Erinnerung an die Folterhölle


Berliner Antifaschisten planen Gedenkort im ehemaligen KZ Sonnenburg

Das KZ Sonnenburg wurde 1933 zum Inbegriff des NS-Terrors gegen politische Gegner. Heute ist das Lager im polnischen Słonsk weitgehend vergessen. Berliner Antifaschisten wollen dort einen Erinnerungsort einrichten. Sie stellten das Projekt am Mittwochabend in Berlin vor.

Der KPD-Politiker Rudolf Bernstein veröffentlichte 1934 in der Prager »Arbeiter Illustrierten Zeitung« den Artikel »Folterhölle Sonnenburg«. Der spätere Direktors des Staatlichen Filmarchivs der DDR war wie Tausende Nazigegner nach dem Reichstagsbrand im Februar 1933 verhaftet worden. Weil in Berlin nicht genügend Unterkünfte für die vielen Gefangenen vorhanden waren, nahmen die Nazis das Zuchthaus Sonnenburg wieder in Betrieb, das wenige Jahre zuvor von der preußischen Regierung wegen katastrophaler hygienischer Verhältnisse geschlossen worden war.

Doch die bis zu 1000 Häftlinge, in ihrer großen Mehrheit Kommunisten aus Berlin und Umgebung, die dort ab April 1933 einsaßen, hatten nicht nur unter Enge und schlechtem Essen zu leiden. Sie waren auch Demütigungen und Folter der brutalen SA-Wachmannschaften ausgesetzt.

Das Lager wurde im April 1934 geschlossen, aber mit Beginn des Zweiten Weltkrieges erneut eröffnet. Dorthin wurden Nazigegner aus allen von der Wehrmacht besetzten Ländern gebracht. In der Nacht vom 30. auf den 31. Januar 1945 wurden auf dem KZ-Gelände von der Gestapo über 800 Gefangene erschossen. Opfer dieses größten Massakers in der Endphase des NS-Regimes waren Angehörige einer kommunistischen Widerstandsgruppe sowie Gefangene aus Frankreich und Luxemburg. Die Täter wurden in Deutschland nie verurteilt.

Für Hans Coppi von der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) ist Sonnenburg in Deutschland heute weitgehend vergessen, weil es keine Lagergemeinschaft ehemaliger Insassen gibt. In einer Arbeitsgruppe der VVN-BdA, die sich für den Erinnerungsort an das Konzentrationslager einsetzt, arbeitet auch Kamil Majchrzak von der polnischen Edition der Zeitschrift »Le Monde Diplomatique« mit. Er betont gegenüber »nd« die politische Bedeutung des geplanten Gedenkortes. »In Zeiten der Rechtsentwicklung in verschiedenen europäischen Ländern soll dort daran erinnern werden, dass Widerstandskämpfer aus allen europäischen Ländern die Welt vom Nationalsozialismus befreiten.«

Die VVN-BdA hat eine Datenbank mit über 500 Namen von Häftlingen der »Folterhölle« zusammengestellt. Dabei konnte sie sich auf Vorarbeiten des polnischen Historikers und Leiters der lokalen Kommission zur Erforschung der deutschen Verbrechen in Polen, Przemysław Mnichowski, stützen. »Leider existiert nach wie vor keine vollständige Namensliste der auf dem Friedhof der Kriegsgefangenen verscharrten Opfer des Zuchthause«, erklärt Frieder Böhne vom Arbeitskreis der VVN-BdA.

Am 12. und 13. September soll in Słonsk auf einer Tagung über die Gestaltung des Gedenkortes mit Teilnehmern aus Polen, Deutschland, Luxemburg, Norwegen, Belgien beraten werden.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/826522.erinnerung-an-die-folterhoelle.html

Peter Nowak

„Wir verlangen, dass die Taliban die Verfassung nicht in Frage stellen“

Daud Rawosh (Volkspartei): Soziale Gerechtigkeit und der Kampf gegen ethnische Zersplitterung sind zentrale Ziele **

Es gibt Streit zwischen den USA und der afghanischen Regierung wegen der Verhandlungen mit den Taliban. Wie stehen Sie als Vorsitzender einer linken afghanischen Partei dazu?

Wir halten Gespräche mit den Taliban nur unter ganz klaren Bedingungen für sinnvoll. Dazu gehört die Respektierung der afghanischen Verfassung, was die Rechte der Frauen einschließt. Zudem müssen sie den bewaffneten Kampf aufgeben.

Befürchten Sie nach dem Abzug der NATO-Truppen einen Machtzuwachs der Taliban?

Die ausländischen Truppen ziehen nicht vollständig ab. Zudem ist mittlerweile auch eine afghanische Sicherheitsstruktur entstanden, die eine Machtübernahme der Taliban verhindern könnte. Aber selbst auf dieses schlimmste Szenario ist unsere Partei vorbereitet. Schließlich konnten wir selbst unter der Taliban-Herrschaft bis 2001 illegale Strukturen aufrechterhalten.

Wie steht Ihre Partei zur Militärintervention von 2001?

Wir sind prinzipiell gegen jede Besatzung. Doch 2001 gab es für uns nur die Alternative, weiter unter dem besonders reaktionären, mittelalterlichen Taliban-Regime zu leben oder es durch die Intervention loszuwerden. Zudem darf nicht übersehen werden, dass in dieser Zeit Afghanistan zum Aufmarschgebiet von Al Qaida und anderen islamistischen Gruppen geworden war. Deshalb lehnen wir nicht die Intervention ab. Wir protestieren aber gegen jegliche Menschenrechtsverletzungen durch die NATO-Truppen in unserem Land.

Afghanische Frauenorganisationen sehen nicht nur in den Taliban, sondern auch in den Warlords ein Problem.

Wir teilen diese Einschätzung völlig. Der Einfluss islamistischer Herrscher ist ein großes Hindernis bei der Durchsetzung von Demokratie und Frauenrechten.

Könnte durch die Verhandlungen mit den Taliban nicht das Gewicht dieser reaktionären Gruppierungen wachsen?

Die in der Verfassung garantierten Rechte dürfen weder durch die Taliban noch durch andere Gruppierungen infrage gestellt werden.

Wie sehen Sie die Rolle von Präsident Hamid Karsai?

Es ist bekannt, dass Karsai einem korrupten politischen System vorsteht, das in Drogenhandel verstrickt ist. Daher sind wir erklärte Gegner von Karsai. Das schließt allerdings nicht aus, dass wir einzelne Maßnahmen von Karsai unterstützen, wenn sie zur Stärkung der demokratischen Rechte beitragen.

Wie ist die von Ihnen repräsentierte Partei entstanden?

Sie ging voriges Jahr aus »Bewegungen für Demokratie« hervor, die in Afghanistan aktiv waren. Die Partei sieht sich in der historischen Tradition der Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA), die 1978 führend an der Aprilrevolution beteiligt war. Dennoch sind wir eine völlig neue Partei, die unter den aktuellen Bedingungen und auf dem Boden der afghanischen Verfassung agiert.

Wie groß ist der Zuspruch bisher?

Viele Aktivisten der DVPA sind auch in der neuen Partei aktiv. Mittlerweile ist sie in 24 der 34 Provinzen vertreten. Ein Schwerpunkt der Partei ist die Arbeit in Gewerkschaften und Frauenorganisationen. Auch der Vorsitzende des afghanischen Handwerksverbandes ist Mitglied unsere Partei.

Welche zentralen Ziele verfolgt Ihre Partei?

Wir kämpfen um soziale Gerechtigkeit und lehnen die ethnische Spaltung ab. Die meisten Parteien in Afghanistan sind nur in einer bestimmten Ethnie verankert, was zur Zersplitterung des Landes führt. Wir hingegen haben eine gesamtgesellschaftliche Perspektive und kämpfen für egalitäre Verhältnisse.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 21. Juni 2013
https://www.neues-deutschland.de/artikel/825090.wir-verlangen-dass-die-taliban-die-verfassung-nicht-in-frage-stellen.html

Interview: Peter Nowak

EU-Türkei: Demokratie und Menschenrechte nur „kosmetisches Beiwerk“


Die EU-Beitrittsverhandlungen sind für den Herbst anberaumt; die Fraktion, die für eine EU-Mitgliedschaft der Türkei eintritt, wird stärker.

„Der Zug Richtung EU nimmt Fahrt auf“, kommentierte der türkische Außenminister die aktuelle Terminierung der EU-Beitrittsverhandlungen für kommenden Herbst. Im Oktober sollen die Gespräche aufgenommen werden. Damit können beide Seiten leben. Die EU war wegen der Polizeirepression nach den jüngsten Protesten in der Türkei von verschiedenen Seiten gedrängt werden, die Gespräche zu verschieben. Denn ein sofortiger Verhandlungsbeginn hätte so ausgesehen, als würde die türkische Regierung für ihr Verhalten belohnt.

Doch in dieser Frage haben sich unterschiedliche Interessen vermengt. Konservative Unionspolitiker, die die islamische Türkei nicht in der EU haben wollen, entdeckten plötzlich ihr Herz für türkische Protestierer, denen sie in Deutschland ebenfalls mit Polizeigewalt begegnen würden. Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen hingegen, sah auch in den verschobenen Verhandlungsbeginn einen Sieg für Erdogan und einen schlechten Tag für die türkische Protestbewegung:

„Der ‚Kompromiss‘ der EU-Außenminister entfaltet keinerlei Druck auf die Regierung Erdogan, der die schreckliche Menschenrechtslage in der Türkei verbessern könnte. Besonders scharf zu kritisieren ist, dass nicht einmal die Frage der Freilassung von tausenden friedlichen Demonstrierenden, die seit Beginn der Proteste in Haft sitzen, als Bedingung für die Erweiterung der Beitrittsverhandlungen gesetzt wurde.“

EU als Hort der Demokratie?

