Der Druck steigt

Es ist selten geworden, dass studentische Vollversammlungen (VV) bis auf den letzten Platz besetzt und die Menge auch nach zwei Stunden nicht kleiner geworden ist. Doch in den letzten Wochen gab es mehrere solcher VV an der Freien Universität (FU) Berlin. »Der Druck steigt«, diese Parole auf einem Transparent trifft die Stimmung vieler Kommilitonen gut. Es ist der Druck durch immer höhere Leistungsanforderungen, der mit der Angst gekoppelt ist, das Arbeitspensum nicht zu schaffen – und von der Universität zu fliegen. Denn nach einer neuen Prüfungsordnung, die an der FU zum Wintersemester in Kraft treten soll und Grund für die Proteststimmung ist, sollen nur noch drei Prüfungswiederholungen möglich sein. Wer die nicht besteht, wird exmatrikuliert und hat an keiner Hochschule in Deutschland mehr die Möglichkeit, weiter zu studieren. Studierende, die mit den Leistungspunkten in Verzug sind, sollen sich in sogenannten Leistungsvereinbarungen zu »Maßnahmen zur Erreichung des Studienstils« verpflichten. Zudem soll die Anwesenheitspflicht wieder eingeführt werden, die beim letzten großen Bildungsstreik Gegenstand starken studentischen Widerstands war und daher wieder zurückgezogen wurde.

Weil es in letzter Zeit kaum Proteste gab, schien für die Hochschulleitung die Zeit günstig, mit der Prüfungsordnung den Leistungsdruck massiv zu erhöhen und studentische Rechte einzuschränken. Im nächsten Semester wird sich zeigen, ob auch der studentische Druck gegen die neue Prüfungsordnung noch wächst. Was in den letzten Wochen an Widerstand aufgeflackert ist, war ein guter Anfang. Um aber die neue Prüfungsordnung zu verhindern, müsste an die Bildungsstreiks der letzten Jahre angeknüpft werden.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/231766.der-druck-steigt.html
Peter Nowak

Bleibt Merkel am Ende doch Siegerin in der EU?

Immer häufiger werden Zweifel daran laut, ob der erste Eindruck nach dem EU-Gipfel richtig war

Nach der Brüsseler EU-Konferenz in der letzten Woche wurde Bundeskanzlerin Merkel in den Medien im In- und Ausland als Verliererin angesehen. Auch die Opposition im Berliner Bundestag hatten nur Hohn und Spott für eine Bundeskanzlerin übrig, die gegen alle vorherigen Verlautbarungen akzeptieren musste, dass sich marode Banken direkt Gelder aus dem Europäischen Rettungsschirm leihen können. Ökonomen halten diese Regelungen für sehr vernünftig.

In den letzten Tagen wurden dann auch Berichte über die entscheidenden Stunden in Brüssel in den Medien lanciert. Danach habe der italienische Ministerpräsident Monti mit Rücktritt gedroht, wenn die deutsche Regierung in dieser Frage kein Entgegenkommen gezeigt hätte. Damit wäre, kaum dass Griechenland im Sinne der EZB abgestimmt hat, mit Italien ein neues Land für Monate politisch handlungsunfähig geworden.

Da der maßgeblich von den EU-Gremien zum Rücktritt gedrängte Langzeitministerpräsident Berlusconi noch immer überlegt, ob er sich als Rache noch einmal mit einem dezidierten Anti-EU-Kurs zur Wahl stellt und es vielleicht möglich wäre, ob er damit bei den Wählern punkten könnte, wäre mit einer italienischen Regierungskrise ein neuer massiver Unsicherheitsfaktor in das knirschende EU-Gebäude gekommen. Da Italien, Spanien und Frankreich in Brüssel zusammenarbeiteten, sei die deutsche Politik in Brüssel isoliert gewesen, so die Gipfelberichte (Allein gegen den Rest Europas).

Keine automatische Bankenhilfe beschlossen

Doch nun mehren sich die Zweifel, ob der erste Eindruck überhaupt richtig war. Denn bei den Berichten aus Brüssel wurde oft vergessen, dass die Beschlüsse mit vielen Konditionen verbunden waren und so erst einmal auf die lange Bank geschoben werden können. So betonte Regierungssprecher Steffen Seibert, dass in Brüssel kein Instrument einer automatischen Bankenhilfe beschlossen worden ist. Vielmehr wurde in den Vereinbarungen festgehalten, dass man sich auf den Weg zu einer europäischen Bankenaufsicht machen wolle.

