Kann die Linke in Zeiten des Terrors gewinnen?

Großbritannien: Ein Erfolg der Labour-Party unter Corbyn könnte als Revanche für die derzeit reaktionärste Variante des Kapitalismus, den Thatcherismus, gewertet werden

Wenn die Umfragen nicht täuschen, könnte bei den Wahlen in Großbritannien der Sozialdemokrat Jeremy Corbyn[1] gewinnen. Es steht freilich keineswegs fest, dass er nach der Wahl Premierminister wird. Doch allein, dass die Wahlen wieder offen sind und ein Regierungswechsel in London möglich erscheint, kann als Erfolg von Corbyn gewertet werden.

Schließlich lag er zu dem Zeitpunkt, als die Konservativen vorzeitige Neuwahlen angekündigten, mehr als 20 Prozent hinter den Tories. Genau deshalb hatten sie auch die Wahlen vorgezogen. Corbyn galt aber nicht nur bei der rechten Regierungspartei als notorischer Verlierer. Auch ein Großteil jener Blairisten in und außerhalb der Labour-Party, die sich Politik nur noch in bedingungslosen Nachvollzug der Kapitallogik vorstellen können, sahen in Corbyn eine Garantie für die Niederlage der Partei.

Dass man mit ihm keine Wahlen gewinnen kann, war das Argument, mit dem die starke Blair-Fraktion bei Labour Corbyn stürzen wollte. Vergeblich: Die Parteibasis bestätigte ihn beim zweiten Mal mit einem noch besseren Ergebnis als bei der ersten Wahl. Nun wurde seine Entmachtung für einen Zeitpunkt nach den Wahlen verlegt.

Wie biedere Sozialdemokraten zu Linksradikalen werden

Viele hatten die Erwartung, er werde das historisch schlechteste Wahlergebnis für Labour einfahren und dann wäre er endgültig erledigt. Mit ihm wären dann auch die klassischen Sozialdemokraten der 1970er Jahre entsorgt und die Blairisten hätten endgültig gesiegt. Auch viele sozialdemokratische Intellektuelle von Paul Mason[2] bis Owen Jones[3] stimmten in den Chor ein und bescheinigten Corbyn zwar guten Willen. Doch er bringe es nicht und sei daher eine Belastung für die Partei, war ihr Urteil.

Gesteigert wurde die Wut noch durch seine Haltung zum Brexit. Corbyn war dagegen, doch war er nicht bereit, einen Austritt Großbritanniens aus der EU als die historische Niederlage hinzustellen, die manche Linksliberalen darin sehen. Auch manche linken Theoretiker wie der in Großbritannien lehrende Michael Krätke[4] nahmen es Corbyn übel[5], dass er meint, den EU-Ausstieg auch als Chance zu sehen und dass der Wille des Volkes akzeptiert werden müsse.

„Labour hätte sich als Wortführer der 48 Prozent, die am 23. Juni 2016 gegen den Brexit stimmten, verstehen und für jene Mehrheit engagieren müssen, die keinen harten Ausstieg will. Es war möglich, Widerstand gegen den rigiden Kurs der Tory-Extremisten in beiden Häusern des Parlaments zu organisieren und die Regierung zu schlagen. Corbyn hat es vorgezogen, Labour ohne Not zu verkaufen – an die Konservativen und eine rechtsnationale Presse, die ihn prompt Hohn und Spott aussetzt“, versuchte[6] sich Krätke als Politberater.

Nur gut, dass niemand auf ihn hörte. Denn er hätte Labour damit genau zum Wurmfortsatz jener wirtschaftsliberalen Kreise gemacht, die von einem EU-Handel profitieren. Schließlich hatte es Gründe, dass ein großer Teil auch der Labour-Wähler für den Brexit stimmten. Die hätte ein Pro-EU-Kurs à la Krätke und Co. womöglich in die Arme von UKIP und anderen Rechtspopulisten getrieben. Corbyn und seine Berater waren so schlau, den Brexit nicht zum Lackmustest zu machen.

Sie erkannten, dass die britischen Bürger mit und ohne Brexit weiterhin im Kapitalismus leben. Die Rechten wollten den Brexit, um die Ausbeutung noch mehr zu erhöhen. Corbyn betonte, dass er das knappe Ergebnis anerkennt, aber für eine sozialdemokratische Politik nutzen will, die im EU-Rahmen ebenfalls nicht möglich ist, wie sich ja am Beispiel Griechenland gut zeigte. Im Gegensatz zur rassistischen Rechten will Corbyn auch zumindest in Teilen eine migrationsfreundlichere Flüchtlingspolitik betreiben, als die EU erlaubt. Auch das ist nun keine große Leistung, angesichts der auch von den Pulse of Europe-Liberalen gerne verschwiegenen Toten der Festung Europa.


