Zum transnationalen Streiktag am 1.März gab es Aktionen in mehreren europäischen Ländern.
«Take a Walk on the Workerside» lautete das Motto eines Spaziergangs durch die prekäre Arbeitswelt in Berlin am 1.März. Organisiert wurde er von den «Migrant Strikers», einer Gruppe von italienischen Arbeitsmigranten in Berlin, den «Oficina Precaria», in der sich Kolleginnen und Kollegen aus Spanien koordinieren, und der Berliner Blockupy-Plattform, die in den letzten Jahren die Proteste gegen die Europäische Zentralbank (EZB) und die Eurokrise koordinierte.
Der Aktionstag am 1.März wurde von europäischen Basisgewerkschaften und linken Gruppen bei einem Treffen Mitte Oktober 2015 in Poznan beschlossen, bei dem über transnationale Kooperation im Arbeitskampf beraten wurde (siehe SoZ 12/2015).
Der Schwerpunkt der Aktionen lag in Spanien, Italien und Polen. Die polnische anarchosyndikalistische Arbeiterinitiative IP organisierte in mehreren Städten Kundgebungen gegen Zeitarbeitsfirmen, auf denen die dort praktizierten prekären Arbeitsbedingungen angeprangert wurden. «Wir fordern die gleichen Löhne, die gleichen Rechte und die gleichen Verträge für alle. Ob wir das durchsetzen können, hängt nicht nur von den Managern ab. Wenn wir zusammen agieren, können wir ein Wort bei der Organisation unserer Arbeit mitreden», hieß es im Aufruf der IP. Dort wurde auch auf den Kampf bei Amazon Bezug genommen und eine transnationale Perspektive gefordert. Die IP hat im Amazon-Werk in Poznan zahlreiche Beschäftigte organisiert.
In Deutschland gab es am 1.März nur in wenigen Städten Aktionen. In Dresden organisierte die FAU eine Diskussionsrunde zum Thema «Verteidigung des politischen Streiks» auf einem öffentlichen Platz. In Berlin war der Spaziergang durch die prekäre Arbeitswelt die zentrale Aktion. Startpunkt war die Mall of Berlin, die zum Symbol von Ausbeutung migrantischer Arbeit, aber auch des Widerstands dagegen wurde. Seit 15 Monaten kämpfen acht rumänische Bauarbeiter um den ihnen vorenthaltenen Lohn für ihre Arbeit auf der Baustelle (siehe SoZ 2/2015). Eine weitere Station war ein Gebäude der Berliner Humboldt-Universität. Dort sprach ein Mitglied einer studentischen Initiative, die sich für einen neuen Tarifvertrag für studentische Hilfskräfte einsetzt, über die prekären Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbetrieb.
An dem Spaziergang beteiligten sich auch Beschäftigte des Botanischen Gartens der FU Berlin mit einem eigenen Transparent mit Verdi-Logo. Sie sorgten in den letzten Wochen für Aufmerksamkeit, weil sie gegen die Outsourcingpläne der Unileitung kämpfen. Dazu hat sich ein Solikreis gebildet, an dem Studierende verschiedener Berliner Hochschulen beteiligt sind. In den letzten Wochen organisierte Ver.di zwei Warnstreiks im Botanischen Garten.
Es wurden am 1.März also Beschäftigte mit unterschiedlicher Gewerkschaftsorganisation angesprochen, die sich gerade in Auseinandersetzungen um Arbeitsbedingungen oder Löhne befinden. In Berlin will das kleine Vorbereitungsteam weiterarbeiten. Die nächste Aktion ist am 1.Mai geplant.
Um den neuen Konsens in Europa wird noch kräftig gerungen werden
„Die EU, wir sie sie kennen, ist gescheitert. Das wird auch ein Sondergipfel nicht ändern.“ Diesen Befund verfasste die überzeugte EU-Befürworterin und Gründerin des European Democracy Lab[1], Ulrike Guérot[2] in der aktuellen Ausgabe[3] der Wochenzeitung Freitag. Ihre Analyse ist sehr klar: „Keine Frage ist in den letzten Wochen so oft gestellt worden wie die nach dem Scheitern der Europäischen Union, ja nach ihrem möglichen Untergang. Nicht von Unkenrufern, sondern von europäischen Abgeordneten oder europäischen Premierministern.“
Dann bekräftigt die Autorin noch einmal:
Und ja, die EU ist gescheitert, und jeden Tag wird dieses Scheitern offensichtlicher, greller. Es dringt hartnäckig ins öffentliche Bewusstsein – auch derer, die immer noch meinen, der nächste Adria- oder Ägäis-Urlaub wird der letzte, derer, die immer noch hoffen, der nächste EU-Sondergipfel am 7. März – spätestens der übernächste – hält die Lösung bereit. Eine Weile wird das noch weitergehen, eine Weile weiteres Warten auf den europäischen Godot.
Modell Urban versus Modell Merkel?
So prägnant Guérot den Zustand der EU beschreibt, so schwach ist sie in der Analyse. Was ist eigentlich der Kern der aktuellen Krise der EU? Irreführend wird immer von einer Flüchtlingskrise gesprochen. Nach dieser Lesart besteht die Krise darin, dass die EU keinen gemeinsamen Umgang mit den Zuwanderern findet. Das Bild einer humanistisch gesinnten deutschen Regierung wird gezeichnet, die unter Merkel die Flüchtlinge willkommen heißt und dabei von zunehmend mehr EU-Regierungen sabotiert wird.
Besonders der rechtskonservative ungarische Ministerpräsident wird als Merkels Antipode hingestellt. Während die ungarische Regierung Zäune um das Land bauen lässt, stehe Merkel für ein offenes Europa. Das ist das Bild, das Befürworter und Gegner von Merkel immer wieder zeichnen. Die einen ernennen Merkel zur Kanzlerin der Herzen[4] und diskutieren darüber, erstmals CDU zu wählen. Die Gegner organisieren derweil mit der Parole „Merkel muss weg“ eine personifizierte Kampagne gegen eine Kanzlerin, die mit der rechten Kampagne gegen Willi Brandt Anfang der 1990er Jahre vergleichbar ist. Auch damals tauchten im Neonazimilieu Galgen auf und Parolen wie „Brandt an die Wand“.
Doch durch die Stilisierung von Merkel entweder als Hort der Menschlichkeit oder als „Volksverräterin“ gerät der Charakter der gegenwärtigen EU-Krise in den Hintergrund. Er besteht im Wesentlichen im Unvermögen Deutschlands, in der EU eine Hegemonie herzustellen. Vor nicht allzu langer Zeit schien diese deutsche Hegemonie in der EU unangefochten. Merkel wurde schon zur mächtigsten Frau der Welt erklärt. Selbst Länder wie Italien und Frankreich konnten nicht gegen Deutschland Politik machen.
Führende CDU-Politiker jubelten darüber, dass in der EU deutsch gesprochen wird. Der Höhepunkt der deutschen Macht in Europa war auch der Kippunkt. Es ging um die Unterwerfung der griechischen Regierung unter das Austeritätsdiktat der EU. Deutsche Politiker, in erster Linie Wolfgang Schäuble, haben sich dabei besonders exponiert.
Warnende Stimmen aus verschiedenen europäischen Ländern, die für eine Lockerung des Austeritätsprogramms und für einen Dialog mit der linkssozialdemokratischen griechischen Regierung plädierten, wurden von Deutschland ignoriert. Doch damit hatten die Verantwortlichen in Deutschland ihre Macht überreizt. Die harte Haltung gegenüber Griechenland wurde von Politikern, aber auch von großen Teilen der Bevölkerung vieler europäischer Ländern mit Schrecken betrachtet und erzeugte Widerstand.
Selbst in Frankreich und Italien mehrten sich die Stimmen, die den Umgang der von Deutschland dominierten EU mit Griechenland als Pilotprojekt für andere Länder – und auch für sie selbst – betrachteten. So hat die deutsche Politik im Falle Griechenland einen Pyrrhussieg errungen. Gegen Griechenland konnten sie sich durchsetzen. In vielen anderen Ländern aber wuchs der Widerstand gegen die von Deutschland ausgehende Politik.
