Bundeswehr raus aus dem Klassenzimmer

»Schüler sollen aus Gewissensgründen einer Bundeswehr-Veranstaltung in den Schulen fern bleiben können. Sie werden währenddessen anderweitig beschult.« Diese Forderung ist der Kern einer Petition, die der bayerische Elternverband eingereicht hat und die in der letzten Woche im Bildungsausschuss des bayerischen Landtags beraten wurde. In der Petition wird auch gefordert, dass in dem aus Lehrern, Eltern- und Schülervertretern zusammengesetzten Schulforum entschieden wird, ob Jugendoffiziere in die Schule eingeladen werden. Bisher lag das allein in der Verantwortung der Schulleitungen.

In der Begründung der Petition wird auf den Kooperationsvertrag zwischen den Schulbehörden und der Bundeswehr verwiesen, der dem Militär Einfluss auf die politische Bildung, sowie die Aus- und Fortbildung sichert. Dagegen regt sich zunehmend bei Schüler- und Elterngruppen, aber auch der GEW Widerstand. Daher hat die bayerische Petition auch bundesweit Beachtung gefunden. Organisationen wie »terre des hommes« zeigten Interesse an der antimilitaristischen Basisarbeit, die vom bayerischen Elternverband sowie der AG »Friedliche Schule« der Münchner GEW und vielen Friedensorganisationen geleistet wird. So soll am 23. November im Münchner DGB-Haus im Rahmen der antimilitaristischen Wochen eine Podiumsdiskussion unter dem Motto »Schule und Hochschule ohne Militär« stattfinden.

Zudem hat der bayerische Elternverband einen Musterantrag entwickelt, mit den Eltern die Befreiung vom Bundeswehrunterricht erklären können. Eine solche bundesweite Initiative könnte ein Kristallisationspunkt für eine antimilitaristische Arbeit an den Bildungseinrichtungen werden.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/211371.bundeswehr-raus-aus-dem-klassenzimmer.html

Peter Nowak

Linke haben Alibis für Ausschreitungen in Polen

PROTEST Berliner Antifa bestreitet Gewalttaten in Warschau. Mittlerweile wurden alle freigelassen

Polens Rechte schäumt. Nachdem sich am vergangenen Samstag auch zahlreiche aus Berlin angereiste AntifaschistInnen an den Protesten gegen einen Aufmarsch rechtsnationaler und neonazistischer Kräfte zum polnischen Unabhängigkeitstag in Warschau beteiligten, werden sie für Ausschreitungen am Rande des Aufmarschs verantwortlich gemacht. Die BerlinerInnen weisen diese Vorwürfe zurück und haben auch ein starkes Alibi: Während der Auseinandersetzungen befand sich ein großer Teil von ihnen in Polizeigewahrsam.

Unmittelbar nach ihrer Ankunft sei es auf dem Weg zu den geplanten Blockaden erst zu verbalen, dann zu körperlichen Auseinandersetzungen mit einer Gruppe polnischer Neonazis gekommen, berichtet ein Antifaschist, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. „Unmittelbar danach wurden wir jedoch durch ein Großaufgebot der Warschauer Polizei auf der Höhe des Cafe Nowy wspanialy Swiat zuerst eingekesselt und später festgenommen“, so der Augenzeuge weiter. Diese Version wurde auch von zahlreichen PressevertreterInnen, die die Festnahme der rund 60 AntifaschistInnen beobachteten, bestätigt. Etwa 40 weitere AktivistInnen seien am frühen Nachmittag von der Polizei festgenommen worden, als sie sich vor der Verfolgung durch polnische Neonazis in einen Hinterhof flüchteten. Mittlerweile wurden alle Festgenommenen aus Deutschland freigelassen und haben Polen wieder verlassen. Nach Angaben eines Warschauer Rechtsanwalts hat die polnische Justiz Prozesstermine in Warschau anberaumt, bei denen die Betroffenen jedoch nicht selbst erscheinen müssen. Noch am Samstag hatte ein Sprecher der polnischen Justiz angekündigt, die festgenommenen AntifaschistInnen nach dem Hooligan-Paragrafen anklagen zu wollen.

Sammelklage erwogen

Auch die AntifaschistInnen diskutieren über juristische Maßnahmen. Bis zum Freitag wollen sie entscheiden, ob sie eine Sammelklage gegen die Festnahmen einreichen. Zudem wollen einige der Festgenommenen Anzeige wegen Körperverletzung stellen. Betroffen ist davon auch ein in Berlin lebender Antifaschist mit dänischer Staatsangehörigkeit. Er gibt an, von der Polizei geschlagen worden zu sein, nachdem er sich bei der Durchsuchung geweigert habe, sein T-Shirt auszuziehen. Die Betroffenen haben auch gegenüber einem Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Warschau diese Vorfälle geschildert.

In Polen besteht offenbar weiterhin erhöhter Informationsbedarf über die antifaschistische Bewegung in Deutschland. Gleich drei polnische Zeitungen hätten am Montag angerufen, die nach den Ereignissen von Samstag auf der Suche nach Informationen über die Berliner Antifa sind, berichtete ein Aktivist.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2011%2F11%2F15%2Fa0134&cHash=f12652e483

Peter N0wak

Deutscher Satan in Warschau

Die versuchte Beteiligung deutscher Antifaschisten an einer Demo gegen Rechte in Warschau sorgt für innenpolitische Turbulenzen

In der polnischen Innenpolitik sorgt noch immer eine Antifa-Demonstration für Schlagzeilen, die von einen breiten linken Bündnis veranstaltet worden war. Es wollte damit einen Aufmarsch von Rechtsnationalisten sowie offenen Neonazis und Antisemiten verhindern, die zum Nationalfeiertag am 11. November in Warschau Flagge zeigen wollte. Nach dem Vorbild des antifaschistischen Bündnisses in Dresden sollte auch in Warschau den Rechten mit Blockaden der Weg versperrt werden.

Deshalb wurde auch in Deutschland wie in anderen europäischen Ländern zur Teilnahme an den Protesten mobilisiert. Linke Aktivisten aus Polen hatten in den vergangenen Wochen über das rechte Milieu in Polen berichtet. Schon seit Tagen empörten sich klerikale und rechtsnationalistische Gruppierungen über die deutsche Unterstützung und sparten nicht mit historischen Reminiszenzen.

Nachdem am Samstag unter den knapp 2.000 Gegendemonstranten, die den 7.000 Rechten entgegen traten, auch Menschen aus verschiedenen europäischen Nachbarländern zu finden waren, verschärfte sich der Ton in Polen. So erklärte der rechtsnationale Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski: „Am polnischen Unabhängigkeitstag prügelten Deutsche Polen allein dafür, dass sie nationale Symbole trugen.“ Dann legte er noch nach: „Ich denke, dass ein ähnlicher Menschentyp einst den Apparat schuf, der es Hitler erlaubte, seine entsetzlichen Verbrechen zu begehen.“ Ein polnischer Kardinal sah am Samstag auf Seiten der Antifaschisten sogar den deutschen Satan am Werk.

Kaczynski und seine Anhänger beschuldigen sie, für die Sachschäden in der polnischen Innenstadt am Samstag verantwortlich zu sein. In Augenzeugenberichten von den Ereignissen werden allerdings rechte Hooligans für die Ausschreitungen in der Warschauer Innenstadt verantwortlich gemacht.

Vor der Demo festgenommen

Die meisten aus Deutschland angereisten Antifaschisten haben jedenfalls ein gutes Alibi. Als die Auseinandersetzungen in Warschau tobten, saßen sie schon längst im Knast. Gegenüber Telepolis schildert ein Beteiligter den Ablauf. Unmittelbar nach ihrer Ankunft sei es auf dem Weg zu den geplanten Blockaden erst zu verbalen und dann zu körperlichen Auseinandersetzungen mit einer Gruppe polnischer Neonazis gekommen.