Corbyn konnte sich mit sozialen Forderungen durchsetzen

Indem sich Corbyn nicht darauf einließ, die Politik des sozialen Feigenblattes für den liberalen Block zu spielen, bekam er Anerkennung. Die Zustimmungswerte für Labour stiegen und die Wahlveranstaltungen von Corbyn wurden zum Renner. Gerade bei der jungen Generation, die nur noch die Zumutungen des Wirtschaftsliberalismus kennen, bekam er viel Zustimmung. Musikmagazine wie Kerrang[7] und NME[8] unterstützten ihn ebenso wie viele Gewerkschaften.

Das Bemerkenswerte war, dass sein Aufstieg durch den fortgesetzten islamistischen Terror in Großbritannien scheinbar nicht gebremst wird. Dabei sind solche Terroraktionen eigentlich die Stunde der rechten Law- and Order-Fraktion. Aber es gab in der jüngeren Vergangenheit schon einmal den Fall, dass Sozialdemokraten von dem islamistischen Terror profitieren. Wenige Tage nach den islamistischen Anschlägen auf die Madrider U-Bahn im Jahr 2004 schickten die Wähler die sich zu europäischen Konservativen gemauserten spanischen Francofaschisten in die Opposition und wählten die Sozialdemokraten[9].

Nun hatte sich der damalige Wahlsieger Zapatero aber schnell als typischer Sozialdemokrat erwiesen, der links blinkt und eine rechte Politik gemacht hat. Bald hatte er das Vertrauen verloren. Die Gefahr ist groß, dass es Corbyn genau so geht, wenn er tatsächlich die Regierung stellen müsste. Seine persönliche Integrität mag auch groß sein, aber der Regierungschef der kapitalistischen Atommacht Großbritannien kann nicht im Jahr 2017 einfach seine Vorstellungen eines sozialdemokratischen Volksheims umsetzen. Daher wäre es vielleicht sogar ein größerer Erfolg, Labour würde viel hinzugewinnen, müsste aber nicht regieren und könnte vielmehr die stark gerupften Tories vor sich hertreiben.

Dazu müssten aber Bündnisse von Gewerkschaften bis zur Subkultur, die sich jetzt für Corbyn einsetzen, auf die außerparlamentarische Ebene transformieren. Es gibt dazu ein historisches Vorbild im Großbritannien der ersten Hälfte der 1970er Jahre, als die damals noch starken Gewerkschaften mit der Londoner Subkultur punktuell gemeinsam agierten. Damals wurde die Grundlage gelegt, dass beim großen Bergarbeiterstreik Lesben und Schwule die Miners unterstützten[10].

Die Zerschlagung dieses Streiks läutete den Sieg der schwarzen Periode des Thatcherismus ein, der sich als besonders aggressive Variante des zeitgenössischen Kapitalismus weltweit verbreitete. Dass nun Corbyn gegen alle Voraussagen einen großen Zuspruch bekommt, ist auch ein Zeichen dafür, dass dieser Thatcherismus besiegbar ist. Dazu werden aber Wahlen keineswegs ausreichen, sie können sogar die Gegenbewegung bremsen. Wünschenswerter wäre es, wenn ein gestärkter Corbyn einer großen Oppositionsbewegung gegen alle Varianten des Thatcherismus Impulse geben könnte.

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Peter Nowak
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[1] https://www.theguardian.com/politics/2015/jun/17/jeremy-corbyn-labour-leadership-dont-do-personal
[2] https://www.politicshome.com/news/uk/political-parties/labour-party/news/79840/jeremy-corbyn-supporter-paul-mason-says-labour
[3] https://www.theguardian.com/commentisfree/2017/mar/01/corbyn-staying-not-good-enough
[4] http://www.lancaster.ac.uk/sociology/about-us/people/michael-kratke
[5] https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/es-fehlt-der-schneid
[6] https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/es-fehlt-der-schneid
[7] http://www.kerrang.com/48921/k1674-take-power-back/
[8] http://www.nme.com/features/jeremy-corbyn-interview-2017-cover-feature-labour-2082433
[9] https://www.heise.de/tp/features/Bush-verlor-am-Ebro-3433769.html
[10] http://www.zeitgeschichte-online.de/film/pride

Das Erbe der Thatcher-Ära

Wie Jeremy Corbyn medial als irrelevant hingestellt wird

Nach dem Neuwahlbeschluss in Großbritannien[1] scheint fast allen Kommentatoren klar, dass die Konservativen als Partei, die den Brexit umsetzt, und die Liberaldemokraten als Stimme der Brexitgegner das Ergebnis unter sich ausmachen. Die Labourpartei wird als ernst zu nehmender Konkurrent in der anlaufenden Wahlkampagne gar nicht erst in Erwägung gezogen.

