Wenn der Betriebsarzt mobbt und schweigt

Britischer V-Mann bleibt ein Rätsel

Behörden mauern bei Informationen über Wirken des Agenten Mark Kennedy

Unter dem Alias-Namen Mark Stone spionierte der V-Mann von Scotland Yard, Mark Kennedy, jahrelang die linke Szene ganz Europas aus. Nachdem Großbritannien einen Sonderermittler eingesetzt hat, wird auch in Deutschland die Forderung nach Aufklärung laut. Zumindest in Großbritannien wird ein neuer Anlauf gemacht. Dort hat das Innenministerium den Richter Christopher Pitchford als Sonderermittler eingesetzt, um das Agieren von Kennedy und anderer V-Leute aufzuarbeiten. Dabei gibt es sicher viel zu tun. Schließlich war Kennedy auf Umwelt- und Antirassismusgruppen ebenso angesetzt wie auf Gewerkschaften und einen Politiker der Labourpartei. Die Aufarbeitung wird seit Jahren von Menschenrechtsgruppen in Großbritannien gefordert, nachdem der Agent 2010 aufgeflogen war.

Neben Großbritannien war Deutschland ein langjähriges Tätigkeitsfeld für den V-Mann. Beim G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 war er undercover aktiv, ebenso beim NATO-Gipfel 2009 in Baden-Baden. In vielen Städten hatte er Freunde, bei denen er übernachten konnte, und mit einer Berliner Aktivistin führte er eine Fernbeziehung. Doch über sein Agieren in Deutschland ist bisher wenig bekannt. Denn die Verfassungsschutzämter weigern sich, die Öffentlichkeit über Kennedys Agieren zu informieren. Dafür interessieren sich nicht nur die Linken, die Kennedy für ihren Genossen gehalten haben und belogen wurden. Auch Politiker der Grünen und der Linkspartei wollen wissen, was Kennedy hierzulande so trieb. Doch bislang wurden diese Forderungen ignoriert und der Fall Kennedy war aus der Öffentlichkeit weitgehend verschwunden.

Das könnte sich durch die Einsetzung des Sonderermittlers in Großbritannien ändern. Der Bundesabgeordnete der LINKEN Andrej Hunko schreibt in einem Brief an Pitchford, dass die Enttarnung von Kennedy auch in Deutschland große Resonanz ausgelöst habe. Dabei verweist er auf zahlreiche Presseartikel und erinnert an die vielen weiterhin unbeantworteten Fragen im Fall Kennedy. Hunko zitiert in seinem Schreiben aus einer Pressemitteilung seiner Parteifreundin Ulla Jelpke. Dort betonte die innenpolitische Sprecherin der LINKEN im Bundestag, dass der Verdacht, Kennedy sei als Agent Provokateur aufgetreten und habe Straftaten inszeniert, nicht ausgeräumt werden konnte. Denn nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs von 2007 sind ausländische verdeckte Ermittler in Deutschland wie V-Leute zu behandeln – und nicht wie deutsche verdeckte Ermittler. Die Strafprozessordnung sieht für den Einsatz verdeckter Ermittler, etwa bei der Strafverfolgung, einen Richtervorbehalt vor, während der Einsatz von V-Leuten gesetzlich völlig ungeregelt ist. Daher ist es unklar, ob in Deutschland Aufklärung über Kennedys Wirken zu erwarten ist.

www.neues-deutschland.de/artikel/979869.britischer-v-mann-bleibt-ein-raetsel.htm

Peter Nowak

Etwas tun gegen Jobcenter-Willkür

Erfahrungsaustausch von Erwerblosen in Meißen

Erwerbslose haben allerlei Ärger mit dem Jobcenter in Meißen . Bei einem Treffen vereinbarten Betroffene, sich künftig gegenseitig zum Amt zu begleiten.

Der Runde, die sich im Vereinshaus des Kleingartenvereins Meißen traf, war nicht nach Feiern zumute. Gekommen waren Erwerbslose, um sich über ihre Konflikte mit dem Jobcenter Meißen auszutauschen. Initiator des Treffens war Stefan Klaussner (Name geändert), der im Erwerbslosenforum Deutschland seine Auseinandersetzung mit dem Jobcenter der sächsischen Stadt als »Fortsetzungsgeschichte in 6 Akten« veröffentlicht hatte.

Der Ärger begann, als sich Klaussner als Webdesigner selbstständig machen wollte. Er habe eine Webseite ins Netz gestellt, um zu sehen, »ob es überhaupt eine Nachfrage gibt«. Das Jobcenter unterstellte ihm, mit der Webseite Geld zu verdienen, das er nicht angegeben habe. Seine Leistungen wurden gestrichen, neue Anträge nicht beantwortet. Da die Zahlungen ausblieben, machte Klaussner Mietschulden. Im Wiederholungsfall droht ihm die Kündigung. Besonders empört ist er darüber, dass auch sein Sohn aus erster Ehe und seine jetzige Ehefrau unter der Leistungsverweigerung zu leiden haben.

Das Jobcenter hingegen macht Klaussner für die Probleme verantwortlich. Er habe die Existenz der Webseite nicht gemeldet und sei damit seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen.

Der Fall wurde juristisch geklärt: Das Dresdener Sozialgericht verpflichtete das Jobcenter zur Zahlung der vorenthaltenen Leistungen, denn der Verdacht, Klaussner verfüge über weitere Einnahmen, gehe nicht über Vermutungen hinaus. Im Verfahren sei »hinreichend glaubhaft gemacht worden, dass der Antragsteller über keine nennenswerten Vermögenswerte oder Einkommen verfügt, aus denen er seinen Lebensunterhalt und den seines Sohnes zunächst vollständig bestreiten kann«, heißt es in der Urteilsbegründung.

Doch dieser Erfolg beendete den Konflikt nicht. Klaussner soll erneut einen umfangreichen Fragenbogen ausfüllen, indem er unter anderem seine IP-Adressen sowie seine Telefonverbindungen vorlegen sollte. Eine Weigerung bedeutet erneute Leistungskürzungen wegen mangelnder Mitwirkung.

