»Hände weg vom Streikrecht«

Gewerkschafter wehren sich gegen die vom DGB unterstützte Tarifeinheit per Gesetz
Bald soll in Deutschland das Prinzip »Ein Betrieb – Eine Gewerkschaft« per Gesetz gelten. So zumindest wünschen es sich die Arbeitgeber, und in selten harmonischer Einheit mit ihnen auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Doch in der Gewerkschaftslandschaft trifft die Linie des Dachverbandes schon seit Längerem auf Kritik. Nun hat sich eine Initiative gegen das Gesetzesvorhaben gegründet.   
Der Koalitionsausschuss der Bundesregierung will am 5. April über unterschiedliche Konzepte zur gesetzlichen Regelung der Tarifeinheit beraten. Demnach soll in einem Betrieb nur noch der Tarifvertrag der Gewerkschaft gelten, die die meisten Mitglieder hat. Alle anderen Beschäftigtenorganisationen müssten sich während der Laufzeit dieses Vertrages an die Friedenspflicht halten und dürfen nicht dagegen streiken. Unterstützung findet die Initiative von Seiten der Arbeitgeberverbände und des DGB. »Den Arbeitnehmern nutzt die Tarifeinheit, weil sie den Zusammenhalt innerhalb der Gesamtbelegschaften stärkt«, begründet der DGB-Vorsitzende Michael Sommer die Beteiligung seiner Organisation, und weiter: »Sie verhindert, dass einzelne Belegschaftsteile gegeneinander ausgespielt werden.
Die Initiative ist allerdings gewerkschaftsintern nicht unumstritten. An der DGB-Basis wächst die Kritik. So haben sich etwa die ver.di-Landesbezirke Berlin-Brandenburg, Bayern, Baden-Württemberg, NRW und Nord gegen die Tarifeinheitspläne ausgesprochen. »Die Postulierung der Friedenspflicht während der Laufzeit des vorrangigen Tarifvertrages soll auch gegenüber anderen Gewerkschaften gelten. Das bedeutet letztlich Streikverbot«, begründen die norddeutschen ver.di-Mitglieder in einem einstimmig gefassten Beschluss ihre Ablehnung. Unterdessen hat sich in Kassel die Initiative »Hände weg vom Streikrecht« gegründet. Am ersten Treffen beteiligten sich neben Mitgliedern der DGB-Gewerkschaften IG Metall, ver.di und der IG-Bergbau, Chemie, Energie (ICE) auch Aktivisten der Lokführergewerkschaft GDL und der anarchosyndikalistischen FAU. »Der gesetzesinitiativerischen Partnerschaft von DGB und BDA muss ein Riegel vorgeschoben werden«, erklärte der Lokführer Uwe Krug von der GDL-Berlin in Kassel das Anliegen der Initiative. Peter Gerstmann vom linksgewerkschaftlichen »Forum Betrieb, Gewerkschaft und soziale Bewegung Berlin« sah dort in einer gesetzlich festgeschriebenen Tarifeinheit eine Behinderung von Betriebskämpfen. »Die Initiative von DGB/BDA richtet sich weniger gegen die unternehmerabhängige Organisation AUB oder so genannte Christliche Gewerkschaften, die bisher keinerlei Arbeitskämpfe geführt haben, sondern gegen die Spartengewerkschaften GDL, Marburger Bund, UFO und Vereinigung Cockpit sowie andere, insbesondere kämpferische Gewerkschaften«, meinte er. Der Berliner Gewerkschaftler Willy Hajek, ebenfalls Teilnehmer des Kasseler Treffens, betonte im Gespräch mit ND eine besondere Qualität in der Zusammenarbeit zwischen Mitgliedern von Gewerkschaften inner- und außerhalb des DGB. Die Kooperation solle in der nächsten Zeit fortgesetzt werden. Der erste öffentliche Auftritt des Komitees soll auf den DGB-Veranstaltungen am 1. Mai stattfinden. In Berlin sollen daran auch Gewerkschafter aus Frankreich, Polen und Italien teilnahmen, die auf einer Veranstaltung am 30. April über die Verteidigung der Gewerkschaftsrechte in ihren Ländern berichten werden. Im September 2011 ist eine bundesweite Tagung des Komitees »Hände weg vom Streikrecht« geplant.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/193431.haende-weg-vom-streikrecht.html?sstr=Tarifeinheit|

Peter Nowak

Uni-Kodex noch zeitgemäß?

Die plagierte Doktorarbeit Karl Theodor zu Guttenbergs hatte eine Protestwelle aus dem Wissenschaftsbetrieb zur Folge, ohne die wohl der schnelle Rücktritt des Ministers nicht erfolgt wäre. Die Wissenschaftler haben sich mit Recht dagegen verwahrt, dass man einen Minister durchgehen lässt, was bei jeden Studenten zu Sanktionen führen würde. Nachdem die Personalie Guttenberg zumindest vorerst abgehackt ist, bestünde eine gute Gelegenheit über eine Frage öffentlich zu debattieren, die in der Plagiats-Debatte notwendigerweise bislang ausgeblendet wurde: Ist die vielbeschworene Regel der wissenschaftlichen Community, die für wissenschaftliche Arbeiten nur eine individuell zuweisbare Autorenschaft kennt, im Internet-Zeitalter noch zeitgemäß?

Bisher wird die Debatte nur in Insiderkreisen geführt. So berichtete die Online-Ausgabe der Wirtschaftszeitschrift »brand eins« über ein von dem US-Computerunternehmen Mozilla im letzten Jahr in Barcelona organisierten Treffen zum Thema »Bildung im Internetzeitalter«. Wie sich die Rolle von Schulen und Universitäten, von Lehrern und Professoren ändert, wenn sich jeder sein Wissen selbst im Internet zusammensucht und wie sich das auf die Regeln der Wissenschaftsgemeinde auswirkt, war bei dem Meeting eine zentrale Frage. Vor allem die Möglichkeiten des gemeinschaftlichen Lernens machen das Netz attraktiv. Schließlich kann sich dort schnell eine Gruppe von Lernenden mit kollektiven Lernergebnissen bilden. Kollektives Arbeiten steht auch bei der Onlineplattform Wikipedia im Mittelpunkt. Das Erstellen von Texten wird so zum gemeinschaftlichen Prozess, die Grenze zum Plagiat ist fließend. Der geltende Wissenschaftskodex stammt aber noch aus der Vor-Internet-Zeit. Daher müssen Studierende an vielen Hochschulen schon bei Seminararbeiten in einer Erklärung per Unterschrift versichern, alleiniger Verfasser zu sein.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/193416.uni-kodex-noch-zeitgemaess.html

Peter Nowak

Barrikaden am Kotti gegen Kapp

Revolutionäres aus Kreuzbergs linker Geschichte / Vortrag heute Abend
Straßenkämpfe und Barrikaden am Kottbuser Tor im Herzen von Kreuzberg. Wer denkt da nicht an den 1. Mai? Doch heute informiert Bernd Langer von der Gruppe Kunst und Kampf (kuk), die sich seit Jahren mit linker Geschichte befasst, über ein vergessenes Kapitel linker Geschichte und Repression.