Erst wenn die existiere, seien direkte Hilfen an die Banken möglich. Nun ist die Einrichtung einer solchen Bankenaufsicht aber alles andere als gesichert. Im Gegenteil. Der Artikel 6 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU schreibt einen einstimmigen Beschluss des EU-Rats aller 27 Mitgliedsländer vor. Beobachter der EU-Politik halten es für ziemlich sicher, dass zumindest Tschechien und Griechenland dagegen sind.

In beiden Ländern regieren EU-skeptische Politiker mit und von Großbritanniens Politikern ist schon lange bekannt, dass sie sich als Lobbyisten des Londoner Finanzplatz sehen und alles ablehnen, was nach Bankenregulierung und -aufsicht klingt.

Der christdemokratische Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Bundestag Günther Krichbaum erklärtauch unumwunden: „Meine Prognose ist: Die Briten werden sich äußerst schwer tun, ein Vertragswerk zu ratifizieren, das den Londoner Finanzplatz schwächt.“

Also bleiben die Brüsseler Beschlüsse zunächst einmal vor allem Absichtserklärungen. Dass wissen auch die Merkel-Kontrahenten auf dem EU-Gipfel, die wie der italienische und spanische Ministerpräsident selber beinharte Marktliberale sind. Nur müssen sie eben die Sparbeschlüsse, die große Einschnitte für die Bevölkerungen bedeuten, irgendwie schmackhaft machen. So kann Monti als angeblicher Sieger in Brüssel besser seine Pläne einer massiven Kürzung der Ausgaben der öffentlichen Verwaltungen durchsetzen. 30 Milliarden Euro sollen dabei eingespart werden und Personalstellen im fünfstelligen Bereich werden.

Unterschiedliche Stimmen aus der CSU

Auch in Deutschland wissen selbst manche von Merkels Parteifreunden nicht, ob sie sie als Siegerin oder Verliererin von Brüssel sehen sollen. Während der CSU-Vorsitzende Seehofer vor einigen Tagen sogar mit einem Koalitionsbruch drohte, wenn die Regierung Deutschlands Position zur Schuldenfrage in Europa nicht verteidigen kann, gibt der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber in einem Interview Entwarnung:

„Ich möchte das ausdrücklich festhalten! Der Herr Monti interpretiert das so, dass er die Haftung über die Hintertür bekommt. Es steht ausdrücklich in den Dokumenten von der Einlagensicherung nichts drin. Aber unter Bankenunion versteht natürlich Herr Monti nicht nur die Rekapitalisierung der Banken und eine europäische Aufsichtsstruktur, sondern auch am Ende eine gesamtschuldnerische Haftung für alle Einlagen, und genau das ist die Brandmauer, wo Merkel klar gesagt hat, das geht nicht, und das werden wir auch im Europäischen Parlament so festlegen.“

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152332
Peter Nowak

Gauck und der deutsche Michel

»Freiheit« steht auf einem Schild, unter dem sich drei als deutsche Michel gezeichnete Gestalten herumtollen. Die Karikatur aus dem deutschen Biedermeier des 19. Jahrhunderts auf der Titelseite der ostdeutschen Zeitschrift »telegraph« ist ein Kommentar zum neuen deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck, der die Freiheitsmetapher besonders häufig benutzt. Dass die telegraph-Redaktion nicht zu seinen Freunden gehört, ist verständlich. Schließlich wurde die 1987 als Sprachrohr der DDR-Umweltbibliothek entstandene Zeitschrift schon im Herbst 1989 zum Forum der DDR-Opposition, die nicht die Wiedervereinigung und den Kapitalismus zum Ziel hatte. Von dieser staatskritischen Prämisse lassen sich die telegraph-Macher auch in ihrer 124. Ausgabe leiten.

Dem neuen Mann im Präsidentenamt widmet der Mitbegründer des Neuen Forums, Klaus Wolfram, eine Glosse. In einem längeren Text untersucht der Historiker Thomas Klein die Umdeutung der Geschichte der DDR-Opposition, an der sich zunehmend auch einstige Protagonisten beteiligen würden. »Ganz offensichtlich soll das Bild dieser sperrigen Opposition möglichst reibungslos in die identitätsstiftenden Prägungen des Selbstbilds der wiedervereinigten ›Berliner Republik‹ eingefügt werden«, analysiert der Mitbegründer der Vereinigten Linken in der DDR. Einen weiteren Ost-West-Vergleich liefert Klein in einem Aufsatz über Berufsverbote in der BRD und die Arbeitsverweigerung gegenüber Oppositionellen in der DDR.

