Mieter/innen in Neukölln wehren sich gegen Dänische Pensionskasse

„Es ist für mich unmöglich, diese mir so vertraute Umgebung (…) verlassen zu müssen“, schreibt Jürgen Lehmann in einen Brief an den Bezirk Neukölln. Der 78jährige Lehmann wohnt in der Neuköllner Thiemannstraße. Einer seiner Nachbarn ist der über 90jährige Heinz Hoffmann. „Ich möchte meine Wohnung, in der ich mit meiner vor 3 Jahren verstorbenen Lebensgefährtin wohnte, nicht verlassen müssen“, schreibt der Senior aus der Böhmischen Straße 21. Lehmann und Hoffmann leben in der aus 14 Häusern bestehenden denkmalgeschützten Wohnanlage Böhmische Straße/Thiemannstraße, die von der dänischen Pensionskasse (PFA) aufgekauft wurde. Betroffen sind die Häuser Thiemannstraße 16 – 23 und Böhmische Straße 21 und 23. Am 12. November erfuhren die Neuköllner Mieter/innen von ihren ihrem neuen Eigentümer. Seitdem fürchten die ca. 300 Mieter/innen, darunter über 60 Rentner/innen, um ihre Wohnungen. Schließlich ist die PFA durch ihre rapiaden Ankaufmethoden bekannt.

Dänischer Pensionsfond setzt auf „Mietsteigerungspotentenzial“

Das wirtschaftsnahe Handelsblatt schrieb Mitte August 2018, nachdem die dänische Pensionskasse in Deutschland Wohnungen an gleich 15 Standorten aufkaufte: „Die Dänen lassen sich das Portfolio mehr als eine Milliarde Euro kosten – das größte bekannte Wohnimmobilieninvestment in Deutschland in diesem Jahr. Transaktionen dieser Größe sind auf dem deutschen Wohninvestmentmarkt selten geworden“. Das Handelsblatt zitierte Khaled Kaissar, den geschäftsführenden Gesellschafter der Domicil Real Estate Group, die als Asset- und Portfoliomanager für die PFA in Deutschland agiert. „Die Objekte befinden sich überwiegend in guten bis sehr guten Wohnlagen in begehrten Wohnumfeldern. Darüber hinaus bietet das Portfolio zusätzliches Mietsteigerungspotenzial“. Der Redakteur des Handelsblatts macht sich Gedanken, ob und wie der Investor dieses Mietsteigerungspotenzial ausschöpfen kann: „Die PFA setzt bei dem aktuellen Kauf auf Nachholpotenziale. Zwar geben die Käufer keine Auskunft über die gesamten Mieterträge des Portfolios. In München, wo knapp ein Drittel der Wohnungen liegen, betrage die Durchschnittsmiete des Portfolios rund zehn Euro. Neuvertragsmieten lagen laut vdp Research zuletzt bei 18 Euro pro Quadratmeter. Die Mieten des Portfolios auf dieses Niveau anzuheben dürfte indes nicht ganz einfach werden: In der bayerischen Landeshauptstadt gilt für bestehende Mietverträge eine Kappungsgrenze von 15 Prozent – um diesen Wert dürfen Mieten innerhalb von drei Jahren maximal angehoben werden. Die Investoren setzen nicht zuletzt auf Neuvermietungen“. Es ist klar, dass solche Überlegungen den Mieter/innen der von der PFA gekauften Objekte Sorgen machen müssen. Denn es ist sicher, dass sie die genannten Quadratmeterpreise für die Miete nie aufbringen können. Hinter dem Satz, dass die PFA auf Neuvermietung setzt, steht die Logik der Investoren, für die die aktuellen Mieter/innen eine Profitbremse sind, die sie so schnell wie möglich loswerden wollen.

„Zentrale des Mieterprotests“
Doch die Mieter/innen in Neukölln wehren sich auf verschiedenen Ebenen. Sie fordern den Bezirk Neukölln auf, von seinem Vorverkaufsrecht Gebrauch zu machen und so die Pläne der PFA zu stoppen. Der Grüne Bezirksstadtrat von Neukölln Jochen Biedermann bekundet, die Altmieter/innen schützen zu wollen. Er will erreichen, dass die kommunale Wohnungsbaugesellschaft „Stadt und Land“ die Wohnanlage übernimmt, was aber nur durch einen finanziellen Zuschuss vom Senat möglich ist. Mehrere Neuköllner SPD-Politiker/innen haben den Berliner Finanzsenator um Unterstützung gebeten. Die Zeit ist knapp. Bis zum 7. Januar muss der Bezirk von seinem Vorverkaufsrecht Gebrauch machen. Das kann die PFA nur abwenden, wenn sie sich auf Schutzrechte für die Mieter/innen einlässt.

Doch die wollen sich nicht auf die Politik und den Bezirk verlassen, zumal auch die kommunale Wohnungsbaugesellschaft „Stadt und Land“ keineswegs als Garant für Mieter/innenrechte gilt. Immer wieder gab es in der Vergangenheit Proteste von Mieter/innen der „Stadt und Land“ gegen das Unternehmen. Die Bewohner/innen der Neuköllner Wohnanlage haben sich zur Mieter/innengemeinschaft BoeThie zusammengeschlossen. Die Wohnung der Studentin Elena Poeschl hat sich zur „Zentrale des Protests“ entwickelt, wie sie selber sagt. Sie will erreichen, dass die Dänische Pensionskasse von dem Protest erfährt. Deshalb wollen sich die Mieter/innen mit anderen Initiativen vernetzen. Am 15.12.2018 wollen die Mieter/innen und ihre Unterstützer/innen gemeinsam auf die Straße gehen. Die Demonstration beginnt am kommenden Samstag um 12 Uhr vor der Wohnanlage in der Thiemannstraße.

https://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/boehmische-strassethiemannstrasse.html

aus: MieterEcho online 11.12.2018

Peter Nowak

Die Debatte besetzen


Hausbesetzungen sorgen in Berlin für wohnungspolitische Diskussionen

Kürzlich besetzten linke Gruppen neun Häuser in Berlin. Diese wurden zwar geräumt, die Diskussion über die Besetzungen hält jedoch an.

