Hartz-IV heißt in Italien jetzt Grundeinkommen

Mit dem „Dekret der Würde“ wird der Verarmung in Italien ein schöneres Etikett aufgeklebt

In den letzten Wochen hat Italiens Rechtsregierung vor allem durch flüchtlingsfeindliche Maßnahmen und Sprüche der Lega-Nord-Politiker Schlagzeilen gemacht. Vor allem Innenminister Salvini sorgt so immer wieder für Schlagzeilen und präsentiert sich erfolgreich als rechter Scharfmacher.

Dabei gerät in Vergessenheit, dass die Lega Nord eigentlich der kleinere Koalitionspartner ist. Die größere Regierungspartei ist die Fünf-Sterne-Bewegung (Movimento 5 Stelle – M5S), die sich brüstet, weder links noch rechts zu sein; sie gibt sich als Interessenvertreterin von prekär Beschäftigten aus, die in schnell bezahlten Arbeitsplätzen ohne Unterstützung großer Gewerkschaften leben.

Da die Pläne der Fünf-Sterne-Bewegung auch die Rücknahme einiger wirtschaftsliberaler Reformen der letzten Jahre beinhalteten, sahen EU-Gremien eine neue Krise heraufziehen. Der Regierungsantritt verzögerte sich um einige Tage, weil sich der italienische Staatspräsident als Interessenvertreter der Märkte gerierte und einen Minister wegen einiger eurokritischer Äußerungen ablehnte.

Einige Tage lang gab es den Versuch, einen EU-konformen Technokraten als italienischen Ministerpräsidenten zu installieren. Der Versuch scheiterte, weil der Kandidat das Vertrauen der EU-Gremien, aber keine Mehrheit im italienischen Parlament hatte. Zudem sahen die Eurokraten, dass ein solcher Coup sicher nicht das Vertrauen in die EU-Gremien stärken würde.

Zudem war die Lega Nord als durch und durch kapitalfreundliche Partei in dieser Frage auch ein objektiver Verbündeter der EU. Dass dann die Politiker dieser Partei in den ersten Wochen der neuen Regierung die Schlagzeilen bestimmten, sorgte für Empörung der flüchtlingsfreundlichen Milieus in ganz Europa, nicht aber auf EU-Ebene.

Schließlich ist es ein probates Mittel, soziale Forderungen zu neutralisieren, indem die Menschen mit Rassismus und Nationalismus davon überzeugt werden, dass sie nicht die Kapitalverhältnisse verändern sollen, sondern sich gegen die Menschen wenden, denen es noch schlechter geht. Ein solches Konzept funktioniert natürlich nur, wenn bei den Betroffenen schon die ideologische Disposition dafür vorhanden ist.

Versuche der Organisierung der Prekären von links

Das ist beim prekären Milieu zweifellos so. Von den großen Gewerkschaften nicht oder unzureichend vertreten, ist die Distanz zu den Traditionen der alten Arbeiterbewegung vorhanden. Vor ca. 20 Jahren versuchten Aktivisten der außerparlamentarischen Linken die Prekären in kapitalismuskritischem Sinne zu organisieren. Stichworte sind die Euromayday-Bewegung[1], die in Italien ihren Ausgang nahm[2] oder Aktivitäten wie San Prekaria[3].

Die Hoffnung der Linken bestand darin, dass hier Lohnabhängige, gerade weil sie nicht von den großen Gewerkschaften organisiert und damit auch in das repräsentative System eingehegt werden, offener für linke Vorstellungen der Selbstorganisierung sind. Es gab da durchaus Erfolge, solange die linke Bewegung in Italien und auch in den Nachbarländern im Aufschwung war.

Doch mit der massiven staatlichen Repression nach den G7-Protesten von Genua stieß die Bewegung an ihre Grenzen. Bald gab es einen massiven Rückgang der Aktivitäten. Neben der Repression waren auch die Mechanismen von außerparlamentarischen Bewegungen für diesen Niedergang verantwortlich. Nach einer Zeit des Aufschwungs setzt die Bewegungsflaute ein.