Wie sich bei dem Treffen herausstellte, ist Klaussner nicht der einzige, der mit dem Jobcenter Meißen Probleme hat. Eine Frau berichtete, dass sie und ihre schwer kranke Tochter fast ihre Wohnung verloren hätten, weil das Amt immer wieder Leistungen zu spät oder gar nicht überwiesen habe. In letzter Minute konnte mit Hilfe des Berliner Bündnisses gegen Zwangsräumungen die Obdachlosigkeit verhindert werden. »Das Jobcenter agiert wie eine Dampfwalze«, meinte ein Mann, der im Finanzsektor tätig war, bevor er erwerbslos wurde. »Wenn mal eine Auseinandersetzung erfolgreich beendet wurde, kommt schon der nächste Brief und der Kampf beginnt von Neuem.«

Peter Nowak

Schlag gegen die linke Opposition in der Türkei


Nur ein kleiner Prozentsatz der in den letzten Tagen Festgenommen waren Islamisten

Nach dem islamistischen Attentat von Suruc, das sich gegen eine Zusammenkunft linker Jugendorganisationen richtet (Suruc-Anschlag: Verschwörungstheorien und Rachemorde[1]), geht die Polizei in der Türkei hauptsächlich gegen die Opfer vor. Das zeigte sich am vergangenen Freitag, als 5000 Polizisten in zahlreichen Städten der Türkei Razzien vornahmen.

In der Öffentlichkeit wurde die Polizeiaktion vor allem so interpretiert, als gehe der Staat jetzt endlich gegen islamistische Gruppen vor, die in der Vergangenheit oft wohlwollend toleriert, wenn nicht gar direkt unterstützt worden waren. So wurde die Razzia auch in Verbindung mit militärischen Angriffen auf Islamisten in Syrien gesetzt. Doch tatsächlich waren von den Razzien in erster Linie linke Strukturen betroffen.

Neben Einrichtungen der kurdischen Nationalbewegung war vor allem die marxistische DHKP-C im Visier der Staatsorgane. Sie ist eine der Gruppen aus der außerparlamentarischen Linken in der Türkei, die weiterhin den bewaffneten Kampf zur einer politischen Option erklärt und die sich in den letzten Monaten nach großen Verlusten durch die staatliche Repression wieder reorganisiert zu haben scheint. Sie war bei Streiks und bei außerparlamentarischen Aktionen in der Türkei wieder verstärkt in Erscheinung getreten.

Nach der Niederlage der betont gewaltfreien und zivilgesellschaftlichen Proteste rund um den Gezi-Park könnten bei manchen Aktivisten eine radikalere Opposition und Gruppen mit längerer politischer Erfahrung wieder an Attraktivität gewonnen haben. Auch das könnte ein Grund für die Reorganisation der radikalen Linken gewesen sein. In den Monaten gab es immer wieder Verhaftungen in diesen Kreisen. Auch der britische Staatsbürger Stephen Kaczynski wurde am 2. April als angeblicher DHKP-C-Unterstützer verhaftet und befindet sich im unbefristeten Hungerstreik[2].

Erschossen wegen Widerstand gegen Festnahme?

Die Razzia vom letzten Freitag, bei der nach Angaben linker Anwaltsvereine über 300 vermeintliche Aktivisten der radikalen Linken verhaftet worden sind, forderte auch ein Todesopfer.

„Unsere Mandantin Günay Özarslan wurde von der Polizei erschossen“. Diese Erklärung[3] veröffentlichte der linke „Anwaltsverein des Volkes“ in der Türkei vor zwei Tagen. Dort ist auch das Foto der Frau zu sehen, die in Istanbul erschossen worden war. Sie war eine seit Jahren bekannte Aktivistin der außerparlamentarischen Linken in der Türkei. Mittlerweile sprechen viele Menschenrechtsorganisationen vom Mord[4] an Günay Özarslan. Die Polizei behauptet, sie habe Widerstand gegen ihre Festnahme geleistet.

Waffenstillstand mit der PKK endgültig beendet

Neben der außerparlamentarischen Linken sind vor allem die Strukturen der kurdischen Nationalbewegung im Visier des türkischen Staates. Während in den meisten Medien vor allem von Angriffen des türkischen Militärs auf die Islamisten der IS die Rede war, wurde eher am Rande erwähnt, dass PKK-Stellungen im Nordirak angegriffen wurden.

„Der türkische Staat beendet den Waffenstillstand mit der PKK endgültig“, heißt[5] es in einer Stellungnahme der Informationsstelle Kurdistan e.V.[6]. Detailliert wird beschrieben[7], wie in den letzten Tagen in der Türkei gegen Mitglieder linken Partei HDP und gegen progressive Medien vorgegangen wurde.

“ Den bisherigen Informationen zufolge wurden in Istanbul 103, in Urfa 35, in Adana 13, in Mersin 21, in İzmir 29, in Bursa 9, in Şırnak 3, in Iğdır 9, in Bitlis 7, in Mardin 11, in Elazığ 6, in Adıyaman 8, in Amed 18, in Ankara 11 Personen festgenommen. Über die Zahl der Festnahmen in Van und Kocaeli liegen bislang noch keine Informationen vor. Diese Festnahmen halten weiter an. Nur in drei Provinzen (İstanbul, Adıyaman und Ankara) wurden Personen unter dem Vorwand der Mitgliedschaft in dem Islamischen Staat IS festgenommen“, schreibt das kurdische Informationszentrum.

Geht Erdogans Kalkül auf?

Die Militäraktionen nach außen und die Repression der letzten Tage nach innen können nicht ohne einen Blick auf die aktuelle politische Situation in der Türkei betrachtet werden Die islamistische AKP hat die absolute Mehrheit bei den letzten Parlamentswahlen verloren (Türkei-Wahlkampf: Es geht um zehn Prozent[8]). Dafür sitzt mit der HDP[9] eine linke Partei im türkischen Parlament, die es verstanden hat, über die kurdische Nationalbewegung auch die zersplitterte türkische Linke anzusprechen.

Die islamistische Hardlinerfraktion um Präsident Erdogan ist erstmals an ihre innenpolitischen Grenzen gestoßen. Sogar ein Machtverlust mit nachfolgender strafrechtlicher Ahndung der zahlreichen Gesetzesverstöße drohten Erdogan und seinen engsten Paladinen. Mit der Strategie der Spannung nach innen und außen könnte dieser Machtverlust abgewendet werden. Schließlich könnte sich die AKP als Partei der Ordnung präsentieren und in Kriegs- und Notstandszeiten hätte sie Chanen, wieder Mehrheiten zu bekommen. Notfalls können repressive Maßnahmen und Manipulationen einen Teil dazu beitragen.

Schon kurz nach den verlorenen Wahlen hat Erdogan das Militär für einen Einmarsch in Teile Syriens gewinnen wollen (http://www.deutsch-tuerkische-nachrichten.de/2015/06/514368/mit-18-000-soldaten-tuerkei-marschiert-in-syrien-ein/ ). Doch beim Generalstab gab es damals Bedenken, Hilfestellung für eine abgewählte Regierung zu leisten. Dahinter standen interne Auseinandersetzungen im türkischen Machtapparat. Die scheinen nun vorerst ausgeräumt.