Migranten wollen in der Regel nach Deutschland
Dabei ist es auch kein Zufall, dass der Bruch der deutschen Hegemonie in der Frage des Umgangs mit den Migranten so deutlich wurde. Denn die überwiegende Mehrheit dieser Menschen will nach Deutschland und einige andere Kernstaaten der EU migrieren und nicht in die Balkanländer, nach Ungarn oder die Slowakei. Denn ihr Ziel ist ein besseres Leben in Europa und das erhoffen sie sich in den Kernländern.
Wenn nun von Deutschland gefordert wird, die Migranten auf Europa aufzuteilen, wird zunächst der Wille dieser Menschen ignoriert. Sie würden mehrheitlich in Länder verfrachtet, in die sie nicht wollen. Für die Regierungen vieler europäischer Länder bedeutet der Widerstand gegen die Flüchtlingskontingente neben xenophoben und rassistischen Motiven vor allem ein Infragestellen der deutschen Hegemonie über die EU.
Wie gut ihnen das gelungen ist, zeigt das Beispiel Österreich. Lange Zeit haben deren Politiker sich immer im Windschatten der deutschen Politik bewegt und noch im Frühherbst 2015 schien die Wiener Regierung ein guter Partner von Merkel beim Durchwinken der Migranten. Doch diese Transitrolle will die österreichische Regierung nicht mehr einnehmen. Sie hat sich mit ost- und südosteuropäischen Ländern verbündet und damit einen wesentlichen Schlag gegen die deutsche Hegemonie in Europa geführt.
Das Ende des Durchwinkens – der neue europäische Konsens
Nun versucht die deutsche Politik natürlich die verlorene Hegemonie wieder herzustellen. Die Pendeldiplomatie deutscher Politiker der letzten Wochen hatte genau dieses Ziel. Dazu gehören auch die regen Reiseaktivitäten des bayerischen Ministerpräsidenten Seehofer, der vor einigen Tagen in Ungarn zu Gast war. Dabei greift es zu kurz, solche Aktivitäten nur durch die Brille zu sehen, ob sie Merkel nützen oder schaden.
Denn die Kanzlerin sucht natürlich schon längst den neuen europäischen Konsens, um vielleicht wieder die Hegemonie in Europa zu erlangen. Die Zeit des Durchwinkens ist vorbei, könnte dabei der kleinste gemeinsame Nenner werden. Wenn EU-Ratsherr Tusk die Migranten offiziell auffordert, nicht nach Europa zu kommen, so wird das von konservativer Seite als „Bankrott der Merkelschen Politik“ interpretiert[5].
Doch Tusk ist sich mit Merkel darin einig, dass eine massive Reduzierung der Migranten erfolgen muss. Zudem gibt es ähnliche Kampagnen zur Verhinderung von Migration bereits seit Längeren auch von deutschen Stellen beispielsweise in Afghanistan.
Deswegen war auch klar, dass Merkel die Aufforderung aus Österreich, die Migranten direkt von Griechenland nach Deutschland zu bringen, klar zurückweist. Nach einem Gespräch mit dem kroatischen Ministerpräsidenten Tihomir Oreskovic betonte sie, man wolle nun die Politik der EU-Kommission umsetzen, nämlich „die Politik des Durchwinkens beenden“.
Diese Willensbekundung verknüpft Merkel mit einer klaren Drohung gegen die Migranten und ihre Rechte. Es gebe kein Recht für sie, sich auszusuchen, wo sie um Schutz nachsuchen könnten. Die FAZ beschreibt[6], wie die Wiener Regierung auf diese Erklärung von Merkel reagierte.
In Wien reibt man sich in den Regierungsstellen die Augen: Das sei doch genau die österreichische Position. Nichts anderes wolle man: Registrierung und Warten der Flüchtlinge in Griechenland oder besser noch vor der EU-Außengrenze, und dann gegebenenfalls Weiterverteilung einiger Kontingente in die aufnahmewilligen Länder. Doch müsse klar sein, was Merkel nicht hinzugefügt habe: Dass die Flüchtlinge nicht in Griechenland bleiben würden, wenn sie nicht dazu gezwungen wären – durch die von Österreich initiierte Schließung der Balkanroute.
Um den neuen Konsens in Europa wird in der nächsten Zeit noch kräftig gerungen werden, sicher auch auf dem morgigen EU-Gipfel. Doch schon ist klar, die Rechte der Migranten werden noch mehr angegriffen. Darauf hat die Refugee-Welcome-Bewegung keine Antwort, die oft selber in die Falle gegangen ist, Merkel als Exponentin von offenen Grenzen zu loben. Es gab in diesen Kreisen schon keine klare Haltung zur deutschen Forderung nach europäischen Flüchtlingskontingenten. Teilweise wurde diese Forderung sogar befürwortet.
Die Staaten, die sich verweigern, galten als die Gegner. Die Tatsache, dass die meisten betroffenen Migranten nicht in diese Länder wollen, wurde ignoriert. So macht sich die Refugee-Welcome-Bewegung ungewollt zu Unterstützern der deutschen Hegemonie in der EU.
Jetzt wo die Grundanlagen neu ausgehandelt werden, müsste eine Forderung nach einem Transfer von Migranten aus Griechenland nach Deutschland im Mittelpunkt stehen. Damit würde das Recht auf Migration gestärkt, ohne Rücksicht auf die innereuropäischen Kämpfe um Hegemonie.
Hg.: Florian RötzerDer halbe Hegemon Die Rückkehr der „deutschen Frage“ und die Lage der EU Als eBook[7] bei Telepolis erschienen
Der Pegida-Ableger in Potsdam musste am Mittwochabend eine weitere Niederlage einstecken.
Mit dem Absingen aller drei Strophen des Deutschlandliedes endete am gestrigen Mittwoch gegen 20.00 Uhr ein erneuter Versuch von „Pogida“, in der Brandenburger Landeshauptstadt Fuß zu fassen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Dauerkundgebung wegen des schlechten Wetters schon erheblich dezimiert. Nur noch knapp 20 Unermüdliche harrten noch aus. Zwei Stunden vorher hatten sich rund 100 Teilnehmer beim Bahnhof Medienstadt Babelsberg versammelt. Neben dem obligatorischen Transparent, auf dem für die rechtspopulistische Webseite „PI-News“geworben wird, war auch eine Gruppe mit der einem Transparent vertreten, auf dem stand: Wir sind keine Nazis – Bürgerprotest gegen die Migrationspolitik der Bundesregierung“.
Nach einer kurzen Ansprache des Pogida-Anmelders Christian Müller beschwerte sich ein Redner aus Teltow, dass jetzt massenhaft Wohnungen für Flüchtlinge gebaut würden: „Schlichtwohnungsbau nennt sich das. Wir Deutschen müssen unsere Häuser aber immer noch nach deutschem Baurecht bauen“, lamentierte er. Die Demonstration stoppte alsbald nach wenigen Metern, weil hunderte Menschen die Route blockierten. Dann stellte sich gar heraus, dass Pogida wieder umkehren und zum Ausgangspunkt zurückkehren musste. Die Polizei weigerte sich, die Blockaden zu räumen, weil sich auch viele Kinder und Familien unter den Protestierenden befanden.
Der „patriotische Freund“
Nun mussten die Pogida-Teilnehmer mit dem Gastredner Enrico Graziani vorliebnehmen, der auch schon zuvor in Potsdam geredet hatte. Dafür wird er von Pogida-Anhängern als „Amici patrioti di Potsdam“ bezeichnet. Sie applaudierten ihm für Sätze: „Die Flagge des Islam wird niemals über Europa wehen“ und „Deutschland braucht wieder Grenzen“. Bekannt wurde Graziani als Redner beim Leipziger Pegida-Ableger „Legida“. Dort hatte er erklärt, die aktuellen Fluchtbewegungen würden von langer Hand geplant, um Europa zu destabilisieren und einen Bevölkerungsaustausch durchzuführen. In Interviews begründet Graziani seine Aktivitäten mit seiner Rolle als Familienvater, der dafür sorgen wolle, dass seine Kinder weiter in Freiheit leben könnten.
Auch der erneute Misserfolg hielt Pogida-Anmelder Christian Müller nicht davon ab, weitere Aktionen anzukündigen. „Dann wollen wir sie mal an ihre Grenzen bringen. Babelsberg ist groß, mir fallen da viele schöne Ecken ein“, wird Müller in der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ (MAZ) zitiert.