Der Grund liegt darin, dass die Basis der Labourpartei etwas gewagt hat, was für die marktkonformen Medien undenkbar ist. Sie haben mit Jeremy Corbyn einen Parteivorsitzenden gekürt, der einen sozialdemokratischen Diskurs pflegt und einen Teil des Wirtschaftsliberalismus infrage stellt. Corbyn knüpfte an Forderungen und Diskussionen an, wie sie in der britischen Arbeiterbewegung noch in den 1970er Jahren zum Mainstream gehörte.

Es waren damals nicht Gruppierungen am linken Rande, sondern Gewerkschaftstage und Basisversammlungen der Labourpartei, die ganz klar von einem Klassenkampf in der britischen Gesellschaft ausgingen und davon, dass es ihre Aufgabe ist, diesen für die Seite der Lohnabhängigen möglichst erfolgreich zu führen. Gerade in den 1970er Jahren begann in Großbritannien die kurze Zeit, in der eine linke Subkultur sich mit Teilen dieser Arbeiterbewegung verbündete.

So unterstützten Gewerkschafter und junge Autonome in London 1977 streikende Frauen überwiegend aus Indien. Diese Kooperation während des Grunwick-Streiks[2] legte die Grundlage für die Kooperation zwischen Londoner Schwulen und Lesben mit der Minergewerkschaft während des britischen Bergarbeiterstreiks.

Faschismus im Kostüm

Doch in diesen 7 Jahren zwischen dem Aufbruch während des Grunwick-Streiks und dem Kampf um die Bergwerke hatte sich etwas Entscheidendes verändert. Der Faschismus im Kostüm, wie Thatcher-Ära nicht ohne Berechtigung genannt wurde, war in London an die Schalthebel der Macht gekommen. Ihre erklärte Absicht war es, die Bewegung der organisierten Lohnabhängigen zu zerschlagen.

Die kampfstarke Minergewerkschaft und ihre Unterstützer wurden mit Terror und Repression überzogen. So wurde dafür gesorgt, dass der Streik verloren ging. Ziel der Thatcher-Herrschaft war die vollständige Durchsetzung der Kapitalinteressen durch das Ausschalten von Gewerkschaften und renitenten Arbeitern. Später gerieten auch andere selbstorganisierte Gruppen ins Visier.

Thatcher sah in den faschistischen chilenischen Militärherrscher Pinochet einen Gleichgesinnten und Freund. Doch die schlimmste Spätfolge der Thatcher-Konterrevolution ist der Blairismus. Damit gemeint ist die maßgeblich von Tony Blair und seinen Gesinnungsfreunden vorangetriebene Zurichtung der Labourpartei zu einer Partei, die sich auf den Boden des Wirtschaftsliberalismus stellt. Blair setzte im Grund Thatchers Werk fort, nur dass er es nun als Premierminister einer Labourregierung machte.

Erst damit hatte die Thatcher-Konterrevolution vollständig gesiegt. Es sollte keine Alternative zum Markt geben – Gesellschaft ist nur ein Traum von Linken, hatte Thatcher verkündet. Doch erst wenn diese Thesen von der Labourpartei ganz selbstverständlich übernommen werden, hat sie sich durchgesetzt. Das war die Rolle von Blair und Co. Wer sich noch auf Themen und Diskurse der britischen Arbeiterbewegung der 1970er Jahre bezog, galt nun als extremer Linker, Kommunist und Traumtänzer.
Hetzkampagne

Genau das ist der Grund für die mediale Hetzkampagne gegen Corbyn und seine Verortung als radikaler Linker. In der Realität ist er ein Mitte-Links-Sozialdemokrat, der keinesfalls einen Bruch mit der kapitalistischen Verwertungslogik plant. Doch er bezieht sich auf die Sozialdemokratie der Vor-Thatcher-Ära und erkennt an, dass es Klassenkämpfe gibt und dass sich die Lohnabhängigen organisieren müssen, wenn sie nicht leer ausgehen wollen. Das allein reicht schon für einen Großteil der Medien, um ihn zum Linksaußen zu stempeln.