Der Anschlag der Islamisten (Die Türkei am Scheideweg: Demokratie oder Terror?[10]) und die nachfolgende massive Mobilsierung der kurdischen Nationalbewegung und der türkischen Linken haben die zerstrittenen Eliten geeint gegen den inneren Feind. Das sind aber nicht die Islamisten. Die haben schließlich nicht nur mit dem jüngsten Anschlag eher eine Hilfsfunktion gehabt. Es geht gegen die Linke und gegen die kurdische Nationalbewegung. Profitieren könnte Erdogan und die AKP, die damit die Grenzen überwinden wollen, die ihn die Wähler mit den verlorenen Parlamentswahlen gesetzt hatten.

http://www.heise.de/tp/artikel/45/45537/1.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[1]

http://www.heise.de/tp/artikel/45/45517/

[2]

http://political-prisoners.net/items/item/3623-stephen-kaczynsski-im-hungersstreik.html

[3]

http://www.sendika.org/2015/07/halkin-hukuk-burosu-gunay-ozarslan-infaz-edildi-catisma-yasanmadi-deliller-karartildi/

[4]

http://www.evrensel.net/haber/256687/avukatlar-catisma-yok-gunay-ozarslan-infaz-edildi

[5]

http://yxkonline.com/index.php/publikationen/pressemitteilungen/597-der-tuerkische-staat-beendet-den-waffenstillstand-mit-der-pkk-endgueltig-liveticker-zu-den-entwicklungen

[6]

http://www.nadir.org/nadir/initiativ/isku/

[7]

http://civaka-azad.org/tuerkische-luftwaffe-bombardiert-pkk-stellungen-im-nordirak-tuerkeiweite-festnahmewelle-gegen-mitglieder-von-hdp-und-dbp/

[8]

http://www.heise.de/tp/artikel/45/45021/

[9]

http://www.hdp.org.tr/

[10] http://www.heise.de/tp/artikel/45/45499

Free Mumia Abu Jamal – right now!

Kampf um die Freilassung des kranken US-Journalisten geht weiter

Free Mumia Abu Jamal« heißt esauf Flugblättern und Plakaten, die wieder im Berliner Stadtbild zu sehensind. Seit der US-Journalist lebensgefährlich erkrankte, ist weltweit die Solidaritätsbewegung erneut gewachssen.

Seit Ende 2014 leidet Mumia an schwerem Diabetes. Seitdem wächstbei den Unterstützern des Journalisten die Sorge. Schon in den  90er Jahren rettete eine internationale Kampagne Mumia das Leben. Er saß fast 20 Jahre in einer Todeszelle, weil erwegen Polizistenmordes in einem umstrittenen Verfahren von einer rein weißen Jury zum Tode verurteilt worden war. Der Journalist hatte die Tat immer bestritten. Die weltweite Solidarität konnte die Aufhebung des Todesurteils erreichen. Doch Mumia kam nicht frei und bekam auch kenen neuen Prozess, bei dem seine Anwälte entlastende Beweise hättenvorlegen können, die juristische Komitees zusammengetragen hatten.Das Todesurteil wurde in eine lebenslängliche Haftstrafe umgewandelt –und das bedeutet nach US-Rechtssystem Gefängnis bis zum Tod. Nachdem die unmittelbare Lebensgefahr für Mumia vorbei war,ebbte die Solidaritätsbewegung ab.Aber Kontakte und Netzwerke können schnell reaktiviert werden. Daszeigte sich in den letzten Wochen,als die Erkrankung bekannt wurde. Schnell waren Plakate und Flugblätter gedruckt, Kundgebungen undDemonstrationen organisiert. Diezentrale Forderung lautet: Freiheitfür Mumia – sofort. Für Anton Mestin von  der Berliner Mumia-Solidarität hat die Losung eine besondere Dringlichkeit: »Im Gefängnis ist die Krankheit von Mumia lange Zeit nicht erkannt worden. Unter Gefängnisbedingungen wird er auch nicht wieder gesund werden.« Derharte Kern der Mumia-Solidarität hofft, dass sich nun viele Menschen,die bereits in den letzten 20 Jahren aktiv waren, wieder an der Solidaritätsarbeit beteiligen. Dazu gehörenauch viele ve.rdi-Mitglieder. Schließlich ist Mumia Ehrenmitglied derDienstleistungsgewerkschaft.

aus: Sprachrohr 2/2015

https://medien-kunst-industrie-bb.verdi.de/++file++55797a05ba949b58e20019a6/download/%20SPR_02_2015.pdf

Peter Nowak

Selbstmord am Oranienplatz

Flüchtling sprang in den Tod

Am 7. Juli sprang ein Geflüchteter aus einem Haus in Berlin-Kreuzberg in den Tod. Der Suizid geschah in unmittelbarer Nähe des Protestcamps am Oranienplatz. Die Polizei gab die Information nicht an die Medien weiter.

Am Abend des 7. Juli sprang ein Mann aus der vierten Etage eines Gebäudes am Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg. Als er gegen 19 Uhr gefunden wurde, konnte nur noch sein Tod festgestellt werden. Erst eine Woche später wurde der Suizid durch eine Pressemeldung des »Bündnisses gegen Rassismus« bekannt. In einer Pressemitteilung übt es heftige Kritik an Polizei und Medien. »Der Tod des Mannes wurde in keiner Weise von der Presse aufgegriffen. Polizei und Medien sehen sich offensichtlich nicht veranlasst, über diesen Tod zu berichten.«

Eine Mitarbeiterin der Pressestelle der Berliner Polizei bestätigte den Selbstmord. Der Mann habe vor seinen Suizid die Kontaktstelle für Flüchtlinge und Migranten aufgesucht. Dort habe er angegeben, seit drei Tagen in Deutschland zu sein und aus der Ukraine zu kommen. »Die Identität des Toten ist noch nicht geklärt. Die Ermittlungen laufen noch«, erklärt die Mitarbeiterin der Polizeipressestelle. Auch über die Hintergründe des Selbstmordes sei noch nichts bekannt. Momentan werde ein bei dem Toten gefundener Abschiedsbrief ausgewertet.

Die vom Bündnis gegen Rassismus angedeutete Vermutung, dass die Nachricht über den Selbstmord von der Polizei bewusst zurückgehalten worden sei, weist die Mitarbeiterin der Pressestelle zurück: »Wir berichten generell über Suizide nur dann, wenn daran ein öffentliches Interesse besteht. Das ist aber nur selten der Fall«. Diese Regelung solle auch die Privatsphäre der Betroffenen schützen.

Für das Bündnis gegen Rassismus ist der Selbstmord mehr als ein individuelles Schicksal. »Der Oranienplatz ist für uns ein Symbol des Refugee-Widerstands. Hier stand das Widerstandscamp, das für Geflüchtete aus vielen Städten zum Symbol für den Kampf gegen rassistische Sondergesetze geworden war«, erklärt einer der Aktivisten. Er erinnert daran, dass immer wieder Geflüchtete in Deutschland Selbstmord begehen, weil sie an den Verhältnissen, unter denen sie hier leben müssen, verzweifeln.