Beim Betriebsrat hört für einen Online-Händler der Spaß auf
Computerspiele boomen und das Berliner Unternehmen Konsolenkost gehört zu den Firmen, die alles liefern können, was das Gamerherz begehrt. Spezialisiert hat sich der Online-Händler auf den Verkauf von Retrokonsolen. In der Vergangenheit scheint die Geschäftsführung aber auch in der Frage der gewerkschaftlichen Mitbestimmung zu leben. Im Herbst letzten Jahres ergriffen Mitarbeiter der Firma die Initiative und wollten einen Betriebsrat gründen. Am 21. Oktober 2015 fand die Betriebsratsversammlung in Anwesenheit des zuständigen verdi-Sekretärs Sebastian Triebel statt. Doch ein Betriebsrat wurde bis heute nicht gewählt. Sechs der sieben Mitglieder des Wahlvorstandes sind heute nicht mehr im Betrieb. Ihnen wurde aus unterschiedlichen Gründen gekündigt. Einige haben mittlerweile Abfindungen bekommen, bei anderen sind die gerichtlichen Verfahren noch nicht abgeschlossen.
Patrick Neuhaus war einer der Initiatoren des Betriebsrates. Insgesamt zweieinhalb Jahre arbeitete er bei Konsolenkost. Dass die Initiative für mehr Mitbestimmung bei der Geschäftsführung auf so viel Widerstand stieß, kann Neuhaus bis heute nicht verstehen. Man dürfe den Wunsch nach einem Betriebsrat nicht mit einem Misstrauensvotum verwechseln. »Wir wollten schlicht und einfach dazu beitragen, dass die Belegschaft in Fragen der Arbeitsorganisation, der Arbeitszeit und des Arbeitsschutzes mitbestimmen kann, wie es der Gesetzgeber vorsieht«, betont Neuhaus das Anliegen. »Ein Betriebsrat ist gelebte Demokratie.«
Doch nach Angaben der Mitarbeiter hat die Mitbestimmungsinitiative das Klima im Betrieb extrem verschlechtert. Die Arbeitszeit, der in dem Betrieb beschäftigten Werkstudenten sei gedrosselt worden, mündliche Absprachen über die Arbeitszeiten seien widerrufen, berichten ehemalige Mitarbeiter, die nicht namentlich genannt werden wollen. Eine Woche nach der Betriebsversammlung seien die Arbeitsrechner von zwei Mitgliedern des Wahlvorstands im laufenden Betrieb abgebaut und entfernt worden. Vor der Einsetzung des Wahlvorstands habe ein lockerer Umgangston in dem Unternehmen geherrscht. Privatgespräche seien kein Problem gewesen. Doch nach der Betriebsversammlung habe sich das geändert. Zunächst seien die Mitarbeiter von der Geschäftsführung aufgefordert worden, die Privatgespräche zu minimieren. Mittlerweile seien sie während der Arbeitszeit untersagt. Es habe gegen Mitarbeiter Abmahnungen gegeben, weil sie gegen die Anweisung verstoßen haben sollen.
Der zuständige verdi-Sekretär Triebel bestätigte gegenüber »nd« die vergeblichen Versuche bei Konsolenkost im Herbst 2015 einen Betriebsrat zu installieren. Wegen noch laufender Verfahren wollte er sich zu den Vorwürfen gegen das Unternehmen nicht im Detail äußern. Die Geschäftsführung von Konsolenkost reagierte nicht auf eine Anfrage.
Eine fortschrittliche Linke muss sich jeder Nation verweigern und jedem Krieg eine Absage erteilen.
Anfang der neunziger Jahren wurde in antideutschen Kreisen für Linke, die ohne jeglichen gesellschaftlichen Einfluss immer ein Repertoire an Vorschlägen für die Lösung der Konflikte in aller Welt parat hatten, der schöne Begriff des Fernfuchtlers geprägt. Nach den islamistischen Anschlägen vom 11. September 2001 wurden einige vormalige Antideutsche selbst Fernfuchtler. Spätestens als die Zeitschrift Bahamas im April 2003 den US-Präsidenten zum »Man of Peace« kürte und die schnelle Niederlage des Ba’ath-Regimes nicht nur feierte, sondern damit die Hoffnung auf ein Ende der antisemitischen Internationale verband, war klar, dass ein Teil dieser Strömung es nicht mehr bei Ideologiekritik belassen wollte. Nach den Anschlägen von Paris schwingt sich die Fernfuchtler-Fraktion zu neuen Höhenflügen auf. Bereits im Dossier der Jungle World 48/2015 blies Matthias Küntzel zum großen Krieg und unterschied sich in seinen Argumentationen kaum vom rechten Flügel der US-Republikaner. So warf er US-Präsident Obama eine Politik der »Selbstentmachtung« und der »Selbstdemütigung« vor. Ausgeblendet hat er dabei, dass Obama mit seiner Politik auf das völlige Scheitern der Außenpolitik seines Vorgängers reagierte und nachvollzog, was große Teile der US-Bevölkerung nach der Ende der Bush-Ära einforderten. Bushs außenpolitische Bilanz war geprägt von einer wachsenden Zahl toter US-Soldatinnen und -Soldaten. Die toten Zivilisten vor Ort spielten für den Kurswechsel eine geringere Rolle. Die größte Selbstdemütigung der USA, zumindest für die Menschen, für die ihre Gründungsdokumente noch eine Bedeutung hat, waren sicherlich die Foltermethoden von Guantánamo bis Abu Ghraib. Hier wurde übrigens auch auf vielfältige Art und Weise gesät, was die unterschiedliche Islamistenfraktionen später ernten konnten. Der sogenannte Islamische Staat (IS) ist nur die zurzeit bekannteste dieser islamfaschistischen Bewegungen.
Es sind ganz konkrete Maßnahmen, wie die Auflösung der irakischen Armee nach dem Sturz des Ba’ath-Regimes, die erklärbar machen, wie eine Gruppierung wie der IS so stark werden konnte. Und die Bilder von Abu Ghraib und Guantánamo haben dazu beigetragen, dass in vielen arabischen Ländern und längst nicht nur in islamistischen Kreisen jegliches Vertrauen in die US-Politik verloren ging. Ist schon vergessen, dass nach 2001 nicht wenige tatsächliche oder vermeintliche Islamisten für die Schmutzarbeit an die Häscher des syrischen Regimes übergeben wurden? So bediente sich der Westen genau der Terrormethoden des syrischen Regimes, die heute so wortreich beklagt werden. Von alldem lesen wir bei Küntzel nichts, der den Westen zum ganz großen Kampf gegen die von ihm so bezeichnete »Koalition der Wahnsinnigen« aufruft. Diese umfasst die Hamas, die Hizbollah, al-Qaida, den IS und den Iran. All diesen Akteuren wird niemand eine Träne nachweinen.
Die Leidtragenden einer Intervention in Syrien wären neben den vielen Zivilisten auch die Israelis. Es ist ein Glück für Israel, dass die islamistischen Kräfte untereinander zerstritten sind. Eine vereinigte islamistische Front würde erst geschmiedet, wenn jemand mit Macht, vielleicht ein US-Präsident Donald Trump, Küntzels Vorschlag umsetzen wollte. Für Israel wäre das eine große Gefahr. Es ist auffallend, dass in Küntzels Aufzählung der Wahnsinnigen Saudi-Arabien nicht auftaucht. Dabei hat das Regime bei der Praktizierung von Terror nach innen und Islamismusexport nach außen den Iran längst eingeholt. Gehört das Land jetzt nach Küntzels Meinung zu den wesentlichen Verbündeten des Westens?
