Lieferdienstkuriere agieren mittlerweile gewerkschaftlich. Die Folgen der Foodora-Übernahme sind noch offen

Gemeinsam für bessere Arbeit

Dem Rückzug von Deliveroo kann der Gewerkschafter durchaus auch positive Seiten abgewinnen, obwohl der Verlust von rund 1100 Arbeitsplätzen für die Betroffenen schmerzlich ist. «Unserer Meinung nach hängt der Rückzug damit zusammen, dass das Modell der Scheinselbstständigkeit der Fahrer*innen nicht funktioniert hat.»

Im Hof des Aquino-Hotels in Berlin-Mitte haben sich Donnerstagmittag viele Essensdienstlieferanten versammelt: Kurier*innen mit weiß-violetten T-Shirts von Foodora und Fahrer*innen in orangefarbenen Hemden mit dem Logo des österreichischen Lieferservices Lieferando. Sie waren allerdings nicht im Dienst, sondern hatten sich auf Einladung der….

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Lieferant*innen organisieren sich gegen die Kannibalisierung in ihrer Branche

Fressen bringen und gefressen werden

Für Keno Böhme von der NGG hat der Abschied des Lie- ferdienstes auch positive Auswirkungen. Er hat früher selber für verschiedene Lieferdienste gearbeitet und kümmert sich mittlerweile hauptamtlich bei der NGG um die gewerkschaftliche Organisation bei Lieferdiensten.

Jung, flexibel und schlecht be-zahlt – diesen Ruf haben Arbeitsverhältnisse bei Lieferdienstem. Demgegenüber nimmt die Zahl der Fahrer*innen zu, die sich gewerkschaftlich organisieren und für die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen eintreten. Am Donnerstag hatte die Gewerkschaft….

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Nordsee vor Deliveroo

Online-Abstimmung über schlimmsten Unionbuster

Derzeit laufen die Planungen für die nächste Protestaktion gegen ein Unternehmen, das Betriebsräte behindert. Eine Initiative fordert härteres Durchgreifen der Staatsanwaltschaften.

Am Freitag, den 13. April, wird es Ärger geben: An diesem Tag könnte der britische Essenskurier Deliveroo, der Flughafensicherheitsdienst I-Sec oder die Imbisskette Nordsee Besuch von kritischen Gewerkschaftern bekommen. Die drei Unternehmen sind von der Initiative aktion./.arbeitsunrecht nominiert worden, weil sie durch die Behinderung von Betriebsräten negativ aufgefallen sind. Bis 15. März können Interessierte im Internet noch darüber abstimmen, wer Ziel des Protests werden soll. Im Moment liegt Nordsee vorne, dicht gefolgt von Deliveroo.

Immer dann, wenn der 13. eines Monats auf einen Freitag fällt, organisiert die Initiative mit Sitz in Köln gemeinsam mit einem Netzwerk engagierter Gewerkschafter_innen eine Aktion gegen »Unionbusting«. Das Wort, das aus den USA stammt, hat sich für den organisierten Kampf gegen Betriebsräte mittlerweile auch in Deutschland eingebürgert. Der Fischrestaurantkette Nordsee, die zur Unternehmensgruppe Theo Müller gehört, wirft die Arbeitsrechtsinitiative vor, langjährige Betriebsratsmitglieder kurz vor den Betriebsratswahlen zu leitenden Angestellten befördert zu haben. Dadurch können sie sich nicht mehr zur Wahl stellen.

Das I-Sec-Management hat sich durch die Kündigung von drei Betriebsräten für einen Besuch qualifiziert. Mittlerweile seien mehrere Hausverbote gegen sie ausgesprochen worden, um den Kontakt zur Belegschaft zu unterbinden. Auch der Widerstand gegen die Entlassungen soll sanktioniert werden. Der auf Unionbusting spezialisierte Arbeitsrechtler Walter Naujocks verklagte den gekündigten Betriebsratsvorsitzenden und seinen Stellvertreter auf Schadenersatz in Millionenhöhe. Ihr Protest gegen die Kündigungen soll dem Unternehmen geschadet haben.

