DDR-Anschluss war Modellprojekt

Manifest für ein solidarisches Europa als Beitrag zur linken Debatte

Zur linken Debatte über ein anderes Europa wurde jetzt ein Manifest mit dem Motto »Für ein solidarisches Europa« veröffentlicht. Dafür werden seit dem 1. Juni im Internet Unterschriften gesammelt.

Der Titel geht auf ein Buch zurück, das der Hamburger Historiker Karl Heinz Roth und der griechische Soziologe Zissis Papadimitriou demnächst im Nautilus-Verlag veröffentlichen. Die beiden Aktivisten der außerparlamentarischen Linken ihrer Länder liefern nicht nur eine schonungslose Analyse des Euroraumes, sondern schlagen Alternativen vor.

Die Wurzeln der »exportgetriebenen Niedriglohnpolitik der deutschen Hegemonialmacht und ihrer kerneuropäischen Verbündeten« verorten die beiden Autoren in den frühen 90er Jahren. Sie sehen in dem Anschluss der DDR an die BRD ein Modellprojekt für den Umgang des von Deutschland angeführten Kerneuropa mit der europäischen Peripherie.

In einem eigenen Kapitel wird im Manifest kritisch auf verschiedene linke Europa-Konzepte eingegangen. Der Austritt eines oder mehrerer Länder der europäischen Peripherie aus der Eurozone würde die soziale und wirtschaftliche Misere nach Überzeugung der Verfasser verschärfen.

Sie halten das Konzept des Mehrheitsflügels der größten griechischen Oppositionspartei Syriza für unrealistisch, innerhalb der EU ein Schuldenmoratorium und andere Reformen durchsetzen zu können. Als Alternative werden im Manifest radikale Veränderungen auf wirtschaftlichen und sozialen Gebiet vorgeschlagen.

Dazu gehört eine völlige Abkehr vom Wirtschaftsliberalismus. Gesetzt wird auf Arbeitszeitverkürzung, eine allgemeine Grundsicherung, die spürbare Anhebung der Kapital- und Vermögenssteuer sowie die Verhinderung der Kapitalflucht. Gefordert werden eine Sozialisierung von Banken und zentralen Schlüsselindustrien, die Gleichstellung der Frauen und ein beschleunigter europaweiter ökologischer Umbau.

Die Ablehnung des Schengener Grenzregimes und die Beendigung der Politik der Abschiebung und Diskriminierung von Flüchtlingen gehört zu einem antifaschistischen Vermächtnis. Das wird angesichts des Anwachsens rechter und rassistischer Bewegungen in verschiedenen europäischen Ländern im Manifest aktualisiert. Hergestellt wird der Bezug zu Erklärungen linkssozialistischer Widerstandsorganisationen wie der Gruppe »Neu Beginnen«. Sie forderten zu Beginn der 1940er Jahre eine Föderative Republik Europa als Gegenmittel gegen den zerstörerischen Nationalismus.

Als nächster Schritt wird im Manifest ein europäisches » Netzwerk selbstbestimmt und selbstverantwortlich handelnder Initiativen« vorgeschlagen, die eine »Assoziation Egalitäres Europa« begründen. Aufgerufen dazu sind Aktivisten des sozialen Widerstands, Protagonisten der Alternativökonomie sowie linksoppositionelle Strömungen in Gewerkschaften und Parteien.

www.egalitarian-europe.com
http://www.neues-deutschland.de/artikel/823630.ddr-anschluss-war-modellprojekt.html

Peter Nowak

Anfang vom Ende der Ära Erdogan?


Nach mehreren Tagen der Proteste in der Türkei stellt sich die Frage, welche innenpolitischen Folgen sie haben werden

Dass der Kampf um die Rettung eines Parks im Zentrum Istanbuls zu einer türkeiweiten Protestwelle mit zahlreichen Verletzten und Toten führen konnte, mag auf den ersten Blick überraschend sein. Schließlich schien der türkische Ministerpräsident nicht nur in seinem Land unangefochten, er gerierte sich gar als Globalplayer, der vor den Kameras der Welt gegen die israelische Politik wetterte und sich zum Verbündeten der arabischen Straße aufschwang. Besonders die Umbrüche in der arabischen Welt, vor allem die Machtübernahme der Moslembrüder in Ägypten, schienen Erdogans Plänen entgegenzukommen.

Doch auf den zweiten Blick ist die Protestwelle so überraschend nicht. Es mag verlockend sein, sie mit Begriffen wie „türkischer Sommer“ oder „Istanbul resist“ in einem globalen Kontext zu verorten, entweder als Fortsetzung der arabischen Aufstände oder als spätes Echo auf die Bewegung der Empörten. Damit werden aber die spezifischen Ursachen, die in der jüngeren Geschichte der Türkei und dem Aufstieg der AKP zu suchen sind, vernachlässigt.

Vom islamischen Outsider zur Staatspartei

Zunächst ist festzustellen, dass in der Türkei im letzten Jahrzehnt ein Elitenwechsel stattgefunden hat, wie er in diesem Umfang selten ist. Die jahrzehntelang dominierende säkulare kemalistische Elite aus den Städten wurde von einer aufstrebenden islamisch geprägten Bourgeoisie abgelöst. Die Stellung von Erdogan und seiner AKP zeigt den Wandel. Noch vor wenigen Jahren musste sie befürchten, von den kemalistischen Militärs entmachtet und verboten zu werden.

Erdogan konnte sogar anfangs selbst kein politisches Amt übernehmen, weil er als Bürgermeister von Istanbul wegen islamistischer Propaganda zu einer Haftstrafe verurteilt worden war. Mittlerweile ist ein Großteil der Militärs und mit ihnen viele Regierungskritiker selbst mit politischen Verfahren konfrontiert, viele sind in Haft. Dieser Elitenwechsel ging so reibungslos vonstatten, weil die AKP die Partei des neoliberalen Umbaus in der Türkei wurde. Der Wirtschaftsaufschwung, der vor allem auf Kapitaltransfer aus der arabischen Welt basiert, verschaffte der AKP bei Wahlen viel Zustimmung. Doch zivilgesellschaftliche Kräfte, die Erdogan in der Anfangsphase im Kampf gegen die kemalistischen Militärs noch unterstützten, haben sich längst von ihm abgewandt.

Die Repression der Kemalisten, die sich vor allem gegen die kurdische Bewegung und verschiedene Fraktionen der Linken richtete, wurde übernommen und mit einem islamistischen Etikett versehen. Es sind längst nicht nur die kemalistischen Eliten, die heute in der Türkei verfolgt wurden Die Massenrepression gegen kritische Gewerkschafter, die monatelang im Gefängnis gesessen haben, sowie der Polizeieinsatz gegen eine Gewerkschaftsdemonstration am 1. Mai in Istanbul, macht deutlich, dass sich die Objekte der Verfolgung im Übergang von der kemalistischen zur islamistischen Elite kaum verändert haben.

In den aktuellen Protesten findet sich auch viel aufgestaute Wut über nicht eingehaltene Demokratieversprechen gepaart mit zunehmender islamischer Gängelung wieder. Deshalb haben sich Gewerkschaften wie die KESK und verschiedene linke Gruppen den Protesten angeschlossen.

Erdogans Niederlage im Syrienkonflikt

Neben der zunehmenden innenpolitischen Enttäuschung hat sich die türkische Regierung auch im Syrien-Konflikt eine Niederlage eingehandelt. Die vor allem von Erdogan lange geäußerten Hoffnungen, das Assad-Regime werde in kurzer Zeit gestürzt sein, haben sich nicht erfüllt. Stattdessen haben die innersyrischen Konflikte auch längst die Türkei erreicht, wie es spätestens der Bombenanschlag in Reyhanli deutlich wurde. Die wiederholten Versuche der Erdogan-Regierung, die Nato auf Seiten der Türkei in dem Konflikt zu positionieren, haben bisher auch nicht die erwünschte Wirkung gezeigt.

So ist erstmals auch die außenpolitische Orientierung der Regierung in der Türkei heftig umstritten. In dieser Situation melden sich auch die von der AKP gedemütigten Kemalisten wieder zu Wort. Wenn Erdogan sich nun als türkisch-kurdischer Brückenbauer profilieren will und der kurdischen Nationalbewegung Zugeständnisse macht, gehen auch diverse nationalistische Gruppen in der Türkei auf Distanz. Dass er deswegen in der kurdischen Bewegung nicht unbedingt Vertrauen gewinnt, wird klar, wenn man weiß, dass Erdogan bis heute das Massaker an 34 unbewaffneten Bauern an der türkischen Ostgrenze verteidigt.

Sie waren als angebliche kurdische Guerilleras von Kampfjets getötet worden. So hat sich in den letzten Monaten in unterschiedlichen politischen und kulturellen Spektren der Türkei große Wut auf die Regierung angestaut, die nun in dem aktuellen Widerstand zum Ausdruck kommt. Dass erklärt auch die Heterogenität der Proteste, die nur dann zu einer realen Gefahr für die türkische Regierung werden könnten, wenn sie für große Massen nachvollziehbaren Lösungen finden könnte.

Aufstand der Weißen?

In welche Richtung eine solche Losung gehen könnte, hat der Taz-Kommentator Deniz Yücel kürzlich deutlich gemacht:

„Es ist das Aufbegehren der ‚weißen Türken‘, des wohlhabenden, gebildeten und urbanen Milieus, dem die regierende AKP als Vertreterin der ’schwarzen Türken‘ gegenübersteht, also den Kleinbürgern, Armen und Zugewanderten der Metropolen, die Erdogan repräsentiert und deren derbe Sprache er spricht, plus der Bevölkerung der Provinz, inklusive der anatolischen Bourgeoisie, deren Mann Staatspräsident Abdullah Gül ist. Diese Gruppen waren lange Zeit von der Teilhabe ausgeschlossen.“

Hier könnte die entmachtete kemalistische Elite die aktuellen innen-und außenpolitischen Schwächen der Erdogan-Regierung ausnutzen, um als Sprachrohr dieser „weißen Türken“ die alten Privilegien zurückzuholen versuchen. Ein solcher Machtkampf der Eliten hätte mit einem Kampf für eine grundlegende Demokratisierung und soziale Reformen natürlich wenig zu tun. Das ist allerdings die Motivation einer Solidaritätsbewegung, die sich in vielen Ländern mit der türkischen Zivilgesellschaft solidarisch erklärt. Wie in Ägypten, Tunesien und vielen anderen Ländern sind es auch in der Türkei kleine zivilgesellschaftliche, gewerkschaftliche und linke Gruppen, die solche emanzipatorischen Vorstellungen verfolgen. Dass sie eine realistische Chance haben, ihre Vorstellungen umzusetzen, würde zumindest eine Kooperation unter diesen Gruppen voraussetzen.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154387
Peter Nowak

Polizei unterbindet Proteste gegen Krisenpolitik

In Frankfurt/Main hat sich am 1. Juni mehr gezeigt, wie in Zeiten der Krise die bürgerliche Rechte abgebaut werden

Am Vormittag des 1. Juni waren rund um den Frankfurter Hauptbahnhof die Banner mit kapitalismuskritischem Inhalt unübersehbar. Fahnen der globalisierungskritischen Organisation Attac waren ebenso zu sehen, wie die Banner zahlreicher Einzelgewerkschaften und auch viele selbstgefertigte Transparente waren zu finden. Am zweiten Tag der internationalen Blockupy-Aktionstage wollten die aus ganz Deutschland und vielen EU-Ländern angereiste Menschen auch im Zentrum der deutschen Wirtschaftsmetropole Frankfurt/Main ein Zeichen setzen, dass auch im Kernland der in ganz Europa verhassten Austeritätspolitik Protest möglich ist.

