Ende der Toleranz am Taksimplatz?

Auch wenn sich das Erdogan-Regime mit Gewalt weiter an der Macht halten kann, die Proteste haben das System getroffen

Die Bilder, die in diesen Stunden aus dem Zentrum von Istanbul übermittelt werden, erinnern an ein Land im Bürgerkrieg. Auch nachdem am Dienstagmorgen eine riesige Polizeiarmada den Taksimplatz geräumt hat, ist nicht die von der Regierung gefordert Ruhe eingekehrt. Im Gegenteil, die gespannte Ruhe der letzten Tage ist in offenen Widerstand umgeschlagen.

So wehrten sich die Besetzer des Taksimplatz mit Barrikaden gegen die anrückende Polizei. Die Besetzer des angrenzenden Gezi-Parkes, von dem die Proteste in der Türkei ausgingen, hatten sich sogleich von der militanten Verteidigung distanziert. Was wie eine Spaltung der Protestbewegung aussieht, kann aber mit den unterschiedlichen Protestmilieus erklärt werden.

Junge empörte Mittelschicht und alte Linke

Bei dem Kern Parkbesetzern handelt es sich um eine urbane, gut vernetzte junge Mittelschicht, die sich gegen das autoritäre, religiös verbrämte Tugendregime der AKP wehrt, aber auch in großer Distanz zu allen Parteien und den traditionellen linken Organisationen steht. Bei den Verteidigern des Taksimplatzes hingegen waren im Kern Aktivisten der verschiedenen linken Organisationen aktiv gewesen, die durch die Ereignisse rund um den Park wieder einmal gemeinsam agieren. Die Ereignisse der letzten Tage zeigte, dass diese Linke noch immer ein Faktor ist, weil sie organisiert handelt und Kampferfahrungen teilweise noch aus den Zeiten der Militärdiktatur hat. Welche Bedeutung sie aber innerhalb der heterogenen Protestbewegung haben wird, ist völlig unklar und hängt auch vom Verhalten der Regierung ab.

Schließlich hätte diese, nachdem sich die Parkbesetzer von der militanten Verteidigung des Taksim-Platzes distanziert hatten, die Spaltungslinien zwischen den jungen Empörten und den alten Linken vertiefen können. Doch Erdogan und die Hardliner in der Regierung setzten auf die Zerschlagung der gesamten Bewegung. Damit aber könnte sie manche der jungen Empörten in die Arme der Linken treiben, die schließlich auch praktisch gezeigt hat, dass man der Polizei nicht wehrlos gegenüber stehen muss.

Erdogan mit dem Rücken zur Wand?

Es muss schon überraschen, dass ein Regierungschef, der es über ein Jahrzehnt verstanden hat, eine Hegemonie in der türkischen Gesellschaft durchzusetzen und damit die alten kemalistischen Eliten entmachtete, angesichts der jüngsten Proteste reagiert wie all die autoritären Staatschefs im Nahen Osten, die für jeden Widerstand gegen ihre Herrschaft Terroristen und Provokateure verantwortlich machen und die Schuld dem Ausland, vorzugsweise Israel, geben. Genau so reagierte Erdogan in den letzten Tagen.
Wenn er nach der Rückkehr von einer kurzen Auslandsreise das Ende der Toleranz ankündigte, obwohl es doch schon die gesamte Zeit eine massive Polizeirepression gegen die Proteste gegeben hat, wird auch deutlich, dass Erdogan nicht aus einer Position der Stärke agiert. Ob er aber mit dem Rücken zur Wand steht, ist noch nicht ausgemacht. Doch selbst wenn er einstweilen an der Macht bleibt, haben seine Pläne für einen Umbau der Türkei in ein autoritäres Präsidialregime unter seiner Führung einen Rückschlag erlitten.

Es war kein Geheimnis, dass Erdogan selber dieses Amt besetzen wolle und mit Unterstützung der kurdischen Bewegung eine Verfassungsänderung umsetzen wollte, die auch einen Machtzuwachs für den Präsidenten festschreiben sollte. Der ebenfalls der AKP angehörende gegenwärtige Präsident Gül hat zu diesen Plänen geschwiegen und offen gelassen, ob er das Amt nicht behalten will. Nach den Ereignissen der letzten Wochen ist die Unterstützung für die Verfassungsänderung nicht sehr wahrscheinlich und Gül hatte in den letzten Tagen signalisiert, dass er gegen den Protestierenden eine flexiblere Haltung einnehmen könnte und die Spaltungslinien zwischen den unterschiedlichen Protestmilieus besser auszunutzen wollte.

Wie Gül haben sich auch einige AKP-Politiker aus der zweiten Reihe vorsichtig von der offen repressiven Linie distanziert. Erdogan hat nach seiner Rückkehr deutlich gemacht, dass er unveränderlich zu dieser Linie steht. Sollten sich damit die Proteste nicht eindämmen lassen und die Zahl der Demonstranten sogar noch wachsen, könnte es zu einem Machtkampf innerhalb der AKP kommen.

Um ein solches Szenario zu verhindern, soll jetzt auch die AKP-Basis überall in der Türkei auf die Straße gehen. Selbst Neuwahlen sind im Gespräch, damit die AKP gestärkt durch ein gutes Wahlergebnis die Opposition scheinbar demokratisch legitimiert zerschlagen kann. Denn, trotz der Massenproteste, hat die Erdogan-Linie in der Türkei durchaus noch Unterstützung. Die innenpolitische Zuspitzung könnte auch dazu führen, dass sich die konservativ-islamistische Bevölkerung noch mehr um die Regierung schart und so die innenpolitische Spaltung vertieft.

Zusammenarbeit mit der türkischen Regierung aufkündigen?

Auch außenpolitisch wird sich das Regime als Stabilitätsfaktor verkaufen und davor warnen, dass neben zahlreichen Nachbarländern auch die Türkei destabilisiert werden könnte. Ein Analyst hat in der Jüdischen Allgemeine die Situation im Nahen Osten mit der Situation in Europa zur Zeit des 30jährigen Krieges verglichen. Die gegenwärtige Regierung wird versuchen, sich als Garant der Stabilität darzustellen. Seit die Unruhen begonnen haben, wird wieder verstärkt über die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU diskutiert.

Betätigten sich schon bisher deutsche Konservative als Bremser einer Annäherung, so fordert jetzt auch die Bundestagsabgeordnete der Linken, Sevrim Dagdelen, eine Aussetzung der EU-Verhandlungen und vor allem der Zusammenarbeit mit der Erdogan-Regierung. Dabei muss man sich aber fragen, ob eine solche Haltung nicht auch Illusionen in die EU als Instanz schürt, die angeblich für eine zivile Austragung von Konflikten steht.

Doch wurden nicht vor 12 Jahren im EU-Land Italien Globalisierungskritiker ebenso massiv mit Wasserwerfen und Tränengas bekämpft und anschließend kriminalisiert? Ist es nicht erst zwei Jahre her, dass die Bewegung der Empörten in der Innenstadt von Athen unter massiver Tränengasanwendung zerschlagen wurde und damit mit der Weg freigemacht, dass die EU-Troika ihr für die Mehrheit der Menschen in Griechenland desaströse Austeritätspolitik umsetzen konnte?

Zudem hat in der Türkei die Massenfestnahme von Gewerkschaftern im letzten Jahr bei der EU keine Reaktionen ausgelöst. Und während die Proteste schon längst im Gange waren, wurde der türkische Linke Bulut Yayla in einer Nacht- und Nebelaktion aus Griechenland verschleppt und der türkischen Justiz übergeben.

Peter Nowak

Nicht hinnehmbare Eskalation durch die Polizei

Auch in der zweiten Woche nach der von der Polizei durch Einkesselung verhinderten Blockupy-Demonstration reißt die Kritik nicht ab

Jetzt haben sich zahlreiche Polizei- und Konfliktforscher aus der gesamten Republik mit einen eigenen Aufruf zu Wort gemeldet. „Bereits im Jahr 2012 wurden die Blockupy-Proteste vor allem juristisch behindert, wenngleich kaum eine der Maßnahmen nachträglich vor Gericht Bestand hatte. In diesem Jahr hat die Polizei die genehmigte Demonstration durch die Einkesselung von über 900 Menschen, die bis zu neun Stunden ohne jede Versorgung festgehalten wurden, willkürlich unterbunden“, heißt es in dem Text.
Für die Forscher sind die Szenen aus Frankfurt Anzeichen „einer nicht hinnehmbaren Eskalation“. „Aufgabe der Polizei in der BRD sollte es eigentlich sein, Versammlungen zu schützen und nicht, diese zu behindern oder gar zu bekämpfen. Wir sehen die aktuellen Entwicklungen eines zunehmend repressiven und gewalttätigen Umgangs mit legitimen Protesten mit großer Sorge und schließen uns den Forderungen einer umfänglichen Untersuchung und Aufarbeitung der polizeilichen Übergriffe auf Demonstranten in Frankfurt an“, heißt es in dem Aufruf. Zu den konkreten Forderungen gehören die individuelle Kennzeichnung von Polizeibeamten, um Gesetzesübertretungen verfolgen zu können, die Schaffung (polizei-)unabhängiger Kontroll- und Beschwerdeinstanzen zur Untersuchung solcher Vorfälle und eine unabhängige Forschung zu sozialen Bewegungen, Protest und staatlichem Umgang mit diesen Phänomenen.