Das bestätigt auch Elke Schmidt von der Antirassistischen Initiative Berlin (ARI). Sie gehört zu einem kleinen Team, das eine jährlich aktualisierte Dokumentation über »Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen« herausgibt. Die dort gesammelten Informationen werden immer akribisch auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft. Danach gab es in den vergangenen zwei Jahren allein in Berlin sechs Selbstmorde von Geflüchteten. Für die Jahre 1993 bis 2014 hat die ARI 179 Suizide von Flüchtlingen dokumentiert. »Einige verübten Selbstmord aus Angst vor ihrer Abschiebung, andere konnten das Leben in den Flüchtlingsheimen nicht mehr aushalten, die ihnen von den Ausländerbehörden zugewiesen wurden«, sagt Elke Schmidt.

Noch wesentlich höher ist die Zahl der Selbstmordversuche. Zwischen 1993 und 2014 versuchten 1383 Menschen ihrem Leben ein Ende zu setzen oder verübten Selbstverletzungen. Schmidt sieht in den bundesdeutschen Asylgesetzen einen wesentlichen Grund für diese Verzweiflungstaten. Erst Ende Juni hatte die Bundesregierung diese Gesetze erneut verschärft.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/978213.selbstmord-am-oranienplatz.html

Peter Nowak

Das Beste wäre, wenn er bleiben könnte

ABSCHIEBUNG Flüchtlingsaktivist Kaboré soll trotz kritischen Gesundheitszustands abgeschoben werden
Am heutigen Dienstag soll der Flüchtlingsaktivist Abdoul Drammé Kaboré trotz kritischen Gesundheitszustands und einer geplanten Heirat nach Spanien abgeschoben werden. In seinem Herkunftsland Burkina Faso wurde er wegen seines Engagements in einer Oppositionspartei verfolgt. Kaboré beantragte in Spanien Asyl und reiste weiter nach Deutschland. Dort gehörte er zu einer Gruppe von 11 Geflüchteten, die im Mai 2014 vor der Gedächtniskirche gegen das europäische Abschiebesystem protestierten. Nach dem die Gruppe festgenommen wurde, kam Kaboré ins Abschiebegefängnis – seitdem versucht ihn die Ausländerbehörde nach Spanien abzuschieben, weil er dort das erste Mal EU-Boden betrat. Im Mai 2014 verhinderten 70 AntirassistInnen seine Abschiebung. Am 6. Juli 2015 musste erneut ein Abschiebeversuch abgebrochen werden – aus gesundheitlichen Gründen. „Mein Verlobter saß bereits im Flugzeug, als er ohnmächtig wurde“, sagte Dorothea Lipper der taz. Danach sei dieser unter ständiger Anwesenheit von Polizisten im Krankenhaus
untersucht worden. Ein Arzt habe erklärt, dass es für den Gesundheitszustand von Kaboré das Beste wäre, wenn er in Berlin bleiben könnte. Die Ausländerbehörde hat angeordnet, dass Kaboré bei einer erneuten Abschiebung von einem Arzt begleitet wird.
Update: Die Proteste hatten Erfolg. Kaboré wurde am Montagabend freigelassen. Die Abschiebung findet nicht statt.
aus Taz-Berlin 14.7.2015
Peter Nowak

Keine Schlacht

KIEZ Die lange Woche der Rigaer Straße geht recht ruhig zu Ende

„Wo finde ich das Treffen der Erstbesetzer der Liebigstraße?“, fragt ein Mittvierziger im Infoladen „Daneben“. Der Mann kam aus Stuttgart angereist, um ein Vierteljahrhundert später noch einmal mit den Menschen zusammenzutreffen, die 1990 Teil der Ostberliner BesetzerInnenbewegung waren. Das Wiedersehen fand im Rahmen der Langen Woche der Rigaer Straße statt, zu der zahlreiche der ehemals besetzten Häuser und alternativen Projekte rund um die Rigaer Straße eingeladen hatten  (taz berichtete). Am Samstag war zeitweise kein Durchkommen rund um die Straße. An Essensständen wurden Pizza und Veganes auf Spendenbasis angeboten. In vielen
Häusern sowie auf öffentlichen Plätzen wurden Workshops abgehalten. Dabei ging die Polizei immer wieder gegen das Aufstellen von Infoständen vor, weil diese – wie die gesamten Aktivitäten der Langen Woche – nicht angemeldet worden waren. Doch die in den Boulevardmedien seit Wochen prophezeiten Straßenschlachten blieben auch am Wochenende aus. Selbst die Demonstration gegen „Verdrängung und Polizeigewalt“, an der sich am Freitagabend rund 600 Menschen beteiligten, endete nur mit kleinen Geplänkeln –
und zahlreichen Festnahmen. Viele NachbarInnen ließen sich am Samstag nicht davon abschrecken, sich an der Aktionswoche zu beteiligen. Einige monierten den Lärm, der durch den Generator verursacht wurde, mit der die Polizei einen Lichtmast mit Strom speiste, der einen Teil der Rigaer Straße ausleuchtete. In einem auf der Homepage der Aktionswoche dokumentierten offenen Brief haben sich einige Mieter der Rigaer Straße mit den OrganisatorInnen der Langen Woche solidarisiert: „Wir wohnen teilweise mehrere Jahrzehnte in der Rigaer Straße. Wir sind Mieterinnen und Mieter und wir wollen hier wohnen bleiben. Wir gehen täglich mit offenen Augen durch
unseren Kiez und sehen täglich Erscheinungen, die uns Sorgen machen“, beginnt der Brief, in dem Beispiele für aktuelle Verdrängungen
auf der Straße beschrieben und für ein gemeinsames Vorgehen über die Aktionswoche hinaus geworben wird.
aus Taz:  13.7.2015  Printausgabe

Peter Nowak

Linke Aktionswoche beendet

Eine Reihe von Veranstaltungen gegen Verdrängung und zur Vernetzung von Kiezinitiativen ging fast friedlich zu Ende.

Am Samstagnachmittag war auf der Rigaer Straße im Ortsteil Friedrichshain kein Durchkommen mehr. An diesem Tag war der Höhepunkt der »Langen Woche der Rigaer Straße«, zu der ehemals besetzte Häuser und alternative Projekte aufgerufen hatten. Auf einem Kiezspaziergang beispielsweise konnten Besucher jene Gegend besser kennenlernen, die vor 25 Jahren eine der Zenten der Ostberliner Besetzerbewegung war.