Am Ende des Tages ging aber ein anderes Zeichen um die Welt. Im Kernland der Austeritätspolitik werden die bürgerlichen Rechte soweit abgebaut, dass eine monatelang vorbereitete Demonstration von der Polizei unterbunden wurde. Die Demonstration war noch nicht einmal einen Kilometer gelaufen, als schon der große antikapitalistische Block eingekesselt und unter Einsatz von Pfefferspray und Knüppel vom Rest der Demonstration isoliert wurde. Als Begründung wurde erklärt, dass sich in dem Block potentiell gewaltbereite Demonstranten befunden hätten, manche Sonnenbrillen und Regenschirme mit sich führten und einige Transparente etwas zu lang gewesen seine.

Vermummte Polizei – bunt gekleidete Demonstranten

Wie absurd die Polizeibehauptungen waren, kann man verschiedenen Pressefotos gut erkennen. So steht unter einem Foto, das behelmte und mit dicken Handschuhen bewaffnete Polizisten zeigt, die bunt gekleideten Demonstranten gegenüberstehen: „Die Sicherheitskräfte wollten vermummte Demonstranten aus dem sogenannten Schwarzen Block einkesseln.“ Im nächsten Bild sieht man die gleichen Demonstranten, die demonstrativ eine Peace-Fahne vor sich halten und im Untertitel heißt es: „Laut der Polizei durften nicht vermummte Demonstranten den Kessel verlassen – was nicht alle taten, wie dieses Foto beweist.“

Dass in Frankfurt die Polizei eskalierte, bestätigte sogar die FAZ-Redakteurin Katharina Iskandar, die im letzten Jahr die rigide Verbotspolitik gegen die Blockupy-Aktionstage verteidigt hatte. „Tatsächlich befinden sich Anhänger radikaler Gruppen innerhalb des Blocks. Von Gewalttätigkeiten aber war ihr bisheriges Verhalten bei der Demonstration bis zu diesem Zeitpunkt weit entfernt“, schrieb Iskandar gestern

Das sahen auch Passanten und Anwohner so, die Zeugen der Polizeiaktion wurden. So konnte man vom Fenster des Cafés des Jüdischen Museums am Frankfurter Untermainkai genau sehen, wie die Demonstranten eingekesselt worden sind. Es habe keinerlei Gewalt von ihrer Seite aus gegeben, bestätigten die Augenzeugen. Der Reporter des Freitag Berichtete, wie kreativ der Polizeisprecher bei der Begründung der Repression war: „Ein Polizeisprecher, den ich am Rande des Kessels nach dem Anlass dieser Aktion fragte, sprach zunächst von der Vermummung der Teilnehmer. Wahrscheinlich meinte er damit die Sonnenbrillen und die Regenschirme, die die Demonstranten bei sich trugen. Als dann ein Kollege des Hessischen Rundfunks fragte, ob es vielleicht auch an den zwei, drei Leuchtkugeln lag, die aus dem Block flogen, antwortet der Sprecher zunächst, er habe davon gar nichts mitbekommen. Doch kurz darauf wurden jene Leuchtkugeln zum Anlass Nummer Eins für den Kessel. Also: Irgendwas findet sich immer.“

Wie die Polizei gerichtliche Urteile ignoriert

Tatsächlich dürfte die Pressegruppe des Blockupy-Bündnisses mit ihrer Einschätzung Recht haben, dass die Zerschlagung der Demonstration von der Polizei lange geplant war und an der Stelle durchgeführt wurde, die für sie am günstigsten war.

Mit dieser Aktion wurden auch Urteile des hessischen Verwaltungsgerichtshofs ignoriert, das eine von den Ordnungsbehörden verfügte Routenänderung, die das Bankenviertel zu einer demonstrationsfreien Zone gemacht hätte, aufgehoben hatte. Die Polizei bildete genau an der Stelle den Kessel, die von den Demonstranten gerichtlich eingeklagt worden war. Sofort machte sie deutlich, dass auch der nichteingekesselte Teil nur die Möglichkeit hat, auf der Wunschroute der Polizei weiterzuziehen. Unter Protest hätte die Demoleitung diese Missachtung einer juristischen Entscheidung schließlich akzeptiert, wenn die Polizei die Einkesselung des antikapitalistischen Blocks aufgehoben hätte. Doch das lehnte sie schrickt ab und zwang schließlich die Eingekesselten unter Einsatz von Pfefferspray und Faustschlägen zur Abgabe der Personalien. Es gab mehrere verletzte Demonstranten. Unter diesen Umständen verzichtete auch der Rest der Demonstration auf die Weiterführung des Aufzugs und harrte aus Solidarität knapp 700 Meter neben den Auftaktplatz aus.

Keine Spaltung der Protestbewegung

Tatsächlich war es in dem sehr heterogenen Bündnis, das von Attac-Aktivisten, Gewerkschaftern bis zum linken Ums-Ganze-Bündnis reichte, Konsens, dass man sich nicht spalten lässt. Diese spektrenübergreifende Kooperation hat seinen Grund auch darin, dass alle am Bündnis beteiligte Gruppen sich auf den Grundsatz geeinigt hatten, dass von der Demo keine Eskalation ausgehen soll und man sich daran gehalten hatte. Nach den Erfahrungen des 1. Juni dürfte die Zusammenarbeit enger werden.

Die Aktivisten werden sich schließlich nach der Verbotsorgie bei den Blockupy-Protesten im letzten und in diesem Jahr fragen, wie sie den Abbau demokratischer Rechte im Zeitalter der Krise begegnen. Denn was in Frankfurt geschehen ist, ist auch in verschiedenen Ländern der europäischen Peripherie längst Realität. Erinnert sei nur an staatliche Repression gegen Demonstrationen in Spanien und Streikverbote in Griechenland. Das polizeiliche Vorgehen in Frankfurt/Main soll wohl auch dazu dienen, die Kapitalismuskritiker vor weiteren Protesten in der Stadt abzuschrecken, wenn im nächsten Jahr der EZB-Neubau im Osten der Stadt eröffnet wird. Es gibt bereits Aufrufe für einen europaweiten Protest gegen Krise und Demokratieabbau an diesem Termin. Was bisher fehlt, sind gemeinsame Grundlagen jenseits von Großprotesten à la Blockupy. Der am 1. Juni veröffentlichte „Aufruf für ein egalitäres Europa“ könnte eine Diskussionsbasis sein.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154364
Peter Nowak

Erster Blockupy-Tag erfolgreich?

Die Aktivisten haben an verschiedenen Stellen der Stadt gegen die Auswirkungen der Krisenfolgen protestiert

Demonstrieren und weiterziehen, laut, bunt, provokant. So übertitelten die FAZ und HR-Online ihre Berichte über die Blockupy-Proteste, die am Freitag am frühen Morgen in der Innenstadt von Frankfurt/Main begonnen hatten.

In der Frankfurter Innenstadt waren sie unübersehbar. Die Aktivisten hatten sich auch eine große Aufgabe gestellt. Gleich an verschiedenen Stellen der Stadt wollten sie gegen die Auswirkungen der Krisenfolgen protestieren. Der Protesttag begann mit einer Belagerung der Europäischen Zentralbank (EZB) am frühen Morgen. Eine Kundgebung vor der Deutschen Bank folgte. Am Nachmittag schlossen sich Proteste gegen prekäre Arbeitsverhältnisse in der Frankfurter City und der Abschiebung von Flüchtlingen am Rhein-Main- Flughafen an. Überall waren mehrere hundert Menschen vor Ort. Im Gegensatz zum letzten Jahr, als von Stadtverwaltung, Polizei und Justiz sämtliche Blockupy-Proteste verboten worden waren, blieb die Lage heute weitgehend entspannt.

Im Vorfeld waren auch die zuvor verbotenen Aktionen am Frankfurter Flughafen vom Kasseler Verwaltungsgerichtshof aufgehoben worden. Auch die von den Behörden geforderten Routenänderungen bei der für den Samstag geplanten Großdemonstration hatten vor Gericht keinen Bestand.

Flüchtlinge durften nicht demonstrieren

Doch ganz repressionsfrei verliefen die Proteste nicht. Wenn die Aktivisten den Polizeiketten an der EZB oder am Flughafen zu nahe kamen, wurde Pfefferspray gegen die Demonstranten eingesetzt.

Am Donnerstag wurden Busse mit anreisenden Aktivsten aus mehreren Städten über mehrere Stunden festgehalten. Ein Augenzeuge berichtete gegenüber Telepolis:

„Die Polizei hat fünf Busse aus Berlin sowie je einen Bus aus Münster und Hamburg auf dem Weg zu den Blockupy-Aktionstagen in Frankfurt gestoppt. Alle Aktivistinnen und Aktivisten aus Berlin wurden fotografiert, ihr Gepäck wird durchsucht und ihre Personalien aufgenommen. Ein Teil der Anreisenden wurde gezwungen, in den Zug umzusteigen. Eine Gruppe Geflüchteter kehrte nach Berlin um. Sie hätten sonst möglicherweise ihre Aufenthaltsrechte gefährdet, weil sie sich mit der Teilnahme an der Demonstration der Residenzpflicht widersetzt haben, der ihre Bewegungsfreiheit erheblich einschränkt und gegen die sie sich seit Jahren wehren.“

Mit der Maßnahme gegen die Flüchtlinge setzte die Polizei den Grundsatz um, dass eben nicht alle Menschen, die hier leben, die gleichen Rechte haben. Außerdem wurde damit auch eine Schwäche der Protestbewegung offengelegt, die zurzeit eben nicht die Möglichkeiten hat, das Demonstrationsrecht für Alle, die es wollen, durchzusetzen.


War der Blockupy-Auftakt ein Erfolg?

Deshalb ist es auch fraglich, ob es nicht reiner Zweckoptimismus ist, wenn die Blockupy-Aktivisten erklären, dass die politische Botschaft von Blockupy lautet: „Wir können den Alltag des kapitalistischen Systems stören.“ Dass erinnert an ähnliche Siegesparolen anlässlich des G8-Treffens 2007 in Heiligendamm.