Die Forscher sprechen damit Forderungen an, die auch in Aktivistenkreisen nach Frankfurt verstärkt diskutiert werden. Unmittelbar nach der verhinderten Demonstration initiierte Dirk Stegemann eine Petition mit einer ähnlichen Forderung.


Blockupy ein Erfolg?

Währenddessen redet sich das Blockupy-Bündnis die anhaltenden Proteste gegen die Polizeitaktik als großen Erfolg schön und verbreitet argumentfreie Beschwörungen: „Blockupy 2013 war ein Erfolg. Politisch und praktisch standen wir gemeinsam, als die Polizei unsere großartige Abschlussdemonstration angriff. Über Tausend von uns wurden eingekesselt. Aber wir standen zusammen und stehen zusammen. Blockupy geht weiter.“

Am vergangenen Samstag gingen in Frankfurt/Main ca. 7500 Menschen auf die Straße, um gegen die Polizeirepression vom 1. Juni zu protestieren. Auch Sozialdemokraten, Gewerkschafter und Mitglieder der Grünen waren dort vertreten. Deren Teilnahme sorgte allerdings für Kritik des linken Ums-Ganze-Bündnis.

Schließlich unterstützen die Grünen als Partner einer schwarz-grünen Koalition in Frankfurt den Dezernenten Markus Frank, der von den Kritikern für die repressive Polizeitaktik mitverantwortlich gemacht wird. „Solange die Grünen den Ordnungsdezernenten Frank im Besonderen und die Koalition mit der CDU im Allgemeinen weiter unterstützen, sind sie nicht Teil der Lösung, sondern eindeutig Teil des Problems. Sie sind bei der Demonstration unerwünscht“, heißt es in der Erklärung. Selbst in einem Taz-Kommentar wurden Parallelen zwischen der repressiven Polizeitaktik in Frankfurt und Istanbul gezogen. Dabei hatte sich grünennahe Taz bisher bei der Berichterstattung über die Ereignisse in Frankfurt/Main sehr zurückgehalten. Kritiker erklären sich das mit Rücksichtsnahmen auf die der Zeitung nahestehenden Grünen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154419
Peter Nowak

Palisaden-Panther können bleiben

ERFOLGREICHER PROTEST VON SENIORINNEN IN FRIEDRICHSHAIN

Die MieterInnen der Seniorenanlage in der Palisadenstraße 41 bis 46 in Friedrichshain können aufatmen: Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat mit dem Eigentümer der Häuser eine Vereinbarung unterzeichnet, die sicherstellt, dass sie in den Senioren- und Behindertenwohnungen zu bezahlbaren Mieten bleiben können, wie Bürgermeister Franz Schulz (Grüne) betont. Der Eigentümer hatte ihnen nach dem Wegfall der Anschlussförderung des Landes eine Verdoppelung der Miete angedroht. Das hätte für viele MieterInnen die Vertreibung bedeutet. Als „Palisaden-Panther“ waren die alten Leute zu einem festen Bestandteil der Berliner MieterInnenproteste geworden.

Die nun unterzeichnete Kooperationsvereinbarung schreibt die Miete für die bereits im Haus Wohnenden bei 7,60 Euro bis 8 Euro pro Quadratmeter netto kalt fest und sieht eine jährliche Steigerung entsprechend der Inflationsrate vor. Als besonderen Erfolg wertet Schulz, dass es auch in Zukunft in der Palisadenstraße keine Ferienwohnungen geben darf. Zudem behält der Bezirk weiterhin das Belegungsrecht für die für RollstuhlfahrerInnen ausgewiesenen Wohnungen. Die Mehrheit der frei werdenden Wohnungen kann allerdings künftig zu marktüblichen Preisen vermietet werden.

Eine Aktivistin der Friedrichshainer Initiative „Keine Rendite mit der Miete“ kritisiert, dass damit die Eigentümer doch noch Profite mit den Häusern machen können. Die Bundestagsabgeordnete der Linken, Halina Wawzyniak, die sich in den letzten Monaten für die Palisaden-Panther einsetzte, erklärte gegenüber der taz: Die MieterInnen hätten gezeigt, „dass man sich auch im hohen Alter und trotz körperlicher Gebrechen engagieren und lautstark wehren kann“.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F06%2F11%2Fa0140&cHash=0176c0664b48d7be99e8322192b832b2

Peter Nowak

Große Mehrheit für Verschärfung von Asylrecht in der Schweiz


Das Ergebnis macht wieder einmal deutlich, dass die Bevölkerung in Krisenzeiten auf Ausgrenzung setzt

„Deine eigene Situation wird nicht besser, wenn Du diejenige der anderen verschlimmerst. Stimme Nein am 9. Juni.“ Mit solchen Statements wollten Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen in der Schweiz verhindern, dass bei einem Referendum am vergangenen Sonntag die von der Regierung eingebrachten und Ende September letzten Jahres in Kraft getretenen Verschärfungen des Asylrechts von den Wählern bestätigt werden.

Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften, Kirchen und linke Parteien setzten sich dafür ein, dass die liberale Variante des Asylrechts wieder in Kraft tritt. Ihre Bemühungen waren vergeblich. Knapp 79 % der Abstimmenden votierten für das verschärfte Asylrecht. Das Ergebnis war schon in Umfragen prognostiziert worden.

Repression gegen Flüchtlinge befürchtet

Nach den vom Referendum bestätigten Verschärfungen können Deserteure nicht mehr auf Asyl in der Schweiz hoffen. In den letzten Monaten hatten vor allem Flüchtlinge aus Eritrea häufiger in der Schweiz Asylanträge gestellt und auf die harten Strafen verwiesen, die ihnen in ihrem Heimatland drohen.

Mit der Verschärfung des Asylrechts wird auch ignoriert, dass in vielen Ländern menschenunwürdige Zustände beim Militär bestehen und jungen Wehrpflichtigen unter Umständen zu Menschenrechtsverletzungen gezwungen werden. Während die Schweiz wie Deutschland und viele anderen Ländern beim Waffenhandel eine wichtige Rolle spielt, zieht man vor den Menschen die Mauern hoch, die sich weigern, sie zu benutzen. Zudem ist es nach der Verschärfung nicht mehr möglich, bei Schweizer Botschaften Asyl zu beantragen. Diese europaweit liberale Regelung fällt weg. Auch das Recht auf Familienzusammenführung wird nun eingeschränkt.

Ein besonders heftig diskutierter Punkt im neuen Schweizer Asylgesetz ist die Einrichtung spezieller Zentren für Asylbewerber, die als „Unruhestifter“ stigmatisiert werden. Im Vorfeld des Referendums wurde Stimmung mit der Behauptung gemacht, dass im letzten Jahr die Zahl der von Asylbewerbern begangenen Vergehen um rund 38 Prozent gestiegen sei. Wie bei ähnlichen Meldungen in Deutschland wird hier nicht erwähnt, dass viele dieser Vergehen nur von Flüchtlingen begangen werden können, wenn sie die Einschränkungen des Asylrechts missachten.

Wie in Deutschland haben sich auch in der Schweiz im letzten Jahr Flüchtlinge mit vielfältigen Aktionen dagegen gewehrt und den Grundsatz „Asyl für Alle“ auf die Straße getragen. Die Kampagne gegen Unruhestifter könnte schnell genutzt werden, solche Aktivitäten zu kriminalisieren. Davor warnt auch die Gewerkschaft Unia: „Die Wegsperrung von Menschen ohne Gerichtsbeschluss widerspricht klar rechtstaatlichen Prinzipien und den verfassungsmäßig garantierten Freiheitsrechten. Zudem ist der Begriff „renitent“ völlig vage: Er ist juristisch nicht definiert und öffnet der Willkür Tür und Tor“

Abschottung und Opfer bringen

Der Ausgang des Referendums ist ganz nach dem Geschmack der rechtskonservativen Schweizer Volkspartei, die in dem Land in Sachen Asylrecht oft den Takt vorgibt. Schon legt ihre Züricher Sektion nach und fordert weitere Einschränkungen beim Asylrecht.

