„Wir wollen keine PCR-Tests, sondern Freiheit“, skandieren die Menschen auf den Straßen. Das klingt doch auf den ersten Blick, als würden die „Querdenker“-Proteste wieder aufleben, nachdem sie in den Jahren 2020 und 2021 für Aufsehen sorgten und in diesem Jahr allmählich abflauten. Doch dieses Mal wurden diese Parolen in …
„Rigide Corona-Politik: „Querdenker“-Proteste in China?“ weiterlesenSchlagwort: Stefan Kornelius
EU: Streit unter Rechten
Die jahrelange antisemitische Kampagne der ungarischen Rechtsregierung gegen den Kosmopoliten George Soros [1] hatte sicher manche europäischen Konservativen nicht gefallen. Aber die Kritik war nicht dominant. Doch nachdem die ungarische Rechtsregierung jetzt auf Plakaten nicht nur Soros, sondern auch den EU-Kommissionspräsidenten Junker für die Migration von Flüchtlingen in die EU verantwortlich machte, wird der Unmut mancher Konservativer über die ungarischen Rechten lauter.
„Sie haben das Recht zu wissen, was Brüssel plant. Sie wollen verpflichtende Umsiedlungsquoten einführen“, heißt es auf Plakaten, auf denen Soros und Junker zu sehen sind und die in vielen ungarischen Städten kleben. Das Kalkül der ungarischen Regierung ist durchschaubar.
Nachdem sie massive Einschränkungen der Rechte von Lohnabhängigen durchgesetzt hat und sich eine wahrnehmbare außerparlamentarische Opposition auf den Straßen Budapests [2] bemerkbar macht, will die Fidesz-Partei mit noch mehr Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus die rechten Reihen schließen.
„EU: Streit unter Rechten“ weiterlesenKonfrontation zwischen Russland und Großbritannien ohne endgültige Beweise
Die jüngste Eskalation zwischen beiden Ländern zeigt nur, wie schnell man Ressentiments schüren und aus Indizien Beweise macht
Nun hat auch Russland mit der Ausweisung von 23 britischen Diplomanten seinen Teil zur Eskalation im Verhältnis zwischen Großbritannien beigetragen. Doch die Eskalation geht von Großbritannien aus, das die Sanktionsmaschine gegen Russland in Gang setzte, ohne dass es Beweise dafür hat, dass die russische Regierung oder ihr unterstehende Instanzen für den Giftanschlag auf einen Ex-Agenten und seine Tochter verantwortlich ist (Fall Skripal: Westliche Regierungen machen sich kollektiv lächerlich). Vereinzelt wird daran noch in manchen Zeitungen erinnert.
Indizien sind keine Beweise
So erinnerte Stefan Kornelius in der Süddeutschen Zeitung daran, dass es einen Unterschied zwischen starken Indizien und Beweise gibt.
Der Rechtsstaat verlangt nach einer klaren Zuordnung von Opfer und Täter. Großbritannien verfügt über Indizien, starke Indizien – aber nicht über den letzten Beweis.
Stefan Kornelius, Süddeutsche Zeitung
Verwunderlich ist aber, dass Kornelius zu der Einschätzung kommt, dass Großbritannien auf den Giftgasanschlag verhalten reagiert, weil der endgültige Beweis fehlt. Ist es nicht vielmehr so, dass Großbritannien mit den Sanktionen reagiert, als hätte die Regierung den Beweis und als würde für sie der Unterschied zwischen Indizien, auch starken Indizien und Beweisen keine Rolle mehr spielen? Wenn Kornelius die Reaktion aus Großbritannien verhalten nennt, was würde er dann als Überreaktion bezeichnen? Die Kriegserklärung Londons an Russland, die Bombardierung des Kremls? Auch für die Taz-Kommentatorin Bettina Gaus gibt es starke Indizien dafür, dass die Spur des Giftanschlags nach Russland führt. Doch auch sie stellt klar:
Im Ernst: Es gibt starke Indizien, die darauf hinweisen, dass tatsächlich die russische Regierung oder, mindestens ebenso alarmierend, der russische Geheimdienst ohne Wissen der Regierung hinter dem Mordanschlag steckt. Aber Indizien sind eben nicht dasselbe wie unwiderlegbare Beweise.
