Streit um Spendenkampagne

LINKS Organisation der außerparlamentarischen Linken muss für Konferenz neue Räume suchen
Am zweiten Februar-Wochenende wollte die Neue Antikapitalistische Organisation (NAO) den linken Internationalismus wieder beleben. VertreterInnen linker Organisationen aus Portugal, Polen, Syrien, der Türkei, Großbritannien, Dänemark und Griechenland waren eingeladen. Für den 12./13. Februar hat die Organisation der außerparlamentarischen Linken, in der sich trotzkistische Grupppen mit
Antifa-AktivistInnen zusammengeschlossen haben, Workshops, Film- und Diskussionen sowie ein Konzert vorbereitet.Doch nun suchen die VeranstalterInnen neue Räume, weil der Vertrag mit dem Statthaus Böcklerpark gekündigt wurde. Anlass war ein Facebook-Eintrag,
wonach Mehreinnahmen aus dem Konzert der Kampagne „Waffen für die YPG/YPJ – Solidarität mit Rojava“ zukommen sollen. In der kurdischen Provinz im Norden Syriens kämpfen kurdische Guerillas gegen den sogenannten IS. Der Berliner NAO-Sprecher Michael Prütz
spricht von einer Kündigung aus heiteren Himmel und vermutet eine Einflussnahme aus der Kreuzberger Politik. Alex Hadlich vom Trägerverein das Statthauses Böcklerpark führt mehrere Gründe für die Kündigung an. „Wir arbeiten mit Jugendlichen, und zu unserem
Selbstverständnis gehört die Ablehnung von Waffengewalt. Daher kann ich diese Spendenkampagne politisch nicht unterstützen.“ Auch Sicherheitsgründe hätten zur Vertragskündigung geführt, denn türkische NationalistInnen hätten Proteste angekündigt. Zudem hätten sich BürgerInnen ans Bezirksamt gewandt. Eine Einflussnahme habe es aber nicht gegeben. „In der Vergangenheit haben immer wieder linke Veranstaltungen in unseren Haus stattgefunden, und das soll auch so bleiben“,so Hadlich.
aus Taz-Berlin, 2.2.2016
Peter Nowak

Skepsis und Solidarität

Die Freude über den Sieg von Syriza bei der Wahl in Griechenland war bei der außerparlamentarischen Linken in Deutschland groß. Für Unbehagen sorgt die Wahl der rechtspopulistischen Partei Anel als Koalitionspartner.

Wochenlang dümpelte die Kampagne für den europaweiten »Blockupy«-Aktionstag, der am 18. März in Frankfurt/Main stattfinden soll, vor sich hin. Wie soll man auch an einem Mittwoch die Massen zu einem symbolischen Protest anlässlich der Eröffnungsfeier für das neue Gebäude der Europäischen Zentralbank (EZB) bewegen, wenn die Mitarbeiter der EZB ihre Arbeit dort schon vor einigen Monaten aufgenommen haben? Zudem gab es auch lange Zeit zahlreiche politische Diskussionen darüber, warum ausgerechnet die EZB zum Ziel der Proteste gemacht wurde. Hatte diese nicht trotz des Widerstands der deutschen Bundesregierung Geld in den Euro-Raum gepumpt und damit schon vor zwei Jahren Spekulationen über ein Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone die Grundlage entzogen?

Doch der Wahlsieg von Syriza in Griechenland hat der Kampagne für den »Blockupy«-Aktionstag Auftrieb gegeben. Für die Mitglieder der Vorbereitungsgruppe ist der Glücksfall eingetreten, dass eine gemäßigt linke Regierung im Euro-Raum den Beweis dafür antreten möchte, dass auch in der Euro-Zone eine andere Politik möglich ist, ohne gleich den Kapitalismus infrage zu stellen. Dem Experiment einer linkskeynesianischen Politik stellt sich nicht nur die Bundesregierung, sondern auch die EZB entgegen. Diese hat eine Sondergenehmigung für den Einsatz griechischer Staatsanleihen aufgehoben. Die Bonds werden seit dem 11. Februar nicht mehr als Sicherheiten für EZB-Kredite akzeptiert. Mit dieser Entscheidung erschwert die EZB den griechischen Banken den Zugang zu frischem Geld. Der konservativen griechischen Vorgängerregierung wurde dieser Zugang noch ermöglicht, obwohl sie den versprochenen Kampf gegen die Korruption nie begonnen hat. Der Regierung unter dem neuen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras will die EZB hingegen schon von Anfang an die Möglichkeiten begrenzen.

Eine bessere Werbung konnte sich das »Block­upy«-Bündnis nicht wünschen. Auf der Homepage des Bündnisses wird das ganz offen erklärt. Dort wird zunächst eingeräumt, dass es große Zweifel gab, ob die Entscheidung für den Aktionstag am 18. März nicht ein Fehler gewesen sei. Mit dem Blick auf die Wahl in Griechenland heißt es dann: »Nun können wir sagen: Dieser Fehler war ein Glücksfall.« Man verneige sich »vor dieser Entschlossenheit und Rebellion, vor dem langem Atem und der Hoffnung«, wird das griechische Wahlergebnis kommentiert. Allerdings wird die Begeisterung dann doch etwas abgeschwächt: »Eine andere, bessere Welt wird nicht per Kabinettsbeschluss eingeführt.« Man stehe nicht an der Seite eines Regierungsprojektes, sondern an der »der kämpfenden Menschen in Griechenland und der solidarischen Linken«.

