Zensusgegner bleibt ohne Strafe

In Niedersachsen verzichten die Behörden auf die weitere juristische Verfolgung eines Mannes, der sich geweigert hatte, im Rahmen der Zensus genannten Volkszählung Auskünfte zu erteilen. Er gehörte zu den Bürgern, die im Rahmen der so genannten 10-%-Haushalte-Stichprobe zur Auskunft persönlicher Daten über sich und sein
Lebensumfeld aufgefordert worden war. Nachdem er sich beharrlich weigerte, wurde ihm sowohl mündlich als auch schriftlich sogar mit Zwangshaft gedroht. Jetzt sind die Behörden zurück gerudert.
„Die Erhebungen auf Grundlage des Zensus 2011 sind inzwischen
abgeschlossen. Damit hat die Zwangsgeldfestsetzung ihren Zweck verloren“, heißt es in dem Schreiben, dass eine Erhebungsstelle in Niedersachsen dem Mann geschickt hat. Doch einen kleinen Betrag fordern die Behörden vom dem Zensusgegner doch ein.
Die Vollstreckung der Zwangsgelder wird einstellt, die entstandene Verwaltungsgebühren dennoch habe der Mann dennoch zu entrichten, heißt es in dem Behörden. Diese
betragen je nach Bundesland und Befragungsfall zwischen weniger als 30
Euro und bis zu über 100 Euro für jeden einzelnen Zwangsgeldbescheid.
Michael Ebeling vom Arbeitskreis Zensus sieht in diesem Schreiben einen Erfolg der Volkszählungsgegner mit bundesweiter Wirkung.
„Ob, in welchem Umfang und zu welcher Zeit landes- oder bundesweit mehr solcher Fälle bekannt werden, ist zwar unklar. Allerdings zeigt dieser Bescheid, dass ein Ende der Datenerfassung in Sicht ist und laufende Verfahren praktisch gegenstandslos werden“, so Ebeling. Damit werden den Betroffenen langwierige juristische Auseinandersetzungen erspart. Juristen kamen schon vor einigen Monaten zu der Einschätzung, dass die Strafbefehle keinen Bestand haben werden. Der AK Zensus hatte sich unter dem Dach des AK Vorratsdatenspeicherung mit dem Ziel gegründet, gegen den Zensus zu mobilisieren. So sei der Anteil der falsch, unvollständig oder gar nicht ausgefüllten Auskunftsböigen hoch. Der AK Zensus spricht von einem „nicht zu unterschätzendes Verweigerungspotenzial der Bevölkerung gegenüber den per Gesetz verankerten Auskunftspflichten“
https://www.neues-deutschland.de/artikel/226594.
zensusgegner-bleibt-ohne-strafe.html

Peter Nowak

Forschen für den Krieg

Am Mittwoch ist eine Aktionswoche zu Ende gegangen, mit der Studierende für die Einführung der Zivilklausel in die Hochschulverfassungen mobilisierten. Die Initiative »Hochschulen für den Frieden – ja zur Zivilklausel« rief Studierende, Lehrende und Hochschulmitarbeiter auf, sich für zivile Hochschulen als Ort für Studium, Lehre und Forschung einzusetzen. Jede Art von Militärforschung soll nach den Willen der Aktivisten ausgeschlossen werden.

»Mit den Waffen des Geistes soll gegen den Geist der Waffen mobilisiert werden«, heißt es im Aufruf zur Aktionswoche. Tatsächlich aber kann das Beschwören der humanistischen Bildungsideale nicht darüber hinweg täuschen, dass die Militärforschung ein großes Geschäft ist und die Reichweite der Zivilklausel meist dort endet, wo die Gefahr besteht, dass Drittmittelgelder gekürzt werden könnten. Deswegen geht es auch am Thema vorbei, wenn von Politikern die Wissenschaftsfreiheit in Stellung gebracht wird, um die Zivilklausel entweder ganz auszuschließen oder auf eine unverbindliche Absichtserklärung zu reduzieren.

Die Aktionswoche hat gezeigt, dass sich an vielen Hochschulen Studierende für eine nichtmilitärische Forschung einsetzen. Deutlich ist aber auch geworden, dass von einer größeren Bewegung keineswegs gesprochen werden kann. Wenn aber die Initiativen im Campusalltag präsent sind und dort ihre Forderungen nach einer militärfreien Wissenschaft mit sozialen Forderungen verbinden, könnte sich das ändern. Positiv war auch, dass die Forderung nach der Zivilklausel in verschiedenen Städten auch den gewerkschaftlichen Demonstrationen zum 1.Mai vertreten wurde. Damit wurde verdeutlicht, dass der Kampf auch außerhalb des Campus geführt werden muss.
Peter Nowak

http://www.neues-deutschland.de/artikel/226551.forschen-fuer-den-krieg.html

EIN FALL FÜRS ARBEITSGERICHT

Gekündigt – wegen Gründung eines Betriebsrats

Als 2007 in Kreuzberg die Pflegeeinrichtung Türk Bakim Evi eröffnet wurde, fand sie bundesweit Beachtung. Das „Haus des Wohlbehagens“, so die Übersetzung des Namens, war das bundesweit erste Seniorenheim für Menschen, die aus der Türkei eingewandert waren. Heute nennt sich die Einrichtung schlicht Pflegehaus Kreuzberg und hat von ihren multikulturellen Zielen Abstand genommen. „Eine Aufrechterhaltung wurde aus kulturellen und ökonomischen Gründen nicht länger verfolgt“, heißt es auf der Website.

Nun macht die Einrichtung wieder Schlagzeilen – allerdings keine positiven. Am heutigen Freitag werden die Verfahren zweier ehemaliger Beschäftigter vor dem Berliner Arbeitsgericht verhandelt. Zwei MitarbeiterInnen des Pflegehauses seien fristlos gekündigt worden, weil sie einen Betriebsrat gründen wollten, so Michael Musall von Ver.di. „Wildwestmethoden“ wirft Ver.di den Betreibern der Einrichtung, der Marseille-Kliniken AG, deshalb vor. Seine Gewerkschaft hat den Kolleginnen Beratung und rechtliche Unterstützung zugesagt. Die Geschäftsführung des Pflegehauses war gegenüber der taz zu keiner Stellungnahme bereit.