Dann werden oft wieder parteiförmige Formationen gesucht, die die Forderungen der außerparlamentarischen Bewegungen in die Institutionen einspeisen sollen. In Griechenland wurde die damals linkssozialistische Syriza-Partei für kurze Zeit zum Hoffnungsträger, der Menschen, die jahrelang auf der Straße gegen die Austeritätspolitik protestiert hatten.

Der Publizist Raul Zelik beschreibt in dem kürzlich bei Bertz + Fischer erschienenen Buch „Spanien – eine politische Geschichte der Gegenwart“[4], wie in Spanien Podemos zeitweilig zum Hoffnungsträger einer starken außerparlamentarischen Bewegung wurde, die an ihre Grenzen gestoßen ist.

In Italien übernahm die Fünf-Sterne-Bewegung zeitweise die Rolle, die Forderungen der Prekären parlamentarisch aufzugreifen. Zeitweise wurde die Partei, die sich immer von der Linken abgrenzte, von Personen mit einer langen linken Geschichte wie Dario Fo unterstützt. Das lag auch ihren Erfahrungen mit einer traditionellen Linken und deren Anpassung an den Neoliberalismus.

Da legte man in die neue Partei die Hoffnung, tatsächlich einen dritten Weg zwischen links und rechts zu finden. Doch ihre Anpassung an rechte Ideologeme begann nicht erst mit dem Bündnis mit der Lega Nord. In den letzten Jahren positionierten sich führende Parteipolitiker gegen Migranten und waren daher im EU-Parlament auch Teil der nationalkonservativen Fraktion im EU-Parlament.

Der schillernde Begriff der Würde

So war es auch nicht verwunderlich, dass es nur vereinzelten Widerspruch gegen die migrationsfeindliche Politik der Lega Nord bei der Fünf-Sterne-Bewegung gab. Das eigene sozialpolitische Programm gegen die prekäre Arbeit wurde nun doch noch beschlossen.

Kernpunkt ist die Korrektur des Job-Acts. Der wurde von der sozialdemokratischen italienischen Vorgängerregierung gegen den heftigen Widerstand von Gewerkschaften und der außerparlamentarischen Bewegung mit großer Zustimmung der EU-Gremien durchgesetzt. Der Job-Act bedeutete eine weitere Deregulierung des Arbeitsmarkts, die von den Urhebern natürlich damit begründet wurde, dass die italienische Wirtschaft nur so im EU-Rahmen konkurrenzfähig bleibe.

Das Gegen-Projekt „decreto dignità“ der neuen Regierung ist allerdings so verwässert, dass die Kapitalfraktionen und auch die EU-Gremien nicht mehr wirklich beunruhigt sind. Die Italienkorrespondentin der Wochenzeitung Jungle World Catrin Dingler fasst Propaganda und Realität dieses Sozialgesetzes so zusammen[5]:

Di Maio hatte in seiner Funktion als Arbeits- und Sozialminister mit seinem „decreto dignità“ (Dekret der Würde), das vorige Woche von der Abgeordnetenkammer verabschiedet wurde, kämpferisch ein „Waterloo für die Prekarisierung“ angekündigt und mit großer Emphase die Rettung der „Würde“ aller prekär Beschäftigen versprochen.

Tatsächlich werden die bestehenden Möglichkeiten zur befristeten Beschäftigung nur unwesentlich eingeschränkt, auf Druck der Lega für die Bereiche Tourismus und Landwirtschaft sogar ausgeweitet. Auch auf die im Wahlkampf versprochene Wiedereinführung des Kündigungsschutzes hat der M5S im Interesse des Koalitionspartners verzichtet, Unternehmen sollen zukünftig für ungerechtfertigte Entlassungen nur eine unwesentlich erhöhte Abfindung bezahlen.