Schon ist zwischen dem Blockupy-Bündnis und der Polizei ein Streit darüber ausgebrochen, ob nun, wie die Aktivisten behaupten, sämtliche Eingänge der EZB zeitweise blockiert waren. Die Polizei bestreitet es. Dass ist aber gar nicht entscheidend, weil im Internetzeitalter die Geschäfte der EZB auch bei geschlossenen Toren funktionieren.

Schon bevor sie richtig begonnen haben, wird über die Sinnhaftigkeit der Blockupy-Proteste diskutiert. In der Taz gab es sogar eine Pro- und Contra-Debatte . Dort kritisiert der Kommentator Martin Reeh, dass sich die Aktivisten nicht darauf beschränken, Druck auf die Bundesregierung auszuüben. Damit soll die Protestbewegung in ein rotgrünes Fahrwasser bugsiert werden. Dagegen gehört es Zu deren Pluspunkten, dass sie einen Regierungswechsel nicht unbedingt mit einem Politikwechsel gleichsetzt.

Dass sie zudem Themen wie die prekären Arbeitsverhältnisse und die Abschiebung als Teil der kapitalistischen Realität ins Visier nahm und damit an Praxen von Alltagswiderstand anknüpft, ist eigentlich der interessanteste Moment bei Blockupy. Dass es gelungen ist, eine pakistanische Gewerkschafterin für den Protest zu gewinnen, ist ein Erfolg. Die Beteiligung von Gewerkschaftern aus Deutschland aber ist bisher schwach. Ob sich das bei der Großdemonstration am Samstag ändert, muss sich zeigen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154358
Peter Nowak

Hollande und seine deutschen Kritiker

Dass auch Oppositionspolitiker in der Auseinandersetzung mit der französischen Regierung Hollande kritisieren, macht deutlich, dass sie die deutsche Austeritätspolitik im Kern unterstützen

Deutschland und Frankreich wollen sich gemeinsam für einen hauptamtlichen Präsidenten der Euro-Gruppe einsetzen. Dieses Vorhaben verkündeten der französische Staatschef Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel nach ihren Treffen in Paris. Ziel sei „mehr wirtschaftspolitische Koordinierung“ und eine „stärkere Zusammenarbeit der Euro-Gruppe“. Zudem soll die Euro-Gruppe ein eigenes Budget erhalten. Man habe einen „qualifizierten gemeinsamen Vorschlag“ gemacht, hieß Merkels diplomatische Sprachregelung.

Der Zweck wurde auch nicht verschwiegen. Man wolle nicht erst warten, bis in EU-Staaten Defizitverfahren wirksam werden, deshalb soll die wirtschaftspolitische Koordinierung verstärkt werden. Dass die französische und deutsche Regierung beim Willen zum Durchregieren einig sind, kann die Differenzen zwischen ihnen nicht verdecken, die im Vorfeld des Treffens erneut deutlich wurden.

Frankreich kann nicht machen, was es will

Am Tag vor Merkels Frankreich-Besuch nahm das verbale Trommelfeuer gegen den Sozialdemokraten in Paris noch einmal zu. Anlass war eine eigentlich völlig harmlose Erklärung des französischen Präsidenten, in der er auf die Reformaufforderungen der EU-Kommission an sein Land reagierte. Hollande betonte, das seine Regierung längst Vorbereitungen für die Umsetzung der Reformen getroffen hat und dafür keine Vorgaben aus Brüssel brauche. Diese Erklärung hat vor allem innenpolitische Implikationen.

Schließlich hatte sich Hollande im Wahlkampf mit seiner Ablehnung des deutschen Austeritätsprogramms profiliert. Kaum an der Regierung hat er sich immer mehr der Merkel-Linie untergeordnet und dafür viel innenpolitische Kritik einstecken müssen. Wenn er nun betont, dass seine Regierung auch ohne Druck aus Brüssel die nötigen Reformen umsetzt, will er sich zumindest nicht nachsagen lassen, er kapituliere vor dem Ausland. Doch Politiker von der Union bis zu den Grünen wollen Hollande selbst diese Ausflucht nicht lassen und verlangen die totale Unterordnung unter die deutsche Linie.

„Wenn ein Land in der EU und der Euro-Zone glaubt, sich nicht an Verabredungen halten zu müssen, ist dies besorgniserregend“, meinte der stellvertretende Unions-Fraktionsvize Michael Fuchs. Sein Kollege Michael Meister gerierte sich als Lehrmeister, in dem er Hollande vorwarf, offenbar nicht zu verstehen, was für Europa nötig sei. Auch der FDP-Politiker Rainer Brüderle will die französische Regierung mit der Aussage brüskieren, dass das erste Jahr der Hollande-Regierung ein verlorenes Jahr war.

Kann man beim Regierungspersonal verstehen, dass sie noch immer nicht überwunden haben, dass Sarkozy die Wahlen mit den Versprechen verloren hat, die Politik der deutschen Regierung kopieren zu wollen, so mag es auf den ersten Blick erstaunen, dass mit Sven Giegold auch ein grüner Europapolitiker, der vor 10 Jahren noch einer der Köpfe der damals aufstrebenden Attac-Bewegung war, sich in die Phalanx der Hollande-Kritiker einreihte. Als ein Armutserzeugnis für die französische Europapolitik bewertete Giegold Hollandes Ablehnung eines Diktats aus Brüssel. Manche sehen eher in dieser Erklärung ein Armutszeugnis eines als Oppositionellen gestarteten Politikers, der schon nach einer Legislaturperiode die für eine Karriere nötige Lektion in Realpolitik gelernt hat.

Frankreich: zu groß, um gerettet zu werden

Dabei hätten gerade Politiker der SPD und der Grünen, sollten sie es mit ihrer Kritik an der deutschen Austeritätspolitik Ernst nehmen, allen Grund, die französische Regierung zu verteidigen. Wie der Ökonom Michael Krätke richtig analysiert, kann sich am Umgang mit Frankreich das Schicksal des Euro entscheiden. Frankreich ist nicht nur zu groß, um zu fallen, sondern auch zu groß, um gerettet zu werden. Damit hat Frankreich als eines der wenigen EU-Länder eine starke Machtposition gegenüber Deutschland.

Wenn selbst die Regierung dieses Landes nicht in der Lage ist, sich gegenüber Deutschland durchzusetzen und zumindest eine in Details weniger wirtschaftsliberale Politik zu betreiben, wie sollte es dann eine griechische, spanische oder portugiesische Regierung schaffen? Daher rät Krätke den Anhängern eines Reformkurses, sie sollten darauf drängen, dass in der EU Fragen nach einem flächendeckende Mindestlohn oder einer 35-Stunden-Woche wieder auf die Agenda kommen, die in Frankreich anders als in Deutschland in Ansätzen umgesetzt waren.

Wenn sich Politiker wie Giegold in der Auseinandersetzung mit Hollande auf die deutsche Regierung schlagen, senden sie gegenüber ihren Wählern und das europäische Ausland das Signal aus, dass sich auch unter ihrer Ägide die Austeritätspolitik im Kern nicht ändern wird.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154353

Peter Nowak

Sanierungsfall EU?

EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) und Markus Ferber (CSU) streiten für noch mehr Deutschland in der EU

Die Deutsch-belgisch-luxemburgische Handelskammer steht gewöhnlich nicht im Zentrum des Medieninteresses. Doch jetzt hat eine Rede für Schlagzeilen gesorgt, die EU-Kommissar Günther Oettinger dort vorgetragen hat und die via Bild schnell Gegenstand der öffentlichen Debatte wurde.

Lautsprecher der deutschen Konservativen

Einige markante Zitate wurden dabei aus der Rede herausgegriffen. Statt die Wirtschafts- und Schuldenkrise zu bekämpfen, zelebriere Europa „Gutmenschentum“ und führe sich als „Erziehungsanstalt“ für den Rest der Welt auf, monierte Oettinger.

Diskutiert wurden auch Oettingers Bewertungen unterschiedlicher Regierungen im EU-Raum. „Mir machen Länder Sorgen, die im Grunde genommen kaum regierbar sind: Bulgarien, Rumänien, Italien.“ In Großbritannien regiere Premiere Cameron mit einer „unsäglichen Hinterbank, seiner englischen Tea-Party“.

Interessant ist auch Oettingers Positionierung zu aktuell heiß diskutierten innenpolitischen Reizthemen in Deutschland: „Deutschland ist auf dem Höhepunkt seiner wirtschaftlichen Leistung – besser wird es nicht mehr.“ Doch die deutsche Politik habe im Moment die falsche Tagesordnung: Mindestlohn, Betreuungsgeld und Frauenquote – das seien nicht die Antworten auf zukünftige Herausforderungen.

Spätestens hier wird deutlich, dass sich Oettinger hier am rechten Flügel der Union positioniert. Diese Positionierung durchzieht auch seine Beurteilung der Situation in der EU. Es ist kein Zufall, dass sie vor einem Gremien vorgetragen wird, in dem die Kern-EU-Länder vertreten sind, die schon mal in der Diskussion als Kandidaten für einen Nord-Euro gehandelt werden. So artikuliert Oettinger das Unverständnis politischer Kreise nicht nur in Deutschland, die den Rest der EU noch mehr an die Kandare nehmen und die Führungsmacht Deutschlands und seiner engsten Verbündeten spüren lassen wollen.

Dabei ist die Metapher vom Sanierungsfall EU sicher kein Zufall. Staaten, die saniert werden sollen, kommen unter Ausnahmerecht und werden notfalls unter Kuratel gestellt. So könnte dem Lamento über die Unregierbarkeit bestimmter EU-Staaten die Forderung folgen, dass sie gleich von einem aus Brüssel bestimmten Gremium verwaltet werden. Schließlich geht es ja vor allem darum, die von der EU beschlossenen Vorgaben umzusetzen.

Nun sind solche Vorstellungen durchaus keine Zukunftsmusik. Wer verfolgt hat, wie die Troika-Politik in Griechenland, Portugal und anderen EU-Ländern umgesetzt wurde und wie hier Abstimmungen der Bevölkerung bekämpft und Wahlen als lästiges Beiwerk behandelt werden, kann erkennen, dass Oettinger hier nur sehr prononciert ausgesprochen hat, was eigentlich schon seit Längerem EU-Politik ist.

Zudem war es auch keine Geheimrede, die von Bild enthüllt wurde. Es ist eher wahrscheinlich, dass der Redner sehr daran interessiert war, dass seine Worte durch die Art und den teilweise irreführenden Duktus der Veröffentlichung erst so richtig im Land bekannt wurden. So kann auch manch konservativer Unionswähler, der überlegt, das nächste Mal der Alternative für Deutschland die Stimme zu geben, die Interessen des deutschen Standorts bei der Regierungspartei in guten Händen wähnen.