Das Referendumsergebnis macht wieder einmal deutlich, dass die Bevölkerung in Krisenzeiten auf Ausgrenzung setzt. Das Bewusstsein einer Konkurrenzgesellschaft, wo jeder sich selber der Nächste ist, drückt sich in solchen Ergebnissen aus. Dass ihre eigene Situation nicht besser wird, wenn die Situation anderer verschlechtert wird, stimmt. Doch die Menschen, die stolz oder zumindest schicksalsergeben Opfer für den eigenen Wirtschaftsstandort in Kauf nehmen, setzen sich besonders dafür ein, diesen gegen andere abzusichern.

So hat sich im letzen Jahr bei einem Referendum eine Mehrheit in der Schweiz gegen einen längeren Urlaub ausgesprochen, weil der angeblich den Wirtschaftsstandort beeinträchtigen könnte (Schweizer sagen Nein zu mehr Urlaub). Das ist auch der Grund, warum rechte Parteien mittlerweile die Instrumente der Volksabstimmungen in der Regel gerne nutzen, um ihre Politik zu legitimieren. Die SVP wollte mit einem Referendum erreichen, dass Regierungsmitglieder statt vom Parlament direkt von der Bevölkerung gewählt werden. Diesen Vorstoß lehnten am Sonntag allerdings rund 76 Prozent der Wähler ab.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154417
Peter Nowak

AKTIONSTAG AN EHEMALIGEN ARBEITSHÄUSERN

Gedenken in Rummelsburg

„Mein Vater wurde in diesem Gebäude zwangssterilisiert“, sagte Rita Vowe. Die Tochter des 1944 in einem Außenlager des KZ Neuengamme ermordeten Boxers Rukeli Trollmann sprach in unmittelbarer Nähe des ehemaligen Arbeitshauses Rummelsburg am Samstag auf einer Gedenkveranstaltung für die Opfer der Aktion „Arbeitsscheu Reich“. So nannten die Nazis die deutschlandweit koordinierte Massenfestnahme von als Asozial stigmatisierten Menschen vor 75 Jahren. Viele der Betroffenen wurden bei dieser Aktion in das Arbeitshaus Rummelsburg transportiert.

Vor einigen Jahren haben AktivistInnen von Erwerbslosengruppen gemeinsam mit Antifagruppen den Arbeitskreis „Marginalisierte – gestern und heute“ gegründet, der seit 2008 am ehemaligen Arbeitshaus Gedenkveranstaltungen durchführt. Auf der Veranstaltung am Samstag berichtete unter anderem auch eine Initiative über ihren Kampf um einen Gedenkort am Gelände des ehemaligen Mädchenkonzentrationslagers Uckermark. Eindringlich berichtete Ilse Heinrich, eine der Überlebenden verschiedener Arbeitshäuser und Konzentrationslager, über den von ihr erlittenen Terror.

Beendet wurde der Aktionstag mit einer Lesung von Dokumenten und Texten über die Verfolgung von als asozial stigmatisierten Menschen von der Nazizeit bis in die Gegenwart. Diese Lesung fand im Rahmen der „Langen Nacht der Wissenschaften“ statt.

Auch in der am Aktionstag eröffneten Ausstellung „Gewalt gegen wohnungslose Menschen im Nationalsozialismus und heute“ sind Kontinuitäten dokumentiert. Die Ausstellung ist bis Freitag im Heimatmuseum Lichtenberg in der Türschmidtstraße 18 zu sehen. Der Eintritt zur Ausstellung ist frei.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F06%2F10%2Fa0126&cHash=ce7369a933be42ecf6b235711167cf57

Peter Nowak

„Dann kann man sie ohne Federlesen wieder rausschmeißen“


Beim Treffen der EU-Innenminister in Luxemburg redete Bundesinnenminister Friedrich (CSU) Klartext

Im Visier hatte der Bundesinnenminister die als Armutsflüchtlinge stigmatisierten Menschen, vornehmlich aus Rumänien und Bulgarien, die nach Deutschland kommen, weil sie sich hier ein etwas besseres Leben als in den Heimatländern erhoffen.

Für Friedrich ist klar, dass es sich hierbei nur um Menschen handeln kann, die in betrügerischer Absicht einreisen – und die können deswegen auch umgehend ausgewiesen werden, so der Bundesinnenminister in Luxemburg. Doch dabei will es Minister nicht belassen und fordert weitere Sanktionen. „Was dazukommt, ist, dass wir ihnen eine Einreisesperre für eine bestimmte Zeit auferlegen, damit sie am nächsten Tag nicht wiederkommen können.“

Held der deutschen Stammtische

Danach gerierte sich der CSU-Politiker so, als wolle er den Grundsatz seines langjährigen Parteivorsitzenden Franz Joseph Strauß beherzigen, dass es rechts von der CSU keine Partei geben darf und man deshalb deren Politik aufgreifen muss. „Wenn die dann irgendwo aufgegriffen werden, dann kann man ohne großes Federlesen sie wieder rausschmeißen, und das ist das Entscheidende.“

Mit solch einem Satz wird man nicht nur zum Helden der deutschen Stammtische, sondern man kann wohl auch damit rechnen, von einer Splittergruppe rechts von der Union ein Beitragsformular zugeschickt zu bekommen. Dabei ist das Ziel von Friedrich genau umgekehrt. Er will diese Rechtsaußenformationen klein halten, indem er deren Parolen übernimmt. Das ist nun wahrlich keine neue Politik. Doch erstaunlich ist es trotzdem, dass Friedrich zwei Jahrzehnte nach dem rassistischen Anschlägen von Rostock, Mölln und Solingen und im Schatten des NSU-Prozesses nicht einmal eine verbale Abrüstung für nötig hält. Dabei haben vor allem in NRW aber auch in anderen Bundesländern schon längst verschiedene rechtspopulistische Formationen mit einer Kampagne gegen die Armutsflüchtlinge aus Osteuropa begonnen. Friedrichs Einlassungen kommen in diesen Kreisen wie gerufen. Damit können sie demonstrieren, dass ihre Anliegen bis in die Bundesregierung Gehör finden.

Die Bundestagsabgeordnete der Linkspartei Ulla Jelpke weist daraufhin, dass eine Kleine Anfrage im Bundestag gezeigt habe, dass Friedrichs Warnungen vor den osteuropäischen Armutsflüchtlingen, die für die Verarmung deutscher Städte sorgen, durch keinerlei belastbares Faktenmaterial gedeckt seien. Auch EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström hat erst kürzlich erklärt: „Wir haben noch keinerlei Zahlen oder Beispiele dazu erhalten, die aber notwendig wären, um zu zeigen, was genau das Problem ist.“ Trotzdem werden Friedrichs Äußerungen von verschiedenen Medien als Tatsachenbehauptung übernommen (siehe auch: Die herbeigerechnete Roma-Flut).

Eingeschränkte Bewegungsfreiheit für Arme in der EU

Friedrich hat mit seinen Einlassungen auch gleichzeitig deutlich gemacht, dass die vielbeschworene Bewegungsfreiheit im EU-Raum ein Mythos ist. Schließlich gehören sowohl Bulgarien als auch Rumänien der EU an. Gerade die Utopie, dass zumindest im EU-Raum die Grenzen fallen sollten, hat viele der Bewohner dieser Länder zu Befürwortern der EU werden lasse.

Nun hat Friedrich in unverschnörkelter Klarheit zum Ausdruck gebracht, dass die Bewegungsfreiheit in der EU eine Klassenfrage ist. Das betrifft natürlich nicht nur die Bewohner der neuen EU-Bürger, sondern genauso die vielen Menschen, die in den letzten Monaten aus Griechenland, Spanien und Italien nach Deutschland migrierten. Als mobile Prekäre am unteren Ende der Niedriglohnskala in Deutschland sind sie sehr willkommen. Dazu sind sie nur bereit, weil sie hier immer noch mehr verdienen als in ihren Heimatländern, wo die Politik der EU-Troika die wirtschaftliche und soziale Situation so verschlechtert hat, dass noch ein Job im deutschen Niedriglohnsektor als Alternative erscheint. Dass nicht wenige von ihnen monatelang um ihren Lohn kämpfen müssen, ist weniger bekannt. Mittlerweile werden die von Lohnbetrug Betroffenen von verschiedenen gewerkschaftlichen Organisationen unterstützt. Die Bundesregierung hat mit dem EFA-Vorbehalt lediglich dafür gesorgt, dass ein Teil dieser EU-Bürger keine Hartz -IV-Leistungen beziehen kann und damit leichter ausbeutbar sind.

