In Polizeigewahrsam starb vor 16 Jahren Oury Jalloh. Am Donnerstag gedachten 350 Menschen seiner und weiterer Fälle von rassistischer Gewalt.

Denken an Oury Jalloh

„Für viele war es ein Bedürfnis, zum Jahrestag des Todes von Oury Jalloh auch im Lockdown antirassistischen Protest zu artikulieren“, erklärte Helga Seyb mit Verweis auf die ca. 350 KundgebungsteilnehmerInnen. Unverständnis äußerte Seyb, dass die Polizei mitten im Corona-Winter Festnahmen androhte, weil einige KundgebungsteilnehmerInnen zu wenig Gesicht zeigten.

Als Putztruppe betätigte sich die Polizei am Donnerstag gegen Mittag in der Berliner Luisenstraße. Dort hatten Unbekannte ein Straßenschild mit den Schriftzug Oury-Jalloh-Straße übersprüht. Während die Polizei das Straßenschild säuberte, bereiteten ganz in der Nähe Initiativen und Aktivist*innen vor der Landesvertretung von Sachsen-Anhalt ihre Kundgebung vor. Sie erinnerten an den Todestag von  …

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Oury Jalloh: „Und wenn es doch Mord war?“

Nach der bundesweiten Demonstration zum 13.Jahrestag des ungeklärten Todes des Asylbewerbers aus Sierra Leone geht es um die Frage, ob es gelingt, den Druck zu verstärken

Manche Autofahrer werden am Wochenende über die neuen Verkehrsschilder gestaunt haben. Dort wo sonst für das Bauhaus oder das Unesco-Weltkulturerbe Dessau-Wörlitzer Gartenreich geworben wird, prangte die Aufschrift Oury Jalloh-Stadt Dessau. Das dürfte wohl Marketingexperten der Stadt und rechte Politiker aller Parteien mehr ärgern als die Großdemonstration am vergangenen Sonntag .

Knapp 4.000 Menschen aus der ganzen Republik hatten sich am 7. Januar in Dessau versammelt. Dort verbrannte vor 13 Jahren Oury Jalloh an Armen und Beinen in einer Polizeizelle. Die zentrale Parole lautete „Oury Jalloh, das war Mord.“ Seit 13 Jahren waren Freunde und Unterstützer von Oury Jalloh alljährlich nach Dessau gekommen, um an den Toten zu gedenken und die Aufklärung der Todesumstände zu fordern.

Sie sind von Anfang an davon ausgegangen, dass Oury Jalloh gewaltsam in der Dessauer Polizeiwache zu Tode kam. Doch sie wurden kriminalisert, wenn die die Parole „Oury Jalloh, das war Mord“ skandierten und auf Schildern und Transparenten zeigten.

Todeszone Dessauer Polizeizelle

Mittlerweile geht sogar der Staatsanwalt Frank Bittmann davon aus, dass Oury Jalloh ermordet wurde. Das Motiv könnte darin bestanden haben, dass man ihn beseitigen wollte, weil er zuvor auf der Polizeiwache misshandelt wurde. Er hätte später Aussagen machen können, dann wären die ungeklärten Todesumstände von Klaus-Jürgen R. und Mario B. womöglich noch bekannt geworden.

Klaus-Jürgen R. ist 1997, Mario B. 5 Jahre später in der Dessauer Polizeiwache zu Tode gekommen. Sie stammten aus armen Verhältnissen, niemand fragte nach den Todesumständen, es gab keine Ermittlungen und kein Medieninteresse. Ihre Namen waren vergessen. Das wäre auch mit Oury Jalloh geschehen, der auf der Suche nach einem besseren Leben von Sierra Leone nach Deutschland kam und in Dessau den Tod fand.

Es ist der Beharrlichkeit seiner Freunde und Unterstützer zu verdanken, dass Oury Jalloh und die Dessauer Verhältnisse nun weit über Deutschland hinaus ein Begriff geworden sind. Dadurch wurden auch die beiden anderen Opfer der Dessauer Verhältnisse der Anonymität entrissen. Es ist aber nun keineswegs davon auszugehen, dass Dessau da so eine Ausnahme in Deutschland ist. Was in den anderen Städten fehlt, sind eben Initiativen wie die der Unterstützer für Oury Jalloh.