Unterdessen beschäftigen sich Solidaritätsgruppen mit der Situation von Beschäftigten im Pflegebereich und unterstützten sie bei der Durchsetzung ihrer Rechte. So organisiert ein Solikomitee am heutigen Freitag ab 21 Uhr im Friedrichshainer Vetomat eine Solidaritätsparty für eine weitere Pflegehelferin. Sie hatte sich für bessere Arbeitsbedingungen bei der Hauskrankenpflege Mitte eingesetzt und war gemobbt worden. Nun droht ihr Erzwingungshaft, weil sie sich weigert, die Kosten aus dem folgenden Arbeitsgerichtsverfahren zu bezahlen (taz berichtete).
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2012%2F05%2F11%2Fa0225&cHash=9779f84bc6
PETER NOWAK

Bankenviertel soll protestfreie Zone werden

Die für Mitte Mai geplanten Krisenproteste wurden von den Behörden verboten und könnten zum Mobilisierungsschub führen, sind aber auch Ausdruck der Nervosität durch die EU-Krise

Um die Occupy-Bewegung war es zumindest in Deutschland in den letzten Wochen stillgeworden. In Frankfurt war das Camp der Bewegung in den kalten Tagen des vergangenen Winters zum Zufluchtsort der wachsenden Zahl der Wohnungslosen geworden, die es in der Bankenmetropole gibt.

Doch gerade zu Beginn der wärmeren Jahreszeit wächst die Kritik von Geschäftswelt und den Behörden. So soll eine rumänische Familie, die Teil des Camps ist, den Platz verlassen. Die Occupy-Aktivisten lehnen das Ansinnen, ihre Teilnehmer nach Pässen zu sortieren, empört ab. Auch andere, lange Zeit von den Behörden geduldeten Vorgänge werden auf einmal von den Behörden moniert. Die Zeit, in der sich Opernbesucher, Polizisten und sogar Bankchef Ackermann gerne mit den Paradiesvögeln von Occupy ablichten ließen, scheint vorbei.

Der Grund ist schnell gefunden und nennt sich Blockuppy, eine Kooperation der Krisenproteste und der Occupy-Bewegung, die vom 16.-19. Mai mit internationaler Beteiligung das Zentrum von Frankfurt zu einem Forum der Debatten und des Protestes machen will. Die Aktionstage knüpfen an den europäischen Krisenprotesttag M31 an, an dem am 31. März in verschiedenen europäischen Ländern soziale Bewegungen auf die Straße gegangen waren. Doch knapp zwei Wochen vor dem anvisierten Protestbeginn wollen die Behörden das Areal um das Bankenviertel zur demonstrationsfreien Zone erklärt.

Zunächst haben die Behörden 12 von den Blockuppy-Organisatoren angemeldete Mahnwachen, Camps und Kundgebungen untersagt. Wenige Tage später verschärften die Behörden ihren Kurs noch einmal und verboten sogar einen Rave und eine Mahnwache von kapitalismuskritischen Ordensleuten verboten. Die Aktivisten geben sich kämpferisch und organisieren juristischen und politischen Protest. Die Liste der Unterzeichner der Protestresolution gegen das Blockupy-Verbot reicht von Politikern der Grünen und der SPD bis zu international bekannten Wissenschaftlern.

Wiederholt sich das Szenario von Dresden in Frankfurt?

Manche Aktivisten witzeln schon, das Verbot sei das beste, was den Aktivisten geschehen konnte. Schließlich war die mediale Aufmerksamkeit für Blockuppy lange gering und auch die Mobilisierung in der sozialen Bewegung ließ eher zu wünschen übrig. Zudem fragen sich manche Aktivsten, warum sie nach dem M31-Aktionstag wenige Wochen später erneut in Frankfurt/Main protestieren sollen.

Das Demoverbot hat die Frage beantwortet. Nun geht es um die Verteidigung der Grundrechte, die mit dem Totalverbot aller Kundgebungen in Frage gestellt sind. Erinnerungen werden wach an die Wochen vor den Protestaktionen gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm, die durch eine Polizeirazzia Zulauf bekamen. Ähnlich war es mit den Blockadeaktionen gegen einen rechten Aufmarsch in Dresden, gegen den die Justiz mit Hausdurchsuchungen und Strafverfahren mobilisierte. Die Folge war eine enorme Sympathiewelle für die Aktivisten, die als Sieger .aus dem Machtkampf mit der Justiz hervorgingen.

Vieles spricht dafür, dass es Mitte Mai in Frankfurt/Main ähnlich ausgeht. Da es weder politisch noch juristisch möglich sein wird, Tausende Menschen daran zu hintern, nach Frankfurt zu kommen, werden die Behörden ihre harte Haltung kaum aufrecht erhalten können. Es ist wahrscheinlich, dass die Gerichte das Totalverbot kippen.

Grundrechte im Zeichen der Krise

Dabei wäre es aber falsch, die Maßnahmen als Alleingang von einigen Behörden zu interpretieren. Schließlich hat sich die hessische Landesregierung klar hinter den harten Kurs gestellt. Zudem soll auch den Aktivisten, die in Berlin zum12 März im Rahmen eines internationalen Aktionstages einen Occupy-Neustart planen, eine zweiwöchige Dauermahnwache an einem zentralen Platz untersagt worden.