Mehrere Beiträge widmen sich den aktuellen Protesten. Vor übertriebenem Optimismus warnt Bini Adamzcak. Wenn der Kapitalismus an Zustimmung verliert, könnten auch Islamisten und andere Reaktionäre statt emanzipatorischer Gruppen an Einfluss gewinnen, meint sie. Darüber hinaus setzt sich der Musiker Jenz Steiner in seinem Beitrag kritisch mit dem Berlin-Mythos »Arm, aber sexy« auseinander und kontrastiert die Beschreibungen in Trend-Reisebüchern mit den Arbeitsbedingungen in der Gastronomie- und Clubbranche.

In einem längeren Gespräch über die Ostberliner Hausbesetzerbewegung blitzt sogar etwas Optimismus auf. »Besetzen macht heute noch mehr Sinn als damals«, so einer der Gesprächspartner. Wie aktuell diese Einschätzung ist, zeigt die Aktion einer Gruppe Senioren in Berlin-Pankow, die ihre Begegnungsstätte seit mehreren Tagen besetzt halten und damit die Berliner Linie, nach dem eine Besetzung nicht länger als 48 Stunden toleriert wird, erfolgreich knackten. An ihrem Zaun hängt ein Transparent mit dem Kürzel »WBA«, das DDR-Oppositionelle zur erfolgreichen Protestmarke machten. Heute steht das Kürzel für die Parole der »Recht auf Stadt«-Bewegung »Wir bleiben alle«. Zumindest die Pankower Senioren dürften noch wissen, dass mit WBA vor über zwanzig Jahren die Wohnbezirksausschüsse der DDR gemeint waren.

telegraph 124, 76 S., 4,60 €, beziehbar über telegraph.ostbuero.de.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/231576.gauck-und-der-deutsche-michel.html
Peter Nowak

Kann eine Obsttüten-Aktion antisemitisch sein?

Die christliche Friedensorganisation Pax Christi will darauf aufmerksam machen, „dass Obst und Gemüse mit der Ursprungsangabe ‚Israel‘ vielfach aus völkerrechtswidrigen Siedlungen stammt“

„Handeln im Geist von Frieden und Völkerverständigung“, heißt es auf der Website, auf der die christliche Friedensorganisation Pax Christi für die Obsttüten-Aktion „Besatzung schmeckt bitter“ wirbt. Auf der einen Seite der Homepage findet sich das Foto eines ökumenischen Zusammentreffens vor der Sicherheitsmauer zum Westjordanland, auf der anderen Seite sieht man bunt gemaltes Obst vor der düster grauen Mauer.

In diesem naiven Szenario wirkt der Text etwas deplaziert, der das eigentliche Anliegen der Obsttütenaktion ist: „Mit der bundesweiten Aktion ‚Besatzung schmeckt bitter‘ möchte die Nahostkommission von pax christi Verbraucher/innen darauf aufmerksam machen, dass Obst und Gemüse mit der Ursprungsangabe ‚Israel‘ vielfach aus völkerrechtswidrigen Siedlungen stammt.“

Auf der Linkliste der Kampagnenhomepage wird auch die Kampagne „Keine Waren aus israelischen Siedlungen in den Warenkorb“ beworben. Das Motto erinnert semantisch doch sehr stark an einen Warenboykott gegen Israel und so war eine heftige Debatte um die als Verbraucherschutz und Konsumentenkritik firmierende Papiertüten-Aktion absehbar und vielleicht sogar eingeplant.

Kein Israelboykott?