Komplettversagen von Justiz und Zivilgesellschaft

Nun könnte man denken, wenn jetzt fast 4.000 Menschen auf die Straße gehen und die Parole „Oury Jallo, das war Mord“ nicht mehr kriminalisiert wird, ist doch noch alles gut geworden. Doch das wäre ein Selbstbetrug. Denn dem erwähnten Staatsanwalt Bittmann wurde der Fall entzogen, nachdem er von einem Mord ausgegangen ist.

Ein Polizeibeamter, der mehrmals Aussagen machen wollte, die der offiziellen Version widersprachen, wurde abgewiesen und mit Sanktionen bedroht. Es müsste eigentlich republikweite Proteste gegen diese Versuche geben, die Aufklärung des Todes von Oury Jalloh zu behindern. Auf ganzer Linie versagt hat auch die Justiz, die sich schon früh auf die Version festgelegt hat, wonach sich der Tote nur selber umgebracht haben kann.

Das Undenkbare

Was nicht in diese Version passte, wie das nicht vorhandene Feuerzeug und die schnelle Ausbreitung des Feuers, das nur durch Brandbeschleuniger erklärt werden kann, wurde ausgeblendet. Es waren die Initiativen, die Gerechtigkeit für Oury Jalloh forderten, die auf eigene Veranlassung und mit eigenem Geld Gutachten orderten, die nachwiesen, dass die offizielle Version nicht stimmen kann. Sie haben einen Staatsanwalt zum Umdenken gebracht.

Auch die liberalen Medien haben immer noch an der Verson festgehalten, dass es einen Mord in einer Polizeizelle in Deutschland nicht geben kann. Doch mittlerweile, nach dem Umdenken des Staatsanwalts, beginnen einige Medien das für sie bisher Undenkbare zu formulieren: Und wenn es doch Mord war?

Darauf könnte man mit dem Hinweis auf eine „Tradition“ in Deutschland antworten. Vor 100 Jahren im Jahr Herbst 1918 und im Frühjahr 1919 wurden Tausende von protestierenden Arbeitern überall in Deutschland erschossen. Die rechten Freikorps handelten im Auftrag der Regierung. Für den Historiker Sebastian Haffner begann hier eine Entwicklung, die in den NS-Massenmorden gipfelten. Nach 1945 machte das alte Personal weitgehend weiter.

Parallelen zum NSU

Auch nachdem diese Generation in Rente gegangen war, blieb vieles von der Tradition erhalten. Deshalb konnte der NSU-Komplex unter Aufsicht von Geheimdiensten so lange morden. Während die Opfer unter der Parole „Kein 10. Opfer“ auf die Straße gingen, verdächtigten Justiz, Politik und die meisten Medien die Opfer und ihre Angehörigen.

Das Erschrecken, nachdem sich der NSU in Teilen selbstaufgedeckt hat, war nur kurz. Wenn kürzlich ein verurteilter Neonazi in Hamburg eine Bombe legte, kommt sofort die Entwarnung, es sei nur ein unpolitischer Trinker gewesen.

Derweil formieren sich auch im Fall von Oury Jalloh die Rechtsaußengruppen wie die AfD, die die Polizei und die Stadt Dessau am Pranger sehen und die Schließung der Akten fordern. Selbst am Todestag von Oury Jalloh waren sie mit knapp 150 Personen mit einer Kundgebung vertreten.

