Der Konflikt zwischen Victor Orbán und Mitgliedern der Europäischen Volkspartei zeigt, wie unscharf die Trennung zwischen Konservativen und der extremen Rechten in der Realität ist
Die jahrelange antisemitische Kampagne der ungarischen Rechtsregierung gegen den Kosmopoliten George Soros [1] hatte sicher manche europäischen Konservativen nicht gefallen. Aber die Kritik war nicht dominant. Doch nachdem die ungarische Rechtsregierung jetzt auf Plakaten nicht nur Soros, sondern auch den EU-Kommissionspräsidenten Junker für die Migration von Flüchtlingen in die EU verantwortlich machte, wird der Unmut mancher Konservativer über die ungarischen Rechten lauter.
„Sie haben das Recht zu wissen, was Brüssel plant. Sie wollen verpflichtende Umsiedlungsquoten einführen“, heißt es auf Plakaten, auf denen Soros und Junker zu sehen sind und die in vielen ungarischen Städten kleben. Das Kalkül der ungarischen Regierung ist durchschaubar.
Nachdem sie massive Einschränkungen der Rechte von Lohnabhängigen durchgesetzt hat und sich eine wahrnehmbare außerparlamentarische Opposition auf den Straßen Budapests [2] bemerkbar macht, will die Fidesz-Partei mit noch mehr Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus die rechten Reihen schließen.
Victor Orbán besucht die bayerische Partei zu einer Zeit, in der führende CSU-Politiker politisch artikulieren, dass es in Deutschland eine rechte Mehrheit gibt
Nun ist schon lange bekannt, dass der rechtskonservative ungarische Ministerpräsident Orbán für die CSU ein Vorbild ist. Bereits 2015 und 2016 war Orbán von Seehofer eingeladen worden und auch im letzten Jahr war der ungarische Rechtsaußen schon Gast bei der CSU-Klausurtagung.
Nur findet der diesjährige Orbán-Besuch besonders viel Aufmerksamkeit, weil er vor den entscheidenden Gesprächen eines Regierungsbündnisses der Unionsparteien mit der SPD stattfindet, die wohl von vielen Kommentatoren eher aus Bequemlichkeit noch immer als große Koalition bezeichnet wird. Dabei würde das Bündnis rechnerisch weniger Mandate aufbieten, als sie die sogenannte Kleine Koalition aus SPD und FDP in den 1970er Jahren besaß.
Orbán: Vorbild für unterschiedliche Rechte
Vor allem aber kommt der Orbán-Besuch zu einer Zeit, in der führende CSU-Politiker politisch artikulieren, dass es in Deutschland eine rechte Mehrheit gibt. Die kann aber nur mit der AfD realisiert werden. Nun gab es in den letzten Wochen bereits in verschiedenen Landtagen gemeinsame Abstimmungen zwischen Union und AfD.
Doch vor allem der Merkel-Flügel der Union betont die klare Abgrenzung nach Rechtsaußen. Die Mehrheit der CSU hat allerdings schon immer mit Merkel gefremdelt und sich in der Flüchtlingsfrage direkt als ihr Gegner aufgespielt. Das hat nun dem Merkel-Flügel aller Parteien genützt, der die Kanzlerin zu einer Politikerin der offenen Grenzen aufbaute. Das hatte Wirkung bis weit ins linke Lager.
Tatsächlich wurden unter Merkel die schärfsten Flüchtlingsabwehrgesetze erlassen. Doch der Merkel-Flügel der Union registriert auch, dass Teile der deutschen Industrie Arbeitskräfte brauchen. Daher verband man dort eben Flüchtlingsabwehr mit dem Konzept der flexiblen Einwanderung, wie sie in den USA schon lange praktiziert wird.