„Nach dem Eintreffen der Polizei wurde die Nazigruppe festgenommen. Unmittelbar danach wurden wir jedoch durch ein Großaufgebot der Warschauer Polizei auf der Höhe des Cafe Nowy wspanialy Swiat zuerst eingekesselt und später festgenommen“, berichtet der Augenzeuge. Diese Version wurde mittlerweile auch von zahlreichen Pressevertretern, die die Festnahmen beobachteten, bestätigt. Die polnische Justiz hat mittlerweile alle festgenommenen Antifaschisten wieder freigelassen. Die letzten sind am Montagmorgen in Deutschland angekommen. Noch am Samstag erklärte ein Sprecher der Polizei, die Festgenommen würden nach dem Hooligan-Paragraphen angeklagt. Eine längere Untersuchungshaft wurde befürchtet. Die Betroffenen wollen eine Sammelklage gegen ihre Festnahme einreichen und überlegen weitere juristische Schritte. Schließlich sind die Ereignisse vom Wochenende in Warschau für manche Linke ein Déjà-vu-Erlebnis. Schon 2006 wurden bei einer Demonstration gegen eine rechte Demonstration in Warschau, die sich gegen die dortige Schwulen- und Lesbenparade richtete (Und die Rache folgt sogleich), mehrere Linke aus Deutschland festgenommen. Einige saßen mehrere Wochen in Untersuchungshaft.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150838

   Peter Nowak

Sind die Anti-Bankenproteste Teil der Occupy-Bewegung?

Nicht überall ist das Verhältnis zwischen den alten sozialen Bewegungen und den jungen Empörten konfliktfrei
Am vergangenen Samstag ist der Protest gegen die Banken auch in Deutschland wieder auf die Straße getragen worden. Nach Polizeiangaben mehrere Tausend, nach Angaben der Veranstalter ca. 18000 Menschen beteiligten sich in Frankfurt/Main und Berlin an symbolischen Protesten. Während in der Hauptstadt das leere Regierungsviertel umzingelt wurde, war es in Frankfurt das Bankenviertel.

Das Aktionsbündnis „Banken in die Chancen“ und die globalisierungskritische Organisation Attac sprachen von einem unüberhörbaren Protest, den die Menschen gegen Politik und Wirtschaft formuliert hätten. Linke Kritiker monierten hingegen, die Parolen seien nicht über „Brecht die Macht der Banken und Konzerne“ und „Keine Macht der Banken“ hinausgegangen. Dabei wurden diese Slogans vom antikapitalistischen Teil der Protestkette gerufen. In den Aufrufen zu den Aktionen war nur von einer besseren Regulation der Banken die Rede. Die Konzerne wurden gar nicht erwähnt.

Der reine Symbolcharakter der Aktion war auch Gegenstand der Kritik. So erinnerten Aktivisten aus Frankfurt/Main an den, im letzten Jahr am 18. Oktober eine Blockade des Bankenviertels an einen Wochentag zu organisieren. Das Projekt wurde nach einer mehrmonatigen Vorbereitungsphase auch deshalb abgebrochen, weil zentrale Organisationen, die am 12. November auf der Straße waren, damals eher bremsten. Die geplante Blockade im letzten Jahr sollte der Höhepunkt eines Herbstes der Krisenproteste sein, der dann doch relativ bescheiden ausfiel.

Nach diesen Erfahrungen waren ursprünglich in diesem Herbst keine Proteste geplant. Dass es jetzt doch dazu gekommen ist, hat zweifellos einen Grund in den weltweiten Events der Empörten, die im Frühsommer von Spanien aus in andere Länder überschwappten. Dabei dauerte es aber in Deutschland besonders lang. Noch im Hochsommer versuchten beispielsweise vergeblich kleine Gruppen nach dem spanischen Vorbild Zelte auf zentralen Plätzen Berlins aufzubauen. Es bedurfte erst des Umwegs über die USA bis die Aktionen nun als Occupy-Bewegung auch in Deutschland eine gewisse Resonanz fanden, die aber immer medial größer als in der Realität war.

„Wir packen unsere Fahnen nicht ein“

Über die Frage, ob die Aktionen vom Samstag Teil der Occupyberlin.de sind, gibt es auch unter den Aktivisten unterschiedliche Antworten. So wird im Aufruf für die Menschenkette in Berlin die Gemeinsamkeit herausgestellt. Die Aktionen seien ein Beitrag zu den Protesten und Demonstrationen, die seit Wochen durch die Occupy-Bewegung auf die Beine gestellt werden. Gemeinsam solle „echte Demokratie“ erkämpft werden, hieß es dort.

Wesentlich konfliktreicher gestaltet sich das Verhältnis zwischen der Occupy-Bewegung und Teilen der sozialen Bewegung in Frankfurt. Besonders Basisgewerkschaftler] wollen sich nicht dem Verdikt der Occupy-Bewegung beugen, auf von ihnen veranstalteten Aktionen ohne ihre Organisationsfahnen und -banner aufzutreten. Der Ruf „Wir lassen uns unsere Banner und Fahnen nicht verbieten“ hatte auch eine Diskussionsveranstaltung zwischen Vertretern der Occupy-Bewegung und Gewerkschaftern im Frankfurter DGB-Haus Anfang November bestimmt. Dort beklagte ein Gewerkschafter, ihm sei das Tragen der Gewerkschaftsfahne verboten wurden, während drei junge Männer unbehelligt eine Armbinde mit der Aufschrift „Stolz ein Deutscher zu sein“ tragen konnten.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150828

Peter Nowak

Banken in die Schranken

Am Wochenende wird zum symbolischen Massenprotest aufgerufen, zahlreiche Wissenschaftler fordern eine andere EU-Wirtschaftspolitik

Um die Occupy-Bewegung ist es zumindest in Deutschland ruhig geworden. Dabei gibt es durchaus noch Menschen, die auch bei der spätherbstlichen Witterung weiter draußen campen wollen. In Berlin haben sie erreicht, ihre Zelte sogar näher an das Zentrum der Macht zu rücken. Während sie in den letzten Wochen auf der Wiese im toten Winkel von Berlin-Mitte campierten, haben sie jetzt ihre Zelte am Bundespressestrand im Regierungsviertel aufgestellt. Bis Ende November können sie wohl bleiben.

Doch wenn sie auch noch so trotzig auf ihrer Webseite behaupten: „Wir sind die 99 %“, so könnte man in der Zahlengabe ohne das Prozentzeichen noch eine gewisse Annäherung an die Realität erkennen. Mit Meditationen für ein friedvolles Wirtschaftssystem scheint die spirituelle Fraktion langsam die Oberhand zu bekommen. Über einen Zelt steht ein Schild mit der Aufschrift: „Dominik und Saskia sind empört.“

Viel Symbolik, wenig Inhalt

Am kommenden Samstag dürfte es für die Camper noch einmal ein Protest-Highlight geben. Die globalisierungskritische Organisation Attac und die NGO Campact rufen bundesweit zu einer Umzingelung des Berliner Regierungs- und des Frankfurter Bankenviertels auf. Mit mehreren zehntausend Menschen wird gerechnet. Mittlerweile haben auch der DGB, verschiedene Einzelgewerkschaften, Umweltgruppen, die Grünen und die Linkspartei aufgerufen.

Die symbolische Aktion im am Samstag leeren Regierungs- und Bankenviertel soll der Höhepunkt der neuen Krisenproteste sein, die in Deutschland wesentlich später als in anderen europäischen Ländern in Gang kamen und auch mit der Occupy-Bewegung wenig zu tun haben. Allerdings wird dieser Begriff jetzt gerne verwendet und unter Plakate und Aufrufe gesetzt, weil er mittlerweile als Platzhalter für weltweit völlig unterschiedliche Protest- und Widerstandsformen benutzt wird.