Vor 91 Jahren, am Abend des 17. und in den frühen Morgenstunden des 18. November 1920, wurden rund um das Kottbusser Tor 18 Personen, überwiegend Arbeiter, von Militärs getötet. Sie hatten wie überall in Deutschland mit einem Generalstreik, Fabrikbesetzungen und Barrikadenbau den Kapp-Putsch verhindert. Er war der erste Versuch der monarchistischen und völkischen Rechten, die Weimarer Republik zu stürzen. An dem Putsch waren auch Freikorps beteiligt, die in den Monaten zuvor von der sozialdemokratisch geführten Reichsregierung gegen revolutionäre Arbeiter eingesetzt worden waren.

Im Widerstand gegen den Putschversuch waren Gewerkschaften, SPD, USPD und KPD vereint. Doch damit hörte die Gemeinsamkeit schon auf. Die SPD wollte zum Status quo vor dem Putsch zurück. Dagegen verlangten die KPD, aber auch Teile der Gewerkschaften und der parteilosen, in Räten zusammengeschlossenen Arbeiter, die Entmachtung der alten wirtschaftlichen und politischen Eliten.

Am Freitagabend wird Langer am historischen Ort, im Südblock des Flachbaus in der Admiralstraße 1-2, über das Geschehen vor 91 Jahren berichten. Wer waren die Menschen, die gegen den Putsch gekämpft haben und getötet wurden? Warum waren sie sogar in einem Stadtteil, der doch viel auf seine revolutionären Traditionen hält, bis heute vergessen? So lauten einige der Fragen. Sicher wird es auch um Möglichkeiten gehen, der Opfer rechter Militärs im Straßenbild zu gedenken.

Bernd Langer, der lange Zeit in der antifaschistischen Bewegung Göttingens aktiv war, befasst sich seit den 90er Jahren mit linker Geschichte. Er organisiert regelmäßig Stadtrundfahrten zu Orten von revolutionärer Geschichte, zu Widerstand und Repression. Im Jahr 2009 hat er im AktivDruck-Verlag das Buch »Revolution und bewaffnete Aufstände in Deutschland 1918-1923« herausgegeben. Daneben nutzt Langer die Kunst für die Geschichtsvermittlung.

So ist im Goldenen Saal des Kunsthauses Tacheles ein Acrylgemälde von Berd Langer ausgestellt, das den Mitteldeutschen Aufstand vor 90 Jahren thematisiert. Im März 1921 wollten Arbeiter im Industriegebiet um Halle/Merseburg und dem Mansfelder Land mit einem bewaffneten Aufstand die Revolution entfachen und die alten Eliten entmachten.

18.3., 19.30 Uhr, Südblock im Flachbau · Admiralstraße 1-2, am Kotti; www.kunst-und-kampf.de

http://www.neues-deutschland.de/artikel/193464.barrikaden-am-kotti-gegen-kapp.html

Peter Nowak

Der universelle Wert der Solidarität

Um wirkliche Solidarität mit den Aufständischen und Revolutionären im arabischen Raum zu üben, müsste die Linke ihre Staatsfixierung überwinden und die europäische Flüchtlingsabwehr bekämpfen.

Als sich Linke in Deutschland zu Jahresbeginn noch darüber stritten, ob das zivilisationskritische Manifest »Der kommende Aufstand« von situa­tionistischen oder von präfaschistischen Theoretikern beeinflusst sei, waren die realen Aufstände in Nordafrika und im Nahen Osten schon im Gange. In Tunesien und Ägypten wurden Diktatoren, die jahrzehntelang geherrscht hatten, innerhalb kurzer Zeit gestürzt. Auch in Libyen rüttelten große Teile der Bevölkerung bereits an den scheinbar festgefügten Herrschaftsverhältnissen.

Die linke Bewegung war davon völlig überrascht. Schließlich handelt es sich bei Tunesien, Ägypten und Libyen um Länder, von denen der Großteil der Linken mit einigen Ausnahmen kaum Ahnung hat. Die fortdauernde Unterdrückung von sozialen Bewegungen in diesen Ländern wurde nur von einem kleinen Kreis von Menschenrechtsaktivisten thematisiert. Dass es in Ägypten seit einem Jahrzehnt zu ausgedehnten Streiks gekommen ist, an denen nach Angaben des Professors für Mittelost-Studien an der Stanford-Universität, Joel Beinin, insgesamt mehr als zwei Millionen Menschen teilgenommen haben, wurde hierzulande kaum registriert.

Daher war auch weitgehend unbekannt, nach welchem Ereignis sich die »Bewegung des 6.April« benannt hatte, die zum Sturz des Mubarak-Regimes ganz wesentlich beigetragen hat. Der Name erinnert an den 6. April 2008. An diesem Tag ini­tiierten die Textilarbeiter von Mahalla al-Kubra eine Kampagne für die Erhöhung des Mindestlohns auf 1 200 äyptische Pfund im Monat. Bestreikt werden sollte dabei die größte Fabrik Ägyptens mit ca. 22 000 Beschäftigten. Doch die Sicherheitskräfte des Regimes besetzten die Fabrik und verhinderten so größere Streikmaßnahmen, eine Demonstration auf dem Hauptplatz von Mahalla al-Kubra wurde von der Polizei angegriffen. Immerhin bekam die Bewegung Aufmerksamkeit im ganzen Land.

Da viele deutsche Beobachter mit diesen Hintergründen nicht vertraut sind, herrscht hierzulande oft der Eindruck vor, das Mubarak-Regime sei von der Facebook-Generation gestürzt worden, der es um die Durchsetzung »der westlichen Werte« gehe und für die soziale Themen oder gar Arbeiterrechte keine Rolle spielten. Dabei ist die Rede von den westlichen Werten, die die Aufständischen angeblich forderten, aus mehreren Gründen irreführend.

Westlich von Ägypten liegt Libyen und westlich von Tunesien der Atlantik. Die westliche Welt, die hier wohl gemeint ist, liegt im Norden der Aufstandsgebiete. Die wird aber von vielen Menschen in diesen Ländern aus naheliegenden Gründen eher mit Frontex und Abschottung als mit Freiheit und Demokratie in Verbindung gebracht. Schließlich waren die bekämpften Regime enge Verbündete der Staaten des Nordens – vor allem bei der Bekämpfung von Flüchtlingen. Ein Großteil der Bevölkerung der EU-Länder, nicht nur in Italien, unterstützt die Regierungen bei der Flüchtlingsabwehr und fordert oft noch härtere Maßnahmen.

Auch die Flüchtlinge, die es in die europäischen Länder geschafft haben, dürften die sogenannten westlichen Werte vor allem mit Billiglohn, Ausbeutung, Heimen, Residenzpflicht, Ausländersondergesetzen sowie mit Rassismus assoziieren, der sowohl von den Staatsorganen wie auch der Bevölkerung dieser Länder ausgeht. Und diese Assoziationen wurden erst jüngst eindrücklich bestätigt: Kaum gerieten einige der Regimes ins Wanken, die die EU-Staaten sich als Grenzwächter zunutze gemacht hatten, wurde in den europäischen Medien vor neuen Flüchtlingsströmen gewarnt.

Es sind zivilgesellschaftliche Organisationen wie Pro Asyl, die mit ihrem Aufruf »Fluchtwege nach Europa öffnen« zumindest einige Gegenakzente setzen. Die Solidarität mit den Flüchtlingen, die nicht westliche Werte, sondern einfach ein besseres Leben im globalen Norden anstreben, müsste jetzt zur zentralen Aufgabe einer linken Bewegung werden. Dabei sollte die Forderung, den gesamten EU-Raum für die Flüchtlinge zu öffnen, einen zentralen Stellenwert haben. Anders als zivilgesellschaftliche Organisationen wie Pro Asyl sollte eine linke Bewegung den Kampf um die Flüchtlingsrechte allerdings nicht mit der besonderen Notsituation begründen, sondern mit dem Kampf um universelle Bewegungsfreiheit.

