Tod im Jobcenter nicht verharmlosen

Angriff auf Mitarbeiterin in Neuss sorgt für Debatten

Der gewaltsame Tod einer Jobcentermitarbeiterin aus Neuss Ende September sorgt weiter für heftige Diskussionen unter aktiven Erwerbslosen. Die Bundesagentur für Arbeit kündigte in einem Brief an, verharmlosende oder beleidigende Beiträge juristisch verfolgen zu wollen.

Ein Erwerbsloser griff am 26. September eine Jobcentermitarbeiterin aus Neuss mit einem Messer an und verletzte sie tödlich. Zuvor hatte er bei einem anderen Mitarbeiter eine Vereinbarung unterschreiben, die auch seinen Datenschutz tangierte. Der Mann wollte nach einer Bedenkzeit seine Unterschrift unter die Einwilligung zurückziehen, traf aber den zuständigen Mitarbeiter nicht mehr an. Der tödliche Angriff wurde von den Erwerbslosen verurteilt, aber in Foren wurde auch über die Zustände in den Jobcentern diskutiert, die solche Bluttaten erst möglich machen. Diese Diskussionen ebenso wie die Presseberichte zum Thema scheinen beim zuständigen Jobcenter auf Unmut zu stoßen. Das Erwerbslosenforum Deutschland hat eine Mail bekannt gemacht, die von der Vorsitzenden der Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen der Bundesanstalt für Arbeit (BA) Christiane Schönefeld an alle Mitarbeiter der Arbeitsagenturen und Jobcenter in NRW geschickt wurde
Darin wird heftige Medienschelte geübt: „Von einem Teil der Medien wird der Tod unserer Kollegin in der Berichterstattung zum Anlass genommen, Missstände und gesellschaftliche Verwerfungen anzuprangern. Zudem wird dort angekündigt, das systematisch Internetforen und Blogs auf mögliche strafbare Äußerungen im Zusammenhang mit dem Tod der Mitarbeiterin kontrolliert werden. Schönefeld moniert in der Mail „verharmlosende, verfälschende und sogar menschenverachtende Beiträgen“ und kündigt juristische Konsequenzen an „Wir werten diese Beiträge bundesweit auf justiziable Äußerungen aus und die Verfasser werden gerichtlich belangt“.
Werner Marquis, der bei der Regionaldirektion der Bundesanstalt für Arbeit für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, bestätigte gegenüber nd die Echtheit des Schreibens.

Martin Behrsing vom Erwerbslosenforum kann die Wut und die Trauer über die Wut und Trauer der Jobcenter- Mitarbeiter nachvollziehen. „ Mit Messern oder anderen gefährlichen Gegenständen geht man nicht in eine Behörde“, lehnt der jedes Verständnis für die Bluttat ab. Im Erwerbslosenforum seien Beiträge, in denen Verständnis für die Bluttat gezeigt wurde und das Opfer zum Täter gemacht wurde, konsequent gelöscht worden, betont er. Auch Postings aus dem rechten Umfeld, in dem die nichtdeutsche Herkunft des Täters zum Anlass für offen rassistische Hetze genutzt wurde, seien sofort gelöscht worden. „Das Erwerbslosen Forum Deutschland gehört eher dem demokratischen linken Spektrum an. Beiträge, die in eine völkische, nationalistische, sexistische und rassistische Richtung, werden konsequent von uns gelöscht und entsprechende Internet-User ausgeschlossen“, stellte Behrsing gegenüber nd die Grundsätze des Forums klar.
Doch er zeigt sich auch die Diktion von Schönefelds Schreiben befremdet. „Es bestehen jetzt berechtigte Sorgen, dass Jobcenter nur all zu leicht zu Hochsicherheitstrakten umgebaut werden, die dann ganz bestimmt kein Ort der Kommunikation sein können.“ Doch gerade diese Kooperation sei das beste Mittel um Bluttaten wie in Neuss zu verhindern.
„Wir wünschen uns dass es ein Nachvollziehen für viele betroffene Erwerbslose gibt, die durch nicht zu rechtfertigende Sanktionen bzw. Zahlungseinstellungen kaum noch Verständnis für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufbringen können“, betont Behrsing.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/801008.tod-im-jobcenter-nicht-verharmlosen.htm

Peter Nowak
https://www.neues-deutschland.de/artikel/801008.tod-im-jobcenter-nicht-verharmlosen.htm
Peter Nowak

Ist Kritik an Situation in Jobcenter gleich ein Fall für die Justiz?