Inhaltlich geht der Aufruf zur Bankenumzingelung nicht die über die Forderungen hinaus, die mittlerweile in allen Parteien diskutiert werden. „Das Wohl der Menschen, nicht der Unternehmen muss wieder im Mittelpunkt der Politik stehen“, heißt einer der Sätze, denen kaum jemand widersprechen wird. Auch dass Großbanken in kleinere Einheiten aufgeteilt und das Investmentbanking von anderen Kreditgeschäften getrennt werden sollen, wird mittlerweile sogar unter konservativen Ökonomen diskutiert. So ist eigentlich unklar, gegen wen mit der Aktion Druck ausgeübt werden soll. Zumal in dem Aufruf jeder Verweis auf das Machtgefälle innerhalb der EU-Staaten fehlt. Dass dabei nicht abstrakt Banken, sondern wirtschaftlich einflussreiche Länder wie Deutschland massiven Druck auf Staaten wie Griechenland und Italien ausüben, wird nicht erwähnt .und folgerichtig auch nicht kritisiert.

Zurück zur Sozialdemokratie der 70er Jahre?

Da ist eine Stellungnahme zur Krisenpolitik der EU konkreter, die von zahlreichen Wissenschaftlern unterschrieben wurde:

„Die von der EU verordneten Kürzungsprogramme haben in den betroffenen Ländern das Gegenteil von dem bewirkt, was sie erreichen sollten. Nicht nur die Wirtschaftskrise wurde verschärft, sondern auch noch die Schuldenkrise selbst. Die betroffenen Länder werden systematisch in die Rezession getrieben. Schuldenbremsen und Stabilitätsversprechen sind in einer solchen Situation reine Augenwischerei.“

Das ist ein Verriss der EU-Politik gegen Länder wie Griechenland und Italien. Für die Unterzeichner steht die EU vor der Alternative, entweder auseinander zu fallen oder eine Wirtschaftspolitik zu betreiben, die eine Abkehr von den Dogmen des Ordoliberalismus bedeutet. Neben einer Transaktionssteuer und Kapitalkontrollen werden auch die Einführung eines Mindestlohns und eine Entschuldung gefordert.

Das Programm liest sich wie ein Regierungsprogramm der Sozialdemokraten der 70er Jahren, als Reformen noch mit der Verbesserung der Lebensverhältnisse der Mehrheit der Menschen und nicht mit weiteren Kürzungen und Belastungen assoziiert wurden.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150804

Peter Nowak

Zwischen allen Stühlen

Linke DDR-Oppositionelle organisieren Debatten auch heute noch nach einem alten Prinzip
DDR-kritisch, links, libertär und marxistisch, weder Partei noch autonom – frühere DDR-Dissidenten bilden ein Netzwerk, das sich kaum einem politischen Spektrum zuordnen lässt. Das ist so gewollt.

Was tun mit Kommunismus? Dieser etwas sperrige Titel war das Motto einer Veranstaltungsreihe, die politische Spektren zusammenbrachte, die sonst selten gemeinsam diskutieren. Der autonome Aktivist Hauke Benner debattierte mit der sächsischen Linksparteiabgeordneten Monika Runge und das Mitglied der Historischen Kommission der Linkspartei, Helmut Bock, saß mit dem libertären Publizisten Ralf Landmesser in einer Diskussionsrunde. Zum Abschluss trafen Lucie Redler von der trotzkistischen SAV, Christian Frings und die autonomen Aktivsten und Theoretiker Detlef Hartmann und Michael Wilk aufeinander.

Organisiert wurden die Veranstaltungen in Berlin von einem Kreis, der sich als »zweifach quotiert« beschreibt: Ost und West, Marxisten und Libertäre. Einen wesentlichen Anteil am Zustandekommen dürften die linken DDR-Oppositionellen in der Vorbereitungsgruppe gehabt haben. Als festen Zusammenschluss mit Vereins- und Internetadresse gibt es sie nicht mehr. Doch nach wie vor existiert ein Freundes- und Bekanntenkreis, der bei der Organisierung von Debatten nach dem Prinzip »Zwischen allen Stühlen« verfährt. Ihnen geht es nicht um Organisationsidentitäten, weder um die von Parteien noch von autonomen Gruppen.

Dieser Ansatz hat Geschichte. Bereits 1990 gründeten Linke aus Ost und West eine Gruppe mit dem zungenbrecherischen Namen Zasilo, das Kürzel für »zwischen allen Stühlen«. Sie hatten zum Teil schon vor dem Mauerfall Kontakte geknüpft, als auf beiden Seiten der Stadt gegen die IWF-Tagung 1988 in Westberlin protestiert wurde. »Die Selbstverständigung untereinander ist bescheiden und unbescheiden zugleich. Bescheiden, weil die Teilnehmer keine besondere Organisation anstreben, die Zugehörigkeit nicht durch formelle Mitgliedschaften entscheiden wollen; unbescheiden, weil sie die momentanen Organisationsgrenzen nicht anerkennen und quer zu den Parteiläden mit Menschen aus unterschiedlichen Zusammenhängen zusammenarbeiten wollen«, diese Grundsatzerklärung der Zasilo-Gruppe 1990 behält auch zwei Jahrzehnte später bei den Neuformierungsversuchen einer linken Opposition ihre Gültigkeit.

Das damalige Scheitern von linken Kooperationsansätzen wird von vielen als verpasste Chance gesehen. Schließlich setzten sich noch bis zum Sommer 1990 viele Fabrikbelegschaften in der DDR für eine Arbeiterselbstverwaltung ein, wie sie auch die VL forderte. Der einzige VL-Abgeordnete im Bundestag, Thomas Klein, schrieb damals unmittelbar nach den Wahlen vom 18. März 1990: »Die Abwahl der DDR haben wir nicht verhindern können … Die sozialen Kämpfe sind bereits in Sicht … Geben wir uns nochmals die Chance zusammenzugehen und nicht wieder einzeln geschlagen zu werden.« Klein bezog damals die »Kräfte der Erneuerung in der PDS« in sein Bündnisangebot ausdrücklich mit ein.

Die Zusammensetzung der Veranstaltungsreihe, bei der auch Klein referierte, erscheint wie eine Fortführung dieses Ansatzes. In der Vorbereitungsgruppe war mit Bernd Gehrke ein Mitbegründer der Vereinigten Linken (VL) in der DDR beteiligt. Gehrke arbeitet als Teamer für Gewerkschaften und bezeichnet sich als Ökosozialist. Dass sich derzeit in vielen Teilen der Welt Menschen auf die Suche nach einem Ausweg aus dem Kapitalismus machen, sehen Gehrke und seine Mitstreiter mit großer Sympathie. »Die Veranstaltungen sollten auch verhindern, dass diese jungen Aktivisten in die Sackgasse autoritärer staatssozialistischer Modelle tappen«, meint Anne Seeck, libertäre Dissidentin in der DDR und heute Erwerbslosenaktivistin. Sie wollten ihre Erfahrungen aus mehr als zwei Jahrzehnten Widerstand weitergeben. Schließlich setzten sie sich nach dem Ende der DDR nicht zur Ruhe. Sie waren an der von Ostberlin ausgehenden Mieterbewegung »Wir bleiben alle« ebenso beteiligt wie an den Demonstrationen der »Widerspenstigen«. So nannten sich linke Aktivisten und Gewerkschafter aus Ost und West, die mehrere Jahre am 1. Mai eine Demonstration organisierten. Sie fanden sich in den braven DGB-Demonstrationen ebenso wenig wieder wie in den subkulturell geprägten Aufzügen der Autonomen. Zwischen allen Stühlen war auch hier ihre Verortung. Hat Zasilo 2011 noch eine Chance? Die Frage bleibt offen. Die Veranstaltungsreihe zeigte aber, dass dieser Ansatz auf Interesse stößt.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/210691.zwischen-allen-stuehlen.html

Peter Nowak

Selbstorganisierte Belegschaften

Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung diskutierte Möglichkeiten und Fallstricke von Betriebsübernahmen
Betriebsübernahmen durch die Belegschaft sind nicht immer besonders kämpferisch, sondern oft letzte Möglichkeit. Das wurde auf der Konferenz »Den Betrieb übernehmen. Einstieg in Transformation?« der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin deutlich.