Die europäischen Institutionen dagegen streben an, die Flüchtlinge möglichst in der Region zu halten, um sie so schnell wie möglich dorthin zurückzuschicken, woher sie flohen. Dem sollten Linke die Forderung entgegensetzen, dass die Menschen selber entscheiden sollen, wo sie leben wollen. Dass eine solche Forderung in der aktu­ellen gesellschaftlichen und politischen Situation keine Chance auf ihre unmittelbare Erfüllung hat, ist klar. Sie könnte aber eine wichtige Rolle spielen bei der Herausbildung einer kosmopolitischen Linken.

Thomas Schmidinger ist insofern zuzustimmen, dass die Aufstände auch eine Chance für die Neuformierung einer linken Bewegung auf globaler Ebene bieten (Jungle World, 10/2011). Dazu müssten manche Relikte eines falsch verstandenen Internationalismus entsorgt werden, der nicht mit sozialen Bewegungen und den Kämpfen gegen Ausbeutung und Unterdrückung, sondern mit Staaten solidarisch war – etwa mit dem iranischen oder dem libyschen Regime. Die von Udo Wolter beschriebene Kooperation mancher Linker mit dem Gaddafi-Regime (9/2011) ist ein Beispiel dafür, dass jeder emanzipatorische Anspruch verloren geht, wenn sich Linke positiv auf ein Regime beziehen, das jede soziale Bewegung, von kommunistischen oder anarchistischen Gruppierungen gar nicht zu reden, gewaltsam unterdrückt.

Wolter allerdings suggeriert, das Regime in Libyen sei mit der Chávez-Regierung in Venezuela vergeichbar. Doch anders als in Libyen existiert dort eine Selbstorganisierung der Bevölkerung. Es gibt einflussreiche Frauen- und Nachbarschaftskomitees, die eben nicht einfach zu Claqueuren der Regierung gestempelt werden können. Das zeigt sich auch daran, dass die Pro-Gaddafi-Po­sitionen von Hugo Chávez auf den einschlägigen Internetseiten verschiedener Unterstützer des bolivarischen Prozesses nicht nur kontrovers diskutiert werden, wie Thilo F. Papacek (9/2011) schreibt, sondern auch überwiegend auf Ablehnung stoßen. Schließlich muss eine solche Basisbewegung, die es ernst meint mit der Selbstorganisierung, ein existentielles Interesse daran haben, dass die regierungsamtliche Verteidigung von Diktatoren kritisiert wird. Eine Linke, die die Fehler des alten Internationalismus kritisiert, sollte den gesamten bolivarischen Prozess nicht auf ein Projekt von Chávez reduzieren und damit die Basisbewegungen unsichtbar machen.

Ähnich fixiert auf die Position der politischen Herrschaft bleibt der Beitrag von Stephan Grigat (9/2011). In ihm werden die Umwälzungen im arabischen Raum von einem vermeintlichen Standpunkt Israels bewertet und kritisiert. Auch hier stellt sich die Frage, wessen Standpunkt hier vertreten wird. Ist die Position der gegenwärtigen Rechtsregierung damit gemeint, die der parlamentarischen oder der außerparlamentarischen Opposition? Wer eine solche Differenzierung unterlässt, bleibt letztlich in der Perspektive der Herrschaft befangen.

Solche Differenzierung tut auch im aktuellen Libyen-Konflikt not, bei dem sich in der Linken schnell Szenarien wie während des Irak-Kriegs wiederholen könnten. Damals standen bekanntlich Befürworter des Angriffs Gruppen gegenüber, die in Saddam Hussein den Verteidiger der na­tionalen Souveränität sahen. Eine neue Linke hingegen müsste die Ablehnung jeder militärischen Intervention mit einer klaren Ablehnung des Gaddafi-Regimes, aber auch der regressiven Bewegungen unter seinen Gegnern verbinden. Unterstützt werden hingegen sollten neben den Flüchtlingen alle Formen von Selbstorganisation, die sich der Logik der Herrschaft und des Krieges widersetzen. Nicht »Hände weg von Libyen« müsste das Motto einer solchen Kampagne sein, sondern »Hände, Bomben und Polizeiknüppel weg von den Menschen, die dort leben«.

 http://jungle-world.com/artikel/2011/11/42803.html

Peter Nowak

Kritische Solidarität

Eine Vereinigung von Rentnern besetzt das lokale Büro einer ehemaligen Regierungspartei und richtet dort ein Zentrum ein, in dem sie Tanzkurse, Kulturveranstaltungen und Geburtstagsfeiern abhält. Der besetzte Seniorenclub befindet sich in einem Armenstadtteil von Caracas und ist Teil einer  Rätestruktur in Venezuela. In der öffentlichen Diskussion  über dieses Land steht immer der telegene Präsident Hugo Chavez im Mittelpunkt.  Die im letzten Jahrzehnt ausgebauten Elemente einer partizipativen Demokratie hingegen werden selten erwähnt. Der Berliner Publizist Dario Azzellini hat jetzt in einem Buch eine wissenschaftliche Untersuchung über diese  Formen der Selbstverwaltung in Venezuela vorgelegt, an der niemand vorbeikann, der sich gründlicher mit der Situation in dem Land befassen will. Schon in den vergangenen Jahren hat Azzellini die  bolivarische Revolution in Venezuela in Büchern und Filmen mit kritischer Solidarität begleitet. Von diesem Prinzip ist das auch das aktuelle Buch geleitet. Es beginnt mit einen Überblick über die venezolanische Gesellschaft,  bevor Chavez mit einen gescheiterten Militärputsch auf der politischen Bühne erschienen ist. Er zeigt auf, wie zerstritten und marginalisiert  die Linke in dieser Zeit waren. In dieses Vakuum stieß die von Chavez mitbegründete linke   Bewegung in den Streitkräften, die mit  Stadtteilkomitees, den Resten von Guerillagruppen der späten 70er Jahre nicht aber mit  Parteien und Gewerkschaften kooperierte. Azzellini zeigt auf, dass die Forderung nach einer neuen Verfassung mit Selbstverwaltungselementen von Beginn an ein zentraler Diskurs dieser neuen Bewegung war. Doch erst nach dem knapp gescheiterten Putschversuch im Jahr 2002 und mehreren Unternehmerstreiks in den folgenden Monaten entwickelte der Prozess der Selbstverwaltung eine besondere Dynamik. Azzellini liefert viel Zahlenmaterial   über die Stadtteilorganisationen, die Arbeiterselbstverwaltung in den Fabriken und die dem Präsidenten direkt unterstellten Missiones mit denen Fortschritte im Bereich der Bildung, der Gesundheits- und  Lebensmittelversorgung und     des Städtebaus vorangetrieben werden sollte. Dabei betont  er die Erfolge, ohne die Fehler und Schwierigkeiten zu verschweigen. Bürokratische Tendenzen gehören ebenso dazu, wie die Korruption,  aber auch eine Passivität sich  bei Teilen der Bevölkerung. 
„In den neuen Institutionen… besteht die Gefahr, Logiken der konstitutionellen Macht zu reproduzieren, wie etwa Hierarchien…  und Bürokratisierung.“, schreibt Azzellini, benennt aber auch die Gegenkräfte. Es sind oft Menschen, die sich in den letzten Jahren durch die partizipative Demokratie  politisiert haben und sie in den Stadtteilen,  Fabriken und den Missiones  selbstbewusst auch gegen die Bürokratie verteidigen.  
         „Wer hier wirklich den Prozess führt, das ist die Basis“, zitiert Azzellini eine dieser Stadtteilaktivisten.  Er hat für seine Arbeit  Befragungen in verschiedenen Stadtteilen durchgeführt.   Das Buch ist eine mit Fakten untermauerte Gegenrede gegen  eine oft auf Halbwissen beruhende Aburteilung des bolivarischen Prozesses. Erfreulich, dass sich der Autor trotzdem  den kritischen Blick bewahrt hat und  auch die Gefahren  nicht unerwähnt lässt, die    einer emanzipatorischen Entwicklung in Venezuela drohen könnten  Ausgespart  bleibt in dem Buch die mehr als fragwürdige Bündnispolitik von Chavez, wie seine Unterstützung für Gaddafi  und Achmadinedschah. Auch hier dürfte die Partizipation der Bevölkerung nicht enden.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/193229.kritische-solidaritaet.html

