Sind wir jetzt alle Pegida?

Polizei unterbindet Proteste gegen Krisenpolitik

In Frankfurt/Main hat sich am 1. Juni mehr gezeigt, wie in Zeiten der Krise die bürgerliche Rechte abgebaut werden

Am Vormittag des 1. Juni waren rund um den Frankfurter Hauptbahnhof die Banner mit kapitalismuskritischem Inhalt unübersehbar. Fahnen der globalisierungskritischen Organisation Attac waren ebenso zu sehen, wie die Banner zahlreicher Einzelgewerkschaften und auch viele selbstgefertigte Transparente waren zu finden. Am zweiten Tag der internationalen Blockupy-Aktionstage wollten die aus ganz Deutschland und vielen EU-Ländern angereiste Menschen auch im Zentrum der deutschen Wirtschaftsmetropole Frankfurt/Main ein Zeichen setzen, dass auch im Kernland der in ganz Europa verhassten Austeritätspolitik Protest möglich ist.

Am Ende des Tages ging aber ein anderes Zeichen um die Welt. Im Kernland der Austeritätspolitik werden die bürgerlichen Rechte soweit abgebaut, dass eine monatelang vorbereitete Demonstration von der Polizei unterbunden wurde. Die Demonstration war noch nicht einmal einen Kilometer gelaufen, als schon der große antikapitalistische Block eingekesselt und unter Einsatz von Pfefferspray und Knüppel vom Rest der Demonstration isoliert wurde. Als Begründung wurde erklärt, dass sich in dem Block potentiell gewaltbereite Demonstranten befunden hätten, manche Sonnenbrillen und Regenschirme mit sich führten und einige Transparente etwas zu lang gewesen seine.

Vermummte Polizei – bunt gekleidete Demonstranten

Wie absurd die Polizeibehauptungen waren, kann man verschiedenen Pressefotos gut erkennen. So steht unter einem Foto, das behelmte und mit dicken Handschuhen bewaffnete Polizisten zeigt, die bunt gekleideten Demonstranten gegenüberstehen: „Die Sicherheitskräfte wollten vermummte Demonstranten aus dem sogenannten Schwarzen Block einkesseln.“ Im nächsten Bild sieht man die gleichen Demonstranten, die demonstrativ eine Peace-Fahne vor sich halten und im Untertitel heißt es: „Laut der Polizei durften nicht vermummte Demonstranten den Kessel verlassen – was nicht alle taten, wie dieses Foto beweist.“

Dass in Frankfurt die Polizei eskalierte, bestätigte sogar die FAZ-Redakteurin Katharina Iskandar, die im letzten Jahr die rigide Verbotspolitik gegen die Blockupy-Aktionstage verteidigt hatte. „Tatsächlich befinden sich Anhänger radikaler Gruppen innerhalb des Blocks. Von Gewalttätigkeiten aber war ihr bisheriges Verhalten bei der Demonstration bis zu diesem Zeitpunkt weit entfernt“, schrieb Iskandar gestern

Das sahen auch Passanten und Anwohner so, die Zeugen der Polizeiaktion wurden. So konnte man vom Fenster des Cafés des Jüdischen Museums am Frankfurter Untermainkai genau sehen, wie die Demonstranten eingekesselt worden sind. Es habe keinerlei Gewalt von ihrer Seite aus gegeben, bestätigten die Augenzeugen. Der Reporter des Freitag Berichtete, wie kreativ der Polizeisprecher bei der Begründung der Repression war: „Ein Polizeisprecher, den ich am Rande des Kessels nach dem Anlass dieser Aktion fragte, sprach zunächst von der Vermummung der Teilnehmer. Wahrscheinlich meinte er damit die Sonnenbrillen und die Regenschirme, die die Demonstranten bei sich trugen. Als dann ein Kollege des Hessischen Rundfunks fragte, ob es vielleicht auch an den zwei, drei Leuchtkugeln lag, die aus dem Block flogen, antwortet der Sprecher zunächst, er habe davon gar nichts mitbekommen. Doch kurz darauf wurden jene Leuchtkugeln zum Anlass Nummer Eins für den Kessel. Also: Irgendwas findet sich immer.“

Wie die Polizei gerichtliche Urteile ignoriert

Tatsächlich dürfte die Pressegruppe des Blockupy-Bündnisses mit ihrer Einschätzung Recht haben, dass die Zerschlagung der Demonstration von der Polizei lange geplant war und an der Stelle durchgeführt wurde, die für sie am günstigsten war.