»Du brauchst keinen Chef, der Chef braucht Dich.« So lautete das Motto der Belegschaft der französischen Uhrenfabrik Lip, die in den 1970er Jahren ihren Betrieb besetzte und in eigener Regie weiterführte. Diese kämpferische Haltung ist bei Betriebsübernahmen aber längst nicht die Regel.

Dabei nehmen Betriebsübernahmen und Produktionsgenossenschaften zu, vielerorts sind als Reaktion auf Neoliberalismus und Wirtschaftskrise Betriebe besetzt. Kerstin Sack und Herbert Klemisch vom Klaus-Novy-Institut haben mehrere Betriebsübernahmen untersucht. Laut ihrem Fazit ist dieser Schritt oft letztes Mittel, um Arbeitsplätze zu retten, wenn sich kein Investor gefunden habe. Die Folge bedeute oft: mehr Arbeit und weniger Lohn. Und nicht selten finde sich ein Investor, nachdem die Belegschaft den Betrieb fit für den Markt gemacht habe. Genau diese Verschlechterung der Arbeitsbedingungen sind nach Ansicht von Walter Vogt von der IG Metall problematisch. Innerhalb der DGB-Gewerkschaften werde der Verlust, aber auch das Unterlaufen von Tarifverträgen befürchtet. Inzwischen unterstütze die Metallgewerkschaft allerdings solche Betriebsinitiativen bei Verhandlungen.

Auch international sind Betriebsübernahmen ein politisches Mittel der Beschäftigten. Der US-Politologe Immanuel Ness zieht eine Linie von den Ursprüngen der Genossenschaftsbewegung »im Kampf der Lohnabhängigen gegen die brutalen Formen des Kapitalismus« zu den aktuellen Betriebsübernahmen in den USA, bei denen die gleiche Verteilung des Gewinns und die Selbstverwaltung im Vordergrund stünden. Aktuell haben sich Genossenschaften in den USA im Bereich der Reinigungsunternehmen und der Kinderbetreuung gegründet.

Welche Rolle der Staat in dieser Auseinandersetzung einnimmt, das ist in den selbstverwalteten Betrieben in Venezuela Thema, über die der Politologe Dario Azzellini berichtete. Mitverwaltung, Selbstverwaltung und Arbeiterkontrolle existieren in Venezuela als unterschiedliche Formen der Partizipation nebeneinander. Konflikte mit Politik und Verwaltung sind alltäglich. »Entweder wir machen den Sozialismus selbst oder es wird ihn nicht geben«, ist der aus Erfahrungen gewonnene Leitspruch der Betriebsaktivisten.

Vielleicht können sie aus dem gescheiterten jugoslawischen Modell der Arbeiterselbstverwaltung lernen, das Goran Music von der Universität von Bologna vorstellte. Dort seien zwar viele Elemente der Selbstverwaltung eingeführt worden, doch das Desinteresse großer Teile der Belegschaft führte schnell zu einer neuen Bürokratisierung.

Der Wirtschaftshistoriker Jörg Roesler berichtete über Selbstverwaltungsmodelle in der Endphase der DDR. Während sich selbst CDU-Wähler in Thüringen hierfür einsetzten, sorgten auch die ab Sommer 1990 einsetzenden Massenentlassungen für ein schnelles Ende solcher Bewegungen von unten. Allerdings fanden in den vergangenen 20 Jahren von den Betriebsbesetzungen 1992 im Kalibergwerk Bischofferode bis zum Projekt »Strike Bike« in Nordhausen immer wieder mit Betriebsbesetzungen verbundene Abwehrkämpfe statt.

Leider kamen die Protagonisten selbst auf der Konferenz kaum zu Wort. Aus der Praxis berichteten drei Beschäftigte des Pharmaherstellers Jugoremedija in Nordserbien. Die Belegschaft des Unternehmens kämpft seit Jahren um ihre Arbeitsplätze. Erfolgreich konnte sie den Verkauf des Betriebes an einen Investor abwehren, der den Betrieb zerschlagen und meistbietend verkaufen wollte. Die Beschäftigten sind zum großen Teil auch Kleinaktionäre und konnten ihren Betrieb teilweise übernehmen. Wie es weitergeht, ist aber unklar.

Seit Anfang November finden sich im Internet auf der Website www.workerscontrol.net Dokumente zur Arbeiterkontrolle und Selbstverwaltung früher und heute.

Konferenzbeiträge können hier nachgelesen werden: Luxemburg, 3/211, Den Betrieb übernehmen, 10 Euro, ISBN: 978-3-89965-8583.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/210636.selbstorganisierte-belegschaften.html

Peter Nowak

Recht auf Stadt für Alle

Hausprojekte und Mieterinitiativen übergaben Rot-Schwarz ihre Forderungen

Berliner Mieter haben gestern vor Beginn der Koalitionsverhandlungen zu Stadtentwicklungs- und Wohnungspolitik für bezahlbare Mieten demonstriert. »Heute kommen wir als Mieter zu Ihnen. Unserer Ansicht nach ist die beginnende Legislaturperiode entscheidend für die weitere Entwicklung Berlins.« So beginnt das mietenpolitische Dossier, das den Vertretern von SPD und CDU, Christian Gaebler und Bernd Krömer, übergeben wurde. Es trägt den Titel »Eine Stadt für Alle«.

Bisher waren die Koalitionsverhandlungen ohne große außerparlamentarische Intervention verlaufen. Dass sich dies jetzt ändert, überrascht nicht. Schließlich ist die Mietenpolitik ein zentrales Thema der außerparlamentarischen Opposition. In dieser Tradition steht auch das Dossier, das Mieterinitiativen, von Verdrängung bedrohte Hausprojekte und die Kampagne gegen Zwangsumzüge erarbeitet haben.

Es enthält die ganze Palette der Probleme der Berliner Mieter. Bei seiner Übergabe waren beispielsweise die Bewohner der Barbarossastraße 59 in Schöneberg vertreten. Ihr in den 60er Jahren im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus errichtetes Haus soll abgerissen werden. Am Klausener Platz mussten die Mieter feststellen, dass mit der Gewobag ausgerechnet eine städtische Wohnungsbaugesellschaft als Mietpreistreiber auftritt. In Kreuzberg wehren sich die Mieter der Willibald-Alexis-Straße 34 gegen die Umwandlung ihrer Quartiere in Eigentumswohnungen. Das Haus war in den 70er Jahren durch eine Instandbesetzung vor dem Abriss gerettet worden. Bei der Abwehr der aktuellen Gefahren knüpfen manche Bewohner an die Aktionen jener Jahre an.

In Neukölln kämpfen die Mieter in der Fulda- und Weichselstraße gegen die Luxussanierung ihrer Häuser. Ein Mitglied der fuldaweichsel-Initiative betonte gegenüber nd, dass es für die neue Berliner Regierung in der Wohnungspolitik keine 100 Tage Schonfrist gegen kann. Schließlich gehe die Verdrängung der Mieter weiter. Daher fordert die Initiative als mietenpolitisches Sofortprogramm ein Mietsteigerungsmoratorium der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Zudem dürfe es gegenüber Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften, deren Mieten über den Bemessungsgrenzen liegen, keine Aufforderungen zum Senken der Kosten oder Sanktionen mehr geben.