Dem Management von Deliveroo wiederum wird vorgeworfen, in Köln eine Betriebswahl gezielt sabotiert zu haben, indem die Zahl der Festangestellten reduziert und die Zahl der Selbstständigen erhöht wurde. Die Initiative moniert auch, dass die Deliveroo-App, mit der die Arbeit organisiert wird, so umgestellt wurde, dass die Beschäftigten nicht mehr untereinander, sondern nur noch mit ihrem Schichtkoordinator Kontakt aufnehmen konnten. In Berlin forderte die Freie Arbeiter Union bisher vergeblich einen Tarifvertrag.

Die nächste Freitagsaktion fällt mitten in die bundesweiten Betriebsratswahlen, die alle vier Jahre stattfinden. »Bei keiner Wahl in Deutschland werden demokratische Grundrechte so mit Füßen getreten wie bei Betriebsratswahlen«, sagt der Sprecher der aktion./.arbeitsunrecht, Elmar Wiegand. Dennoch werde nur selten darüber berichtet, kritisiert seine Mitstreiterin Jessica Reisner. Das vergleichsweise große Medieninteresse an dieser Abstimmung hat mit dem Versuch der AfD zu tun, eine rechte, unternehmerfreundliche Konkurrenz zum DGB aufzubauen. Die Initiative aktion./.arbeitsunrecht richtet dagegen den Fokus auf die alltägliche Behinderung von Betriebsratsarbeit und kritisiert »die skandalöse Untätigkeit der Strafverfolgungsbehörden«. In Hessen hat sie nun eine Unterschriftensammlung gestartet. Damit wird die Generalstaatsanwaltschaft aufgefordert, dafür zu sorgen, dass Betriebsratsbehinderung nicht länger straffrei bleibt. Anlass sind aktuelle Fälle am Frankfurter Flughafen.

aus Neues Deutschland: 9.3.2018

Peter Nowak

Der Prekarität ausgeliefert

Mit »Deliverunion« will die FAU Essenskuriere gewerkschaftlich organisieren Die Basisgewerkschaft FAU organisiert mit ihrer Initiative »Deliverunion« die Kuriere von Essenslieferdiensten wie Foodora und Deliveroo. Die DGB-Gewerkschaft Verdi hat wenig Interesse an diesen prekär Beschäftigten.

»Die besten Restaurants liefern jetzt.« Oder: »Deine Lieblingsrestaurants, blitzschnell zu Dir geliefert.« Mit solchen Claims werben Firmen wie Foodora und Deliveroo für ihre Essenslieferdienste. Über Internetplattformen vermitteln sie Essen von Restaurants an Kunden, das von freischaffenden Fahrradkurieren ausgeliefert wird. »Foodora und Deliveroo können ohne die Fahrerinnen und Fahrer nicht existieren und trotzdem behandeln sie uns wie den Anfang der Nahrungskette«, sagte Zuzia*, die ein Jahr lang bei Deliveroo gearbeitet hat. Vergangene Woche trafen sich mehr als 150 dieser vorwiegend jungen Leute im Berliner Kino »Zukunft am Ostkreuz«. Eingeladen hatte die Basisgewerkschaft Freie Arbeiterinnen- und Arbeiterunion (FAU). Sie eröffnete damit ihre Initiative »Deliverunion«. Schnell einigte man sich darauf, auf Englisch zu kommunizieren, denn die Beschäftigten kommen aus den unterschiedlichsten europäischen Ländern.

Viele der bei diesen Lieferdiensten Beschäftigten hatten sich erst an die DGB-Gewerkschaft Verdi gewandt. Anders als die FAU interessiert sich Verdi aber nicht für die jungen, flexiblen Lieferdienstmitarbeiter, sondern für Beschäftigte, die nach Jahrzehnten aus gesundheitlichen Gründen die Arbeit nicht mehr leisten können.

Mit den Restaurantlieferdiensten hat sich die FAU eine Branche ausgesucht, die neue Negativstandards bei Arbeitsbedingungen und Arbeitsrechten setzt. »Wir haben es hier mit einer ›Uberisierung‹ des Arbeitsmarktes zu tun«, so der Pressesekretär der Berliner FAU, Clemens Melzer, der auch in der Arbeitsgruppe »Delivery« der FAU mitarbeitet. Er bezieht sich damit auf Unternehmen wie Uber, deren Geschäftsmodell in der bloßen Vermittlung von Aufträgen bei meist prekären Arbeitsbedingungen besteht.

