Die Debatte besetzen


Hausbesetzungen sorgen in Berlin für wohnungspolitische Diskussionen

Kürzlich besetzten linke Gruppen neun Häuser in Berlin. Diese wurden zwar geräumt, die Diskussion über die Besetzungen hält jedoch an.

»Wir brauchten Räume für ein soziales Zentrum und die haben wir uns mit der Besetzung genommen«, sagte Matthias Sander von der Initiative »Friedel im Exil«. Ende Juni vergangenen Jahres war der »Kiezladen Friedel 54« in Berlin-Neukölln geräumt worden. Am Pfingstsonntag hatte die Initiative »Friedel im Exil« in der Reichenberger Straße in Berlin-Kreuzberg deshalb ein Haus als neues Domizil besetzt.

Dies geschah im Zuge einer länger vorbereiteten Besetzung mehrerer Häuser an Pfingsten. Bereits nach wenigen Stunden wurden die neun in verschiedenen Stadtteilen besetzten Häuser zwar wieder geräumt, doch die politische Debatte im rot-rot-grün regierten Berlin hält an.

Schließlich hatte der Geschäftsführer der städtischen Wohnungsbaugesellschaft »Stadt und Land«, Ingo Malter, den Räumungen zugestimmt, während die Besetzer noch über ein Angebot berieten, das von Politikern der Berliner Grünen vermittelt worden war – so zumindest stellen es die Besetzer und die Bundestagsabgeordnete Canan Bayram (Grüne), die sich an Ort und Stelle befand, dar. Malter gab an, die Verhandlungen seien an den Besetzern gescheitert.

Während die SPD die Räumungen befürwortete, bezeichnete die wohnungspolitische Sprecherin der Linkspartei, Katalin Gennburg, die Räumungen im Gespräch mit der Jungle World als Fehler. Ihres Wissens seien ihre Parteikollegen nicht an der Entscheidung beteiligt gewesen. Eine nachträgliche Diskussion über mögliche Fehler hält Gennburg jedoch für »nicht zielführend«. Sie fordert ebenso wie der gesamte Landesverband der Linkspartei, alle Strafanzeigen gegen die Besetzer zurückzuziehen.

Das ist auch für Sander und die anderen Besetzer eine zentrale Frage. Schließ­lich haben Grüne und Linkspartei in der Vergangenheit gelegentlich Verständnis für Hausbesetzungen geäußert. »Und die Stadt gehört euch«, lautete ein Slogan der Linkspartei in der Kampagne zu den Wahlen zum Abgeordnetenhaus. Andrej Holm, Berater der Senatsverwaltung im »Begleitkreis zum Stadtentwicklungsplan Wohnen 2030«, sagte dem Spiegel zu den Besetzungen: »Ich vermute, die Aktion sollte ganz bewusst den Finger in die Wunde legen – und zeigen, dass es sogar bei der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Defizite gibt.«

»Die Häuser denen, die darin wohnen« – diesen alten Besetzerslogan hatte Canan Bayram im jüngsten Bundestagswahlkampf verwendet. Ihr gelang es, für die Grünen das Direktmandat im Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg/Prenzlauer Berg-Ost zu erringen. Allerdings hatte es innerparteilich heftige Kritik an Bayrams Wahlkampf gegeben, der auf das linke Milieu in diesen Stadtteilen zugeschnitten war. Einem von der Mehrheit der Grünen favorisierten Bündnis mit der Union sind Besetzerslogans nicht förderlich. Der Bundesparteivorsitzende Robert Habeck bezeichnete die jüngsten Besetzungen in einem Interview in der Welt als »Rechtsbruch« – »klar wie Kloßbrühe« –, den die Grünen ablehnten. »Weder sollten sich die einen jetzt als law and order aufplustern, noch die anderen sich in einem angeblichen Wir-sind-Widerstand-Modus profilieren. Diese alten Muster aus den achtziger Jahren helfen nämlich nicht. Es sollten sich alle schütteln und dann das Problem lösen«, sagte Habeck, ganz Pragmatiker der Mitte. Ähnliches forderte auch der Journalist Philippe Debionne in der Berliner Zeitung.

Wünschenswert sei, dass »man das real existierende Problem der Wohnungsnot und explodierenden Mieten vernünftig löst«, schrieb er und warnte davor, das Wohnungsproblem zu einem »systematischen kapitalistischen Missstand« zu erklären.

Doch gerade politisch engagierte Mieter haben in den vergangenen Jahren darauf hingewiesen, dass kapitalistische Verwertungsmechanismen Menschen mit geringen Einkommen große Schwierigkeiten dabei bereiten, Wohnungen zu finden. Daher ging es bei den jüngsten Hausbesetzungen in Berlin zwar auch um subkulturelle Freiräume, im Mittelpunkt stand jedoch die Forderung nach Wohnraum für alle. Zu den Unterstützern der Besetzungen gehört die »Solidarische Aktion Neukölln«, die nach dem Prinzip »Nachbarn helfen Nachbarn« arbeitet. »Wir beraten uns gegenseitig und planen Aktionen zu den Themen Wohnen, Sozialleistungen, Arbeit«, heißt es auf der Homepage der Initiative. Jeden ersten und dritten Dienstag im Monat können sich dort Neuköllner Rat holen, wenn sie Ärger mit dem Jobcenter, dem Vermieter oder dem Chef haben.

https://jungle.world/artikel/2018/22/die-debatte-besetzen

JUNGLE.WORLD 2018/22
31.05.2018

Peter Nowak