Ob und wie die Koalitionäre darauf reagieren, war gestern unklar. Die Verhandlungen wurden unterbrochen und sollen heute fortgesetzt werden. Es gebe noch viele Streitpunkte, hieß es.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/210683.recht-auf-stadt-fuer-alle.html

Peter Nowak

Mediale Abstumpfung

»Eine neue Hiobsbotschaft aus Japan: Im Reaktor 2 des havarierten AKW Fukushima-1 gibt es Anzeichen für eine erneute Kernspaltung«. Das ist nicht etwa eine Meldung vom März, sondern von Anfang November dieses Jahres. Damit war das Atomkraftwerk für kurze Zeit wieder auf den vorderen Seiten der Zeitungen. Doch ansonsten hätte man in den letzten Wochen den Eindruck haben können, der Gau habe gar nicht stattgefunden. Die vierfache Reaktorhavarie im fernen Japan war aus der öffentlichen Diskussion weitgehend verschwunden. Mit dem Ausstiegsbeschluss war in Deutschland der Höhepunkt der AKW-Debatte erreicht. Danach ging das Interesse rapide zurück.

Dabei hatten Wissenschaftler schon im März erklärt, dass die Reaktoren noch lange nicht unter Kontrolle und deshalb unvorgesehene chemische und physikalische Prozesse bis zu weiteren Kernschmelzen jederzeit möglich sind. Mittlerweile wurde auch bekannt, dass die Menge der ausgetretenen Radioaktivität bisher eher zu niedrig als zu hoch eingeschätzt wurde. Große Aufmerksamkeit erreichten diese Meldungen dann aber nicht mehr.

Das ist auch eine Folge der Berichterstattung vom Frühjahr dieses Jahres. Wochenlange Sondersendungen und immer aktuelle Liverticker vermittelten in den seltensten Fällen konkrete Informationen. Viel zu oft wurde wegen der unklaren Nachrichtenlage auf Spekulationen und Mutmaßungen zurückgegriffen. Alle möglichen Katastrophenszenarien wurden in den schwärzesten Farben ausgemalt. Manche Japan-Korrespondenten hatten im März eilig ihre Koffer gepackt und das Land verlassen. Die Dauernachrichten mit mäßigem Informationswert sorgten bei vielen Medienkonsumenten bald für Übersättigung und Überforderung. Anfangs hielt die Furcht vor den möglichen Auswirkungen des Gaus viele Menschen vor dem Bildschirm, doch spätestens in der zweiten Woche wurde vielerorts weggeschaltet, wenn wieder eine Sendung zu Fukushima angekündigt wurde.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/210481.mediale-abstumpfung.html

Peter Nowak

Die Grenzen der Demokratie im EU-Projekt

Die letzten Tage dürften für Klarheit bei den Trägern der Sozialproteste gesorgt haben

In Griechenland läuft alles auf eine große Notstandskoalition hinaus (Machtspiele der großen Parteien in Griechenland). Das ist auch die Folge der Lektion, welche die griechische Regierung in der letzten Woche gelernt hat. Sie lautet, dass die Demokratie keineswegs das konstitutionelle Element der europäischen Gemeinschaft ist. Die kurze Zeit zwischen der Ankündigung eines Referendums über die EU-Beschlüsse und der Absage wenige Tage später durch den griechischen Ministerpräsidenten zeigten die Panik auf in welche die EU-Elite geriet, als der Regierungschef eines EU-Landes es wagte, die Bevölkerung befragen zu wollen, ob sie den Maßnahmen überhaupt zustimmt, die gravierende Auswirkungen auf ihr Leben haben..

Dabei war es die Absicht des griechischen Ministerpräsidenten, den von der EU geforderten Kurs der Haushaltssanierung durch ein Referendum gestärkt umsetzen zu können. Damit wäre nicht nur seine Regierung, sondern auch die EU-Politik bestätigt worden. Aber allein die Möglichkeit, dass, wie nun mal bei demokratischen Abstimmungen nicht zu vermeiden, die Mehrheit auch mit Nein stimmen könnte, führte zu Panikreaktionen, als stünde ein kommunistischer Umsturz in Athen bevor. Schließlich könnte der demokratische Virus auch auf andere Länder übergreifen. Dass der Druck auf den griechischen Ministerpräsidenten massiv war, verschweigen die Befürworter dieses Kurses gar nicht.

„Die EU ist kein Wohlfahrtsverein“

„Seit dem G-20-Gipfel von Cannes ist ein für alle Mal klar: Die EU ist kein Wohlfahrtsverein. Die Konsequenzen dieser Einsicht werden erheblich sein – auch was Verwerfungen angeht“, kommentiert die FAZ am Wochenende.

„Und was ist mit der Souveränität? Und wie steht es mit der Demokratie in den nun unter Kuratel gestellten oder überwachten Staaten? Die Grenzen ihrer Souveränität haben die Märkte den betroffenen Staaten aufgezeigt“, beantwortet das konservative Blatt die rhetorische Frage selber.

Während der FAZ-Kommentator durch die Verwendung des Pronomens „Wir“ den Standpunkt der deutschen Regierung selbstverständlich einnimmt, dann aber anonyme Märkte als Begründung für den Notstand der Demokratie heranzieht, bleiben konservative Medien in den europäischen Nachbarländern weniger allgemein. So schrieb der Figaro:

„Ab sofort wird Europa stärker den deutschen Prioritäten Rechnung tragen müssen – vor allem auch in der Budgetdisziplin, die von Berlin aus gesehen seit der griechischen Krise in Europa aus dem Ruder gelaufen ist.“

Damit trägt das regierungsnahe Blatt der Tatsache Rechnung, dass der französische Präsident mit seinen Bestreben, die Maastrichter Stabilitätskriterien zu lockern, an der deutschen Bundeskanzlerin gescheitert ist. Sarkozy wollte eine höhere Staatsverschuldung in Kauf nehmen, um die Proteste gegen die EU-Spardiktate, die nicht nur in Griechenland seit Wochen zu beobachten sind, einzudämmen.

Die Grenzen der Demokratie bekam auch Italien schon zu spüren, dessen Wirtschaftspolitik in Zukunft von EU und IWF überwacht werden soll. Doch nicht die Berlusconi-Regierung, sondern die Gewerkschaften, Studierenden und sozialen Bewegungen sind es, die schon lange gegen weitere soziale Verschlechterungen mobil machen. Sie kämpfen nicht gegen Berlusconi, um einen EU-genehmen Sparkommissar zu akzeptieren.

Was geschieht, wenn sich die sozialen Bewegungen nicht verlaufen?

Die deutsche Regierung, verwöhnt von den marginalen sozialen Protesten im eigenen Land, will die gesamte EU-Zone nach dem Vorbild der deutschen Wirtschaftspolitik gestalten. Was aber passiert, wenn sich die sozialen Bewegungen in Griechenland, Italien, Portugal, Spanien und vielleicht demnächst in Frankreich nicht verlaufen und marginalisieren lassen wie in Deutschland?

Diese Frage wird sich vermehrt stellen, nachdem in den letzten Tagen am Beispiel Griechenland die Grenzen der Demokratie im EU-Projekt so deutlich wie nie markiert wurden. Die letzten Tage dürften da auch für Klarheit bei den Trägern der Sozialproteste gesorgt haben In Zukunft werden sie in den europäischen Nachbarländern verstärkt gegen das EU-Modell Deutschland geführt werden. Illusionen über demokratische Prozesse bei den Aktivisten dürften endgültig geschwunden sein.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150775

Peter Nowak

Korpsgeist im Späti

In den Spätverkäufen sind nicht nur die Arbeitsverhältnisse prekär, auch die Läden selbst kämpfen häufig ums Überleben. Wie schwer es dadurch ist, die Situation der Beschäftigten zu verbessern, zeigt der Fall eines ehemaligen Verkäufers aus Berlin.
Welcher Hauptstadtbewohner hat sich noch nicht zu später Stunde etwas in einem sogenannten Spätkauf besorgt. Doch wer macht sich dabei Gedanken über die Arbeitsbedingungen des Verkäufers? Diese Frage richtete ein Redner Mitte Oktober bei einer Aktion im Berliner Stadtteil Friedrichshain an die Passanten. Dort hatte die Freie ArbeiterInnen-Union (FAU) zusammen mit Stadtteilaktivisten eine Kundgebung organisiert, die der Unterstützung eines ehemaligen Spätkauf-Beschäftigen galt, der sich im Konflikt mit seinem alten Arbeitgeber befindet.