Bettina Gaus, Taz
Russland hat Zusammenarbeit bei der Aufklärung angeboten
Bettina Gaus hat auch eine weitere Behauptung widerlegt, die die britische Regierung als Begründung für ihre Sanktionspolitik angeführt hat und die ohne nähere Prüfung von vielen Medien übernommen wurde. Die russische Regierung hätte sich geweigert, mit der britischen Regierung bei der Aufklärung der Giftattacke zu kooperieren. Demgegenüber stellt Gaus klar:
Moskau hat öffentlich jede Beteiligung an dem Giftgasangriff bestritten, Zugang zu den Ermittlungen gefordert und sich bereit erklärt, mit internationalen Organisationen zu kooperieren. Das alles ist nicht unbillig, sondern vernünftig. Wie hätte die russische Regierung denn sonst reagieren sollen? „Sorry, Theresa, ja, wir waren es. Tut uns echt leid.“ Die Reaktion darauf hätte man sehen sollen.
Bettina Gaus, Taz
Gaus geht auch kritisch mit einer anderen Frage um, die in den letzten Tagen viele Medien allzu schnell beantwortet haben. Wer hat Interesse bzw. wem nützt der Giftanschlag? Da ist es doch etwas dünn, wenn unisono auf die heutigen Präsidentenwahlen in Russland hingewiesen wird, wo sich Putin nun besser als Opfer des „Westens“ inszenieren kann.
Haben nicht schon seit Wochen die meisten Kommentatoren behauptet, die Wahlen seien längst für Putin entschieden? Warum sollte dann noch im Ausland eine solche Aktion inszeniert werden, nur um die russischen Wähler für Putin zu beeinflussen? Ist das nicht ein arg konstruiertes Motiv, das eine solche aufwendige Aktion nicht wirklich erklärt?
Unmittelbar nach dem Anschlag konnte man im Deutschlandfunk noch die Meinung eines Kommentators hören, der eine Beteiligung der russischen Regierung für sehr unwahrscheinlich hielt. Eine Verschlechterung der Beziehungen mit den westlichen Ländern sei nicht im Interesse der russischen Regierung, so die Begründung.
Nutzen ziehen viele aus dem Anschlag und der Reaktion darauf
Es wäre doch interessant zu fragen, ob diese Einschätzung auch jetzt noch seine Gültigkeit hat. Es bleiben da zumindest sehr viele offene Fragen. Warum sollte Russland Interesse haben, ausgerechnet Großbritannien, das kurz vor dem komplizierten Austritt aus der EU steht, gegen sich aufzubringen?
Wird da nicht sogar Großbritannien wieder näher an die EU gerückt? Ist das nicht eine Steilvorlage für die Kräfte in Großbritannien, die ein neues Referendum über den EU-Austritt fordern? Bisher fehlte dieser Kampagne die Schlagkraft, weil die Umfragen kein Ergebnis brachten, dass nun eine Mehrheit der Briten doch in der EU bleiben will. Unter solchen Umständen könnte ein zweites Referendum für die Remainer ein Eigentor sein.
Wenn erst einmal eine Stimmung erzeugt wird, die wirklich stabile Mehrheiten für ein Verbleiben in der EU sieht, könnte die Kampagne für ein zweites Referendum wieder an Fahrt gewinnen. Liegt das aber im Interesse Russlands? Ich weiß die Antwort nicht.
Aber solche Fragen sollte man sich stellen, bevor man sich einseitig und ohne überzeugende Plausibilität darauf festlegt, dass nur die russische Regierung ein Interesse an diesen Anschlag gehabt haben kann. Es könnten eine Fülle weiterer Fragen nach dem Interesse gestellt werden.
Das wäre die Aufgabe einer öffentlichen Diskussion, die sich eben nicht vorschnell auf einen Verantwortlichen festlegt und die Indizien eben nicht für Beweise hält. Und die auch den Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ nicht für völlig weltfremd bei Konflikten zwischen zwei Staaten hält.
https://www.heise.de/tp/features/Konfrontation-zwischen-Russland-und-Grossbritannien-ohne-endgueltige-Beweise-3997818.html
Peter Nowak
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http://www.heise.de/-3997818
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Fall-Skripal-Westliche-Regierungen-machen-sich-kollektiv-laecherlich-3997443.html
[2] http://www.sueddeutsche.de/politik/giftanschlag-auf-ex-spion-skripal-laengst-mehr-als-ein-agententhriller-1.3905300
[3] https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5489206
[4] https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5489206
Verhandeln oder Angreifen in Syrien?