Die Bewohner der neuen EU-Staaten sind einstweilen auch im deutschen Niedriglohnsystem noch entbehrlich und sollen, wie Friedrich es in deutscher Stammtisch-Manier ausdrückte, ohne Federlesen rausgeschmissen werden können. Dafür wird er auch von vielen Erwerbslosen und Menschen im Niedriglohnsektor Zustimmung bekommen. Dabei vergessen sie gerne, dass auch ihre Bewegungsfreiheit massiv eingeschränkt wird. Hartz-IV-Empfänger brauchen schließlich für Umzüge und für Reisen immer eine Genehmigung von Jobcenter. Solange sie diese Zumutungen als notwendige Opfer für den Standort hinnehmen und in den Menschen aus Osteuropa nur lästige Konkurrenten sehen, können sich die Friedrichs aller Parteien mit ihren „Armutsflüchtlinge raus“-Parolen als Sprachrohr der schweigenden Mehrheit präsentieren und die Kritik von Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen ignorieren.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154405
Peter Nowak

„Die kamen, haben zugeschlagen und sind wieder heimgefahren.“

Die Kritik am Verhalten der Polizei bei der Verhinderung der Blockupy-Demonstration am 1.6. wird lauter. Doch wer hat die politische Verantwortung?

Nach der Verletzung des Demonstrationsrechtes für tausende Menschen kommt das Land nicht zu Ruhe. Täglich gibt es Proteste in allen Teilen des Landes, bei denen der Sturz der Regierung gefordert wird. Dabei handelt es sich um Szenen aus der Türkei. In Deutschland blieben die Reaktionen auf die ebenfalls am vergangenen Samstag von der Polizei verhinderte Blockupy-Demonstration sehr zurückhaltend. Obwohl fast alle Medien das Vorgehen der Polizei kritisieren und bestreiten, dass vonseiten der Demonstranten Gewalt ausgeübt wurde, gab es keine große gesellschaftliche Diskussion über das Geschehen. Schon am Dienstag spielten die Ereignisse von Frankfurt nur noch eine kleine Rolle in der Medienberichterstattung.


„Der Schwarze Block war bunt“

Dabei mangelte es nicht an aktuellen Meldungen, die als Grundlage für die Berichterstattung hätten diesen können. Täglich werden Augenzeugenberichte aus unterschiedlichen Teilen der gewerkschaftlichen, bürgerrechtlichen und zivilgesellschaftlichen Bewegung veröffentlicht. Die inhaltliche Stoßrichtung gleicht sich.

So heißt es in einem von Wissenschaftlern, Ärzten und Gewerkschaftern unterzeichneten offenen Brief gegen die Ausgrenzung gesellschaftlicher Opposition durch Polizei und Teile der Medien:

„Der ’schwarze‘ Block war bunt. Die ‚Vermummung‘ bestand vor allem aus Sonnenbrillen und Regenschirmen. Der unmittelbare Vorwand der Einkesselung von über 1.000 Personen über insgesamt 9 Stunden war das Abbrennen von 3 bengalischen Feuern.“

Auch über das Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten äußern sich die Verfasser des Offenen Briefes kritisch:

„Vor unseren Augen ist Menschen ohne Vorwarnung, ohne Beteiligung an einer Rangelei o.ä. und ohne, dass eine Gefahrensituation vorgelegen hätte, Pfefferspray aus unmittelbarer Nähe direkt ins Gesicht gesprüht worden (über die Erblindungsrate der Pfefferspray Wirkung wird derzeit diskutiert, Anm. d. A.). Vor unseren Augen sind wehrlose Demonstranten misshandelt worden, indem ihnen bspw. der Kopf nach hinten gezogen und Mund und Nase zugehalten worden ist. Einige brachen daraufhin zusammen. Sie sind nur Dank der Initiative von Teilnehmer der Demonstration versorgt worden. Vor unseren Augen ist Menschen, die an Armen und Beinen zur Personalienfeststellung davon getragen wurden, von den sie tragenden Polizisten in die Seite und in den Unterleib getreten worden.“

Aus dem Kreis der Unterzeichner des Offenen Briefes, die die die Geschehnisse um die Blockupy-Demonstration stundenlang beobachtet und dokumentiert haben, kommt auch die Initiative für eine Onlinepetition.

Die im dem Brief formulierten Beobachtungen decken sich auch mit dem Bericht der Demosanitäter, die von über 100 Verletzten während der Räumung des Kessels sprechen. Auch der Geschäftsführer der zivilgesellschaftlichen Stiftung Ethecon hat in einem persönlichen Bericht über die Ereignisse auf der Demonstration von schweren Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei gesprochen. Das Komitee für Grundrechte, das mit zahlreichen Demobeobachtern vor Ort war, kommt zu einem ernüchternden Resultat:
„Auch dieses Jahr kein Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in der Stadt Frankfurt.“

Gewerkschaftlicher Protest

Harald Fiedler, der Vorsitzende des DGB-Rhein-Main, der nicht zur Blockupy-Demonstration aufgerufen hat, äußert sich ebenfalls kritisch zur Polizeistrategie und deutet am Ende der kurzen Erklärung sogar an, dass de DGB eine Teilnahme bei der nächsten Blockupy-Aktion in Erwägung zieht.

Wer das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit, so wie am Wochenende geschehen, einenge, der dürfe sich nicht wundern, dass immer mehr Menschen gegen die Willkür von Banken und Herrschenden und deren Politik aufstehen und bei der nächsten Blockupy Demonstration dabei sind. Der DGB, so Fiedler, werde dies in seinen eigenen Reihen bewerten.

In einer Erklärung von verdi-Hessen wird vor allem die Einschränkung von Presseleuten bei der Demonstration moniert. Der Vorsitzende der hessischen GEW Jochen Nagel berichtet in einem Brief, wie er selber Opfer einer Polizeiattacke wurde und kommt zu dem Fazit.

„Die Polizeiführung wollte damit eine Eskalation provozieren, um diese dann nachträglich als Legitimation für ihre Verhinderung einer legalen Demonstration auf der gerichtlich bestätigten Route benutzen zu können.“

Nach Informationen der Frankfurter Rundschau gibt es selbst bei der Polizei Kritik am Vorgehen gegen die Demonstration. Danach habe ein Mitglied einer Spezialeinheit das Vorgehen seiner Kollegen mit den Worten kommentiert: „Die kamen, haben zugeschlagen und sind wieder heimgefahren.“

In einem Brief an den hessischen Innenminister Boris Rein spricht der Arzt Joachim Dlugosch von einem vorher geplanten Angriff der Polizei. Mittlerweile mehren sich die Stimmen, die die Verantwortung für den Einsatz im hessischen Innenministerium sehen. Dort sei die Polizeistrategie festgelegt und auch jeder Kompromiss mit den Demonstranten verhindert worden. Rücktrittsforderungen kommen bisher nur von den Jusos und der Linkspartei. Die fordert Meinungsfreiheit in Istanbul und Frankfurt/Main.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154400
Peter Nowak

Mensa für Alle

Informationsstände vor Universitätsmensen gehören zum Hochschulalltag. Schließlich ist es der beste Ort, um viele Kommilitonen anzusprechen. Doch kürzlich ging es Studierenden an der Goethe-Universität in Frankfurt (Main) mit ihren Informationsstand vor der Mensa um ein Thema, dass auch am Campus selten verhandelt wird. »Mensa für Alle« lautete das Motto, mit denen man auf die Situation an der Universität aufmerksam machen wollte. Die Zahl der Sitzplätze in der Studenten-Kantine sei zu knapp bemessen und die Preise seien zu hoch, lauteten die Kritikpunkte. Von diesen Missständen ist nicht nur die Mensa an der Frankfurter Uni betroffen. Tatsächlich häufen sich auch an anderen Hochschulen die Klagen über die Preise in den Mensen und Cafeterias. Allerdings sollte sich die Kritik nicht nur an die Studentenwerke richten, die die Mensen betreiben. Schließlich kann ökologisch wertvolle Nahrung nicht zu Niedrigpreisen verkauft werden und die Mensa-Beschäftigten sollten nach Tariflohn bezahlt werden. Dass die Preise für viele Studierende zu hoch sind, liegt auch daran, dass sich der Niedriglohnsektor auch unter Studierenden ausbreitet und dass zudem die Bafög-Sätze nicht ausreichen. Daher müsste die Forderung nach einer sozialen Mensa ein Einkommen für Studierende einschließen, das auch ökologische Ernährung einschließt. Sollte der Slogan »Mensa für Alle« ernst gemeint sein, müsste auch die Forderung aufgenommen werden, dass auch Menschen ohne Studienausweis dort essen können. In vielen Städten waren Mensen lange eine günstige Alternative für Einkommensschwache. Dass wird aber immer schwieriger, weil heute der Mensakonsum überwiegend vom Studienausweis abhängt. Eine Mensa für Alle sieht anders aus.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/823638.mensa-fuer-alle.html
Peter Nowak

DDR-Anschluss war Modellprojekt

Manifest für ein solidarisches Europa als Beitrag zur linken Debatte

Zur linken Debatte über ein anderes Europa wurde jetzt ein Manifest mit dem Motto »Für ein solidarisches Europa« veröffentlicht. Dafür werden seit dem 1. Juni im Internet Unterschriften gesammelt.