Daniel Reilig* hatte mehrere Jahre im Spätkauf »Mumbai Corner« im Samariterkiez gearbeitet. Als Minijobber, der sein ALG II ein wenig »aufstocken« wollte, sollte er laut Vertrag 20 Stunden monatlich arbeiten, wie er der Jungle World berichtet. Doch in Wirklichkeit, beklagt Reilig, habe seine Arbeitszeit bis zu 60 Stunden in der Woche betragen. Dadurch habe er faktisch für weniger als zwei Euro die Stunde gearbeitet. Zudem habe er seine Mahlzeiten meistens an der Ladentheke verzehren müssen. Da dem Laden überdies ein Internet-Café und ein Hermes-Versandhandel angegliedert sind, waren die Pausen selten, erklärt der ausgebildete Industriekaufmann.
Prekärer Kreislauf: Als billiger Kneipenersatz ziehen Spätis, Trinkhallen und »Wasserhäuschen« – so die regionalen Bezeichnungen – auch eine Kundschaft mit schmalem Geldbeutel an
Prekärer Kreislauf: Als billiger Kneipenersatz ziehen Spätis, Trinkhallen und »Wasserhäuschen« – so die regionalen Bezeichnungen – auch eine Kundschaft mit schmalem Geldbeutel an (Foto: PA/Julian Stratenschulte)

Unter solchen Bedingungen soll Reilig drei Jahre lang gearbeitet haben. Erst als ein Streit mit dem Besitzer über eine auf die Kasse gerichtete Kamera eskalierte, war »das Maß des Erträglichen überschritten«, so der ehemalige Verkäufer. Nachdem das Arbeitsverhältnis aufgelöst worden war, wandte sich Reilig an die FAU Berlin, die ihm gewerkschaftliche Unterstützung zusicherte. Mit Hilfe des Berliner Arbeitsrechtlers Klaus Stähle versucht Reilig nun, seinen entgangenen Arbeitslohn rückwirkend einzuklagen. Der Anwalt sieht grundsätzlich gute Chancen. »Wichtig dabei ist, dass sich durch Zeugenaussagen oder andere Belege die tatsächliche Arbeitszeit nachweisen lässt«, betont der Jurist gegenüber der Jungle World. Und in diesem Fall würden einige Stammkunden bezeugen können, dass sie Reilig sehr häufig hinter der Ladentheke gesehen haben. Der Spätkaufbesitzer ließ dagegen über seinen Anwalt erklären, Reilig sei, wie vertraglich vereinbart, nur 20 Stunden im Monat beschäftigt gewesen und habe sich in dieser Zeit vor allem um die Warenbestellung gekümmert.

Für Stähle ist die Klage juristisches Neuland. Bisher habe sich noch nie ein Spätkaufbeschäftigter an ihn gewandt. Als einen Grund für die Zurückhaltung führt der Anwalt an, dass viele Betroffene nicht wüssten, dass sie mit Prozesskostenhilfe rechnen können. Auch die für die Berliner Einzelhandelsbranche zuständige Verdi-Sekretärin Erika Ritter kann sich nicht daran erinnern, dass sich je ein Beschäftigter aus jenem Bereich an ihre Gewerkschaft gewandt habe. Selbst für die FAU, die bereits Erfahrung mit Organisierungsprozessen in prekären Sektoren gesammelt hat, ist es der erste Fall im Bereich der Spätverkäufe.

Die Gründe für die geringe Gegenwehr in Spätverkäufen sieht man bei der FAU Berlin nicht nur in dem unzureichenden Kenntnisstand, den viele Beschäftigte über ihre Rechte hätten. Schließlich habe man es »nicht nur mit prekären Arbeitsverhältnissen zu tun, sondern mit einer regelrechten prekären Ökonomie«, sagt Florian Wegner, Sekretär der FAU Berlin. Tatsächlich ist nach der Einführung von Hartz IV die Zahl der Selbstständigen vor allem im Einzelhandel und der Gastronomie angewachsen, wo der Brancheneinstieg relativ einfach erscheint. Jedoch erweist sich der Traum vom eigenen Laden, mit dem man aus der Arbeitslosigkeit flüchten möchte, meist als Illu­sion. Für die Selbständigen setzt sich dort häufig die Prekarität fort. Denn »die hohe Wettbewerbs­intensität«, so Wegner, »kann meist nur durch schonungslose Selbstausbeutung oder die Ausnutzung billigster Arbeitskräfte kompensiert werden«. Dabei wird häufig auch auf mithelfende Familienangehörige zurückgriffen, aber auch auf Freunde und Bekannte. »Flache Hierarchien« und lockere Umgangsformen scheinen dazu beizutragen, dass beim Lohn häufig nicht so genau nachgerechnet wird.

Auch Reilig sah zunächst kein größeres Problem darin, gewissermaßen als Filialleiter auf Minijob-Basis zu fungieren. Zuvor hatte er Erfahrungen mit unbezahlter Arbeit gemacht. Vier Wochen lang habe er als Praktikant in einem Discounter Regale eingeräumt, erzählt er. Während dieser als Probezeit deklarierten Beschäftigungsphase habe er ständig unter der Beobachtung der Filialleiterin gestanden und kaum Pausen gehabt. Obwohl er keinen Lohn bekam, wollte er diesen »Null-Euro-Job« nicht kündigen, weil er als ALG-II-Empfänger Sanktionen vom Jobcenter befürchtete. Danach sei Reilig erst einmal froh gewesen, den Job im Spätkauf gefunden zu haben.

Die lockere Atmosphäre im Spätkauf, wo scheinbar alle gleich prekär arbeiten, war es auch bei Reilig, die ihn zunächst über den niedrigen Lohn hinwegsehen ließ. In einem Arbeitspapier der FAU Berlin ist in diesem Zusammenhang von »einer Art Mini-Korporatismus« die Rede, der sich in prekären Ökonomien häufig zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten herausbilde: »Alle Beteiligten haben im Hinterkopf, dass höhere Löhne den Laden ruinieren könnten.« Das bekam auch Reilig zu spüren. Nachdem er sich zu wehren begonnen hatte, blieb die Unterstützung durch die anderen Angestellten des Inhabers, der zwei Läden betreibt, aus, obwohl diese unter den gleichen Bedingungen gearbeitet und sich im kleinen Kreis häufiger beklagt haben sollen.

»Wo sich Belegschaften nur schwer wehren können, müssen andere Wege der Unterstützung gefunden werden«, hieß es in einem Redebeitrag auf der Kundgebung. So könnten Kunden, die meist in der Nähe des Ladens wohnen, Einfluss auf die Situation nehmen. In den USA ist dieser Ansatz unter dem Begriff »Community Organizing« bekannt. Dort wird schon länger versucht, Arbeitskämpfe in schwer organisierbaren Bereichen durch Initiativen von Nachbarn und Kunden zu unterstützen. Selbst Verdi hat beim letzten großen Einzelhandelsstreik 2008 auf das Konzept der »kritischen Kunden« zurückgegriffen. So wurde während eines Aktionstags die Filiale einer bestreikten Ladenkette von solidarischen Kunden blockiert.