Guido, der seinen vollen Namen nicht in der Zeitung lesen will, gehörte zu den Besetzern der ersten Stunde in der Liebigstraße. »Ich wohnte in Westberlin und suchte eine Wohnung. Dann habe ich erfahren, dass ich in Ostberlin einfach in ein leeres Haus ziehen kann«, erinnerte er sich. Nach drei Monaten zog er aus beruflichen Gründen aus Berlin weg. In Stuttgart, wo er heute wohnt, ist Guido in linksgewerkschaftlichen Kreisen aktiv. Zum Treffen der ehemaligen Besetzer ist er nach 25 Jahren nach Berlin gekommen.

Die Organisatoren der Aktionswoche hatten sich immer wieder mit Flugblättern an die Anwohner gewandt. »Wir wünschen uns, dass sich auch Menschen angesprochen fühlen, die ansonsten nichts mit der Szene zu tun haben und hoffen, dass das Straßenfest ein Ort des Kennenlernens und des Austausches zwischen Menschen aus diesem Kiez sein kann.« In einem Offenen Brief haben sich einige Nachbarn zu Wort gemeldet. Sie wünschen sich über die Aktionswoche hinaus ein gemeinsames Vorgehen aller Bewohner des Stadtteils gegen die Verdrängung einkommensschwacher Mieter. Nach einer Demonstration am Freitagabend sowie Samstagnacht kam es rund um die Rigaer Straße zu vereinzelten Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten, 16 Menschen wurden festgenommen.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/977605.links-regiert-skepsis-bleibt.html

Peter Nowak

Flohmarkt ruft Ordnungshüter auf den Plan

GENTRIFIZIERUNG Die „Lange Nacht der Rigaer Straße“ will den Kiez fürs Thema Verdrängung sensibilisieren. Spontane Mitternachts-Demo nach Polizeieinsatz


BRD-Bullenstaat – wir haben dich zum Kotzen statt“. Diese Parole war am Mittwochabend am „Dorfplatz“ im Friedrichshain zu hören. So wird die Kreuzung Rigaer Straße/Liebigstraße von den BewohnerInnen und FreundInnen
der zahlreichen linken und alternativen Hausprojekte in der Umgebung genannt. Seit dem 6. Juli veranstalten diese die „Lange Woche der Rigaer Straße“ mit Konzerten, Ausstelllungen und politischen Veranstaltungen. In diesem Rahmen wurde am Mittwochnachmittag ein Umsonst-Flohmarkt auf dem Dorfplatz aufgebaut, auf Tischen lagen Bücher und Klamotten aus. Die friedliche Straßenfeststimmung endete abrupt, als ein Polizeitrupp in voller Montur die Flohmarktartikel beschlagnahmte. Den Versuch, den Flohmarkt vor den Häusern erneut aufzubauen, vereitelte die Polizei mit einem erneuten Einsatz. Es habe keine Genehmigung für den Umsonst-Flohmarkt vorgelegen, begründete Polizeieinsatzleiter Thomas Böttcher den Einsatz. „Wir warten erst mal ab, lassen aber keine rechtsfreien Räume zu“, beschrieb er die Einsatztaktik rund um das Straßenfest. Bereits am vergangenen Dienstag war ein großer Polizeipulk angerückt, um mit Kreide auf das Straßenpflaster gemalte Parolen mit einem Reinigungstrupp zu entfernen. „Der Flohmarkt war ein Versuch, mit den NachbarInnen in Kontakt zu kommen. Und das sollte mit dem Polizeieinsatz
verhindert werden,“ erklärte eine Mitorganisatorin der Aktionswoche. Vor allem gegen die  zunehmende Gentrifizierung im Kiez wolle man sich mit den Nachbarn gemeinsam wehren. In der letzten Zeit mussten mehrere
Läden in der Umgebung nach Ankündigungen von Mieterhöhungen schließen. Der Besitzer eines T-Shirt-Ladens verübte nach der Kündigung Selbstmord. „Das repressive Vorgehen gegen unser Straßenfest nehmen wir nicht hin“,  erklärte eine Frau kurz nach Mitternacht auf einer improvisierten Kundgebung am  Dorfplatz und kündigte für den
10. Juli um 21 Uhr eine Demonstration gegen „Polizeigewalt und Verdrängung“ an, die ebenfalls am Dorfplatz beginnen soll. Während vom Dach eines der exbesetzen Häuser noch einige Böller abgefeuert wurden, leerte sich der Platz. Dafür waren die zahlreichen Kneipen gut gefüllt,  die in der Rigaer Straße und der unmittelbaren Umgebung zu den MitveranstalterInnen der Langen Woche gehören. Manche AnwohnerInnen befürchten, dass bei der Demonstration
am Freitagabend doch noch die Bilder geliefert werden, die Boulevardmedien seit Wochen herbeizuschreiben versuchen. Besonders die BZ aus dem Hause Springer warnte schon vor Wochen vor einem bundesweiten „Chaotentreffen in Friedrichshain“. Dabei musste als Beweis ein Plakat zur Aktionswoche herhalten, das von Kindern
aus den Hausprojekten gestaltet wurde und vermummte Personen zeigte. Am 8. Juli war die Onlinepräsenz der BZ nicht zu erreichen. In dem Bekennerschreiben einer anonymen Hackergruppe heißt es: „Die BZ beteiligte sich, ähnlich wie die Schwesterzeitung Bild an vorhergehender Hetze rund um die Lange Woche der Rigaer Straße“.

Taz-Berlin,  10-7.2015

Peter Nowak

Polizei umstellt Protest

Der »Dorfplatz« in Friedrichshain ist Zentrum einer Aktionswoche

Linke Hausprojekte wollen in einer »Langen Woche der Rigaer Straße« Vernetzung von Anwohnern und Protest gegen Gentrifizierung vorantreiben.

In den letzten Tagen und Nächten glich die Rigaer Straße im Stadtteil Friedrichshain einer Polizeifestung. Die Gegend um den »Dorfplatz« (Kreuzung Rigaer Str./Liebigstr.) wurde von einem Lichtmast der Polizei komplett ausgeleuchtet. Der Dorfplatz ist das Zentrum der »Langen Woche der Rigaer Straße«, die von den ehemals besetzten Hausprojekten vorbereitet wurde. Sie begann am 6. Juli. »Viele Projekte des rebellischen Friedrichshainer Nordkiez haben sich zusammengetan, um gemeinsam ein Fest zum 25-jährigen Bestehen zu feiern, aber auch, um die ernsten Probleme, mit denen die Menschen in dieser Stadt zu kämpfen haben, solidarisch zu beantworten«, heißt es auf der Homepage. Am Mittwochabend sollte mit einem Umsonstflohmarkt die Nachbarschaft außerhalb der linken Hausprojekte angesprochen werden.