Die CSU hingegen gibt sich als Interessenvertreter der Kreise in Bevölkerung und Industrie, die die Grenzen möglichst dichtmachen wollen. Orbán gehört zu den europäischen Politikern, die mit dem Dichtmachen der Grenze Ernst gemacht haben. Seitdem ist er ein Vorbild für ganz unterschiedliche rechte Strömungen in Europa. Er wird auf Pegida-Aufmärschen gelobt, ebenso von der rechtspopulistischen österreichischen FPÖ. Aber natürlich ist es für den ungarischen Ministerpräsidenten eine größere Aufwertung, nun wieder einmal Gast der CSU zu sein.
Aufruf zu einer konservativen Revolution
Dass aber führende CSU-Politiker durchaus auch die Innenpolitik in Deutschland mit im Blick haben, wenn sie Orbán einladen, zeigt ein Artikel, den CSU-Generalsekretär Dobrindt unter dem bezeichnenden Artikel „Für eine konservativ-bürgerliche Wende“ in der Welt veröffentlicht hat. Gleich der erste Absatz zeigt, um was es Dobrindt geht:
Deutschland ist ein bürgerliches Land. Die Mehrheit der Menschen in unserem Land lebt und denkt bürgerlich. Es gibt keine linke Republik und keine linke Mehrheit in Deutschland. Das hat nicht zuletzt die Bundestagswahl 2017 wieder ganz klar gezeigt. Und doch dominiert in vielen Debatten eine linke Meinungsvorherrschaft eine dieses Schauspiel ertragende bürgerliche Mehrheit. Der Ursprung dafür liegt vor genau 50 Jahren, im Jahr 1968. Damals haben linke Aktivisten und Denker den Marsch durch die Institutionen ausgerufen und sich schon bald Schlüsselpositionen gesichert in Kunst, Kultur, Medien und Politik. Sie wurden zu Meinungsverkündern, selbst ernannten Volkserziehern und lautstarken Sprachrohren einer linken Minderheit. Die 68er waren dabei immer eine Elitenbewegung, eine Bürger-, Arbeiter- oder Volksbewegung waren sie nie.
Alexander Dobrindt
Hier sind alle Topoi vertreten, die auch die unterschiedlichen rechten Gruppen verwenden. Da wird 50 Jahre nach 1968 noch einmal der rechte Kulturkampf gegen den damaligen Aufbruch, der schon längst zur Schwungmasse des neoliberalen Kapitalismus wurde, geführt.
Da wird bis in die Begrifflichkeiten von „den Volkserziehen und den lautstarken Sprachrohren einer linken Minderheit“ ein Duktus verwendet, die Orbán und seine Anhänger in Ungarn genauso beherrschen wie die AfD. Die hat Dobrindt schon einmal mit einbezogen in seine bürgerliche Mehrheit, die ja nur zustande kommt, wenn er Union und AfD und womöglich auch die FDP zusammenaddiert.
Wenn die letzten Linksliberalen in der FDP wie Leutheusser-Schnarrenberger nun innerparteilich auf stärkere Abgrenzung zur AfD drängen, zeigt dies, dass der Lindner-Kurs, die FDP zu einer AfD light zu machen, sehr wohl innerparteilich wahrgenommen wird.
Nun bedeutet es nicht, dass in den nächsten Wochen eine Rechtskoalition in Deutschland etabliert wird. Doch die CSU setzt hier Wegmarken und das sie dabei den Begriff der „Konservativen Revolution“ benutzt, der seit Jahren für unterschiedliche Rechtsaußengruppen ein wichtiger Bezugspunkt ist, ist kein Zufall.
Wenn es einen Staat gibt, wo die Vorstellungen der extremen Rechten aller Couleur realpolitisch umgesetzt werden, dann ist es Ungarn. Deswegen ist er auch ein Vorbild der sonst durchaus zerstrittenen extremen Rechten. Die CSU macht deutlich, dass sie ein relevanter Teil dieser Rechten ist und bleibt. Damit steht sie ganz in der Tradition von Franz Josef Strauß, der auch den unterschiedlichen Rechtsgruppierungen als Vorbild diente.
Es gab über Jahre hinweg von Rechtsaußenfiguren das Konzept der Vierten Partei, einer bundesweiten CSU unter der Führung von Strauß. Zudem hat es Orbán geschafft, seine eindeutig antisemitische Kampagnen nicht nur gegen Soros durch eine besondere Nähe zur gegenwärtigen israelischen Rechtsregierung zu kaschieren.