Am vergangenen Wochenende wurde in Brüssel dem international bekannten Kapitalismuskritiker Walden Bello die Einreise zu einer Konferenz untersagt, die sich mit der Koordinierung der Proteste befasste. Er wurde am Brüsseler Flughafen festgehalten und zurück in die USA geschickt. Die fortdauernde europäische Krise sorgt auch in Ländern wie Belgien und Deutschland bei den politisch Verantwortlichen für Nervosität, wie die Verbote, Einreiseverbote und andere Grundrechtseinschränkungen zeigen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151976
Peter Nowak

Musik: Kai Degenhardt, Näher als sie scheinen

„Auch meine fünfte Platte ist selbstverständlich wieder ein politisches Limpfe singend tagespolitische Themen erörtere», schreibt der Hamburger Liedermacher Kai Degenhardt auf den Waschzettel zu seiner kürzlich veröffentlichten CD Näher als sie scheinen.
Ein singendes Flugblatt war Kai Degenhardt genau sowie wenig wie sein im letzten Jahr verstorbener Vater, der als «Väterchen Franz» seit den 60er Jahren Maßstäbe im Bereich der deutschsprachigen Chansons gesetzt hat. Kai Degenhardt steht in dieser Tradition, und doch ist ihm das Kunststück gelungen, einen unverwechselbaren Stil zu kreieren. Es ist die Härte in Text und Musik, mit der sich der Sohn eindeutig von den Arbeiten des Vaters unterscheidet. Damit zeigt er aber, wie nah er an der Realität der heutigen Arbeits- und Lebenswelt vieler Menschen dran ist. Während der alte Degenhardt in seinen Chansons noch zur Feier am «Tisch unter den Pflaumenbäumen» einladen konnte, lässt Kai Degenhardt im Song «Wendehammer-Boheme» ein dickes Imbiss-Mädchen mit «Kleinkriminellen in Adidas» und «Kifferkurt mit Lederhut» ihr Bier trinken. Für Romantik ist da ebenso wenig Platz wie für kuschelige Sitzecken. Konnte der Vater mit Rudi Schulte noch das Bild eines linken Gewerkschaftsaktivisten zeichnen, der seinen Weg geht, steht sich bei Kai im Song «Vom Machen und Überlegen» «Verdi-Willi mit Trillerpfeife und Flugblatt mit Tausenden seiner Kollegen die Füße wieder platt». Verdi-Willi ist genau so ratlos wie die Jungautome «Mari mit nem Molli in der Hand». Doch Degenhardt wendet die scheinbar ausweglose Szenerie mit dem letzten Satz: «Wo kommen wir zusammen und überlegen uns noch mal».
Nein, wir haben keine Chance, aber wir nutzen sie. Diese aus Wissen und Verzweiflung gewonnene Einsicht spricht auch aus den historischen Songs, mit denen Kai Degenhardt am Direktesten an Songs aus dem Repertoire seines Vaters anknüpft. Der Heizer Franz, der im Chanson «Herbst 1918» auf dem kaiserlichen Kriegsschiff das Feuer löschte und den Startschuss zur Revolution gab, erhielt schon Wochen später von kaisertreuen Freikorps einen Schuss in den Arm. «Und am Horizont drohte schon die braune Brut», heißt es kurz und prägnant am Ende. Im letzten, mehr als 18 Minuten dauernden Song werden zahlreiche 68er-Mythen kurz und prägnant dekonstruiert. «Sich immer wieder neu erfinden, wie bei Madonna, Apple oder Adidas», bringt Degenhardt eine ganze Philosophie mit einem Satz auf den Punkt. Aus dem Alltag gegriffen ist hier nicht nur eine hübsche Floskel. Die klappenden Mülltonnendeckel und das Katzengemieze stammen von Alltagsgeräuschen, die Kai Degenhardt mit einem Mp3-Player in den letzten Jahren in seiner Umgebung aufgenommen und dann am Rechner verfremdet hat. Degenhardt zeigt auch mit seiner neuesten Platte, dass man ein gnadenloser Realist sein kann und gerade deshalb den Traum von einer vernünftiger eingerichteten Welt nicht aufgeben muss.
Zu bestellen bei: Plattenbau, Hohe Weide 41, 20253 Hamburg, Tel.: 040/4220417, info@plattenbau.de, Plattenbau, 13 Euro
Tourdaten: www.plattenbau.de.

Kai Degenhardt


Peter Nowak

Hartz IV? Mañana!

BEHÖRDENWILLKÜR Jobcenter will in Berlin lebendem Spanier kein Geld zahlen – trotz Gerichtsbeschluss

Seit Ende März erhält Esteban Granero (Name geändert) kein Geld mehr vom Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg. Dabei hat der Anwalt des Spaniers, Michael Wittich, erfolgreich einen Eilantrag beim Sozialgericht gestellt, das die Behörde zur Weiterzahlung verpflichtete.

Der seit einem Jahr in Berlin erwerbslos gemeldete Graneros hatte bis Leistungen nach SGB III bezogen. Ende März informierte ihn das Jobcenter, die Leistungen würden zum 1. April eingestellt. „Der Antragssteller ist spanischer Staatsbürger und hält sich nur zum Zweck der Arbeitssuche in Deutschland auf. Er fällt damit unter die Personengruppe, die nach der Vorbehaltserklärung der Bundesregierung gegen das Europäische Fürsorgeabkommen (EPA) von Hartz-IV-Leistungen ausgeschlossen ist“, so die Behörde. Das Sozialgericht hält dies für unvereinbar mit Europarecht – es gab dem Eilantrag statt.

Gegen den Richterspruch legte das Jobcenter Widerspruch ein. Man wolle erst die Entscheidung des Landessozialgerichts abwarten, so Behörde. Anwalt Wittich hält das für rechtswidrig. „Ein Eilantrag muss sofort umgesetzt werden. Es liegt nicht im Belieben der Behörde, die Umsetzung wochenlang zu verschleppen.“ Der Jurist hat gegen die Verzögerung juristische Schritte eingeleitet und ist optimistisch, dass sein Mandant Erfolg hat.

Doch Graneros ist weiterhin ohne Geld. Seine Wohnung droht er deshalb zu verlieren. Das Jobcenter reize seine Macht auf Kosten des Erwerbslosen aus, moniert Anwalt Wittich. Dabei geht es für die Behörden um ein Nullsummenspiel: Wenn das Gericht gegen Graneros entscheidet, muss der Bezirk einspringen.

Wittichs Mandant ist nicht der einzige EU-Bürger, der Probleme mit dem Jobcenter hat. Weitere Erwerbslose wurden nach Streichung der Hartz-IV-Leistungen nicht zu den Sozialämtern weitergeleitet, andere sind ausgereist (taz berichtete).