Am Fortgang des Falls wird sich zeigen, ob es in Deutschland noch möglich ist, erfolgreichen Widerstand gegen die Dessauer Verhältnisse zu organisieren. Wenn es möglich ist, dass ein Verfahren eingestellt wird, obwohl ein Staatsanwalt von einen Mord ausgeht, dann muss man wohl nur dem Begriff Rechtsstaat eine neue Bedeutung geben.

https://www.heise.de/tp/features/Oury-Jalloh-Und-wenn-es-doch-Mord-war-3936789.html

Peter Nowak

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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.bento.de/today/oury-jalloh-stadt-dessau-autobahn-schild-erinnert-an-verbrannten-asylbewerber-1996716/
[2] https://www.heise.de/tp/features/Oury-Jalloh-das-war-Mord-3893511.html
[3] http://www.sozonline.de/2012/02/oury-jalloh-das-war-mord/
[4] http://thevoiceforum.org/node/3030
[5] https://www.berliner-zeitung.de/politik/drei-tote-in-dessau-ein-eigentlich-unvorstellbares-szenario–29256548
[6] http://www.taz.de/!5472022/
[7] http://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_83008906/demonstration-fuer-oury-jalloh-und-wenn-es-doch-mord-war-.html
[8] http://www.nsu-tribunal.de/
[9] https://www.nsu-watch.info/2014/01/kein-10-opfer-kurzfilm-ueber-die-schweigemaersche-in-kassel-und-dortmund-im-maijuni-2006/
[10] https://www.focus.de/regional/hamburg/hamburg-explosion-am-s-bahnhof-veddel-bomber-ein-nazi-und-totschlaeger_id_8028435.html
[11] https://www.facebook.com/afdfraktion.lsa/videos/1578397642182871/

Verbrannt in Kaltland

Neue Gutachten nähren die Zweifel an der angeblichen Selbsttötung des 2005 in Polizeigewahrsam ums Leben gekommenen Flüchtlings Oury Jalloh.

Seit Monaten wird hierzulande akribisch verfolgt, wie Menschen mit schwarzer Hautfarbe von der Polizei geschlagen und gedemütigt werden. Protestaktionen wird viel Platz in den Medien eingeräumt. Wenn es um Gewalt gegen Schwarze in den USA geht, scheint es in Deutschland fast nur noch Antirassisten zu geben. Die Initiative zum Gedenken an Oury Jalloh kann von einer solchen Vorzugsbehandlung in den deutschen Medien allerdings nur träumen. Schließlich geht es ihr darum, den Tod eines Schwarzen aufzuklären, der am 7. Januar 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte. Für Polizei und Öffentlichkeit war sofort klar, dass sich Oury Jalloh selbst angezündet habe. Wer diese Version in Zweifel zog, musste mit Strafverfahren rechnen. Es waren anfangs vor allem die Freunde Oury Jallohs sowie migrantische und antirassistische Gruppen, deren Demonstrationen und Kundgebungen mehrmals angegriffen wurden, weil sie Transparente mit der Aufschrift »Oury Jalloh – das war Mord« mit sich trugen.

Mouctar Bah, ein enger Freund Jallohs, hat von Anfang an die Aufklärung gefordert und die offizielle Selbstmordversion bezweifelt. Seitdem wurde er kriminalisiert und schikaniert. So durfte er einen Kopierladen, den er in Dessau betrieb und der zum Treffpunkt der kleinen antirassistischen Bewegung in der Region geworden war, nicht mehr weiterbetreiben. Als Bah zum zehnten Todestag Oury Jallohs in einem Interview mit der Jungle World (1/2015) gefragt wurde, wie ihn die vergangenen zehn Jahre verändert hätten, antwortete er: »Ich habe an den Rechtsstaat in Deutschland geglaubt, habe gedacht, man kann hier alles erklären und regeln. Aber das stimmt nicht, jedenfalls dann nicht, wenn es um ein Verbrechen geht, das der Staat begangen hat. Dann werden die Opfer als Täter hingestellt. Dadurch ist mein Vertrauen in den Staat völlig verloren gegangen.«