Dass solche Aktionen durchaus etwas bewirken können, machte zuletzt die Kampagne für »Emmely« deutlich. Von der Kündigung der Kassiererin bei Kaiser’s erfuhren damals einige Kunden im Rahmen eines solchen Aktionstags. Sie gründeten daraufhin ein Solidaritätskomitee und ini­tiierten eine bundesweite Kampagne, die nicht nur dafür sorgte, dass die Frau wieder eingestellt werden musste. Ihr Fall wurde auch zu einem Symbol für Gegenwehr und Solidarität in schwer organisierbaren Bereichen. Die Soziologin Ingrid Artus wies in diesem Zusammenhang darauf hin, wie wichtig die Unterstützung in solchen »Einzelfällen« ist. Auch im Fall von Reilig scheint die Unterstützung durch ein solidarisches Umfeld Wirkung zu zeigen. So beklagte die Arbeitgeberseite in der ersten Güteverhandlung Ende Oktober, dass deren Umsatz um die Hälfte eingebrochen sei. Außerdem wurde inzwischen die Klage des Ladenbesitzers gegen das Onlinemagazin »Trend« abgewiesen, mit der anscheinend die Berichterstattung über den Fall unterbunden werden sollte. Auch damit hatte sich der Besitzer keine Freunde im Kiez gemacht.

http://jungle-world.com/artikel/2011/44/44248.html

Peter Nowak 

Weihnachten bei Amazon

Erwerbslosenforum und Beschäftigte erheben neue Vorwürfe gegen Internetversandhandel
Kostenlose Arbeitskräfte für das Weihnachtsgeschäft? Neue Vorwürfe gegen die Arbeitsbedingungen beim Online-Versandriesen Amazon werden laut.

Nach Angaben des Erwerbslosenforums lässt Amazon sich für das Weihnachtsgeschäft ALG-II-Berechtigte als Praktikanten vom Jobcenter vermitteln. Ein Erwerbsloser hatte sich an das Forum gewandt, nachdem er vom Jobcenter an den Internetversandhandel vermittelt wurde.

Nach seinen Schilderungen lässt sich das Unternahmen die Aushilfsarbeitskräfte zum Verpacken der Waren für das Weihnachtsgeschäft vom Jobcenter subventionieren. Er sei in einer Gruppe mit 90 Erwerbslosen zu einer mehrstündigen Informationsveranstaltung in Werne (Nordrhein-Westfalen) eingeladen worden. Dort seien neben Amazon-Verantwortlichen auch Mitarbeiter des Jobcenters anwesend gewesen. Die Erwerbslosen sollten für zwei Wochen als »Praktikanten« ihre Arbeitskraft kostenlos zur Verfügung stellen. Sie bekommen in dieser Anlernzeit weiterhin ALG II und zusätzlich die Fahrtkosten erstattet. Bei einer zukünftigen Einstellung sollen die Aushilfskräfte wöchentlich 38,5 Stunden arbeiten, bekommen aber nur 35 Stunden bezahlt. Wenn sich ein Erwerbsloser weigert, unter diesen Bedingungen bei Amazon zu arbeiten, drohen ihm nach den Beschreibungen Sanktionen durch das Jobcenter.

Der Sprecher des Erwerbslosenforums Martin Behrsing bezeichnete das Vorgehen als »schier unerträglich« und forderte die Bundesagentur für Arbeit auf, »schleunigst dafür zu sorgen, dass diese Praxis des Abzockens auf allen Ebenen sofort gestoppt wird«. Hier werde ein international agierender Konzern auf Kosten von Erwerbslosen subventioniert.

Die Druckmittel gegen Amazon sind allerdings begrenzt. Daher ist es eher unwahrscheinlich, dass die Beschäftigten die Aufforderung »Occupy Amazon«, mit der die Presseerklärung des Erwerbslosenforums endet, umsetzen.

Denn die Angst unter den Mitarbeitern ist groß, wie Report Mainz bei Recherchen herausfand. Amazon-Mitarbeiter der Standorte Leipzig und Bad Hersfeld berichteten dem Sender, dass sie teilweise über mehrere Jahre immer wieder befristete Arbeitsverträge bekommen. Die Furcht, nach dem Auslaufen des Vertrags nicht übernommen zu werden, führte dazu, dass die Beschäftigten trotz Krankheit zur Arbeit erschienen. »Der Druck ist groß«, bestätigte eine Mitarbeiterin. Immer mehr Firmen würden Vollzeitarbeitsplätze abbauen und durch befristete Verträge ersetzen, meint der Arbeitssoziologe Klaus Dörre. Er bezeichnet diese Maßnahme als Disziplinierungsinstrument.

Diese Einschätzung bestätigt Amazon indirekt. Sie gibt als Gründe für die Ausweitung der Befristungen an, dass damit die Nachfrageschwankungen innerhalb eines Jahres aufgefangen und besonders engagierte Mitarbeiter gewonnen werden sollen. Sprich: Sind die Arbeitsplätze unsicher, steigt das Engagement.

Allerdings wächst in der letzten Zeit auch die Bereitschaft von Amazon-Mitarbeitern, sich gewerkschaftlich zu engagieren. Das berichtet Julian Jaedicke gegenüber »nd«. Er ist Organizer für die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in Bad Hersfeld. Dort beträgt die Probezeit, in der die Beschäftigten ohne Lohn arbeiten müssen, eine Woche. Von den 5000 Mitarbeitern der Hersfelder Filiale haben 3000 befristete Arbeitsverträge.

Viele Beschäftigte hätten Angst sich zu positionieren. »Wenn wir einen festen Arbeitsvertrag haben, werden wir aktiv«, lautet die Devise. Mittlerweile wachse der Druck des Unternehmens auf die Organizer, die die Kantine von Amazon nicht mehr betreten dürfen. Allerdings habe ihre Arbeit Früchte getragen. »Mittlerweile verteilen die Mitarbeiter die Materialen in der Kantine«, erzählt Jaedicke.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/210419.weihnachten-bei-amazon.html

Peter Nowak

Modernisierung ohne Mieterbeteiligung

In der Jablonskistraße in Prenzlauer Berg wehren sich Mieter/innen dagegen, dass trotz Milieuschutzsatzung über ihre Köpfe hinweg modernisiert wird

Rudolf und Heike Schmidt wohnen seit mehr als 25 Jahren in der Jablonskistraße 37 in Prenzlauer Berg. Mittlerweile gehören Lärm und Staub zu ihrem Wohnalltag, denn seit über einem Jahr leben die Schmidts auf einer Baustelle. Im Sommer 2009 erwarb die Schneider Grundbesitz GmbH und Co. KG mit Sitz in Stimpfach das Haus. Das Unternehmen wirbt auf seiner Homepage unter anderem damit, beim Bundeskanzleramt und beim Hauptbahnhof die Fassaden gestaltet zu haben.
Die Mieter/innen der Jablonskistraße 37 sind von diesen Referenzen wenig beeindruckt. Sie erleben die Modernisierung ihres Hauses als chaotisch und fühlen sich übergangen. Im Juni 2010 begannen die Bauarbeiten. „Wir waren völlig überrascht, dass in den leer stehenden 1-Raum-Wohnungen im Hinterhaus plötzlich die Wände herausgerissen wurden, ohne dass jemand mit uns Kontakt aufgenommen hatte. Wir wandten uns sofort an das Bauamt, wo wir erfuhren, dass zu diesen Zeitpunkt noch nicht einmal ein formgerechter Bauantrag vorlag“, berichtet Rudolf Schmidt. Er hat mittlerweile mehrere Aktenordner voll mit Unterlagen, die seinen beharrlichen Kampf gegen die Modernisierung dokumentieren. Schmidt kennt seine Mieterrechte. Mittlerweile musste er zwar auch erfahren, dass sie manchmal nur schwer durchzusetzen sind, aber Teilerfolge gibt es. Nachdem er im letzten Sommer wegen unvollständiger Genehmigungen zwei Baustopps erwirkte, ruhten die Bauarbeiten von August 2010 bis zu Beginn dieses Jahres. Die Eigentümer dürften diese Baustopps bereits einiges an Geld und Nerven gekostet haben.

