. So hat auch Rot-Grün keine eigene Mehrheit im Landtag. In den letzten Wochen wurde der NRW-Landesverband der Linken von der SPD und den Grünen als besonders radikal und regierungsunfähig und damit als ein Hindernis für einen Regierungswechsel bezeichnet. Dabei war schon aus vielen dieser Stellungnahmen deutlich herauszuhören, dass man gegen eine Linkspartei nach dem Vorbild Berlin, wo sie seit Jahren geräuschlos mitregiert und auch manche soziale Grausamkeit akzeptiert, als Regierungspartner nichts einzuwenden hätte.

Obwohl Hannelore Kraft zeitweilig eine Regierung mit der Linken ausgeschlossen hat, ist diese Option noch nicht völlig vom Tisch. An der Linkspartei ist bisher in keinem westlichen Bundestag eine Koalition mit der SPD und den Grünen gescheitert. Das würde auch für NRW gelten. Dass wäre aber das Worst-Case-Szenario für eine Partei, an deren Basis ehemalige und noch immer enttäuschte Sozialdemokraten den Ton angeben, die nicht sofort wieder zur Mehrheitsbeschafferin der SPD und den erstarkten Grünen werden wollen. Zu mehr aber würde die Linkspartei mit ihren 5,6 % nicht taugen.

Da die Partei das bescheidene Wahlziel, die 5%-Hürde zu überwinden, geschafft hat, kann sie sich jetzt als Wahlsiegerin sehen. Doch angesichts von Prognosen bis zu 8% vor einem Jahr ist das Wahlergebnis kein großer Erfolg. Allerdings hat sich die Partei damit bundesweit stabilisiert. Ein Scheitern an der 5%-Hürde hätte daran Zweifel geweckt. Innerparteilich wäre es eine Steilvorlage für die Realo-Fraktion geworden, die in dem NRW-Landesverband einen Hort der Linken vermutet. Wenn nun gerade dort die Partei zu einem Bündnis mit SPD und Grünen bereit wäre, hätte das auch innerparteilich eine Signalfunktion. Berlin wäre dann eben nicht die Ausnahme, sondern die Regel.

Einen solchen Beweis, den sich viele Parteirealos wünschen, könnte ein als links geltender Landesverband am besten antreten. Das war schon in der Geschichte der Grünen so, die erst dann völlig auf den Kurs des Mitregierens eingeschwenkt waren, als 1988 sogar die als radikal verschriene Westberliner Alternative Liste mit der SPD koalierte. Trotzdem dürfte der Kelch an der NRW-Linken dieses Mal noch vorübergehen, weil in der NRW-SPD die Aversionen gegen die Linke noch zu stark ist. Mag Wolfgang Clement auch mit seiner alten Partei gebrochen haben, so gibt es in den Ortsverbänden noch genügend von seinen geistigen Erben.

Gewinner des postfordistischen Wandels

Dass sich in NRW in den letzten Jahren einiges verändert hat, zeigt sich am besten am Wahlergebnis der Grünen, die mit 12,5 % auch in NRW im zweistelligen Bereich angekommen sind. Wenn die unvermeidliche Claudio Roth gleich vom knallgrünen Abend fantasiert, so kann das unter Streicheln der grünen Seele abgebucht werden. Doch dieses Ergebnis ist auch ein Seismograph für die ökonomischen Veränderungen im ehemaligen Herzen der deutschen Schwerindustrie.

Der postfordistische Wandel mit seinen oft prekären Arbeitsplätzen hat auch NRW erfasst. Die Grünen sind ein Gewinner, die SPD ein Verlierer und die Linkspartei ein Produkt dieses Wandels. Dass würde auch bei möglichen Koalitionsgesprächen schnell deutlich werden. Die Zeiten, wo sich die Grünen in der Ära Rau und Clement wie ungeliebte Schmuddelkinder am Koalitionstisch behandeln lassen mussten, sind vorbei. Längst ist hier eine selbstbewusste bürgerliche Partei entstanden, die für beide Seiten offen ist. In manchen Kommunen klappt die Zusammenarbeit mit der Union besser als mit der SPD.