Der Titel geht auf ein Buch zurück, das der Hamburger Historiker Karl Heinz Roth und der griechische Soziologe Zissis Papadimitriou demnächst im Nautilus-Verlag veröffentlichen. Die beiden Aktivisten der außerparlamentarischen Linken ihrer Länder liefern nicht nur eine schonungslose Analyse des Euroraumes, sondern schlagen Alternativen vor.

Die Wurzeln der »exportgetriebenen Niedriglohnpolitik der deutschen Hegemonialmacht und ihrer kerneuropäischen Verbündeten« verorten die beiden Autoren in den frühen 90er Jahren. Sie sehen in dem Anschluss der DDR an die BRD ein Modellprojekt für den Umgang des von Deutschland angeführten Kerneuropa mit der europäischen Peripherie.

In einem eigenen Kapitel wird im Manifest kritisch auf verschiedene linke Europa-Konzepte eingegangen. Der Austritt eines oder mehrerer Länder der europäischen Peripherie aus der Eurozone würde die soziale und wirtschaftliche Misere nach Überzeugung der Verfasser verschärfen.

Sie halten das Konzept des Mehrheitsflügels der größten griechischen Oppositionspartei Syriza für unrealistisch, innerhalb der EU ein Schuldenmoratorium und andere Reformen durchsetzen zu können. Als Alternative werden im Manifest radikale Veränderungen auf wirtschaftlichen und sozialen Gebiet vorgeschlagen.

Dazu gehört eine völlige Abkehr vom Wirtschaftsliberalismus. Gesetzt wird auf Arbeitszeitverkürzung, eine allgemeine Grundsicherung, die spürbare Anhebung der Kapital- und Vermögenssteuer sowie die Verhinderung der Kapitalflucht. Gefordert werden eine Sozialisierung von Banken und zentralen Schlüsselindustrien, die Gleichstellung der Frauen und ein beschleunigter europaweiter ökologischer Umbau.

Die Ablehnung des Schengener Grenzregimes und die Beendigung der Politik der Abschiebung und Diskriminierung von Flüchtlingen gehört zu einem antifaschistischen Vermächtnis. Das wird angesichts des Anwachsens rechter und rassistischer Bewegungen in verschiedenen europäischen Ländern im Manifest aktualisiert. Hergestellt wird der Bezug zu Erklärungen linkssozialistischer Widerstandsorganisationen wie der Gruppe »Neu Beginnen«. Sie forderten zu Beginn der 1940er Jahre eine Föderative Republik Europa als Gegenmittel gegen den zerstörerischen Nationalismus.

Als nächster Schritt wird im Manifest ein europäisches » Netzwerk selbstbestimmt und selbstverantwortlich handelnder Initiativen« vorgeschlagen, die eine »Assoziation Egalitäres Europa« begründen. Aufgerufen dazu sind Aktivisten des sozialen Widerstands, Protagonisten der Alternativökonomie sowie linksoppositionelle Strömungen in Gewerkschaften und Parteien.

www.egalitarian-europe.com
http://www.neues-deutschland.de/artikel/823630.ddr-anschluss-war-modellprojekt.html

Peter Nowak

Ausnahmezustand und Austerität


Bei der »Blockupy«-Demonstration in Frankfurt wurden die Grundrechte von Tausenden Demonstranten missachtet.

Ein Zeichen wollten die »Blockupy«-Aktivisten mit ihren Aktionstagen am Wochenende setzen. Man wollte zeigen, dass sich auch in Deutschland, dem Kernland der in vielen europäischen Ländern bekämpften Austeritätspolitik, Protest gegen diese regt. Am Ende ging aber ein anderes Zeichen von der deutschen Wirtschaftsmetropole Frankfurt aus. In der Stadt wurde von Politik und Polizei ein Ausnahmezustand inszeniert, bei dem gerichtliche Urteile, die die vom »Blockupy«-Bündnis angemeldete Demoroute bestätigt hatten, ebenso ignoriert wurden wie die Grundrechte von Tausenden Demonstranten.

Die Demonstration war knapp einen Kilometer gelaufen, als der antikapitalistische Block, in dem vor allem Unterstützer der Interventionistischen Linken und des Bündnisses »Ums Ganze« versammelt waren, eingekesselt und durch den Einsatz von Pfefferspray und Knüppeln vom Rest der Demonstration isoliert wurde. Stundenlang wurden die Betroffenen nicht vom Platz gelassen und anschließend oft mit rabiater Polizeigewalt zur Personalienkontrolle abgeführt. Die monatelang vorbereitete Demonstration wurde von der Polizei unterbunden. Die Begründung von Polizei und hessischer Landesregierung, in dem eingekesselten Block hätten sich potentiell gewaltbereite Demonstranten befunden, die Sonnenbrillen trugen und einige zu lang geratene Transparente mit sich führten, überzeugte nicht einmal die konservative FAZ, die im vorigen Jahr noch die Repressalien der Polizei gegen die »Blockupy«-Tage begrüßt hatte.

Schon zwei Tage zuvor hatte die Polizei die Menschenrechte von zahlreichen Flüchtlingen missachtet. Als die Polizei Busse mit anreisenden »Blockupy«-Unterstützer kontrollierte, wurden ihnen Repressalien angedroht, sollten sie sich an der Demonstration beteiligen. Denn sie hatten damit die ihnen aufgezwungene Residenzpflicht missachtet, die ihre Bewegungsfreiheit erheblich einschränkt und gegen die sie auch in Frankfurt protestieren wollten. Zahlreiche Flüchtlinge entschieden sich angesichts der Drohungen zur Rückreise nach Berlin. Damit wurde die Schwäche der Demonstranten deutlich, die diese rassistische Spaltung nicht verhindern konnten.

Dass es dagegen keine Spaltung in sogenannte gewaltfreie und autonome Demonstranten gegeben hat, ist ein Erfolg, der bei einem so heterogenen Bündnis, das von Gewerkschaftsgruppen bis zum »Ums Ganze«-Bündnis reicht, nicht selbstverständlich ist. Damit wurde die Grundlage dafür geschaffen, dass das Bündnis auch im kommenden Jahr zur Eröffnung der neuen Zentrale der Europäischen Zentralbank europaweit gegen die Austeritätspolitik und den Ausnahmezustand mobilisiert.

Schließlich gehört die Politik des Ausnahmezustands ebenso zur europäischen Norm wie die Austeritätspolitik. Vor allem in der europäischen Peripherie ist ihre Durchsetzung mit einem Abbau von bürgerlichen Rechten verbunden. So wurden in Griechenland in den vergangenen Monaten gleich dreimal Streiks verboten und in Spanien sitzen Gewerkschafter im Gefängnis, die sich als Streikposten an Protesten beteiligt hatten. Eine europäische Antwort darauf im Kernland der Austeritätspolitik im kommenden Jahr wäre tatsächlich ein Zeichen.

http://jungle-world.com/artikel/2013/23/47828.html

Peter Nowak

Rechte Angriffe haben in den letzten Wochen in Bayern zugenommen

Im Schatten des NSU-Prozesses wächst die Zahl rechter Angriffe in Bayern. Betroffen sind auch Anwälte der Nebenkläger

Eigentlich müsste man denken, dass die rechte Szene angesichts des NSU-Prozesses auf Tauchstation gegangen ist. Schließlich ist der Zusammenhang von rechter Gewalt und rassistischer Ideologie angesichts der NSU-Morde auch für Menschen manifest geworden, die bisher die rechten Umtriebe eher für harmlose Spinnereien gehalten haben. Doch tatsächlich ist die rechte Szene in Bayern nicht abgetaucht, sondern verübt Anschläge, nicht nur trotz, sondern wegen des NSU-Verfahrens. Darauf macht ein Aufruf unter dem Titel „Gemeint sind wir alle“ aufmerksam, der von zahlreichen bayerischen Initiativen und Einzelpersonen unterzeichnet wurde.