Der Widerspruch, ein Wahlergebnis zu feiern, aber auf Distanz zur sich darauf stützenden Regierung zu gehen, erklärt sich aus der Zusammensetzung des »Blockupy«-Bündnisses, das von Attac bis zum Bündnis »Ums Ganze« reicht. Gerade den linken Vertretern des Bündnisses dürfte die Koalition von Syriza mit der rechtskonservativen Partei Anel besonders missfallen. »Die Chance der griechischen Wahl misst sich daher nicht nur am Umgang der Regierung mit den Auflagen der Troika, sondern gleichermaßen an ihrem Verhältnis zu den Fragen der linken Bewegungen. Sozial geht nicht national, nicht patriarchal, nicht homophob, nicht antisemitisch, nicht rassistisch.«

Auch die »Neue antikapitalistische Organisation« (NaO), ein Bündnis trotzkistischer und antifaschistischer Gruppen, findet deutliche Worte zum Koalitionspartner Syrizas. Anel »ist eine antisemitische, rechtspopulistisch-nationalistische Kraft, die den Teil des griechischen Kapitals repräsentiert, der sich mehr Widerstand gegen EU und Deutschland wünscht«, heißt es dort. »Die Koalition mit der Anel-Partei erschwert sehr die Solidarität«, sagt NaO-Sprecher Michael Prütz der Jungle World. Zugleich ist Prütz aber davon überzeugt, dass die Regierung Syrizas ohne eine starke Solidaritätsbewegung scheitern würde. Bereits vor den letzten Wahlen gründete die NaO ein Griechenland-Solidaritätskomitee. Daraus ist ein Netzwerk entstanden, auf das sich die Solidaritätsgruppen stützen können. Ende Februar wollen sie sich in Köln zu einer ersten Vernetzungskonferenz treffen. Im Rahmen des »Blockupy«-Aktionstags soll es dann zu einer europäischen Kooperation kommen.

Der langjährige IG-Metall-Gewerkschafter Hans Köbrich hat in den vergangenen zwei Jahren mehrmals linke außerparlamentarische Projekte in Griechenland besucht und deren Mitglieder zu Besuchen in Deutschland eingeladen. 2013 beteiligte sich eine griechische Delegation an der »Revolutionären 1. Mai-Demonstration« in Berlin. Sie wollten explizit in Deutschland, dem Land, in dem die Austeritätspolitik für den Euro-Raum konzipiert wurde, ihren Protest zum Ausdruck bringen. In den kommenden Wochen soll wieder eine Solidaritätsdelegation nach Deutschland kommen. Nur ist ihr Großteil dann Teil der neuen Regierungsmehrheit in Griechenland. Doch Köbrich betont, dass es keine Syriza-Jubelveranstaltung geben wird: »Solidarität muss immer kritisch sein.« Allerdings betont der Gewerkschafter auch, dass er der neuen griechischen Regierung nicht vorschnell das Etikett einer weiteren reformistischen Illusion verpassen will. »Ich sehe in der neuen Regierung keine neue Sozial­demokratie, die nur Wohltaten verteilen will. Ich sehe in der Abwahl der alten Eliten eine Chance für reale emanzipatorische Veränderung, die wir nutzen müssen«, sagt er im Gespräch mit der Jungle World.

Während Köbrich Chancen für eine außerparlamentarische Linke ausloten will, haben auch der Vorsitzende des DGB, Reiner Hoffmann, und die Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften IG Metall, GEW, IG BCE, NGG, Verdi, EVG und IG Bau einen Aufruf unterzeichnet, der unter dem Motto steht: »Griechenland nach der Wahl – keine Gefahr, sondern eine Chance für Europa«. Sie werten den Wahlsieg von Syriza als eine Chance für mehr Sozialdemokratie im Euro-Raum. Bezeichnenderweise mochte als einzige DGB-Gewerkschaft die Gewerkschaft der Polizei diesen Aufruf nicht unterzeichnen.

Auffällig ist, dass in der Solidaritätsbewegung für Griechenland bisher ein Thema kaum aufgegriffen wurde, das von Tsipras bereits lange vor der Wahl und bei seiner Regierungserklärung im Parlament erneut angesprochen wurde. Es geht um Schulden Deutschlands an Griechenland. Dabei bezieht sich Tsipras auf eine Zwangsanleihe, die die griechische Nationalbank während der NS-Besetzung an das Dritte Reich in Höhe von 476 Millionen Reichsmark zahlen musste. Sie wurden nie zurückgezahlt. Nach griechischen Berechnungen entspräche dies heute elf Milliarden Euro. Griechische Widerstandsorganisationen fordern seit vielen Jahren Reparationszahlungen, sie nennen einen Gesamtbetrag von 162 Milliarden Euro ohne Zinsen für alle Reparationsforderungen. Keine bisherige Regierung hat gewagt, eine solche Forderung an Deutschland zu richten. Das könnte sich unter der neuen Links-rechts-Koalition ändern.