Die Mail einer Regionaldirektorin der BA wirft Fragen auf

Der gewaltsame Tod einer Jobcentermitarbeiterin aus Neuss vor einer Woche sorgt weiter für heftige Diskussionen unter aktiven Erwerbslosen. Ein Erwerbsloser hatte die Mitarbeitern mit einem Messer angegriffen und tödlich verletzt, nachdem er bei einem anderen Mitarbeiter gegen seinen Willen eine Vereinbarung unterschreiben musste, die auch seinen Datenschutz tangierte. Der Mann wollte nach einer Bedenkzeit seine Unterschrift unter die Einwilligung zurückziehen, traf aber den zuständigen Mitarbeiter nicht mehr an.

Der tödliche Angriff wurde von den Erwerbslosen verurteilt, aber in Foren wurde auch über die Zustände in den Jobcentern diskutiert, die solche Bluttaten erst möglich machen. Diese Diskussionen ebenso wie die Presseberichte zum Thema scheinen beim zuständigen Jobcenter auf Unmut zu stoßen. Das Erwerbslosenforum Deutschland hat nun eine Mail bekannt gemacht, die von der Vorsitzenden der Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen der Bundesanstalt für Arbeit, Christiane Schönefeld, an alle Mitarbeiter der Arbeitsagenturen und Jobcenter in NRW geschickt wurde. Gleich zu Beginn wird Medienschelte geübt: „Der traurige Anlass hat bundesweit Bedeutung. Von einem Teil der Medien wird der Tod unserer Kollegin in der Berichterstattung zum Anlass genommen, Missstände und gesellschaftliche Verwerfungen anzuprangern.“

Zudem scheint die BA systematisch Internetforen und Blogs auf mögliche strafbare Äußerungen im Zusammenhang mit dem Tod der Mitarbeiterinnen zu kontrollieren. Schönefeld schreibt in der Mail von „verharmlosenden, verfälschenden und sogar menschenverachtenden Beiträgen“ und kündigt an: „Wir werten diese Beiträge bundesweit auf justiziable Äußerungen aus und die Verfasser werden gerichtlich belangt.“

Werner Marquis, der bei der Regionaldirektion der Bundesanstalt für Arbeit für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, bestätigte gegenüber Telepolis die Echtheit des Schreibens. Die vom Erwerbslosenforum veröffentlichte Version sei allerdings nur ein Ausschnitt des Schreibens, das Schönefeld bereits am 1. Oktober verfasste. Mit der Veröffentlichung habe man keine Probleme, weil die BA davon ausgehe, dass von ihr verschickte Mails gestreut würden, betonte Marquis. Zur Art der Kontrolle der Internetbeiträge konnte er sich nicht äußern. Es werde aber alles dokumentiert, und es seien auch erste Anzeigen in Fällen gestellt worden, in denen die Äußerungen strafrechtlich relevant waren.

Kooperation angemahnt

Im Erwerbslosenforum seien Beiträge, in denen Verständnis für die Bluttat gezeigt wurde und das Opfer zum Täter gemacht wurde, konsequent gelöscht worden, betont Martin Behrsing gegenüber Telepolis. Auch Postings aus dem rechten Umfeld, in dem die nichtdeutsche Herkunft des Täters zum Anlass für offen rassistische Hetze genutzt wurde, seien ebenfalls sofort entfernt worden. Doch auch über die Diktion von Schönefelds Schreiben zeigt er sich befremdet. Schließlich könnten auch Berichte von Betroffenen, die über ihre Erfahrungen am Jobcenter berichten, in die Nähe von Straftaten gerückt werden. Schließlich hat das ELO bereits Erfahrungen mit juristischen Ermittlungen, nachdem Erwerbslose eine Entführung in einem Aachener Jobcenter diskutiert und kommentiert hatten.

„Wir wünschen uns, dass es ein Nachvollziehen für viele betroffene Erwerbslose gibt, die durch nicht zu rechtfertigende Sanktionen bzw. Zahlungseinstellungen kaum noch Verständnis für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufbringen können“, betont Behrsing und sprach sich für mehr Kooperation zwischen Erwerbslosen und Jobcentermitarbeitern aus .

Vor allem die gewerkschaftlich organisierten Mitarbeiter der Jobcenter müssten ein Interesse daran haben, dass eine Diskussion über die Zustände und den Druck in den Jobcentern beginnt. Schließlich klagen auch Jobcenter-Mitarbeiter in persönlichen Gesprächen, dass sie selber Druck von ihren Vorgesetzen ausgesetzt sind, den sie wiederum an die Erwerbslosen weitergeben sollen oder müssen. In Frankreich hatte sich vor einigen Jahren die Mitarbeiterin eines Arbeitsamtes persönlich verpflichtet, keinen Druck auf Erwerbslose auszuüben. Erwerbslose haben in Deutschland unter dem Motto „Fabienne gesucht“ Unterstützung von Jobcenter-Mitarbeitern angemahnt. Das Schreiben von Schönfeld vermittelt hingegen ein ganz anderes Signal.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152945
Peter Nowak

Weihnachten bei Amazon

Erwerbslosenforum und Beschäftigte erheben neue Vorwürfe gegen Internetversandhandel
Kostenlose Arbeitskräfte für das Weihnachtsgeschäft? Neue Vorwürfe gegen die Arbeitsbedingungen beim Online-Versandriesen Amazon werden laut.