„In den letzten Wochen und Monaten nehmen rassistische und faschistische Angriffe in Bayern zu. Die organisierte Neonazi-Szene agiert zunehmend offen und aggressiv“, heißt es dort. In München sei es im April und Mai zu mehreren Attacken von Neonazis gekommen. Zielscheibe seien linke Einrichtungen, die sich gegen rechte Gewalt wehren und Flüchtlinge unterstützen. Die von den Anschlägen Betroffenen kritisierten in einem Fernsehbeitrag die Reaktion der Polizei. So monierte der Vorsitzende des Bayerischen Flüchtlingsrats, Matthias Weinzierl, dass nach der Anzeige der Anschläge ein Rückruf der Polizei erst nach zwei Wochen erfolgt sei.

Auch die Fenster des Wohnprojekts „Ligsalz 8“ seien eingeworfen, Nazi-Parolen in die Fenster eingeritzt und die gesamte Fassade mit Farbbeuteln beworfen worden. Die Geschäftsstelle des Bayerischen Flüchtlingsrats sei ebenso Ziel solcher Angriffe gewesen wie die Münchner Büros des Kurt-Eisner-Vereins, bei dem vier Fensterscheiben eingeworfen wurden. Vom Münchner EineWeltHaus seien zweimal Vermummte vertrieben werden.

Anwältin der Nebenklage im Visier

Auch die Kanzlei Münchner Rechtsanwältin Angelika Lex, die im NSU-Prozess die Witwe des NSU-Opfers Theodoros Boulgarides als Nebenklägerin vertritt, wurde in den letzten Wochen mehrmals Ziel von rechten Attacken. Sie monierte, dass die Polizei zunächst bestritt, dass es sich um eine Serie von Anschlägen gehandelt hat, diese Einschätzung aber später revidierte – mittlerweile wird gegen drei Münchner Neonazis ermittelt. Die Organisatoren des Aufrufs halten eine solche Haltung der Polizei nach dem Aufdecken der NSU-Morde für besonders fatal:

„Die erneute Leugnung eines organisiert agierenden Neonazi-Netzwerks in München zeigt, dass die Polizei nichts aus der folgenreichen Verharmlosung rechter Strukturen der vergangenen Jahre gelernt hat. Angesichts jahrelanger Untätigkeit ist das nicht nur zynisch gegenüber den betroffenen Initiativen und Einzelpersonen der jüngsten Angriffe, sondern auch gegenüber den Opfern des NSU, deren Angehörigen und gegenüber 173 weiteren Todesopfern rechter Gewalt seit 1990.“

„Wir wollen die da weghaben“

Aber nicht nur die in dem Aufruf pointierten Neonaziangriffe gehen im Schatten des NSU-Prozesses weiter. Wenn man sich manche Reaktionen auf die Zuwanderung von Menschen aus Osteuropa ansieht, könnte man zu dem Schluss kommen, auch die Rechtspopulisten agieren weiter wie im Stil der frühen 90er Jahre. Im Vorfeld des Kommunalwahlkampfes in NRW verschärfen sie die Angriffe gegen diese Menschen, in dem sie reale Probleme ethnisieren.

Das erinnert an ähnliche rechte Kampagnen in den frühen 1990er Jahren in Rostock und anderen Städten. Man wolle sich den „Problemen mit der Zuwanderung aus Osteuropa“ annehmen, so der im Wortlaut seriöse daher kommende Titel einer rechtspopulistischen Unterschriftensammlung zur Begrenzung der Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien. Bei der Sammlung der Unterschriften hörten Ohrenzeugen dann ganz andere Töne. „Wir wollen die da weg haben, alles andere interessiert uns nicht mehr“, habe ein O-Ton gelautet.

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Peter Nowak

Anfang vom Ende der Ära Erdogan?


Nach mehreren Tagen der Proteste in der Türkei stellt sich die Frage, welche innenpolitischen Folgen sie haben werden

Dass der Kampf um die Rettung eines Parks im Zentrum Istanbuls zu einer türkeiweiten Protestwelle mit zahlreichen Verletzten und Toten führen konnte, mag auf den ersten Blick überraschend sein. Schließlich schien der türkische Ministerpräsident nicht nur in seinem Land unangefochten, er gerierte sich gar als Globalplayer, der vor den Kameras der Welt gegen die israelische Politik wetterte und sich zum Verbündeten der arabischen Straße aufschwang. Besonders die Umbrüche in der arabischen Welt, vor allem die Machtübernahme der Moslembrüder in Ägypten, schienen Erdogans Plänen entgegenzukommen.

Doch auf den zweiten Blick ist die Protestwelle so überraschend nicht. Es mag verlockend sein, sie mit Begriffen wie „türkischer Sommer“ oder „Istanbul resist“ in einem globalen Kontext zu verorten, entweder als Fortsetzung der arabischen Aufstände oder als spätes Echo auf die Bewegung der Empörten. Damit werden aber die spezifischen Ursachen, die in der jüngeren Geschichte der Türkei und dem Aufstieg der AKP zu suchen sind, vernachlässigt.

Vom islamischen Outsider zur Staatspartei

Zunächst ist festzustellen, dass in der Türkei im letzten Jahrzehnt ein Elitenwechsel stattgefunden hat, wie er in diesem Umfang selten ist. Die jahrzehntelang dominierende säkulare kemalistische Elite aus den Städten wurde von einer aufstrebenden islamisch geprägten Bourgeoisie abgelöst. Die Stellung von Erdogan und seiner AKP zeigt den Wandel. Noch vor wenigen Jahren musste sie befürchten, von den kemalistischen Militärs entmachtet und verboten zu werden.

Erdogan konnte sogar anfangs selbst kein politisches Amt übernehmen, weil er als Bürgermeister von Istanbul wegen islamistischer Propaganda zu einer Haftstrafe verurteilt worden war. Mittlerweile ist ein Großteil der Militärs und mit ihnen viele Regierungskritiker selbst mit politischen Verfahren konfrontiert, viele sind in Haft. Dieser Elitenwechsel ging so reibungslos vonstatten, weil die AKP die Partei des neoliberalen Umbaus in der Türkei wurde. Der Wirtschaftsaufschwung, der vor allem auf Kapitaltransfer aus der arabischen Welt basiert, verschaffte der AKP bei Wahlen viel Zustimmung. Doch zivilgesellschaftliche Kräfte, die Erdogan in der Anfangsphase im Kampf gegen die kemalistischen Militärs noch unterstützten, haben sich längst von ihm abgewandt.

Die Repression der Kemalisten, die sich vor allem gegen die kurdische Bewegung und verschiedene Fraktionen der Linken richtete, wurde übernommen und mit einem islamistischen Etikett versehen. Es sind längst nicht nur die kemalistischen Eliten, die heute in der Türkei verfolgt wurden Die Massenrepression gegen kritische Gewerkschafter, die monatelang im Gefängnis gesessen haben, sowie der Polizeieinsatz gegen eine Gewerkschaftsdemonstration am 1. Mai in Istanbul, macht deutlich, dass sich die Objekte der Verfolgung im Übergang von der kemalistischen zur islamistischen Elite kaum verändert haben.

In den aktuellen Protesten findet sich auch viel aufgestaute Wut über nicht eingehaltene Demokratieversprechen gepaart mit zunehmender islamischer Gängelung wieder. Deshalb haben sich Gewerkschaften wie die KESK und verschiedene linke Gruppen den Protesten angeschlossen.

Erdogans Niederlage im Syrienkonflikt

Neben der zunehmenden innenpolitischen Enttäuschung hat sich die türkische Regierung auch im Syrien-Konflikt eine Niederlage eingehandelt. Die vor allem von Erdogan lange geäußerten Hoffnungen, das Assad-Regime werde in kurzer Zeit gestürzt sein, haben sich nicht erfüllt. Stattdessen haben die innersyrischen Konflikte auch längst die Türkei erreicht, wie es spätestens der Bombenanschlag in Reyhanli deutlich wurde. Die wiederholten Versuche der Erdogan-Regierung, die Nato auf Seiten der Türkei in dem Konflikt zu positionieren, haben bisher auch nicht die erwünschte Wirkung gezeigt.