Catrin Dingler, Jungle World

Schon der Begriff „Dekret der Würde“ zeigt an, dass es bei dem Gesetzentwurf eher um Ideologie als um reale Verbesserungen geht. Der Begriff der Würde hat mittlerweile in vielen Bewegungen Konjunktur und ist oft ein reines Surrogat.

Denn die Beschäftigten brauchen mehr Lohn, sichere Arbeitsverhältnisse, längere Arbeitsverträge. Das sind handfeste notfalls einklagbare Verbesserungen. Die Würde aber ist eben nicht einklagbar und kann eben auch heißen, dass die Verbesserungen ausbleiben und man dann eben stolz ist, dass die Regierung diejenigen, die noch weniger haben, weiter entrechtet.

Wenn Hartz IV-Grundeinkommen heißt

Auch die Einführung eines auch in Deutschland in sozialen Bewegungen heftig diskutierten Grundeinkommens gehört zu den Forderungen der Fünf-Sterne-Bewegung. Die erste Rechtsregierung, die ein temporäres begrenztes Grundeinkommen einführte, war die finnische.

Nun ist ja schon lange bekannt, dass es ganz unterschiedliche Konzepte unter dem Label Grundeinkommen gibt. Auch in Deutschland favorisieren besonders wirtschaftsliberale Ökonomen[6] bestimmte Grundeinkommensmodelle. An dem italienischen Modell könnten sie besonderen Gefallen finden, handelt es sich doch um eine besondere Form des Framing.

Man nimmt einen eher positiv besetzen Begriff für eine unpopuläre Maßnahme und schon ist die mediale Reaktion positiv.

Der Kölner Stadtanzeiger hat hinter die Verpackung geguckt[7]:

„Eines der besonders kritisierten Vorhaben der mal links-, mal rechtspopulistisch genannten Fünf-Sterne-Bewegung ist das so genannte Bürgergeld: Jeder Italiener erhält 780 Euro. Ein genauerer Blick jedoch zeigt: Hier handelt es sich nicht um ein bedingungsloses Grundeinkommen, sondern lediglich um ein schlechteres Hartz IV, mit dessen Einführung die Regierung zudem einer Forderung der EU nachkäme.“

Kölner Stadtanzeiger

Die 780 Euro erhält ein Single, der kein weiteres Einkommen hat. Für eine vierköpfige Familie ohne Einkommen gibt es maximal 1.950 Euro, rechnet der Korrespondent des Stadtanzeigers vor. Verdient der Single-Haushalt ein wenig, dann stockt der Staat das Einkommen bis auf 780 Euro auf.

Ziel des Bürgereinkommens ist es also nur, dass die Menschen nicht zu tief unter die offizielle Armutsschwelle fallen (vgl. Bürgereinkommen in Italien – eine repressive Armenfürsorge[8]).

Dazu muss der Betroffene dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, aktiv und nachweislich nach Arbeit suchen und auf Anweisung gemeinnützige Arbeiten ausführen, sich weiterbilden. Wer drei Jobangebote ablehnt, der verliert seinen Anspruch auf ein Einkommen knapp unterhalb der Armutsgrenze.

Da werden die Spindoktoren der Schröder-Fischer-Regierung sich ärgern, dass sie nicht auf die Idee kamen, das Verarmungsprogramm Agenda 2010 „Grundeinkommen“ zu nennen. Es wird sich zeigen, ob es der rechten italienischen Regierung gelingt, mit solchen Verpackungen die Menschen ruhig zu halten.

Es läge auch an Basisgewerkschaften und linken Bewegungen, die sich für die Lebensbedingungen aller Menschen, egal wo her sie kommen interessieren, eine Alternative zu finden, die die kapitalistischen Verhältnisse tatsächlich infrage stellt.