Dabei stellt sich die Frage, ob es nicht naiv ist, zu glauben, dass die EU ein Hort der Demokratie ist, in der keine friedlichen Demonstranten inhaftiert werden. Manche der Gefangenen in der Türkei könnten in Isolationshaft verbringen und damit in den Genuss eines Exportartikels aus dem EU-Raum vor allem aus Deutschland kommen. Realistischer scheint die Einschätzung des Leiters des Istanbuler Büros der Rosa Luxemburg-Stiftung Murat Cakir, der treffend formuliert, um welche Interessen es hierbei geht:

„In Deutschland streiten die neoliberalen Eliten über das ‚Wie‘ ihrer Einflussnahme auf die aktuelle Entwicklung in der Türkei. Immerhin geht es um langfristige, strategische und wirtschaftliche Interessen; im Besonderen um die Sicherung der Energieversorgung Europas. Aus guter Erfahrung wissen wir, dass der in diesem Zusammenhang auf ‚Demokratie‘ und ‚Menschenrechte‘ genommene Bezug nur kosmetisches Beiwerk ist.“

Eine solch nüchterne Betrachtungsweise verhindert, die Gespräche zwischen der Türkei und den EU mit allzu vielen moralischen Ansprüchen zu belasten. In Deutschland wird darüber gestritten, ob eine privilegierte Partnerschaft oder eine EU-Mitgliedschaft der Türkei den eigentlichen strategischen und wirtschaftlichen Interessen besser gerecht werden. Dass auch Bundesaußenminister Westerwelle der Aufnahme der EU-Beitrittsgespräche im Herbst zugestimmt hat, weist daraufhin, dass die Fraktion, die für eine EU-Mitgliedschaft der Türkei eintritt, stärker wird. Das Thema Menschenrechte ist dabei genau so zweitrangig wie der Islam.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154518
Peter Nowak

Welchen Einfluss bekommen die Taliban in Afghanistan?

Nicht alle Afghanen sind erfreut, für Daud Rawosh von der Peoples Party of Afghanistan können Verhandlungen nur unter klaren Bedingungen geführt werden

Der Kampf um ein Afghanistan nach dem Abzug der ausländischen Truppen hat begonnen. In den letzten Tagen lieferten sich die Karsai-Regierung und die USA einen öffentlichen Schlagabtausch über die Frage, wer berechtigt ist, mit den Islamisten zu verhandeln. Doch die Verhandlungen selber standen nicht zur Disposition. Auch der deutsche Verteidigungsminister de Maiziere hat sich grundsätzlich für Verhandlungen mit den Taliban ausgesprochen, wenn diese sich klar von Al-Qaida distanzieren.

Damit rennt er bei großen Teilen der deutschen Friedensbewegung offene Türen ein, die schon lange Verhandlungen mit den Taliban fordern. Vor einigen Wochen berichtete die Delegation von Friedensgruppen voller Stolz, dass sie überraschend die Möglichkeit hatten, einen Taliban-Vertreter zu treffen, der ihnen auch versicherte, dass ihnen in Zukunft auch die Bildung von Frauen am Herzen liege.

Doch linke Parteien, Politiker, Frauenorganisationen und zivilgesellschaftliche Initiativen in Afghanistan, die den Terror der Taliban am eigenen Leib erfahren haben, befürchten, dass Verhandlungen mit den Taliban dazu führen, dass die in der afghanischen Verfassung stehenden Grundrechte weiter zurückgedrängt werden und das Leben für alle Menschen, die sich nicht einen islamischen Tugendterror beugen wollen, noch unangenehmer wird. Zu diesen Kräften gehört auch vor einem Jahr gegründete Peoples Party of Afghanistan Mit deren Vorsitzenden Daud Rawosh sprach Peter Nowak in Berlin.

„Wir sind selbst auf das schlimmste Szenario vorbereitet“

Zur Zeit gibt es Streit zwischen den USA und die afghanische Regierung um Verhandlungen mit den Taliban. Wie stehen Sie als Vorsitzender einer linken afghanischen Partei dazu?

Daud Rawosh: Wir halten Gespräche mit den Taliban nur unter ganz klaren Bedingungen für sinnvoll. Dazu gehört die Respektierung der afghanischen Verfassung, was die Rechte der Frauen einschließt. Zudem müssen sie den bewaffneten Kampf aufgeben.

Befürchten Sie nach deren Abzug einen Machtzuwachs der Taliban?

Daud Rawosh: Die ausländischen Truppen ziehen nicht vollständig ab. Zudem ist mittlerweile auch eine afghanische Sicherheitsstruktur entstanden, die eine Machtübernahme der Taliban verhindern könnte. Aber selbst auf dieses schlimmste Szenario ist unsere vorbereitet. Schließlich konnten wir selbst unter der Taliban-Herrschaft illegale Strukturen aufrechterhalten.

Wie steht Ihre Partei zur Militärintervention von 2001?

Daud Rawosh: Wir sind prinzipiell gegen jede Besatzung. Doch 2001 gab es für uns nur die Alternative, weiter unter dem besonders reaktionären, mittelalterlichen Taliban-Regimes zu leben, oder es durch die Intervention loszuwerden. Zudem darf nicht übersehen werden, dass in dieser Zeit Afghanistan zum Aufmarschgebiet von Al-Qaida und anderen islamistischen Gruppen geworden war. Deshalb lehnen wir diese Intervention nicht ab. Wir protestieren aber gegen jegliche Menschenrechtsverletzungen durch die Natotruppen in unserem Land.

Afghanische Frauenorganisationen sehen nicht nur in den Taliban, sondern auch in den islamistischen Warlords ein Problem, die sich auf Seiten des Westens gestellt haben.

Daud Rawosh: Diese Einschätzung teilen wir uneingeschränkt. Der Einfluss dieser islamistischen Gruppen ist zurzeit ein großes Hindernis bei der Durchsetzung von Demokratie und Frauenrechten.

Könnte durch die Verhandlungen mit den Taliban nicht das Gewicht dieser reaktionären Gruppierungen wachsen und Rechte von Frauen und Minderheiten noch mehr bedroht werden?

Daud Rawosh: Unsere Position ist klar. Die in der Verfassung garantierten Rechte dürfen weder durch die Taliban noch durch andere Gruppierungen infrage gestellt werden.

Wie sehen Sie die Rolle des gegenwärtigen Präsidenten?

Daud Rawosh: Es ist bekannt, dass Karsai einem korrupten politischen System vorsteht, das im Drogenhandel verstrickt ist. Daher sind wir erklärte Gegner von Karsai. Das schließt allerdings nicht aus, dass wir einzelne Maßnahmen von Karsai unterstützen, wenn sie zur Stärkung der demokratischen Rechte beiträgt.

„Soziale Gerechtigkeit und der Kampf gegen die ethnische Zersplitterung sind unsere zentralen Ziele“

Wie ist die von Ihnen repräsentierte Partei entstanden?

Daud Rawosh: Sie wurde2012 gegründet und ging aus den „Bewegungen für Demokratie“ hervor, die in den letzten Jahren in Afghanistan aktiv waren. Die Partei sieht sich in der historischen Tradition der afghanischen Volkspartei, die 1978 führend an der Aprilrevolution beteiligt war, die zu einer tiefgreifenden sozialen Umgestaltung des Landes geführt hat. Allerdings handelt es sich um eine völlig neue Partei, die unter den aktuellen Bedingungen und auf dem Boden der afghanischen Verfassung agiert.

Wie groß ist der Zuspruch bisher?

Daud Rawosh: Viele der ehemaligen Aktivisten der historischen Afghanischen Volkspartei sind auch in der neuen Partei aktiv. Mittlerweile ist die Partei in 24 Provinzen vertreten, in 15 Provinzen wurden Pateibüros eröffnet. Ein Schwerpunkt der Partei ist die Arbeit in Gewerkschaften und Frauenorganisationen. Auch der Vorsitzende des afghanischen Handwerkverbandes ist Mitglied unsere Partei.

Was sind die zentralen Ziele Ihrer Partei?

Daud Rawosh: Der Kampf um soziale Gerechtigkeit und die Ablehnung der ethnischen Spaltung. Die meisten Parteien in Afghanistan sind nur in einer bestimmten Ethnie verankert, was zur Zersplitterung des Landes führt. Wir hingegen haben eine gesamtgesellschaftliche Perspektive und kämpfen für egalitäre Verhältnisse.

Warum wird in dem Programm Ihrer Partei ausdrücklich der Charakter als islamisches Land betont, wo doch die historische Demokratische Volkspartei den Säkularismus betont hat?

Daud Rawosh: Wir müssen anerkennen, dass sich in Afghanistan heute 99 % der Bevölkerung zum Islam bekennen. Wir kämpfen dafür, dass diese Menschen in sozialer Gerechtigkeit und Frieden leben. Wir respektieren den Glauben dieser Menschen, ohne ihn notwendigerweise selber zu praktizieren.

Kandiert Ihre Partei bei den nächsten Wahlen?

Daud Rawosh: Wir arbeiten in einer Allianz mit insgesamt 9 Parteien demokratischen Parteien zusammen. Dort diskutieren wir eine gemeinsame Kandidatur zu den Wahlen. Kommt es nicht dazu, würde unsere Partei selber kandieren.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154491
Peter Nowak

Banken wurden saniert – Bevölkerung verarmt


Eine Attac-Studie widmet sich dem Mythos der Griechenlandrettung

Kritiker der europäischen Austeritätspolitik haben schon länger kritisiert, dass die sogenannte Griechenlandhilfe vor allem ein Sanierungsprogramm für die Gläubiger ist. Nun hat eine von der globalisierungskritischen Organisation Attac Österreich erstellte Studie, diesen Befund mit Zahlen untermauert.