Duldungsklagen gegen mehrere Mieter/innen

Nachdem am 4. Januar 2011 die Baugenehmigung unter Milieuschutzrichtlinien erteilt worden war, gingen die Bauarbeiten am 10. Januar weiter. „Es war alles so, als wäre seit August nichts geschehen. Wir Mieter wurden bestenfalls durch einen Zettel im Briefkasten in Kenntnis gesetzt, wann Wasser, Gas oder Strom abgestellt werden“, moniert Schmidt. Auch die mangelnde Baukoordinierung und die fehlende Kommunikation mit den Mieter/innen bemängelt er. Als Beispiel nennt er die Entfernung von Schornsteinköpfen, obwohl noch Öfen an den Schornsteinen angeschlossen waren und der Bezirksschornsteinfegermeister keine Kenntnis von dem Abriss hatte. Ein Mieter mit Ofenanschluss an dem nicht mehr benutzbaren Schornstein sei von der Hausverwaltung gedrängt worden, sofort eine Umsetzwohnung zu beziehen. Nach anfänglichem Sträuben habe er sich schließlich dazu bereit erklärt. Auch der Umzug der Mieter/innen in der vierten Etage des Vorderhauses erfolgte nicht ganz freiwillig. Nach starken Regenfällen im Juni 2011 und infolge versäumter Dachentwässerung waren ihre Wohnungen wegen starker Wasserschäden unbewohnbar. Wegen Schimmel und Feuchtigkeit zog eine Mieterin mit einem Kind schließlich in eine Umsetzwohnung.

Bisher haben die Schmidts, die Mitglieder der Berliner MieterGemeinschaft sind, keine Modernisierungsvereinbarung unterschrieben. Inzwischen werden sie wie auch andere Mieter/innen von den Eigentümern auf Duldung der Modernisierung verklagt. Die ersten Gerichtstermine sind Ende des Jahres angesetzt.Das Gebäude liegt im Milieuschutzgebiet Winsstraße-Nord. Ein Mitarbeiter des zuständigen Bezirksamts Pankow erklärte auf Nachfrage des MieterEchos, ihm seien die Probleme der Mieter/innen aus der Jablonskistraße 37 bekannt. Details wollte er nicht nennen.

http://www.bmgev.de/mieterecho/archiv/2011/me-single/article/modernisierung-ohne-mieterbeteiligung.html

Peter Nowak

MieterEcho 350 / Oktober 2011

Raum für kritische Interventionen

FILM Das Filmfest „Globale“ zeigt Sozialkritisches aus aller Welt – und von Berliner Arbeitskämpfen

Am Donnerstag beginnt im Moviemento-Kino in Kreuzberg die diesjährige Globale. Bis zum 9. November präsentiert das globalisierungskritische Filmfestival rund 50 Filme zu den Themen Migration, Vertreibung, Feminismus und soziale Kämpfe.

Ein Highlight sind dieses Jahr Filme aus Afrika, die in Berlin bisher nicht zu sehen waren. Dieser Schwerpunkt ist Jordane Maurs zu verdanken, die mehrere Jahre bei einer Nichtregierungsorganisation in Mali gearbeitet hat, bevor sie zum Globale-Team gestoßen ist. Von ihr ist der Film „Der unwissende Lehrmeister. Kommentare“ zu sehen, der Einblicke in das kolonial geprägte Erziehungssystem vieler afrikanischer Länder gibt. Der Film „Depuis l’ecole publique“ widmet sich den Landraub in Afrika und damit einem sehr aktuellen Thema. Mit „Früchte des Zorns“ wird auf der Globale ein Klassiker des sozialkritischen Films wieder vorgestellt. Zu den Gästen, die im Anschluss an die Aufführung mit dem Publikum diskutieren, gehört der Theaterintendant Armin Petras.

Auch lokale Themen werden nicht zu kurz kommen. In dem Film „Das Ende der Vertretung“ wird an den Arbeitskampf im Berliner Einzelhandel und die ambivalente Rolle der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di erinnert. Mit der Aufführung des Films „arbeitsscheu – abnormal – asozal“ der Berliner Filmemacherin Andrea Behrendt wird an die lange vergessene Geschichte der Verfolgung von als asozial stigmatisierten Menschen nicht nur im Nationalsozialismus erinnert. Im Anschluss werden AktivistInnen des „Arbeitskreises Marginalisierte gestern und heute“ von ihrer schwierigen Arbeit berichten, diese Verfolgtengruppe zu würdigen.

Die KuratorInnen und OrganisatorInnen der Globale kommen nicht aus der Kunstszene, sondern aus politischen Projekten. Jedes Jahr stoßen neue Interessierte dazu, andere verlassen das Projekt nach einiger Zeit. Die Globale wurde 2003 als ehrenamtliches Projekt von filmbegeisterten politischen Menschen gegründet, als die globalisierungskritische Bewegung gerade ihren Zenit überschritten hatte. Ziel war, die gesellschaftlichen Widersprüche und die Auswirkungen der neoliberalen Globalisierung mit künstlerischen Mitteln darzustellen und zu kritisieren. Acht Jahre später gehen im Rahmen der Krisenproteste wieder in vielen Ländern Menschen auf die Straße. Die richtige Zeit für ein Festival, das kritischen künstlerischen Interventionen Raum bietet.

www.globale-filmfestival.org

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2011%2F11%2F02%2Fa0148&cHash=438f9146a6

Peter Nowak

Trittbrettfahrer

NPD & Co. versuchen, in der Occupy-Bewegung mitzumischen.

„Occupy-Demo erfolgreich okkupiert“, stellte die NPD Frankfurt zufrieden auf ihrer Homepage fest. Die Partei hatte zu einen Aktionstag gegen den Euro aufgerufen und dabei die Demonstration der Occupy-Bewegung genutzt, die aus Protest gegen das Finanzsystem im Bankenviertel der Mainmetropole campt.

„Da rechte Aktivisten heutzutage aber nicht mehr so aussehen, wie es sich linke Musterdemokraten“ für gewöhnlich vorstellen, konnten sich die NPD-Leute unbemerkt unters Volk mischen und eine ansehnliche Anzahl ihrer Flugblätter unbehelligt streuen“, schreibt  die Frankfurter NPD  auf ihrer Homepage. Die war allerdings Ende Oktober einige Tage nicht online. Der Occupy-Bewegung nahestehende Internetaktivisten hatten mehrere rechte Seiten  gehackt, auf denen unter dem Motto „Okkupiert Occupy“ dazu aufgerufen wurde, in die neue Protestbewegung mit rechten Inhalten zu intervenieren.

Nicht nur die NPD versucht, in der neuen Bewegung  mitzumischen.  Auch ein „Aktionsbündnis Direkte Demokratie“ organisierte eine Kundgebung vor dem Camp. Das Bündnis agiert gegen die EU und die „Neue Weltordnung“, grenzt sich allerdings von allen Parteien ab.

Aktiv im Protestcamp waren zumindest in der Anfangszeit auch Aktivisten der Zeitgeist-Bewegung, die Politik und Ideologie grundsätzlich ablehnt. Kritiker werfen den Zeitgeistlern vor, verschwörungstheoretische und strukturell antisemitische Tendenzen in ihren  Filmen zu fördern. Die Leipziger Bankenkritiker distanzierten sich schon Mitte Oktober von mehreren rechten Internetseiten, die den Eindruck erwecken wollten, die Proteste würden von ihnen maßgeblich initiiert.

http://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/trittbrettfahrer-0

Peter Nowak