Auch Gerhard Scheit erweist sich in seinem Beitrag in der Jungle World 49/2015 als Fernfuchtler mit globalem Anspruch. Allein der Vorwurf des Appeasements gegen Politiker, die nicht überall Bomber hinschicken wollen, macht deutlich, wie sehr er in militärstrategischen Kategorien denkt. Da ist für zivilgesellschaftliche, geschweige denn herrschaftskritische Gedanken kein Platz mehr. Das wird deutlich, wenn Scheit es begrüßt, dass »der NSA-Skandal« nach den Anschlägen von Paris »von deutschen Moralaposteln und grünen Politikern natürlich abgesehen, kaum noch jemanden interessiert«. Nun kann man mit Recht an dem Mainstream der deutschen NSA-Debatte kritisieren, dass sie die Überwachungsmethoden deutscher Dienste bagatellisierte, von Antiamerikanismus geprägt war und die angeblich nicht vorhandene deutsche Souveränität beklagte. Wenn aber der Protest gegen die NSA-Überwachung für nebensächlich gehalten wird, zeigt dies doch vor allem, dass die individuellen Grundrechte – und dazu gehört das Recht, nicht abgehört zu werden – auf der Strecke bleiben, wenn das Fernfuchteln beginnt.
Und nicht nur das. Nach den Anschlägen von Paris wollten plötzlich von einer Kritik an der omnipräsenten französischen Fahne auch solche Menschen nichts mehr hören, die eigentlich immer eine klare Kritik an Staat und Nation geübt haben. Dabei entscheidet sich gerade dann, wenn der Ausnahmezustand ausgerufen wird, was diese Kritik wert ist. Denn dann werden von der Herrschaft die Toleranzgrenzen eng gezogen, und es kann sogar strafrechtlich sanktioniert werden, wenn man an der alten Staatskritik festhält. Da wird historisch argumentiert, dass es die Fahne der französischen Revolution ist. Doch die französische Fahne bedeutet einen nationalen Schulterschluss, bei dem dann zumindest kurzfristig die innergesellschaftlichen Widersprüche, wie den Kampf gegen die Rechte in Gestalt des Front National (FN), aber auch Arbeitskämpfe an Bedeutung verlieren.
Die französische Fahne zu zeigen, bedeutet auch zu schweigen über ein anderes Pariser Massaker, bei den am 17. Oktober 1962 Hunderte Teilnehmer einer von der französischen Regierung verbotenen Demonstration für die algerische Unabhängigkeitsbewegung FLN ermordet und wurden. An solche und andere Verbrechen der Nation gerade in Zeiten zu erinnern, in denen zum nationalen Schulterschluss aufgerufen wird, gehört zu der wichtigsten Aufgabe einer Linken, die ihre Kritik an Staat, Nation und Kapitalismus ernst nimmt. Sie erkennt als erstes ihre völlige Machtlosigkeit und unterlässt jedes Fernfuchteln.
Nur eine Linke, die sich in Zeiten des Notstands und des Ausnahmezustands verweigert, wenn zur Vereinigung unter den unterschiedlichen Nationalfahnen aufgerufen wird, wird in der Lage sein, einen widerständigen Block zu bilden, der die Barbarisierungspotentiale im Zerfallsprozess des Kapitalismus analysiert und bekämpft. Dazu gehört der Klerikalfaschismus, wovon die unterschiedlichen islamistischen Gruppen nur die Speerspitze bilden. Dazu gehören aber auch die unterschiedlichen faschistischen oder nationalistischen Gruppierungen, die in ganz Europa anwachsen.
Eine Linke, für die die Kritik an Staat, Kapital und Nation kein Schönwettergeschwätz ist, sollte dazu beitragen, dass diese Zusammenhänge erkannt und der Widerstand gegen die beiden Formen der extremen Krisenreaktionen des Kapitalismus in den Stadtteilen organisiert wird, in denen die Menschen leben, die heute oft nicht einmal mehr vom Kapitalismus ausgebeutet werden. Es sind die Stadtteile, die in den vergangenen Jahren mehr und mehr zum Wählerpotential rechter Bewegungen wurde. Es sind auch Quartiere, in denen die überwiegende Mehrheit der islamfaschistischen Attentäter leben. Man braucht also nicht Bomber in den Nahen Osten zu schicken, wenn man die unterschiedlichen Spielarten des Faschismus bekämpfen will. Diese Klärungs- und Organisationsprozesse sollten in den europäischen Kernländern geführt werden. Doch dazu braucht es eine antagonistische Linke, die nicht durch die Zusammenarbeit mit der Macht diskreditiert ist. Historische Reminiszenzen sollten sicher nicht überstrapaziert werden. Doch diese antagonistische Fraktion der Linken kann sich ein historisches Vorbild an der Zimmerwalder Linken nehmen, sich mitten im Ersten Weltkrieg in einem Meer von Nationalismus, Chauvinismus und Kriegsbegeisterung die entschiedenen Kriegsgegner sammelten. Bei allen zeitbedingten Unterschieden sind zwei Grundsätze der Zimmerwalder heute aktueller denn je: die Absage an die Kriege der Herrschenden nach außen und an die Politik des Burgfriedens nach innen.
Finanzielle Förderung durch einen konstruierten Extremismusverdacht in Frage gestellt
Ausgerechnet ein früherer LINKE-Politiker wärmt einen Extremismusverdacht der Bundesfamilienministeriums auf und bringt ein linksalternatives Jugendzentrum in Cottbus damit in Bedrängnis.
Der Name »Zelle 79« klingt für manche Ohren vielleicht nach Gefängnis. Für die linksalternative Szene in der Lausitz ist es aber ein wichtiger Freiraum für ihre Subkultur. Das Jugendkulturzentrum hat sich nach seinem Standort in der Cottbuser Parzellenstraße 79 benannt. Die Themenpalette der in dem Haus stattfindenden Aktivitäten ist groß, wie ein Blick auf den aktuellen Veranstaltungskalender zeigt. Für die nächsten Wochen sind Solidaritätspartys für Flüchtlinge sowie Diskussionen zu sozialen und antifaschistischen Themen geplant.
Seit einigen Wochen plagen die Mitarbeiter und Nutzer des Kulturzentrums Zukunftssorgen. Auf der letzten Stadtverordnetenversammlung Mitte Dezember stellte der fraktionslose Stadtverordnete Jürgen Maresch, von Beruf Bundespolizist, die finanzielle Förderung des Projektes zur Diskussion. Er habe über die »Zelle 79« recherchiert und dabei auf deren Webseite einen Link zur Wochenzeitung »Jungle World« entdeckt, ließ er wissen. Die Verfassungstreue der Zeitung stellte er infrage. Dabei berief er sich auf eine Antwort des Bundesfamilienministeriums auf eine parlamentarische Anfrage aus dem Jahre 2012. Damals war das Ministeramt von der konservativen CDU-Politikerin Kristina Schröder besetzt, die sich den Kampf gegen angeblichen linken Extremismus auf die Fahnen geschrieben hatte.
In der »Jungle World« sind Mareschs Quelle zufolge »Hinweise auf Veranstaltungen aus dem linksextremistischen Spektrum« zu finden. Zudem greife die Wochenzeitung »regelmäßig Themen aus dem linksextremen Spektrum« auf.
Maresch, der ab 2009 mehrere Jahre der Linksfraktion im Landtag angehörte, stieß mit seinen unabgesprochenen Initiativen die damaligen Fraktionskollegen immer wieder vor den Kopf. Er handelte oft aus dem Bauch heraus. Manche seiner Vorstöße kollidierten mit der Linie der Partei. So machte er zum Beispiel Front gegen die Rote Hilfe und lehnte eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten strikt ab.
Bei der Kommunalwahl 2014 wurde Maresch noch für die LINKE ins Cottbuser Stadtparlament gewählt, doch die dortige Linksfraktion weigerte sich, mit ihm zusammenzugehen. Mittlerweile ist Maresch aus der Partei ausgetreten und dem Landtag gehört er auch nicht mehr an.
Seine Anfrage zur »Zelle 79« habe nichts mit links oder rechts zu tun, beteuerte er. »Nach den Ereignissen in Leipzig, wo zahlreiche Kollegen von mir verletzt worden sind, sehe ich mich sehr wohl im Recht, diesbezüglich da nachzufragen, ohne dass man hier gleich irgendwelche Unterstellungen erfährt«, begründete Maresch sein Nachfragen. In Leipzig war es im Dezember bei Protesten gegen einen Neonaziaufmarsch zu Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen.
»Wo der Zusammenhang zum Engagement des ›Vereins für ein multikulturelles Europa‹ besteht, bleibt offen«, erklärte Erika Schmidt von diesem Trägerverein der »Zelle 79«. Bei Mitarbeitern und Unterstützern des Zentrums stößt Maresch Vorstoß auf völliges Unverständnis.