Mit dieser Aktion wurden auch Urteile des hessischen Verwaltungsgerichtshofs ignoriert, das eine von den Ordnungsbehörden verfügte Routenänderung, die das Bankenviertel zu einer demonstrationsfreien Zone gemacht hätte, aufgehoben hatte. Die Polizei bildete genau an der Stelle den Kessel, die von den Demonstranten gerichtlich eingeklagt worden war. Sofort machte sie deutlich, dass auch der nichteingekesselte Teil nur die Möglichkeit hat, auf der Wunschroute der Polizei weiterzuziehen. Unter Protest hätte die Demoleitung diese Missachtung einer juristischen Entscheidung schließlich akzeptiert, wenn die Polizei die Einkesselung des antikapitalistischen Blocks aufgehoben hätte. Doch das lehnte sie schrickt ab und zwang schließlich die Eingekesselten unter Einsatz von Pfefferspray und Faustschlägen zur Abgabe der Personalien. Es gab mehrere verletzte Demonstranten. Unter diesen Umständen verzichtete auch der Rest der Demonstration auf die Weiterführung des Aufzugs und harrte aus Solidarität knapp 700 Meter neben den Auftaktplatz aus.

Keine Spaltung der Protestbewegung

Tatsächlich war es in dem sehr heterogenen Bündnis, das von Attac-Aktivisten, Gewerkschaftern bis zum linken Ums-Ganze-Bündnis reichte, Konsens, dass man sich nicht spalten lässt. Diese spektrenübergreifende Kooperation hat seinen Grund auch darin, dass alle am Bündnis beteiligte Gruppen sich auf den Grundsatz geeinigt hatten, dass von der Demo keine Eskalation ausgehen soll und man sich daran gehalten hatte. Nach den Erfahrungen des 1. Juni dürfte die Zusammenarbeit enger werden.

Die Aktivisten werden sich schließlich nach der Verbotsorgie bei den Blockupy-Protesten im letzten und in diesem Jahr fragen, wie sie den Abbau demokratischer Rechte im Zeitalter der Krise begegnen. Denn was in Frankfurt geschehen ist, ist auch in verschiedenen Ländern der europäischen Peripherie längst Realität. Erinnert sei nur an staatliche Repression gegen Demonstrationen in Spanien und Streikverbote in Griechenland. Das polizeiliche Vorgehen in Frankfurt/Main soll wohl auch dazu dienen, die Kapitalismuskritiker vor weiteren Protesten in der Stadt abzuschrecken, wenn im nächsten Jahr der EZB-Neubau im Osten der Stadt eröffnet wird. Es gibt bereits Aufrufe für einen europaweiten Protest gegen Krise und Demokratieabbau an diesem Termin. Was bisher fehlt, sind gemeinsame Grundlagen jenseits von Großprotesten à la Blockupy. Der am 1. Juni veröffentlichte „Aufruf für ein egalitäres Europa“ könnte eine Diskussionsbasis sein.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154364
Peter Nowak

Bankenviertel soll protestfreie Zone werden

Die für Mitte Mai geplanten Krisenproteste wurden von den Behörden verboten und könnten zum Mobilisierungsschub führen, sind aber auch Ausdruck der Nervosität durch die EU-Krise

Um die Occupy-Bewegung war es zumindest in Deutschland in den letzten Wochen stillgeworden. In Frankfurt war das Camp der Bewegung in den kalten Tagen des vergangenen Winters zum Zufluchtsort der wachsenden Zahl der Wohnungslosen geworden, die es in der Bankenmetropole gibt.

Doch gerade zu Beginn der wärmeren Jahreszeit wächst die Kritik von Geschäftswelt und den Behörden. So soll eine rumänische Familie, die Teil des Camps ist, den Platz verlassen. Die Occupy-Aktivisten lehnen das Ansinnen, ihre Teilnehmer nach Pässen zu sortieren, empört ab. Auch andere, lange Zeit von den Behörden geduldeten Vorgänge werden auf einmal von den Behörden moniert. Die Zeit, in der sich Opernbesucher, Polizisten und sogar Bankchef Ackermann gerne mit den Paradiesvögeln von Occupy ablichten ließen, scheint vorbei.