Frankreich im Visier

Dass Oettinger dabei neben Bulgarien und Rumänien auch Italien als Sanierungsfall aufführt, zeigt deutlich, dass es sich hier nicht nur um eine Auseinandersetzung zwischen dem sogenannten Kerneuropa und der europäischen Peripherie geht. Das wird auch durch die Reaktionen auf die Oettinger-Rede deutlich.

So hat der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber im Interview mit dem Deutschlandfunk darauf verwiesen, dass der Adressat für Oettingers Kritik die EU-Kommission sein muss, ist sich in der Sache aber mit dem EU-Kommissar einig. Es geht ihnen darum, die Austeritätspolitik noch umfassender im EU-Raum durchzusetzen. Dabei hat Ferber gleich noch einen weiteren „Sanierungsfall“ ins Visier genommen, den Oettinger auch als derzeit nicht zukunfstfähig bezeichnet hat: das Nachbarland Frankreich.

Seit dort ein sozialdemokratischer Präsident die Wahlen gewonnen hat, wurde das Land zum Feindbild, obwohl sich Hollande in wesentlichen Punkten entgegen seiner Wahlversprechen der Merkel-Linie untergeordnet hatte. Doch weil Hollande zumindest einige soziale Grausamkeiten der konservativen Vorgängerregierung abmilderte, steht er seit Monaten in Kritik von Konservativen à la Ferber. Der hat im Interview denn auch sein Unverständnis geäußert, dass die EU-Kommission beim Defizitverfahren weiterhin Geduld mit Frankreich zeige. Frankreich muss liefern, verwendet Ferber hier die gleiche Wortwahl, die er bereits vor 18 Monaten auch in Bezug auf Griechenland gebraucht hat.

Im Gegensatz dazu will Ferber Spanien entgegen kommen, weil dessen rechtskonservative Regierung gegen den Widerstand großer Teil der Bevölkerung die sozialen Grausamkeiten umsetzt, die Berlin vorgibt. Gegen eine so offen vorgetragene Politik von Zuckerbrot und Peitsche regt sich im EU-Raum Widerstand, und das scheinen sowohl Oettinger als auch Ferber nicht nur in Kauf zu nehmen. So ist Oettingers Schelte der britischen „Teaparty“ Wasser auf die Mühlen der britischen EU-Gegner. Doch es ist durchaus im deutschen Interesse, wenn das Land austreten würde. Schließlich würde dann das prodeutsche Lager in der EU noch unangefochtener und gestandene Deutschnationale aller Parteien haben den Briten nie vergessen, dass sie 1989 keine Freunde der deutschen Wiedervereinigung waren.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154341
Peter Nowak

Unruhen in Stockholms Vorstädten

Auslöser ist die Erschießung eines 69-Jährigen durch die Polizei

Gleich drei Nächte hintereinander brannten in Stockholms Vororten Autos. Hunderte Jugendliche und junge Erwachsene waren nach Medienberichten nachts auf der Straße, eintreffende Fahrzeuge der Polizei oder der Feuerwehr wurden mit einem Hagel aus Steinen beworfen. Zu den Zielen der Angreifer gehörte eine Polizeiwache in dem Stockholmer Stadtteil Jakobsberg. Beschädigt wurden auch zwei Schulen und ein Kulturzentrum im Stockholmer Vorort Husby. Dort geschah auch der Vorfall, der zum Auslöser der Proteste wurde.

Dort war ein 69-jähriger Mann von der Polizei erschossen worden, weil er von seinem Balkon mit einem Messer gedroht haben soll. Ein Einsatzkommando war darauf in die Wohnung eingedrungen und hatte den 69-Jährigen angeblich in Notwehr erschossen. Zunächst behauptete die Polizei, der Angeschossene sei sofort von der Ambulanz in ein Krankenhaus gebracht worden. Diese Version konnte durch Nachbarn und Augenzeugen schnell widerlegt werden: Es kam nie eine Ambulanz und der Mann wurde erst mehrere Stunden nach dem Eindringen des Sondereinsatzkommandos in seine Wohnung tot herausgebracht. Diese offensichtliche polizeiliche Falschdarstellung verstärkte bei der migrantischen Bevölkerung in den Stockholmer Vororten die Wut.

Ist Rassismus das Problem?

Auch in den größeren Medien wurde die Frage gestellt, ob rassistisches Polizeiverhalten für den Tod des Mannes verantwortlich ist.

„Ein mit einem Messer bewaffneter 69-jähriger ‚Karl-Erik‘ in einem Villenvorort hätte eine einfache Polizeistreife auf den Plan gerufen. Derselbe 69-jährige ‚Ahmed‘ in Husby ist durch eine schwerbewaffnete Spezialeinsatzgruppe gleich vorbeugend hingerichtet worden“, erklärte ein Aktivist der Organisation Megafonen. Sie ist in den letzten Monaten als Sprachrohr migrantischer Jugendlicher aufgetreten, die mit betont unideologischen Lösungsansätzen in den Stadtteilen für Aufmerksamkeit sorgte.

Wegen ihrer selbstbewussten Vertretung migrantischer Interessen wurde die Organisation von rechten Kräften wie den Schwedendemokraten angefeindet. Schwedische Linke hingegen blickten skeptisch auf das Agieren von Megafonen wegen deren Pragmatismus. Die jüngsten Unruhen dürften zur Aufwertung der Organisation sorgten.

Schließlich handelt es sich um eine der wenigen, die noch die Stimme der migrantischen Jugend in der schwedischen Öffentlichkeit vernehmbar vertreten. In Frankreich, wo es in den Vororten vieler Großstädte in unregelmäßigen Abständen auch zu Unruhen kommt – meist ist auch hier der Auslöser Polizeibrutalität -, gibt es solche Organisationen oft nicht mehr. Wo aber keine Interessenvertretung der subalternen Gruppen mehr zu finden ist, werden deren Artikulationsformen als sinnlose Gewalt wahrgenommen und entsprechend sanktioniert. So ist es wohl vor allem Megafonen zu verdanken, dass nach den Stockholmer Unruhen auch in schwedischen Medien von Polizeibrutalität gesprochen wird und dass berichtet wurde, dass migrantische Bewohner, die vermitteln wollten, von der Polizei als Affen, Ratten und Neger beschimpft worden seien.

„Husby wurde in den letzten Jahren in Stich gelassen“

Aber auch die sozialen Ursachen der Revolte kommen in den schwedischen Medien zur Sprache. So hieß es im sozialdemokratischen Aftonbladet: „Husby wurde in den letzten Jahren in Stich gelassen.“ In der linken schwedischen Zeitung Internationalen wurde von der verlorenen Hoffnung einer ganzen Generation gesprochen, die sich durch die Revolte artikuliert.

Hintergrund der Unruhen ist eine Sozialpolitik der Mitte-Rechts-Regierung, deren Kennzeichen Steuererleichterungen für die Vermögenden gepaart mit Sozialkürzungen ist, die einkommensarme Menschen empfindlich treffen. Mittlerweile gehört Schweden laut einem OECD-Bericht zu den westlichen Industrieländern, mit den am stärksten wachsenden Einkommensunterschieden. Weil die Sozialpolitik der schwedischen Mitte-Rechts-Regierung im Kern in vielen europäischen Ländern praktiziert wird, könnte man auch sagen, dass die Unruhen von Stockholm möglicherweise einen Blick in die Zukunft Europas bieten.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154306
Peter Nowak

„Uns blieb keine andere Wahl“

Im Februar 2013 erklärte die Belegschaft des griechischen Baustoffproduzenten Viomichaniki Metaleftiki (Vio.Me), ihre Fabrik stehe ab sofort unter der Kontrolle der Arbeiterinnen und Arbeiter und nehme die Produktion wieder auf (Jungle World 13/2013).
Makis Anagnostou ist Vorsitzender der Basisgewerkschaft der von den Beschäftigten besetzten Fabrik in Thessaloniki. Mit ihm sprach die Jungle World über die Erfolge und Tücken der Selbstverwaltung.

Wie kam die Belegschaft von Vio.Me mitten in der großen Wirtschaftskrise auf die Idee, die Produktion unter Arbeiterkontrolle fortzusetzen?

Uns blieb keine andere Wahl. Wir haben den Kampf im Juli 2011 begonnen, nachdem die Eigentümer die Firma Vio.Me aufgegeben hatten. Wir Arbeiter haben bereits seit Mai 2011 keinen Lohn mehr erhalten. Wir wollten uns nicht damit abfinden und haben viele Betriebsversammlungen organisiert. Dort haben dann 97,5 Prozent der Anwesenden beschlossen, die Fabrik in eine Kooperative unter Arbeiterkontrolle umzuwandeln.

War die Selbstverwaltung schon bei Beginn der Besetzung Ihr Ziel?

Nein, am Anfang wollten wir nur unsere Arbeitsplätze erhalten und haben versucht, die Unterstützung der politischen Parteien zu gewinnen. Wir haben uns also ausschließlich auf gesetzlichem Boden bewegt. Als wir merkten, dass wir von der Politik und auch den meisten Gewerkschaften keine Unterstützung bekommen, planten wir auf unseren Versammlungen die nächsten Schritte. Dabei lernten alle von uns viel über den Kapitalismus, aber auch über die Solidarität unter Arbeitern.

Können Sie ein Beispiel für einen solchen Lernprozess geben?

Auf vielen Veranstaltungen wurde ich gefragt, ob wir uns mit den Erfahrungen der besetzten Zanon-Fabrik in Argentinien auseinandergesetzt haben. Schließlich stellt sie ähnliche Produkte her wie wir und ist in vielen Ländern als selbstverwaltete Fabrik bekannt geworden. Die Zuhörer sind erstaunt, wenn ich ehrlich antworte, dass niemand von uns von Zanon gehört hatte, als wir unseren Kampf begonnen haben. Das Interesse wäre wohl auch nicht groß gewesen. Argentinien ist weit weg und wir müssen unsere Probleme bei uns lösen, hätten wir gesagt. Jetzt haben einige unserer Kollegen das Buch von Raúl Godoy gelesen, der bei der Besetzung von Zanon eine wichtige Rolle spielte. Sie hatten den Eindruck, dass er über Vio.Me schreibt. Er stellt in dem Buch die Fragen, die auch wir uns stellen. So haben wir gelernt, dass die Arbeiter auf der ganzen Welt ähnliche Probleme haben und nach ähnlichen Lösungen suchen.

Wie reagierten die griechischen Gewerkschaften auf Ihre Pläne?