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/
?ressort=bl&dig=2012%2F05%2F08%2Fa0157&cHash=5b0c4ee0e3
Peter Nowak

Auch Rechte dürfen Mohammed-Karikaturen zeigen

Vor der NRW-Landtagswahl liefern sich Rechtspopulisten und rechte Islamisten ein Pingpong-Spiel

Eigentlich war die Kundgebung, die ein Bielefelder Bündnis gegen Rechts gegen einen Wahlkampfauftritt der rechtspopulistischen Bürgerbewegung Pro NRW angemeldet hatte, eine lokale Angelegenheit. Doch mittlerweile hat sich das geändert.

Nach den schweren Auseinandersetzungen bei einem Wahlkampfauftritt von Pro Deutschland in Bonn stehen die Minipartei und deren Anti-Islamkampagne im öffentlichen Interesse. Dafür haben wiederum salafistische Gruppen gesorgt. Beim Versuch der Anhänger einer besonders reaktionären Spielart des Islamismus, die Absperrungen zu überwinden, wurden in Bonn mehrere Polizisten verletzt, zwei davon durch Messerstiche. Mittlerweile hat die Bonner Polizei eine Mordkommission eingerichtet und einen Salafisten in Untersuchungshaft genommen. Als Pro-NRW-Anhänger am Samstag eine umstrittene Karikatur des dänischen Zeichners Kurt Westergaard zeigten, kam es zu einer „Explosion der Gewalt, die wir lange nicht mehr erlebt haben“, sagte die Bonner Polizeipräsidentin Ursula Brohl-Sowa.

Als Konsequenz aus den Bonner Auseinandersetzungen hat das Innenministerium von NRW Pro NRW das Zeigen der islamkritischen Karikaturen verboten und damit den Rechtspopulisten einen Gefallen getan. Sie klagten dagegen und bekamen in einer Eilentscheidung vor Gericht recht. Auch in Bielefeld konnten die Karikaturen heute präsentiert werden.

Das Innenministerium versuchte schon vor einer Woche, die Präsentation der Karikaturen im Pro-NRW-Wahlkampf zu verhindern, scheiterte damit aber vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf. Mit dem versuchten Karikaturenverbot hat das Ministerium Pro NRW eine Steilvorlage geboten, umso lauter die islamische Gefahr zu beschwören, mit denen sie ihre Wahlkämpfe bestreiten. Ihre aktuelle Kampagne heißt denn auch Freiheit statt Islam.

Warum schweigt Kurt Westergaart?

Es fällt ihnen leichter, sich als Hüter des Meinungsfreiheit aufzuspielen, wenn auch durch den Verbotsversuch die Auseinandersetzung auf die Karikaturen konzentriert wird. Schließlich wurde dem dänische Zeichner Westergaard nach den nicht nur verbalen islamistischen Drohungen große Unterstützung aus der ganzen Welt zuteil. Es gab damals eine heftige Debatte, ob auch in deutschen Zeitungen die inkriminierten Karikaturen gezeigt werden sollen. Wer es ablehnte, stand schnell in dem Ruf, vor den Drohungen von Islamisten einzuknicken.

Tatsächlich ist das Zeigen der Karikaturen grundsätzlich zu begrüßen, weil in einer säkularen Gesellschaft jede Religion auch Gegenstand von Spott und Satire sein muss. Dass müssen Salafisten ebenso hinnehmen wie fundamentalistische Christen, von denen manche Anhänger der Pro-Bewegung sind.

Dass rechte Gruppen andere Ziele als grundsätzliche Religionskritik haben, ist evident, kann aber kein Grund sein, das Zeigen der Karikaturen von politischen Präferenzen abhängig zu machen. Einzig der Autor der Karikaturen wäre in der Lage, Pro NRW den Gebrauch seiner Karikaturen zu verbieten, weil er sie nicht in deren politischen Kontext gerückt wissen will. In der Vergangenheit haben schließlich schon verschiedene Musiker politischen Parteien verboten, mit ihren Songs Wahlkampf zu machen.

Nicht die Karikaturen, sondern die Rechtspopulisten sind das Problem

Besonders den Gegnern von Pro-NRW, die deren Wahlkampf überall mit Protesten beteiligen, müsste daran gelegen sein klarzustellen, dass ihr Problem nicht das Zeigen der islamkritischen Karikaturen, sondern die Politik von Pro NRW ist. Schließlich waren in der letzten Woche bei Polizeirazzien gegen die rechte Szene in NRW auch die Wohnungen von Pro-NRW-Mitglieder durchsucht worden. Das Pingpong-Spiel mit den Salafisten hat diese Meldung wieder in den Hintergrund gedrängt.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151956
Peter Nowak

