Bleibt Merkel am Ende doch Siegerin in der EU?

Immer häufiger werden Zweifel daran laut, ob der erste Eindruck nach dem EU-Gipfel richtig war

Nach der Brüsseler EU-Konferenz in der letzten Woche wurde Bundeskanzlerin Merkel in den Medien im In- und Ausland als Verliererin angesehen. Auch die Opposition im Berliner Bundestag hatten nur Hohn und Spott für eine Bundeskanzlerin übrig, die gegen alle vorherigen Verlautbarungen akzeptieren musste, dass sich marode Banken direkt Gelder aus dem Europäischen Rettungsschirm leihen können. Ökonomen halten diese Regelungen für sehr vernünftig.

In den letzten Tagen wurden dann auch Berichte über die entscheidenden Stunden in Brüssel in den Medien lanciert. Danach habe der italienische Ministerpräsident Monti mit Rücktritt gedroht, wenn die deutsche Regierung in dieser Frage kein Entgegenkommen gezeigt hätte. Damit wäre, kaum dass Griechenland im Sinne der EZB abgestimmt hat, mit Italien ein neues Land für Monate politisch handlungsunfähig geworden.

Da der maßgeblich von den EU-Gremien zum Rücktritt gedrängte Langzeitministerpräsident Berlusconi noch immer überlegt, ob er sich als Rache noch einmal mit einem dezidierten Anti-EU-Kurs zur Wahl stellt und es vielleicht möglich wäre, ob er damit bei den Wählern punkten könnte, wäre mit einer italienischen Regierungskrise ein neuer massiver Unsicherheitsfaktor in das knirschende EU-Gebäude gekommen. Da Italien, Spanien und Frankreich in Brüssel zusammenarbeiteten, sei die deutsche Politik in Brüssel isoliert gewesen, so die Gipfelberichte (Allein gegen den Rest Europas).

Keine automatische Bankenhilfe beschlossen

Doch nun mehren sich die Zweifel, ob der erste Eindruck überhaupt richtig war. Denn bei den Berichten aus Brüssel wurde oft vergessen, dass die Beschlüsse mit vielen Konditionen verbunden waren und so erst einmal auf die lange Bank geschoben werden können. So betonte Regierungssprecher Steffen Seibert, dass in Brüssel kein Instrument einer automatischen Bankenhilfe beschlossen worden ist. Vielmehr wurde in den Vereinbarungen festgehalten, dass man sich auf den Weg zu einer europäischen Bankenaufsicht machen wolle.

Erst wenn die existiere, seien direkte Hilfen an die Banken möglich. Nun ist die Einrichtung einer solchen Bankenaufsicht aber alles andere als gesichert. Im Gegenteil. Der Artikel 6 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU schreibt einen einstimmigen Beschluss des EU-Rats aller 27 Mitgliedsländer vor. Beobachter der EU-Politik halten es für ziemlich sicher, dass zumindest Tschechien und Griechenland dagegen sind.

In beiden Ländern regieren EU-skeptische Politiker mit und von Großbritanniens Politikern ist schon lange bekannt, dass sie sich als Lobbyisten des Londoner Finanzplatz sehen und alles ablehnen, was nach Bankenregulierung und -aufsicht klingt.

Der christdemokratische Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Bundestag Günther Krichbaum erklärtauch unumwunden: „Meine Prognose ist: Die Briten werden sich äußerst schwer tun, ein Vertragswerk zu ratifizieren, das den Londoner Finanzplatz schwächt.“

Also bleiben die Brüsseler Beschlüsse zunächst einmal vor allem Absichtserklärungen. Dass wissen auch die Merkel-Kontrahenten auf dem EU-Gipfel, die wie der italienische und spanische Ministerpräsident selber beinharte Marktliberale sind. Nur müssen sie eben die Sparbeschlüsse, die große Einschnitte für die Bevölkerungen bedeuten, irgendwie schmackhaft machen. So kann Monti als angeblicher Sieger in Brüssel besser seine Pläne einer massiven Kürzung der Ausgaben der öffentlichen Verwaltungen durchsetzen. 30 Milliarden Euro sollen dabei eingespart werden und Personalstellen im fünfstelligen Bereich werden.

Unterschiedliche Stimmen aus der CSU

Auch in Deutschland wissen selbst manche von Merkels Parteifreunden nicht, ob sie sie als Siegerin oder Verliererin von Brüssel sehen sollen. Während der CSU-Vorsitzende Seehofer vor einigen Tagen sogar mit einem Koalitionsbruch drohte, wenn die Regierung Deutschlands Position zur Schuldenfrage in Europa nicht verteidigen kann, gibt der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber in einem Interview Entwarnung:

„Ich möchte das ausdrücklich festhalten! Der Herr Monti interpretiert das so, dass er die Haftung über die Hintertür bekommt. Es steht ausdrücklich in den Dokumenten von der Einlagensicherung nichts drin. Aber unter Bankenunion versteht natürlich Herr Monti nicht nur die Rekapitalisierung der Banken und eine europäische Aufsichtsstruktur, sondern auch am Ende eine gesamtschuldnerische Haftung für alle Einlagen, und genau das ist die Brandmauer, wo Merkel klar gesagt hat, das geht nicht, und das werden wir auch im Europäischen Parlament so festlegen.“