Da auch Stadtverordnete der CDU Bedenken gegen die weitere Förderung der Zelle 79 äußerten, wurde die Entscheidung vertagt. Auf der Sitzung des Jugendhilfeausschusses am 4. Januar haben sich Vertreter verschiedener Parteien für eine weitere Förderung des Projekts ausgesprochen. Entschieden wird allerdings erst bei der nächsten Stadtverordnetenversammlung am 27. Januar. Bis dahin wollen die Mitarbeiter weiter für ihre Sache mobilisieren. Es dürfe nicht sein, dass durch unbegründete Unterstellungen ein wichtiges Projekt im schlimmsten Fall nicht mehr unterstützt wird, betonte Erika Schmidt.
»Paradies für Touristen – Hölle für die Arbeiter« und »Pay the Workers« riefen die knapp 20 Menschen mit den schwarz-roten Fahnen. Die Basisgewerkschaft »Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union« (FAU) hatte am Abend des 24. Oktober vor dem Restaurant »Cancún«, direkt neben dem Fernsehturm am Alexanderplatz, zur Unterstützung eines Barkeepers aufgerufen, der Urlaubs- und Lohnansprüche im vierstelligen Bereich geltend machte. Der Mann hatte im »Cancún« seit Oktober 2014 gearbeitet, bevor er im Juli 2015 wegen andauernder Unregelmäßigkeiten bei den Lohnzahlungen und Arbeitsstunden kündigte.
Doch der Geschäftsführer des Cancún hatte seine Freunde mobilisiert, die vor dem Restaurant standen und »Wir sind die Steuerzahler« riefen. Zudem mokierten sie sich darüber, dass bei der FAU-Kundgebung die Kollegen nicht alle hochdeutsch sprachen. Unterdessen hatte der ungewöhnliche Arbeitskampf viele Passanten neugierig gemacht. Nach einer knappen Stunde kam ein Vertreter des Geschäftsführers und zahlte den ausstehenden Lohn aus. In bar und unter freiem Himmel. Danach beendete die FAU ihre Kundgebung.
Für die FAU war der Ausgang des Arbeitskampfes ein Erfolg auf ganzer Linie. Schließlich konnte die Gewerkschaft einmal ein Instrument aus der syndikalistischen Tradition erfolgreich anwenden: die direkte Aktion. Der zeitaufwändige Weg durch die juristischen Instanzen wurde vermieden, weil der Beschäftigte den ausstehenden Lohn direkt ausgezahlt bekommen hat. Ob vielleicht einige der neugierigen Passanten durch das Beispiel motiviert wurden, an ihrer eigenen Arbeitsstelle nicht alles hinzunehmen, wird sich zeigen. Auf einer Veranstaltung im Berliner FAU-Lokal jedenfalls wurde betont, dass der Gastronomiesektor ein Experimentierfeld für geringen Lohn und schlechte Arbeitsbedingungen ist.
JUSTIZ Gericht stellt Verfahren gegen bekannte Anti-Nazi-Aktivistin wegen Beleidigung ein
Den Rechten den Mittelfinger zeigen wollen in diesen Tagen viele. Zumindest bei I bleibt das auch straffrei. Sie hatte sich am 31. Januar an Protesten gegen eine Kundgebung der rechtsextremen NPD in Blankenfelde im Landkreis Teltow-Fläming beteiligt. Als Zeichen der Missbilligung hatte sie ihren Mittelfinger in Richtung des rechten Aufmarschs in die Höhe gestreckt. Einer der Teilnehmer erkannte offenbar die bekannte 1945 geborene Anti-Nazi-Aktivistin und erstattete daraufhin Anzeige.
Strafbefehl über 450 Euro
Mensah-Schramm erhielt wegen Beleidigung einen Strafbefehl über 450 Euro. Dagegen legte sie Widerspruch ein. Eigentlich
sollte an diesem Donnerstag vor dem Amtsgericht Zossen darüber verhandelt werden, ob das Strecken eines Mittelfingers – sprich des Stinkefingers – in Richtung einer rechten Kundgebung strafbar ist. Doch einen Tag vorher stellte die Richterin das Verfahren ein und sagte den Termin ab. Man habe dies „wegen geringem Verschulden und fehlendem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung entschieden, teilte eine Sprecherin des Gerichts am Mittwoch mit. Martin Vesely vom Verein Opferperspektive aus Potsdam sieht die Einstellung als Erfolg. Er kann nicht verstehen, warum es überhaupt zum Strafbefehl gekommen ist. Es sei klar, dass nach einer Anzeige ermittelt werden muss. Dass aber das Verfahren nicht bereits in der Anfangsphase eingestellt wurde, sei ein Rätsel. „Betroffene rechter Gewalt müssen teilweise jahrelang auf die prozessuale Verfolgung der Gewaltstraftaten warten. Eine Frau, die für ihr langjähriges zivilgesellschaftliches
Engagement gegen rechte Propaganda sogar mit dem Göttinger Friedenspreis ausgezeichnet wurde, sollte dagegen wegen einer Lappalie einer Strafverfolgung ausgesetzt werden“, sagte Vesely der taz. Die seit 1969 in Berlin lebende Irmela Mensah-Schramm entfernt
seit Mitte der 80er Jahre in der gesamten Republik Neonaziaufkleber. Dafür wurde sie vielfach gelobt und ausgezeichnet, geriet aber immer wieder ins Visier von Neonazis, die sie bedrohten und auch körperlich attackierten.
Viele von der Ausspähung durch Polizeispitzel Betroffene suchten den Rechtsweg und bekommen auch Recht. Doch ob damit das Spitzelwesen eingedämmt werden kann, ist noch offen
Der Einsatz eines verdeckten Ermittlers im Jahr 2010 gegen die linke Szene in Heidelberg war nachweislich umfassend rechtswidrig: Das entschied das Verwaltungsgericht Karlsruhe [1] am Mittwoch. Damit setzten sich die sieben von der Bespitzelung Betroffenen durch, die die Klage ins Rollen brachten. So fand ein Spitzeleinsatz gegen linke Strukturen noch eine juristische Bewertung, der 2010 für Aufsehen sorgte [2].
Simon Bromma war in die linke Szene Heidelbergs eingeschleust worden und sollte eine antifaschistische Gruppe ausspähen. Doch Simon Brenner, wie der Alias-Namen von Bromma lautete, suchte auch Kontakt zu linken studentischen Initiativen und beteiligte sich auch an bundesweiten Bündnistreffen. Nach knapp 9 Monaten endete die verdeckte Arbeit von Bromma, als er durch Zufall enttarnt wurde.
Eine Urlaubsbekanntschaft erkannte den vermeintlichen Germanistikstudenten als Polizisten und informierte seine neuen Bekannten und vermeintlichen Freunde. Die stellten den vermeintlichen Genossen zur Rede, der innerhalb kurzer Zeit seine Spitzeltätigkeit einräumte und aus Heidelberg verschwand.
2014 hat dann die Frankfurter Rundschau den enttarnten Spitzel wieder entdeckt [3]. In Zeitungsanzeigen versprach er als alternativer Reiseveranstalter Mountainbikegruppen „Spannung, Spaß und Schokolade“ bei Touren durch die Alpen.
Die von der Ausspähung Betroffenen gründete den Arbeitskreis Spitzelklage [4], die am gestrigen Mittwoch erfolgreich war. Die Vorsitzende Richterin des Karlsruher Verwaltungsgericht Anna Mayer konnte keine konkrete Gefahr bei einem der beiden Zielpersonen der Ausspähung sehen. Die konkrete Gefahr einer Straftat mit erheblicher Bedeutung ist aber die Voraussetzung für den Einsatz eines verdeckten Ermittlers der Polizei.
Michael Dandl, der eine der Zielpersonen war, auf die Bromma angesetzt werden sollte, erklärte gegenüber Telepolis der AK Spitzelklage werde nun beratschlagen, ob die Betroffenen Klagen auf Schadenersatz wegen der unrechtmäßigen Überwachung einreichen. Der AK sieht im juristischen Weg vor allem einen Teil des politischen Kampfes gegen die Überwachung linken Zusammenhänge.