»Wir brauchten Räume für ein soziales Zentrum und die haben wir uns mit der Besetzung genommen«, sagte Matthias Sander von der Initiative »Friedel im Exil«. Ende Juni vergangenen Jahres war der »Kiezladen Friedel 54« in Berlin-Neukölln geräumt worden. Am Pfingstsonntag hatte die Initiative »Friedel im Exil« in der Reichenberger Straße in Berlin-Kreuzberg deshalb ein Haus als neues Domizil besetzt.

Dies geschah im Zuge einer länger vorbereiteten Besetzung mehrerer Häuser an Pfingsten. Bereits nach wenigen Stunden wurden die neun in verschiedenen Stadtteilen besetzten Häuser zwar wieder geräumt, doch die politische Debatte im rot-rot-grün regierten Berlin hält an.

Schließlich hatte der Geschäftsführer der städtischen Wohnungsbaugesellschaft »Stadt und Land«, Ingo Malter, den Räumungen zugestimmt, während die Besetzer noch über ein Angebot berieten, das von Politikern der Berliner Grünen vermittelt worden war – so zumindest stellen es die Besetzer und die Bundestagsabgeordnete Canan Bayram (Grüne), die sich an Ort und Stelle befand, dar. Malter gab an, die Verhandlungen seien an den Besetzern gescheitert.

Während die SPD die Räumungen befürwortete, bezeichnete die wohnungspolitische Sprecherin der Linkspartei, Katalin Gennburg, die Räumungen im Gespräch mit der Jungle World als Fehler. Ihres Wissens seien ihre Parteikollegen nicht an der Entscheidung beteiligt gewesen. Eine nachträgliche Diskussion über mögliche Fehler hält Gennburg jedoch für »nicht zielführend«. Sie fordert ebenso wie der gesamte Landesverband der Linkspartei, alle Strafanzeigen gegen die Besetzer zurückzuziehen.

Das ist auch für Sander und die anderen Besetzer eine zentrale Frage. Schließ­lich haben Grüne und Linkspartei in der Vergangenheit gelegentlich Verständnis für Hausbesetzungen geäußert. »Und die Stadt gehört euch«, lautete ein Slogan der Linkspartei in der Kampagne zu den Wahlen zum Abgeordnetenhaus. Andrej Holm, Berater der Senatsverwaltung im »Begleitkreis zum Stadtentwicklungsplan Wohnen 2030«, sagte dem Spiegel zu den Besetzungen: »Ich vermute, die Aktion sollte ganz bewusst den Finger in die Wunde legen – und zeigen, dass es sogar bei der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Defizite gibt.«

»Die Häuser denen, die darin wohnen« – diesen alten Besetzerslogan hatte Canan Bayram im jüngsten Bundestagswahlkampf verwendet. Ihr gelang es, für die Grünen das Direktmandat im Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg/Prenzlauer Berg-Ost zu erringen. Allerdings hatte es innerparteilich heftige Kritik an Bayrams Wahlkampf gegeben, der auf das linke Milieu in diesen Stadtteilen zugeschnitten war. Einem von der Mehrheit der Grünen favorisierten Bündnis mit der Union sind Besetzerslogans nicht förderlich. Der Bundesparteivorsitzende Robert Habeck bezeichnete die jüngsten Besetzungen in einem Interview in der Welt als »Rechtsbruch« – »klar wie Kloßbrühe« –, den die Grünen ablehnten. »Weder sollten sich die einen jetzt als law and order aufplustern, noch die anderen sich in einem angeblichen Wir-sind-Widerstand-Modus profilieren. Diese alten Muster aus den achtziger Jahren helfen nämlich nicht. Es sollten sich alle schütteln und dann das Problem lösen«, sagte Habeck, ganz Pragmatiker der Mitte. Ähnliches forderte auch der Journalist Philippe Debionne in der Berliner Zeitung.

Wünschenswert sei, dass »man das real existierende Problem der Wohnungsnot und explodierenden Mieten vernünftig löst«, schrieb er und warnte davor, das Wohnungsproblem zu einem »systematischen kapitalistischen Missstand« zu erklären.

Doch gerade politisch engagierte Mieter haben in den vergangenen Jahren darauf hingewiesen, dass kapitalistische Verwertungsmechanismen Menschen mit geringen Einkommen große Schwierigkeiten dabei bereiten, Wohnungen zu finden. Daher ging es bei den jüngsten Hausbesetzungen in Berlin zwar auch um subkulturelle Freiräume, im Mittelpunkt stand jedoch die Forderung nach Wohnraum für alle. Zu den Unterstützern der Besetzungen gehört die »Solidarische Aktion Neukölln«, die nach dem Prinzip »Nachbarn helfen Nachbarn« arbeitet. »Wir beraten uns gegenseitig und planen Aktionen zu den Themen Wohnen, Sozialleistungen, Arbeit«, heißt es auf der Homepage der Initiative. Jeden ersten und dritten Dienstag im Monat können sich dort Neuköllner Rat holen, wenn sie Ärger mit dem Jobcenter, dem Vermieter oder dem Chef haben.

https://jungle.world/artikel/2018/22/die-debatte-besetzen

JUNGLE.WORLD 2018/22
31.05.2018

Peter Nowak