Peter Nowak

Azzellini Dario, Partizipation, Arbeiterkontrolle und die Commune, Bewegungen und soziale Transformation am Beispiel Venezuela, VSA-Verlag, Hamburg, 2011, 24,80 Euro, 406 Seiten, ISBN 978-3-89965-422-6

Bürger wehren sich gegen Verdrängung

Bei einem Straßenfest machen die MieterInnen zweier Häuser im Neuköllner Reuterkiez auf ihre Angst vor Verdrängung durch steigende Mieten aufmerksam. Auch Nachbarn berichten von Mieterhöhungen.

Aus einem Fenster des Hauses Weichselpatz 8/9 in Nordneukölln hängt ein Transparent: „Hier wehren sich Neuköllner MieterInnen.“ Gegenüber des Gebäudes haben sie am Sonntagnachmittag Info- und Essenstische aufgebaut. Etwa 100 Menschen kommen zum ersten Straßenfest gegen Verdrängung der Häuser Weichselplatz 8/9 und Fuldastraße 31/32.

Der Gebäudekomplex war im letzten Jahr von der neunköpfigen „Grundstücksgemeinschaft Weichselplatz“ gekauft worden, die die Häuser mit finanzieller Unterstützung der Kreditanstalt für Wiedeaufbau (KfW) nach ökologischen Gesichtspunkten modernisieren will. Viele MieterInnen befürchten nun, sich die Wohnungen danach nicht mehr leisten zu können.

Hartz-Aufstockerin Eva Möller* zahlt für ihre Wohnung bisher 470 Euro Miete im Monat. Nach der Modernisierung wären es 621 Euro. „Damit wäre ich über der Höchstgrenze, die das das Jobcenter übernimmt und müsste mir eine neue Wohnung suchten“, sagt Möller. Sie verweigerte die Unterschift unter der Modernisierungsvereinbarung und koordinierte sich mit ihren NachbarInnen.

Klaus Weins*, der ebenfalls am Weichselplatz 8/9 wohnt und dessen Miete nach der Modernisierung sogar bis zu 60 Prozent steigen könnte, ergänzt: „Seit acht Monaten treffen wir uns regelmäßig, haben uns bei einem Anwalt der Mietergemeinschaft informiert, machen uns gegenseitig Mut und besprechen unser gemeinsames Vorgehen.“

Andere Nachbarn erzählen auf dem Straßenfest von ähnlichen Problemen. „Ich wohne in der Weichselstraße 68. Auch dort versuchen wir uns gegen eine mit einer geplanten Modernisierung verbundene Mieterhöhung zu wehren“, sagt ein junger Mann. Die ersten Treffen seien auch positiv verlaufen. Allerdings seien einige MieterInnen mit geringen Einkommen aus Angst vor den Mieteröhungen inzwischen ausgezogen.

Wer sich wehren will, sollte allerdings erst einmal „keine Modernisierungsvereinbarung unterschreiben“, sagt Herrmann Wehrle von der Berliner MieterInnengemeinschaft. Mehr als die Hälfte der

MieterInnen des Weichselplatzes 8/9 und der Fuldaer Straße 31/32 folgten diesem Ratschlag. Als Totalabsage wollen sie das nicht verstanden wissen. „Wir können uns vorstellen, mit den EigentümerInnen ein sozialverträgliches Konzept für eine faire Modernisierung zu entwickeln“, so Weins. Allerdings müssten zuvor die Klagen zurückgenommen werden, die die EigentümerInnen auf Duldung der Modernisierung gegen drei MieterInnen gestellt haben.

In dieser Hinsicht zeigt sich Tim Lühning von der Grundstücksverwaltung zumindest gesprächsbereit. „Da es unser Wunsch ist, dass so viele MieterInnen wie möglich im Haus wohnen bleiben können, sind wir zu Kompromissen bereit. Allerdings müssen die in ihrer Gesamtheit für uns wirtschaftlich tragfähig sein“, erklärte er.

http://www.taz.de/1/berlin/artikel/1/buerger-wehren-sich-gegen-verdraengung/

Peter Nowak

Tag des politischen Gefangenen

 Mit Veranstaltungen, Kundgebungen und Demonstrationen setzen sich Solidaritätsgruppen in der ganzen Republik rund um den 18. März für die Freiheit von politischen Gefangenen ein. In den 90er Jahren hatte die Gefangenenhilfsorganisation Rote Hilfe eine Tradition aus der Arbeiterbewegung der 1920er Jahre wiederbelebt und den 18. März als Kampftag für die Freilassung der politischen Gefangenen reaktiviert. Nach Angaben der Roten Hilfe hat in diesem Jahr die Zahl der Veranstaltungen zugenommen.

 In Halle und Leipzig wird über den in der JVA Torgau inhaftierten Leipziger Tommy Tank informiert. In Erfurt geht es um die Repression gegen die Zeitschrift »Gefangeneninfo« und in Stuttgart um den zurzeit laufenden Prozess gegen kurdische Jugendliche. Die Anatolische Föderation informiert auf einer Rundreise durch neun Städte über die fortdauernde Folter und Isolationshaft von politischen Gefangenen in der Türkei. Am 19. März wird auf einer Konferenz im Berliner Mehringhof über verschiedene Formen der Repression im In- und Ausland informiert. In Arbeitsgruppen geht es um die Verfahren gegen linke Buchläden sowie um politische Repression im Baskenland und der Türkei. www.18maerz.de

http://www.neues-deutschland.de/artikel/193234.bewegungsmelder.html

Peter Nowak

Kameradinnen

Neonazis

Lange Zeit wurden die Frauen in der extrem rechten Bewegung auch in der Literatur wenig beachtet. Das hat sich nicht zuletzt durch die Arbeiten von Andrea Röpke und Andreas Speit geändert. In ihrem neuesten Buch analysieren die beiden profilierten Experten der rechten Szene die aktuelle Frauenpolitik im Umfeld von NPD und Freien Nationalistinnen. Im Blickfeld steht der Ring Nationaler Frauen (RNF) und die elitäre Gemeinschaft Deutscher Frauen (GDF). Ein eigenes Kapitel widmet sich den lokalen Frauengruppen der Freien Kameradschaften und NS-Seniorinnen wie Ursula Haverbeck, Holocaustleugnerin und Hitler-Verehrerin, die in der rechten Szene eine wichtige Rolle spielt.