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152332
Peter Nowak

Aktionstage gegen Überwachung

Demonstration und Workshops in Brüssel

Der Kampf gegen Vorratsdatenspeicherung, Überwachung und Zensur wird zum europäischen Thema. Am Wochenende findet in Brüssel ein europaweites Treffen von Bürgerrechtlern, Datenschützern und zivilgesellschaftlichen Initiativen unter dem Motto »Freiheit statt Angst« statt.
Das Bündnis fordert neben der Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung die Abkehr von den Plänen zur Einführung der sogenannten Fluggastdatenspeicherung. Außerdem sollen die EU-Politiker für ein freies und unzensiertes Internet mit gleichen Rechten für alle eintreten. Die drei Aktionstage haben jeweils unterschiedliche Schwerpunkte, die unter den Stichworten Protest, Vernetzung und Lobbying zusammengefasst werden können. Vom Samstag bis zum Montag sind Demonstrationen, Workshops, Vorträge und Diskussionen geplant.

Mit einer Demonstration, die am Samstag um 14 Uhr vor dem EU-Parlament beginnt und vom europäischen Viertel in die Brüsseler Innenstadt führt, beginnen die Aktionstage. Der Sonntag steht im Zeichen der Vernetzung. In Workshops, Vorträgen, Diskussionen und Kleingruppen wollen Initiativen aus ganz Europa über ihre Projekte im Kampf gegen die Vorratsdatenspeicherung und Überwachung austauschen. Am kommenden Montag wollen sich die Datenschützer mit Politikern treffen. »Der Austausch findet nicht allein zwischen Datenschützern und Nichtregierungsorganisationen statt, sondern auch mit hochrangigen Verantwortlichen aus Europaparlament und der EU-Kommission«, betont Michael Ebeling vom »AK Vorrat« gegenüber ND. Die Organisation engagiert sich in Deutschland seit Jahren gegen die Vorratsdatenspeicherung und hat auch die Aktionstage in Brüssel mitorganisiert.

Für den »AK Vorrat« ist der Gang nach Brüssel folgerichtig. »Schließlich kommen von dort immer wieder Vorschläge, die darauf abzielen, das Internet europaweit zu zensieren oder Nutzern das Internet als Strafe für Urheberrechtsverletzungen abzuschalten«, moniert die Mitorganisatorin der Aktionstage Kirsten Fiedler. Dabei wird die Position der Datenschützer auch von europäischen Regierungen geteilt. So lehnen Tschechien, Rumänien und Zypern jede Datenspeicherung ab. Diese Position soll auch auf den Brüsseler Aktionstagen im Mittelpunkt stehen. »Die Botschaft lautet, die Vorratsdatenspeicherung ist per se nicht mit unseren Grundrechten vereinbar und muss in jeder Form verhindert werden«, betont Ebeling.

Peter Nowak

Schikanen gegen Antirassisten

 No-Border-Camp in Brüssel beendet

Trotz Polizeiübergriffen machten Teilnehmer des No-Border-Camps in Brüssel auf die Abschottungspolitik der EU aufmerksam.

Die dunklen Fabrikhallen mit den zerbrochenen Scheiben und den kaputten Dächern, durch die der Regen tropft, konnten den Besucher an eine Filmkulisse erinnern. Doch tagsüber verwandelte sich die Fabrikbrache im Brüsseler Norden in einen lebendigen Ort. In einer Ecke wurden Plakate gebastelt, in einem notdürftig abgedunkelten Raum wurde ein Film gezeigt und an einem Stand wurden T-Shirts und Kapuzenpullis mit einem aufgebrochenen Vorhängeschloss bedruckt. Es war ein Symbol des No-Border-Camps, das vom 25. September bis zum 3. Oktober seine Zelte auf dem Taxigelände in Brüssel aufgeschlagen hatte.

 Veranstaltet wurde das Camp vom europäischen No-Border-Netzwerk. Darin haben sich Antirassisten aus verschiedenen europäischen Ländern zusammengeschlossen. Sie wenden sich seit Jahren gegen die europäische Politik der Abschottung gegen Flüchtlinge von anderen Kontinenten.

»Wir haben jahrelang Antirassismuscamps an den EU-Außengrenzen gemacht. Jetzt sind wir bewusst nach Brüssel gegangen, wo die Abschottungspolitik gegen die Flüchtlinge beschlossen wird«, meinte Vivianne gegenüber ND. Die französische Aktivistin wollte ihren Nachnamen nicht nennen und betonte auch, dass sie wohl in einer Gruppe aktiv sei, aber nicht für sie sprechen könne. Ihre Meinung teilte Vivianne mit vielen der insgesamt etwa 500 Campteilnehmer. Viele lehnen auch eine linke Stellvertreterpolitik aus Prinzip ab

Dafür wurde im Camp und mit zahlreichen Aktionen in Brüssel die Kooperation zwischen Flüchtlingen und Antirassisten geprobt. Dass es dabei Erfolge gibt, zeigte Hagen Kopp von der Hanauer Initiative »Kein Mensch ist illegal« am Beispiel des Kampfes von Flüchtlingen auf der griechischen Insel Lesbos. Gemeinsam mit Antirassisten, die dort im Sommer 2009 ein No-Border-Camp errichtet hatten, gelang es ihnen, die menschenunwürdigen Zustände in dem dortigen Aufnahmelager bekannt zu machen. Es musste schließlich durch den öffentlichen Druck geschlossen werden. Eine Ausstellung, die Kopp in der Brüsseler Fabrikhalle aufgebaut hatte, dokumentierte aber auch, dass vielen Flüchtlingen in der EU noch immer die Abschiebung droht.