Doch für das auch von Rüttgers und Merkel insgeheim favorisierte schwarz-grüne Bündnis gibt es in NRW keine Mehrheit, weil die CDU zu viel verloren hat. Deshalb haben die Grünen schon am Wahlabend ihre Kampagne zur Abwahl von Schwarz-Gelb auch im Bund eingeläutet. Damit ist eine spätere schwarz-grüne Liaison nicht ausgeschlossen.

Kein Aufstand in der CDU

Die Reaktionen der Parteien auf das NRW-Wahlergebnis waren berechenbar. So wiederholte FDP-Chef Westerwelle seine Mantra: „Wir haben den Warnschuss gehört“, ohne die daraus folgenden Konsequenzen zu benennen. Selbst die konservative FAZ sah keinen Trost darin, dass sich die FDP in NRW gegenüber den letzten Landtagswahlen sogar leicht verbessert hat. Sie sieht vielmehr das Problem, dass Westerwelle nicht mehr die öffentliche gegen die veröffentlichte Meinung ausspielen kann und auch die parteiinternen Kritiker nicht mehr schweigen werden. „Nun ist er unbeliebt und hat auch noch die Wahl verloren, heißt es in einem FAZ-Kommentar.

Auch in der Union werden die Kritiker sich nicht nur an Jürgen Rüttgers abarbeiten, der für das schlechte Wahlergebnis die Verantwortung übernahm. Es ist wahrscheinlich, dass in der NRW-Union das Stühlerücken bald beginnt und Rüttgers der erste Rücktrittskandidat ist. Doch dieses Mal wird auch unter Konservativen eine Ursache für das Wahldebakel in der Bundesregierung gesehen. Die Schonzeit für Merkel ist auch bei der FAZ vorbei, die der Bundeskanzlerin Beliebigkeit und Entscheidungsschwäche vorwirft: „Schwarz-Gelb hat die Chance, sich als Kraft der Krisenbewältigung zu präsentieren, vertan. Man wollte auf Nummer sicher gehen, keine Entscheidungen treffen, die Wähler in Nordrhein-Westfalen verschrecken könnten. Die Regierung Merkel hätte eine andere Tonlage wählen sollen.“

Wenn die Bundestagsabgeordnete Monika Grütters beteuert, es werde ganz sicher keinen Aufstand in der CDU geben, zeigt das den Ernst der Lage. Einen Aufstand gegen Merkel wird es in der Union wohl nicht geben. Nur der weitgehend isolierte Willy Wimmer forderte ihren Rücktritt.

Aber ein Aufstand gegen Westerwelle ist nicht unwahrscheinlich. Seit Wochen drängen Unionspolitiker darauf, in der Frage der Steuersenkungen den Konflikt mit der FDP zu suchen. Die Union müsse den Wählern ehrlich sagen, dass die FDP-Pläne aus wirtschaftlichen Gründen nicht zu realisieren sind, lautet die Argumentation, die sich auch die Ergebnisse der jüngsten Steuerschätzung berufen kann. Nach der NRW-Wahl wird die Frage noch dringlicher. Weil nun Schwarz-Gelb keine Mehrheit im Bundesrat mehr hat, dürften neben der Steuerreform mit der Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken und der Kopfpauschale, zwei weitere Lieblingsprojekte der FDP in der Schublade verschwinden.

Von der Reaktion der FDP dürfte abhängen, ob Schwarz-Gelb auch im Bund am Ende ist. Setzt sie ihren Kurs fort, werden sich vielleicht auch in der Union mehr Politiker der Meinung des dortigen Vorsitzenden der Arbeitnehmergruppe Peter Weiss anschließen, der in den Stuttgarter Nachrichten erklärte: „Entweder es gibt in der FDP diese Einsicht, oder es kommt zum Punkt, dass man sagen muss: In dieser Koalition lässt sich nicht regieren. Wenn da nichts passiert, muss man die Koalition in Frage stellen.“

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32606/1.html

Peter Nowak

Wechsel – nicht Wahlempfehlung

 Ver.di übt mit Kampagne vor den NRW-Wahlen Kritik an der Landesregierung
Ver.di protestierte in Köln gegen die desolate Finanzlage der Kommunen. Die Kampagne für einen Politikwechsel in Nordrhein-Westfalen soll noch bis 100 Tage nach der Wahl weiterlaufen. 
 