Peter Nowak

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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.tacticalmediafiles.net/campaigns/6410/EuroMayDay;jsessionid=1C8A4F64F806E9DED6EF792AD9C52ED5
[2] https://zero.eu/eventi/73179-mayday-2017-orgoglio-della-classe-precaria,milano/
[3] http://www.precaria.org/
[4] http://www.bertz-fischer.de/spanien.html%22
[5] https://jungle.world/index.php/artikel/2018/32/rassistische-eskalation
[6] https://www.zeit.de/wirtschaft/2017-02/thomas-straubhaar-buch-bedingungsloses-grundeinkommen-auszug
[7] https://www.ksta.de/politik/buergergeld-italien-will-grundeinkommen-einfuehren—-aehnlichkeiten-zu-hartz-iv-30518494#
[8] https://www.heise.de/tp/features/Buergereinkommen-in-Italien-eine-repressive-Armenfuersorge-4075308.html

Sorgt Italiens Rechtsregierung für neue EU-Turbulenzen?

Die Rolle als Sand im Getriebe haben aufgrund der Verabschiedung der Linken in Italien mit der Lega Nord und der Fünf-Sterne-Bewegung zwei rechte, europakritische Parteien übernommen

Bei manchen EU-freundlichen Politikern und Medien klingeln die Alarmglocken, nachdem sich die Sieger der letzten italienischen Wahlen[1] doch noch auf eine Regierung zu einigen scheinen. Nun gibt es tatsächlich genügend Grund für Widerstand gegen die Regierung. Schließlich haben zwei Varianten der Rechten eine Regierung gebildet, deren Kennzeichen Flüchtlingsabwehr und Vorteile für das Kapital sind.

Die von der Lega Nord durchgesetzte flat tax bei der Einkommens- und Unternehmensbesteuerung kommt mittleren und höheren Einkommen zugute. Das war seit jeher das Ziel der Wirtschaftspolitik der Lega Nord, die beispielsweise in Norditalien Logistikunternehmen seit Jahren den roten Teppich auslegt. Dagegen wehren[2] sich ebenfalls seit Jahren migrantische Beschäftigte nicht ohne Erfolg.

Das neue Steuerrecht sieht nur noch zwei Steuersätze vor: 15 oder 20 Prozent. Unternehmen sollen generell nur noch mit dem 15-Prozent-Satz besteuert werden. Doch auch für die Einkommensarmen gibt es einige Verbesserungen. Ein nicht bedingungsloses Grundeinkommen, das auch im Interesse des Kapitals ist, konnte die 5-Sterne-Bewegung durchsetzen[3]. Mit einer geplanten Änderung der Rentenreform soll es Lohnabhängigen wieder möglich sein, mit 62 Jahren in Pension zu gehen.

Die Rentenreform war auf Druck der EU-Gremien zustande gekommen und war in Italien äußerst unpopulär, wurde aber von dem größten Teils der sozialdemokratischen Linken unterstützt. Sie hatte dafür bei den letzten Wahlen[4] die Quittung erhalten. Nicht nur die größte Partei der Sozialdemokraten, die unter Mario Renzi offen zu Wirtschaftsliberalen und Verteidigern des Status quo in der EU geworden ist, auch die kleineren linken Parteien haben eine Niederlage erlitten. Das liegt auch daran, dass diese sogenannte kritische Linke, wenn es zum Schwur kam, immer wieder auf Seiten der Sozialdemokraten Maßnahmen mitgetragen haben, die Zumutungen für einen Großteil der Lohnabhängigen bedeutet haben.

Neue linke Kräfte, die nicht an solchen Bündnissen beteiligt waren, hatten nicht genügend Zeit, sich als Alternative zu entwickeln und konnten bei den Wahlen ebenfalls keine Erfolge erringen. Die jahrzehntelange Funktion der Regierungslinken als Hüterin des EU-Status-Quo das Vertrauen in die Linke insgesamt geschwächt.

Zwei neue Formationen der Rechten

Profitiert haben davon zwei unterschiedliche Parteien der politischen Rechten: die Lega Nord und die Fünf-Sterne-Bewegung. Letztere wurde nach ihrer Gründung auch von ehemaligen Linken unterstützt. Das war auch eine Reaktion auf den Bankrott der linken Parteien und deren Akzeptanz des Wirtschaftsliberalismus. Selbst viele Aktivisten des neuen Mittelstands, die sich vor 15 Jahren noch gegen die Prekarität ihrer Lebens- und Arbeitsverhältnisse organisiert haben, gehören zur Basis der 5-Sterne-Bewegung.