In die friedliche Atmosphäre platzte die Polizei, die den Flohmarkt beschlagnahmte und jeden Versuch eines Wiederaufbaus unterband. Es habe keine Anmeldung vorgelegen, begründete Polizeisprecher Thomas Böttcher den Polizeieinsatz, der auch bei vielen Anwohnern auf Unverständnis stieß. »Mich hat der Lärm vom Generator für den Lichtmast der Polizei gestört, der vor meinem Fenster aufgebaut war, aber nicht der Flohmarkt, schreibt ein Anwohner auf einen Internetblog. «Mit den Polizeimaßnahmen sollen die Krawalle herbeigeführt werden, die die Springerpresse bereits seit Wochen prophezeit», befürchtet eine Mieterin. Vor allem in der «BZ» wird seit Wochen vor einem bundesweiten «Chaotentreffen» in Friedrichshain gewarnt. Eine unbekannte Gruppe hatte am Mittwoch erklärt, sie habe wegen der Hetzartikel und der Polizeigewalt in der Rigaer Straße die BZ-Webseite gehackt.

Für diesen Freitagabend (21 Uhr) haben die Organisatoren der Langen Woche in der Rigaer Straße eine Demonstration gegen «Polizeigewalt und Verdrängung» angekündigt, die am Dorfplatz beginnen soll. Tatsächlich sind die steigenden Mieten ein Problem, das viele einkommensschwache Anwohner der Rigaer Straße betrifft. Immer mehr kleine Läden müssen schließen. Im Mai 2015 beging der Betreiber eines T-Shirt-Ladens in der Rigaer Straße Selbstmord, nachdem ihm gekündigt wurde. Wochenlang erinnerten Freunde und Bekannte mit Blumen und Karten vor dem Laden an ihn.

Die letzten Brachen verschwinden. So soll auf dem Gelände einer ehemaligen Möbelfabrik in der Rigaer Straße 71 ein Kulturhof entstehen, in den nach der aktuellen Planung Teile der historischen Anlage einer Möbelfabrik integriert werden sollen. In den Häusern in unmittelbarer Nähe wurde ein Dachgeschossausbau angekündigt. «Der Druck auf die Mieten in der Umgebung wächst. Daher wäre es wünschenswert, wenn eine Kooperation zwischen den Bewohnern in der Rigaer Straße zustande kommen würde. Schließlich sollte der Unterschied zwischen Hausbesetzern und Mietern schon seit Jahren keine Rolle mehr spielen», formuliert ein Anwohner eine Aufgabe, die auch nach dem Ende der Langen Woche noch aktuell sein wird.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/977377.polizei-umstellt-protest.html

Peter Nowak

Wenn die Leinwand dunkel bleibt

STREIK Im Kino Babylon Mitte gibt es immer wieder Warnstreiks. Es geht um mehr Lohn und Personal

„Worst Case Scenario“ lautet der  Titel eines Film im aktuellen Programm des Kinos Babylon Mitte. Für den Geschäftsführer des Filmhauses am Rosa-Luxemburg Platz, Timothy Grossman, wäre es ein Worst-Case-Scenario, wenn
die Leinwand dunkel bliebe. Denn die Verdi-Betriebsgruppe im Kino ruft seit dem 22. Mai immer wieder zu Warnstreiks auf. Die Gewerkschaft hatte den vor zehn Jahren geschlossenen Tarifvertrag gekündigt und die Geschäftsführung zu Tarifverhandlungen aufgefordert. Sie will die Übernahme des Bundestarifvertrages des Hauptverbands Deutscher Filmtheater (HDF) für die Babylon-Beschäftigten und eine Erhöhung der Personalbesetzung erreichen. „Seit fünf Jahren gab es im Bereich der FilmvorführerInnen keine Entgelterhöhung. Lediglich der Einstiegslohn für PlatzanweiserInnen
wurde 2014 auf den jetzt geltenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro erhöht“, erklärt Andreas Köhn vom
Verdi-Landesbezirk Berlin-Brandenburg.  Bei zwei Verhandlungen habe Grossman erklärt, die z usätzlichen Gelder könne das Kino nicht aufbringen. „Die Eintrittspreise sind um teilweise 20 Prozent gestiegen“, kontert Köhn. „Auch die Anzahl der BesucherInnen hat sich deutlich erhöht.“ Zudem sind im Doppelhaushalt 2016/17 Subventionen
in Höhe von 361.500 Euro für das Filmhaus eingeplant. Bisher betrugen die Zuschüsse 358.000 Euro jährlich.
Zeitgleich mit dem aktuellen Verdi-Streik ist im Syndikat A die Broschüre „Babylohn“ von Hansi Oostinga erschienen, die an den Arbeitskampf der Basisgewerkschaft Freie Arbeiter Union (FAU) in den Jahren 2008 bis 2010 in dem Kino erinnert. Neben zahlreichen Solidaritätsaktionen linker Gruppen spielen dort auch die juristischen Auseinandersetzungen mit den GewerkschafterInnen eine Rolle. Diese sind bis heute nicht beendet. FAU-Mitglied und Betriebsrat Andreas H. wehrt sich juristisch gegen seinen Rauswurf. Mit der Beschuldigung, ein Plakat beschädigt
zu haben, wurde ihm fristlos gekündigt und seine Wohnung polizeilich durchsucht. Den aktuellen Arbeitskampf unterstützt der bis zur gerichtlichen Klärung Beurlaubte trotzdem. Babylon-Geschäftsführer Grosman war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

aus: Taz, 9.7.2015

Peter Nowak

Zu Gast im Knast

Die Bundesregierung will das Asylrecht erneut verschärfen. Anders als im Jahr 1993 ist kein großer außerparlamentarischer Widerstand zu erwarten.

Die Zugänge zum Bundestag werden von Tausenden Menschen blockiert, die sich gegen die Verschärfung der Asylgesetzgebung wenden. Auf den Straßen kommen die Bundestagsabgeordneten nicht weiter. Manche Antirassisten haben auch Boote gemietet, die mit Transparenten und Lautsprechern ausgestattet sind.

Solche Bilder gab es am 26. Mai 1993 in der Umgebung des Bonner Parlaments zu sehen. Doch Antirassisten aus der ganzen Republik konnten nicht verhindern, dass vor mehr als 22 Jahren eine ganz große Koalition aus SPD, FDP und CDU/CSU das Asylrecht derart verschärfte, dass es faktisch abgeschafft wurde. Die Proteste konnten die Abstimmung allerdings um viele Stunden verzögern. Zudem war die antirassistische Gegenwehr das bestimmende Thema in der in- und noch mehr in der ausländischen Presse. Vor allem in Deutschlands Nachbarländern wurden die Anliegen der Kritiker verstanden. Während in west- und vor allem ostdeutschen Städten ein Bündnis aus Neonazis und Wutbürgern Flüchtlingsheime attackierte, zeigten die Politiker der führenden Parteien, dass sie die vermeintlichen Sorgen der deutschen Bevölkerung ernstnahmen.