So gehört Orbán zu denjenigen im Kreis der EU-Politiker, die die angekündigte Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem begrüßen. Auch hier ist Orbán ein Vorbild für viele europäische Rechtsaußengruppen, die Pro-Israel-Positionen mit Antisemitismus kombinieren wollen.
Die kläglichen SPD-Reaktionen
Natürlich kritisiert die SPD diese Klarstellungen der CSU besonders stark. Schließlich werden damit die Bemühungen der Parteiführung nicht einfacher, die Parteibasis auf ein Regierungsbündnis mit der Union einzuschwören, das nach den Bundestagswahlen noch ausgeschlossen worden waren.
Doch die Kritik ist, wie von der SPD zu erwarten, erbärmlich harmlos. So kritisieren führende SPD-Politiker, es wäre ein anti-europäisches Signal, wenn Orbán von der CSU eingeladen wird. Dabei wird ausgeblendet, dass Orbán schon längst zum führenden Kopf einer rechten EU-Version geworden ist, die in den Visegrad-Staaten umgesetzt wird und Unterstützung durch die neue österreichische Rechtsregierung bekommen hat.
Auch die CSU hat schon immer Sympathien mit dieser rechten EU-Version gezeigt. Nur ist eben das auch von der SPD favorisierte EU-Modell stärker an den neoliberalen Interessen führender Kapitalkriese orientiert, aber deswegen nicht wesentlich emanzipatorischer. Wenn nun die SPD-Politikerin Manuela Schwesig als Kritik an Dobrindts rechten Kampfbekenntnis mit dem schlichten Satz kommentiert, dass die Bürger keine Revolution, sondern eine stabile Regierung wollen, zeigt das eben die Harmlosigkeit der SPD.
Da hat sich seit dem Ende der Weimarer Zeit wenig geändert. Nicht einmal die Herleitung des Begriffs „Konservative Revolution“ aus dem Ideologiefundus der extremen Rechten kommt ihr über die Lippen. Da kündigt sich schon an, wie viel Kompromisse die SPD gegenüber Rechtsaußen an den Tag legen wird, um die stabile Regierung zu ermöglichen.
Koalition ohne die CSU
Nun haben manche Merkelaner auch und vor allem außerhalb der Union ein Regierungsbündnis von CDU, SPD und Grünen ins Gespräch gebracht. Dann wäre neben der AFD und der FDP auch die CSU Teil der rechten Opposition. Dass einige CSU-Politiker die Orbán-Einladung auch nicht gut finden sollen, nährt bei ihnen die Hoffnung, dass in solch einen Bürgerblock auch einige aus dieser Partei überwechseln.
Doch unabhängig davon, dass es dabei darum nur geht, welche bürgerliche Variante für die sozialen Zumutungen zuständig sein soll, die für die Mehrheit der Lohnabhängigen in Deutschland schon angekündigt sind, dürften solche Planspiele schon daran scheitern, dass sich damit auch die CDU spalten würde.
Denn der Rechtskurs der CSU hat viele Unterstützer in der Union, die sich in Zeiten der Merkel-Dämmerung lauter bemerkbar machen. Immerhin darf nicht vergessen worden, dass ein großer politischer Freund Orbáns Helmut Kohl war.
Peter Ullrich über die Antisemitismus-Diskussion in der LINKEN
Der Soziologe Peter Ullrich arbeitet an der Abteilung für medizinische Psychologie und medizinische Soziologie der Leipziger Universität und ist Verfasser des im Dietz-Verlag erschienenen Buches »Die Linke, Israel und Palästina«.
ND: Sie haben über den Antisemitismus in der Linken geforscht. Kommt die aktuelle Debatte in der Linkspartei für Sie überraschend?