Die Debatte entzündete sich an der Person des sozialdemokratischen Oberbürgermeisters von Jena. Albrecht Schröter gehört neben bekannten jüdischen Oppositionellen zu den Unterstützern des Aufrufs und geriet daher im In- und Ausland heftig in die Kritik. Die Jerusalem Post schrieb:

„Führende deutsche Nichtregierungsorganisationen klagten den Sozialdemokratischen Bürgermeister von Jena im Bundesland Thüringen, Albrecht Schröter, wegen der Unterstützung des Boykotts israelischer Produkte an, der so aggressiv ist, dass er die Nazi-Kampagne „Kauf nicht bei Juden“ wiederholt und zur Delegitimierung des jüdischen Staates beiträgt.“

Damit wurde die Obsttüten-Aktion mit Aufrufen kurz geschlossen, die einen Boykott von Waren aus Israel fordern. Dagegen stellte Schröter klar: „Einen generellen Boykott von Waren aus Israel halte ich nicht für richtig.“ Diese Differenzierung drang allerdings nicht so richtig durch.

Ein Grund liegt wohl an der Aktion selber. .“Der Aufruf ist wegen seiner Fehlinterpretierbarkeit und seiner Undifferenziertheit sehr umstritten und fand in Thüringen keine weiteren Unterzeichner“, heißt es selbst in einem Text, der Schröter verteidigt und manche seiner Kritiker recht unreflektiert als Strippenzieher bezeichnet .

Allerdings haben natürlich auch die Schröter-Kritiker politische Interessen. So zählt der stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-israelischen Gesellschaft Erfurt, Kevin Zdiara, ebenso dazu wie die nach rechts offene ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld, die polemisch fragt, ob der OB Jena judenwarenrein halten wolle.

Gemeinsamkeiten im Kampf gegen rechts?

Wie öfter in der letzten Zeit, vor allem seit den islamistischen Anschlägen vom 11.9. in den USA, hat sich auch gegen Schöters Unterschrift eine Allianz gebildet, die von Rechtskonservativen bis zu israelsolidarischen Ex-Linken reicht, die die Antisemiten heute vor allem in den unterschiedlichen Spielarten der Linken und bei den Nichtregierungsorganisationen sehen. Schröter taugt für manche Rechtskonservativen schon deshalb zum Feindbild, weil er als einer der wenigen Politiker in Regierungsverantwortung für die Blockaden des Neonaziaufmarsches in Dresden eingetreten ist und dabei auch keine Berührungsängste zur außerparlamentarischen Linken hatte.

Etwas beruhigt hat sich mittlerweile der Streit durch eine „Gemeinsame Erklärung“, die Schröter mit der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Erfurt und der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen unterzeichnet hat. Die Unterzeichner betonen bei allen Differenzen zu der Obsttüten-Aktion, dass es keine persönlichen Diffamierungen geben dürfe und dass die Gemeinsamkeiten im Kampf gegen Rechts weiterhin überwiegen.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152323
Peter Nowak

Rettung des Kommunismus

Die Leipziger Gruppe Inex ist seit 2008 gegen die Gleichsetzung von Nominalsozialismus und Nationalsozialismus und gegen jede Totalitarismustheorie aktiv. In ihrem im Unrast-Verlag erschienenen Band befassen sich 12 Aufsätze mit einer linken Kritik an Stalinismus und Nominalsozialismus. Das Ziel der Autoren ist es, die emanzipatorischen Potentiale des Kommunismus auch gegen die Herrschaftspraktiken des untergegangenen Systems zu verteidigen. Mehrere Autoren widmen sich wenig bekannten historischen Vorgängen. So befasst sich die Autorin Bini Adamczak mit der Frauen- und Geschlechteremanzipation in der frühen Sowjetunion und zeigt auch die Grenzen auf. Der Historiker Philipp Graf liefert einendifferenzierten Beitrag zum DDR-Antifaschismus und der Frage, ob es in der DDR eine antisemitische Politik gegeben hat. Auch der Beitrag von Ulrike Breitsprecher, der den Wandel von der Utopie zur Propaganda in der DDR untersucht, besticht durch eine differenzierte Argumentation. Rüdiger Mats und die Berliner Gruppe paeris zeigten in ihren Beiträgen auf, dass eine Kritik am Nominalsozialismus ohne die Verteidigung von Kapitalismus und Marktwirtschaft möglich ist. Mats verteidigt das Konzept der Planwirtschaft gegen die falsche Praxis im Nominalsozialismus. Auch paeris sieht keinen Grund für eine Verteidigung der Marktwirtschaft sondern für deren Abschaffung. Das in der Einleitung von den Herausgebern formulierte Ziel, die Debatte über den Nominalsozialismus und emanzipatorischen Alternativen anzuregen, hat das Buch erfüllt.

