Mit dem Strafrecht gegen regressive Israelkritik?

Über Folgen der Besatzung sollte hart gestritten werden, das Strafrecht ist dabei aber ein untaugliches Mittel

Der Oberbürgermeister von Jena, Albrecht Schröter [1], scheint mit seinem Amt nicht ausgelastet. Er geriert sich als Weltpolitiker und landet dann bei der Israelkritik. Bereits 2012 geriet er in die Kritik, weil er einen Pax Christi-Aufruf zur Forderung nach Kennzeichnung von Waren aus israelischen Siedlungen in den palästinensischen Gebieten unterzeichnet [2] hat.

Allerdings ging in der aufgeregten Debatte etwas unter, dass Schröter mitnichten einen generellen Boykott israelischer Waren, sondern nur eine in vielen EU-Ländern geforderte Kennzeichnungspflicht für Waren aus Siedlungen in den besetzten Gebieten forderte. Es bliebe dann jedem Kunden selbst überlassen, ob er sie kauft oder nicht. In den Wochen danach hatte Schröters obsessive Auseinandersetzung mit Israel sogar juristische Folgen. Ein Thüringer Bürger zeigte ihn wegen Volksverhetzung an. Die Kennzeichnungspflicht für Waren aus palästinensischen Siedlungen erinnerte ihn an die NS-Politik.

„Der Aufruf des Herrn Schröter hat klaren antisemitischen Charakter und ist nach meinem Empfinden eine deutliche Volksverhetzung!“, erklärte der Anzeigesteller gegenüber der Thüringer Allgemeinen [3]. Die Staatsanwaltschaft Gera hat allerdings die Ermittlungen eingestellt [4]. Neben der Unterstützung der Kennzeichnungspflicht für Waren aus den besetzten Gebieten monierte der Antragssteller noch, dass Schröter geäußert habe, Deutschland müsse „aus seiner vornehmen Zurückhaltung gegenüber Israel als Besatzerstaat heraustreten“.

Regressive Israelkritik oder Antisemitismus

Tatsächlich gibt es viele politische Gründe, um diese Äußerung zurückzuweisen. Schon die Annahme, dass Deutschland, das ständig und besonders obsessiv die Politik Israels kritisiert, aus der vornehmen Zurückhaltung heraustreten soll, ist absurd. Es mag Politiker verschiedener Parteien geben, die als deutsche Staatsräson gegenüber Israel zurückhaltend auftreten. Für die Mehrheit der Medien gilt da ebenso wenig wie für die meisten Staatsbürger.

Auch die Kennzeichnung von Israel als Besatzerstaat ist grob vereinfachend und nimmt nur einen spezifischen Teil de Realität war. Denn Israel ist auch das Land, das seit Jahrzehnten von islamistischen Terror bedroht ist. Man braucht sich nur an den Deutschen Herbst 1977 zu erinnern, um sich vorzustellen, was hierzulande passieren würde, wenn auf Köln, Düsseldorf und Hamburg von Nachbarländern Raketen abgeschossen werden und die Bevölkerung mit Messerattacken konfrontiert ist.

Da Schröter diese Differenzierung nicht leistet, gehört der Begriff „Besatzerstaat“ zum Arsenal einer regressiven Israelkritik. Sie kann muss aber nicht Bezüge zum Antisemitismus haben. Begriffe wie „zionistisches Gebilde“ hingegen, die in Teilen der palästinensischen Organisationen verwendet wurden und auch zeitweise in Teilen der „Palästina-Solidaritätsbewegung“ vor 1989 Eingang gefunden hatten, sind offen antisemitisch. Hier wird mit alten antijüdischen Klischees gearbeitet. Zudem wird die Situation im Nahen Osten hier klar durch eine antisemitische Brille wiedergeben.