Die Bundesregierung hat auf Tsipras’ Parlamentsrede mit der lapidaren Antwort reagiert, weitere Reparationszahlungen seien ausgeschlossen. Nur handelt es sich bei den nicht zurückgezahlten Zwangsanleihen nicht um Reparationen, sondern schlicht um Schulden. Hier könnte sich auch das Feld für eine linke Bewegung auftun, die bei aller Kritik an Syriza und der neuen griechischen Regierung diese Forderung nach Bezahlung der Schulden an Griechenland in den Mittelpunkt stellen könnte. Zudem könnte sich eine kritische Linke gegen den Sozialchauvinismus wenden, der sich in der deutschen Politik und führenden Medien gegenüber einem Großteil der griechischen Bevölkerung artikuliert. Das begann schon vor einigen Jahren, als die Bild-Zeitung und andere Boulevardblätter über »Pleite­griechen« höhnten, die doch gefälligst ihre Inseln zum Verkauf anbieten sollten. In der kommenden Zeit dürfte wieder die Kampagne »Kein deutsches Geld an Griechenland« reanimiert werden, und zwar in einem Land, das sich standhaft weigert, die Schulden aus der Nazizeit zu begleichen.

In Griechenland geborene Linke wie Mark Terkessidis und Margarita Tsomou haben sich in der Taz irritiert darüber gezeigt, wie ausgiebig in manchen deutschen Medien die Koalition von Syriza und Anel kommentiert wurde, während die Kritik an der Wahl des Koalitionspartners Anel auch in der außerparlamentarischen Linken in Griechenland einen geringeren Stellenwert hat. Die Kritik an den griechischen Rechtspopulisten in Deutschland wäre glaubwürdiger, wenn der antigriechische Sozialchauvinismus deutscher Medien und der Umgang der deutschen Regierung mit den Schulden aus der Nazizeit genauso skandalisiert würden.

http://jungle-world.com/artikel/2015/07/51416.html

Peter Nowak

Wann zahlt Deutschland seine Schulden an Griechenland?

Während die deutsche Regierung zur neuen griechischen Administration auf Konfrontationskurs geht, bringt sich die Solidaritätsbewegung langsam in Position

Der neue griechische Ministerpräsident hat in seiner Regierungserklärung betont, dass seine Regierung die Verpflichtungen einhalten will. Allerdings nicht gegenüber der EU-Troika, sondern gegenüber seinen Wählern, die die Troikapolitik in Griechenland abgewählt haben. Manche in der EU schienen das nicht begriffen zu haben, und fordern von der neuen griechischen Regierung, die Politik ihrer Vorgängerregierung fortzusetzen.

Das ist eine Aufforderung zum politischen Selbstmord. In der konservativen FAZ wird ganz offen ausgesprochen, dass Tsipras scheitern muss. Schließlich bestünde ja die Gefahr, dass ein Ende des Verarmungsprogramms in einem EU-Land auch in anderen Ländern Nachahmungseffekte auslöst.
So heißt es in einen Kommentar [1] auf dem Wirtschaftsseiten der FAZ:

Die neue griechische Regierung strebt vor allem nach mehr laufenden Ausgaben. Sie will höhere Mindestlöhne, höhere Renten, neue Einstellungen im Staatsdienst, mehr Sozialleistungen, subventionierten Strom und weniger Steuern für Kleinverdiener.
Aus seinem knappen Wahlsieg leitet der neue Ministerpräsident nicht nur ab, dass er die Legitimation erhalten habe, das versprochene Ausgabenprogramm zu verwirklichen, sondern auch, dass ihm andere das nötige Geld hierfür geben müssten. An diesem Punkt zerschellen hoffentlich die griechischen Wunschträume an der ungemütlichen Realität: Griechenland ist nicht kreditwürdig und bekommt an den Finanzmärkten keine langfristigen Kredite zu bezahlbaren Zinsen.

Schon zuvor hatte die FAZ mit der Schlagzeile: „Die Troika lässt sich nicht abschaffen“ [2] deutlich gemacht, dass es für das Blatt eine Instanz gibt, die mächtiger als gewählte Politiker ist. In der FAZ werden auch Leserkommentare zitiert, die eine angebliche Enttäuschung der griechischen Wähler über „die Stümper Varoufakis und Tsipras“ wiedergeben [3]. Auch baldige Neuwahlen werden gefordert, damit für die Bundesregierung und den ihnen nahestehenden Medien das Gespenst einer anderen Politik wieder aus dem EU-Raum verschwindet.

Mehr Sozialdemokratie wagen

Doch langsam macht sich auch die Solidaritätsbewegung bemerkbar. Die Akteure und ihre Aussagen sind sehr unterschiedlich. „Mehr Sozialdemokratie wagen“ könnte der Inhalt des Aufrufs [4] lauten, der vom Vorsitzenden des DGB und all seiner Einzelgewerkschaften mit Ausnahme der Gewerkschaft der Polizei unterzeichnet wurde:

Der politische Erdrutsch in Griechenland ist eine Chance nicht nur für dieses krisengeschüttelte Land, sondern auch dafür, die Wirtschafts- und Sozialpolitik der EU grundsätzlich zu überdenken und zu korrigieren.