Peter Nowak
Gruppe INEX (Hg), Nie wieder Kommunismus? Zur linken Kritik an Stalinismus und Realsozialismus, Unrast-Verlag, Münster, 20121, ISBN: 978-3-89771-511-0, , 232 Seiten, Preis: 14.80 Euro

aus Neues Deutschland, 27.6.2012

Ost-Besetzer blicken zurück auf die wilden Jahre

Zeitschrift Die 124. Ausgabe des „Telegraph“ widmet sich Hausbesetzungen im Ostteil zur Wendezeit

„Es hat in der DDR kaum einer von uns eine Wohnung über das Wohnungsamt bekommen. Im Herbst 89 dachten wir dann: Zusammen in ein Haus ziehen wäre das Beste.“ So beschreibt „Molti“ aus der Schreinerstraße 47, wie es vor 22 Jahren zur Besetzung des Hauses in Friedrichshain gekommen ist. Er ist einer von zehn SquatterInnen, die in der aktuellen Ausgabe der ostdeutschen Zeitschrift Telegraph einen Rückblick auf die HausbesetzerInnenbewegung am Ende der DDR wagen.

Noch einmal wird an manche der damaligen Debatten erinnert – ob echte SquatterInnen ihre Zimmer abschließen, ob es nicht schon bourgeois ist, ein Zimmer für sich allein zu beanspruchen, oder ob es nicht zum Ansatz „alles Private ist politisch“ auch gehört, die Klotüren auszubauen. Heute wirken diese Debatten seltsam fremd. Eine Position ist indes immer noch umstritten, das zeigen die Gespräche: Soll ein besetztes Haus durch Verhandlungen mit den Behörden gesichert werden? Oder soll man sich lieber räumen lassen?

Weitgehend ausgeblendet bleibt merkwürdigerweise der tiefe Dissens zwischen vielen SquatterInnen mit Ost- und Westbiografie, der ab Frühjahr 1990 sogar zur Gründung getrennter Infoblätter geführt hat. Das Ausblenden dieser Debatte verwundert gerade beim Telegraph, der 1987 als umweltpolitische Blätter von DDR-Oppositionellen gegründet wurde und zwischen 1989 und 1991 als Sprachrohr der linken DDR-Opposition seine größte Verbreitung hatte.

Auch in der aktuellen 124. Ausgabe geht es nicht um nostalgische Rückblicke, sondern um kritische Analyse. So erläutert der langjährige Sprecher des Berliner Wassertisches und Gründer der Initiative Berliner Wasserbürger, Thomas Rudek, Erfolge und Grenzen des Volksbegehrens zur Offenlegung der Teilprivatisierungsverträge der Berliner Wasserbetriebe. Brandaktuell ist der Beitrag der Journalistin Heike Kleffner: Sie beendet ihren Text zu den Verbindungen zwischen der neonazistischen Terrorzelle NSU und dem Verfassungsschutz mit der Frage, wo angesichts der täglichen Enthüllungen die Zivilgesellschaft bleibt. Dazu passt der Aufsatz von Bini Adamczak, die daran erinnert, dass von der Krise des Kapitalismus auch islamistische und andere reaktionäre Bewegungen profitieren.

Peter Nowak

„telegraph“, Nr. 124, 76 Seiten, 4,60 Euro. Bestellung über www.telegraph.ostbuero.de

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2012%2
F07%2F03%2Fa0148&cHash=0a66898988

Feindbild Ökoaktivist

»Sind wir noch zu retten? Zwischen Klimakatastrophe und Ökohysterie« lautet das Motto einer »alternativen Klimakonferenz«, zu der die FDP-Fraktion im sächsischen Landtag am 30. Juni ins Dresdner Congress Center geladen hat.
Mehrere Referenten sind schon dafür bekannt, dass sie die Vorstellung eines von Menschen gemachten Klimawandel leugnen. Dazu zählt der Leipziger Kristallograph und Unternehmer Knut Löschke, der den Kampf gegen Klimawandel schon einmal mit der weltweiten Einführung des Sozialismus verglichen hat. Da er auch im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn und im Hochschulrat der TU Dresden sitzt, kann man seine Ansichten nicht als Privatmeinung eines schrulligen Wissenschaftlers abtun. Auch der Kulturwissenschaftler Benny Peiser, der ebenfalls in Dresden auftrat, findet mit seiner klimaskeptischen Denkfabrik Global Warming Policy Foundation bei Energiekonzernen und Entscheidungsträgern weltweit Gehör.