Von den 206,9 Milliarden Dollar, die die Europäische Union (EU) und der Internationale Währungsfonds (IWF) in 23 Tranchen seit März 2010 für die sogenannte „Griechenland-Rettung“ eingesetzt haben, wurden demnach 58,2 Milliarden für die Rekapitalisierung griechischer Banken verwendet. 101,3 Milliarden kamen Gläubigern des griechischen Staats zugute. Allein 55,44 Milliarden seien für die Bedienung auslaufender Staatsanleihen verwendet worden. Weitere 34,6 Milliarden dienten dazu, die Gläubiger für den Schuldenschnitt im März 2012 zu gewinnen. 11,29 Milliarden wurden im Dezember 2012 für einen Schuldenrückkauf eingesetzt, bei dem der griechische Staat Gläubiger beinahe wertlose Anleihen abkaufte. Attac kritisierte, dass damit Banken und Gläubiger auf Kosten der griechischen Bevölkerung saniert worden seien. Während die Austeritätspolitik für große Teile der Bevölkerung zur Verarmung und zur massiven Senkung des Lebensstandards führten, seien diejenigen saniert worden, die schon zuvor profitierten.

Die am Athener Nicos-Poulantzas-Institut lehrende griechische Ökonomin Marica Frangakis kritisiert diese Art der Griechenlandhilfe scharf. „Unsere Regierungen retten Europas Banken und Reiche mit immer neuen Milliarden an öffentlichen Mitteln und behaupten gegenüber ihren Wählerinnen und Wählern, dass diese an die griechische Bevölkerung fließen würden.“ Für die deutsche Innenpolitik hat der hier geschilderte Mechanismus zur Folge, dass in sozialchauvinistischer Manier über die angeblichen Pleitegriechen hergezogen wird, für die deutsche Steuerzahler angeblich zahlen sollen. In Wirklichkeit sanieren sie mit dem Geld auch deutsche Banken mit.


Wie mit Hilfsgeldern Politik gemacht wird

In der Attac-Studie werden auch beschrieben, wie mittels dem Zurückhalten zugesagter Gelder Einfluss auf die griechische Innenpolitik genommen wurde. So seien im Herbst 2011 Teilzahlungen zurückgehalten worden, um eine Volksabstimmung über die Austeritätspolitik zu verhindern. Im Mai/Juni 2012 sei es darum gegangen, die Siegeschancen der Troika-freundlichen Parteien bei den Parlamentswahlen zu erhöhen. Die Folgen solcher Manöver hatten nach der Studie nicht nur Folgen für die Demokratie.

„Mit dem Zurückhalten zugesagter Gelder zwingt die Troika die griechische Regierung, kurzfristige Anleihen auszugeben, um den unmittelbar drohenden Staatsbankrott zu vermeiden. Da diese nur wenige Wochen oder Monate laufenden ‚Treasury Bills‘ hochverzinst sind, steigen damit die griechischen Staatsschulden und die Gewinne der Geldgeber.“

Zyperns Präsident prangert Folgen der EU-Politik an

Mittlerweile hat der IWF Fehler bei der „Griechenlandhilfe“ eingeräumt, was aber zu keiner Änderung der Austeritätspolitik führt. Das bekommt gerade der konservative zypriotische Präsident Anastasiades zu spüren, der in einen Brief an die Eurofinanzminister und die Troika die Folgen des Diktats für sein Land beschrieben hat:

„Die Ökonomie wird in eine tiefe Rezession getrieben, die zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führt und die Konsolidierung der Finanzen erschwert.“

Der Politiker forderte neue Anleihen zur Restrukturierung des Bankensystems. Die EU-Gremien haben sogleich deutlich gemacht, dass sie dieses Ersuchen ablehnen. Wer die Attac-Studie gelesen hat, versteht den Grund. Der zyprische Vorschlag würde vielleicht die Lebenssituation der Menschen in Zypern etwas verbessern, könnte aber die Profite der Gläubiger schmälern.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154482
Peter Nowak

Bummel-Zyprer und Mafia-Kohle


Die Zypernkrise und die sozialen Kämpfe

Ende März war die Zypernkrise in Deutschland das große Thema in den Medien. Die Insel, die bisher vor allem als Urlaubsziel für deutsche TouristInnen bekannt war, nahm im populistischen Krisendiskurs die Rolle Griechenlands ein. Nach dem Gerede von den Pleitegriechen folgte nun die russische Mafia, die angeblich den zypriotischen Bankensektor übernommen hätte. Dabei wird nur einmal mehr deutlich, wie schnell im herrschenden Diskurs kapitalistisches Handeln national aufgeladen wird und umstandslos aus dem allseits hochgelobten unternehmerischen Handeln eine Mafia und kriminelle Seilschaft werden kann.

Wie im populistischen Diskurs üblich, muss man sich um Fakten und Argumente nicht kümmern. Sonst müsste man zuerst feststellen, dass in erster Linie das Diktat der EU-Troika gegenüber Griechenland Zypern in die Krise gestürzt hat. Diese Entwicklung war angesichts der großen wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Griechenland und dem griechischen Teil Zyperns, um den es hier geht, nicht überraschend. Die enge wirtschaftliche Verflechtung mit Griechenland war für die zypriotische Wirtschaft wesentlich wichtiger als die russischen Bankengeschäfte. Auch das Gerede vom aufgeblähten zypriotischen Bankensektor wird von Winfried Wolf hinterfragt.

„Im übrigen ist der Finanzsektor in Zypern nicht wesentlich größer als derjenige in der Schweiz. Er ist bereits kleiner als derjenige in Malta. Er wird von demjenigen in Luxemburg um ein Vielfaches übertroffen“, schreibt der der Linkspartei nahestehende Publizist in der Zeitschrift Lunapark.

Wer hat über die Verhältnisse gelebt?

Besonders häufig liest und hört man, dass Zypern über seine Verhältnisse gelebt habe. Mit solchen reaktionären Ideologemen wird suggeriert, dass die gesamte zypriotische Bevölkerung vom Bankensektor profitiert hat und jetzt bloß nicht auch noch auf die Idee kommen soll zu protestieren, wenn sie den Gürtel enger schnallen muss. Solche sozialchauvinistischen Töne, die auch schon im Fall von Griechenland zu hören waren, werden auch von Lohnabhängigen in Deutschland verwendet und dann noch gerne mit dem Hinweis garniert, welche großen Opfer man selbst für den Standort Deutschland bringt und wie wenig Verständnis man daher aufbringt, wenn jetzt an der europäischen Peripherie protestiert und womöglich auch noch gestreikt wird.

Zypriotisch lernen

Tatsächlich könnten die deutschen Lohnabhängigen von den zypriotischen KollegInnen lernen. Denn dort existierte eine kämpferische Gewerkschaftsbewegung mit einem hohen Organisationsgrad, deren Mitglieder in der Lage waren, erfolgreiche Arbeitskämpfe zu führen. Ihre Wurzeln liegen in den Kupferminen der britischen Kolonie Zypern, als sich die Beschäftigten vor nunmehr fast 80 Jahren gegen die miesen und gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen mit langen Streiks wehrten. Aber auch nach der Unabhängigkeit des Landes blieben die zypriotischen Gewerkschaften ein Machtfaktor und setzten in den 70er Jahren eine automatische Angleichung der Löhne an die Inflationsrate durch, wie er in Italien als „Scala mobile“ bekannt geworden war. Diese Erfolge einer kämpferischen Gewerkschaftspolitik werden mit dem dümmlichen Satz, die Zyprioten hätten über ihre Verhältnisse gelebt, denunziert.

Obwohl die EU-Pläne für Zypern zur Entlassung von tausenden Beschäftigten im Bankensektor führte, findet man kaum deutsche Übersetzungen von Erklärungen der Gewerkschaft der Bankangestellten auf Zypern. Dabei sollte eine linke Antwort auf den deutschen Euronationalismus statt in ethnisierenden und hohlen Parolen a la „Solidarität mit Griechenland“ oder „Solidarität mit Zypern“ in der Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen bestehen, die sich gegen die Verschlechterung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen durch die EU-Politik wehren. Lediglich die FAU Frankfurt/Main hat im Rahmen des M31-Bündnisses einen solchen Vorschlag gemacht, der in einem Großteil auch der außerparlamentarischen Linken ignoriert wird.

Gewerkschaftslandschaft in Zypern

Im griechischen Teil Zyperns gibt es zwei große Gewerkschaftsbünde, die PEO (Gesamtzyprischer Gewerkschaftsbund) und die SEK (Zyprischer Gewerkschaftsbund) sowie einen kleineren Gewerkschaftsbund, die DEOK (Demokratische Arbeiterföderation).

Wichtige Einzelgewerkschaften sind darüber hinaus die der ArbeitnehmerInnen im öffentlichen Dienst, der Bankangestellten und LehrerInnen. In ihren Gründungsgeschichten beziehen sich die Gewerkschaften auf die britische Kolonialgeschichte Zyperns und somit auf die Repression und die Verbote der Gewerkschaften.

Die beiden großen Gewerkschaftsbünde sind ähnlich groß. Laut offiziellen Angaben hat die PEO 81.500 und die SEK 71.600 Mitglieder. Die PEO wurde ursprünglich 1941 gegründet, änderte jedoch ihren Namen im Jahr 1946, als die damalige britische Kolonialregierung die Organisation für illegal erklärte und verbot. Sie ist nach wie vor im linken politischen Spektrum angesiedelt. Die 1943 gegründete SEK steht den Parteien der politischen Rechten und der Mitte näher. Der dritte Gewerkschaftsbund (DEOK) mit 8.800 Mitgliedern hat Verbindungen zur sozialdemokratischen Partei. Gewerkschaften, die keinem Gewerkschaftsbund angeschlossen sind, sind vor allem die Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst PASYDY mit 16.400 Mitgliedern, die Gewerkschaft für Bankangestellte ETYK mit 9.700 Mitgliedern, die Gewerkschaft für Sekundarschullehrer OELMEK mit 4.600 Mitgliedern und POED, eine weitere Lehrergewerkschaft mit 4.500 Mitgliedern.

aus Direkte Aktion

http://www.direkteaktion.org/217/bummel-zyprer-und-mafia-kohle

Peter Nowak

Nie wieder Hiroshima, Fukushima und Bikini


Japanische Gewerkschaft im Kampf gegen Atomkraft
Nach Fukushima bildete sich in Japan eine Anti-AKW-Bewegung. Bei ihren Protesten ganz vorne mit dabei sind die Eisenbahner von Doro Chiba.