Am Mittwochvormittag erlebte Köln eine Alarmübung der besonderen Art. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di brachte an der Hohenzollernbrücke zwischen Dom und Messegelände große Transparente an, auf denen vor dem finanziellen Ausbluten der Kommunen gewarnt wurde. Nach Feststellung des Städtetages Nordrhein-Westfalen erreichte 2009 nicht einmal jede zehnte Mitgliedskommune einen echten Haushaltsausgleich, mehr als ein Drittel der kreisfreien Städte waren Haushaltssicherungskommunen, in diesem Jahr werden es nahezu 60 Prozent sein. Bisher weigert sich die schwarz-gelbe Landesregierung, die Kommunen an den eingenommenen Landessteuern zu beteiligen.

»Vor diesem Hintergrund bin ich sehr gespannt, wie sich NRW zu den Plänen der überwiegend schwarz-gelb besetzten Regierungskommission zur Gemeindefinanzierung stellt«, sagte der ver.di-Bundesvorsitzende Frank Bsirske laut einer Mitteilung. Er sprach in dem Zusammenhang von einem »Generalangriff auf die finanzielle Basis der Kommunen«.

Die symbolische Brückenbesetzung im Stil von Greenpeace ist nicht die einzige Aktion, die ver.di zurzeit in NRW organisiert. Mit der Kampagne »Weiter so war gestern« meldet sich die Gewerkschaft seit Wochen im laufenden Landtagswahlkampf zu Wort. In der Vergangenheit haben Gewerkschaften mit Wahlprüfsteinen in laufende Wahlkämpfe eingegriffen. Doch in NRW belässt es ver.di nicht bei Presseerklärungen, sondern geht auf die Straße. Neben der Finanzarmut der Kommunen ist die Bildungspolitik eine weitere Säule der Kampagne. Unter dem Motto »Wähle Deine Bildungsperspektive« organisierte ver.di am 22. April gemeinsam mit Jugendverbänden einen Aktionstag. Die Teilnehmer wandten sich mit Transparenten und Sprechblasen sowohl gegen Studiengebühren als auch gegen die Misere im Ausbildungsbereich. Der dritte Schwerpunkt der Kampagne ist der Kampf für einen Mindestlohn.

Dass die Forderungen mit der konservativ-liberalen Landesregierung nicht umgesetzt werden können, ist evident. Doch um eine Wahlempfehlung geht es der Gewerkschaft nicht. »Wir fordern vielmehr einen Politikwechsel«, betonte die nordrhein-westfälische ver.di-Landesleiterin Gabriele Schmidt gegenüber ND. In den nächsten Tagen stehen noch weitere Termine auf der Agenda. So wollen die ver.di-Kollegen aus Münster am 4. Mai den FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle auf ihre Weise begrüßen. Am 5. Mai beteiligt sich ver.di an einer Demonstration gegen Studiengebühren in Düsseldorf. Manche Aktivisten beschränken ihre Kritik allerdings nicht nur auf die schwarz-gelbe Landesregierung. So kritisieren Attac-Gruppen aus NRW den DGB-Vorsitzenden von NRW und designierten Arbeitsminister im SPD-Schattenkabinett, Guntram Schneider, weil der gemeinsam mit der wirtschaftsliberalen Bertelsmann-Stiftung ein Seminar zur Finanznot der Kommunen organisiert hat.

Die ver.di-Kampagne wird am Wahlabend nicht zu Ende sein, sondern danach noch 100 Tage fortgeführt. »Wir wollen damit die Koalitionsgespräche begleiten und alle Parteien dort mit unseren Forderungen konfrontieren«, betont Schmidt.

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/170100.wechsel-8211-nicht-wahlempfehlung.html

Peter Nowak