Anders als die Veranstalter behaupten, kamen also keineswegs tabuisierte Meinungen über den Klimawandel zum Vortrag. Vielmehr versammelten sich dort Personen, die mit ihrem angeblichen Kampf gegen die Ökohysterie die Macht der alten Energiekonzerne möglichst lange erhalten wollen.

Wie damit in populistischer Manier reale Probleme vieler Menschen scheinbar aufgegriffen werden, macht eine Erklärung des Initiators der Konferenz, des FDP-Europaabgeordneten Holger Krah᠆mer, deutlich. Auf seiner Homepage führt er das Verbot der Glühbirne, die Einführung des E10 Benzins und die energetische Häusersanierung als Beispiele für die von ihm beklagte »Bevormundung« durch Ökobürokraten an. Erstaunlich nur, dass er die energetische Sanierung von Häusern auslässt. Denn die wird von seinesgleichen gar zu gern für jene enormen Mietsteigerungen verantwortlich gemacht, deren Ursache in Wahrheit die von der FDP initiierten vermieterfreundlichen Gesetzesänderungen sind.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/231403.feindbild-oekoaktivist.html

Peter Nowak

Kampf um ein deutsches Europa mit Bild, Glotze und BamS

Kampf um ein deutsches Europa mit Bild, Glotze und BamS
Das von Wolfgang Schäuble ins Gespräch gebrachte Referendum ist vor allem Populismus

Den Bundestagsabgeordneten wurde in die Sommerpause ein ungewöhnlicher Ratschlag mitgegeben. Sie sollen nicht so weit raus schwimmen und immer das Handgepäck griffbereit haben. Schließlich ist der ESM-Vertrag und der Fiskalpakt noch nicht in trockenen Tüchern, auch wenn am Freitag kurz vor Mitternacht eine große Mehrheit zugestimmt hat. Doch weil auf dem EU-Gipfel in Brüssel wenige Stunden zuvor gegen Merkels hinhaltenden Widerstand beschlossen wurde, dass auch strauchelnde Banken unter den Rettungsschirm schlüpfen können, muss das Parlament bald erneut entscheiden. Zudem fragen sich viele, wie das Bundesverfassungsgericht entscheiden wird, das unmittelbar nach der Abstimmung am Freitag in Sachen ESM von rechten und linken Politikern angerufen wurde. Es geht schlicht und einfach darum, dass die deutsche Verfassung eben rein nationalstaatlich ausgelegt war und mit den Erfordernissen einer europäischen Politik kollidiert.

Dieses Dilemma haben auch führende Politiker wie Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble erkannt, der in die Sommerloch-Debatte den Vorschlag einer Volksabstimmung ins Gespräch brachte, mit das Grundgesetz so umgestaltet werden kann, dass Befugnisse auf die EU-Ebene übertragen werden können.

Populistische EU-Kritik

Nun ist es schon ein seltsamer Vorgang, dass ein Vertreter der Unionsparteien CDU/CSU, die immer gegen Volksabstimmungen aufgetreten sind und sich beharrlich dagegen gesperrt haben, dass für Deutschlands Reunion eine neue in einer Volksabstimmung beglaubigte Verfassung erarbeitet wird, auf einmal einen solchen Vorschlag in die Debatte wirft. Da es überhaupt noch keine erarbeiteten Gesetzentwürfe gibt, die zur Abstimmung gestellt werden, verfolgt Schäuble damit durchaus wahltaktische Züge.

Der in breiten Kreisen der Bevölkerung vorhandene Unmut über das intransparente Prozedere der EU-Gesetzgebung soll hier populistisch genutzt werden. Der Soziologe Thomas Wagner hat aufgezeigt, wie angeblich basisdemokratisches Instrumente, wie die Volksabstimmung schon längst Tools für populistische Regierungspraktiken geworden sind (Ein Hauch Bonapartismus in Berlin?).