Einen ganz anderen Tenor hat ein Aufruf [5] der linken Neuen Antikapitalistischen Organisation:

Der Wahlsieg von Syriza ist ein wichtiges Zeichen gegen die Sparpolitik und die Diktate der EU-Bürokratie und des deutschen Imperialismus.

Allerdings wird auch mit Kritik an der Koalitionsentscheidung von Syriza nicht gespart:

Für viele Außenstehende überraschend kam sicherlich die schnelle Koalitionsgründung mit Anel gleich am ersten Tag der Verhandlungen. Wir lehnen diese Partei ab und sprechen uns gegen deren Regierungsbeteiligung aus. Anel, als Abspaltung der ND seit 2011 im Parteiensystem dabei, ist eine antisemitische, rechtspopulistisch- nationalistische Kraft, die den Teil des griechischen Kapitals repräsentiert, der sich mehr Widerstand gegen EU und Deutschland wünscht. Ihre „Haltelinien“ für die Koalition heißen „Kirche, Außenpolitik und Einwanderung“.

Wird der 18. Marz die erste Solidaritätsaktion für Griechenland?

Auch das Blockupy-Bündnis [6], das seit mehreren Monaten einen Aktionstag gegen die Europäische Zentralbank in Frankfurt/Main vorbereitet, kritisiert den Koalitionspartner von Syriza:

Gerade vor dem Hintergrund der Koalition mit der rechtspopulistischen ANEL dürfen wir insofern jetzt nicht in das alte Denken des Hauptwiderspruchs zurück fallen. Die Chance der griechischen Wahl misst sich daher nicht nur am Umgang der Regierung mit den Auflagen der Troika, sondern gleichermaßen an ihrem Verhältnis zu den Fragen der linken Bewegungen. Sozial geht nicht national, nicht patriarchal, nicht homophob, nicht antisemitisch, nicht rassistisch.

Der Aktionstag am 18. März konnte jetzt zu einem ersten europaweiten Aktionstag mit der griechischen Linken werden. Schließlich versucht die EZB die neue griechische Regierung ökonomisch unter Druck zu setzen. So hat die EZB eine Sonderregelung mit Athen suspendiert und damit den griechischen Banken den Zugang zu frischem Geld erschwert. Am 21./22. Februar wird es ein Treffen der bundesweiten Griechenlandsolidarität [7] in Köln geben, in dem es auch um die Vorbereitung des 18. März gehen soll.

Wann zahlt Deutschland die Schulden?

Bisher spielt in der Debatte in Deutschland ein Aspekt noch keine Rolle, der in den letzten Tagen in Griechenland in den Mittelpunkt rückte. Es geht um Schulden Deutschlands an Griechenland. Dabei bezieht sich die neue Regierung auf eine Zwangsanleihe, die die griechische Nationalbank während der NS-Besetzung an das Dritte Reich zahlen musste und nie zurückgezahlt wurde. Nach griechischer Rechnung entspräche dies heute elf Milliarden Euro.

Griechische Widerstandsorganisationen fordern seit vielen Jahren eine Rückzahlung und nennen weit höhere Summen. Alle bisherigen Regierungen haben nicht gewagt, eine solche Forderung an Deutschland zu richten. Das hat sich unter der neuen Regierung geändert. Die Bundesregierung hat auf Tsipras Parlamentsrede mit der lapidaren Erklärung reagiert, weitere Reparationszahlungen seien ausgeschlossen.

Mittlerweile wird an einer Argumentation gebastelt, mit der die deutsche Regierung auch schon in anderen Fällen versucht hat, NS-Opfer leer ausgehen zu lassen. Dabei geht es um die juristisch bedeutsame Frage, ob die Zwangsanleihe in die Kategorie Schulden oder Reparationen fällt. Während Schulden auch nach 70 Jahren mit Zinsen zurück gezahlt werden müssen, hat es die Bundesregierung mit viel Druck erreicht, dass alle Reparationsforderungen abgegolten sind.

Warum das Darlehen nicht in die Kategorie Schulden, sondern Reparationen fällt, erläuterte [8] im Deutschlandfunk Matthias Hartwig vom Max-Plank-Institut [9]:

Ich persönlich bin der Auffassung, dass dieser Kredit zunächst einmal während der Besatzungszeit Griechenlands durch das Deutsche Reich abgeschlossen worden ist und sicherlich als Vertrag gesehen werden muss, welcher nicht auf Augenhöhe geschlossen wurde, also insofern sicherlich, wenn man es so nennen möchte, ein ungleicher Vertrag zwischen Deutschland und Griechenland, und das lässt sich auch damit belegen, dass der Kredit seinerzeit zinslos gegeben worden ist. Von daher gesehen sprechen sehr gute Gründe dafür, diesen Vertrag als einen Teil des Kriegsunrechts anzusehen, mit der Folge, dass eine Wiedergutmachung im Rahmen von Reparationszahlungen zu erfolgen hat.

Kurz zusammengefasst heißt es, weil das Darlehen ein besonders großes Unrecht war, will sich die Bundesregierung von der Rückzahlung drücken. Das erinnert an die Debatte um die Zahlung der Ghettorenten, wo staatliche Stellen und Behörden mit allen Mitteln [10] versuchten die Zahlung zu verhindern.