Während zwei Fraktionen in Deutschland über den Umgang mit dem syrischen Bürgerkrieg streiten, bleibt die Stimme der Friedensbewegung sehr verhalten
Wenn nicht alle Indizien täuschen, könnte es schon in den nächsten Tagen einen Militärangriff auf Syrien geben. In Deutschland ist eine lebhafte Diskussion über die Sinnhaftigkeit eines solchen Schrittes ausgebrochen. Dabei kommen die Kritiker oft nicht aus der Friedensbewegung. So hat sich in den letzten Tagen besonders Walter Stützle [1], der ehemalige Staatssekretär von Verteidigungsminister Rudolf Scharping, als entschiedener Kritiker [2] jedes Angriffs auf Syrien hervorgetan. Auf die Frage eines Reporters, ob ein Angriff jetzt zwingend und gerechtfertigt sei, antwortet er: „Er ist weder zwingend noch wäre er richtig noch wäre er gerechtfertigt. Denn es gibt keine eindeutigen Beweise dafür, was man gegenwärtig dem Assad-Regime anlastet. Wir haben ja die merkwürdige Situation, dass die Geheimdienste der Vereinigten Staaten und anderer Nationen offenbar in der Lage sind, Freunde auszuspionieren, sogar bei den Vereinten Nationen, aber nicht in der Lage sind, der Öffentlichkeit und vor allen Dingen auch den Regierungen ein klares Nachrichtenbild aus Syrien zu liefern.“
Wer hat das Giftgas eingesetzt?
Tatsächlich ist die Frage, wer das Giftgas im syrischen Bürgerkrieg eingesetzt hat, noch unbeantwortet. Eine UN-Mission soll Klärung bringen. Doch an den Ergebnissen scheint niemand wirklich Interesse zu haben, wenn für die Regierungen in den USA, Großbritannien und Frankreich schon jetzt klar ist, dass nur das syrische Regime verantwortlich sein kann. Der syrische Machthaber Assad weist in einem Interview [3] selbstverständlich die Verantwortung zurück und beschuldigt, das Ausland.
Auch bei den Medienvertretern, die auf einen schnellen Militäreinsatz drängen, gibt es wenig Interesse an einer Klärung der Verantwortung für den Giftgaseinsatz. Sehr gut bringt es der Kommentar Stefan Kornelius von der Süddeutschen Zeitung auf den Punkt. Unter der Überschrift „Deutschland darf sich der Verantwortung nicht entziehen“ [4] plädiert er für eine schnelle Intervention – unabhängig von der Verantwortung für den Giftgaseinsatz:
„In Syrien wurde Giftgas eingesetzt – das ist kaum noch zu widerlegen. Ist nun entscheidend, wer es eingesetzt hat? Nicht wirklich. Moralisch betrachtet, nein, denn wer die reine Lehre verfolgt und den Tabubruch unbedingt sanktionieren will, der muss nun eingreifen – ob gegen Oppositionsgruppen oder gegen das Assad-Lager. Realistisch betrachtet, macht es auch kaum einen Unterschied, wer die Granaten verschossen hat. Denn keine der Kriegsparteien wäre ein natürlicher Verbündeter des Westens, keiner steht für eine Ordnung, für die es sich auch militärisch zu kämpfen lohnte.“
Der Giftgaseinsatz ist hier nur der Anlass, das nachzuholen, was nach Meinung einer ganzen Reihe von Kommentatoren und Militärexperten schon viel früher hätte erfolgen müssen. Ein militärischer Eingriff in Syrien, der sowohl gegen das Regime als auch gegen die fundamentalislamistischen Fraktionen der Rebellen gerichtet ist. Kommentatoren verschiedener Medien stellen schon länger die These auf, dass erst das Nichteinschreiten des Westens den Boden für die Fundamentalislamisten bereitet hätte.
Bis vor wenigen Wochen hat in der deutschen Medienlandschaft die Überzeugung vorherrschte, dass der Sturz Assads eine Frage von Wochen ist. Da in der letzten Zeit das Regime militärisch wieder Boden gut gemacht hat und andererseits der Großteil der bewaffneten Opposition kaum emanzipativer ist, wird das Trommeln für einen Militär-Eingriff lauter. Dazu musste nicht nur eine eher zögerliche US-Regierung gewonnen werden, sondern auch eine Bevölkerung, die in keinem der westlichen Staaten begeistert von einem neuen Krieg ist. Der Giftgaseinsatz scheint nun der Punkt zu sein, den die Interventionsfreunde nutzen wollen, um die öffentliche Meinung auf ihre Seite zu ziehen. Bilder und tote Kinder erwecken Beschützer- und Rettungsinstinkte. Die Frage, wer in dem konkreten Fall verantwortlich ist, bleibt dann oft ausgeblendet.