Nun wurden sie Teil einer neuen rechten Bewegung, die sich aber mit dem Slogan „Weder Rechts noch Links“ überdies zur alten Rechten in Opposition befunden hat. Diese hatte sich mehr als 20 Jahre um Berlusconi gruppiert, jetzt ist im Rechtslager die Lega Nord zur stärksten Kraft geworden. Sie ist der Typus einer neuen europäischen Rechten und kooperiert mit dem Front National und der FPÖ.

Die Fünf-Sterne-Bewegung hatte sich hingegen auf europäischer Ebene mit den nicht ganz so rechten Parteien in einem Bündnis befunden, in dem auch die AfD-Europaabgeordnete von Storch vertreten ist. Stärkste Gruppierung dort war die rechte britische UKIP-Partei, die mit dem Brexit ihre Mission erfüllt hat und verschwindet. Seitdem ist auch das europäische Bündnis, in dem die Fünf-Sterne-Bewegung nun die stärkste Kraft ist, in der Krise.

Die europäische Positionierung zeigt aber auf, dass hier zwei Rechtsformationen zur stärksten Kraft in Italien wurden. Der Grund, warum vor allem in der Fünf-Sterne-Bewegung Teile der Linksopposition der Jahrtausendwende nach rechts gegangen sind, liegt an einer doppelten Enttäuschung über die linken Parteien und deren Einschluss in das alte System und in der Erfahrung, dass starke außerparlamentarische linke Bewegungen, wie es sie in Italien in dem Zeitraum von 1995 bis 2002 gegeben hat, mit allen Mitteln bekämpft und auch repressiv zerschlagen wurden. Der 19./20. Juli 2001 war da eine Zäsur, als tausende Gegner des G8-Gipfels in Genua mit einer Staatsmacht konfrontiert waren, die brutale faschistische Methoden einsetzte. Die chilenische Nacht von Genua[5], als zahlreiche Oppositionelle direkter Folter ausgesetzt waren, hat auch bei denen Angst ausgelöst, die nicht selber damit konfrontiert waren.

Fünf-Sterne-Bewegung – Podemos Italiens?

So zeigte sich an der Entwicklung der Fünf-Sterne-Bewegung und ihrer Basis, dass die Zerschlagung von oppositionellen Bewegungen die Rechtsentwicklung forciert. Wo keine grundsätzliche Opposition gegen die bestehenden Verhältnisse mehr ohne Gefährdung der eigenen Gesundheit und Freiheit mehr möglich ist, richtet man sich im System ein.

Dazu trug auch die grundlegende Umwälzung der italienischen Gesellschaft unter Berlusconi bei, der dem schrankenlosen Wirtschaftsliberalismus in Italien den Weg geebnet hat. Wer eben nicht so reich ist wie er, kann dann immer noch auf individueller Ebene seinem Egoismus frönen. Das Ergebnis ist dann eine Gesellschaft, in der die Linke marginalisiert ist und zwei rechte Formationen die parlamentarische Ebene beherrschen. Wenn dann die Fünf-Sterne-Bewegung von manchen italienischen Linken weiterhin als links bezeichnet wird, will man sich die Niederlage der Linken nur schönreden und verhindert eine Neuorientierung. So wird in der trotzkistischen SoZ eine Einschätzung[6] von verschiedenen Autoren der linken Zeitung Il Manifesto zitiert[7]:

Die Fünf-Sterne-Bewegung geht aus diesen Wahlen nicht nur gestärkt hervor, ihre wahlpolitische Prägung rückt sie auch näher an Podemos als an die verschiedenen souveränistisch-populistischen Strömungen auf der Rechten, die in Europa in den letzten Jahrzehnten gewachsen sind. Diese Tatsache könnte die Fünf Sterne früher oder später in Richtung einer Öffnung nach links treiben.