Mehr als zwei Jahrzehnte später haben die »Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« und ihre regionalen Ableger das Erbe der Vorkämpfer aus den frühen neunziger Jahren ebenso angetreten wie die lokalen »Nein-zum-Heim-Initiativen«, die es in der ganzen Republik gibt. Und wieder zeigen bundesdeutsche Politiker großes Verständnis für die Anliegen derartiger Zusammenschlüsse, und wollen das Asylrecht abermals verschärfen.

Für den 2. Juli ist die zweite und dritte Lesung des Gesetzes zur »Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung« im Bundestag angesetzt. Das Gesetz würde eine umfassende Ausweitung der Abschiebehaft für Flüchtlinge bedeuten. Die Haft soll möglich sein, wenn jemand »unter Umgehung einer Grenzkontrolle eingereist« ist, Identitätspapiere wie Ausweise vernichtet oder »eindeutig unstimmige oder falsche Angaben gemacht« hat, wie es im Gesetzentwurf heißt. Abschiebehaft droht auch, wenn Geflüchtete vor der Einreise nach Deutschland bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden, wenn Identitätspapiere fehlen oder die Behörden der Ansicht sind, sie würden über die Identität des Asylsuchenden getäuscht. Zudem droht Abschiebehaft, wenn Geld für Fluchthelfer bezahlt wurde und wenn der Flüchtling »Mitwirkungshandlungen zur Feststellung der Identität verweigert oder unterlassen hat«. Eine fünfjährige Einreise- und Aufenthaltssperre soll Flüchtlingen drohen, deren Asylantrag im Schengen-Raum bereits abgelehnt wurde, die ihrer Ausreisepflicht nicht in der »gesetzten Ausreisefrist« nachgekommen sind oder »in das Bundesgebiet eingereist sind, um öffentliche Leistungen zu beziehen«.

Die Formulierungen des Gesetzes machen deutlich, dass eine erhebliche Kriminalisierung von Flüchtlingen möglich wäre. Die Delikte sind so vage formuliert, dass sehr viele Menschen betroffen sein könnten. So soll die Bezahlung von Fluchthelfern zu einer strafbaren Handlung erklärt werden, obwohl dies für viele Menschen die einzige Möglichkeit ist, überhaupt nach Europa zu kommen. Statt, wie von humanitären und zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Pro Asyl seit Langem gefordert, den in vielen Ländern Nordafrikas festsitzenden Flüchtlingen gefahrlose Transfermöglichkeiten zu öffnen, damit sie nicht mehr den Weg über das Mittelmeer nehmen müssen, sollen sie nun kriminalisiert werden.

Diese umfassenden Pläne zur Kriminalisierung von Flüchtlingen fallen in eine Zeit, in der die Empörung über die Tausenden toten Flüchtlinge an der Außengrenze Europas auch in Deutschland gewachsen ist. Das zeigte sich beispielsweise am 20. Juni, als anlässlich des »Gedenktags für die Opfer von Flucht und Vertreibung« das Kunstkollektiv »Zentrum für politische Schönheit« unter dem Motto »Die Toten kommen« symbolisch tote Flüchtlinge in Deutschland beerdigte. Während das Gräberfeld auf der Wiese vor dem Bundestag schon nach wenigen Stunden von der Gartenbaubehörde eingeebnet wurde, gibt es in den Grünanlagen zahlreicher deutscher Städte mittlerweile symbolische Gräber, mit denen der unbekannten Flüchtlinge gedacht werden soll, die im Mittelmeer ertrunken sind.

Allerdings spielen die tödlichen Folgen der bundesdeutschen Flüchtlingspolitik in der Kampagne des Künstlerkollektivs keine Rolle. Dabei liefert seit mehr als 20 Jahren eine Arbeitsgruppe der Antirassistischen Initiative Berlin in einer jährlich aktualisierten Dokumentation der tödlichen Folgen der bundesdeutschen Flüchtlingspolitik immer wieder stichhaltige Beweise. Dort sind zahlreiche Suizide von Flüchtlingen dokumentiert, die es in den Heimen nicht mehr aushielten oder Angst vor der Abschiebung hatten.

Tritt das geplante neue Gesetz in Kraft, droht auch eine Zunahme solcher Verzweiflungstaten. Auf den Zusammenhang zwischen den tödlichen Folgen der Flüchtlingspolitik an den EU-Grenzen und denen in Deutschland hat in den vergangenen Wochen die Kampagne »Asylrechtsverschärfung stoppen« hingewiesen. Sie ruft unter dem Motto »Wer nicht ertrinkt, wird eingesperrt« zum Widerstand gegen das Gesetz auf. Allerdings wird es Anfang Juli wohl zu keiner Parlamentsblockade wie im Mai 1993 in Bonn kommen. Das ist auch ein e Folge der Schwächung der außerparlamentarischen Linken in den vergangenen zwei Jahrzehnten. So verlegten sich Antirassisten bisher auf symbolische Taten wie das Einfärben zweier Brunnen in Berlin. »Wir haben die Farbe Rot gewählt, um an das Blut der Menschen zu erinnern, die an den Außengrenzen der EU ihr Leben verloren haben und die aufgrund von bürokratischen Entscheidungen und unmenschlichen Gesetzen in ihrer Existenz bedroht sind. Das mag vielleicht ein wenig pathetisch sein, aber für eine andere Farbe reichte unsere Phantasie leider nicht aus«, heißt es in der Pressemitteilung eines antirassistischen Bündnisses.

Am rechten Rand wird hingegen schon für weitere Asylrechtsverschärfungen getrommelt. So besetzten Mitglieder der rechtsextremen »Identitären Bewegung« am 28. Juni SPD-Büros in Hamburg und Berlin, um gegen einen »Bevölkerungsaustausch« zu protestieren. Die SPD trage Verantwortung, »dass wir als Deutsche in nur wenigen Jahrzehnten zur Minderheit im eigenen Land werden«, heißt es der klassischen rechten Diktion in einer Pressemitteilung. Auch der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hat in einem Interview mit dem Münchner Merkur eine neue Kampagne gegen den angeblichen Asylmissbrauch angeleiert.

Dabei richtete er sich auch gegen eine Passage in der Rede von Bundespräsident Joachim Gauck, die dieser am »Tag der Opfer von Flucht und Vertreibung« im Deutschen Historischen Museum in Berlin gehalten hatte. Gaucks Publikum bestand aus Mitgliedern und Sympathisanten des Bundes der Vertriebenen, für den der Gedenktag installiert wurde.