Viele der bei diesen Lieferdiensten Beschäftigten hatten sich erst an die DGB-Gewerkschaft Verdi gewandt. Anders als die FAU interessiert sich Verdi aber nicht für die jungen, flexiblen Lieferdienstmitarbeiter, sondern für Beschäftigte, die nach Jahrzehnten aus gesundheitlichen Gründen die Arbeit nicht mehr leisten können. »Hier werden Folgekosten für eine krankmachende Arbeit auf die Gesellschaft abgewälzt«, sagt Detlef Conrad, der bei Verdi außer für die Lieferdienste auch für Senioren zuständig ist.

Eine bundesweite Koordinierungsstelle nur für die Betreuung von Lieferdienstbeschäftigten sei bei Verdi zurzeit nicht geplant, so Conrad. Der Verdi-Gewerkschaftssekretär hatte sich bei einer Veranstaltung zu den Arbeitsbedingungen bei den Lieferdiensten im Herbst 2016 den Unmut von Beschäftigten zugezogen, als er sein Unverständnis darüber bekundete, warum so viele Menschen Essen nach Hause bestellen und so diese Jobs erst erschaffen.

Bei der FAU, die bereits häufiger Arbeitskämpfe in prekären Bereichen geführt hat, stoßen die Kuriere dagegen auf offene Ohren für die Erfahrungen, die sie mit der in der Branche so hochgelobten Flexibilität machen. Fahrer beklagen die kurzfristige Änderung der Schichtpläne. Oft müssten sie nach Schichtende noch Aufträge annehmen oder Aufträge über ihr Zustellgebiet hinaus bedienen, benannte Melzer einige der Probleme, unter denen die Fahrer leiden. Oft wüssten die Beschäftigten nicht, wie viele Schichten sie im nächsten Monat haben werden. »Ich hoffe, dass mein Vermieter auch so flexibel ist, wenn ich meine Miete nicht zahlen kann«, sagte ein in der FAU organisierter Fahrer.

Er gehört zu den Beschäftigten, die in den vergangenen Wochen einen Forderungskatalog erstellt haben, den die FAU mit den Lieferdiensten verhandeln will. Dazu gehören die Übernahme von Reparaturkosten für die Räder, eine bezahlte Stunde pro Woche für die Schichtplanung und mindestens ein Euro mehr pro Lieferung. »Leider ist uns der Forderungskatalog per Post noch nicht zugegangen«, sagte ein für Personalfragen zuständiger Foodora-Mitarbeiter der Jungle World. Man werde aber schnell antworten, wenn die Forderungen eingetroffen seien. Auch bei Deliveroo bat man auf Anfrage zunächst um Geduld.

Bereits im vergangenen Jahr machten Beschäftigte von Lieferdiensten in Italien, Großbritannien und Österreich mit kurzen Streiks und Protestaktionen auf ihre schlechten Arbeitsbedingungen aufmerksam und konnten Verbesserungen erreichen. Ein Erfolg der FAU bei der Organisierung könnte ein Signal über die Lieferdienste hinaus sein. Schließlich sind sie Teil der wachsenden sogenannten Gig-Ökonomie, in der sich Beschäftigte über Internetplattformen von einem prekären Auftrag – englisch: gig – zum nächsten hangeln.

Bisher galten diese Beschäftigten als schwer organisierbar. Ein Ruf, der zumindest bei den Lieferdiensten nicht mehr uneingeschränkt zutrifft.
* Vollständiger Name der Redaktion bekannt.
aus:

Jungle.World 2017/18 Inland

https://jungle.world/artikel/2017/18/der-prekaritaet-ausgeliefert

Von Peter Nowak

Arbeitskampf per App

Das Symbol der aufgehenden Sonne stand Anfang der achtziger Jahre für den Kampf um die 35-Stundenwoche. Die Kampagne für Arbeitszeitverkürzung wurde über die DGB-Gewerkschaften hinaus auch von Jugendverbänden, Künstlern und Gruppen der außer­parlamentarischen Linken jener Zeit unterstützt. Das Symbol erinnert an eine Zeit, als Reformen noch eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Lohnabhängigen bedeuteten und es die weit verbreitete Überzeugung gab, dass der technische Fortschritt dazu beitragen könne.