Besonders, wenn solche Referenden von amtierenden Politikern lanciert werden, liegt der Verdacht nahe. Beispiele aus der Schweiz und Österreich gibt es in den letzten Jahren dafür genug. Dort sind es häufig rechtspopulistische Organisationen und Parteien, die solche Volksabstimmungen für ihre Politik nutzen. Daran knüpfen auch bundesdeutsche Rechtsparteien an. So sprach sich ein Redner der NPD am vergangenen Freitag auf einer Kundgebung in Berlin für eine Volksabstimmung zum ESM und zum Fiskalpakt aus. Nur wenige hundert Meter demonstrierte das linksreformerische Spektrum von Attac bis Linken und Grünen gegen ESM und Fiskalpakt und forderten ebenfalls eine Volksabstimmung. Nun ist es manchmal nicht zu vermeiden, fast die gleichen Forderungen wie die NPD zu haben. Wenn aber eine Attac-Gruppe auf Postkarten die Abstimmung über den Fiskalpakt mit den Ermächtigungsgesetz der Nazis 1933 vergleicht, was die Organisationen mittlerweile bedauert und die gleiche Kritik aus dem Mund von NPD-Funktionären kommt, ist es schon kein Zufall mehr, sondern Ergebnis einer verkürzten und ungenauen EU-Kritik.

Die wird auch in einem Interview mit der ehemaligen sozialdemokratischen Justizministerin Herta Däubler-Gmelin deutlich, die eine der Kläger gegen den EMS und Fiskalpakt ist. Dort betont sie einerseits für ein besseres Europa zu sein, beklagt aber heftig, dass dem Bundestag durch diese Verträge Kompetenzen entzogen werden.

Kein Wort wird dagegen darüber geäußert, dass Parlamenten in Italien, Portugal und vor allem Griechenland in den letzten Monaten durch die wesentlich von Deutschland forcierte europäische Sparpolitik massiv Kompetenzen entzogen worden sind. Ein Großteil der jetzigen Kritiker des Kompetenzverlustes des deutschen Bundestags haben dazu geschwiegen, als der damalige sozialdemokratische Ministerpräsident Griechenlands von der EU-Troika geradezu genötigt wurde, sein angekündigtes Referendum zu den Sparbeschlüssen zurück zu nehmen und selber zurückzutreten.

An der Spitze der Politiker, die sich vehement gegen eine solche Befragung der Bevölkerung wandten, gehörte auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Das ist aber nicht verwunderlich. Denn, dass die Bevölkerung über die ihnen zugemuteten sozialen Zumutungen abstimmen kann, ist auch im Schäuble Vorschlag nicht vorgesehen. Es geht vielmehr darum, dafür zu sorgen, dass der Einfluss Deutschlands in Europa erhalten bleibt.

Gerade in den letzten Wochen nach der Wahl eines Präsidenten in Frankreich, der sich im Gegensatz zu seinen Vorgänger gegen das deutsche Sparmodell ausgesprochen hat, kann Merkel nicht mehr schalten und walten, wie sie will in der EU. Das wurde beim Brüsseler Gipfel vor wenigen Tagen schon deutlich, wo Spanien und Italien den neuen Wind aus Frankreich genutzt haben, um Merkel bei ihrem Spardiktat Paroli zu bieten (Allein gegen den Rest Europas).

Stimmung entfachen

Schäuble selbst hat das neue Selbstbewusstsein der anderen EU-Partner zu spüren bekommen. Er konnte nicht zum Leiter der EU-Gruppe ernannt werden, was die Bundesregierung scheinbar schon als selbstverständlich vorausgesetzt hatte. In Kommentaren war nach dem Gipfel in Brüssel schon von zwei Niederlagen Deutschlands die Rede, einer im Fußball und einer beim EU-Gipfel. In einer solchen Situation bekommen populistische Strömungen nicht nur am rechten Rand Auftrieb, die darüber lamentieren, dass Deutschland Zahlmeister Europas sei und dann noch überstimmt werde.

Mit einer Volksabstimmung kann eine solche Stimmung erst richtig entfacht werden. Deutsche Politiker können gegen eine weitere Aufweichung der deutschen Linie in der EU ins Feld führen, dass sie dann zu Hause um ihre Mehrheiten fürchten müssen und eine EU wohl ohne Griechenland, nicht aber ohne Deutschland funktionieren würde. Wenn nach dem Brüssel-Gipfel in regierungsnahen Zeitungen kommentiert wurde, Merkel habe dort eine Schlacht, aber nicht den Krieg verloren, ist das ernst zu nehmen. Jetzt soll der Kampf um ein deutsches Europa auch mit Bild, BamS und Glotze geführt werden.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152315
Peter Nowak