Das Autorenduo zeigt, wie es rechten Frauen gelingt, mit ihren scheinbar unpolitischen Aktivitäten in Eltern-, Schul- und Nachbarschaftsvereinen Menschen für die NPD zu interessieren. Wie zielbewusst sie vorgehen, ist am Zuzug von Nationalisten in kleine Dörfer in Mecklenburg-Vorpommern erlebbar. Eine Nationalistin äußerte im rechten Internetforum: »Ich denke, es wäre besser, nicht gleich wie ein Heuschreckenschwarm über das Dorf hereinzubrechen. Besser ist es, wenn wenige den Anfang machen und auch schon ein vernünftiges Vorhaben verwirklichen, z. B. einen kleinen Handwerksbetrieb.« Die NPD kann derart in manchen Regionen durchaus Erfolge verbuchen.

»In Mecklenburg-Vorpommern mischen sich rechte Siedler und Siedlerinnen als Biohändler, Künstler oder Handwerker unauffällig auf Wochenmärkten und Kleinkunstveranstaltungen unter das Volk«, so die Beobachtung von Röpke und Speit. Auch in schwach besiedelten Gegenden Westdeutschlands sind es häufig Frauen, die mit ihrem Engagement Akzeptanz für die rechte Ideologie erreichen. In Berlin-Weißensee nutzte eine rechte Frauengruppe eine Turnhalle zur Verbreitung ihrer Ansichten. Als dies aufflog und ihnen der Zutritt zur Schule verwehrt wurde, ernteten sie Sympathiebekundungen.

Die Autoren setzen sich mit der Frage auseinander, ob und wann es sinnvoll ist, rechte Frauen zu outen. »Ob berichtet wird oder nicht, entscheidet sich auch unter der Prämisse, inwieweit die Berufstätigkeit sensible Bereiche betrifft – etwa pädagogischen Einfluss auf Kinder und Jugendliche oder Tätigkeiten, die potentiell Zugriffe aus Kunden- und Vertragsdaten erlauben.« Wichtig seien regionale zivilgesellschaftliche Netzwerke, die auf die Werbung rechter Frauen schnell reagieren. Röpke und Speit argumentieren gegen die Extremismusklausel, mit der ein Teil des antifaschistischen Spektrums ausgegrenzt werden soll. »Nichtstaatliches Engagement gegen die extreme Rechte scheinen Politiker in vielen Städten und Kommunen mittlerweile gar wieder als störender zu betrachten als die braunen Aktivitäten vor Ort«, so ihr beunruhigendes Fazit.

Andrea Röpke/Andreas Speit: Mädelsache! Frauen in der Neonazi-Szene. Ch. Links Verlag. 240 S., geb., 16,90 €

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/193209.kameradinnen.html

Peter Nowak

Rot-Grüner Haushalt in NRW gekippt

Das Urteil wird die Diskussion über die von der Politik gewollte Selbstentmachtung durch Schuldenbremsen verstärken
Der Verfassungsgerichtshof von NRW hat am 15. März den Nachtragshaushalt der rot-grünen Landesregierung wegen Überschreitung der Kreditgrenzen für verfassungswidrig erklärt.

Der Haushalt verstoße gegen den Artikel 83 Satz 2 der Landesverfassung. Dort heißt es: „Die Einnahmen aus Krediten dürfen entsprechend den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts in der Regel nur bis zur Höhe der Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen in den Haushaltsplan eingestellt werden; das Nähere wird durch Gesetz geregelt.“

Das Gericht stellt in der Urteilsbegründung fest: „Von der in Art. 83 Satz 2 LV normierten Regelverschuldungsgrenze dürfe grundsätzlich nur zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abgewichen werden. Nach gefestigter Rechtsprechung müsse die Störungslage ernsthaft und nachhaltig sein oder als solche unmittelbar drohen. Die erhöhte Kreditaufnahme müsse außerdem zur Störungsabwehr geeignet und final hierauf bezogen sein.“

Im Gesetzgebungsverfahren seien keine Gesichtspunkte der konjunkturellen Entwicklung aufgezeigt worden, die eine weitere Erhöhung der Kreditaufnahme gegenüber dem Stammhaushalt trotz deutlich verbesserter Wirtschaftslage zur Störungsabwehr plausibel und nachvollziehbar machten, so das Gericht.

Die Parteien im NRW-Landtag reagierten unterschiedlich auf die Gerichtsentscheidung. Die oppositionelle FDP hat die Landesregierung aus Konsequenz auf das Urteil aufgefordert, „den Marsch in den Verschuldungsstaat zu stoppen“. Für die ebenfalls oppositionelle Linke „spielt das Urteil den Neoliberalen aller Couleur, die einen schwachen Staat und sowie Privatisierung und Sozialbbau wollen, in die Hände“. Die Linke, die die Landesregierung in bestimmten Fragen unterstützt, fordert diese auf, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts besser darzulegen.

Die NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft geht ebenfalls weiterhin von einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts aus und bezeichnet die Folgen des Urteils für den Haushalt von NRW als gering. Allerdings wird weiterhin über baldige Neuwahlen in NRW geredet. Damit will die Landesregierung eine Mehrheit von SPD und Grünen erreichen. Ob diese Kalkulation aufgeht ist fraglich.

Selbstentmachtung durch Schuldenbremse?

Die Gerichtsentscheidung dürfte die Diskussion um die Schuldenbremsen in den Landesverfassungen neu beleben. Es sind von der Politik gewollte Bestimmungen, die zu dem Richterspruch und damit dazu führte, dass sie immer weniger Spielraum hat. In Hessen, wo ebenfalls eine 1397977 Schuldenbremse in die Verfassung eingefügt werden soll, muss die Bevölkerung am 27. März in einer Volksabstimmung darüber entscheiden.

Ein Bündnis aus verschiedenen Parteien, Gewerkschaften und sozialen Initiativen spricht sich gegen dagegen aus. Es könnte durch die Entscheidung von NRW Auftrieb bekommen. 
 http://www.heise.de/tp/blogs/8/149457

Peter Nowak

Die Grenzen der linken Macht

 Atilio Borón lotet das emanzipatorische Potenzial der lateinamerikanischen Linksregierungen aus

Der renommierte argentinische Politologe Atilio Borón wirft in seinem jüngsten Buch »Den Sozialismus neu denken« ein Schlaglicht auf den Beitrag, den die Linksregierungen in Lateinamerika für eine neue Gesellschaftsordnung leisten könnten.
Die Einschätzungen zu den linken Regierungen in Lateinamerika sind nicht nur in Deutschland sehr kontrovers. Handelt es sich um Wege zu einer emanzipatorischen und sozial gerechteren Gesellschaft oder wird der Kapitalismus nur anders verwaltet? Welchen Handlungsspielraum haben diese Regierungen im globalen Kapitalismus? Diese Fragen stellt sich der argentinische Politologe Atilio Borón in seiner Streitschrift, die kürzlich im VSA-Verlag in deutscher Sprache erschienen ist.