Da für die Justiz ein Selbstmord nie in Zweifel stand, ermittelt sie lediglich, warum die diensthabenden Polizisten in der Dessauer Wache den Suizid nicht verhindert haben. Im Mai 2005 hat die Staatsanwaltschaft gegen den Polizisten Andreas S. und seinen Kollegen Hans-Ulrich M. wegen fahrlässiger Tötung Anklage erhoben. Zwei Jahre später begann der Prozess vor dem Landgericht Dessau-Roßlau, bei dem Verwandte von Oury Jalloh als Nebenkläger auftraten. Nach monatelangen Verhandlungen wurden beide Polizisten aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Im Jahr 2010 hob der Bundesgerichtshof das Urteil auf und leitet das Verfahren an das Landgericht Magdeburg weiter. Im Januar 2011 begann der neue Prozess, der im Dezember 2012 mit der Verurteilung des Dienststellenleiters Andreas S. wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 10 800 Euro endete. Ihm wurde angelastet, die Gegensprechanlage, mit der der Zustand des von der Polizei an das Bett gefesselten Oury Jalloh kontrolliert werden sollte, leisegestellt zu haben. Er habe eingehende Telefonate aufgrund von Rufen aus der Zelle nicht mehr richtig verstehen können, verteidigte sich der Polizist. Den Feueralarm habe er abgestellt, weil er einen Defekt vermutete.

Im September 2014 bestätigte der Bundesgerichtshof das Urteil, das damit rechtskräftig wurde. Die Gewerkschaft der Polizei übernahm die Strafe und die Gerichtskosten für den verurteilten Polizisten. Vor allem den Anwältinnen und Anwälten der Nebenklage sowie antirassistischen Unterstützern war es während des Verfahrens gelungen, zahlreiche Details öffentlich zu machen, die das rassistische Klima in der Dessauer Polizeiwache verdeutlichten. So tauchte ein aufgezeichnetes Telefonat zwischen dem Dienstgruppenleiter Andreas S. und dem Polizeiarzt B. auf. Der beschwerte sich vor der Blutentnahme, dass er bei »Schwarzafrikanern« keine Venen finden könne. Daraufhin empfahl ihm der Dienststellenleiter, »doch ’ne Spezialkanüle« mitzunehmen. Selbst die Fixierung des Gefangenen in der Zelle wurde erst durch Recherchen der Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt in Dessau bekannt.

Und noch ein weiterer Todesfall in der Polizeizelle, in der Jalloh verbrannte, wurde publik: Im November 2002 starb dort der Wohnungslose Mario Bichtemann unter ungeklärten Umständen an einem Schädelbasisbruch. Auch in der Nacht seines Tods hatten der Polizist Andreas S. und der Polizeiarzt B. in der Wache Dienst.

Während für die Justiz und den Großteil der Öffentlichkeit mit der Verurteilung von Andreas S. der Fall juristisch abgeschlossen war, ging für den Freundeskreis von Oury Jalloh und antirassistische Gruppen der Kampf um Aufklärung weiter. Sie sammelten Geld, um auf eigene Kosten Gutachten über die Todesumstände erstellen zu lassen. Denn es wurde deutlich, dass die offizielle Version von Jallohs Tod nicht stimmen kann. In der vergangenen Woche erklärten vier internationale Gutachter aus Großbritannien und Kanada, dass sie eine Selbsttötung im Fall Jallohs für unwahrscheinlich halten. Das erhebliche Ausmaß des Feuers bei geringer Brandlast, bestehend nur aus Matratze und bekleidetem Körper, spreche für den Einsatz von Brandbeschleunigern. Wahrscheinlich sei auch eine Zufuhr von Sauerstoff durch die geöffnete Zellentür.

Heftige Kritik äußerten die Gutachter an der Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau. Die mit den Ermittlungen betraute Behörde habe sie nur unzureichend mit angeforderten Asservaten beliefert. Die britischen Brandsachverständigen Iain Peck und Emma Wilson monierten mangelnde Spurensicherung am Tatort. Die Ermittler behaupteten, das Feuerzeug, mit dem Jalloh angeblich selber das Feuer entzündet habe, habe unter der Leiche gelegen. Dafür aber gebe es laut Peck und Wilson keinerlei Beweis. Weder auf Fotos noch auf Filmmaterial vom Brandort sei das Feuerzeug zu sehen. Zudem fehlten auf dem Feuerzeug, das in den Ermittlungsakten präsentiert wurde, Spuren aus der Zelle. Es gebe auch keinen Hinweis darauf, dass das Feuerzeug auf oder an der Matratze verbrannte. Peck verwies auf ein im November 2013 veröffentlichtes Gutachten, das ebenfalls von den Freunden Jallohs auf eigene Kosten in Auftrag gegeben worden war. Dort wurde nachgewiesen, dass sich das Feuer nur mit einer entfernten Matratzenhülle über die gesamte Fläche ausbreiten konnte. Bei den Versuchen der Gutachter, die Matratze ohne Brandbeschleuniger zu entzünden, hätten Matratze und ein eingesetzter Tierkörper deutlich geringere Verbrennungsspuren davongetragen. Daraus zogen die Gutachter schon damals den Schluss, dass Jalloh seine Verbrennung nicht selbst verursacht haben kann.