So ist erstmals auch die außenpolitische Orientierung der Regierung in der Türkei heftig umstritten. In dieser Situation melden sich auch die von der AKP gedemütigten Kemalisten wieder zu Wort. Wenn Erdogan sich nun als türkisch-kurdischer Brückenbauer profilieren will und der kurdischen Nationalbewegung Zugeständnisse macht, gehen auch diverse nationalistische Gruppen in der Türkei auf Distanz. Dass er deswegen in der kurdischen Bewegung nicht unbedingt Vertrauen gewinnt, wird klar, wenn man weiß, dass Erdogan bis heute das Massaker an 34 unbewaffneten Bauern an der türkischen Ostgrenze verteidigt.

Sie waren als angebliche kurdische Guerilleras von Kampfjets getötet worden. So hat sich in den letzten Monaten in unterschiedlichen politischen und kulturellen Spektren der Türkei große Wut auf die Regierung angestaut, die nun in dem aktuellen Widerstand zum Ausdruck kommt. Dass erklärt auch die Heterogenität der Proteste, die nur dann zu einer realen Gefahr für die türkische Regierung werden könnten, wenn sie für große Massen nachvollziehbaren Lösungen finden könnte.

Aufstand der Weißen?

In welche Richtung eine solche Losung gehen könnte, hat der Taz-Kommentator Deniz Yücel kürzlich deutlich gemacht:

„Es ist das Aufbegehren der ‚weißen Türken‘, des wohlhabenden, gebildeten und urbanen Milieus, dem die regierende AKP als Vertreterin der ’schwarzen Türken‘ gegenübersteht, also den Kleinbürgern, Armen und Zugewanderten der Metropolen, die Erdogan repräsentiert und deren derbe Sprache er spricht, plus der Bevölkerung der Provinz, inklusive der anatolischen Bourgeoisie, deren Mann Staatspräsident Abdullah Gül ist. Diese Gruppen waren lange Zeit von der Teilhabe ausgeschlossen.“

Hier könnte die entmachtete kemalistische Elite die aktuellen innen-und außenpolitischen Schwächen der Erdogan-Regierung ausnutzen, um als Sprachrohr dieser „weißen Türken“ die alten Privilegien zurückzuholen versuchen. Ein solcher Machtkampf der Eliten hätte mit einem Kampf für eine grundlegende Demokratisierung und soziale Reformen natürlich wenig zu tun. Das ist allerdings die Motivation einer Solidaritätsbewegung, die sich in vielen Ländern mit der türkischen Zivilgesellschaft solidarisch erklärt. Wie in Ägypten, Tunesien und vielen anderen Ländern sind es auch in der Türkei kleine zivilgesellschaftliche, gewerkschaftliche und linke Gruppen, die solche emanzipatorischen Vorstellungen verfolgen. Dass sie eine realistische Chance haben, ihre Vorstellungen umzusetzen, würde zumindest eine Kooperation unter diesen Gruppen voraussetzen.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154387
Peter Nowak

Am Ohr der Kanzlerin

Das Auto ist der Deutschen liebstes Kind. Das gilt offenbar auch für ihre Regierung. Da muss es nicht verwundern, wenn der Staatsminister im Kanzleramt, Eckart von Klaeden (CDU), aus dem Kabinett in das Daimler-Management wechselt (sein dortiger Vorgänger kommt in die Politik zurück). Nach Kritik von Opposition und der Organisation Lobbycontrol verzichtet er auf seine Versorgungsansprüche als Politiker. Der frühere CDU-Politiker Matthias Wissmann hat den Wechsel von der Politik zur Automobilindustrie schon 2007 vollzogen. Der langjährige Bundestagsabgeordnete war zuvor unter anderem Bundesverkehrs- und -forschungsminister.

Dass Wissmann bei der Bundesregierung ein offenes Ohr für seine Anliegen findet, machte die Umweltorganisation Greenpeace jetzt deutlich. Sie veröffentlichte einen Brief, den Wissmann als Präsident des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie (VDA) an Bundeskanzlerin Merkel geschrieben hat.

Dort hat er die Kanzlerin darum gebeten, sich in Brüssel gegen langfristige CO2-Einsparziele für Autos einzusetzen und das Messverfahren beim Spritverbrauch für Neuwagen (das den realen Verbrauch kräftig untertreibt) unangetastet zu lassen. Den Vorstoß des VDA-Präsidenten kommentiert Stefan Krug von Greenpeace Deutschland mit dem Ratschlag: »Die Kanzlerin sollte sich vom Wehklagen der deutschen Autohersteller nicht beeindrucken lassen.« Mit Sprit sparenden Autos und Elektromobilität werde Deutschland als Standort der Autoindustrie sogar profitieren, ist Krug überzeugt.

Allerdings bedarf es dazu mehr als guter Ratschläge. In der Vergangenheit hat sich immer wieder gezeigt, dass sich Politiker unterschiedlicher politischer Couleur den Interessen der Automobillobby gegenüber ausnehmend offen gezeigt haben. Auch Gerhard Schröder, der Kanzler einer rot-grünen Koalition, verstand sich als Automann.
Von außerparlamentarischen Aktionen gegen diese Symbiose hört man bisher wenig, auch von Greenpeace.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/823274.am-ohr-der-kanzlerin.html

Peter Nowak

Polizei unterbindet Proteste gegen Krisenpolitik

In Frankfurt/Main hat sich am 1. Juni mehr gezeigt, wie in Zeiten der Krise die bürgerliche Rechte abgebaut werden

Am Vormittag des 1. Juni waren rund um den Frankfurter Hauptbahnhof die Banner mit kapitalismuskritischem Inhalt unübersehbar. Fahnen der globalisierungskritischen Organisation Attac waren ebenso zu sehen, wie die Banner zahlreicher Einzelgewerkschaften und auch viele selbstgefertigte Transparente waren zu finden. Am zweiten Tag der internationalen Blockupy-Aktionstage wollten die aus ganz Deutschland und vielen EU-Ländern angereiste Menschen auch im Zentrum der deutschen Wirtschaftsmetropole Frankfurt/Main ein Zeichen setzen, dass auch im Kernland der in ganz Europa verhassten Austeritätspolitik Protest möglich ist.

Am Ende des Tages ging aber ein anderes Zeichen um die Welt. Im Kernland der Austeritätspolitik werden die bürgerlichen Rechte soweit abgebaut, dass eine monatelang vorbereitete Demonstration von der Polizei unterbunden wurde. Die Demonstration war noch nicht einmal einen Kilometer gelaufen, als schon der große antikapitalistische Block eingekesselt und unter Einsatz von Pfefferspray und Knüppel vom Rest der Demonstration isoliert wurde. Als Begründung wurde erklärt, dass sich in dem Block potentiell gewaltbereite Demonstranten befunden hätten, manche Sonnenbrillen und Regenschirme mit sich führten und einige Transparente etwas zu lang gewesen seine.

Vermummte Polizei – bunt gekleidete Demonstranten

Wie absurd die Polizeibehauptungen waren, kann man verschiedenen Pressefotos gut erkennen. So steht unter einem Foto, das behelmte und mit dicken Handschuhen bewaffnete Polizisten zeigt, die bunt gekleideten Demonstranten gegenüberstehen: „Die Sicherheitskräfte wollten vermummte Demonstranten aus dem sogenannten Schwarzen Block einkesseln.“ Im nächsten Bild sieht man die gleichen Demonstranten, die demonstrativ eine Peace-Fahne vor sich halten und im Untertitel heißt es: „Laut der Polizei durften nicht vermummte Demonstranten den Kessel verlassen – was nicht alle taten, wie dieses Foto beweist.“

Dass in Frankfurt die Polizei eskalierte, bestätigte sogar die FAZ-Redakteurin Katharina Iskandar, die im letzten Jahr die rigide Verbotspolitik gegen die Blockupy-Aktionstage verteidigt hatte. „Tatsächlich befinden sich Anhänger radikaler Gruppen innerhalb des Blocks. Von Gewalttätigkeiten aber war ihr bisheriges Verhalten bei der Demonstration bis zu diesem Zeitpunkt weit entfernt“, schrieb Iskandar gestern

Das sahen auch Passanten und Anwohner so, die Zeugen der Polizeiaktion wurden. So konnte man vom Fenster des Cafés des Jüdischen Museums am Frankfurter Untermainkai genau sehen, wie die Demonstranten eingekesselt worden sind. Es habe keinerlei Gewalt von ihrer Seite aus gegeben, bestätigten die Augenzeugen. Der Reporter des Freitag Berichtete, wie kreativ der Polizeisprecher bei der Begründung der Repression war: „Ein Polizeisprecher, den ich am Rande des Kessels nach dem Anlass dieser Aktion fragte, sprach zunächst von der Vermummung der Teilnehmer. Wahrscheinlich meinte er damit die Sonnenbrillen und die Regenschirme, die die Demonstranten bei sich trugen. Als dann ein Kollege des Hessischen Rundfunks fragte, ob es vielleicht auch an den zwei, drei Leuchtkugeln lag, die aus dem Block flogen, antwortet der Sprecher zunächst, er habe davon gar nichts mitbekommen. Doch kurz darauf wurden jene Leuchtkugeln zum Anlass Nummer Eins für den Kessel. Also: Irgendwas findet sich immer.“

Wie die Polizei gerichtliche Urteile ignoriert

Tatsächlich dürfte die Pressegruppe des Blockupy-Bündnisses mit ihrer Einschätzung Recht haben, dass die Zerschlagung der Demonstration von der Polizei lange geplant war und an der Stelle durchgeführt wurde, die für sie am günstigsten war.

