Lou Marin ist unter anderem Journalist und lebt in Marseille. Er ist Teil des Buchverlagskollektivs der »Graswurzelrevolution«. Kürzlich hat er das Buch »Hell no, we won’t go!« über antimilitaristischen Widerstand in der US-Armee und der US-Zivilgesellschaft während des Vietnamkrieges herausgegeben.
Hermann G. Abmayr (Hg.): Willi Bleicher. Texte eines Widerstän- digen. Briefe aus dem KZ, Reden und Interviews. Schmetterling-Verlag, Stuttgart 2025, 460 Seiten, 24,80 Euro
Ein Buch erinnert an den antifaschistischen Gewerkschafter Willi Bleicher. Früh warnte Bleicher auch vor dem wieder erstarkenden Antisemitismus in der BRD. Weil er im KZ Buchenwald den jüdischen Jungen Jerzy Zweig vor der Deportation versteckt hatte, wurde Bleicher 1965 in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem als Gerechter unter den Völkern ausgezeichnet. Es ist gut, dass Abmayr mit dem Buch an ihn erinnert. Er ist noch heute eine Inspiration.
Du sollte Dich nie vor einem lebenden Menschen bücken«: Dieser Satz hat in den späten 1970er-Jahren in der BRD viele junge Leute inspiriert. Es war das Lebensmotto von Willi Bleicher, einem linken IG-Metall-Gewerkschafter, der damals für viele Menschen ein Vorbild war, die sich gegen alte und neue Nazis engagierten. Heute ist der schon 1981 verstorbene Bleicher wenig bekannt. Da ist es um so erfreulicher, dass der Historiker Hermann G. Abmayr …
Interview mit Bernd Drücke, Redakteur der Graswurzelrevolution: Dr. phil. Bernd Drücke ist Soziologe und Koordinationsredakteur der Graswurzelrevolution, Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft.
Ein „Markenkern“ ist, dass die GWR aus einer solidarischen Perspektive von unten berichtet. Anders als die taz, bieten wir Sönke Neitzel und anderen Propagandisten der Militarisierung keine Bühne und drucken keine Bundeswehr-Anzeigen ab. Stattdessen solidarisieren wir uns mit allen Deserteur*innen und Menschen, die den Kriegsdienst verweigern.
Sie haben gerade die 500te Ausgabe der Graswurzelrevolution (GWR) produziert. Was ist ihr Markenkern? …
Bild: Peter Nowak
Im Interview: Bernd Drücke
ist Soziologe und Koordinationsredakteur der „Graswurzelrevolution“, eine Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft. Sie erscheint seit 53 Jahren.
taz: Herr Dücke, wo sehen Sie die Aufgaben der GWR heute, wo so viel von Kriegsfähigkeit der Gesellschaft geredet wird? …
Es waren Menschen mit migrantischen Hintergrund, die am 13. Juni 2006 in Kassel und Dortmund unter der Losung »Kein 10 Opfer« auf die Straße gegangen sind. Das Video von diesen Demonstrationen vier Jahre vor der Selbstenttarnung des NSU, sollte wirklich alle Illusionen in die demokratischen Prozesse verfliegen lassen.
Sie berichten in Ihren Artikeln viel von den defekten demokratischen Prozessen in diesem Land: Haben Sie überhaupt noch Vertrauen in die Abläufe hierzulande? …
Die Geschichte der spanischen Antifa in einem neuen Buch. Für Ramos ist klar, dass auch die Antifabewe- gung neue Wege gehen muss. Die Verhinderung von rechten Aufmärschen auf der Straße steht heute nicht mehr an erster Stelle. Ramos beschreibt, dass viele Antifaschist*innen sich aktuell in Stadtteil- initiativen organisieren, bei denen es allerdings an- ders als bei den Rechten, keine Ausgrenzung nach der Herkunft der Menschen, die sie unterstützen, gibt. Das Engagement in Gewerkschaften oder Bündnissen gegen Zwangsräumungen sieht Ramos ebenfalls als praktischen Antifaschismus.
Der Film »Antifa – Schulter an Schulter, wo der Staat versagte« (siehe antifa-Ausgabe September/ Oktober 2024) hat im vorigen Jahr viel Aufmerk- samkeit erfahren. Zudem hat die Doku einen An- stoß für eine Beschäftigung mit der Geschichte der antifaschistischen Bewegung seit 1989 in Deutschland gegeben. Miquel Ramos hat mit seinem Buch »Antifascistas« eine Geschichte der …
Spätestens nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine zeigte sich, dass die gesellschaftliche Linke nicht nur den Antimilitarismus sondern auch die Kritik an den deutschen Zuständen über Bord geworfen hatte.