Dass er überhaupt den Parteivorsitz bekam, liegt an der großen Mobilisierung der Labour-Basis. Menschen, die sich längst nicht mehr für Politik und schon gar nicht für Parteien interessiert haben, sind in die Labourpartei eingetreten, als sich die Möglichkeit abzeichnete, dass ein Mann erfolgreich sein könnte, der eine Alternative zum Wirtschaftsliberalismus sah.

Etwas von der Stimmung an der Labour-Basis im Sommer 2015 kann man heute noch nachlesen[3]:

Jeremy Corbyn reist in diesen Tagen und Wochen quer durch das Vereinigte Königreich – von einem Treffen mit der Partei-Basis zum nächsten, so wie hier im Londoner Stadtteil Camden. Wo der bärtige, grauhaarige 66-Jährige auch hinkommt: Seine Anhänger stehen Schlange, um ihn zu sehen, zu hören, zu fragen. Von einer „Corbynmania“ will der Kandidat selbst aber nichts wissen. Die Leute seien hungrig nach neuen Ideen, sagt Corbyn. Sie wollen in einer fairen Gesellschaft leben und sie wollten nicht mehr hören, die konservative Sparpolitik sei erfolgreich – wo doch jeder sehe, dass dem nicht so sei. Dieser Politiker gibt uns Hoffnung, sagen zwei junge Labour-Frauen, weil er anders ist.
Tagesschau[4]

Hier hatte sich die nicht marktkonforme Parteibasis zurückgemeldet, die in den Strategiepapieren der Blairisten und ihre Medien keine Rolle spielten. Corbyn brachte noch einmal junge Menschen, die sich das erste Mal für Politik interessierten, und alte Gewerkschaftler, die noch die Zeit vor Thatcher kannten, zusammen.

Das war im letzten Jahr, als Corbyn mit einer noch größeren Mehrheit im Amt bestätigt wurde[5]. Die zweite Abstimmung war notwendig geworden, weil der von Blairisten dominierte Parteiapparat Corbyn auf allen Ebenen torpedierte und ihn so schnell wie möglich absetzen wollte.

Sie behaupteten immer, dass mit Corbyn keine Wahlen gewonnen werden können, obwohl er gleich zweimal das Gegenteil bewiesen hatte. Die durchweg negative Berichterstattung über Corbyn sollte in den Köpfen festklopfen, dass jemand, der in eine Welt vor Thatcher zurückkehren will, gar nicht wählbar ist.

Corbyn und der Brexit

Diese Doktrin war so wirkungsmächtig, dass sie von anderen Sozialdemokraten wie Owen Jones[6] übernommen wurde, der Corbyn durchaus lautere Beweggründe unterstellt, ihm er aber nicht zutraut, Wahlen zu gewinnen. Allerdings hat Owen Jones in einer aktuellen Erklärung Vorschläge gemacht, wie Corbyn mit einer sozialen Gestaltung des Brexit Stimmen gewinnen könnte[7].

Oft wird in den Medien suggeriert, Corbyns mangelnde EU-Begeisterung habe zu seinem schlechten Image in den Medien beigetragen. Dabei hat sich die negative Berichterstattung über ihn nicht geändert, seit er überhaupt als Labourvorsitzender in Frage kam. Und seine Haltung zum Brexit war für die Labourpartei vernünftig.

Der Brexit hatte vor allem in einigen Labour-Hochburgen große Zustimmung. In den Medien wird ausführlich über die Strategie der Tories berichtet, in diesen Wahlkreisen mit Pro-Brexit-Kandidaten zu punkten. Welche Konsequenzen hätte es gehabt, wenn Corbyn sich eindeutig für die EU ausgesprochen hätte?

Dann wären die Tories und noch rechtere Gruppierungen umso erfolgreicher gewesen. Der spezifische Brexit-Diskurs wirkte sich aber negativ auf Corbyn aus. Es wurde nicht über Arbeiterrechte, über soziale Fragen etc. geredet, sondern über Einwanderung, Kriminalität und Abschottung. Es war der rechte Brexit-Diskurs, der die Fragen, für die Corbyn steht und für die er von der Labour-Basis gewählt wurde, verdrängte.

Linke für den Brexit

Es gab eine Gruppe linker Gewerkschafter[8], die gerade mit den entgegengesetzten Argumenten für den Brexit waren. Weil die EU Flüchtlinge abweist, weil sie Gewerkschafts- und Arbeiterrechte massiv verletzt, waren sie für einen Austritt. Der Diskurs war bisher schwach, nur könnte es gerade für Labour eine Chance sein, sich darauf zu beziehen. Dabei sollte es nicht ständig darum gehen, wie man den Brexit, wenn schon nicht ungeschehen, so für die EU doch verdaulicher machen könnte, wie es aktuell Paul Mason vorschlägt[9].