Auch in diesem Fall wurde argumentiert, dass es in den Ghettos keine normalen Arbeitsverhältnisse gab, sondern der Zwang ausschlaggebend war. Das war sicher nicht mal falsch, wurde aber als Argument genutzt, um die Rentenzahlung zu verweigern. Dass es schließlich für viel zu wenige Leute noch eine Nachzahlung der Ghettorenten [11] ist auch eine Folge eines größeren Drucks, den auch die deutsche Politik nicht ignorieren kann. Es wird sich zeigen, ob ein solcher Druck auch im Fall Griechenland erreicht werden kann.

Wenn sich in aktuellen Umfragen eine große Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung eher für einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone als für eine Umschuldung ausspricht [12], zeigt ein solches Ergebnis angesichts der deutschen NS-Schulden noch mal ein besonderes Ausmaß von Geschichtsvergessenheit. Hier wäre eine besondere Form der Griechenlandsolidarität gefragt, die die Rolle Deutschlands in den letzten 70 Jahren kritisch unter die Lupe nimmt.

http://www.heise.de/tp/news/Wann-zahlt-Deutschland-seine-Schulden-an-Griechenland-2545829.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/eurokrise/griechenland/kommentar-griechischer-wunsch-trifft-realitaet-13419155.html

[2]

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/eurokrise/griechenland/griechenland-die-troika-laesst-sich-nicht-abschaffen-13419145.html

[3]

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/eurokrise/griechenland/griechenland-viele-waehler-sind-ernuechtert-13414347.html

[4]

http://wp.europa-neu-begruenden.de/griechenland-chance-fuer-europa/griechenland-nach-der-wahl-keine-gefahr-sondern-eine-chance-fuer-europa/aufruf-unterzeichnen/

[5]

http://nao-prozess.de/troika-abgewaehlt-solidaritaet-mit-der-griechischen-bevoelkerung-ersatzlose-streichung-der-schulden-keine-zugestaendnisse-an-merkeleu/#more-4442

[6]

https://blockupy.org/

[7]

http://gskk.eu/?event=griechenlandsoligruppen-vernetzungstreffen

[8]

http://www.deutschlandfunk.de/forderungen-griechenlands-nicht-dieses-alte-fass-aufmachen.694.de.html?dram%3Aarticle_id=311238

[9]

http://www.mpg.de/institute

[10]

http://www.welt.de/politik/article13767555/Ein-engagierter-Richter-beisst-auf-Granit.html

[11]

http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/17060

[12] http://www.focus.de/finanzen/news/staatsverschuldung/umfrage-zu-grexit-und-schuldenschnitt-jeder-zweite-deutsche-plaediert-fuer-aust

Rollstuhlfahrer droht der Rauswurf

Widerstand gegen umstrittene Kündigung einer Potsdamer Wohnung wegen Eigenbedarfs

Der an Multipler Sklerose erkrankte Potsdamer Oliver Lenz will seine Mietwohnung nicht freiwillig aufgeben.

Kündigungen wegen Eigenbedarfs bedeuten für die Mieter, die ihre Wohnungen verlassen müssen, oft großen Stress. Doch für Oliver Lenz kommt es besonders schlimm. Denn der 48-Jährige, der seit 1981 in Potsdam lebt, leidet an Multipler Sklerose in fortgesetztem Stadium und ist infolge der Krankheit auf einen Rollstuhl angewiesen. Mittlerweile ist er in seiner Bewegungsfreiheit massiv eingeschränkt, kann aber mit einem persönlichen Assistenten ein selbstbestimmtes Leben führen. Ihm ist wichtig, dass er in seinem bekannten Umfeld bleiben kann. Doch die Wohnung, in der er bereits seit 24 Jahren lebt, soll er nach dem Willen des Eigentümers nun verlassen. Der Investor, der das Haus 2011 erworben hat, gibt an, die Wohnung von Lenz selbst beziehen zu wollen. Er macht also Eigenbedarf geltend.

Die Neue Antikapitalistische Organisation (NaO), eine vor einigen Monaten gegründete bundesweite linke Gruppe, machte jetzt öffentlich auf die drohende Räumung von Oliver Lenz aufmerksam und nahm dabei auch die Potsdamer Wohnungspolitik kritisch unter die Lupe.

»Rollstuhlfahrer von Wohnungsverlust bedroht oder Wann ist zum letzten Mal ihre Miete gestiegen?« lautete der Titel der Veranstaltung, an der Ende der vergangenen Woche zwei Dutzend interessierte Menschen teilgenommen haben. »Warum muss ein Mensch mit großen gesundheitlichen Problemen für die Skandalisierung von Mieterverdrängung herhalten?«, fragten einige besorgt. »Könnte es nicht sein, dass er sich da nur zusätzliche Probleme bereitet?«

Doch Oliver Lenz will kein Mitleid und keine Vorzugsbehandlung, sondern sein Recht, in seinem Quartier und seinem vertrauten Umfeld wohnen zu dürfen. »Es ist klar, dass ich die Wohnung nicht räumen werde«, erklärt er selbstbewusst. »Ich bin gespannt, was passiert, wenn der Gerichtsvollzieher vor mir steht und mir mitteilt, dass ich die Wohnung verlassen muss. Wer soll mich denn mit meinen Rollstuhl runtertragen und auf die Straße setzen?«

Noch hat die Justiz das letzte Wort nicht gesprochen. Das Amtsgericht Potsdam wies die Räumungsklage ab und begründete dies mit der schweren gesundheitlichen Behinderung von Oliver Lenz. Der Hausbesitzer legte Widerspruch ein. Jetzt liegt der Fall beim Landgericht.