Marco Valbruzzi, Il Manifesto

Da steckt natürlich der Wunsch dahinter, sich dieser neuen Bewegung anzubiedern, indem ihr eine linke Identität angedichtet wird. Doch umgekehrt kann diese Einschätzung durchaus eine Plausibilität erhalten. Podemos mit ihrem klassenübergreifenden Oben-Unten-Diskurs und ihrer Orientierung an einem „Volk“ kann schnell nach rechts gehen, wenn die Linke in Spanien in und außerhalb des Parlaments in die Krise gerät. Es gab vor einigen Jahren innerhalb von Podemos Richtungsauseinandersetzungen, ob man Richtung Fünf Sterne-Bewegung geht oder zum Teil einer sozialdemokratischen Linken wird. Einstweilen haben die Anhänger der letzten Option den Sieg davon getragen.

Töne wie 2015 aus Griechenland

Wenn schon im Inland eine strikt prokapitalistische Politik betrieben wird, werden die künftigen italienischen Regierungsparteien Änderungen im EU-Regime anstreben. Sie können dann ähnlich wie in Polen auf die EU verweisen, wenn es mit den Wahlversprechen nichts wird. Genau deshalb schalten die Lordsiegelbewahrer des gegenwärtigen EU-Status schon mal einen Gang höher und warnen vor einer neuen EU-Krise. Sogar ein Ausschluss Italiens aus der Eurozone wird als Drohung geäußert.

Italien ist eine größere Wirtschaftsmacht in der EU und kann nicht so einfach zur Ordnung gerufen werden wie Griechenland im Jahr 2015. Es ist die große Tragik der Kritiker des EU-Status-Quo, dass ihr Einfluss in den jeweiligen Ländern ungleichzeitig ist. 2015 hätte die griechische Regierung die Unterstützung von Italien dringend gewünscht, aktuell könnte der längst ins EU-System integrierte Tsipras in der italienischen Regierung lästige Störfaktoren sehen, die ihm den Spiegel vorhalten, wenn sie nicht so schnell einknicken wie er vor drei Jahren.

Es muss sich noch zeigen, wie lange es im Fall Italien dauert, bis sie im Sinne der Deutsch-EU funktioniert. Vielleicht bleibt es auch ein Dauerkonflikt, der der italienischen Rechten innenpolitisch nutzen könnte. Das einzig Gute an der aktuellen italienischen Regierung ist, dass die Verteidiger der aktuellen EU wieder etwas unruhig werden. Hatten sie doch lange mit der Arroganz der Macht verkündet, alles Störende im EU-Gefüge sei beseitigt.

Für eine Linke, die ernst genommen werden will, sind die gegenwärtigen italienischen wie auch die polnischen Verhältnisse eine Warnung. Das passiert mit ihr, wenn sie sich selber überflüssig macht und zum Vollstrecker von Kapital und EU wird. Ihre Rolle als Sand im Getriebe übernehmen dann wie in Italien zwei rechte Parteien. Derweil werden die Rechte für Migranten und Lohnabhängige weiter abgebaut und das Land fit für das Kapital gemacht.

Peter Nowak
https://www.heise.de/tp/features/Sorgt-Italiens-Rechtsregierung-fuer-neue-EU-Turbulenzen-4052622.html

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[1] https://www.heise.de/tp/features/Ein-Sieg-der-Rechten-und-eine-Niederlage-fuer-die-Deutsch-EU-3986924.html
[2] https://de.labournet.tv/die-angst-wegschmeissen
[3] https://www.stern.de/wirtschaft/news/grundeinkommen–italien-will-das-grundeinkommen—aber-nicht-fuer-alle-7987336.html
[4] http://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/265565/parlamentswahlen-in-italien
[5] http://akj.rewi.hu-berlin.de/vortraege/sose04/230604.html
[6] http://www.neldeliriononeromaisola.it/2018/03/226188/
[7] http://www.sozonline.de/2018/04/parlamentswahlen-in-italien/