»Leben geht vor Profit« und »Arbeiten in verstrahlten Zügen – nicht mit uns« lauten die Slogans, die japanische Eisenbahnbeschäftigte skandieren. Sie haben sich erfolgreich geweigert, einen durch die AKW-Havarie von Fukushima radioaktiv verstrahlten Eisenbahnwagen zu reparieren, den die Bahngesellschaft wieder in Betrieb nehmen wollte. »Das gehört zum Konzept der Normalisierung, das die japanische Regierung der Gesellschaft verordnet hat«, erklärt Nobuo Manabe vom Internationalen Solidaritätskomitee der japanischen Eisenbahngewerkschaft Doro Chiba. Bei einer Rundreise durch verschiedene deutsche Städte berichtete er gemeinsam mit Chieko Shiima von »Frauen aus Fukushima gegen Atomkraft« über ihre Arbeit.

»Es ist erstaunlich, dass wir bei unserer Arbeit gerade aus Deutschland so viel Unterstützung bekommen«, freut sich Manebe. Als beispielhaft für die große Spendenbereitschaft erwähnt er die Unterstützung für die von Dora Chiba mitinitiierte selbstverwaltete Klinik für die Opfer von Fukushima. Mit diesem Krankenhaus wolle man Menschen eine Alternative bieten, die kein Vertrauen in die staatlichen Kliniken haben, betont der Gewerkschafter. In der Solidaritätsklinik würden sich die Ärzte wesentlich mehr Zeit für die Untersuchungen der Hilfesuchenden nehmen als in den anderen Hospitälern.

Neben der Beteiligung am Projekt der Solidaritätsklinik und dem Widerstand gegen die Arbeit in radioaktiv kontaminierten Zügen beteiligte sich Dora Chiba auch an der Organisation der diesjährigen Proteste zum Jahrestag der Atomkatastrophe am 11. März 2011, an denen einige Tausend Menschen in verschiedenen Städten teilnahmen. »Für Japan ist es ein Erfolg, aber im Vorjahr war die Zahl der Teilnehmer erheblich größer«, berichtet Chieko Shiina ein wenig enttäuscht.

Während die großen Gewerkschaften die Veranstaltungen nicht mehr am oft noch winterlichen Jahrestag veranstalten, sondern in den Sommer verschieben wollen, hält Doro Chiba gemeinsam mit Anti-AkW-Initiativen und kleinen linken Gruppen am 11. März als Protestdatum fest. Die Konsequenzen aus der AKW-Havarie fassen sie in der Parole »Nie wieder Hiroshima, Fukoshima und Bikini« zusammen. Damit ist der Kampf gegen Atombomben, AKW und alle Atombombenversuche gemeint, für die das Bikiniatoll steht.

Dora Chiba kann auch andere Themen in die japanische Anti-Atom-Bewegung tragen: Oft werden auf den Umweltschutzdemonstrationen Parolen für die Einheit aller Lohnabhängigen skandiert. Dass jetzt allerdings der Anti-AKW-Widerstand im Zentrum der Arbeit der 1987 gegründeten Eisenbahnergewerkschaft steht, ist für Manabe kein Zufall. »Wir haben den Anspruch, neben gewerkschaftlichen Forderungen auch politische Ziele zu formulieren, und daher ist nach dem Gau der Kampf gegen AKW für uns zentral«, so Manabe.

www.neues-deutschland.de/artikel/824819.nie-wieder-hiroshima-fukushima-und-bikini.html
Peter Nowak

Beschwörungen, Kitsch, Kritik und Verhaftungen

Nach der Räumung des Taksimplatzes: Wer macht welche Lernerfahrungen?

Am Tag danach kommen die Beschwörungen und der Kitsch. So scheint es zurzeit auch nach der Räumung der Protestcamps im Gezipark und Taksimplatz im Zentrum Istanbuls. „Eine andere Welt ist möglich. Wir haben im Gezi Park diese mögliche Welt gesehen. Es gibt sie. Du Tayyip Erdogan, Du kennst nur die Dunkelheit. Wir aber tragen die mögliche Welt im Herzen. Und mit dieser möglichen Welt im Herzen leisten wir gemeinsam Widerstand“, werden Protestaktivisten im Blog der globalisierungskritischen Webseite Attac direkt aus Istanbul zitiert. Tatsächlich gibt es in Istanbul erstmals seit Wochen keine lautstarken Proteste. Dagegen wurde nun eine neue Protestform etabliert, dass schweigende Verharren und unverwandt auf eine bestimmte Stelle blicken. Schweigender Protest, weil die Worte fehlen oder weil es gefährlich ist, sie zu formulieren? Denn die Regierung und ihre Repressionsorgane schweigen keineswegs.


Drohung mit dem Militär

Neben der Räumung der Protestzentren ist es vor allem die Drohung mit dem Militär und der berühmten schweigenden Mehrheit, die ihre Wirkung auch auf viele kritische Köpfe in der Türkei nicht verfehlt. Schließlich ist für viele Menschen die Erinnerung an den Terror in den Zeiten der Militärdiktatur noch präsent. Viele kritische Menschen verließen nach 1980 das Land. Die islamisch-konservative Erdogan-Regierung hat einige Zeit gerade mit dem Versprechen Zustimmung auch bei liberalen Kreisen gewonnen, dass er diese Militärs entmachtet. Das ist ihm auch bei den als kemalistisch etikettierten Militärs so gründlich gelungen, dass er sie jetzt als Werkzeug des neuen islamisch-konservativen Machtblocks zumindest als rhetorische Drohung einsetzen kann.

Doch genauso bedrohlich ist das Szenario einer Mobilisierung der konservativen schweigenden Mehrheit in der Türkei, zu der sich seit letztem Wochenende auch die faschistische MHP und andere ultranationalistische Gruppen gesellen, die mit ihren Fahnen auf den Pro-Erdogan-Kundgebungen aufgelaufen sind. Es ist bekannt, dass gerade die Grauen Wölfe, der Stoßtrupp der MHP, seit Jahrzehnten gegen Linke, Intellektuelle und kurdische Aktivisten mit Terror vorgegangen sind.

Verhaftungswelle in verschiedenen Städten

Doch vorerst sind es nicht Graue Wölfe oder Militär, sondern die türkische Polizei, die gegen linke Gruppen vorgeht. In der gesamten Türkei sind Massenfestnahmen gegen linke Aktivisten angelaufen, die sich in den letzten Wochen an den Protesten beteiligt haben. Allein in Istanbul wird von 90 Festnahmen berichtet. Betroffen sollen auch Blogger sein.

Es ist zu vermuten, dass die Repressionsorgane nun die verschiedenen Internetveröffentlichungen auswerteten, um Menschen kriminalisieren zu können. Viele Aktivisten dürften recht sorglos mit ihren Datenmaterial umgegangen sein. Schließlich berichteten Korrespondenten mit sichtlichem Erstaunen, dass in den letzten Tagen für manche Aktivisten die Gasmaske als Schutz vor Tränengas genau so zum alltäglichen Bestandteil der Ausgeh-Accessoires zählten wie sonst die modischen Sonnenbrillen. Überhaupt wurde auch in den hiesigen Medien der Protest oft als ein großes Fest dargestellt und so dürften es auch nicht wenige Protagonisten empfunden haben. Es war für sie ein Ausbruch aus einer genormten und verregelten Welt, in der man rund um die Uhr für die Lohnarbeit verfügbar sein muss.

Was hinterlassen die Camps?

Genau deshalb sind solche Camps in aller Welt auch so populär und Occupy war nur der bekannteste Name. Doch weil es eben bei dem temporären Ausbruch und der Sichtbarwerdung bleibt, sind diese Bewegungen auch nach einer gewissen Zeit wieder verschwunden und es ist schwer feststellbar, ob es bei den Beteiligten Lernprozesse begeben hat. Als bekanntes Beispiel soll hier nur die landesweite Campbewegung gegen teure Mieten in Israel genannt werden.

Nur haben diese Aktivitäten in den meisten Ländern für die Beteiligten auch keine allzu großen Konsequenzen im Nachhinein. Doch wie werden die Akteure reagieren, wenn sie womöglich noch mit Repressalien konfrontiert sind wie in der Türkei? Welche Lernprozesse werden bei den Beteiligten ausgelöst – diese Frage stellte sich schon vor fast zwei Wochen den Augenzeugen der Ereignisse.

Viel wird davon abhängen, ob es den bestehenden linken Strukturen in der Türkei, die lange Erfahrung auch im Umgang mit staatlicher Repression haben, gelingt, Zugang zu den jungen Aktivisten zu bekommen, die mit den Protesten das erste Mal in ihrem Leben politisch aktiv geworden sind. Am Kottbuser Tor in Berlin gibt es, wie in vielen Städten überall auf der Welt, seit mehr als zwei Wochen ein Zelt verschiedener linker Gruppen aus der Türkei, die sich solidarisch mit den Protesten zeigen. Wenn dort dann Schilder mit der Parole „Das Volk erwacht“ auftaucht, muss man zumindest feststellen, dass die Tatsache, dass es auch eine Pro-Erdogan-Fraktion in der türkischen Bevölkerung gibt, wohl nicht reflektiert wird.

Hoffnungen auf die EU?

Ein Teil der Ratlosigkeit besteht darin, dass nun Hoffnungen in die EU gesetzt werden. Sie solle die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aussetzen, fordern mittlerweile auch die Türkischen Gemeinden in Deutschland, die lange zu den Unterstützern einer Annäherung der Türkei an die EU gehörten. Damit rennen sie bei den Unionsparteien offene Türen ein, die das abendländische Europa nie mit der Türkei verbinden wollten.