Mit dieser Aktion wurden auch Urteile des hessischen Verwaltungsgerichtshofs ignoriert, das eine von den Ordnungsbehörden verfügte Routenänderung, die das Bankenviertel zu einer demonstrationsfreien Zone gemacht hätte, aufgehoben hatte. Die Polizei bildete genau an der Stelle den Kessel, die von den Demonstranten gerichtlich eingeklagt worden war. Sofort machte sie deutlich, dass auch der nichteingekesselte Teil nur die Möglichkeit hat, auf der Wunschroute der Polizei weiterzuziehen. Unter Protest hätte die Demoleitung diese Missachtung einer juristischen Entscheidung schließlich akzeptiert, wenn die Polizei die Einkesselung des antikapitalistischen Blocks aufgehoben hätte. Doch das lehnte sie schrickt ab und zwang schließlich die Eingekesselten unter Einsatz von Pfefferspray und Faustschlägen zur Abgabe der Personalien. Es gab mehrere verletzte Demonstranten. Unter diesen Umständen verzichtete auch der Rest der Demonstration auf die Weiterführung des Aufzugs und harrte aus Solidarität knapp 700 Meter neben den Auftaktplatz aus.

Keine Spaltung der Protestbewegung

Tatsächlich war es in dem sehr heterogenen Bündnis, das von Attac-Aktivisten, Gewerkschaftern bis zum linken Ums-Ganze-Bündnis reichte, Konsens, dass man sich nicht spalten lässt. Diese spektrenübergreifende Kooperation hat seinen Grund auch darin, dass alle am Bündnis beteiligte Gruppen sich auf den Grundsatz geeinigt hatten, dass von der Demo keine Eskalation ausgehen soll und man sich daran gehalten hatte. Nach den Erfahrungen des 1. Juni dürfte die Zusammenarbeit enger werden.

Die Aktivisten werden sich schließlich nach der Verbotsorgie bei den Blockupy-Protesten im letzten und in diesem Jahr fragen, wie sie den Abbau demokratischer Rechte im Zeitalter der Krise begegnen. Denn was in Frankfurt geschehen ist, ist auch in verschiedenen Ländern der europäischen Peripherie längst Realität. Erinnert sei nur an staatliche Repression gegen Demonstrationen in Spanien und Streikverbote in Griechenland. Das polizeiliche Vorgehen in Frankfurt/Main soll wohl auch dazu dienen, die Kapitalismuskritiker vor weiteren Protesten in der Stadt abzuschrecken, wenn im nächsten Jahr der EZB-Neubau im Osten der Stadt eröffnet wird. Es gibt bereits Aufrufe für einen europaweiten Protest gegen Krise und Demokratieabbau an diesem Termin. Was bisher fehlt, sind gemeinsame Grundlagen jenseits von Großprotesten à la Blockupy. Der am 1. Juni veröffentlichte „Aufruf für ein egalitäres Europa“ könnte eine Diskussionsbasis sein.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154364
Peter Nowak

Wenn der Tarif nicht stimmt

Linke Gewerkschafter fordern ihre Organisationen auf, für die Leiharbeitsbranche keine Tarifverträge mehr abzuschließen.

»Nein zum DGB-Tarifvertrag in der Zeitarbeit«, lautete die Überschrift eines offenen Briefs, der Mitte April an die Bundesvorstände des DGB sowie der Einzelgewerkschaften Verdi, IG Bau, IG Metall und IG Bergbau, Chemie, Energie gerichtet wurde. Unterzeichnet wurde er von zahlreichen Basisgewerkschaftern. Bei Mag Wompel von der Onlineplattform Labournet gehen derzeit weitere Solidaritätserklärungen ein. Es mag überraschen, dass sich Gewerkschafter, die sich gegen Verzichts­ideologie und Sozialpartnerschaft wenden, nun gegen den Abschluss eines Tarifvertrags aussprechen. Schließlich treten immer wieder Beschäftigte in den Streik, weil Unternehmen sich weigern, Tarifverträge abzuschließen. Dabei haben Unternehmen durch geregelte Verträge große Vorteile. Sie erhalten dadurch Rechtssicherheit und mit den DGB-Gewerkschaften als Tarifpartner auch eine Institution, die für Betriebsfrieden sorgt. In Zeiten des Verlustes von Arbeiterautonomie verliert der DGB als Vermittlungsinstanz im Unternehmerlager allerdings an Bedeutung.

Daher gibt es immer häufiger Arbeitskämpfe für einen Tarifvertrag, denn für die Beschäftigten ist er in der Regel mit höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen verbunden. Warum sollten sie Interesse am Abschluss eines Tarifvertrags haben, wenn er mit Lohnverlusten verbunden ist? Genau das wäre aber in der Leiharbeitsbranche der Fall, argumentieren die gewerkschaftlichen Kritiker des Tarifvertrags. Damit würden Dumpinglöhne tarifiert, monieren sie in ihrem offenen Brief. Sie setzen stattdessen allerdings nicht auf die Bereitschaft zum Arbeitskampf, sondern auf das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz.

Arbeitsrechtler weisen bereits seit geraumer Zeit auf den dort festgeschriebenen Grundsatz des »Equal Pay« hin. Danach steht Leiharbeitern der gleiche Lohn wie den Beschäftigten mit Festanstellung zu, es sei denn, es werden durch Tarifverträge andere Vereinbarungen getroffen. Entsprechend sind die Vertreter der Leiharbeitsbranche sehr an einem Tarifvertrag interessiert. Beim Abschluss von Tarifverträgen waren die DGB-Gewerkschaften für die Leiharbeitsbranche nicht die ersten Ansprechpartner, stattdessen schloss sie mit den Christlichen Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) Tarifverträge ab, die seitens der DGB-Gewerkschaften als Sanktionierung von Dumpinglöhnen heftig kritisiert wurden.

Allerdings schlossen die DGB-Gewerkschaften selbst nur geringfügig bessere Tarifverträge ab, gegen die schon damals heftige Kritik auch im Gewerkschaftslager verteidigten sie diesen Schritt mit dem Argument, dass man so verhindern wolle, dass sich die christlichen Gewerkschaften in der Branche etablierten. Dieses Argument steht den DGB-Gewerkschaften mittlerweile nicht mehr zur Verfügung. Denn das Bundesarbeits­gericht hat in mehreren Urteilen ganz in ihrem Sinne entschieden. Ende 2010 stellte es fest, dass die christlichen Gewerkschaften keine Arbeitnehmervertretung sind, später folgte die Entscheidung, dass die mit ihnen abgeschlossenen Verträge daher nichtig sind.

Die derzeitige Auseinandersetzung um Tarifverträge in der Zeitarbeitsbranche könnte zur Profilierung einer neuen politischen Strömung im gewerkschaftlichen Milieu beitragen. Vor einigen Tagen veröffentlichte Labournet ein Posi­tionspapier von »linken Hauptamtlichen bei Verdi«, die sich zu einer »konflikt- und basisorientierten Gewerkschaftsarbeit bekennen« und dem Co-Management, dem Standortnationalismus und der Stellvertreterpolitik eine Absage erteilen. Zudem werden im Positionspapier auch die »Perspektive einer grundlegenden Gesellschaftsveränderung« und »das Eintreten gegen das kapitalistische Gesellschafts- und Wirtschaftssystem« betont. Dort haben sich Gewerkschafter zusammengefunden, die in der außerparlamentarischen Linken und Bündnissen wie der Interventionistischen Linken aktiv waren und darüber zur Gewerkschaftsarbeit kamen.

http://jungle-world.com/artikel/2013/22/47789.html
Peter Nowak