Zunächst hatten wir Kontakt mit der sozialdemokratisch orientierten GSEE gesucht. Doch dort hat man uns geraten, wir sollen uns an unsere Bosse werden, damit sie das Kapital zurückbringen. Damit waren wir natürlich überhaupt nicht einverstanden. Warum sollten wir die Bosse, die die Firma in den Ruin getrieben haben, wieder zurückholen? Auf der Suche nach einer klassenkämpferischen Perspektive haben wir dann zeitweise mit der Pame kooperiert, die der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) nahesteht. Wir waren die einzige Basisgewerkschaft, die auf Demonstrationen gemeinsam mit der Pame die Fahnen hielt. Doch weil unsere Positionen ignoriert wurden, wenn sie nicht hundertprozentig mit der Linie der Pame übereinstimmten, haben wir auf einer Vollversammlung beschlossen, unseren Kampf ohne die Gewerkschaften weiterzuführen. Das bedeutet nicht, dass wir den Gewerkschaften feindlich gegenüberstehen. Doch wir sind nicht bereit, uns einer Zentrale unterzuordnen.

Haben Sie in der ganzen Zeit Ihres Kampfes nie ans Aufgeben gedacht?

Doch, natürlich. Hätte es nicht die täglichen Versammlungen gegeben, auf denen wir alle Schritte gemeinsam diskutierten und jeder auch über seine Probleme und Ängste reden konnte, hätten viele sicher aufgegeben. Besonders vor einem Jahr war die Lage kritisch. Damals verübten mehrere Menschen, die sich monatelang in der Bewegung der »Empörten« engagiert hatten, die auf den großen Plätzen ihren Protest und ihre Wut ausdrückte, Selbstmord. Die Zeitungen veröffentlichten Abschiedsbriefe von Menschen, die geschrieben hatten, dass sie große Hoffnungen in diese Bewegung gesetzt hatten und erfahren mussten, dass sie nicht gehört wurden. Wir befürchteten, dass auch Kollegen von Vio.Me ihrem Leben ein Ende setzen könnten. Schließlich hatten viele von ihnen lange keinen Lohn bekommen. Da beschlossen wir, mit einem Brief an die Öffentlichkeit zu gehen, in dem wir unsere Situation schilderten.

Welche Reaktionen gab es darauf?

Innerhalb kurzer Zeit bekamen wir von uns völlig unbekannten Menschen aus dem ganzen Land Ermutigungen. Wir wurden darin bestärkt, dass wir unbedingt durchhalten sollten. Da haben wir gemerkt, dass es viele Menschen gibt, denen nicht egal ist, was wir machen. Dieser Zuspruch war eine große Hilfe für uns. Ohne ihn hätten wir wahrscheinlich längst aufgegeben.

Gab es neben warmen Worten auch materielle Unterstützung?

Ja, es kam Hilfe aus ganz Griechenland und auch aus dem Ausland. Die meisten Menschen, die uns unterstützen, sind selbst arm und spenden uns etwas von dem Wenigen, das sie haben. Die einen bringen uns eine Packung Spaghetti oder getrocknete Bohnen, andere geben uns zwei Euro als finanzielle Unterstützung. Aber auch diese kleinen Hilfen sind sehr wichtig für uns, weil sie uns die Kraft und den Mut zum Weiterzumachen geben.

Zu welchen Kompromissen sind Sie bereit, um das Unternehmen zu retten?

Natürlich wissen wir, dass wir noch eine Weile im Kapitalismus leben müssen. Aber das heißt nicht, dass wir unsere Ziele aufgeben und die Erfahrungen der vergangenen Monate preisgeben. Deswegen gehen wir zweigleisig vor. Mit der Produktion unter Arbeiterkontrolle greifen wir das Recht der Kapitalisten an, über uns zu bestimmen. Dazu muss aber die Fabrik erhalten bleiben. Daher haben wir gemeinsam mit Ökonomen Pläne ausgearbeitet, wie die Firma überleben kann. Dazu haben wir auch einen Katalog mit konkreten Forderungen an die Regierung zusammengestellt.

Können Sie einige Forderungen nennen?

Ein Kernpunkt ist der Erwerb der Aktien des Unternehmens ohne die angehäuften Schulden, eine Subventionierung in Höhe von 1,8 Millionen Euro, die zum Teil aus dem Fonds der Europäischen Union finanziert werden soll. Eine gesetzliche Vorlage soll das Risiko für die Beschäftigten begrenzen. Damit soll ausgeschlossen werden, dass wir selbst mit persönlichem Vermögen haftbar gemacht werden. Zudem fordern wir die Rückgabe von 1,9 Millionen Euro, die von Vio.Me an den Mutterkonzern ausgeliehen wurden.

Wären Sie nicht dazu gezwungen, wie Kapitalisten zu handeln, wenn diese Forderungen umgesetzt werden?

Solange wir Solidarität erfahren, sehe ich bei uns das Problem nicht. Wenn die Arbeiterbewegung auf unserer Seite ist und unseren Kampf unterstützt, besteht kaum die Gefahr, dass wir uns mit dem Kapitalismus versöhnen. Wenn aber die Arbeiterbewegung auf Distanz geht, dann versuchen die Arbeiter individuelle Wege zum Überleben zu finden, und hier liegt die Gefahr der Wendung zum Bürgerlichen.

Gibt es weitere Betriebe in Griechenland, die ebenfalls unter Arbeiterkontrolle weiterarbeiten wollen?

Ja, in einer kleinen Stadt in Nordgriechenland hat die Belegschaft einer Zigarettenfabrik in einer Vollversammlung beschlossen, den Betrieb ebenfalls unter Arbeiterkontrolle weiterzuführen. Solche Überlegungen gibt es auch bei einer Firma im Bereich der Solar- und Windenergie. Die Kollegen waren unsicher, ob sie diesen Schritt gehen sollen. Wir haben uns mit ihnen getroffen und ihnen geraten, den Kampf um die Arbeiterkontrolle jetzt zu beginnen.

aus Jungle World 20/2013
http://jungle-world.com/artikel/2013/20/47715.html
Interview: Peter Nowak

Letzte Chance für den Euro?

Auf dem linksreformistischen Flügel der Linken mehren sich Initiativen für eine andere EU-Politik. Doch die Erfolge sind fraglich

„Der Euro vor der Entscheidung“ lautet der Titel einer Studie, die gestern von der Rosa Luxemburg Stiftung vorgestellt worden ist, die im Umfeld der Linkspartei sicher noch für weitere Diskussionen sorgen dürften.

Zu den Herausgebern der Studie gehört neben Costas Lapavitsas mit Heiner Flassbeck ein Ökonom, der in der kurzen Ära des Finanzministers Oskar Lafontaine als dessen Staatssekretär fungierte. Eben jener Lafontaine hat mit einem EU-kritischen Beitrag in und außerhalb der Linkspartei für Aufregung gesorgt.

Bei Lafontaines politischer Vita ist es verständlich, dass diese Wortmeldung als Anbiederung an populistischen Anti-EU-Stimmungen verstanden wird. Allerdings ist diese Interpretation nicht vom Wortlaut des Beitrags gedeckt, wird doch dort ausdrücklich die Politik der deutschen Regierung für die Krise des europäischen Währungssystems verantwortlich gemacht und nicht wie in populistischen Argumentationen Deutschland à la Alternative für Deutschland als europäischer Zahlmeister hingestellt.

In Lafontaines Fußstapfen argumentiert auch die von Lapavitsas und Flassbeck ausgestellte Studie. Nur anders als der ehemalige Minister sind die beiden Herausgeber der Studie noch nicht ganz so pessimistisch. Sie sehen noch eine Chance für den Euro. „Es ist spät, doch noch ist es nicht zu spät für eine Umkehr. Würde Deutsch¬land als wich¬tigs¬tes Gläu¬bi¬ger¬land Ein¬sicht zei¬gen, seine Posi¬tion radi¬kal ver¬än¬dern und zusam¬men mit allen ande¬ren auf eine neue Stra¬te¬gie set¬zen, könnte die Euro¬zone die schwere Krise über¬win¬den“, heißt es in der Studie.

Doch dann bekunden sie, dass sie an eine solche Änderung nicht so recht glauben und diskutieren ganz wie Lafontaine andere Austrittsstrategien diskutieren. Schon in einem Interview im Deutschlandradio Ende April erklärte Flassbeck, man müsse den schwachen Ländern Anreize bieten, damit sie ihren Binnenmarkt wieder stärken. „Wenn dies von innen nicht möglich ist, dann müssen sie aussteigen und ihre eigene Währung abwerten.“ Konkret nennt der Ökonom folgende Schritte zur Rettung des Euros:

„Der Euro kann nur überleben, wenn alle Mitgliedsländer gleich wettbewerbsfähig sind. Das bedeutet: Die Löhne in Deutschland müssen deutlich steigen, um das Lohndumping der vergangenen Jahre auszugleichen. Außerdem muss man in ganz Europa die Sparprogramme einstellen und das Wachstum stimulieren. Sonst wird die Rezession unkontrollierbar, und die Schulden werden explodieren. Wenn die deutsche Regierung ihren Kurs nicht ändert, wird der Euro auseinanderfliegen.“

„Europa geht anders“

Diese Maßnahmen werden auch in einem Aufruf unter dem vagen Titel „Europa geht anders“ vorgeschlagen, die ausgehend von linken österreichischen Sozialdemokraten von verschiedenen linksreformerischen Gewerkschaftern, Politikern und Wissenschaftlern aus Deutschland, Österreich, Frankreich und Italien unterzeichnet worden ist. Aus Deutschland gehören zu den Erstunterzeichnerinnen die Co-Vorsitzende der Linkspartei Katja Kipping und von der SPD mit Hilde Mattheis eine SPD-Linke, deren Strömung parteiintern erst vor wenigen Wochen politisch abgewertet worden ist.

Zu den zentralen Forderungen des Aufrufs zählen eine europäische Umverteilung des Reichtums durch faire Einkommen und höhere Gewinn- und Vermögensbesteuerung, die Beendigung der Lohnsenkungsspirale und damit der Abbau der riesigen Ungleichgewichte, was in den Leistungsbilanzüberschüsse weniger Länder auf Kosten von Defiziten anderer Länder deutlich werde. Neben der Wiederregulierung der Finanzmärkte gehören auch die Stärkung der Arbeitnehmerrechte, Arbeitnehmerschutzbestimmungen und Gewerkschaftsrechte zu den Forderungen des Aufrufs. Der Punkt ist wichtig, weil allein in Griechenland in den letzten Wochen mehrere Streiks durch Dienstverpflichtungen von der Regierung unterbunden wurden. Aktuell sind die Lehrer betroffen.

Diese Einschränkungen des Streikrechts betreffen nicht nur die europäische Peripherie. Vor einigen Wochen hatte Dänemarks Mitte-Links-Regierung tausende streikende Lehrer ausgesperrt und versucht, damit einen Arbeitskampf abzuwürgen. An diesem Beispiel wird aber auch schon das Dilemma solcher Aufrufe für ein anderes Europa deutlich. Weil nicht nur in Deutschland Sozialdemokraten und Grüne an der Deregulierung an führender Stelle mit beteiligt sind, ist auch von diesen Kreisen nicht zu erwarten, dass sie ihre eigene Politik demontieren und sich an Aufrufen beteiligen, die ein Umsteuern fordern.