Allerdings sind solche Forderungen aus der Defensive vielleicht verständlich, aber recht wirkungslos. Denn Erdogan hat selbst kein besonderes Interesse an einer schnellen EU-Mitgliedschaft, wie auch seine Reaktionen auf Ermahnungen aus Brüssel in den letzten Tagen zeigten. Wenn er nun anderen EU-Ländern den Spiegel vorhält und erklärt, auch die seien mit Protestierenden nicht wesentlich anders umgegangen, hat er nun mal recht.

Der Einsatz von Tränengas gegen die Empörten im Zentrum von Athen vor zwei Jahren war nicht wesentlich sanfter als am Taksimplatz. Warum sich die Gruppen, die die EU adressieren nicht einfach auf die Forderung beschränken, die Abschiebung von türkischen und kurdischen Flüchtlingen in die Türkei müsse sofort ausgesetzt werden und die Justiz der europäischen Länder müsse sofort die Kooperation mit ihren türkischen Kollegen beenden, ist nicht klar.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154469
Peter Nowak

FLÜCHTLINGSTRIBUNAL IN KREUZBERG

Angeklagt: die Bundesrepublik Deutschland

„Brecht die Mauern des Schweigens“ heißt es auf dem großen Transparent am Eingang zum Flüchtlingscamp am Kreuzberger Oranienplatz. Es ist das Motto eines viertägigen internationalen Tribunals gegen die deutsche Flüchtlingspolitik, das ab dem heutigen Donnerstag dort als Treffpunkt und mit Workshops nahebei auf dem Mariannenplatz stattfinden wird.

Vorbereitet wird das Tribunal seit Monaten von Flüchtlingsorganisationen aus Deutschland und anderen europäischen Ländern. „Wir sind die ExpertInnen, wenn es um die deutsche Flüchtlingspolitik geht. Deswegen werden wir hier in den nächsten Tagen zu Wort kommen“, erklärt Rex Osa von der Vorbereitungsgruppe. Das Tribunal solle der Ermutigung und Information der Flüchtlinge dienen, betont er.

Schon in der Vorbereitung haben sich Flüchtlingsfrauen eigenständig organisiert. Eine von ihnen vorbereitete Demonstration, die ab 9 Uhr vom Herrmannplatz zum Mariannenplatz zieht, ist der Startpunkt des Tribunals. Im Anschluss werden die Flüchtlinge in Arbeitsgruppen über die Situation in ihren Herkunftsländern sowie die vergessenen Folgen der deutschen Kolonialpolitik informieren.

Am Freitag wird die Kritik an der deutschen Flüchtlingspolitik, etwa am Abschiebesystem und der Unterbringung in Lagern, zu Wort kommen. Ein eigener Workshop widmet sich der Kriminalisierung von Flüchtlingsprotesten. Am Samstag stehen Widerstand und Selbstorganisierung von Flüchtlingen im Mittelpunkt. Laut Baher Charara von der Vorbereitungsgruppe sendet das Tribunal zwei Botschaften an die deutsche Gesellschaft: „Zuerst sind wir Menschen wie Ihr. Zweitens lade ich Euch ein, die Flüchtlinge zu besuchen.“

www.refugeetribunal.org

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F06%2F13%2Fa0127&cHash=d2caec270f25167a0f71671214e39600

Peter Nowak

Ende der Toleranz am Taksimplatz?

Auch wenn sich das Erdogan-Regime mit Gewalt weiter an der Macht halten kann, die Proteste haben das System getroffen

Die Bilder, die in diesen Stunden aus dem Zentrum von Istanbul übermittelt werden, erinnern an ein Land im Bürgerkrieg. Auch nachdem am Dienstagmorgen eine riesige Polizeiarmada den Taksimplatz geräumt hat, ist nicht die von der Regierung gefordert Ruhe eingekehrt. Im Gegenteil, die gespannte Ruhe der letzten Tage ist in offenen Widerstand umgeschlagen.

So wehrten sich die Besetzer des Taksimplatz mit Barrikaden gegen die anrückende Polizei. Die Besetzer des angrenzenden Gezi-Parkes, von dem die Proteste in der Türkei ausgingen, hatten sich sogleich von der militanten Verteidigung distanziert. Was wie eine Spaltung der Protestbewegung aussieht, kann aber mit den unterschiedlichen Protestmilieus erklärt werden.

Junge empörte Mittelschicht und alte Linke

Bei dem Kern Parkbesetzern handelt es sich um eine urbane, gut vernetzte junge Mittelschicht, die sich gegen das autoritäre, religiös verbrämte Tugendregime der AKP wehrt, aber auch in großer Distanz zu allen Parteien und den traditionellen linken Organisationen steht. Bei den Verteidigern des Taksimplatzes hingegen waren im Kern Aktivisten der verschiedenen linken Organisationen aktiv gewesen, die durch die Ereignisse rund um den Park wieder einmal gemeinsam agieren. Die Ereignisse der letzten Tage zeigte, dass diese Linke noch immer ein Faktor ist, weil sie organisiert handelt und Kampferfahrungen teilweise noch aus den Zeiten der Militärdiktatur hat. Welche Bedeutung sie aber innerhalb der heterogenen Protestbewegung haben wird, ist völlig unklar und hängt auch vom Verhalten der Regierung ab.

Schließlich hätte diese, nachdem sich die Parkbesetzer von der militanten Verteidigung des Taksim-Platzes distanziert hatten, die Spaltungslinien zwischen den jungen Empörten und den alten Linken vertiefen können. Doch Erdogan und die Hardliner in der Regierung setzten auf die Zerschlagung der gesamten Bewegung. Damit aber könnte sie manche der jungen Empörten in die Arme der Linken treiben, die schließlich auch praktisch gezeigt hat, dass man der Polizei nicht wehrlos gegenüber stehen muss.

Erdogan mit dem Rücken zur Wand?

Es muss schon überraschen, dass ein Regierungschef, der es über ein Jahrzehnt verstanden hat, eine Hegemonie in der türkischen Gesellschaft durchzusetzen und damit die alten kemalistischen Eliten entmachtete, angesichts der jüngsten Proteste reagiert wie all die autoritären Staatschefs im Nahen Osten, die für jeden Widerstand gegen ihre Herrschaft Terroristen und Provokateure verantwortlich machen und die Schuld dem Ausland, vorzugsweise Israel, geben. Genau so reagierte Erdogan in den letzten Tagen.
Wenn er nach der Rückkehr von einer kurzen Auslandsreise das Ende der Toleranz ankündigte, obwohl es doch schon die gesamte Zeit eine massive Polizeirepression gegen die Proteste gegeben hat, wird auch deutlich, dass Erdogan nicht aus einer Position der Stärke agiert. Ob er aber mit dem Rücken zur Wand steht, ist noch nicht ausgemacht. Doch selbst wenn er einstweilen an der Macht bleibt, haben seine Pläne für einen Umbau der Türkei in ein autoritäres Präsidialregime unter seiner Führung einen Rückschlag erlitten.

Es war kein Geheimnis, dass Erdogan selber dieses Amt besetzen wolle und mit Unterstützung der kurdischen Bewegung eine Verfassungsänderung umsetzen wollte, die auch einen Machtzuwachs für den Präsidenten festschreiben sollte. Der ebenfalls der AKP angehörende gegenwärtige Präsident Gül hat zu diesen Plänen geschwiegen und offen gelassen, ob er das Amt nicht behalten will. Nach den Ereignissen der letzten Wochen ist die Unterstützung für die Verfassungsänderung nicht sehr wahrscheinlich und Gül hatte in den letzten Tagen signalisiert, dass er gegen den Protestierenden eine flexiblere Haltung einnehmen könnte und die Spaltungslinien zwischen den unterschiedlichen Protestmilieus besser auszunutzen wollte.

Wie Gül haben sich auch einige AKP-Politiker aus der zweiten Reihe vorsichtig von der offen repressiven Linie distanziert. Erdogan hat nach seiner Rückkehr deutlich gemacht, dass er unveränderlich zu dieser Linie steht. Sollten sich damit die Proteste nicht eindämmen lassen und die Zahl der Demonstranten sogar noch wachsen, könnte es zu einem Machtkampf innerhalb der AKP kommen.

Um ein solches Szenario zu verhindern, soll jetzt auch die AKP-Basis überall in der Türkei auf die Straße gehen. Selbst Neuwahlen sind im Gespräch, damit die AKP gestärkt durch ein gutes Wahlergebnis die Opposition scheinbar demokratisch legitimiert zerschlagen kann. Denn, trotz der Massenproteste, hat die Erdogan-Linie in der Türkei durchaus noch Unterstützung. Die innenpolitische Zuspitzung könnte auch dazu führen, dass sich die konservativ-islamistische Bevölkerung noch mehr um die Regierung schart und so die innenpolitische Spaltung vertieft.

Zusammenarbeit mit der türkischen Regierung aufkündigen?

Auch außenpolitisch wird sich das Regime als Stabilitätsfaktor verkaufen und davor warnen, dass neben zahlreichen Nachbarländern auch die Türkei destabilisiert werden könnte. Ein Analyst hat in der Jüdischen Allgemeine die Situation im Nahen Osten mit der Situation in Europa zur Zeit des 30jährigen Krieges verglichen. Die gegenwärtige Regierung wird versuchen, sich als Garant der Stabilität darzustellen. Seit die Unruhen begonnen haben, wird wieder verstärkt über die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU diskutiert.

Betätigten sich schon bisher deutsche Konservative als Bremser einer Annäherung, so fordert jetzt auch die Bundestagsabgeordnete der Linken, Sevrim Dagdelen, eine Aussetzung der EU-Verhandlungen und vor allem der Zusammenarbeit mit der Erdogan-Regierung. Dabei muss man sich aber fragen, ob eine solche Haltung nicht auch Illusionen in die EU als Instanz schürt, die angeblich für eine zivile Austragung von Konflikten steht.