Internet als Kampfzone

Denkfabrik berät über Gefahren im Cyberkrieg

Ausgerechnet in der Ossietzkystraße im Berliner Stadtbezirk Pankow hat eine Einrichtung ihr Domizil, mit der der als Antimilitarist bekannt gewordene Namensgeber bestimmt nicht einverstanden wäre. Die 1992 gegründete Akademie für Sicherheitspolitik (BAKS) bezeichnet sich auf ihrer Homepage selbstbewusst als „höchstrangige und ressortübergreifende Weiterbildungseinrichtung des Bundes für Führungskräfte auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik.„Unser Anspruch ist es, ein umfassendes, interdisziplinäres Verständnis von Sicherheitspolitik zu fördern und eine Plattform für die Vernetzung sicherheitspolitischer Akteure zu bieten“. Dazu lädt die BAKS alljährlich Akteure aus der Bundeswehr, der Politik, der Wirtschaft sowie ausgewählte Vertreter von Medien und Nichtregierungsorganisationen zu Konferenzen ein. Eine Teilnahme ohne Einladung ist nicht möglich. Am 7 und 8. Mai lautet das Konferenzmotto
„Die Deutsche Cyber-Sicherheitsstrategie – Neue Bedrohungen, neue Lösungen?“ Dass es dabei nicht um einen unverbindlichen Small Talk handelt, zeigt sich an den Fragen, die auf der Konferenz diskutiert werden sollen.
„Reicht es wirklich aus, dass das Deutsche Cyber-Abwehrzentrum lediglich IT-Sicherheitsvorfälle schnell und umfassend bewertet und abgestimmte Handlungsempfehlungen erarbeitet? Muss ein derartiges Abwehrzentrum nicht in der Lage sein, selbst zu agieren? Wie sieht es in diesem Zusammenhang mit eigenen gesetzlichen Befugnissen aus?“
Für den Publizisten Peer Heinelt, der sich unter Anderem in der Monatszeitschrift Konkret und auf Internetplattform German Foreign Policy seit Jahren kritisch mit der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik befasst, nennt als ein Ziel der BAKS die Schaffung eines politischen Klimas für Gesetzesvorstöße, mit der beispielsweise im Kampf gegen den Cyberwar die politischen Beschränkungen der Behörden fallen sollen. Zu der Themenpalette, die von der BAKS behandelten werden und über die laut Eigenwerbung ein „gesellschaftlicher Konsens“ gefördert werden soll gehört die Flüchtlingsabwehr ebenso wie die Sicherung der Rohstoffquellen für die deutsche Wirtschaft und die Abwehr möglicher Unruhen in Deutschland und der näheren Umgebung. Ausführlich beschäftigen sich BAKS-Mitarbeiter auch mit den Veränderungen auf der weltpolitischen Bühne. Dabei werden in den von Heinelt zitierten Studien Konflikte zwischen den USA und China prognostiziert.
Anders als die Münchner Sicherheitskonferenz, die seit Jahren von Protesten antimilitaristischer Gruppen begleitet wird, hat die BAKS bisher wenig Interesse und Widerspruch erfahren. Lediglich im Jahre 2004, als die Institution von Bonn in den Nordosten Berlins zog, gab es eine Protestdemonstration. Zum 20ten Geburtstag der Akademie wollen linke Gruppen im Nordosten Berlins daran anknüpfen. Unter dem Motto „Kontrolle ist nicht schlecht, Lobbyismus ist unser gutes Recht“ planen sie am Montagabend eine Jubelkundgebung auf der „sicherheitspolitischen Fanmeile“. Unterstützt wird die Aktion, die um 18 Uhr an der Berliner Straße/Ecke Breite Straße beginnt, unter Anderem von der Emanzipativen Antifaschistischen Gruppe (EAG) und Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten Berlin-Pankow.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/226113.internet-als-kampfzone.html
Peter Nowak

Israelis und Iraner demonstrieren in Berlin gegen Kriegsdrohungen

Die Demonstranten verstehen sich als Opposition gegen die herrschenden Regierungen in Israel und Iran und fordern eine atomwaffenfreie Region

Eine Demonstration von ca. 300 Menschen ist in Berlin nicht besonders groß. Doch wenn wie am letzten Samstag in Deutschland lebende iranische und israelische Staatsbürger gemeinsam auf die Straße gehen, um Gegen Sanktionen, Krieg und Besatzung“ zu demonstrieren, wie das Motto auf dem Leittransparent hieß, dann hat diese Manifestation schon einen besonderen Stellenwert. Sogar in der israelischen Tageszeitung Haaretz wurde die Berliner Demonstration wahrgenommen.

Mobilisiert wurde ohne die Mitwirkung von politischen Organisationen über Facebook. Die Initiative ging von der in Berlin lebenden israelischen Chemikerin Gal Schkolnik aus. Zu den zentralen Forderungen der Demonstranten gehört neben einem Ende des verbalen Säbelrasselns auf beiden Seiten eine atomwaffenfreie Zone im Nahen Osten. Die iranischen Aktivisten, die sich an der Initiative beteiligen, verstehen sich als Teil der Opposition gegen das islamistische Regime. „Die Eskalation im Konflikt um eine mögliche Atombombe hilft der iranischen Regierung“, erklärte eine Aktivistin. Auch Gal Schkolnik sieht sich klar in Opposition zur gegenwärtigen israelischen Regierung und wollte mit der Aktion deutlich machen, dass nicht alle Israelis deren Politik unterstützen. Allerdings dürfen dabei auch die Unterschiede nicht verwischt werden. Während diese Opposition in Israel sicherlich marginal, aber Teil des demokratischen Prozesses ist, müssen Freunde der iranischen Oppositionellen in ihrer Heimat mit Gefängnis und Folter rechnen.

Inspiriert ist die Aktion in Berlin von einer Facebook-Kampagne, auf der sich Mitte März Menschen aus Israel und dem Iran gegenseitig versichert haben, nicht gegeneinander Krieg führen zu wollen. Während man dort aber explizit auf einer individuellen Ebene blieb und politische Statements vermied, argumentierten die Berliner Aktivisten politisch. Vermieden wurden einseitige Schuldzuweisungen. So gehört zu ihren Forderungen ein Ende der Kriegsdrohungen von allen Seiten und ein Stopp der Militarisierung des Nahen und Mittleren Ostens, was den Abbau aller nuklearen und anderen Massenvernichtungswaffen in der Region impliziert.

Streitpunkt Sanktionen gegen den Iran

Allerdings fällt auf, dass die konkreten Forderungen doch hautsächlich an Israel gerichtet sind. Man fordert Deutschland auf, die Waffenlieferungen an Israel zu stoppen, und verlangt ein Ende aller Sanktionen gegen den Iran. Vor allem Letzteres dürfte auch bei Kriegsgegnern umstritten sein. So gibt es auch Stimmen, die gerade in einem konsequenten Boykott von Militärgütern gegen den Iran eine Chance für die Vermeidung einer militärischen Konfrontation sehen. Zudem ist schon länger bekannt, dass der Iran von deutschen Firmen mit Gütern beliefert wird, die auch zur Überwachung und Unterdrückung der Opposition dienen können. Daher ist es nicht ganz überzeugend, wenn in dem Aufruf zur gestrigen Demonstration behauptet wird, dass die Sanktionen lediglich die iranische Bevölkerung getroffen und der Oppositionsbewegung geschadet hätten.