Daher macht das Unterzeichnerspektrum aus Deutschland den Eindruck, als träfe es sich regelmäßig beim Institut Solidarische Moderne, das seit einigen Jahren wenig beachtet von der Öffentlichkeit die Kräfte links von der Bundesregierung zusammenbringen will.

EU-Austritt und das deutsche Interesse

Sollte aber die EU-Politik so weiterlaufen wie bisher, dann werden ökonomische Gesetzmäßigkeiten die Frage nach einem Ausweg außerhalb des Euros aktuell werden lassen. Diese Fakten zu benennen, hat nichts mit Populismus zu tun. Denn dass zumindest die Studie das Gegenteil der Alternative für Deutschland will, zeigen allein diese Sätze, die als Absage an eine rechtspopulistische EU-Kritik verstanden werden können.

„Darüber hinaus haben die einseitige und eindeutig falsche Schuldzuweisung an die Schuldnerländer und die von ihnen verlangte Austeritätspolitik eine Wirtschaftskrise in Gang gesetzt, deren negative Folgen für die Lebensverhältnisse der Menschen die nationalen demokratischen Systeme infrage stellen und das friedliche Zusammenleben der Bürger in Europa für Jahrzehnte belasten werden.“

Deswegen gehen auch Beiträge in die Irre, die an linken EU-Austrittsszenarien in erster Linie die Nähe zum Rechtspopulismus monieren, wie es der Ökonom Michael Krätke in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung Freitag versucht. Dort zählt er ausdrücklich auch Heiner Flassbeck zu diesen „Illusionisten“. Bemerkenswerterweise hat aber seinen Beitrag dann einen anderen Inhalt, als die Ankündigung erwarten lässt. Nicht linke Austrittsszenarien, sondern die Argumente des AfD werden dort widerlegt, indem er aufzeigt, welche negativen Folgen ein EU-Austritt für die deutsche Wirtschaft haben würde. Eine solche Argumentation trifft politische Kräfte, die ein deutsches Interesse an einen EU-Austritt ernsthaft vertreten.

Man kann aber auch argumentieren, dass Deutschlands Euromitgliedschaft so gravierende negative Folgen für die Länder in der europäischen Peripherie hat und Deutschland bisher so eindeutig der ökonomische Gewinner war, dass über Austrittsszenarien auch dann diskutiert werden sollte, wenn davon der deutsche Standort Nachteile erfährt. Ansonsten bleibt man in populistischen Argumentationslinien gefangen.

Die von immer mehr Ökonomen im In- und Ausland geforderte Kursänderung in der EU-Politik scheitert ja nicht an der Boshaftigkeit oder Dummheit deutscher Politiker, sondern an der kurzfristigen Interessenlage des Standorts Deutschland, die sich eben von den Interessen der Standorte der europäischen Peripherie unterscheiden. Ein europäischer ideeller Gesamtkapitalist, der eine langfristige Interessenlage im Blick hat, existiert aber nicht. Daher ist es auch unwahrscheinlich, dass die auch von Flassbeck und Co. geforderte Kursänderung zustande kommt.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154284
Peter Nowak

Konzern- statt Konsumentenkritik


Die Stiftung Ethecon beginnt eine Kampagne gegen Rohstoffmulti Glencore

Diese Auszeichnung dürfte bei der Unternehmensleitung nicht erwünscht sein. Eine Delegation von Ethecon will am heutigen Donnerstag den Black Planet Award 2012 an Ivan Glasenberg, Simon Murray und Tony Hayward sowie die Großaktionäre des Schweizer Rohstoffkonzerns Glencore überbringen. Die Übergabe erfolgt im Rahmen der Aktionärshauptversammlung des Konzerns im Theater Casino in Zug in der Schweiz.

Der Schmähpreis wird von Ethecon alljährlich gemeinsam mit sozialen Bewegungen an Unternehmen verliehen, die sich besonders durch die Verletzung menschenrechtlicher, sozialer und ökologischer Standards hervorgetan haben.

Nach Meinung der Stiftung wird der ausgewählte Konzern mit Recht „ausgezeichnet“ worden. Der Ethecon-Vorsitzende Axel Köhler-Schnura verweist auf Jose Chinchia Royero, der mit 32 Jahren als Baumaschinentechniker in der kolumbianischen Kohlenmine Calenturita gestorben ist, die Glencore gehört. „Der Konzern hat mit anderen Minenkonzernen die mit Abstand höchste Todesrate unter seinen Arbeitern“, erklärt Köhler-Schnura. Dass solche Todesfälle hierzulande überhaupt bekannt werden, liegt an der Zusammenarbeit der Stiftung mit sozialen Bewegungen in aller Welt.

Sie sammeln diese Daten, überprüfen und informieren dann auch die Menschen in der ersten Welt, die sich in der Regel nicht viel für die Arbeitsbedingungen in den Ländern des amerikanischen, asiatischen und afrikanischen Kontinents interessieren. Am Beispiel von Glencore wird deutlich, wie sinnvoll eine solche internationale Kooperation ist. So wird auf die Gewinne von Glencore bei der Nahrungsmittelspekulation ebenso verwiesen wie auf die giftige Abraumdeponie auf dem Gelände von Glencore-Fabriken in Sambia.

Dass mit Tony Hayward auch ein Mann zum Glencore-Vorstand gehört, der seinen Job als Geschäftsführer von BP nach der Explosion einer Ölplattform des Konzerns im Golf von Mexiko (vgl. Verölte Wahrheit) räumen musste, ist nur ein weiterer Baustein in der Geschichte eines Konzerns, der seit Jahren in der Kritik steht.

Sind die Konsumenten schuld?

Der Einsturz einer Kleidungsfabrik mit über 1.500 Toten, wie kürzlich in Bangladesch geschehen, regt zumindest eine Debatte an und führte zu Vereinbarungen mit Gewerkschaften. Doch ob es nachhaltige Änderungen gibt, ist zu bezweifeln. Zumal in der hiesigen Debatte in erster Linie die Konsumenten am Pranger stehen. So wurde nach dem Einsturz der Fabrik in Bangladesch viel über die hiesige Gier nach billigen Klamotten geredet und dabei unterschlagen, dass dafür nicht zuletzt der wachsende Niedriglohnsektor verantwortlich ist. So werden wieder einmal die einkommensschwachen Menschen hier für den Tod der Arbeiter in Asien mitverantwortlich gemacht. Dabei macht man sich gar nicht die Mühe, den Zusammenhang von billigen Klamotten hier und miesen Arbeitsbedingungen dort nachzuweisen.

Das dürfte auch nicht einfach sein. Schließlich sind die Arbeitsbedingungen auch bei teuren Waren nicht unbedingt besser. Es geht um die optimale Verwertung und um hohe Profitraten und da ist Arbeitsschutz eben eine Bremse. Den Blick nur auf die Billigmarken zu lenken, ist daher falsch.

Ethecon geht einen anderen Weg. Die Stiftung nimmt mit ihren Schmähpreis die Verantwortlichen in den Konzernen in den Fokus, die auch für Einhaltung von menschenrechtlichen und sozialen Standards in den Fabriken verantwortlich sind. Dabei ist die Verleihung des Schmähpreises nur die öffentlichkeitswirksame Symbolhandlung einer längerfristigen Kampagne, die Ethecon mit sozialen Initiativen unter dem Titel „Glencore stoppen“ initiiert hatte.

Nach dem Vorbild von Kampagnen gegen Shell und andere weltweite Konzerne soll hier deutlich gemacht werden, dass auch ein weltweit agierender Multi nicht gegen Kritik und Protest immun ist. Wenn bei so einer Kampagne deutlich gemacht wird, dass es nicht das Agieren „böser Menschen“, sondern der systemische Zwang zur Profitvermehrung ist, der auch den Glencore-Vorstand antreibt, kann eine solche Kampagne durchaus Lernprozesse im solidarischen Handeln auslösen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154277

Peter Nowak
Peter Nowak

Recht auf ein eigenes Konto

Im EU-Raum könnte bald ein Grundrecht umgesetzt werden, das bisher massenhaft missachtet wird

Ungefähr 58 Millionen Menschen besitzen im EU-Raum kein eigenes Konto. Allein in Deutschland ist die Zahl der Menschen ohne Konto in den letzten Jahren auf rund 650.000 gestiegen. Die EU-Kommission hat am vergangenen Mittwoch den Entwurf für eine Richtlinie vorgelegt, nach der die Banken keine Kunden abweisen dürfen, die ein Girokonto einrichten wollen. Damit würde ein lange gefordertes Grundrecht auf ein Konto in die Praxis umgesetzt.

„Dieser Vorschlag ermöglicht Verbrauchern in der gesamten EU, Zugang zu einem Konto zu erhalten, Bankenangebote zu vergleichen und – wenn sie unzufrieden sind – zu einem anderen Anbieter zu wechseln“, erklärte EU-Verbraucherkommissar Tonio Borg. Sollte der Entwurf der Kommission von EU-Parlament und den nationalen Regierungen verabschiedet werden, müssten die Länder die neuen Vorgaben in ihren Rechtsrahmen aufnehmen.

Danach müssten alle Banken ihre Kunden regelmäßig über anfallende Entgelte informieren, die nach einem einheitlichen Standard aufgeschlüsselt werden müssen. In jedem Land soll zudem eine unabhängige Internetseite einen Gebührenvergleich zwischen sämtlichen Kontoanbietern ermöglichen. Auch der Kontowechsel soll erleichtert werden: Künftig soll es genügen, der jeweils neuen Bank einen Auftrag zur Abwicklung des alten Kontos zu erteilen. Der neue Anbieter muss sich dann laut der EU-Vorlage innerhalb von 15 Tagen kostengünstig um alles Weitere kümmern. Auch die Einrichtung eines Kontos im EU-Ausland soll für EU-Bürger vereinfacht werden.

Mit Schalterhygiene gegen Einkommensschwache

Sollte die Richtlinie beschlossen werden, würde eine zentrale Diskriminierung von einkommensschwachen Menschen der Vergangenheit angehören, die seit Jahren kritisiert wurde. Mit dem verschleiernden Begriff „Schalterhygiene“ wurde eine Praxis bezeichnet, die für manche potentielle Bankkunden mit großer Willkür verbunden ist. Bankberater verstehen unter diesen Begriff das Fernhalten missliebiger, d.h. nicht profitabler Kunden. Dazu zählen in erster Linie Menschen, die wegen ihres geringen Einkommens reine Guthabenkonten führen, die nicht überzogen werden können. Für viele Kreditinstitute sind die Kontoführungsgebühren nicht profitabel genug, so dass diese Kunden nicht erwünscht sind.