Doch wurden nicht vor 12 Jahren im EU-Land Italien Globalisierungskritiker ebenso massiv mit Wasserwerfen und Tränengas bekämpft und anschließend kriminalisiert? Ist es nicht erst zwei Jahre her, dass die Bewegung der Empörten in der Innenstadt von Athen unter massiver Tränengasanwendung zerschlagen wurde und damit mit der Weg freigemacht, dass die EU-Troika ihr für die Mehrheit der Menschen in Griechenland desaströse Austeritätspolitik umsetzen konnte?

Zudem hat in der Türkei die Massenfestnahme von Gewerkschaftern im letzten Jahr bei der EU keine Reaktionen ausgelöst. Und während die Proteste schon längst im Gange waren, wurde der türkische Linke Bulut Yayla in einer Nacht- und Nebelaktion aus Griechenland verschleppt und der türkischen Justiz übergeben.

Peter Nowak

Große Mehrheit für Verschärfung von Asylrecht in der Schweiz


Das Ergebnis macht wieder einmal deutlich, dass die Bevölkerung in Krisenzeiten auf Ausgrenzung setzt

„Deine eigene Situation wird nicht besser, wenn Du diejenige der anderen verschlimmerst. Stimme Nein am 9. Juni.“ Mit solchen Statements wollten Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen in der Schweiz verhindern, dass bei einem Referendum am vergangenen Sonntag die von der Regierung eingebrachten und Ende September letzten Jahres in Kraft getretenen Verschärfungen des Asylrechts von den Wählern bestätigt werden.

Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften, Kirchen und linke Parteien setzten sich dafür ein, dass die liberale Variante des Asylrechts wieder in Kraft tritt. Ihre Bemühungen waren vergeblich. Knapp 79 % der Abstimmenden votierten für das verschärfte Asylrecht. Das Ergebnis war schon in Umfragen prognostiziert worden.

Repression gegen Flüchtlinge befürchtet

Nach den vom Referendum bestätigten Verschärfungen können Deserteure nicht mehr auf Asyl in der Schweiz hoffen. In den letzten Monaten hatten vor allem Flüchtlinge aus Eritrea häufiger in der Schweiz Asylanträge gestellt und auf die harten Strafen verwiesen, die ihnen in ihrem Heimatland drohen.

Mit der Verschärfung des Asylrechts wird auch ignoriert, dass in vielen Ländern menschenunwürdige Zustände beim Militär bestehen und jungen Wehrpflichtigen unter Umständen zu Menschenrechtsverletzungen gezwungen werden. Während die Schweiz wie Deutschland und viele anderen Ländern beim Waffenhandel eine wichtige Rolle spielt, zieht man vor den Menschen die Mauern hoch, die sich weigern, sie zu benutzen. Zudem ist es nach der Verschärfung nicht mehr möglich, bei Schweizer Botschaften Asyl zu beantragen. Diese europaweit liberale Regelung fällt weg. Auch das Recht auf Familienzusammenführung wird nun eingeschränkt.

Ein besonders heftig diskutierter Punkt im neuen Schweizer Asylgesetz ist die Einrichtung spezieller Zentren für Asylbewerber, die als „Unruhestifter“ stigmatisiert werden. Im Vorfeld des Referendums wurde Stimmung mit der Behauptung gemacht, dass im letzten Jahr die Zahl der von Asylbewerbern begangenen Vergehen um rund 38 Prozent gestiegen sei. Wie bei ähnlichen Meldungen in Deutschland wird hier nicht erwähnt, dass viele dieser Vergehen nur von Flüchtlingen begangen werden können, wenn sie die Einschränkungen des Asylrechts missachten.

Wie in Deutschland haben sich auch in der Schweiz im letzten Jahr Flüchtlinge mit vielfältigen Aktionen dagegen gewehrt und den Grundsatz „Asyl für Alle“ auf die Straße getragen. Die Kampagne gegen Unruhestifter könnte schnell genutzt werden, solche Aktivitäten zu kriminalisieren. Davor warnt auch die Gewerkschaft Unia: „Die Wegsperrung von Menschen ohne Gerichtsbeschluss widerspricht klar rechtstaatlichen Prinzipien und den verfassungsmäßig garantierten Freiheitsrechten. Zudem ist der Begriff „renitent“ völlig vage: Er ist juristisch nicht definiert und öffnet der Willkür Tür und Tor“

Abschottung und Opfer bringen

Der Ausgang des Referendums ist ganz nach dem Geschmack der rechtskonservativen Schweizer Volkspartei, die in dem Land in Sachen Asylrecht oft den Takt vorgibt. Schon legt ihre Züricher Sektion nach und fordert weitere Einschränkungen beim Asylrecht.

Das Referendumsergebnis macht wieder einmal deutlich, dass die Bevölkerung in Krisenzeiten auf Ausgrenzung setzt. Das Bewusstsein einer Konkurrenzgesellschaft, wo jeder sich selber der Nächste ist, drückt sich in solchen Ergebnissen aus. Dass ihre eigene Situation nicht besser wird, wenn die Situation anderer verschlechtert wird, stimmt. Doch die Menschen, die stolz oder zumindest schicksalsergeben Opfer für den eigenen Wirtschaftsstandort in Kauf nehmen, setzen sich besonders dafür ein, diesen gegen andere abzusichern.

So hat sich im letzen Jahr bei einem Referendum eine Mehrheit in der Schweiz gegen einen längeren Urlaub ausgesprochen, weil der angeblich den Wirtschaftsstandort beeinträchtigen könnte (Schweizer sagen Nein zu mehr Urlaub). Das ist auch der Grund, warum rechte Parteien mittlerweile die Instrumente der Volksabstimmungen in der Regel gerne nutzen, um ihre Politik zu legitimieren. Die SVP wollte mit einem Referendum erreichen, dass Regierungsmitglieder statt vom Parlament direkt von der Bevölkerung gewählt werden. Diesen Vorstoß lehnten am Sonntag allerdings rund 76 Prozent der Wähler ab.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154417
Peter Nowak

„Dann kann man sie ohne Federlesen wieder rausschmeißen“


Beim Treffen der EU-Innenminister in Luxemburg redete Bundesinnenminister Friedrich (CSU) Klartext

Im Visier hatte der Bundesinnenminister die als Armutsflüchtlinge stigmatisierten Menschen, vornehmlich aus Rumänien und Bulgarien, die nach Deutschland kommen, weil sie sich hier ein etwas besseres Leben als in den Heimatländern erhoffen.

Für Friedrich ist klar, dass es sich hierbei nur um Menschen handeln kann, die in betrügerischer Absicht einreisen – und die können deswegen auch umgehend ausgewiesen werden, so der Bundesinnenminister in Luxemburg. Doch dabei will es Minister nicht belassen und fordert weitere Sanktionen. „Was dazukommt, ist, dass wir ihnen eine Einreisesperre für eine bestimmte Zeit auferlegen, damit sie am nächsten Tag nicht wiederkommen können.“

Held der deutschen Stammtische

Danach gerierte sich der CSU-Politiker so, als wolle er den Grundsatz seines langjährigen Parteivorsitzenden Franz Joseph Strauß beherzigen, dass es rechts von der CSU keine Partei geben darf und man deshalb deren Politik aufgreifen muss. „Wenn die dann irgendwo aufgegriffen werden, dann kann man ohne großes Federlesen sie wieder rausschmeißen, und das ist das Entscheidende.“

Mit solch einem Satz wird man nicht nur zum Helden der deutschen Stammtische, sondern man kann wohl auch damit rechnen, von einer Splittergruppe rechts von der Union ein Beitragsformular zugeschickt zu bekommen. Dabei ist das Ziel von Friedrich genau umgekehrt. Er will diese Rechtsaußenformationen klein halten, indem er deren Parolen übernimmt. Das ist nun wahrlich keine neue Politik. Doch erstaunlich ist es trotzdem, dass Friedrich zwei Jahrzehnte nach dem rassistischen Anschlägen von Rostock, Mölln und Solingen und im Schatten des NSU-Prozesses nicht einmal eine verbale Abrüstung für nötig hält. Dabei haben vor allem in NRW aber auch in anderen Bundesländern schon längst verschiedene rechtspopulistische Formationen mit einer Kampagne gegen die Armutsflüchtlinge aus Osteuropa begonnen. Friedrichs Einlassungen kommen in diesen Kreisen wie gerufen. Damit können sie demonstrieren, dass ihre Anliegen bis in die Bundesregierung Gehör finden.

Die Bundestagsabgeordnete der Linkspartei Ulla Jelpke weist daraufhin, dass eine Kleine Anfrage im Bundestag gezeigt habe, dass Friedrichs Warnungen vor den osteuropäischen Armutsflüchtlingen, die für die Verarmung deutscher Städte sorgen, durch keinerlei belastbares Faktenmaterial gedeckt seien. Auch EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström hat erst kürzlich erklärt: „Wir haben noch keinerlei Zahlen oder Beispiele dazu erhalten, die aber notwendig wären, um zu zeigen, was genau das Problem ist.“ Trotzdem werden Friedrichs Äußerungen von verschiedenen Medien als Tatsachenbehauptung übernommen (siehe auch: Die herbeigerechnete Roma-Flut).

Eingeschränkte Bewegungsfreiheit für Arme in der EU

Friedrich hat mit seinen Einlassungen auch gleichzeitig deutlich gemacht, dass die vielbeschworene Bewegungsfreiheit im EU-Raum ein Mythos ist. Schließlich gehören sowohl Bulgarien als auch Rumänien der EU an. Gerade die Utopie, dass zumindest im EU-Raum die Grenzen fallen sollten, hat viele der Bewohner dieser Länder zu Befürwortern der EU werden lasse.