Es war frappierend zu erleben, wie manchen Kritiker*innen der deutschen Verhältnisse plötzlich dafür eintraten, dass deutsche Waffen und Panzer wieder gegen Russland eingesetzt werden Manche trugen sogar stolz die Parole „Nie wieder Russland“ auf ihren Schildern, was nicht zufällig an die Parole „Nie wieder Deutschland“ erinnerte. Das war seit 1989 ein zentrales Motto der deutschlandkritischen Linken. Es galt dagegen zu kämpfen, dass Deutschland …
Hermann G. Abmayr (Hrsg.): Willi Bleicher. Texte eines Widerständigen. Briefe aus dem KZ, Reden und Interviews. Schmetterling-Verlag 2025, 460 S., br., 24,80 €.
Eine Sammlung mit Briefen, Reden und Interviews erinnert an den Widerstandskämpfer und Gewerkschafter Willi Bleicher Er war vor 30 Jahren noch mit jenem Ausspruch bekannt, der auch zum Titel des Filmporträts über ihn wurde: »Du sollst dich nie vor einem lebenden Menschen bücken«. In »Texte eines Widerständigen« ist eine Rede Bleichers zur Verleihung des Carl-von-Ossietzky-Preises im Jahr 1978 abgedruckt, in der er auf die Hintergründe dieses Satzes einging: »Ich liebte sie nicht, meine Schullehrer, die mir als siebenjährigen Jungen befahlen, mich zu bücken, damit der Rohrstock nicht nur meinem Hinterteil Schmerzen bereitete, sondern auch meinem kindlichen Gemüt. So lernte ich beizeiten die Erkenntnis, mit welchen Mitteln und Methoden die Menschen kleingemacht werden.«
Zum 80. Jahrestag der Zerschlagung des Nationalsozialismus wurde dieses Jahr einmal mehr deutlich, wie sehr die Antifaschist*innen heute fehlen, die im Widerstand waren und über ihre Zeit in der Illegalität, im Exil und meistens in den faschistischen Konzentrationslagern berichten konnten. Es war nur eine kleine Zahl von Männern und Frauen, die aber in der BRD zahlreiche junge Menschen beeindruckten und mit dazu beigetragen hatten, dass diese selbst Antifaschist*innen wurden. Zu diesen inspirierenden Personen gehörte auch Willi Bleicher. Dass er heute fast vergessen ist, liegt auch daran, weil er schon 1981 mit 74 Jahren verstorben ist. Es ist daher überaus verdienstvoll, dass der Historiker Hermann G. Abmayr im Schmetterling-Verlag unter dem Titel …
Die gesellschaftliche Linke war Anfangs der Pandemie in Schockstarre verfallen. Als dann 2021 einige unter Antifa-Fahnen mit der Parole „Wir impfen Euch alle“ auf die Strasse gingen, wurden sie zum Sargnagel für eine gesellschaftliche Linke.
„Denn bei der aktuellen Corona-Massenpanik machen (fast) alle mit, gerade auch die „Linken“. Das wiederum bereitet den extremen Rechten derzeit enormen Zulauf, einer Pegida und AFD-Rechten, die schon immer „Merkel muss weg“ schrie, rassistisch hetzte und mordete und jetzt die Chance sieht, ganz neue und breitere Kreise zu mobilisieren“. Das ist eine Passage aus dem Vorwort zu dem Buch …
Über 35.000 Menschen versammelten sich am 21. März 1931 in Winterhude im Norden Hamburgs, um Ernst Henning das letzte Geleit zu geben. Es war auch ein Massenprotest gegen den
NS-Terror. Denn er war ein in Hamburg bekannter Politiker der KPD und beteiligte sich auch im Rotfrontkämpferbund am Kampf gegen den aufkommenden NS-Faschismus.