 In dem Buch werden in drei Kapiteln viele Themenbereiche angesprochen, was die Lektüre nicht immer einfach macht. So rezipiert Borón im ersten Kapitel die Grundzüge der Debatten um Entwicklung und Unterentwicklung, die vor 40 Jahren nicht nur in Lateinamerika eine große Bedeutung hatten. Borón teilt die Meinung der Dependenztheoretiker, die die These vertreten, dass es für die Länder des Südens gar nicht möglich ist, die USA und Westeuropa zu kopieren. Sie plädierten folglich für einen unabhängigen Weg.

Für ihn haben sich die Prognosen dieser linken Theoretiker in den letzten 40 Jahren bestätigt. Den Mitte-Links-Regierungen auf dem amerikanischen Kontinent bescheinigt Borón dagegen, dass sie »mit blindem Optimismus darauf vertrauen, dass ihr Marsch in Richtung Entwicklung erfolgreich sein wird – obwohl dieser Weg schon seit Langem versperrt ist«.

So bekommt der mittlerweile verstorbene ehemalige argentinische Präsident Néstor Kirchner von Borón sein Fett weg, weil er das Ziel verfolgt habe »einen ernsthaften Kapitalismus« zu schaffen.

Die Hauptkritik richtet sich allerdings gegen die Lula-Regierung in Brasilien (2003-2010). »Während der ersten Amtszeit von Lula machte das Kapital phänomenale Gewinne auf Kosten der nationalen Bourgeoisie, die nicht in der Lage war, die Richtung der ultraneoliberalen Wirtschaftspolitik zu verändern.« Borón geht mit der Lula-Regierung besonders hart ins Gericht, weil sie wegen des politischen und wirtschaftlichen Gewichts Brasiliens in der Lage gewesen wäre, eine politische Alternative zur neoliberalen Entwicklung einzuschlagen. Sein Fazit ist ernüchternd: »Nichts hat sich in Brasilien verändert. Der neoliberale Weg wird weiter beschritten.«

Vorsichtig optimistisch äußert sich Borón zur Entwicklung in Venezuela. »Nach einer Reihe von Anfangsschwierigkeiten hat die bolivarische Revolution Beweise geliefert, dass es einen Weg aus dem Neoliberalismus gibt, wenngleich es ein sehr steiniger Weg ist, auf dem zahlreiche Gefahren lauern.«

Im dritten Kapitel beteiligt sich Borón an der Debatte um die Grundlagen eines Sozialismus des 21. Jahrhunderts. Als zentrale Lehre aus dem Scheitern bisheriger sozialistischer Experimente legt er Wert auf eine Abkehr vom blinden Vertrauen in die Produktivkräfte und einen »technokratischen Despotismus«. Dabei bezieht er sich ausdrücklich auf Schriften von Che Guevara. Seinen Kampfmethoden erteilt Borón aber eine Absage. »Es wäre falsch zu glauben, dass der Sozialismus des 21. Jahrhunderts in einem aggressiven Kapitalismus durch einen revolutionären Prozess entstehen würde. In Lateinamerika wird dieser Prozess des Aufbaus des Sozialismus in verschiedenen Ländern verschiedene Charakteristika aufweisen, er wird aber in jedem Fall zunächst im Gewand des Reformismus daherkommen.«

Wie sich dann aber der von Borón als notwendig erachtete »Bruch mit der Vergangenheit« vollziehen soll, bleibt offen. Lediglich auf das richtige Bewusstsein und die richtige Organisation wird am Schluss rekurriert. So bleibt der Autor, der in dem Buch viele interessante Fragen aufgeworfen hat, am Ende doch recht vage.

Atilio Borón: Den Sozialismus neu denken. VSA-Verlag. Hamburg 2010, 119 Seiten, 12,20 Euro.

www.neues-deutschland.de/artikel/193096.die-grenzen-der-linken-macht.html
Peter Nowak

Hungern oder frieren?

Wenn die zugestandenen Heizkosten aufgebraucht sind, stehen Hartz-IV-Betroffene vor einer schweren Entscheidung
Die Begrenzung der Heizkosten für ALG II-Bezieher steht in der Kritik, wird aber immer häufiger praktiziert.
 
»Das Sozialamt/Jobcenter erkennt grundsätzlich Heizkosten an, die auf einem jährlichen Heizverbrauch von 22 Liter je Quadratmeter angemessene Wohnfläche beruhen«, heißt es in einen Formular des Jobcenters Rhein-Kreis-Neuss für Hartz IV-Empfänger. Die Antragsteller werden aufgefordert, die entsprechende Menge Öl für die Fläche ihrer Wohnung zu berechnen und anzugeben. Sind die Kosten höher, muss der Erwerbslose die Differenz selber zahlen. Bei einer fehlenden oder mangelhaften Mitwirkung der Erwerbslosen »kann der Leistungsträger die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen«, heißt es in der Belehrung.

Scharfe Kritik an dieser Praxis kommt von der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Hartz IV der Linken. Deren Bundessprecher Werner Schulten sieht sogar den Tatbestand der Nötigung erfüllt. »Hier werden auf perfide Weise Betroffene mit der Vorspiegelung, diese Begrenzung sei gesetzlich vorgeschrieben, genötigt, auf Leistungen zu verzichten«. Letztlich stünden diese Menschen nach dem Verbrauch der zugestandenen Heizmittel vor der Wahl: hungern oder frieren, moniert Schulte.

Im Gesetz hingegen ist heißt es: »Leistungen für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind.« Nicht nur Schulten ist der Meinung, dass nicht von vorn herein pauschal festgelegt werden kann, welche Heizkosten angemessen sind. Sie richten sich nach der Strenge des Winters ebenso wie nach der Wärmeisolation der Wohnungen und der technischen Beschaffenheit der Heizanlagen.

Auch das Bundessozialgericht hat in mehreren Urteilen entschieden, dass die Behörden bei einer angemessenen Unterkunft grundsätzlich die tatsächlichen Heizkosten übernehmen müssen und keine Pauschale zahlen dürfen.

Ein Schlupfloch für die Behörden ließen die Sozialrichter allerdings. Bei einem besonderen unwirtschaftlichen Heizverhalten müsse im Einzelfall nicht alles gezahlt werden. Die Unwirtschaftlichkeit könne mittels des lokalen Heizspiegels ermittelt werden. Die Bundesagentur für Arbeit wies die Kritik an der Pauschalisierung des Neusser Jobcenters zurück. Die Heizkosten gehören zu den kommunalen Aufgaben, auf die die Bundesagentur keinen Einfluss habe. Für Schulten bewegt sich die Kommune damit im rechtsfreien Raum. Er rät Betroffenen keiner Pauschalisierung ihrer Heizkosten zuzustimmen und den Rechtsweg zu beschreiten.

Erwerbsloseninitiativen weisen daraufhin, dass die Praxis des Neusser Jobcenters durchaus keine Ausnahme ist, sondern im vom Gesetzgeber gewollten Trend liegt. Schließlich ist es den nach der kürzlich beschlossenen Hartz IV-Reform künftig möglich, Leistungen der Unterkunft niedriger als bisher und unterhalb der Vorgaben der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts festzulegen. Denn den Kommunen soll es über landesgesetzliche Regelungen ermöglicht werden, die Angemessenheit der Wohnkosten in einer kommunalen Satzung selbst zu definieren. Dabei sollen erstmals auch abgeltende Pauschalen für Wohn- und Heizkosten möglich sein. Erwerbsloseninitiativen fürchten hier Entscheidungen nach Kassenlage zum Nachteil der Betroffenen, denn viele Kommunen stehen vor der Pleite.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/193105.hungern-oder-frieren.html

Peter Nowak

Drei Monate aussetzen, aber nicht abschalten – oder doch?