Nun hat Friedrich in unverschnörkelter Klarheit zum Ausdruck gebracht, dass die Bewegungsfreiheit in der EU eine Klassenfrage ist. Das betrifft natürlich nicht nur die Bewohner der neuen EU-Bürger, sondern genauso die vielen Menschen, die in den letzten Monaten aus Griechenland, Spanien und Italien nach Deutschland migrierten. Als mobile Prekäre am unteren Ende der Niedriglohnskala in Deutschland sind sie sehr willkommen. Dazu sind sie nur bereit, weil sie hier immer noch mehr verdienen als in ihren Heimatländern, wo die Politik der EU-Troika die wirtschaftliche und soziale Situation so verschlechtert hat, dass noch ein Job im deutschen Niedriglohnsektor als Alternative erscheint. Dass nicht wenige von ihnen monatelang um ihren Lohn kämpfen müssen, ist weniger bekannt. Mittlerweile werden die von Lohnbetrug Betroffenen von verschiedenen gewerkschaftlichen Organisationen unterstützt. Die Bundesregierung hat mit dem EFA-Vorbehalt lediglich dafür gesorgt, dass ein Teil dieser EU-Bürger keine Hartz -IV-Leistungen beziehen kann und damit leichter ausbeutbar sind.

Die Bewohner der neuen EU-Staaten sind einstweilen auch im deutschen Niedriglohnsystem noch entbehrlich und sollen, wie Friedrich es in deutscher Stammtisch-Manier ausdrückte, ohne Federlesen rausgeschmissen werden können. Dafür wird er auch von vielen Erwerbslosen und Menschen im Niedriglohnsektor Zustimmung bekommen. Dabei vergessen sie gerne, dass auch ihre Bewegungsfreiheit massiv eingeschränkt wird. Hartz-IV-Empfänger brauchen schließlich für Umzüge und für Reisen immer eine Genehmigung von Jobcenter. Solange sie diese Zumutungen als notwendige Opfer für den Standort hinnehmen und in den Menschen aus Osteuropa nur lästige Konkurrenten sehen, können sich die Friedrichs aller Parteien mit ihren „Armutsflüchtlinge raus“-Parolen als Sprachrohr der schweigenden Mehrheit präsentieren und die Kritik von Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen ignorieren.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154405
Peter Nowak

DDR-Anschluss war Modellprojekt

Manifest für ein solidarisches Europa als Beitrag zur linken Debatte

Zur linken Debatte über ein anderes Europa wurde jetzt ein Manifest mit dem Motto »Für ein solidarisches Europa« veröffentlicht. Dafür werden seit dem 1. Juni im Internet Unterschriften gesammelt.

Der Titel geht auf ein Buch zurück, das der Hamburger Historiker Karl Heinz Roth und der griechische Soziologe Zissis Papadimitriou demnächst im Nautilus-Verlag veröffentlichen. Die beiden Aktivisten der außerparlamentarischen Linken ihrer Länder liefern nicht nur eine schonungslose Analyse des Euroraumes, sondern schlagen Alternativen vor.

Die Wurzeln der »exportgetriebenen Niedriglohnpolitik der deutschen Hegemonialmacht und ihrer kerneuropäischen Verbündeten« verorten die beiden Autoren in den frühen 90er Jahren. Sie sehen in dem Anschluss der DDR an die BRD ein Modellprojekt für den Umgang des von Deutschland angeführten Kerneuropa mit der europäischen Peripherie.

In einem eigenen Kapitel wird im Manifest kritisch auf verschiedene linke Europa-Konzepte eingegangen. Der Austritt eines oder mehrerer Länder der europäischen Peripherie aus der Eurozone würde die soziale und wirtschaftliche Misere nach Überzeugung der Verfasser verschärfen.

Sie halten das Konzept des Mehrheitsflügels der größten griechischen Oppositionspartei Syriza für unrealistisch, innerhalb der EU ein Schuldenmoratorium und andere Reformen durchsetzen zu können. Als Alternative werden im Manifest radikale Veränderungen auf wirtschaftlichen und sozialen Gebiet vorgeschlagen.

Dazu gehört eine völlige Abkehr vom Wirtschaftsliberalismus. Gesetzt wird auf Arbeitszeitverkürzung, eine allgemeine Grundsicherung, die spürbare Anhebung der Kapital- und Vermögenssteuer sowie die Verhinderung der Kapitalflucht. Gefordert werden eine Sozialisierung von Banken und zentralen Schlüsselindustrien, die Gleichstellung der Frauen und ein beschleunigter europaweiter ökologischer Umbau.

Die Ablehnung des Schengener Grenzregimes und die Beendigung der Politik der Abschiebung und Diskriminierung von Flüchtlingen gehört zu einem antifaschistischen Vermächtnis. Das wird angesichts des Anwachsens rechter und rassistischer Bewegungen in verschiedenen europäischen Ländern im Manifest aktualisiert. Hergestellt wird der Bezug zu Erklärungen linkssozialistischer Widerstandsorganisationen wie der Gruppe »Neu Beginnen«. Sie forderten zu Beginn der 1940er Jahre eine Föderative Republik Europa als Gegenmittel gegen den zerstörerischen Nationalismus.

Als nächster Schritt wird im Manifest ein europäisches » Netzwerk selbstbestimmt und selbstverantwortlich handelnder Initiativen« vorgeschlagen, die eine »Assoziation Egalitäres Europa« begründen. Aufgerufen dazu sind Aktivisten des sozialen Widerstands, Protagonisten der Alternativökonomie sowie linksoppositionelle Strömungen in Gewerkschaften und Parteien.

www.egalitarian-europe.com
http://www.neues-deutschland.de/artikel/823630.ddr-anschluss-war-modellprojekt.html

Peter Nowak

Anfang vom Ende der Ära Erdogan?


Nach mehreren Tagen der Proteste in der Türkei stellt sich die Frage, welche innenpolitischen Folgen sie haben werden

Dass der Kampf um die Rettung eines Parks im Zentrum Istanbuls zu einer türkeiweiten Protestwelle mit zahlreichen Verletzten und Toten führen konnte, mag auf den ersten Blick überraschend sein. Schließlich schien der türkische Ministerpräsident nicht nur in seinem Land unangefochten, er gerierte sich gar als Globalplayer, der vor den Kameras der Welt gegen die israelische Politik wetterte und sich zum Verbündeten der arabischen Straße aufschwang. Besonders die Umbrüche in der arabischen Welt, vor allem die Machtübernahme der Moslembrüder in Ägypten, schienen Erdogans Plänen entgegenzukommen.

Doch auf den zweiten Blick ist die Protestwelle so überraschend nicht. Es mag verlockend sein, sie mit Begriffen wie „türkischer Sommer“ oder „Istanbul resist“ in einem globalen Kontext zu verorten, entweder als Fortsetzung der arabischen Aufstände oder als spätes Echo auf die Bewegung der Empörten. Damit werden aber die spezifischen Ursachen, die in der jüngeren Geschichte der Türkei und dem Aufstieg der AKP zu suchen sind, vernachlässigt.

Vom islamischen Outsider zur Staatspartei

Zunächst ist festzustellen, dass in der Türkei im letzten Jahrzehnt ein Elitenwechsel stattgefunden hat, wie er in diesem Umfang selten ist. Die jahrzehntelang dominierende säkulare kemalistische Elite aus den Städten wurde von einer aufstrebenden islamisch geprägten Bourgeoisie abgelöst. Die Stellung von Erdogan und seiner AKP zeigt den Wandel. Noch vor wenigen Jahren musste sie befürchten, von den kemalistischen Militärs entmachtet und verboten zu werden.

Erdogan konnte sogar anfangs selbst kein politisches Amt übernehmen, weil er als Bürgermeister von Istanbul wegen islamistischer Propaganda zu einer Haftstrafe verurteilt worden war. Mittlerweile ist ein Großteil der Militärs und mit ihnen viele Regierungskritiker selbst mit politischen Verfahren konfrontiert, viele sind in Haft. Dieser Elitenwechsel ging so reibungslos vonstatten, weil die AKP die Partei des neoliberalen Umbaus in der Türkei wurde. Der Wirtschaftsaufschwung, der vor allem auf Kapitaltransfer aus der arabischen Welt basiert, verschaffte der AKP bei Wahlen viel Zustimmung. Doch zivilgesellschaftliche Kräfte, die Erdogan in der Anfangsphase im Kampf gegen die kemalistischen Militärs noch unterstützten, haben sich längst von ihm abgewandt.

Die Repression der Kemalisten, die sich vor allem gegen die kurdische Bewegung und verschiedene Fraktionen der Linken richtete, wurde übernommen und mit einem islamistischen Etikett versehen. Es sind längst nicht nur die kemalistischen Eliten, die heute in der Türkei verfolgt wurden Die Massenrepression gegen kritische Gewerkschafter, die monatelang im Gefängnis gesessen haben, sowie der Polizeieinsatz gegen eine Gewerkschaftsdemonstration am 1. Mai in Istanbul, macht deutlich, dass sich die Objekte der Verfolgung im Übergang von der kemalistischen zur islamistischen Elite kaum verändert haben.

In den aktuellen Protesten findet sich auch viel aufgestaute Wut über nicht eingehaltene Demokratieversprechen gepaart mit zunehmender islamischer Gängelung wieder. Deshalb haben sich Gewerkschaften wie die KESK und verschiedene linke Gruppen den Protesten angeschlossen.

Erdogans Niederlage im Syrienkonflikt

Neben der zunehmenden innenpolitischen Enttäuschung hat sich die türkische Regierung auch im Syrien-Konflikt eine Niederlage eingehandelt. Die vor allem von Erdogan lange geäußerten Hoffnungen, das Assad-Regime werde in kurzer Zeit gestürzt sein, haben sich nicht erfüllt. Stattdessen haben die innersyrischen Konflikte auch längst die Türkei erreicht, wie es spätestens der Bombenanschlag in Reyhanli deutlich wurde. Die wiederholten Versuche der Erdogan-Regierung, die Nato auf Seiten der Türkei in dem Konflikt zu positionieren, haben bisher auch nicht die erwünschte Wirkung gezeigt.