Der Grund ist schnell gefunden und nennt sich Blockuppy, eine Kooperation der Krisenproteste und der Occupy-Bewegung, die vom 16.-19. Mai mit internationaler Beteiligung das Zentrum von Frankfurt zu einem Forum der Debatten und des Protestes machen will. Die Aktionstage knüpfen an den europäischen Krisenprotesttag M31 an, an dem am 31. März in verschiedenen europäischen Ländern soziale Bewegungen auf die Straße gegangen waren. Doch knapp zwei Wochen vor dem anvisierten Protestbeginn wollen die Behörden das Areal um das Bankenviertel zur demonstrationsfreien Zone erklärt.

Zunächst haben die Behörden 12 von den Blockuppy-Organisatoren angemeldete Mahnwachen, Camps und Kundgebungen untersagt. Wenige Tage später verschärften die Behörden ihren Kurs noch einmal und verboten sogar einen Rave und eine Mahnwache von kapitalismuskritischen Ordensleuten verboten. Die Aktivisten geben sich kämpferisch und organisieren juristischen und politischen Protest. Die Liste der Unterzeichner der Protestresolution gegen das Blockupy-Verbot reicht von Politikern der Grünen und der SPD bis zu international bekannten Wissenschaftlern.

Wiederholt sich das Szenario von Dresden in Frankfurt?

Manche Aktivisten witzeln schon, das Verbot sei das beste, was den Aktivisten geschehen konnte. Schließlich war die mediale Aufmerksamkeit für Blockuppy lange gering und auch die Mobilisierung in der sozialen Bewegung ließ eher zu wünschen übrig. Zudem fragen sich manche Aktivsten, warum sie nach dem M31-Aktionstag wenige Wochen später erneut in Frankfurt/Main protestieren sollen.

Das Demoverbot hat die Frage beantwortet. Nun geht es um die Verteidigung der Grundrechte, die mit dem Totalverbot aller Kundgebungen in Frage gestellt sind. Erinnerungen werden wach an die Wochen vor den Protestaktionen gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm, die durch eine Polizeirazzia Zulauf bekamen. Ähnlich war es mit den Blockadeaktionen gegen einen rechten Aufmarsch in Dresden, gegen den die Justiz mit Hausdurchsuchungen und Strafverfahren mobilisierte. Die Folge war eine enorme Sympathiewelle für die Aktivisten, die als Sieger .aus dem Machtkampf mit der Justiz hervorgingen.

Vieles spricht dafür, dass es Mitte Mai in Frankfurt/Main ähnlich ausgeht. Da es weder politisch noch juristisch möglich sein wird, Tausende Menschen daran zu hintern, nach Frankfurt zu kommen, werden die Behörden ihre harte Haltung kaum aufrecht erhalten können. Es ist wahrscheinlich, dass die Gerichte das Totalverbot kippen.

Grundrechte im Zeichen der Krise

Dabei wäre es aber falsch, die Maßnahmen als Alleingang von einigen Behörden zu interpretieren. Schließlich hat sich die hessische Landesregierung klar hinter den harten Kurs gestellt. Zudem soll auch den Aktivisten, die in Berlin zum12 März im Rahmen eines internationalen Aktionstages einen Occupy-Neustart planen, eine zweiwöchige Dauermahnwache an einem zentralen Platz untersagt worden.

Am vergangenen Wochenende wurde in Brüssel dem international bekannten Kapitalismuskritiker Walden Bello die Einreise zu einer Konferenz untersagt, die sich mit der Koordinierung der Proteste befasste. Er wurde am Brüsseler Flughafen festgehalten und zurück in die USA geschickt. Die fortdauernde europäische Krise sorgt auch in Ländern wie Belgien und Deutschland bei den politisch Verantwortlichen für Nervosität, wie die Verbote, Einreiseverbote und andere Grundrechtseinschränkungen zeigen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151976
Peter Nowak