Die Bundesregierung will an der AKW-Front Zeit gewinnen, die nächsten Landtagswahlen werden zeigen, ob es ihr gelingt
Ein Moratorium von drei Monaten bei der Umsetzung der Laufzeitverlängerung der AKWs hat Bundeskanzlerin Merkel am Nachmittag angekündigt. In dieser Zeit sollen alle AKWs in Deutschland einer angeblich tabulosen Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden. Die Details bei der Umsetzung dieses Moratoriums will die Bundeskanzlerin mit der Wirtschaft und den Ministerpräsidenten der Länder besprechen. Davon wird auch abhängen, ob einige AKWs, vor allem in Rheinlandpfalz und Baden-Württemberg, sofort stillgelegt werden.
   

Mit der Entscheidung will die Bundesregierung deutlich machen, dass sie angesichts der Ereignisse in Japan schnell handelt. Ob ihr das gelingt, dürfte sich an den Ergebnissen der anstehenden Landtagswahlen deutlich zeigen.

Unabhängig von der Entwicklung der japanischen AKWs ist das Ereignis für die Bundesregierung schon jetzt ein Supergau. Kurz vor entscheidenden Landtagswahlen, bei denen die Verlängerung der AKW-Laufzeiten eine wichtige Rolle spielt und einer wieder aktivierten Anti-AKW-Bewegung, die sich anders als noch vor einem Jahrzehnt, durchaus auch für grüne Wahlkampfpläne einspannen lässt, rückt durch die Ereignisse in Japan das Thema AKW-Sicherheit ins Zentrum der deutschen Politik. Allein die vielen Sondersendungen auf fast allen Funk- und Fernsehprogrammen, bei denen oft nur vermeldet wurde, dass über die Situation in den AKWs wenig Neues berichtet werden kann, aber die realen Opfer von Erdbeben und Tsunami nur am Rande erwähnt wurden, macht deutlich, dass die Angst vor der Radioaktivität, die manche als typisch deutsch halten, hierzulande wieder dominiert

 Eine solche Grundstimmung kann die Bundesregierung nicht außer Acht lassen. Sie will deutlich machen, dass sie die Sorgen der Bevölkerung und zumindest teilweise potentiellen Wählern, ernst nimmt. Gleichzeitig muss sie den Eindruck zu vermeiden versuchen, sie hätte mit der Laufzeitverlängerung einen Fehler gemacht und schlage nun durch den Druck aus Japan eine Richtung ein, die die Opposition von Anfang an gefordert hat. Deshalb soll das Moratorium auch nicht mit einer Änderung des Gesetzes zur Laufzeitverlängerung verbunden sein.

„Genau diese Laufzeitverlängerung brauchen wir“

Diese schwer lösbare Aufgabe führte erst einmal zu scheinbar völlig unterschiedlichen Aussagen von Politikern der Regierungsparteien. So gab sich die umweltpolitische Sprecherin der Union Maria-Luise Dött noch heute Mittag im Interview unbeeindruckt von den Ereignissen in Japan. Sie antwortete auf die Frage, ob die Bundesregierung die Laufzeitverlängerungen zurücknehmen soll:
 Nein, der Meinung bin ich nicht. Wir haben eine große Diskussion geführt um unser Energiekonzept, wo wir auch diese Diskussion der Kernkraft innerhalb des Energie-Mixes diskutiert haben, und sind dann zu dem Ergebnis gekommen, dass wir genau diese Laufzeitverlängerung brauchen, um in das Zeitalter der erneuerbaren Energien eintreten zu können, also quasi die Kernkraft als Brückentechnologie zu erneuerbaren Energien.
Maria-Luise Dött
Der umweltpolitische Sprecher der FDP Michael Kauch hingegen sprach sich vorsichtig für ein Moratorium bei der Laufzeitverlängerung aus: „Das eine ist die Frage der Laufzeitverlängerung und das andere ist die Forderung, die es jetzt ja auch aus den Grünen gibt, nach sofortigem Ausstieg“, die Kauch ablehnte. Auch Bundeskanzlerin Merkel betonte, dass das Moratorium kein Abschalten bedeutee und auf die Atomkraft als Brückentechnologie noch nicht verzichtet werden könne.

Verweis auf die Nachbarländer

Vizekanzler Westerwelle wies auf der Pressekonferenz darauf hin, dass in den Nachbarländern noch unsichere AKWs in Betrieb sind. Tatsächlich ist die Atompolitik der Nachbarländer Deutschlands denkbar unterschiedlich. Während in der Schweiz die AKW-Pläne erneut auf den Prüfstand sollen, will die polnische, französische und spanische Regierung den Bau neuer AKW unabhängig von den japanischen Ereignissen weiter verfolgen.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/34/34346/1.html

Peter Nowak

Neuköllner Mischung bedroht

Am Weichselplatz formiert sich Mieterprotest gegen mögliche Verdrängung durch Sanierung

»Wir bleiben alle«. In verschiedenen Farben war die Parole auf schwarzen Stoff gemalt. Am 13. März flatterten die Fähnchen mit dem Motto an zahlreichen Fenstern der Häuser Weichselplatz 8/9 und Fuldastraße 31/32. Der Gebäudekomplex war im letzten Jahr von der Grundstücksgemeinschaft Weichselplatz gekauft werden. Sie besteht aus neun Personen, die es sich nach eigenem Bekunden zum Ziel gesetzt haben, die Häuser energiegerecht mit finanzieller Unterstützung der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zu sanieren. Man wolle keinen Mieter verdrängen und die in den Häusern bestehende Neuköllner Mischung erhalten, erklärten die Neubesitzer den Mietern.

Doch manche wollen den beruhigenden Worten nicht mehr so recht trauen. Das liegt vor allem an den drohenden Mietsteigerungen nach Abschluss der Modernisierungsmaßnahmen. »Dann kann ich in dem Haus nicht mehr wohnen«, meinte Eva Möller (Name geändert) vom Weichselplatz 8. Bisher zahlt die Hartz-IV-Aufstockerin 470 Euro Miete, nach der Modernisierung wären es 621 Euro. Damit wäre sie aber beträchtlich über dem Mietzins, den das Jobcenter übernimmt. »Ich würde zur Senkung meiner Mietkosten aufgefordert, müsste also ausziehen«, meint Möller illusionslos.

Doch damit will sie sich nicht abfinden. Deswegen hat sie sich mit anderen Mietern zusammengesetzt. »Seit acht Monaten treffen wir uns regelmäßig, tauschen uns aus, informieren uns bei einem Anwalt der Mietergemeinschaft, machen uns gegenseitig Mut und besprechen unser gemeinsames Vorgehen«, meinte auch Klaus Weins (Name geändert). Die Angst vor der Verdrängung habe erst dazu geführt, dass sich die Hausbewohner besser kennengelernt haben, berichtet er. Zurzeit sei die Stimmung unter den Aktivisten überwiegend sehr gut. Das sei wegen der Unterschiedlichkeit der Bewohner nicht einfach gewesen.