Die Campteilnehmer waren sehr motiviert, die antirassistischen Inhalte unter die Brüsseler Bevölkerung zu bringen. Manche hatten sich als Clowns verkleidet, andere fantasievolle Plakate und Schilder fabriziert. Die meist jungen Leute machten sich auch Gedanken über die Außenwirkung ihrer Aktionen: »Wir wollen vermeiden, als Chaoten und Gewalttäter abgestempelt zu werden. Doch die Polizei behandelt uns genauso. Wenn wir auf die Straße gehen, werden wir festgenommen«, berichtete ein Hamburger Schüler.

Tatsächlich nahmen die Berichte über Festnahmen und Polizeischikanen im Camp großen Raum ein. Auch weil es 350 Festnahmen gab, als sich die Antirassisten am 29. September in die europäische Großdemonstration der Gewerkschaften einreihen und für offene Grenzen demonstrierten wollten.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/181367.schikanen-gegen-antirassisten.html

Peter Nowak

Für ein Europa ohne Grenzen

»No Border Camp« bis 3. Oktober in Brüssel

Auf dem Brüsseler Gelände »Tour & Taxis« soll am heutigen Sonnabend ein europäisches »No Border Camp« aufgebaut werden. Dessen Bewohner – Mitglieder und Anhänger eines Netzwerks autonomer Organisationen – setzen sich für die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit aller Menschen ein.

In den vergangenenn haben ähnliche Camps an den EU-Grenzen stattgefunden, an denen Flüchtlingen mit unterschiedlichen Mitteln die Einreise verwehrt oder erschwert wird. „In diesem Jahr haben wir uns für unsere Aktion Brüssel ausgesucht, weil dort das Europäische Parlament tagt, das für die Flüchtlingspolitik  maßgeblich verantwortlich ist. Zudem haben dort viele Lobbyorganisationen ihren Sitz, die für das Grenzregime verantwortlich sind“, begründet Jennifer Lopez gegenüber ND die Ortswahl. Lopez arbeitet im No-Border-Netzwerk mit, einen 1999 gegründeten länderübergreifenden  Zusammenschluss von antirassistischen Gruppen und Einzelpersonen.   Es bereitet das Brüsseler  Camp seit Monaten vor. Auf mehreren europaweiten Treffen wurden sowohl die praktischen Details auch das Programm zwischen den Gruppen aus den verschiedenen Ländern koordiniert.
Die Aktivisten wenden sich nicht nur gegen die Flüchtlingsabwehr, sondern  auch gegen die Grenzen im Inneren. Damit meinen sie beispielsweise die Vertreibung von Roma aus Frankreich, die zurzeit für Schlagzeilen sorgt. Lopez erinnert daran, dass  eine solche Politik Vorläufer in verschiedenen europäischen Ländern hatte. So seien Vertreibungen von stigmatisieren Minderheiten in Italien und in Belgien in den letzten  Jahren ohne große Aufmerksamkeit über die Bühne gegangen.

Theorie und Praxis
In verschiedenen Arbeitsgruppen soll auf dem Camp die  europäische Politik der Abschottung analysiert werden. Natürlich wird es auch um weitere antirassistische Gegenstrategien gehen.  Ein Theoriecamp ist allerdings nicht geplant, betont Lopez. So soll am 29. September mit einer Demonstration an den nigerianischen Flüchtling Sémira Adamu erinnert  werden. Ihm wurde 1998  ihm bei einem Abschiebeversuch von belgischen Polizisten ein Kissen so fest ins Gesicht gedrückt, das er daran erstickte. Mit einer antirassistischen Großdemonstration soll das Camp am 3. Oktober enden. Dazwischen soll mit vielfältigen Aktionen des zivilen Ungehorsams gegen die Politik der Abschirmung protestiert werden.     Zudem wollen sich die Antirassisten mit einem „antikapitalistischen kritischen  Block“ an der europäischen Großdemonstration beteiligen, die vom Dachverband der europäischen Gewerkschaften am 29.September in Brüssel organisiert wird.   Das Programm sei noch nicht vollständig, betont Lopez. Schließlich werde auf dem Camp Selbstorganisation groß geschrieben. Dazu gehört auch, dass Campteilnehmer auch spontan Aktionen vorstellen können. Informationen zum Camp gibt es auch auf deutsch auf der Homepage  http://www.noborderbxl.eu.org.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/180388.fuer-ein-europa-ohne-grenzen.htm

Peter Nowak