Dieser Tage ist von Reformen hingegen nicht viel zu erwarten. So vage und unbestimmt die Begriffe aus dem Bereich »Arbeit 4.0« sind, so verbreitet ist auch die Überzeugung, dass intelligente Maschinen eine große Zahl der derzeitigen Arbeitsplätze überflüssig machen

werden und dass immer mehr Menschen deshalb immer öfter immer schlechter bezahlte Jobs annehmen müssen, um zu überleben. Nun hat das von Andrea Nahles (SPD) geleitete ­Bundesministerium für Arbeit und Soziales ein »Weißbuch Arbeiten 4.0« vorgelegt, das erste Ergebnisse einer Diskussion mit DGB-Gewerkschaftern, den Industrie- und Sozialverbänden und Wissenschaftlern zusammenfasst. »Wie können wir das Leitbild der ›guten Arbeit‹ auch im digitalen und gesellschaftlichen Wandel erhalten und sogar stärken?« lautet eine zentrale Frage. Mit dem Schlagwort »Arbeitsschutz 4.0« sollen die oft mit gewerkschaftlichen Kämpfen durchgesetzten Schutzbestimmungen für die Lohnabhängigen nicht nur »an den digitalen, sondern auch an den zunehmend spürbaren demographischen Wandel« angepasst werden. Die Kapitalvertreter haben schon lange die Gelegenheit erkannt, mit Verweis auf die Unwägbarkeiten der »Industrie 4.0« ihre Vorstellungen einer von sozialen Regulierungen befreiten Arbeitswelt zu propagieren. So warnte die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) in einem Papier, dass jede denkbare Regulierung »eine erfolgreiche Digitalisierung erschweren« könne. Daher müssten bestehende Regulierungen bei den Mitbestimmungs-, Arbeits- und Sozialrechten auf den Prüfstand gestellt werden. In Nahles’ »Weißbuch« wird nun versucht, Kompromisse für die divergierenden Interessen von Kapital und Arbeit zu finden. So werden ­Experimente zur Lockerung der Arbeitszeitregelungen ins Gespräch gebracht, die die Arbeitgeberseite gerne nutzen wird. Dabei kann sie auf die berechtigte Aversion gegen fordistische Managementmethoden zurückgreifen.

»Stechuhr und Kernarbeitszeit haben in vielen Jobs längst ausgedient, die ­Erwerbstätigen möchten zunehmend flexibel und selbstbestimmt arbeiten«, wird der Hauptgeschäftsführer von Bitkom, Bernhard Rohleder, in einer Pressemitteilung mit der Überschrift »Arbeit 4.0: Flexibel, selbstbestimmt, effizient« zitiert. Dort wird die im Weißbuch in Aussicht gestellte Flexibilisierung der Arbeitsgesetze begrüßt. Abweichungen von geltenden Regelungen des Arbeitszeitgesetzes seien allerdings noch an zu enge Voraus­setzungen gebunden. Nach den Vorstellungen von Bitkom soll die Digitalwirtschaft »grundsätzlich von den ­Einschränkungen bei Arbeitnehmer­überlassung und Werkverträgen aus­genommen werden« (siehe Interview S. 5). Ähnliche Forderungen kommen auch von den Interessenvertretern anderer Branchen, die von der Digitalisierung betroffen sind. Die Verunsicherung vieler Beschäftigter über die Zukunft ihrer Arbeitsplätze kommt den Kapitalinteressen ebenso entgegen wie eine Kritik an diesen Entwicklungen, die noch immer den Eindruck erweckt, als sei in der Ära der fordistischen Arbeitsverhältnisse alles besser gewesen.

So ist es paradox, dass die Vertreter der Industrie Stechuhren als abschreckendes Beispiel des Fordismus anführen. Schließlich gehörten diese seit ­jeher zu den besonders verhassten Methoden der Kontrolle der Beschäftigten. Wer die Stechuhr eine Minute zu spät passierte, hatte mit Lohnabzug zu rechnen, kam die Verspätung öfter vor, drohten Abmahnungen bis zur Kündigung. In der flexiblen Welt der 2Arbeit 4.0« haben sich die Kontrollmethoden der Arbeitskraft nicht etwa ­gelockert, sondern eher verschärft. Heutzutage ist es technisch möglich, die letzten Nischen, die in der fordistischen Fabrikgesellschaft noch nicht erfasst werden konnten, zu überwachen. So können Gespräche der Beschäftigten von Callcentern ständig mitgehört werden. Dauern die Pausen zwischen den Gesprächen zu lange, wird abgemahnt.