Außerdem fällt auf, dass einerseits gegen Kriegsdrohungen von beiden Seiten Stellung genommen wird, die antiisraelische Rhetorik führender Exponenten der iranischen Eliten aber nicht direkt angesprochen wird. Dass die israelisch-iranische Initiative frei von jeglicher deutschen Befindlichkeit ist, dürfte auch der Grund dafür sein, dass ein Großteil der aktuellen deutschen Friedensbewegung, die auf ihren Ostermärschen noch Günther Grass für seine deutschzentrierte Israelschelte lobte, die Demonstration in Berlin ignorierte.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151942
Peter Nowak

Ausschluss von EU-Bürgern aus deutschen Sozialsystem stößt an Grenzen

Die Bundesregierung gerät mit ihrem Versuch, erwerbslose EU-Bürger in Deutschland von Sozialleistungen auszuschließen, juristisch und politisch in die Defensive

Die Bundesrepublik Deutschland erklärte im Dezember 2011 einen Vorbehalt gegen das Europäische Fürsorgeabkommen, das die Sozialleistungen der Mitglieder des Europarates regelt. Danach erhielten zahlreiche erwerbslose EU-Bürger keine Hartz-IV-Leistungen mehr. Mit der Maßnahme will die Bundesregierung verhindern, dass Menschen aus der europäischen Peripherie infolge der Wirtschaftskrise in Deutschland ihr Auskommen suchen.

Mittlerweile haben Sozialgerichte in Leipzig und Berlin entschieden, dass EU-Ausländer in Deutschland Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalt haben.

„Die Entscheidung des Sozialgerichtes Leipzig, mit der der Kläger aus Griechenland gegen die Auffassung des Jobcenters Leipzig die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zugesprochen wird, ist ein Erfolg für das akut bedrohte und langsam erodierende Sozialstaatsprinzip in Deutschland und ein Teilerfolg im Kampf gegen staatlichen Rassismus“, kommentierte die Leipziger Stadtverordnete der Linkspartei, Juliane Nagel, das Urteil.

Sozialhilfe kann nicht verweigert werden

Das Bundesarbeitsministerium hat nach einer Anfrage der Bundestagsabgeordneten der Linkspartei Katja Kipping zudem erklärt, dass EU-Bürger gleich nach ihrer Ankunft in Deutschland Anspruch auf Sozialhilfe haben.

„Der Vorbehalt wurde nur für die Anwendung des Sozialgesetzbuchs (SGB) II erklärt“, schreibt nun das Ministerium in der Unterrichtung an den Ausschuss. Die Betroffenen könnten aber „stattdessen einen Anspruch auf Hilfen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII“, also der Sozialhilfe, haben“, zitiert die Welt aus dem Schreiben des Ministeriums. Die Verlagerung von Hartz-IV auf Sozialhilfe bedeutet, dass die Kosten auf die Kommunen abgewälzt werden.

Vor allem in Berlin wächst derweil die Kritik an den Jobcentern über den Umgang mit erwerbslosen EU-Bürgern. So moniert der Rechtsanwalt Michael Wittich, dass sein Mandant, ein spanischer Staatsbürger, der seit einem Jahr erwerbslos gemeldet ist, seit März kein Geld bekomme und seine Wohnung nicht mehr bezahlen könne. Dabei hat Wittich vor dem Sozialgericht einen Eilantrag erwirkt, der das Jobcenter Friedrichshain Neukölln zur Zahlung verpflichtet. Weil das Amt aber Widerspruch bei der nächsten Instanz eingereicht hat, will es mit der Zahlung warten. „Ein Eilantrag muss sofort umgesetzt werden. Es liegt nicht im Belieben der Behörde die Umsetzung wochenlang zu verschleppen“, rügt Wittich das Verhalten. Mittlerweile erhalten die Betroffenen Unterstützung von sozialen Initiativen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151934
Peter Nowak

Lehrzeit keine Leerzeit

David Templin erinnert in einem Buch an den »Hamburger Aufstand der Stifte«
Ende der sechziger Jahre standen nicht nur die Studenten auf den Barrikaden, auch junge Auszubildende begannen, sich für ihre Interessen stark zu machen. Auch in Hamburg.

»Braucht Du einen billigen Arbeitsmann, schaff‘ Dir einen Lehrling an«, lautete einer der Slogans, mit denen sich junge Leute vor 40 Jahren gegen die Zustände in der Ausbildung wehrten. Dazu gehörte damals noch das obligatorische Zeitung holen, Fegen und Brötchen schmieren. Selbst Prügel vom Meister war keine Seltenheit.
Doch die Folgen der i Studierendenbewegung wirkten sich vor allem auf jüngere Arbeiter aus. Es entstand h in der ganzen BRD eine Lehrlingsbewegung,, die bisher in der Forschung kaum beachtet wurde. Doch kürzlich hat der an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg arbeitende Historiker David Templin unter dem Titel „Lehrzeit – keine Leerzeit“ im Dölling und Galitz Verlag ein Buch veröffentlicht, dass den Hamburger Aufstand der Stifte“, wie die Bewegung in der Presse häufig genannt wurde, untersucht.. Das spannungsreiche Verhältnis zwischen dem Hamburger DGB und den Aktivisten der Lehrlingsbewegung nimmt in Templins Untersuchung einen großen Raum ein.
Ebenso wird an die in der Hamburger Akademie für Wirtschaft und Politik aktive gewerkschaftlichen Studentengruppe (GSG) erinnert. Die beiden Aktivisten Reinhard Crusius und Manfred Wilke, die sich selber als Linkssozialisten verstehen, haben eine wichtige Rolle beim Entstehen der Lehrlingsbewegung. Ihnen gelingt der Spagat, die Strukturen des DGB zu nutzen und trotzdem die politische Autonomie zu wahren. So wurde ein vom Hamburger DGB unterstützter Jour Fixe für eine kurze Zeit zum lebendigen Zentrum der Lehrlingsbewegung in der Hansestadt. Die Gründung dieses Gremiums war auch eine Folge von außerparlamentarischen Druck, nachdem die 1.Mai-Kundgebung des DGB 1969 massiv von Gruppen der neuen Linken, darunter vielen Lehrlingen gestört worden war. Mit dem Jour Fixe versuchte der DGB verlorenes Vertrauen der Jugend zurück zugewinnen.
Zu Konflikten kam es in dem Jour Fixe bald mit den unterschiedlichen kommunistischen Gruppen, die Anfang der 70er Jahre in die Lehrlingsbewegung intervenierte. Dabei war die DKP-nahe Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) anfangs am erfolgreichsten. Die Mitgliederzahlen stiegen zunächst und auch im DGB-Jugendapparat konnte die Organisation Posten besetzen.
Heftige Kritik an ihren Positionen kam nicht nur von den diversen maoistisch ausgerichteten Gruppierungen, sondern auch von der linkssozialistischen GSG. Wilke und Crusius warfen der SDAJ sogar vor, gemeinsam mit dem DGB-Apparat die Lehrlingsbewegung in Hamburg abgewürgt zu haben.
Diese Einschätzung teilt Templin nicht. „Mit ihrer auf Organisationshandeln fixierten These tendieren beide dazu, zu übersehen, dass der Welle des politischen Aufbegehrens von Lehrlingen, die 1969 einsetzte, seit 1971 abebbte.“
Dazu hatte die Line vieler maoistischer Gruppierungen beigetragen, dass eine eigene Lehrlingsorganisierung die Klasse spalten. Aber auch Reformen der sozialliberalen Koalition, die den Fokus auf die Ausbildung und nicht mehr auf des Bierholen legten trug zum
Abebben der Bewegung bei. Vierzig Jahre später ist es das Verdient von Templin an die fast vergessene Gesichte angeknüpft zu haben. Es ist zu hoffen, dass auch aus anderen Teilen der Republik über die Lehrlingsbewegung geforscht wird. Schließlich konnten heute Azubis davon etwas lernen. Schließlich ist der Druck auf sie im Zeiten von wachsenden Niedriglohnsektoren sogar noch. gewachsen.