Am 14. März 1931 wurde Henning in einem Bus auf dem Rückweg von einer KPD-Versammlung von SA-Männern erschossen. Sein Begleiter wurde schwer verletzt und verlor ein Auge. Eine Berufsschullehrerin, die zufällig auch im Bus saß, wurde ebenfalls durch die Schüsse verletzt. Die faschistische Mordtat sorgte damals wegen ihrer Brutalität für große Empörung. Heute ist Henning kaum noch bekannt. Daher ist es sehr erfreulich, dass HansJürgen Schneider seinen Geschichtsroman …
Tanja Röckemann: Die Welt, betrachtet ohne Augenlider. Gisela Elsner, der Kommunismus und 1968. Verbrecher Verlag, Berlin 2024, 405 Seiten, 29 Euros
Vielen wird die kommunistische Schriftstellern Gisela Elsner nur durch den Film »Die Unberührbare« bekannt sein. Das ist bedauerlich, denn dort rechnet Elsners Sohn Oskar Röhler mit seiner Mutter ab und stellt sie als drogenabhängige Salonkommunistin dar. Jetzt hat Tanja Röckemann im Verbrecher Verlag ein Buch herausgegeben, das …
Die Kritik an der autoritären Demokratie bleibt im Persönlichen stecken. Was ganz fehlt, ist Kapitalismuskritik. Dabei kommt Seeßlen an vielen Stellen dicht dran, um dann kurz vorher wieder in Richtung Kulturkritik abzubiegen
Regelmäßigen Zeitungsleser:innen ist Georg Seeßlen wegen seiner kulturkritischen Texte bekannt. Er publiziert regelmäßig in Konkret, Taz, Jungle World, Frankfurter Rundschau und anderen Medien. Der Aufstieg des Trumpismus ist seit Jahren Gegenstand seiner Artikel. So ist es nicht verwunderlich, dass er kurz nach Trumps zweiter Amtseinführung ein Buch mit dem Titel Trump & Co vorlegt. Auch dieses Buch profitiert von Seeßlens …
Zu dem Band „Corona und die Demokratie. Eine linke Kritik“ hatte Matthias Coers ein Foto beigesteuert, auf dem die Parole „Stay at Home“ als leuchtendes Laufband auf einem Luxusneubau am Berliner Spreeufer zu sehen ist. Ein Großteil der Etagen steht leer. Da wäre es auch die naheliegende Frage, warum nicht die Wohnungslosen, die unter einer nahegelegenen Brücke nächtigen mussten, nicht dort einziehen sollen.
„Denn bei der aktuellen Corona-Massenpanik machen (fast) alle mit, gerade auch die ‚Linken‘. Das wiederum bereitet den extremen Rechten derzeit enormen Zulauf, einer Pegida und AFD-Rechten, die schon immer ‚Merkel muss weg‘ schrie, rassistisch hetzte und mordete und jetzt die Chance sieht, ganz neue und breitere Kreise zu mobilisieren.“ Das ist eine Passage aus dem Vorwort des Buches …
Miquel Ramos: Antifacistas – Wie die spanische extreme Rechte seit den 1990er Jahren bekämpft wird, Bahoe Books, Wien 2025, 543 Seiten, 26 Euro, ISBN 976-3-903478-21-3
Ramos berichtet, wie sich die antifaschistische Bewegung weiter entwickelt hat. Nicht mehr der Kampf gegen die Nazis auf der Straße steht im Mittelpunkt. Vielmehr wird an Beispielen
aus verschiedenen Städten gezeigt, das Stadtteilarbeit, gewerkschaftlicher Kampf und der Widerstand gegen Zwangsräumungen wesentliche Teile der antifaschistischen Arbeit sind.
Es war der erste Tag nach den Osterfeiertagen im Jahre 1993. Unser Lehrer Entric betrat mit ernster Miene das Klassenzimmer.“ Mit diesen Sätzen beginnt Miquel Ramos sein Buch über die Geschichte des spanischen Antifaschismus. An diesem Frühjahrstag vor 22 Jahren erfuhr der damals 14-jährige Autor, dass sein enger Freund und Mitschüler Guillem von einem Neonazi ermordet wurde. „Unser Lehrer erzählte uns, dass Guillem aus Hass getötet wurde, weil er Antifaschist war. Er verließ die Klasse und wir blieben schweigend zurück.“ (S. 12). Für Ramos war dieses Datum der Beginn seines antifaschistischen Aktivismus. In jungen Jahren beteiligte er sich an …
Ich bin eigentlich Optimist. Die aktuellen politischen Entwicklungen stimmen mich aber pessimistisch: Kann aus Geschichte überhaupt gelernt werden? Mein Resümee als »Jungopa« ist dennoch verbunden mit der Hoffnung, dass es die Enkel besser ausfechten. Mein Leitgedanke bleibt: Friede den Hütten – Krieg den Palästen.
Sie sind seit drei Jahrzehnten in der Gedenk- und Erinnerungsarbeit aktiv. Wie sind Sie da hineingewachsen? …