Lenz und seine Unterstützer befürchten, dass dort das Urteil nicht so mieterfreundlich ausfallen wird. »Der Eigenbedarf ist nur dann nicht gegeben, wenn er offensichtlich vorgetäuscht ist oder wenn er rechtsmissbräuchlich wäre«, betont Katja Damrow, die Rechtsanwältin von Oliver Lenz. Obwohl der Eigentümer mehrere Wohnungen in Berlin besitze, könne er in Potsdam auf Eigenbedarf klagen, weil er in der Stadt noch kein Quartier habe. Auch die Härtefallklausel sei nicht mieterfreundlich, bedauert Damrow. So reiche es bei Gericht nicht aus, dass ein Mieter aus gesundheitlichen Gründen besonders schutzwürdig sei. Es müsse eine besondere Härte nachgewiesen werden. Eine höhere Miete, die nach einem Auszug für eine neue Wohnung zu zahlen wäre, fällt nicht darunter, weiß Damrow aus der Praxis. »Hier ist das Landgericht Potsdam extrem streng. Es sagt mehr oder weniger, nur wenn der Mieter fast stirbt, weil er aus dieser Wohnung ausziehen muss, liegt eine Härte vor.«

Deswegen war es den Veranstaltern wichtig, die drohende Räumung von Lenz in den Kontext der Potsdamer Wohnungspolitik zu stellen. »Mieter mit geringem Einkommen finden hauptsächlich in den Plattenbausiedlungen am Rande der Stadt eine Wohnung«, erklärt Renate Kocher von der NaO. Manche ziehen ihr zufolge gleich über die Stadtgrenze hinaus in benachbarte Orte, weil dort die Mieten noch erschwinglich seien.

Nico Bauer, Mitarbeiter der linksalternativen Stadtfraktion »Die Andere«, rügt auch das kommunale Wohnungsunternehmen Pro Potsdam scharf. Pro Potsdam sei auf Profitmaximierung statt auf bezahlbare Wohnungen für alle ausgerichtet, sagt er unter Verweis auf zahlreiche Initiativen seiner Fraktion für bezahlbaren Wohnraum. Besonders bekannt wurde die Kampagne für eine Senkung der Mieten bei Pro Potsdam um 20 Prozent.

Der Linksfraktion wird angekreidet, dass sie sich dieser Kampagne damals nicht angeschlossen hatte. Das treffe zu, bestätigt der Kreisvorsitzende Sascha Krämer. Die Forderung nach einer Senkung aller Mieten um 20 Prozent sei allerdings unrealistisch gewesen. Die LINKE habe sich stattdessen erfolgreich darum bemüht, die Mieterhöhungen bei Neuvermietung auf neun Prozent zu begrenzen. Pro Potsdam sollte durchaus etwas Plus machen und das Geld dann in den Neubau von Wohnungen stecken, die in der Landeshauptstadt dringend benötigt werden, findet Krämer. Im Fall von Pro Potsdam hat man es nicht mit Privatleuten zu tun, die sich an Wuchermieten bereichern. Gewinne des kommunalen Wohnungsunternehmens würden in gemeinnützige Projekte fließen oder an die Stadtkasse abgeführt werden, erinnert Krämer. Er sieht seine Partei in dieser Sache in einem Dilemma. Auf der einen Seite sehe sich Pro Potsdam gegängelt und gegenüber der privaten Wirtschaft benachteiligt, auf der anderen Seite sei linke Szene dennoch unzufrieden. Dabei ist die LINKE in der Stadt Potsdam – anders als auf Landesebene – nur eine Oppositionsfraktion. Sie kann nichts erzwingen und ist für Fehlentwicklungen nicht verantwortlich.

Bei durchschnittlich 5,30 Euro je Quadratmeter lag 2013 in Potsdam die Nettokaltmiete, die jenen Wohnungsgesellschaften und -genossenschaften verlangten, die im Verband der Berlin-Brandenburgischen Wohnungsunternehmen organisiert sind. Dies war der höchste Wert im Bundesland. Im Landkreis Potsdam-Mittelmark lag die durchschnittliche Nettokaltmiete zwei Cent niedriger, in allen anderen Landkreisen zwischen 26 Cent und 1,05 Euro niedriger. Im Vergleich zum Vorjahr hatten sich die Nettokaltmieten in Potsdam um 0,4 Prozent erhöht.

Indessen kündigt das neugegründete Komitee »Solidarität mit Oliver« an, die weitere Entwicklung im Fall Oliver Lenz im Auge zu behalten. Sollte die Räumungsdrohung konkret werden, werde sich man auch mit Initiativen gegen Zwangsräumungen in Berlin vernetzen und Widerstand organisieren.