Etwas Sand in das Getriebe des Überwachungsapparates streuen
„Wir können den Repressionsorganen damit etwas Sand ins Getriebe streuen“, hofft Dandl. Doch mit der außerparlamentarischen Widerständigkeit hapert es etwas. Die AG Spitzeleinsatz hatte am vergangenen Samstag in Heidelberg eine Demonstration organisiert, hätte sich aber eine größere Beteiligung [5]gewünscht. Neben den Semesterferien, die in der Universitätsstadt Heidelberg die politische Arbeit erschweren, könnte auch die Häufung von Spitzeleinsätzen gegen linke Zusammenhänge zu einer Abstumpfung beigetragen haben.
Sehr bekannt geworden ist der europaweit agierende Polizeispitzel Mark Kennedy, der in Großbritannien weiterhin die Gerichte beschäftigt [6]. Der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko hatte in einem Brief an die britische Justiz darauf hingewiesen [7], dass Kennedy auch in Deutschland linke Zusammenhänge ausspioniert hat. Zudem hat er freundschaftliche Beziehungen zu Frauen aus den außerparlamentarischen Bewegung geknüpft.
Mehrere der Betroffenen haben Klagen eingereicht. Auch in diesem Fall ist das öffentliche Interesse in Deutschland zurückgegangen. Dabei böten doch gerade die juristischen Schritte in Großbritannien eine gute Gelegenheit, auch hierzulande den Druck zu erhöhen. Man würde sich wünschen, dass ein Teil der medialen Empörung, die die NSA-Überwachung in Deutschland auslöste, auch auf Bespitzelungen verwendet würde, bei dem keine US-Stellen involviert sind.
Es muss sich noch zeigen, ob die optimistische Einschätzung des AK Spitzelklage Bestand hat, die das gestrige Urteil so kommentierten [8]:
Das Urteil ist eine schallende Ohrfeige für einen Repressionsapparat, der sich für allmächtig hält und seine Befugnisse im Verborgenen immer weiter ausbaut.
Undercover-Polizeibeamtin in Hamburg aufgedeckt
Es stimmt schon, dass juristisch schon mehrere Spitzeleinsätze nachträglich für rechtswidrig erklärt wurde. Ähnlich wie es auch häufig mit harten Polizeieinsätzen geschah. Doch genau so wenig wie damit für die Zukunft ausgeschlossen werden kann, dass die Polizeieinsätze weiter repressiv bleiben, so kann auch eine Zurückweisung von Bespitzelungen nicht verhindern, dass in anderen Fällen weiter linke Zusammenhänge ausgeforscht werden.
So wurde von einer linken Recherchegruppe in Hamburg erst vor wenigen Tagen die verdeckte Polizeibeamtin Maria Böhmichen enttarnt [9], die unter dem Namen Maria Block zwischen 2010 und 2012 in linken Zusammenhängen Hamburgs aktiv war und auch internationale Bündnistreffen besuchte.
Erst vor knapp einen Jahr war in Hamburg die verdeckte Ermittlerin Iris Schneider enttarnt worden [10]. Sie hat unter Anderem lange beim Freien Sendekombinat aktiv mitgearbeitet [11]. Die Betroffenen haben ebenfalls Klage gegen die Bespitzelung eingeleitet.
Bei der Kundgebung des Berliner Pegida-Ablegers waren am gestrigen Montag neben dem Münchner Islamhasser Michael Stürzenberger auch rund 20 Hooligans dabei.
Knapp 100 Menschen hatten sich Montag zum 28. „Abendspaziergang“ von Bärgida am Rande des Berliner Hauptbahnhofs getroffen. Das Mitglied der Partei „pro Deutschland“ Karl Schmitt ging in der Eröffnungsrede auf die Anschlagsserie im Regierungsviertel mit rechtem Hintergrund ein. Erst vor wenigen Tagen war ein Täter verhaftet worden. Der 48-Jährige wurde am Montagmorgen tot im Gefängnis aufgefunden. Schmitt spekulierte am Abend über eine „eine vom Verfassungsschutz gestellten Szene, welche mit Bärgida in Verbindung gebracht werden könnte“. Allerdings zog bisher eine solche Verbindung nur Schmitt selbst.
Neben Deutschlandfahnen zeigte beim „Abendspaziergang“ die „Identitäre Bewegung“ gleich mit unterschiedlichen Farbenkombinationen Flagge. Die Online-Plattform PI-News war wie in der Vergangenheit bei den Aufmärschen der Berliner Pegida-Ableger mit einem Transparent mit der Parole „Die Islamisierung Europas stoppen“ vertreten. Auf selbst gemalten Schildern gab es weitere Beispiele der extrem rechten Islamkritik: „Der Islam gehört zu Deutschland wie die Reeperbahn nach Mekka!“ oder „Der Islam fügt ihnen und ihren Angehörigen Schaden zu“, hieß es dort.
Grußworte von Legida und Pegida
Auf einem weiteren Schild wurde zum „ Kampf gegen Links“ aufgerufen. Der stand auch im Mittelpunkt einer von vielen Tiraden über die „linke SA“ und „links versiffte Antifa“ durchsetzte Rede des häufigen Bärgida-Redners René. Im Anschluss entwarf ein junger Mann, der sich als Mario vorstellte, ein globales Verschwörungsszenario. Danach soll eine Obama-Rede in Kairo die unter dem Begriff arabischer Frühling bekannt gewordenen Aufstände ausgelöst haben. Die wiederum führten zu einer Flüchtlingsbewegung, um Europa zu überschwemmen. Das soll eine britische Zeitung bereits vor Jahren enthüllt haben. Grußworte gab es am Montag auch von Legida aus Leipzig und Pegida Deutschland. Deren Redner kündigte für die Bundestagswahl 2017 nach dem Vorbild Dresden eine Kandidatur der Pegida-Bewegung an.
Das Publikum in Berlin hörte bei den Reden nur mäßig interessiert zu. Stimmung kam auf, als die Polizei rund 20 rechte Hooligans zu der Kundgebung geleitete, die von Schmitt als „unsere lieben Sportsfreunde“ willkommen geheißen wurden. Zudem sei auch die Verpflegung gesorgt. Neben Wasser stünde auch Bier in Plastikflaschen gegen eine Spende bereit. Nachdem sich der Zug vom Hauptbahnhof zum Brandenburger Tor bewegt hatte, sprach der als Stargast angekündigte Münchner Rechtspopulist Michael Stürzenberger von der Kleinstpartei „Die Freiheit“. Wie seine alle seine Reden geißelte er den Islam und seine angeblichen Unterstützer.
Auch in der EU und in den USA gibt es Einreiseverbotslisten
Für den Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit ist ein Einreiseverbot keine neue Erfahrung. Schließlich wurde er als „deutscher Anarchist“ 1968 aus Frankreich ausgewiesen und durfte ein Jahrzehnt nicht in das Land einreisen, in dem er geboren wurde und 13 Jahre seiner Kindheit verbracht hatte.
Im letzten Jahr soll gegen den ehemaligen Odenwaldschüler ein neues Einreiseverbot verhängt worden sein. Dieses Mal nach Russland. Er gehört nämlich zu den 89 Politikern und Behördenvertretern aus verschiedenen EU-Staaten, deren Namen auf einer geleakten Liste [1] stehen. Zu den dort aufgeführten Personen gehören auch Verteidigungsstaatssekretärin Katrin Suder, die Bundestagsabgeordneten Michael Fuchs und Karl-Georg Wellmann (beide CDU), der CSU-Politiker Bernd Posselt, die Grünen-Europaparlamentarierin Rebecca Harms und der Inspekteur der deutschen Luftwaffe, Karl Müllner.
Auch Politiker und Spitzenbeamte aus anderen EU-Staaten stehen auf der Liste, darunter der stellvertretende polnische Verteidigungsminister Robert Kupiecki, der Vorsitzende der liberalen Fraktion im Europaparlament, Guy Verhofstadt, der frühere tschechische EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle und der bisherige britische Vize-Premierminister Nick Clegg, der nach den Wahlen aus den britischen Kabinett ausschied.
Die Tatsache, dass sich auch die Chefin der schwedischen Steuerbehörde, Eva Lidström Adler, auf der Liste findet, überrascht nur bedingt, wenn man sich vergegenwärtigt, dass auch die EU [2] Einreiseverbote gegen zahlreiche russische Geschäftsleute verhängte.