Dass die Ermittler bei einer Untersuchung am Tatort keinen Brandbeschleuniger fanden, habe die Staatsanwaltschaft nicht mit entsprechenden Laborergebnissen belegen können, erklärten die Verfasser des zweiten Gutachtens. »Es ist auch so, dass diese Mittel bei einem extremen 30-minütigen Brand vollständig verbrennen und nicht mehr nachgewiesen werden können«, betonte Peck. Auch der forensische Toxikologe aus Kanada, Alfredo Walker, und der britische Rechtsmediziner Michael Scott hielten es für hochwahrscheinlich, dass eventuelle Brandbeschleuniger verdampften oder beim Löschvorgang mit Wasser weggespült wurden. Nachdem nun gleich durch zwei Gutachten die offizielle Version zum Tod von Oury Jalloh wissenschaftlich erschüttert worden ist, müsste die Justiz eigentlich die Ermittlungen wiederaufnehmen.

Frappierend ist das geringe Interesse der deutschen Zivilgesellschaft an der Klärung der Frage, wie Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle ans Bett gefesselt verbrennen konnte. Wäre er unter diesen Umständen in einer US-amerikanischen Polizeizelle ums Leben gekommen, wäre das mediale Interesse hierzulande sicherlich größer.

http://jungle-world.com/artikel/2015/45/52937.html

Peter Nowak

Bleibt der Tod von Oury Yalloh ungeklärt?

Der Prozess um die Umstände des Todes des in einer Dessauer Polizeizelle unter ungeklärten Umständen verbrannten Flüchtlings geht weiter

Der Mann aus Sierra Leone war am 7.Januar 2005 von der Polizei festgenommen, durchsucht und in eine Arrestzelle verfrachtet worden. Wenige Stunden später verbrannte er dort. Die Staatsanwaltschaft hat die von der Richterin in die Diskussion gebrachte Einstellung des Verfahrens abgelehnt.

Dazu beigetragen haben dürfte die Empörung, die von Menschenrechtsinitiativen und Flüchtlingsgruppen laut wurde, als der Einstellungsantrag bekannt wurde. Schließlich haben diese über Jahre dafür gekämpft, dass es überhaupt zum Versuch der juristischen Aufarbeitung der Todesumstände gekommen ist. Dabei musste nach Angaben der Menschenrechtler um jedes Detail gerungen werden. So sollte anfangs die Mutter von Oury Yalloh nicht als Nebenklägerin zugelassen werden, weil die Geburtsurkunden in Sierra Leone nicht den bürokratischen Kriterien in Deutschland entsprachen.

Wenn das Verfahren nun eingestellt worden wäre, weil mit einer endgültigen Klärung nicht mehr rechnen ist hätten sich die Befürchtungen der Menschenrechtsgruppen bestätigt, die schon lange den Verdacht äußerten, dass die Bereitschaft, die Hintergründe des Verbrennungstodes aufzuklären, nicht vorhanden ist. Dabei sind die Unklarheiten, die in den letzten Jahren vor allen von zivilgesellschaftlichen Organisationen und engagierten Anwälten bekannt gemacht worden, groß.

Wie nach einer gründlichen Durchsuchung das Feuerzeug in die Zelle gelangen konnte, gehört ebenso dazu, wie die Frage, wie ein gefesselter Mann eine feuerfeste Matratze selber entzündet haben kann. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen wollen in dem Verfahren auch das Umfeld der Dessauer Polizeiwache ausleuchten, wo vor Oury Yalloh ein Obdachloser unter ähnlich ungeklärten Umständen ums Leben gekommen ist. Wie im Fortgang des Verfahrens allerdings die offenen Fragen noch geklärt werden können, wenn die Richterin eigentlich mit ihren Einstellungsbegehren schon eingestand, dass die Grenzen der rechtsstaatlichen Ermittlungen erreicht seien, bleibt offen.