Peter Nowak

Trotzkisten übernehmen Linke

ANTIFA Die radikale Linke organisiert sich neu: Die „Antifaschistische Revolutionäre Aktion“ geht im trotzkistischen Projekt „Neue antikapitalistische Organisation“ auf

VON PETER NOWAK

Das Feld der Berliner Antifagruppen lichtet sich weiter. Vor vier Wochen hat sich die Antifaschistische Linke Berlin (ALB) aufgelöst. Jetzt gab die Antifaschistische Revolutionäre Aktion (Arab) bekannt, dass sie in der bisherigen Form nicht weiterarbeiten wird. Die 2007 gegründete Gruppe will mit dem Projekt „Neue antikapitalistische Organisation“ (NaO) fusionieren.

Diese Kooperation ist auf den ersten Blick überraschend. Denn in der NaO hatten sich nach einer längeren Diskussion Ende 2013 mehrere Gruppierungen vor allem aus dem trotzkistischen und linksgewerkschaftlichen Spektrum zusammengeschlossen. Sie wollten „ein internationalistisches und klassenkämpferisches Profil in der radikalen Linken vertreten“, heißt es in der Gründungserklärung der Gruppe. Zu ihren zentralen Politikfeldern gehören Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit sowie der Kampf gegen hohe Mieten.

Der Arab hingegen wurde regelmäßig vom Berliner Verfassungsschutz bescheinigt, sie sei „eine der aktivsten linksextremistischen Gruppen, die neben Aktionen zu Themen wie Sozialabbau, Antimilitarismus und Antiglobalismus auch einen militanten Antifaschismus in Verbindung mit Antikapitalismus vertritt“. Seit 2008 war die Arab federführend an der Vorbereitung der Revolutionären 1.-Mai-Demonstration beteiligt.

Ein Arab-Vertreter mit dem Alias-Namen Jonas Schießer bezeichnete die Fusion mit der NaO gegenüber der taz als Ergebnis einer monatelangen Diskussion und einer gemeinsamen politischen Praxis. Schnittmengen gebe es vor allem beim Thema Internationalismus.

Für die erste gemeinsame Aktion unter dem Titel „Waffen für Rojava“ wird seit Anfang Oktober bereits Geld gesammelt, mit dem die Bewaffnung der von der IS bedrohten kurdischen KämpferInnen im Norden Syriens unterstützt werden soll (siehe Kasten). Ein weiteres gemeinsames Politikfeld sei die Intervention in soziale Kämpfe, so Schießer. „Die Arab war nie eine reine Antifagruppe, sondern hat sich seit ihrer Gründung gegen die Hartz-IV-Gesetze engagiert und immer wieder Streiks unterstützt.“

Im letzten Jahr hätten Arab und NaO gemeinsam zur Repolitisierung der Revolutionären 1.-Mai-Demonstration beigetragen, sagt Schießer. Teile der autonomen Szene haben beiden Gruppen anschließend eine Befriedungspolitik vorgeworfen, weil sie auf eine geschlossene Demonstration statt auf Scharmützel mit der Polizei orientierten. „Wenn jetzt einige Autonome lästern, die Arab verbündet sich mit den Trotzkisten, stört mich das nicht“, betonte Schießer. Allerdings stellt er auch an seine neuen GenossInnen den Anspruch, sich vom „trotzkistischen Stallgeruch“ zu befreien, weil nur so der Aufbau einer neuen Linken möglich sei.

NaO-Mitbegründer Michael Prütz, der sich in der trotzkistischen Tradition der 70er Jahre sieht, unterstützt dies. „Ziel der NaO war es nicht, eine neue trotzkistische Partei, sondern eine Organisation aufzubauen, die gesellschaftlich relevant ist, die wahrgenommen wird und die in der Lage ist, die politische Initiative zu ergreifen.“

Schießer bleibt zurückhaltend, was die Perspektive der NaO betrifft. Die Fusion beurteilt er bescheiden im PolitikerInnenjargon als „Schritt in die richtige Richtung“. Es gehe um einen gemeinsamen Lernprozess, der auch scheitern könne. Deshalb hält es Schießer auch für wichtig zu betonen, dass sich die Arab anders als die ALB nicht aufgelöst, sondern mit der NaO fusioniert hat. „Sollten wir nach einer Zeit feststellen, dass sich im Rahmen der NaO unsere Vorstellungen nicht umsetzen lassen, können wir immer austreten und wieder als Arab weiterarbeiten.“

Kampagne Waffen für Rojava

Anfang Oktober initiierten NaO und Arab mit kurdischen Solidaritätsgruppen die Spendenkampagne „Waffen für Rojava“.

Schon nach einer Woche sei UnterstützerInnen der kurdisch-syrischen Miliz YPG und den Frauenverteidigungseinheiten YPJ, die gegen den IS kämpfen, ein Scheck von 30.000 Euro übergeben worden, sagt NaO-Sprecher Michael Prütz. Danach habe die Postbank, bei der das Konto eingerichtet war, das Konto gesperrt. Die Gründe seien weder ihm noch seinen AnwältInnen mitgeteilt worden. Rund 8.000 Euro sind laut Prütz an die SpenderInnen zurücküberwiesen worden. Mittlerweile wurde ein neues Konto eingerichtet, und die Spendenkampagne geht weiter. PETER NOWAK

Infos zur Aktion: www.facebook.com/WaffenFuerRojava

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F10%2F20%2Fa0121&cHash=2ef2e10e7c43a1e004c38006df730415

Peter Nowak

Erster europaweiter Generalstreik geplant

In Deutschland rufen jetzt auch DGB-Gewerkschaften zu Kundgebungen auf.