Gauck redete auch ganz nach dem Geschmack dieser Klientel, besang das Lied von den Heimatvertriebenen als deutschen Opfern und beklagte, dass es zeitweise tabu gewesen sei, »Heimatlieder« zu singen. In einer Passage zog er jedoch auch eine Verbindung zu den derzeitigen Flüchtlingen. »Ich weiß aus vielen Gesprächen mit Heimatvertriebenen, dass sie solche Vergleiche nicht gerne hören. Die Ursachen sind jetzt andere, jetzt geht es auch um massenhaften Asylmissbrauch. Ich finde diese Diskussion nicht angezeigt«, sagte Seehofer dazu. Damit dürfte er die Stimmung im Umfeld der Vertriebenenverbände gut erfasst haben.

Seehofers Schelte macht Gaucks Rede aber nicht akzeptabel. Denn es ist geradezu grotesk, Menschen, die wegen einer Notlage aus ihrem Herkunftsland fliehen müssen, mit einem Personenkreis in Verbindung zu bringen, der vor 1945 mehrheitlich die NS-Politik begeistert unterstützte und im Zuge der deutschen Niederlage die Verwirklichung der Parole »Heim ins Reich« etwas anders als gedacht erlebte.

http://jungle-world.com/artikel/2015/27/52232.html

Peter Nowak

Solidarität mit Veit Wilhelmy!

Konkurrenz zwischen DGB-Gewerkschaften führt zur Kündigung?

Ein Solidaritätsaufruf für gekündigte Gewerkschafter ist in diesen Tagen wahrlich nicht selten. Doch der von zahlreichen Gewerkschaftern unterzeichnete Offene Brief gegen die Entlassung von Veit Wilhelmy richtet sich an den Vorstand der IG BAU (IG Bauen-Agrar-Umwelt).
Wilhelmy war seit Jahren im Rhein-Main-Gebiet als Gewerkschaftssekretär im Bereich Gebäudereinigung aktiv. Dass der IG-BAU-Vorstand Wilhelmy gleich viermal fristlos gekündigt hat, liegt nicht daran, dass er in der Mitgliederwerbung erfolglos gewesen wäre. Vorgeworfen wird ihm, dass er auch in einem Betrieb, der zur IG BCE gehört hat, Mitglieder geworben hat. Nun ist es längst kein Geheimnis mehr, dass es zwischen DGB-Gewerkschaften eine heftige Konkurrenz um die Mitglieder gibt. Dass deswegen Gewerkschaftsmitglieder gekündigt werden, ist hingegen neu.
Als weiteren Kündigungsgrund führte der IG-BAU-Vorstand gegen Wilhelmy an, er habe einen Unternehmer wegen Behinderung einer Betriebsratswahl angezeigt, ohne sich zuvor die Vollmacht vom Bundesvorstand der Gewerkschaft geholt zu haben. Aktive Gewerkschafter an der Basis würden sich oft mehr Gewerkschaftssekretäre wünschen, die auch mal unbürokratisch handeln. Beim dritten Vorwurf, Wilhelmy habe eine Kollegin zu vergünstigen Bedingungen in die Gewerkschaft aufgenommen, fragt man sich, wieviel Entscheidungsfreiheit den Sekretären eigentlich gelassen wird.
Wilhelmy ist seit Jahren über gewerkschaftliche Kreise hinaus als Initiator des Wiesbadener Appells bekannt, der das Recht auf politischen Streik in Deutschland fordert. 2009 hatte Wilhelmy auf einem Gewerkschaftstag der IG BAU gegen den Willen des Vorstands einen Antrag für ein umfangreiches Streikrecht erfolgreich durchgesetzt. Es ist unwahrscheinlich, dass die Kündigungen nichts mit diesen Aktivitäten Wilhelmys zu tun haben, wie der Vorstand der IG BAU betont. Schließlich haben auch in der Vergangenheit verschiedentlich Einzelgewerkschaften Gewerkschaftssekretären gekündigt, die sich besonders für die Rechte der Kollegen einsetzten und dafür auch bereit waren, Konflikte mit Unternehmen und der Politik in Kauf zu nehmen. Ein Beispiel dafür war 2007 die Kündigung des thüringischen Ver.di-Sekretärs Angelo Lucifero,   der ebenfalls über Gewerkschaftskreise hinaus für sein antifaschistisches Engagement bekannt war.

Solidarität mit Veit Wilhelmy!

aus: SoZ,  Juli 2015

Peter Nowak

Gericht verweigert Auskünfte über das Sozialforum

Der Berliner Verfassungsschutz kann  Auskünfte an Bespitzelte auch nach 10 Jahren  verweigern, mit dem Schutz der  Quellen begründen. Das entschied das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg  am 18. Juni. Geklagt hatte     Wolfgang F.,  der  Mitglied der Initiative für ein Sozialforums war.  Das mittlerweile aufgelöste globalisierungskritische Sozialbündnis   wurde seit seiner Gründung im  Jahr 2003 bis zum Sommer 2006  von mindestens fünf V-Leute des Bundes- und des Landesamtes für Verfassungsschutz ausgeforscht (taz berichtete). Der Kläger  und andere im Sozialforum Aktive wollten nach Bekanntwerden der Überwachung  von dem Berliner VS  Informationen über die gesammelten Daten.    Doch er bekam nur wenige geschwärzte   Auskünfte. Seit 2008 versuche er daher auf juristischem Wege an die Daten zu kommen und beruft  sich das Auskunftsrecht nach dem Berliner Verfassungsschutzgesetz.   Der Rechtsanwalt  Sönke Hilbrans, der  die Klage eingereicht hat, spricht von einem  Rückschlag für die informationelle  Selbstbestimmung. „Die Entscheidung der OVG  konterkariert  den Willen des Gesetzgebers und gibt sich im Ergebnis  mit einigen Sprechblasen des Berliner  Verfassungsschutzes  zufrieden“, erklärt Hilbrans gegenüber der Taz.

Auch eine Prozessbesucherin  übt scharfe Kritik an der Entscheidung und bezweifelt, ob sich der VS kontrollieren lasse. „Noch nach 10 Jahren verweigert das  OVG  mit dem Argument des Quellenschutzes  einem von Überwachung Betroffenen  die gesammelten Daten. Ich hätte mir nach den NSU-Skandal ein  anderes Signal gewünscht“, erklärt sie gegenüber der Taz.      Das OVG hat  keine Revision zugelassen. Ob der Kläger dagegen   Beschwerde einlegt, wird er erst entscheiden, wenn er die Urteilsbegründung kennt, die bei Redaktionsschluss noch nicht vorlag.

aus taz vom  19.6.2015

Peter Nowak