Ullrich: Nein, diese Debatte ist ja nicht neu. Sie wiederholt sich in bestimmten Zyklen: bei gedenkpolitischen Anlässen oder Ereignissen im Nahen Osten. Neu ist allerdings die Verknüpfung der Debatte mit der Frage der politischen Legitimität der Linkspartei und ihrer Regierungsfähigkeit, wie sie in der aus wissenschaftlicher Sicht höchst kritikwürdigen Studie des Gießener Politikwissenschaftlers Samuel Salzborn und des Leipziger Historikers Sebastian Voigt angestrengt wird.
Was ist ihre Hauptkritik an dieser Studie?
Einzelne Negativbeispiele werden unzulässig generalisiert, was nur durch Auslassung wichtiger Kontextinformationen gelingt. Zudem sind zentrale historische Prämissen falsch. So wird der Eindruck erweckt, mit der LINKEN würde erstmals in der Nachkriegszeit eine Partei mit antisemitischen Positionen regierungsfähig werden. Damit werden die zahlreichen Politiker mit NSDAP-Vergangenheit sowie antisemitische Ausfälle von Politikern aller Parteien in der Nachkriegszeit relativiert und der Antisemitismus einseitig in der LINKEN verortet.
Warum konnte die Diskussion dann jetzt in der Partei eine solche Bedeutung bekommen?
Die Linkspartei hat sich die Debatte nicht ausgesucht. Die Berichterstattung der letzten Wochen war geprägt durch teilweise perfide Unterstellungen. Zudem ist die Diskussion eng mit den innerparteilichen Strömungskonflikten verknüpft. So müssen die regierungswilligen Reformer viel stärker unter Beweis stellen, dass sie auch in dieser Frage staatstragend sind als die Vertreter des linken Flügels.
Aber Sie bestreiten ja nicht, dass es dort Antisemitismus gibt?
Antisemitische Positionen unter Linken sind meist die Folge einer Überidentifikation mit den Palästinensern im Nahost-Konflikt. Bei manchen Linken ist sie mit einer völligen Ignoranz gegenüber den Interessen der israelischen Seite in dem Konflikt verbunden.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Die Forderung nach einem binationalen Staat im Nahen Ost ist von einer menschenrechts-universalistischen Perspektive nicht zu beanstanden. Problematisch wird es aber, wenn die reale Problematik antisemitischer Gruppierungen wie der Hamas ebenso ausgeblendet wird wie der Wunsch vieler Juden nach den Erfahrungen der Shoah, in einem eigenen Staat zu leben.
Wurde die Debatte über den linken Antisemitismus nicht eher in Kreisen der außerparlamentarischen Linken als der Partei die LINKE geführt?
Ja, denn der inhaltliche Kern der Partei ist nicht der Nahost-Konflikt. Es geht ja eher um Fragen sozialer Gerechtigkeit oder die Anerkennung von DDR-Biografien. Die große Mehrheit der Mitglieder unterstützt intuitiv die Palästinenser, aber das Thema steht bei ihnen nicht im Vordergrund. Eine bedingungslose Identifikation mit einer Seite im Nahost-Konflikt wurde eher von kleineren, aber sehr ideologisierten Gruppen praktiziert.
Ist es nicht positiv zu werten, dass jetzt über Antisemitismus in der LINKEN diskutiert wird?
Diese Hoffnung hatte ich auch. Eine solche Debatte müsste die Sensibilität dafür stärken, wo propalästinensische Positionen an antisemitischen Einstellungen anschlussfähig sind. Da wirkt der Beschluss der Bundestagsfraktion allerdings kontraproduktiv, weil er die alten Frontstellungen zementiert. Das zeigen sämtliche Reaktionen. Hier wird versucht, mit administrativen Mitteln eine notwendige Debatte zu ersetzen.
Sehen Sie noch einen Ausweg?
Notwendig wäre eine Positionierung gegen jede Form von Antisemitismus und genauso deutlich gegen die israelische Besatzung. Ausgewogenere Akteure wie die Rosa-Luxemburg-Stiftung könnten bei der Formulierung einer solchen nichtidentitären Politik eine wichtige Rolle spielen.