Die Folgen der Besatzung

Die Besatzung dagegen ist durchaus eine Realität in Israel und es gibt viele Israelis auch und gerade in der zionistischen Bewegung, die offen darüber diskutierten, welche Belastung die Besatzung für die israelische Demokratie ist. Es ist einige Wochen her, als die rechte Hügeljugend und ähnliche Gruppierungen Jagd auf Palästinenser machten.

Ein Aufschrei der Empörung bis weit ins konservative Spektrum der israelischen Gesellschaft inklusive des Staatspräsidenten war die Folge und wurde von vielen auch als Ausdruck der Hoffnung für Israel empfunden. Die Messerattacken scheinen in Teilen dafür gesorgt zu haben, dass das Klima wieder kippte.

Man sieht Videos, auf denen israelische Bürger rufen, einen Jugendlichen, der eine Messerattacke verübte, gleich zu erschießen. Gerade Menschen, die Israel unterstützten, sollten solche Töne, die nichts mit Rechtsstaatlichkeit zu tun haben, kritisieren. Man sollte eben gerade nicht nur einen Aspekt der israelischen Realität herausgreifen. Es ist ebenso falsch, Israel lediglich als Besatzerstaat wahrzunehmen, als ausschließlich „als einzige Demokratie im Nahen Osten“, und die kritischen Stimmen über die Folgen der Besatzung auch auf die israelische Gesellschaft auszublenden.

Zu einer komplexen Betrachtung der Situation im Nahen Osten gehört ebenso die von Islamisten bedrohte israelische Demokratie wie die alles andere als demokratischen Folgen der Besatzung. Hierüber sollte durchaus hart gestritten werden. Das Strafrecht ist herbei aber ein untaugliches Mittel. Daher ist die Einstellung des Verfahrens gegen Schröter kein Ausdruck von Zurückweichen vor dem Antisemitismus durch die Justiz, sondern eine Voraussetzung, damit überhaupt eine politische Debatte möglich wird. Schröter verdient scharfe politischen Widerspruch, aber keine Klage.

Wann wird der Antisemitismus seines Inhalts beraubt?

Die Probleme mit dem Antisemitismusbegriff werden in einem Interview in der Jüdischen Allgemeinen [5] mit Rechtsanwalt Achim Doerfer deutlich. Er vertritt einen Mandanten, der gegen den Publizisten Matthias Mattusek geklagt hat, weil der ihn auf Facebook als Antisemiten bezeichnet hat. Es scheint, dass es ihm darum gegangen ist, einen publizistischen Kontrahenten zu diffamieren [6].

Der Fall zeigt einmal mehr, dass der zivilisierte Umgang im Internet selbst bei Leuten wie Mattusek ein Fremdwort scheint. Dass Mattusek selbst enthüllte [7], sich vor mehr als 13 Jahren hinter den für seine regressive Israelkritik bekannten FDP-Politiker Jürgen Möllemann gestellt zu haben, und heute viel israelfreundlicher zu sein, ist ein interessanter Nebenaspekt der Geschichte. Einen Kollegen mit einem unbegründeten Antisemitismusvorwurf schaden zu wollen, deutet allerdings eher auf ein instrumentales Verständnis von Antisemitismus an.

Davon zu unterscheiden sind Vorwürfe des Antisemitismus für Vorkommnisse, die von den Betroffenen tatsächlich als solche empfunden werden, damit aber gesellschaftlich in der Minderheit sind. Die Anzeige gegen den Jenaer Oberbürgermeister ist hierfür ein Zeichen. Man könnte auch argumentieren, dass der Vergleich der NS-Vernichtungspolitik mit Kennzeichnung von Produkten aus israelischen Siedlungen den Antisemitismus der Nazis verharmlost.

Ihnen ging es nicht um eine Kennzeichnung von Produkten, sondern um eine Stigmatisierung von Menschen auf dem Weg zu ihrer Vernichtung. Es gehörte auch zu den Ergebnissen der Antisemitismusdiskussion in der deutschen Linken nicht immer und überall den Vergleich mit der NS-Politik zu ziehen, weil damit die spezifische NS-Vernichtungspolitik eingeebnet wird.