Peter Nowak
https://www.neues-deutschland.de/artikel/225914.lehrzeit-keine-leerzeit.html
David Templin: „Lehrzeit – keine Leerzeit!“ « Die Hamburger Lehrlingsbewegung 1968 – 1972, Dölling und Galitz Verlag, 194 Seiten, 10.00 €, ISBN 9-783862 180189

Deutsche Willkommenskultur

In Deutschland werden EU-Bürgern Hartz-IV-Leistungen gestrichen.

Manuel Paredo ist wütend. Bisher hat der in Deutschland lebende spanische Staatsbürger Leistungen nach Hartz IV erhalten. Sie sollen ihm künftig verweigert werden. Seit Mitte März haben tausende Erwerbslose aus EU-Ländern von den Jobcentern ein Schreiben mit dieser Ankündigung erhalten. Hintergrund ist ein Vorbehalt, den die Bundesregierung gegen das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) erklärt hat (Jungle World 17/­2012). Nach einer Anweisung, die das Bundesarbeitsministerium der Bundesagentur für Arbeit erteilte, wurden bereits bewilligte Hartz-IV-Leistungen für EU-Bürger widerrufen und Neuanträge abgelehnt.

Nach Informationen von Dilek Kolat (SPD), der Berliner Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen, könnten allein in Berlin 8 660 Erwerbslose aus EU-Ländern davon betroffen sein. Die Senatorin geht allerdings davon aus, dass der tatsächliche Anteil geringer ist, weil viele erwerbslose EU-Bürger in Berlin Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben.

Allerdings haben auch Erwerbslose, die einen solchen Anspruch haben, das Schreiben des Jobcenters erhalten, sagt der auf Sozialrecht spezialisierte Berliner Anwalt Lutz Achenbach. Obwohl die Chancen groß seien, dass die Bescheide für rechtswidrig erklärt werden, seien deswegen schon EU-Bürger ausgereist, sagt Achenbach. Dazu trage auch die von den Berliner Jobcentern praktizierte Umsetzung der Anweisung aus dem Ministerium bei, kritisiert sein Kollege Michael Wittich. So leiteten die Jobcenter die Mitteilung über die Aufhebung von Hartz-IV-Leistungen nicht automatisch an die Sozialämter weiter, kritisiert der Jurist. Eilentscheidungen, die das Jobcenter eigentlich zur sofortigen Zahlung verpflichten, führten nicht immer zum Erfolg, berichtet der Anwalt. Ein von Wittich vertretener spanischer Staatsbürger, der seit 2009 in Berlin lebt und seit 2010 Leistungen nach dem SGB II erhielt, hatte im Eilverfahren gegen die Verweigerung der Hartz-IV-Leistungen Erfolg. Doch der Beschluss sei vom Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg auch zwei Wochen später noch immer nicht umgesetzt worden. Es hat gegen die Eilentscheidung Beschwerde vor dem Landesssozialgericht eingelegt und möchte erst dessen Entscheidung abwarten. Der Betroffene, der schon länger als einen Monat kein Geld mehr erhalten hat, kann seine Miete nicht mehr zahlen, nun droht ihm der Verlust der Wohnung.

Dass Menschen, denen auf diese Weise der Lebensunterhalt entzogen wird, ausreisen oder im Niedriglohnsektor ihr Überleben zu sichern versuchen, ist eine Konsequenz dieser von der Politik gewollten behördlichen Maßnahmen. Auch Kolat übt Kritik an der Streichung der Hartz-IV-Leistungen: »Da Deutschland mehr denn je auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen ist, sollte jede Erschwerung für arbeitssuchende Europäer vermieden werden.« Wie sehr die Senatorin dem deutschen Standortdenken verpflichtet ist, zeigt ihre Begründung: »Gegenwärtig besteht aus Sicht des Senats keine begründete Sorge, dass es zu einer vermehrten Einwanderung in unser Sozialsystem kommen könnte.« Mit dem Argument, dass wegen der Wirtschaftskrise Menschen aus dem Süden Europas nach Deutschland kommen könnten, begründet die Bundesregierung ihren Vorbehalt gegen das EU-Fürsorgeprogramm. Menschen, die durch das vor allem von Deutschland forcierte »Spardiktat« ihrer Lebensperspektive beraubt werden, sollen nicht auf den Gedanken kommen, dass sie in dem Land, das von der EU-Krise am meisten profitiert, ein besseres Leben führen könnten.