Zu den ersten Leidtragenden der Flexibilisierung gehören Mitarbeiter der boomenden Branche von Lieferdiensten wie Deliveroo und Foodora. Dahinter stehen Start-up-Unternehmen, die gerne mit dem Image der Unabhängigkeit und Flexibilität der Beschäftigten werben. Auf einer Veranstaltung des Bildungsvereins »Helle Panke« Anfang Dezember in Berlin stellte die Journalistin Nina Scholz, die sich mit den Arbeitsbedingungen bei Lieferdiensten beschäftigt, dieses Image in Frage. »Unabhängig sind die Beschäftigten lediglich von sozialen Regelungen. Die Arbeit verschwindet nicht, wie häufig behauptet, sie wird nur immer schlechter bezahlt.« Auch Hendrik Lehmann, der für Tagesspiegel Digital Present zu den Lieferdiensten recherchiert hat, machte deutlich, dass die Unabhängigkeit schon bei der Wahl der Bekleidung der Beschäftigten endet. So sollen Arbeitnehmer in Berlin bis zu 150 Euro für eine Weste mit dem Emblem ihrer Firma aus eigener Tasche bezahlen. Fahrern, die sich weigerten, Geld zu zahlen, um mit dem Namen eines Unternehmens zu werben, bei dem sie gar nicht angestellt sind, sei mit der Sperrung ihrer App gedroht worden, was den Verlust des Arbeitsplatzes nach sich zöge. Kontrolliert werden die Beschäftigten der Lieferdienste auf ihrer Fahrt ständig. Wenn sie sich nicht an die vorgegebene Route halten, gibt es Nachfragen und im ­Wiederholungsfall Sanktionen.

Auf der Veranstaltung, auf der viele Beschäftigte von Lieferdiensten anwesend waren, wurde schließlich die Frage nach der »Gewerkschaft 4.0« gestellt. Damit ist eine Interessenvertretung gemeint, in der sich die Beschäftigten ­organisieren können, ohne erst den Weg durch die DGB-Bürokratie gehen zu müssen. Die Frage richtete sich an Detlef Conrad, Sekretär von Verdi, der auf die Arbeitskämpfe im Einzelhandel und bei der Post verwies, bei denen seine Gewerkschaft mit Flashmobs und Apps experimentiert habe. Ob Verdi damit bereits die Anforderungen ­einer 2Gewerkschaft 4.0« erfüllt, ist fraglich. Ohnehin ist in Deutschland nur jeder siebte Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland mit einem Organisationsgrad von 15 Prozent nur im hinteren Mittelfeld. Und gerade bei der Organisierung prekär Beschäftigter mangelt es den etablierten Gewerkschaften an tragfähigen Konzepten.

In Großbritannien und Italien gab es hingegen bereits Arbeitskämpfe von Beschäftigten bei Lieferdiensten. Dabei wurde deutlich, dass diese Beschäftigten sehr wohl Durchsetzungsmacht besitzen, weil sie das Firmenimage beschädigen und das Versprechen von schneller Lieferung konterkarieren können. Gewerkschaftliche Selbstorganisation wäre auch in anderen Branchen nötig, um der Flexiblisierung der Arbeitswelt im Sinne des Kapitals Grenzen zu setzen. »Wer gute Arbeit für alle erreichen will, muss auch bereit sein, reale Konflikte auszutragen. Nicht nur in Wahlkampfreden und ­Parlamenten, sondern in Betrieben, vor Gerichten und auf der Straße«, erinnert der Publizist Wolfgang Michal an einen Grundsatz der Arbeiterbewegung aus einer Zeit, als noch unter dem Logo der aufgehenden Sonne für Arbeitszeitverkürzung gekämpft wurde. Dieser Kampf wäre heute, da Maschinen und Roboter angeblich die Menschen ersetzen, aktueller denn je.

http://jungle-world.com/artikel/2016/50/55391.html

Peter Nowak