Der wegen merkwürdiger Verbindungen zum britischen Geheimdienst umstrittene CDU-Politiker Michael Fuchs nahm die Einreisesperre gelassen: „Ich kann gut damit leben, gibt Schlimmeres“, twitterte [3] er. Cohn-Bendit fühlte sich von Russland als „Kämpfer gegen den Totalitarismus“ geehrt. Der CDU-Politiker Karl-Georg Wellmann [4], der am Moskauer Flughafen umkehren und wieder nach Deutschland zurückreisen musste, forderte Russland auf, die Listen mit den Einreisesperren offenzulegen, damit die betroffenen Personen nicht umsonst die Reise antreten. Der russischen Nachrichtenagentur TASS [5] zufolge haben europäische Regierungen diese Liste allerdings längst erhalten.
Russland ist nicht das einzige Land, das sich mit Einreisesperren schützt. Die USA [6] führen ebenfalls eine Einreiseverbotsliste, die sie nach den islamistischen Anschlägen vom 11. September 2001 deutlich erweiterten. Diese US-Liste wird nicht offengelegt und es ist nicht möglich, dagegen zu klagen. Deshalb gab es in den letzten Jahren immer wieder Einreisewillige, die erst vor Ort erfuhren, dass gegen sie ein Einreiseverbot in die USA besteht.
„Mieterhöhung – iss nicht“, „Luxussanierung – nicht mit uns“. Diese Parolen waren am Samstagnachmittag im Stadtteil Neukölln zu hören. Es waren ca. 500 Menschen auf der Straße.
Nicht nur die DemoteilnehmerInnen auch viele PassantInnen, die am Straßenrand standen, stimmten spontan mit ein. Aus den Fenstern der umliegenden Häuser wurde gewinkt. Auf der Route reihten sich auch einige AnwohnerInnen in die Demonstration ein. „Mit dem heutigen Tag ist die Winterpause der Berliner Mieterbewegung beendet“, erklärte eine Rednerin. Im letzten Jahr hatte vor allem die Kreuzberger Mieterinitiative „Kotti und Co“. regelmäßig MieterInnendemonstrationen organisiert. Die letzte fand im Dezember letzten Jahres statt. Am Samstag meldeten sich nun die Berliner MieterInnen auf der Straße zurück. Die wird sie in den nächsten Auseinandersetzungen auch brauchen. MitarbeiterInnen des migrationspolitischen Vereins Allmende e.V. berichteten, dass sich für den 27. März der Gerichtsvollzieher angekündigt hat. Bis zu diesem Termin soll der Verein seine langjährigen Räume am Kottbuser Damm geräumt haben. Der Eigentümer hat den Verein gekündigt und ist vor Gericht bestätigt worden. Eine Sprecherin des Vereins erklärte, dass man die Räume nicht freiwillig verlassen wird und es auf eine Zwangsräumung ankommen lässt. Mittlerweile haben fast 70 Berliner Initiativen einen Aufruf unterschrieben, in dem sie Allmende unterstützen.
Umwandlung in Neukölln
Auch die MieterInnen der Hobrechtstraße 40 in Neukölln fürchten, aus ihren Wohnungen vertrieben zu werden. Auf der Demonstration berichtete ein Mieter von Versuchen der Immobilienfirma Real Estate, die bisherigen Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umzuwandeln. Mittlerweile haben sie Kontakt zu MieterInnen in der Wildenbruchstraße 6 und der Weserstraße 59 aufgenommen, die den gleichen Hausbesitzer und die gleichen Probleme haben. In der Neuköllner Friedelstraße wurden die DemonstrantInnen von zahlreichen Transparenten begrüßt, in denen gegen Luxusmodernisierung agiert und Solidarität mit der Friedelstraße 54 gefordert wird. Die MieterInnen des der Citec Immobilen AG gehörenden Haus wehren sich gegen eine angekündigt energetische Sanierung, weil sie befürchten, hinterher die Miete nicht mehr bezahlen zu können. „In dem Haus wohnen Menschen mit einer niedrigen Rente oder geringen Einkommen. Wir wehren uns gemeinsam und lassen niemand alleine“, erklärte eine Mieterin. „Sicher nichts für schwache Nerven!“, wird die Immobilie Friedelstraße 54 auf der Citec-Homepage bei InteressentInnen von Eigentumswohnungen beworben. Die aktiven MieterInnen könnten ihm nun eine ganz neue Bedeutung geben. Ein Bewohner der Friedelstraße 54 ist trotz der recht akzeptablen Teilnehmerzahl und der Zustimmung im Stadtteil nicht ganz zufrieden. „Der allergrößte Teil der TeilnehmerInnen wohnt in den Häusern, die energetisch modernisiert oder in Eigentumswohnungen umgewandelt werden sollen“, erklärte er gegenüber dem MieterEcho. Es habe sich auch gezeigt, wie schwer es ist, Menschen zu erreichen, die nicht direkt von Vertreibung betroffen sind.
KUNST In der Marheinekehalle muss eine Galerie einem Laden für vegane Lebensmittel weichen
Wer in den letzten Jahren in der Kreuzberger Marheinekehalle einkaufen ging, konnte hier auch auf Kunst stoßen. Doch damit ist zum Ende dieser Woche Schluss. Die Browse Gallery, die in der ersten Etage der Halle ihr Domizil hatte, muss einem Laden für vegane Lebensmittel weichen. Die aktuelle von Eckhard Siepmann kuratierte Ausstellung wird schon nicht mehr in der Gallery, sondern im Hauptgang der Halle im Erdgeschoss präsentiert.
Auf 40 Tafeln wird an den in Kreuzberg gegründeten „Grosz-Heartfield-Konzern“ erinnert, eine Kooperation der führenden Köpfe des Berliner Dadaismus, John Heartfield und George Grosz. Dokumentiert wird ihre politische und künstlerische Radikalisierung während des Ersten Weltkriegs und ihr Engagement in den Reihen der Berliner Rätebewegung.
Ausführlich geht es auch um die künstlerischen Reaktionen auf die Gräuel der Freikorps, die ab 1919 in Berlin mit Terror und Standgerichten gegen die revolutionären ArbeiterInnen vorgingen. Später gingen Grosz und Heartfield politisch und künstlerisch unterschiedliche Wege. Während Heartfield die Titelseiten der linken Arbeiter Illustrierten Zeitung (AIZ) und Wahlplakate für die KPD gestaltete, verabschiedete sich Grosz von der politisch engagierten Kultur. Auf einigen Fotos sieht man die beiden nach dem Zweiten Weltkrieg auf den Berliner Trümmerhaufen stehen – auf die Folgen einer Politik schauen, die sie bereits 1918 bekämpften. Auf den letzten Tafeln sollen Plakate der KPD/RZ und der PARTEI das Fortwirken des Dadaismus in Berlin-Kreuzberg dokumentieren.
Zumindest im Kreuzberger Einkaufstempel wird man diesen nun bald nicht mehr begegnen. Zum Abschluss werden heute um 18 Uhr in den ehemaligen Gallery-Räumen Dokumentarfilme von Helmut Herbst über John Heartfield und die Berliner Avantgarde gezeigt.
Die Schadenersatzklage des schwedischen Konzerns Vattenfall vor dem Hintergrund deutscher Interessen
4,7 Milliarden Schadenersatz fordert Vattenfall von der Bundesrepublik, weil sich der Konzern durch den vorzeitigen Atomausstieg in seine Gewinnerwartungen beschränkt sieht. Dieser Schritt sorgt seit Langem auch in der linksliberalen Presse für Empörung. Nun hatten manche erwartet und erhofft, dass der Regierungswechsel in Schweden hier Veränderungen bringt.
Schließlich wurde eine konservativ-liberale Regierung, die auf den Ausbau der Atomkraft gesetzt hat, durch ein Bündnis von Sozialdemokraten und Grünen abgelöst, die als AKW-kritisch gelten. Doch schnell stellte sich wieder einmal heraus, dass auch AKW-Kritiker an der Regierung nicht die Macht haben, den Energiekonzernen Vorschriften zu machen. Auch eine rot-grüne Regierung wird Vattenfall weiterhin bei der Klage unterstützen.