So ist erstmals auch die außenpolitische Orientierung der Regierung in der Türkei heftig umstritten. In dieser Situation melden sich auch die von der AKP gedemütigten Kemalisten wieder zu Wort. Wenn Erdogan sich nun als türkisch-kurdischer Brückenbauer profilieren will und der kurdischen Nationalbewegung Zugeständnisse macht, gehen auch diverse nationalistische Gruppen in der Türkei auf Distanz. Dass er deswegen in der kurdischen Bewegung nicht unbedingt Vertrauen gewinnt, wird klar, wenn man weiß, dass Erdogan bis heute das Massaker an 34 unbewaffneten Bauern an der türkischen Ostgrenze verteidigt.

Sie waren als angebliche kurdische Guerilleras von Kampfjets getötet worden. So hat sich in den letzten Monaten in unterschiedlichen politischen und kulturellen Spektren der Türkei große Wut auf die Regierung angestaut, die nun in dem aktuellen Widerstand zum Ausdruck kommt. Dass erklärt auch die Heterogenität der Proteste, die nur dann zu einer realen Gefahr für die türkische Regierung werden könnten, wenn sie für große Massen nachvollziehbaren Lösungen finden könnte.

Aufstand der Weißen?

In welche Richtung eine solche Losung gehen könnte, hat der Taz-Kommentator Deniz Yücel kürzlich deutlich gemacht:

„Es ist das Aufbegehren der ‚weißen Türken‘, des wohlhabenden, gebildeten und urbanen Milieus, dem die regierende AKP als Vertreterin der ’schwarzen Türken‘ gegenübersteht, also den Kleinbürgern, Armen und Zugewanderten der Metropolen, die Erdogan repräsentiert und deren derbe Sprache er spricht, plus der Bevölkerung der Provinz, inklusive der anatolischen Bourgeoisie, deren Mann Staatspräsident Abdullah Gül ist. Diese Gruppen waren lange Zeit von der Teilhabe ausgeschlossen.“

Hier könnte die entmachtete kemalistische Elite die aktuellen innen-und außenpolitischen Schwächen der Erdogan-Regierung ausnutzen, um als Sprachrohr dieser „weißen Türken“ die alten Privilegien zurückzuholen versuchen. Ein solcher Machtkampf der Eliten hätte mit einem Kampf für eine grundlegende Demokratisierung und soziale Reformen natürlich wenig zu tun. Das ist allerdings die Motivation einer Solidaritätsbewegung, die sich in vielen Ländern mit der türkischen Zivilgesellschaft solidarisch erklärt. Wie in Ägypten, Tunesien und vielen anderen Ländern sind es auch in der Türkei kleine zivilgesellschaftliche, gewerkschaftliche und linke Gruppen, die solche emanzipatorischen Vorstellungen verfolgen. Dass sie eine realistische Chance haben, ihre Vorstellungen umzusetzen, würde zumindest eine Kooperation unter diesen Gruppen voraussetzen.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154387
Peter Nowak

Polizei unterbindet Proteste gegen Krisenpolitik

In Frankfurt/Main hat sich am 1. Juni mehr gezeigt, wie in Zeiten der Krise die bürgerliche Rechte abgebaut werden

Am Vormittag des 1. Juni waren rund um den Frankfurter Hauptbahnhof die Banner mit kapitalismuskritischem Inhalt unübersehbar. Fahnen der globalisierungskritischen Organisation Attac waren ebenso zu sehen, wie die Banner zahlreicher Einzelgewerkschaften und auch viele selbstgefertigte Transparente waren zu finden. Am zweiten Tag der internationalen Blockupy-Aktionstage wollten die aus ganz Deutschland und vielen EU-Ländern angereiste Menschen auch im Zentrum der deutschen Wirtschaftsmetropole Frankfurt/Main ein Zeichen setzen, dass auch im Kernland der in ganz Europa verhassten Austeritätspolitik Protest möglich ist.

Am Ende des Tages ging aber ein anderes Zeichen um die Welt. Im Kernland der Austeritätspolitik werden die bürgerlichen Rechte soweit abgebaut, dass eine monatelang vorbereitete Demonstration von der Polizei unterbunden wurde. Die Demonstration war noch nicht einmal einen Kilometer gelaufen, als schon der große antikapitalistische Block eingekesselt und unter Einsatz von Pfefferspray und Knüppel vom Rest der Demonstration isoliert wurde. Als Begründung wurde erklärt, dass sich in dem Block potentiell gewaltbereite Demonstranten befunden hätten, manche Sonnenbrillen und Regenschirme mit sich führten und einige Transparente etwas zu lang gewesen seine.

Vermummte Polizei – bunt gekleidete Demonstranten

Wie absurd die Polizeibehauptungen waren, kann man verschiedenen Pressefotos gut erkennen. So steht unter einem Foto, das behelmte und mit dicken Handschuhen bewaffnete Polizisten zeigt, die bunt gekleideten Demonstranten gegenüberstehen: „Die Sicherheitskräfte wollten vermummte Demonstranten aus dem sogenannten Schwarzen Block einkesseln.“ Im nächsten Bild sieht man die gleichen Demonstranten, die demonstrativ eine Peace-Fahne vor sich halten und im Untertitel heißt es: „Laut der Polizei durften nicht vermummte Demonstranten den Kessel verlassen – was nicht alle taten, wie dieses Foto beweist.“

Dass in Frankfurt die Polizei eskalierte, bestätigte sogar die FAZ-Redakteurin Katharina Iskandar, die im letzten Jahr die rigide Verbotspolitik gegen die Blockupy-Aktionstage verteidigt hatte. „Tatsächlich befinden sich Anhänger radikaler Gruppen innerhalb des Blocks. Von Gewalttätigkeiten aber war ihr bisheriges Verhalten bei der Demonstration bis zu diesem Zeitpunkt weit entfernt“, schrieb Iskandar gestern

Das sahen auch Passanten und Anwohner so, die Zeugen der Polizeiaktion wurden. So konnte man vom Fenster des Cafés des Jüdischen Museums am Frankfurter Untermainkai genau sehen, wie die Demonstranten eingekesselt worden sind. Es habe keinerlei Gewalt von ihrer Seite aus gegeben, bestätigten die Augenzeugen. Der Reporter des Freitag Berichtete, wie kreativ der Polizeisprecher bei der Begründung der Repression war: „Ein Polizeisprecher, den ich am Rande des Kessels nach dem Anlass dieser Aktion fragte, sprach zunächst von der Vermummung der Teilnehmer. Wahrscheinlich meinte er damit die Sonnenbrillen und die Regenschirme, die die Demonstranten bei sich trugen. Als dann ein Kollege des Hessischen Rundfunks fragte, ob es vielleicht auch an den zwei, drei Leuchtkugeln lag, die aus dem Block flogen, antwortet der Sprecher zunächst, er habe davon gar nichts mitbekommen. Doch kurz darauf wurden jene Leuchtkugeln zum Anlass Nummer Eins für den Kessel. Also: Irgendwas findet sich immer.“

Wie die Polizei gerichtliche Urteile ignoriert

Tatsächlich dürfte die Pressegruppe des Blockupy-Bündnisses mit ihrer Einschätzung Recht haben, dass die Zerschlagung der Demonstration von der Polizei lange geplant war und an der Stelle durchgeführt wurde, die für sie am günstigsten war.

Mit dieser Aktion wurden auch Urteile des hessischen Verwaltungsgerichtshofs ignoriert, das eine von den Ordnungsbehörden verfügte Routenänderung, die das Bankenviertel zu einer demonstrationsfreien Zone gemacht hätte, aufgehoben hatte. Die Polizei bildete genau an der Stelle den Kessel, die von den Demonstranten gerichtlich eingeklagt worden war. Sofort machte sie deutlich, dass auch der nichteingekesselte Teil nur die Möglichkeit hat, auf der Wunschroute der Polizei weiterzuziehen. Unter Protest hätte die Demoleitung diese Missachtung einer juristischen Entscheidung schließlich akzeptiert, wenn die Polizei die Einkesselung des antikapitalistischen Blocks aufgehoben hätte. Doch das lehnte sie schrickt ab und zwang schließlich die Eingekesselten unter Einsatz von Pfefferspray und Faustschlägen zur Abgabe der Personalien. Es gab mehrere verletzte Demonstranten. Unter diesen Umständen verzichtete auch der Rest der Demonstration auf die Weiterführung des Aufzugs und harrte aus Solidarität knapp 700 Meter neben den Auftaktplatz aus.

Keine Spaltung der Protestbewegung

Tatsächlich war es in dem sehr heterogenen Bündnis, das von Attac-Aktivisten, Gewerkschaftern bis zum linken Ums-Ganze-Bündnis reichte, Konsens, dass man sich nicht spalten lässt. Diese spektrenübergreifende Kooperation hat seinen Grund auch darin, dass alle am Bündnis beteiligte Gruppen sich auf den Grundsatz geeinigt hatten, dass von der Demo keine Eskalation ausgehen soll und man sich daran gehalten hatte. Nach den Erfahrungen des 1. Juni dürfte die Zusammenarbeit enger werden.

Die Aktivisten werden sich schließlich nach der Verbotsorgie bei den Blockupy-Protesten im letzten und in diesem Jahr fragen, wie sie den Abbau demokratischer Rechte im Zeitalter der Krise begegnen. Denn was in Frankfurt geschehen ist, ist auch in verschiedenen Ländern der europäischen Peripherie längst Realität. Erinnert sei nur an staatliche Repression gegen Demonstrationen in Spanien und Streikverbote in Griechenland. Das polizeiliche Vorgehen in Frankfurt/Main soll wohl auch dazu dienen, die Kapitalismuskritiker vor weiteren Protesten in der Stadt abzuschrecken, wenn im nächsten Jahr der EZB-Neubau im Osten der Stadt eröffnet wird. Es gibt bereits Aufrufe für einen europaweiten Protest gegen Krise und Demokratieabbau an diesem Termin. Was bisher fehlt, sind gemeinsame Grundlagen jenseits von Großprotesten à la Blockupy. Der am 1. Juni veröffentlichte „Aufruf für ein egalitäres Europa“ könnte eine Diskussionsbasis sein.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154364
Peter Nowak