Arbeitskampf und Antisemitismus

Ein Arbeitskampf um das Berliner Kino Babylon zeigt einmal mehr, wie schwierig es ist, das subjektive Gefühl zur Grundlage einer Einschätzung machen. In dem Kino setzten sich seit Jahren Mitarbeiter unterstützt von verschiedenen Gewerkschaften [8] für bessere Arbeitsbedingungen ein und rufen auch wie bei vielen Arbeitskämpfen [9] üblich dazu auf, das Kino während des Arbeitskampfes zu meiden.

Der Besitzer hat nun in der letzten Woche Davidsterne an die Fassade des Kinos gesprüht und mit einem Plakat und einer längeren Erklärung [10] deutlich gemacht, dass er sich als Opfer antisemitischer Machinationen sieht. Der verwickelte Konflikt, bei dem es auch die Zerstörung eines Filmplakats geht, lässt ahnen, dass die wohlfeile Empörung, hier wolle ein Arbeitgeber von seiner Rolle ablenken, zu kurz greift.

Es sind subjektive Eindrucke, die in dem Schreiben deutlich werden. Doch den Versuch, nun den jahrelangen Arbeitskampf [11] der Mitarbeiter damit in die antisemitische Ecke zu stellen, muss ebenso zurückgewiesen werden. Es gehört nicht viel Geschichtsbewusstsein dazu, um zu wissen, dass das NS-Regime bereits in den Anfangsmonaten Streiks und Gewerkschaften verboten hat. Letztlich wurde auch hier aus vielleicht subjektiv nachvollziehbaren Gründen der Antisemitismusvorwurf an einer Stelle eingesetzt, in die er nicht passt.

Der Autor ist Verfasser des Buches Kurze Geschichte der Antisemitismusdebatte in der deutschen Linken [12].

http://www.heise.de/tp/news/Mit-dem-Strafrecht-gegen-regressive-Israelkritik-2843517.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.jena.de/de/233674

[2]

http://www.taz.de/!5090110/

[3]

http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/politik/detail/-/specific/Volksverhetzungsvorwurf-gegen-Jenas-OB-Schroeter-1968704797

[4]

http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/23520

[5]

http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/23503

[6]

http://meedia.de/2015/09/24/antisemit-geldgieriger-zwerg-irrer-facebook-zoff-mit-matthias-matussek-landet-vor-gericht/

[7]

http://www.welt.de/debatte/kommentare/article112788948/Matthias-Matussek-Meine-Stunde-als-Antisemit.html

[8]

http://www.emanzipation.org/articles/em_2-2/e_2-2_oostinga.pdf

[9]

http://bb.verdi.de/presse/pressemitteilungen/++co++2bcffb3a-10fa-11e5-b27c-525400248a66

[10]

http://www.babylonberlin.de/stopptdenboykottunddenstreikvonverdi.htm

[11]

https://www.syndikat-a.de/index.php?article_id=2&cat=3987&prod=4172%2F

[12]

http://www.edition-assemblage.de/kurze-geschichte

Kann eine Obsttüten-Aktion antisemitisch sein?

Die christliche Friedensorganisation Pax Christi will darauf aufmerksam machen, „dass Obst und Gemüse mit der Ursprungsangabe ‚Israel‘ vielfach aus völkerrechtswidrigen Siedlungen stammt“

„Handeln im Geist von Frieden und Völkerverständigung“, heißt es auf der Website, auf der die christliche Friedensorganisation Pax Christi für die Obsttüten-Aktion „Besatzung schmeckt bitter“ wirbt. Auf der einen Seite der Homepage findet sich das Foto eines ökumenischen Zusammentreffens vor der Sicherheitsmauer zum Westjordanland, auf der anderen Seite sieht man bunt gemaltes Obst vor der düster grauen Mauer.