Sich ihrer zu entledigen war bisher kein großes Problem. Denn bisher können die Banken in Deutschland die Girokonten ihrer Kunden jederzeit kündigen, obwohl es seit 1995 eine Empfehlung des Zentralen Kreditausschusses für ein Girokonto für jedermann gibt. Doch diese Empfehlung war bisher rechtlich nicht bindend und sollte in einer Selbstverpflichtung der Branche umgesetzt werden. Doch das bisherige Resultat macht auch deutlich, welch geringe Bedeutung solche Selbstverpflichtungen haben. Hoffnungen auf eine Selbstregulierung der Finanzbranche hat die Kommission eigenen Angaben zufolge aufgegeben.

Ausgeschlossen vom gesellschaftlichen Leben

Die Folgen für die Betroffenen sind gravierend. Sie sind von vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen. Schließlich ist ein Girokonto häufig Voraussetzung für den Abschluss eines Miet- oder Arbeitsvertrags und für die Einrichtung eines Telefon- und Internetanschlusses. Nur noch aus schwerwiegenden Gründen wie z.B. Geldwäsche sollen Banken künftig Interessenten für ein Guthabenkonto zurückweisen können. Die EU-Behörde spricht deshalb sogar von einem neuen sozialen Grundrecht auf ein Konto.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154250
Peter Nowak

Der ANC macht eine Politik gegen die Armen


Stadtteilaktivist Jerome Ngongoma aus Durban über Selbstorganisierung in Südafrika
Jerome Ngongoma ist Vorstandsmitglied der Stadtteilinitiative »Abahlali baseMjondolo« (Bewegung der Wellblechhausbewohner) in Durban in Südafrika. Er ist an der Vorbereitung einer Armutskonferenz beteiligt. Über die soziale Lage in Südafrika sprach mit ihm Peter Nowak.

Jerome Ngongoma ist Vorstandsmitglied der Stadtteilinitiative »Abahlali baseMjondolo« (Bewegung der Wellblechhausbewohner) in Durban in Südafrika.


nd: Was ist der Schwerpunkt der Arbeit Ihrer Stadtteilinitiative?

Ngongoma: Wir bereiten zurzeit den Gipfel der Armen für Oktober vor. Dabei handelt es sich um eine Armutskonferenz, die von den betroffenen Menschen selbst organisiert wird.

Knüpft die Armutskonferenz an die regionale Weltsozialforen an, die auch in Südafrika tagten?

Nein, denn die Sozialforen waren weitgehend eine Mittelstandsveranstaltung und haben aus diesem Grunde das Leben der armen Menschen nicht verbessert. Bei der Armutskonferenz hingegen sollen die Betroffenen selbst über die Themen entscheiden, die es dort zu diskutieren gilt.

Welche Rolle spielt der Kampf um menschenwürdigen Wohnraum?
Das ist der zweite zentrale Schwerpunkt unserer Arbeit. Wir unterstützen 38 Familien, die bereits 2007 zwangsgeräumt wurden. Ihre Hütten wurden für ein Wohnungsbauprojekt abgerissen. Sie leben noch immer in einem Übergangswohnheim unter unzumutbaren Bedingungen ohne Wasser und Strom. Dabei wurde ihnen von der ANC-Verwaltung versprochen, dass sie in neue Häuser ziehen können. Wir haben die Familien vor Gericht vertreten. Dort wurde ihr Recht auf ein Haus bestätigt. Dafür kämpfen wir jetzt.

Wie ist Ihr Verhältnis zum ANC?
Die meisten unserer Mitglieder haben den ANC wegen seiner Rolle im Kampf gegen die Apartheid unterstützt. Aber wir haben schnell gemerkt, dass er eine Politik gegen die Armen macht. Wir sind heute von sämtlichen Parteien unabhängig. Denn wir sind der Überzeugung, dass eine gesellschaftliche Veränderung nur durch Selbstorganisierung von unten und nicht durch Mitarbeit in den staatlichen Institutionen erreicht werden kann.

Welche Bedeutung hat das Massaker von Marikana Mitte August an den streikenden Bergarbeitern für Ihre Arbeit?
Es hat einen Aufschrei der Empörung im ganzen Land gegeben. Vergleiche mit der Repression während der Apartheid wurden gezogen. Wir waren davon nicht überrascht, weil wir seit Jahren erleben, wie die Regierung gegen die Armen vorgeht, wenn sie sich selbst organisieren und den vom ANC vorgegebenen Rahmen verlassen. Wir haben diese Gewalt selbst schon erfahren.

Wie ist man gegen Sie vorgegangen?
2009 wurden Aktivisten unserer Organisation überfallen und ihre Häuser zerstört. Es gab Tote und Verletzte. Offiziell erklärt die Regierung, sie habe mit dem Überfall nichts zu tun. Man wisse nicht, wer verantwortlich ist. Wir haben selbst recherchiert und dadurch erfahren, dass der ANC hinter dem Überfall steckt. Man wollte uns einschüchtern und unsere Arbeit erschweren. Vor dem Überfall hatten wir 10 000, danach knapp 5000 aktive Mitglieder. Viele Menschen hatten Angst und haben sich aus der Stadtteilarbeit zurückgezogen. In letzter Zeit beteiligen sich viele von ihnen wieder an unseren Aktionen.

Immer wieder machten in Südafrika auch rassistische Überfälle auf Flüchtlinge aus anderen afrikanischen Ländern Schlagzeilen. Wie gehen Sie damit um?

Wir haben damals sofort erklärt, dass es sich um kriminelle Aktionen handelt. Zudem klären wir die Menschen darüber auf, dass die Migranten niemandem die Arbeitsplätze wegnehmen. Diese Aktionen fanden überall dort statt, wo es keine starke Stadtteilorganisierung gibt. In der Kennedy-Road-Siedlung, wo wir stark vertreten sind, gab es keine Überfälle

http://www.neues-deutschland.de/artikel/820822.der-anc-macht-eine-politik-gegen-die-armen.html

Interview: Peter Nowak

Rückkehr zur DM mit links?

Oskar Lafontaine hat mit seiner Forderung nach Abwicklung des Euros seine Partei aufgeschreckt. Doch auch seine Kritiker müssten die Herausforderung annehmen und eine nichtpopulistische linke Eurokritik formulieren

Auch in der Linkspartei werden manche schon insgeheim jubiliert haben, als Oskar Lafontaine vor einigen Wochen erklärt hat, sich nicht mehr um ein Bundestagsmandat zu bewerben. Es wurde gerätselt, ob sich der Altsozialdemokrat, ohne den die Linkspartei nie zustande gekommen wäre, wohl aufs Altenteil zurückziehen wird. Als Mann von Gestern wurde er schließlich von seinen Kritikern in und außerhalb der Linkspartei schon lange bezeichnet.

Doch jetzt sorgt Lafontaine mit einem Beitrag für Diskussionen, der in der Überschrift wenig aufregend klingt. „Wir brauchen wieder ein europäisches Währungssystem“, lautet der Titel. Der Beitrag beginnt mit einer realistischen Analyse der aktuellen ökonomischen Situation in der Eurozone, wobei auch die Rolle der deutschen Politik kritisch betrachtet wird.

„Die Deutschen haben noch nicht erkannt, dass die Südeuropäer einschließlich Frankreichs angesichts der wirtschaftlichen Misere früher oder später gezwungen sind, sich gegen die deutsche Hegemonie zur Wehr zu setzen. Insbesondere das deutsche Lohndumping, das von Anfang der Währungsunion an ein Verstoß gegen den Geist der Verträge war, setzt sie unter Druck. Merkel wird aus ihrem selbstgerechten Schlaf erwachen, wenn die unter dem deutschen Lohndumping leidenden europäischen Länder sich verbünden, um eine Wende in der Krise zu Lasten der deutschen Exportwirtschaft zu erzwingen.“

Daraufhin erklärt Lafontaine, dass eine einheitliche Währung eine Chance gehabt hätte, wenn in allen EU-Ländern eine „produktivitätsorientierte Lohnpolitik“ betrieben worden wäre. Deshalb habe auch er als Politiker von SPD die Einführung des Euro mitgetragen. Da er mittlerweile zu der Auffassung gekommen sei, dass die Kräfteverhältnisse für eine solche Politik nicht vorhanden sind, spricht sich Lafontaine nun für einen Ausstieg aus den Euro aus.

„Wenn reale Auf- und Abwertungen auf diesem Wege nicht möglich sind, muss man die einheitliche Währung aufgeben und zu einem System zurückkehren, das, wie beim Vorläufer der Währungsunion, dem Europäischen Währungssystem, Auf- und Abwertungen erlaubt. Im Kern geht es darum, kontrollierte Abwertung und kontrollierte Aufwertung über ein von der EU getragenes Wechselkursregime wieder möglich zu machen.“

Populismus oder Realismus?

Damit hat Lafontaine, ohne in seinem Text das Wort Deutsche Mark zu erwähnen, als erster prominenter Politiker der Linken den Austritt aus dem Euro befürwortet. Sofort kam Widerspruch auch aus seiner eigenen Partei. Vor allem der Realoflügel warnte vor einem neuen Populismus und betonte, dass die Linke nicht antieuropäisch werden dürfe. Auch der Co-Vorsitzende der Linken Bernd Riexinger, der bei seiner Wahl von vielen Medien vorschnell als Lafontaine-Statthalter abgetan wurde, betonte, dass seine Partei gegen die Troika-Politik, aber für den Euro sei.

Manche Medien sahen schon eine Spaltung der Linken an dieser Frage heraufziehen. Tatsächlich hat die Debatte für die Linkspartei eine große Brisanz. Sie könnte ihr einen existenzgefährdenden Streit bescheren, sie könnte der Linken aber auch ein Themenfeld öffnen, mit dem sie Zustimmung gewinnen kann. Denn es ist auffällig, dass sich auf dem linken Feld keine klare Positionierung gegen den Euro findet. Dafür gibt seit Jahren Organisationen auf dem rechten Feld, die gegen den Euro mobilisieren.

Sie sind in der Regel überzeugte Wirtschaftsliberale und monieren, dass Deutschland für den Euro eine starke Währung aufgegeben hat. „Deutschland braucht den Euro nicht, der Euro braucht Deutschland“, könnte eine solche rechte Eurokritik knapp zusammengefasst werden. Ist also Lafontaine auf diesen Zug aufgesprungen, wie seine Kritiker vermuten?

Wenn man seine politische Biographie überfliegt, gäbe es dafür viele Anzeichen. War nicht Lafontaine noch als führender SPD-Politiker an der faktischen Abschaffung des Asylrechts beteiligt? Hat er nicht in einer regelmäßigen Bild-Kolumne seine Anschlussfähigkeit an den rechten Populismus unter Beweis gestellt? Hat er nicht Verständnis für den Frankfurter Polizeipräsidenten Daxner geäußert, als der einem Kindesentführer mit Folter drohte? Nahm er nicht als frischgebackener Linkspartei-Politiker den Begriff „Fremdarbeiter“ in den Mund – und das nicht, wie es Linke in den 1970er Jahren taten, in kritischer Absicht?