Am 14. November gibt es eine Premiere in der europäischen Protestagenda. In Italien, Spanien, Portugal, Zypern und Malta organisieren die Gewerkschaften erstmals koordiniert einen Generalstreik gegen die Krisenpolitik. Zu dem vom Europäischen Dachverband initiierten Streik rufen auch zahlreiche Basisgewerkschaften auf.

Schien sich der Ausstand zunächst auf Südeuropa zu beschränken, wollen sich nun auch belgische Gewerkschaften daran beteiligen. Dazu dürfte auch beigetragen haben, dass das Ford-Werk in Genk geschlossen werden soll. In einer Spontanaktion beteiligten sich daraufhin 200 Arbeiter am 7. November an einer Protestaktion vor den Fordwerken in Köln, was einen Großeinsatz der Polizei auslöste. Für den 14. November planen die belgischen Ford-Arbeiter erneute Streiks und Proteste.

Weckruf an die Kollegen in Deutschland

„Wir wollten unsere Kölner Kollegen warnen. Jeden Tag kann es passieren, dass die da oben weitere Stellenstreichungen und ganze Werksschließungen verabschieden“, begründete ein belgischer Arbeiter seinen Protest in Köln. Diese Worte könnten durchaus auch bei einigen Kollegen im Bochumer Opelwerk auf offene Ohren stoßen. Schließlich ist das Werk von Schließung bedroht und noch 2004 hatten die Beschäftigten einen einwöchigen wilden Streik organisiert. Doch nach der Einschätzung von Wolfgang Schaumberg, der lange Zeit in der linksgewerkschaftlichen Gruppe Gegenwehr ohne Grenzen aktiv war, ist dort aktiver Widerstand zurzeit nicht zu erwarten. „Alle rechnen sich aus, ob sie mit Abfinden aus dem Betrieb ausscheiden sollen“, beschreibt Schaumberg die aktuelle Situation.

So kommt unter den Kollegen kein Widerstandswille auf und die Unterstützer aus der näheren und weiteren Umgebung, die noch 2004 den Streik mitgetragen haben, werden nicht zu Aktionen bereit sein, wenn es keine Signale aus dem Werk gibt, so die Einschätzung. Wenn sich selbst bei Opel-Bochum trotz Schließungsdrohung und kämpferischen Traditionen wenig regt, kann man in anderen Teilen der Metallbranche auf noch weniger Bereitschaft zählen, sich am Streik zu beteiligen. Die IG-Metall hat in einem auch gewerkschaftsintern umstrittenen Aufruf mit dem Titel „Für ein krisenfestes Deutschland und ein soziales Europa“ ein Loblied auf die „Wirtschaftslokomotive Deutschland“ angestimmt, die kräftig Dampf ausstoße. Damit sie das auch in Zukunft tut, soll nach den Vorstellungen der IG-Metall der Lohn erhöht und einige Steuerreformen umgesetzt werden. Von den Streiks in vielen europäischen Ländern ist in dem Aufruf nichts zu lesen.

Diese Linie der Sozialpartnerschaft hat sich in der IG-Metall während der aktuellen Wirtschaftskrise verstärkt. Die staatliche Politik mit Kurzarbeiterregelung und Abwrackprämie wurde von der IG-Metall unterstützt. Hintergrund dieser Politik ist nach Meinung des Sozialwissenschaftlers Peter Birke, der zum aktuellen Krisenbewusstsein geforscht hat, die Fragmentierung in der Lohnarbeiterschaft in Deutschland. Ein Krisenbewusstsein sei bereits seit mehreren Jahren vorhanden, was einen Gewöhnungsprozess befördert. Zudem erschwere die Spaltung der Arbeiterschaft in Kernbelegschaften und Leiharbeiter einen gemeinsamen Widerstand. Daher wird es in Deutschland am Mittwoch wohl nicht zu Streiks, wohl aber zu Kundgebungen und Demonstrationen kommen, zu denen auch der DGB und zahlreiche linke Gruppen aufrufen.

Wie in Berlin ist auch in zahlreichen anderen Städten am kommenden Mittwoch ein gemeinsamen Vorgehen von Gewerkschaften und Solidaritätsinitiativen geplant. Letztere sehen die Teilnahme der Gewerkschaften als Erfolg und erhoffen sich eine stärkere Beteiligung an den Aktionen. Die europäische Revolution, wie sie Ex-Kanzler Helmut Schmidt kürzlich prophezeite, wird am 14. November sicher nicht auf der Tagesordnung stehen. Aber ein erfolgreicher Streik in mehreren Ländern könnte dafür sorgen, dass länderübergreifende Ausstände und andere Proteste im EU-Raum zukünftig zunehmen. Dazu wird es aber nur kommen, wenn wie Arno Klönne mit Recht anführt, die „vaterländischen Illusionen“ unter den Lohnabhängigen sich auflösen. Darüber wird bisher aber nur am linken Flügel der Bewegung diskutiert. Das Berliner M31-Bündnis, das zum europaweiten Aktionstag am 31. März mobilisierte, will mit sich in seinem Aufruf zum Aktionstag gegen jede Standortlogik aussprechen.
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Peter Nowak