In diesem naiven Szenario wirkt der Text etwas deplaziert, der das eigentliche Anliegen der Obsttütenaktion ist: „Mit der bundesweiten Aktion ‚Besatzung schmeckt bitter‘ möchte die Nahostkommission von pax christi Verbraucher/innen darauf aufmerksam machen, dass Obst und Gemüse mit der Ursprungsangabe ‚Israel‘ vielfach aus völkerrechtswidrigen Siedlungen stammt.“

Auf der Linkliste der Kampagnenhomepage wird auch die Kampagne „Keine Waren aus israelischen Siedlungen in den Warenkorb“ beworben. Das Motto erinnert semantisch doch sehr stark an einen Warenboykott gegen Israel und so war eine heftige Debatte um die als Verbraucherschutz und Konsumentenkritik firmierende Papiertüten-Aktion absehbar und vielleicht sogar eingeplant.

Kein Israelboykott?

Die Debatte entzündete sich an der Person des sozialdemokratischen Oberbürgermeisters von Jena. Albrecht Schröter gehört neben bekannten jüdischen Oppositionellen zu den Unterstützern des Aufrufs und geriet daher im In- und Ausland heftig in die Kritik. Die Jerusalem Post schrieb:

„Führende deutsche Nichtregierungsorganisationen klagten den Sozialdemokratischen Bürgermeister von Jena im Bundesland Thüringen, Albrecht Schröter, wegen der Unterstützung des Boykotts israelischer Produkte an, der so aggressiv ist, dass er die Nazi-Kampagne „Kauf nicht bei Juden“ wiederholt und zur Delegitimierung des jüdischen Staates beiträgt.“

Damit wurde die Obsttüten-Aktion mit Aufrufen kurz geschlossen, die einen Boykott von Waren aus Israel fordern. Dagegen stellte Schröter klar: „Einen generellen Boykott von Waren aus Israel halte ich nicht für richtig.“ Diese Differenzierung drang allerdings nicht so richtig durch.

Ein Grund liegt wohl an der Aktion selber. .“Der Aufruf ist wegen seiner Fehlinterpretierbarkeit und seiner Undifferenziertheit sehr umstritten und fand in Thüringen keine weiteren Unterzeichner“, heißt es selbst in einem Text, der Schröter verteidigt und manche seiner Kritiker recht unreflektiert als Strippenzieher bezeichnet .

Allerdings haben natürlich auch die Schröter-Kritiker politische Interessen. So zählt der stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-israelischen Gesellschaft Erfurt, Kevin Zdiara, ebenso dazu wie die nach rechts offene ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld, die polemisch fragt, ob der OB Jena judenwarenrein halten wolle.

Gemeinsamkeiten im Kampf gegen rechts?

Wie öfter in der letzten Zeit, vor allem seit den islamistischen Anschlägen vom 11.9. in den USA, hat sich auch gegen Schöters Unterschrift eine Allianz gebildet, die von Rechtskonservativen bis zu israelsolidarischen Ex-Linken reicht, die die Antisemiten heute vor allem in den unterschiedlichen Spielarten der Linken und bei den Nichtregierungsorganisationen sehen. Schröter taugt für manche Rechtskonservativen schon deshalb zum Feindbild, weil er als einer der wenigen Politiker in Regierungsverantwortung für die Blockaden des Neonaziaufmarsches in Dresden eingetreten ist und dabei auch keine Berührungsängste zur außerparlamentarischen Linken hatte.

Etwas beruhigt hat sich mittlerweile der Streit durch eine „Gemeinsame Erklärung“, die Schröter mit der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Erfurt und der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen unterzeichnet hat. Die Unterzeichner betonen bei allen Differenzen zu der Obsttüten-Aktion, dass es keine persönlichen Diffamierungen geben dürfe und dass die Gemeinsamkeiten im Kampf gegen Rechts weiterhin überwiegen.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152323
Peter Nowak