Die Berliner Gruppe »Zusammen! Gegen das Jobcenter Neukölln« möchte nun vor Jobcentern, Konsulaten und an anderen Orten Flugblätter verteilen, mit denen Betroffene über die rechtliche Situation und Möglichkeiten zum Widerstand informiert werden. Das Motto »Solidarität statt Ausgrenzung« dürfte auch für Erwerbslosengruppen eine Herausforderung sein. Denn auch bei ihnen besteht nicht immer Einigkeit darüber, dass die soziale Sicherung auch für Menschen ohne deutschen Pass erkämpft werden muss.
http://jungle-world.com/artikel/2012/18/45371.html
Peter Nowak

Fiskalpakt – tickende Zeitbombe für Europa?

Auch in Deutschland wächst der Widerstand gegen den Sparkurs der Regierung

So hat im Vorfeld des 1.Mai der DGB die Kritik an dem Fiskalpakt verschärft, der in vielen europäischen Ländern schon lange für Widerstand sorgte. Soziale Initiativen und Gewerkschaften kritisierten dabei häufig den inaktiven DGB, der sich bisher kaum mit Protest an der EU-Politik profiliert hat. Zumindest verbal haben sich die Gewerkschaften in den letzten Wochen stärker von Merkels Europakurs in der Wirtschaftspolitik distanziert. Unter dem Motto „Den Fiskalpakt stoppen“ mobilisiert die verdi-Jugend nun gegen den Pakt:

„Damit würde nicht nur das Recht, den eigenen Haushalt zu gestalten, massiv eingeschränkt und teilweise auf die EU-Kommission übertragen. Er würde zusätzlich den Druck erhöhen, mehr Sozialabbau durchzusetzen, Löhne im öffentlichen Sektor zu senken und öffentliche Investitionen zurückzufahren.“

Auch der verdi-Vorsitzende Frank Bsirske nennt den Pakt undemokratisch und bezeichnet ihn als „tickende Zeitbombe“ für Europa. Ob den starken Worten, an denen es von DGB-Funktionären um den 1.Mai herum bekanntlich nie mangelt, Taten folgen, wird sich zeigen. Unter dem Titel „Europa neu begründen“ hat Bsirske gemeinsam mit Wissenschaftlern einen Aufruf verfasst. Andere Gewerkschafter wollen es nicht bei papierenen Protest belassen und mobilisieren zu den Blockuppy-Protesten Mitte Mai in Frankfurt/Main.

Soziale Frage auch auf Demo in Kreuzberg im Zentrum

Auch am 1.Mai stand der Widerstand gegen das EU-Spardiktat in Berlin im Zentrum verschiedener Bündnisse. Auch auf der Demonstration, die um 18 Uhr in Kreuzberg startete, stand das Thema sozialer Proteste im Mittelpunkt. Schon rein optisch entsprach sie nicht dem Bild vom autonomen „schwarzen Block“, das in vielen Medien vorherrscht. Der Großteil der über 20.000 Teilnehmenden war eher sommerlich und bunt gekleidet.

Erstmals nahm auch ein Block der verdi-Jugend an der Demonstration teil, die mit ihrer Route in die Mitte Berlins den Ruf loswerden wollte, nur auf den Kreuzberger Kiez fixiert zu sein. Die Veranstalter werteten die große Teilnehmerzahl und die wachsende Beteiligung sozialer Initiativen und gewerkschaftlicher Gruppen als Erfolg einer zunehmenden Abwendung von autonomer Szenepolitik. Auch die schon ritualisierte Debatte um Steinwürfe hat an Bedeutung verloren. Deswegen gibt es auch wenig Verständnis für die Beschädigung einer leeren Polizeikabine vor dem Jüdischen Museum, dem wohl ungeeignetsten Ort, um in Berlin gegen die Polizeipräsenz zu protestieren.

Die Polizei nutzte die Beschädigungen, um die Demonstrationen aufzulösen. Es ist auch dem besonnenen Verhalten der Demonstrationsorganisatoren und nicht nur der von Innensenator Frank Henkel gelobten Polizeitaktik geschuldet, dass es im Anschluss nicht zu großen Straßenschlachten gekommen ist. Ein Großteil der 138 Festgenommen dürfte, wie in den Vorjahren, eher durch das vom Bezirk gesponserste Kreuzberger Maifest alkoholisiert, als durch die Demonstration politisiert worden sein.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151912
Peter Nowak

Eine Lehre fürs prekäre Leben

Vor 40 Jahren begann der Niedergang der Lehrlingsbewegung, aus der auch Ton Steine Scherben hervorgingen. Angesichts der prekären Situation von Auszubildenden heutzutage wäre es an der Zeit für eine Wiederbelebung.

Ein Film, der kürzlich in den Kinos angelaufen ist, trägt den Titel »Die Ausbildung«. Regisseur Dirk Lütter schildert darin die Zwänge der neoliberalen Arbeits- und Bürowelt aus der Sicht ­eines Auszubildenden (Interview Jungle World 12/2012). Der Protagonist Jan, der eine Lehre in einem Callcenter absolviert, wird in einer Rezension der Taz als »Azubi am unteren Ende der Hackordnung« beschrieben. Auffallend sei die Uniformität, die im Büro herrsche. Alle tragen »dieselben korrekt gescheitelten Frisuren« und heißen »Jan, Jens oder Jenny«, bei den Prota­gonisten handele es sich um »prekär beschäftigte Klone«. Angesichts solcher Befunde stellt sich die Frage, ob sich wirklich viel verbessert hat im Vergleich zu jener Zeit, als anstelle von Azubis von Lehrlingen oder ganz altmodisch von »Stiften« die Rede war. Abgesehen davon, dass es damals undenkbar gewesen wäre, den Chef zu duzen, und die Zuständigkeit fürs Zigarettenholen noch zum Alltag von Lehrlingen gehörte.

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