Schwedische Grüne für Vattenfall nicht zuständig
Nach Informationen der Taz wurde dem grünen Energieminister vom sozialdemokratischen Premierminister Ibrahim Baylan die Zuständigkeit für Vattenfall entzogen und auf den industriefreundlichen sozialdemokratischen Wirtschaftsminister Damberg übertragen.
Der neue schwedische Premierminister Stefan Löfven von den Sozialdemokraten entschied am vergangenen Donnerstag, dass die Zuständigkeit für Vattenfall vom – grünen – Energieminister Ibrahim Baylan federführend an den sozialdemokratischen Wirtschaftsminister Damberg übergehen solle. Damit dürfte der Einfluss der Grünen auf den gesamten künftigen Vattenfall-Kurs entscheidend sinken. Ein solches Vorgehen ist nicht ungewöhnlich und auch in Deutschland bekannt.
Grüne Minister werden in eine Regierung kooptiert, um möglichen Widerstand von Umweltschützern zu neutralisieren, bekommen aber erst gar keine Zuständigkeit zu Politbereichen, in denen sie ökologisch bedenkliche Entwicklungen auch nur verzögern könnten, wenn davon Kapitalerwartungen tangiert sein könnten.
Dabei kann man ja aus den bisherigen Erfahrungen grüner Regierungsbeteiligungen ohne weiteres davon ausgehen, dass auch die schwedischen Ökopolitiker Vattenfall gar nicht ernsthaft Grenzen setzen wollen. Aber allein die Möglichkeit, dass sie weitere Gutachten anfordern und damit Unruhe im Konzernvorstand auslösen könnten, soll durch den Ressortzuschnitte verhindert werden.
Widerstand gegen TTIP wächst
Die Schadenersatzklage des schwedischen Konzerns findet auch deshalb momentan so viel Beachtung, weil sie in eine Zeit fällt, in der das Transatlantische Freihandelsabkommen zwischen den USA und den EU für viel Aufregung sorgt. Erst am vergangenen Wochenende brachte ein internationaler Aktionstag gegen dieses Abkommen in vielen Städten Europas und der USA Menschen auf die Straße.
Lange Zeit wurde der Widerstand gegen diese Verträge vor allem als Abwehr gegenüber vermeintlich undemokratischen Zumutungen von Seiten der USA interpretiert. Besonders im Kulturbereich waren schon mal Töne zu hören, die eine Überlegenheit der europäischen Kultur gegenüber den USA deutlich machten.
Inzwischen wird stärker wahrgenommen, dass diese Abkommen Konsequenzen der kapitalistischen Entwicklungen sind und dass es Politiker in allen Ländern waren und sind, die die Weichen dafür stellten, dass die Interessen dieses Kapitals eine solche Bedeutung bekommen haben. Der Publizist Hannes Hofbauer spricht in seinen neuesten Buch Die Diktatur des Kapitals von einem politisch gewollten und vorangetriebenen Demokratieabbau.
Deutschland war Vorreiter bei Investitionsschutzabkommen
In dem Buch wird auch aufgezeigt, wie mit Investitionsschutzgesetzen ein Sonderrecht für Konzerne vorangetrieben wurde. Sie breiteten sich nicht zufällig in einer Zeit aus, in der weltweit Rechte des Kapitals einen immer höheren Stellenwert bekamen.
Anfang der 1990er-Jahre gab es nur etwa zehn bekannte Fälle, 2012 zählte die Handels- und Entwicklungsorganisation UNCTAD 514 laufende Verfahren, 2013 sind nochmals 58 neu dazugekommen. Doch die Dunkelziffer ist höher.
Während beim Internationalen Zentrum für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) wenigstens noch grob über die Fälle unterrichtet wird, finden viele Verfahren ohne Wissen der Öffentlichkeit statt, weil andere Schiedsorte vereinbart wurden, über die wiederum Stillschweigen herrscht. Deutschland gehörte zu den Ländern, die diese Entwicklung schon früh vorantrieben und davon profitierten.
Bereits 1959 hatte die BRD das weltweit erste Investitionsschutzabkommen mit Pakistan geschlossen. Die BRD war damals aus historischen Gründen militärpolitisch eingeschränkt und wollte auf diese Weise die Sicherung ihrer Kapitalinteressen weltweit sichern. Inzwischen hat Deutschland 140 solcher Abkommen oft mit Ländern des globalen Südens geschlossen.
In der Regel sorgen die Abkommen in Deutschland kaum für Diskussionen. Dagegen ist die Empörung natürlich groß, wenn Vattenfall ebenfalls auf gleichem Wege seine Interessen durchsetzen will. Eine Bewegung gegen das TTIP, die sich nicht für deutsche Standortinteressen einspannen lassen will, müsste aber diese Abkommen insgesamt infrage stellen, auch dann, wenn deutsche Konzerne davon profitieren.
Viel ist über das Leben von Erna K. nicht bekannt. Die aus armen Verhältnissen stammende Frau arbeitete als Haushaltshilfe und wurde in der Nazi-Zeit im Alter von 17 Jahren von ihrem Chef mißbraucht. Schwanger und als »asozial« stigmatisiert, war sie zwischen 1941 und 1944 im Arbeitshaus Rummelsburg inhaftiert. 1944 wurde sie dort zwangssterilisiert. Die Historikerin Susanne Doetz ist bei ihren Forschungen zur Geschichte der Zwangssterilisierung auf die Daten dieser Frau gestoßen. Sie war eine von Tausenden, die im Arbeitshaus Rummelsburg litten, weil sie als »asozial« galten. Das Ende des 19. Jahrhunderts errichtete zentrale Berliner Arbeitshaus wurde im Nationalsozialismus zum Ort der Verfolgung von Menschen ausgebaut, die nicht ins Bild der deutschen Volksgemeinschaft paßten. Sonderabteilungen für Homosexuelle und sogenannte »psychisch Abartige« wurden eingerichtet. Als unter Beteiligung der Kriminalpolizei am 13. Juni 1938 im Deutschen Reich mehr als 10.000 Personen als »asozial« stigmatisiert in Konzentrationslager verschleppt wurden, war das Arbeitshaus Rummelsburg ein Zentrum dieser »Aktion Arbeitsscheu Reich«. Während des Zweiten Weltkriegs waren dort jüdische Zwangsarbeiter eingepfercht.
Die »AG Marginalisierte gestern und heute«, die in den letzten Jahren diese Informationen zusammentragen hat, fordert die Errichtung eines Gedenkorts für die als »asozial« Stigmatisierten auf dem Gelände des ehemaligen Arbeitshauses Rummelsburg. Diese Menschen haben nach 1945 in der Regel keine Entschädigung erhalten, wurden nicht selten in Nachkriegs-BRD wie -DDR weiterhin diskriminiert. Bis heute leben sogenannte Asoziale in Deutschlands Braunzonen gefährlich. Ein Gedenkort in Rummelsburg wäre also mehr als bloße Erinnerungspolitik. Doch wird es dazu wohl nicht kommen. Weil im ehemaligen Arbeitshaus Rummelsburg ab 1951 ein DDR-Gefängnis eingerichtet wurde, soll der Ort neben Hohenschönhausen zu einem weiteren Gedenkort des »DDR-Unrechts« werden. Bei der Präsentation dieser Pläne Ende Juni wurde die Bezeichnung »Arbeitshaus« nicht einmal erwähnt, kritisiert der Historiker Robert Sommer. Eine App zum DDR-Gefängnis Rummelsburg existiert bereits, eine weitere über Rummelsburg in der NS-Zeit soll es nur geben, wenn das Geld reicht. Mit einer Ausweitung der DDR-Gedenkzone können sich auch die Townhouse- Bewohner in der Rummelsbucht anfreunden, die die Kundgebungen für einen Gedenkort für die Asozialen hinter zugezogenen Vorhängen mißtrauisch beäugten. Im Anderen Haus VIII, einem Hotel im ehemaligen »Arresthaus für männliche Corrigenden«, können jene Berlin-Besucher ihr Nachtquartier in individuell eingerichteten Zellen, »teilweise mit Wasserblick«, beziehen, die von der Verfolgung Asozialer nichts hören und sehen wollen.