Ein Film weist schlampige Ermittlungen nach

Zurück bleibt vor allem bei Flüchtlingsorganisationen der Verdacht, dass in Deutschland die Justiz zurückhaltender ermittelt, wenn die Opfer einen Migrantenhintergrund haben. Dieser Verdacht wird nicht nur im Todesfall Oury Yalloh laut. So wurde kürzlich auch das Verfahren zum Tod der im letzten Sommer in einen Jobcenter in Frankfurt/Main von einer Polizeikugel getroffene Christy Schwundeck eingestellt. Auch bei ihr ist es Freunden und Unterstützern mit einem juristischen Verfahren weniger um eine Bestrafung gegangen, sondern um eine Aufklärung über die Hintergründe ihres Todes.

In der nächsten Zeit dürfte die mangelhafte juristische Aufarbeitung des Todes der rumänischen Arbeitsmigranten Grigore Velcu und Eudache Caldera für Diskussionen sorgen. Die beiden wurden am 29.Juni 1992 angeblich von Jägern auf einem Feld in Mecklenburg Vorpommern erschossen, als sie nach dem Grenzübertritt auf einen Transfer nach Deutschland warteten. Die beiden Jäger, die für die Schüsse verantwortlich waren, wurden freigesprochen. Augenzeugen der Tat wurden nicht gehört, zahlreiche offensichtliche Widersprüche blieben ungeklärt und selbst die den Angehörigen der Getöteten bei einem Jagdunfall zustehende Entschädigung wurde nicht ausgezahlt.

Dass dieser Fall nach fast 20 Jahren wieder diskutiert wird, ist dem Filmemacher Philip Scheffner zu verdanken, der den ungeklärten Fragen dieses Todes im Getreidefeld in dem schon auf der Berlinale vielbeachteten Film Revision nach recherchierte. Er hat damit die Arbeit gemacht, die die Justizbehörden versäumten. Er besuchte die Angehörigen der Toten in Rumänien und spürte auch einen Augenzeugen auf, der mit Velcu und Caldera im Kornfeld wartete, als die tödlichen Schüsse fielen. Als der Prozess begann, war er schon längst wieder abgeschoben worden.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151588
Peter Nowak

Gedenken an Oury Yalloh

Gedenken an Oury Yalloh

Die Initiative »In Gedenken an Oury Yalloh« forderte am Wochenende auf einer Demonstration in Berlin ein Ende der Polizeibrutalität gegenüber Flüchtlingen. Polizisten, die mit Gewalt gegen Flüchtlinge vorgegangen sind, sollten juristisch zur Verantwortung gezogen werden. Die Initiative hat in den letzten Monaten ähnliche Kundgebungen in Magdeburg und Dessau organisiert, wo der aus Sierra Leone stammende Oury Yalloh im Januar 2005 in einer Zelle der Polizeiwache verbrannte. Die Verantwortung der zuständigen Polizisten soll in einem Revisionsprozess vor dem Magdeburger Landgericht geklärt werden. Am 19. Verhandlungstag musste ein Aktivist der Flüchtlingsorganisation »The Voice« den Gerichtssaal verlassen, weil er ein T-Shirt mit dem Konterfei von Yalloh und der Aufschrift »Das war Mord« getragen hatte.

Unverständnis äußerte »The Voice«, dass der Vorgang Oury Yalloh aus der elektronischen Liste aller Einträge über Einsätze auf dem Dessauer Polizeirevier gelöscht wurde. Die Anwälte der Angehörigen von Oury Yalloh wollten das Journal für den Prozess heranziehen, um zu erfahren, wo sich die Polizisten in der Dessauer Wache aufgehalten haben, als der Flüchtling verbrannte.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/202454.bewegungsmelder.html
Peter Nowak