Nach Angaben des Erwerbslosenforums lässt Amazon sich für das Weihnachtsgeschäft ALG-II-Berechtigte als Praktikanten vom Jobcenter vermitteln. Ein Erwerbsloser hatte sich an das Forum gewandt, nachdem er vom Jobcenter an den Internetversandhandel vermittelt wurde.

Nach seinen Schilderungen lässt sich das Unternahmen die Aushilfsarbeitskräfte zum Verpacken der Waren für das Weihnachtsgeschäft vom Jobcenter subventionieren. Er sei in einer Gruppe mit 90 Erwerbslosen zu einer mehrstündigen Informationsveranstaltung in Werne (Nordrhein-Westfalen) eingeladen worden. Dort seien neben Amazon-Verantwortlichen auch Mitarbeiter des Jobcenters anwesend gewesen. Die Erwerbslosen sollten für zwei Wochen als »Praktikanten« ihre Arbeitskraft kostenlos zur Verfügung stellen. Sie bekommen in dieser Anlernzeit weiterhin ALG II und zusätzlich die Fahrtkosten erstattet. Bei einer zukünftigen Einstellung sollen die Aushilfskräfte wöchentlich 38,5 Stunden arbeiten, bekommen aber nur 35 Stunden bezahlt. Wenn sich ein Erwerbsloser weigert, unter diesen Bedingungen bei Amazon zu arbeiten, drohen ihm nach den Beschreibungen Sanktionen durch das Jobcenter.

Der Sprecher des Erwerbslosenforums Martin Behrsing bezeichnete das Vorgehen als »schier unerträglich« und forderte die Bundesagentur für Arbeit auf, »schleunigst dafür zu sorgen, dass diese Praxis des Abzockens auf allen Ebenen sofort gestoppt wird«. Hier werde ein international agierender Konzern auf Kosten von Erwerbslosen subventioniert.

Die Druckmittel gegen Amazon sind allerdings begrenzt. Daher ist es eher unwahrscheinlich, dass die Beschäftigten die Aufforderung »Occupy Amazon«, mit der die Presseerklärung des Erwerbslosenforums endet, umsetzen.

Denn die Angst unter den Mitarbeitern ist groß, wie Report Mainz bei Recherchen herausfand. Amazon-Mitarbeiter der Standorte Leipzig und Bad Hersfeld berichteten dem Sender, dass sie teilweise über mehrere Jahre immer wieder befristete Arbeitsverträge bekommen. Die Furcht, nach dem Auslaufen des Vertrags nicht übernommen zu werden, führte dazu, dass die Beschäftigten trotz Krankheit zur Arbeit erschienen. »Der Druck ist groß«, bestätigte eine Mitarbeiterin. Immer mehr Firmen würden Vollzeitarbeitsplätze abbauen und durch befristete Verträge ersetzen, meint der Arbeitssoziologe Klaus Dörre. Er bezeichnet diese Maßnahme als Disziplinierungsinstrument.

Diese Einschätzung bestätigt Amazon indirekt. Sie gibt als Gründe für die Ausweitung der Befristungen an, dass damit die Nachfrageschwankungen innerhalb eines Jahres aufgefangen und besonders engagierte Mitarbeiter gewonnen werden sollen. Sprich: Sind die Arbeitsplätze unsicher, steigt das Engagement.

Allerdings wächst in der letzten Zeit auch die Bereitschaft von Amazon-Mitarbeitern, sich gewerkschaftlich zu engagieren. Das berichtet Julian Jaedicke gegenüber »nd«. Er ist Organizer für die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in Bad Hersfeld. Dort beträgt die Probezeit, in der die Beschäftigten ohne Lohn arbeiten müssen, eine Woche. Von den 5000 Mitarbeitern der Hersfelder Filiale haben 3000 befristete Arbeitsverträge.

Viele Beschäftigte hätten Angst sich zu positionieren. »Wenn wir einen festen Arbeitsvertrag haben, werden wir aktiv«, lautet die Devise. Mittlerweile wachse der Druck des Unternehmens auf die Organizer, die die Kantine von Amazon nicht mehr betreten dürfen. Allerdings habe ihre Arbeit Früchte getragen. »Mittlerweile verteilen die Mitarbeiter die Materialen in der Kantine«, erzählt Jaedicke.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/210419.weihnachten-bei-amazon.html

Peter Nowak