Micha Brumliks Visionen für ein demokratisches Syrien
Auch Micha Brumlik, der in der Taz seine „Vision für Syrien“ formuliert [5], macht gegen das Postulat der Nichteinmischung das Prinzip des „Responsibility to protect“ stark, das die Bevölkerung gegen die Machtansprüche von diktatorischen Regimes ebenso wie vor fanatischen Bürgerkriegsrackets schützen soll. Er entwirft das Szenario einer Welt, in der alle an einem Strang ziehen, um den Menschen in Syrien zu helfen:
„Eine zufällige Kontrolle brasilianischer Polizeikräfte stöbert in einem Kellerloch Aleppos den geflohenen Diktator Baschar al-Assad auf, der unverzüglich verhaftet und auf dem schnellsten Weg nach Den Haag geflogen wird, wo die neue Chefanklägerin am Internationalen Gerichtshof, Fatou Bensouda aus Gambia, schon an einer Anklageschrift gegen ihn arbeitet.
Die Zahl ziviler Todesopfer unter der syrischen Zivilbevölkerung ist in diesen zwei Wochen erheblich gesunken; es bleibt die heikle Aufgabe, die letzten, noch nicht zersprengten Reste radikalislamistischer Kommandos aufzuspüren und zu verhaften – eine Aufgabe, die US-amerikanische Truppen übernommen haben, wobei es vor allem in den von Sunniten besiedelten Gebieten immer wieder zu Übergriffen und Menschenrechtsverletzungen kommt.“
In der Printausgabe der Taz sind Brumliks Visionen unter der Überschrift „Syriens Zukunft in einer vernünftigen Welt“ abgedruckt: In der realen unvernünftigen eingerichteten Welt, haben im letzten Jahrzehnt Militärangriffe gegen im Irak, Afghanistan und Libyen gerade dazu geführt, dass die sektiererische Gewalt ethnischer und religiöser Gruppen zugenommen haben. Brumlik blickt 11 Jahre voraus und schreibt:
„Mehr als ein Jahrzehnt später, 2024, wird die Flagge der UN in Damaskus feierlich eingeholt; die Intervention hat – dank erheblicher Finanzspritzen aus den Emiraten und aus Saudi-Arabien – ein befriedetes Land, eine aufblühende Wirtschaft und eine stabile, wenn auch autoritäre Konkordanzdemokratie verschiedener ethnischer und religiöser Gruppen zustande gebracht.“
Dabei bleibt unerwähnt, dass gerade Saudi-Arabien ein wesentlicher Akteur im syrischen Bürgerkrieg ist und schon länger weltweit islamistische Bewegungen unterstützt. Wieso ausgerechnet diese Wiege der islamistischen Reaktion in Brumliks Vision ein wichtiger Motor für den Aufbau eines friedlichen Syriens wird, bleibt ein Rätsel. Was dann real davon übrigbleibt, ist das Plädoyer für Militäreingriffe überall da, wo Menschenrechte verletzt werden und es die Machtverhältnisse hergeben. Die Gegenposition vertritt der Politberater Michael Lüders, der meint [6], auch mit einem Diktator Assad müsse verhandelt werden.
Wenig Widerstand gegen angekündigten Militärschlag vor dem Antikriegstag
Bei dem Streit im politischen Etablissement bleiben die Reste der deutschen Friedensbewegung nur Zaungäste. Die Interventionsgegner im bürgerlichen Lager werden als Verbündete gesehen, deren Statements finden sich auch auf der Homepage des Kasseler Friedensratschlags [7], ein bundesweites Bündnis von Friedensgruppen. In einer Erklärung zum Antikriegstag [8] am 1. September warnt der Friedensratschlag vor einem militärischen Eingreifen in Syrien.
Auf der politischen Ebene haben sich Politiker der Linken und der Grüne Kriegsgegner Christian Ströbele gegen einen Krieg mit Syrien ausgesprochen [9]. Doch anders als beim zweiten Golfkrieg 1990 dürfte ein Angriff auf Syrien genau so wenig Massenproteste erzeugen, wie es beim Einsatz in Libyen der Fall gewesen war. Sollten sich allerdings die Auseinandersetzungen hinziehen und andere Länder mit in den Konflikt gezogen werden, könnte die Stimmung kippen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154850
Peter Nowak 28.08.2013
Links
[1]
http://www.cap-lmu.de/cap/fellows/stuetzle.php
[2]
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/2229149/
[3]
http://apxwn.blogspot.de/2013/08/baschar-al-assad-im-interview-fur.html#more
[4]
http://www.sueddeutsche.de/politik/giftgaseinsatz-in-syrien-die-rote-linie-fuer-obamas-glaubwuerdigkeit-1.1754546-2
[5]
http://www.taz.de/Debatte-Syrischer-Buergerkrieg/!122544/
[6]
http://www.taz.de/!122490/
[7]
http://www.ag-friedensforschung.de/
[8]
http://www.ag-friedensforschung.de/bewegung/antikriegstag2013-baf.html
[9]
http://www.jungewelt.de/2013/08-28/059.php