In dem Haus wohnt die Studentin, die seit wenigen Jahren in einer Wohngemeinschaft in dem Haus lebt, neben der Rentnerin, die auf einige Jahrzehnte in dem Gebäude zurückblicken kann. Einige Mieter haben in den letzten Monaten auch gekündigt, weil sie sich dem Stress nicht gewachsen fühlten. »Schließlich bedeutet die Modernisierung, einige Monate auf einer Baustelle zu wohnen und hinterher noch mehr Miete zu zahlen«, so ein Bewohner.

Doch mehr als die Hälfte der Mieter hat die Modernisierungsvereinbarungen nicht unterschrieben. Beim angepeilten Baubeginn im November 2010 standen die Handwerker vor verschlossenen Türen. Mittlerweile haben die Eigentümer erste Klagen auf Duldung der Modernisierung an die Mieter verschickt. Die gerichtliche Entscheidung darüber steht noch aus.

Die aktiven Mieter wollen nicht klein beigeben. Am Sonntag sind sie erstmals mit Transparenten, Fahnen, Saft und Tee an die Öffentlichkeit gegangen. Mit einem Blog unter nk44.blogsport.de sind sie auch im Internet. Zuvor haben sie verschiedene Stadtteilinitiativen kontaktiert, die vor den gleichen Problemen stehen. Schließlich ist Nordneukölln ein bei Touristen, aber auch beim kulturinteressierten Mittelstand sehr beliebter Stadtteil, in dem die Mieten in den letzten Jahren im Berliner Vergleich besonders stark gestiegen sind.

Tim Lühning von der Grundstücksverwaltung Weichselplatz zeigte sich überrascht über die Mieterproteste. Es habe immer wieder Gespräche gegeben und man sei auch weiterhin zu Verhandlungen und außergerichtlichen Einigungen mit den Bewohnern des Hauses bereit.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/193070.neukoellner-mischung-bedroht.html

Peter Nowak

Bienensterben und Ernährung

UNEP-Report warnt vor negativen Folgen
Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) warnt in einem vergangene Woche veröffentlichten Bericht vor Gefahren für die Welternährung. Die Ursache sieht der Report im weltweit zunehmenden Bienensterben. Besonders im industrialisierten Norden schrumpfen die Bienenvölker massiv. In manchen Regionen sei ein Rückgang um bis zu 85 Prozent zu verzeichnen. Wenn man bedenkt, dass mehr als drei Viertel der für die Ernährung wichtigen Pflanzen, darunter Hülsenfrüchte, Ölpflanzen und viele Gemüse, von Bienen bestäubt werden, wird die Sorge der UNEP verständlich.

Nach Angaben der Experten sind die Gründe für das Bienensterben unterschiedlich. Das verstärkte Auftreten bestimmter für die Bienen schädlicher Pilze, Milben und Viren gehört ebenso zu dem Ursachengeflecht wie die zunehmende Luftverschmutzung und der verstärkte Einsatz von Insektiziden in der Landwirtschaft. Zudem macht der Klimawandel und das verarmte Nahrungsangebot durch großflächige Monokulturen den Bienen zu schaffen. Genau davor warnen Imker und landwirtschaftliche Gruppen, die vor allem im globalen Süden für Ernährungssouveränität kämpfen, seit vielen Jahren, wurden aber oft nicht ganz ernst genommen. Die Einschätzung der UNEP bestätigt nun ihre Kritik.

»Der Mensch hat den Irrglauben entwickelt, der technische Fortschritt habe ihn im 21. Jahrhundert von der Natur unabhängig gemacht. Die Bienen zeigen, dass wir in einer Welt mit sieben Milliarden Menschen in Wahrheit viel mehr statt weniger von Dienstleistungen der Natur abhängen«, erklärt UNEP-Chef Achim Steiner. Es ist allerdings vor allem der Irrglaube eines Wirtschaftssystems, das auch die Natur auf der Suche nach der schnellen Verwertung in erster Linie als Ware und Rohstofflager begriffen hat. Das Bienensterben ist nur ein Beispiel, wie dadurch die Grundlagen des Lebens insgesamt immer stärker gefährdet werden.

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/192989.bienensterben-und-ernaehrung.html

Peter Nowak

Linke im Krieg

Die Zustimmung einiger Europaabgeordneter der Linken zur Libyen-Resolution im EU-Parlament führt zum innerlinken Streit:
„Wir lehnen jede militärische Intervention ab“, heißt es auf der Homepage des Abgeordneten des Europäischen Parlaments Lothar Bisky.

„Wir halten die in der Kompromiss-Resolution des Europäischen Parlaments enthaltene Forderung nach Einrichtung einer Flugverbotszone für falsch, auch wenn sie Forderungen aus Teilen der libyschen Opposition und von Staaten der Arabischen Liga und der Afrikanischen Union aufgreift.“

Weil Bisky mit anderen Kollegen aus der gemeinsamen Fraktion der europäischen Linken der Gesamtresolution zustimmte und lediglich in einer gesonderten Abstimmung über den Punkt 10, der eine Flugverbotszone in Libyen vorsieht, mit Nein votierte, wird er jetzt heftig kritisiert. Ein Kommentator der jungen Welt, die sich gerne als das antiimperialistische Gewissen der Linken aufspielt, sieht Bisky nach der Abstimmung bereits auf Interventionskurs.

Der Mehrheitsflügel innerhalb der Europäischen Linksfraktion reichte einen eigenen Antrag ein, in dem es unter Punkt 7 heißt, dass „jede ausländische Militärintervention zur Lösung der Krise in Libyen“ abgelehnt wird.

Flugverbotszone als kriegerische Maßnahme

Die linke Europaabgeordnete Sabine Lösing bringt in ihrer Erklärung das Dilemma zum Ausdruck, in dem sich die linken Parlamentarier befinden.

„Angesichts der Übergriffe auf Demonstranten, der Toten, der Diktatur, der Person Al-Gaddafi, ist der Wunsch nachvollziehbar die Opposition zu unterstützen und eventuell auch zu intervenieren. Wenn aber McCain Präsident Obama zu Militäraktionen auffordert oder konservative EU-Politiker für zukünftige Unruhegebiete, die Ausarbeitung eines Stand-by Planes im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik einfordern, dann müssen progressive Menschen aufhorchen!“

Ähnlich argumentiert die linke EU-Abgeordnete Sabine Wils nach der Abstimmung:

„Ich habe die Resolution abgelehnt. Selbst wenn es zu begrüßen ist, dass ein blutiger Diktator in Libyen, der Menschenrechte mit Füßen getreten hat (und dafür von den selben, die jetzt die Intervention fordern mit Handelsverträgen und Waffenexporten unterstützt wurde) gestürzt wird, rechtfertigt das nicht die Vorbereitung eines Krieges.“

Tatsächlich lautet das Argument der Gegner einer Flugverbotszone, die ja offiziell Menschenleben retten soll, dass diese nur mit kriegerischen Maßnahmen durchzusetzen sei. Auch der den Grünen nahestehende Publizist Micha Brumlik schreibt in der Taz:

„Realpolitisch, mit Blick auf absehbare Folgen und nicht kalkulierbare Nebenfolgen, verbietet sich jede militärische Einmischung.“

Ob die Bewaffnung der Opposition gegen Gadaffi, die er zumindest in Erwägung zielt, nicht zu noch mehr Blutvergießen führt, wäre zu fragen. Die Diskussionen zeigen, dass ein wirksames Mittel gegen Gadaffi auch unter Linken noch gesucht wird.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/149411
 
Peter Nowak