In dieser Reihe wäre Lafontaines Positionierung gegen den Euro ein weiterer Versuch, ein Thema aufzugreifen, das in großen Teilen der Bevölkerung diskutiert wird, und damit für die Linke Stimmen zu holen? Es wäre naiv zu glauben, dass diese Motivation bei Lafontaines neuester Initiative keine Rolle spielt. Schließlich hat das Thema Austritt aus dem Euro durch die Gründung der „Alternative für Deutschland“ auf der politischen Ebene eine neue Dynamik bekommen.

In Umfragen stellte sich bald heraus, dass sich nicht nur Wähler der Union und der FDP, sondern auch der Linken vorstellen könnten, das nächste Mal bei dieser Partei ihr Kreuz zu machen. Das ist nur auf den ersten Blick verwunderlich. Ein Teil der Wähler der Linken machen ihr Kreuz bei der Formation, die sich als Auffangbecken für Protestimmen darstellt. So sind zur Hochzeit der Piraten nicht wenig Linke zu der vermeintlich neueren Protestpartei übergewechselt.

Herausforderung einer linken Eurokritik

Da nun die AfD ihren Widerstand gegen den Euro ins Zentrum stellt, wird ihr schon mal nachgesehen, dass sie ein radikal wirtschaftsliberales Programm besitzt. Solange alle anderen relevanten politischen Gruppierungen den Euro verteidigen, profitiert die AfD davon. Daher wäre das Beste, was ihr passieren könnte eine politische Ausgrenzung vor den Wahlen, so dass sich die Partei mit dem Image des Tabubrechers besser vor den Wählern verkaufen konnte.

Daher warnte auch Sarah Wagenknecht davor, die AfD vorschnell in eine populistische Ecke zu stellen. In dem Interview sagte Wagenknecht, dass es bei der Kritik an den Euro-Rettungspaketen Gemeinsamkeiten mit der Linken gäbe, betonte allerdings auch:

„Aber für potenzielle Linke-Wähler ist eine Partei, für die Niedriglöhne und Altersarmut kein Thema sind und in deren Vorstand Leute arbeiten, die öffentlich darüber nachdenken, Arbeitslosen das Wahlrecht zu entziehen, bei näherem Hinsehen ganz sicher nicht wählbar. Je bekannter diese Seite der AfD wird, desto mehr werden die Menschen das merken.“

Wahrscheinlich ist, dass Lafontaine mit seinem Vorstoß der AfD von links Konkurrenz machen will. Damit reagiert er erst einmal wie jeder Parteipolitiker, der Themen, die in der Bevölkerung diskutiert werden, aufgreift und für seine Partei nutzen will. Dass Lafontaine die Debatte aufgegriffen hat, ist daher nicht besonders überraschend. Interessant wird dann die Diskussion über Essentials einer linken Eurokritik. Denn dann würde sich schnell zeigen, dass die Eurokritik des AfD und einer Linken sich fundamental unterscheiden. Daher ist es auch irritierend, dass Wagenknecht diese Unterschiede nicht klar herausarbeitet.

Während die Wirtschaftsliberalen mit dem Euroaustritt eine starke DM oder einen Nord-Euro anstreben, müsste eine linke Eurokritik ähnlich wie der Investmentbanker Soros argumentieren, dass Deutschland den Euro verlassen solle, damit die Länder an der europäischen Peripherie wieder Luft zum Atmen haben. In Lafontaines Test sind Passagen enthalten, die eine solche Schlussfolgerung plausibel machen. Dass Lafontaine mit seinem Gespür für „Volkes Stimme“ zumal im Wahlkampf aber eine Positionierung gegen den deutschen Standort vornehmen würde, und genau das wäre eine linke Euro-Kritik in Deutschland, ist wenig wahrscheinlich. Es dürfte dann eine Position herauskommen, wie sie Wagenknecht in Bezug auf den AfD formulierte.

„Die Leute fragen zu Recht: Warum sollen wir dafür zahlen, dass in Spanien Banken oder Irland gerettet werden? Wobei meist verschwiegen wird, dass wir damit am Ende auch deutsche Banken retten.“

Weil Wahlslogans kurz und prägnant sein sollten, wird der letzte Satz dann auch von links wegfallen. Gerade, weil die Kritiker Lafontaines mit ihrer Populismuskritik wahrscheinlich nicht falsch liegen, müssten sie aber die Herausforderung annehmen und endlich eine linke Euro-Kritik formulieren. Denn die Position, man wolle den Euro verteidigen und sozial gestalten, ist es sicher nicht. Weil die Kräfteverhältnisse dazu momentan nicht vorhanden sind, könnte eine solche Position auch als Verteidigung des deutschen Standorts mit eingeschaltetenm linken Blinker bezeichnet werden.

ww.heise.de/tp/blogs/8/154221
Peter Nowak

Wie schön, eine Grenze!

KLICK Frontex, die Agentur zur Bewachung der EU-Außengrenzen, startet einen Fotowettbewerb

„Ties that Bind: Bridging borders in modern Europe“ – „Schwellen, die verbinden: Vereinende Grenzen im modernen Europa“. So würden wohl die Veranstalter dieses nicht besonders originelle Motto eines Fotowettbewerbs in ihrem Sinne übersetzen. Der Wettbewerb ist Begleitprogramm des Europäischen Tages für den Grenzschutz, einer Konferenz, die am 23. Mai in Warschau stattfindet und auf der Vorträge über „Grenzkontrollen in Zeiten der Krise“ gehalten werden sollen. Veranstalter der Fotoschau wie auch der Konferenz ist Frontex, eine EU-Agentur, die für den Schutz der Außengrenzen der Europäischen Union zuständig ist – und natürlich auch für deren konsequente Schließung.

„Menschenjäger auf Fotosafari“, kommentierten deshalb antirassistische Gruppen im Internet die künstlerischen Ambitionen von Frontex. Stefan Gerbing hingegen würde es begrüßen, wenn sich Frontex in Zukunft ausschließlich auf die Organisierung von Fotowettbewerben beschränken würde. Er ist Redakteur bei der Zeitschrift Prager Frühling, die der Partei Die Linke nahesteht und zur subversiven Beteiligung an dem Wettbewerb aufgerufen hat.

Dass womöglich ein Foto mit antirassistischem Statement in den Wettbewerb kommen könnte, glaubt er jedoch nicht. „Subversion und Ironie waren dort bisher keine üblichen Mittel der künstlerischen Auseinandersetzung“, betont Gerbing. Außerdem bestehe die Jury aus Frontex-Angestellten.

Der Kritiker will auch das Motto des Wettbewerbs kreativ verändern. „Ties that bind“ kann man mit „Schwellen, die verbinden“ übersetzen. Im Englischen bezeichnet man aber auch Kabelbinder als „ties“ und „bind“ heißt auch „fesseln“.

Der erste Preis des Fotowettbewerbs sind übrigens 500 Euro und eine Einladung zur Konferenz nach Warschau.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=fl&dig=2013%2F05%2F03%2Fa0124&cHash=1b0e31abfa7303b88b35dce242b1c320

Peter Nowak

Kein klarer Sieg für Timoschenko vor Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte

Die Untersuchungshaft sei „willkürlich und rechtswidrig“ gewesen, die Beschwerde wegen schlechter Behandlung in der Haft wurde aber zurückgewiesen

Einen Teilerfolg hat die ehemalige ukrainische Ministerpräsidentin Julia Timoschenko vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte heute erzielt. Die Untersuchungshaft der Politikerin im Jahr 2011 sei „willkürlich und rechtswidrig“ gewesen, entschied eine kleine Kammer des Straßburger Gerichts einstimmig. Dadurch habe sich die Ukraine unter anderem der Verletzungen der Menschenrechte auf Freiheit und auf gerichtliche Überprüfung von Freiheitsentziehungen schuldig gemacht.

Allerdings wies das Gericht Timoschenkos Beschwerde wegen schlechter Behandlung in der Haft zurück. Gerade dieser Punkt hat in den letzten Monaten vor allem in der deutschen Medienberichterstattung eine zentrale Rolle gespielt. Die erkrankte Timoschenko war auch von Ärzten aus der Berliner Charité behandelt wurden. Über die Frage, ob Timoschenkos Krankheit die Folge menschenrechtswidriger Haftbedingungen ist oder ob es sich hierbei auch um viel Inszenierung von Seiten der Gefangenen und ihrer vor allem im Westen der Ukraine Lebenden zahlreichen Anhänger handelt, gab es in den letzten Monaten viel Streit. Der wird auch nach der Entscheidung des Gerichts weitergehen. Auffällig ist schon, dass in der ersten Kommentierung der Entscheidung kaum erwähnt wird, dass zumindest die aktuellen Haftbedingungen Timoschenkos nicht Gegenstand der Rüge sind.

Auch die neue Anklage gegen Timoschenko, wo sie wegen eines angeblichen Mordkomplotts an einen wirtschaftlichen Konkurrenten vor Gericht steht, spielte bei der heutigen Entscheidung keine Rolle. Daher dürfte sich auch für Timoschenko wenig ändern. Die ukrainischen Behörden haben angekündigt, das Urteil zu analysieren, wenn die Begründung vorliegt. Auch einen Einspruch haben sie sich offengehalten. Sollte es rechtskräftig werden, könnte Timoschenko Schadenersatz für die unrechtmäßige Untersuchungshaft erhalten. Eine Freilassung ist damit nicht zwingend verbunden. Auch in der Vergangenheit wurden Russland und andere osteuropäische Länder häufiger vom Straßburger Gericht gerügt, ohne dass die Betroffenen deshalb freigekommen wären. Sollte Timoschenko tatsächlich vorzeitig aus der Haft entlassen werden, dann nur, wenn die ukrainische Regierung ihre Beziehungen zur EU verbessern will. Doch das ist gar nicht so sicher.

Machtkampf zwischen Russland und der EU

Schließlich setzt das gegenwärtige ukrainische Regierungsbündnis im Gegensatz zu Timoschenko und ihren Parteienbündnis stärker auf die Kooperation mit Russland als mit der EU. Diese Auseinandersetzung spielt sowohl innerhalb der Ukraine als auch in der hiesigen Medienberichterstattung über die Ukraine eine wichtige Rolle.

Auch die Frage der Menschenrechte ist Teil des Kräftemessens zwischen Russland und der EU um den Einfluss auf die Ukraine. Davon waren auch die ersten Stellungnahmen der Bundesregierung geprägt. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger rief die Ukraine zur Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze auf und sieht in dem Urteil ein Zeichen dafür, dass die Ukraine hier noch einen weiten Weg gehen müsse. Wenn eine Regierung gerügt worden wäre, die eine proeuropäische Orientierung hat, wäre die Kommentierung sicher deutlich zurückhaltender ausgefallen.

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Peter Nowak