Vielmehr sollte der Grundsatz lauten, dass für die Lohnabhängigen die Frage für oder gegen den Brexit irrelevant ist. Die Thatcher-Konterrevolution wurde in einem Großbritannien vollzogen, das in der EU war und die Tories wollen den Brexit nutzen, um daran anzuknüpfen. Jetzt müsste eine Linke Vorstellungen für eine egalitäre Gesellschaft entwickeln, die mit der EU eine Form überstaatlicher Unterdrückung überwunden hat, dafür aber dem britischen Nationalstaat ausgeliefert ist.

Es müsste also darum gehen, hier Erfolge bei Streiks und sozialen Kämpfen zu erzielen, weil ein Großbritannien ohne EU vielleicht auch einfacher unter Druck zu setzen ist. Von einer Labourpartei könnte allerhöchstens erwartet werden, dass sie die Forderungen der 1970er Jahre auf ihre Aktualität überprüft und gegebenenfalls an die Erfordernisse des 21.Jahrhunderts anpasst.

Selbst wenn Labour die Wahlen damit nicht gewinnt, aber sich behauptet, wäre es ein guter Beitrag auch über Großbritannien hinaus. Eine Ablehnung der EU, die nicht auf Ausgrenzung, Wirtschaftsliberalismus und Xenophobie beruht, sondern auf dem Gegenteil, ist möglich.

Livingstone und seine regressive Israelkritik

Am Ende sollte auf einen Schwachpunkt in der Agenda von Labour-Linken eingegangen werden, den sie mit großen Teilen der traditionellen Linken in Großbritannien – und nicht nur dort – teilen. Es geht um die Unfähigkeit, zwischen legitimer Kritik an der Politik der israelischen Regierung und der Delegitimierung Israels, wie sie der früher bekannte Labour-Linke Ken Livingstone immer wieder praktizierte, zu unterscheiden.

Dafür wurde er jetzt für ein Jahr aus der Labourpartei ausgeschlossen[10], was bei jüdischen Parteimitgliedern auf Kritik stieß. Sie hatten einen Totalausschluss gefordert.

Livingstone hatte von Kollaboration[11] zwischen Zionismus und Nationalsozialismus gesprochen. Dabei könnten doch gerade selbsternannte Antiimperialisten, die ihre Anti-Israel-Position auch mit dem britischen Kolonialismus begründen, genauer hinschauen. Es war die jüdisch-zionistische Bewegung, die Ende der 1940er Jahre einen antikolonialen Kampf gegen Großbritannien führte, der im Einvernehmen mit den arabischen Eliten verhindern wollte, dass Juden aus aller Welt nach Israel kommen.

Darunter waren viele der Überlebenden der Shoah, die unmittelbar nach Ende des NS mit dieser britischen Politik konfrontiert waren. Verschiedene bewaffnete jüdische Verbände führten damals bewaffnete Aktionen gegen britische Institutionen. Ihren Erfolg haben Livingstone und Co. wohl bis heute nicht überwunden.
https://www.heise.de/tp/features/Das-Erbe-der-Thatcher-Aera-3689823.html

Peter Nowak
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[1] https://www.heise.de/tp/features/Neuwahlen-in-Grossbritannien-3687325.html
[2] https://grunwick40.wordpress.com/
[3] https://www.tagesschau.de/ausland/jeremy-corbyn-labour-grossbritannien-101.html
[4] https://www.tagesschau.de/ausland/jeremy-corbyn-labour-grossbritannien-101.html
[5] http://www.spiegel.de/politik/ausland/jeremy-corbyn-mit-grosser-mehrheit-als-labour-chef-bestaetigt-a-1113787.html
[6] https://www.theguardian.com/commentisfree/2017/mar/01/corbyn-staying-not-good-enough
[7] https://www.theguardian.com/commentisfree/2017/apr/18/labour-jeremy-corbyn-time-to-fight-theresa-may
[8] http://www.tuaeu.co.uk/left-brexit/
[9] https://www.theguardian.com/commentisfree/2017/apr/19/coalition-collaboration-tactical-voting-stop-hard-brexit
[10] https://www.israelnetz.com/politik-wirtschaft/politik/2017/04/05/britischer-politiker-livingstone-fuer-ein-jahr-aus-labour-ausgeschlossen/
[11] https://www.theguardian.com/politics/2017/mar/30/ken-livingstone-repeats-claim-nazi-zionist-collaboration

Kommt neue linke Hoffnung aus Großbritannien und den USA?