Bleibt der Tod von Oury Yalloh ungeklärt?

Der Prozess um die Umstände des Todes des in einer Dessauer Polizeizelle unter ungeklärten Umständen verbrannten Flüchtlings geht weiter

Der Mann aus Sierra Leone war am 7.Januar 2005 von der Polizei festgenommen, durchsucht und in eine Arrestzelle verfrachtet worden. Wenige Stunden später verbrannte er dort. Die Staatsanwaltschaft hat die von der Richterin in die Diskussion gebrachte Einstellung des Verfahrens abgelehnt.

Dazu beigetragen haben dürfte die Empörung, die von Menschenrechtsinitiativen und Flüchtlingsgruppen laut wurde, als der Einstellungsantrag bekannt wurde. Schließlich haben diese über Jahre dafür gekämpft, dass es überhaupt zum Versuch der juristischen Aufarbeitung der Todesumstände gekommen ist. Dabei musste nach Angaben der Menschenrechtler um jedes Detail gerungen werden. So sollte anfangs die Mutter von Oury Yalloh nicht als Nebenklägerin zugelassen werden, weil die Geburtsurkunden in Sierra Leone nicht den bürokratischen Kriterien in Deutschland entsprachen.

Wenn das Verfahren nun eingestellt worden wäre, weil mit einer endgültigen Klärung nicht mehr rechnen ist hätten sich die Befürchtungen der Menschenrechtsgruppen bestätigt, die schon lange den Verdacht äußerten, dass die Bereitschaft, die Hintergründe des Verbrennungstodes aufzuklären, nicht vorhanden ist. Dabei sind die Unklarheiten, die in den letzten Jahren vor allen von zivilgesellschaftlichen Organisationen und engagierten Anwälten bekannt gemacht worden, groß.

Wie nach einer gründlichen Durchsuchung das Feuerzeug in die Zelle gelangen konnte, gehört ebenso dazu, wie die Frage, wie ein gefesselter Mann eine feuerfeste Matratze selber entzündet haben kann. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen wollen in dem Verfahren auch das Umfeld der Dessauer Polizeiwache ausleuchten, wo vor Oury Yalloh ein Obdachloser unter ähnlich ungeklärten Umständen ums Leben gekommen ist. Wie im Fortgang des Verfahrens allerdings die offenen Fragen noch geklärt werden können, wenn die Richterin eigentlich mit ihren Einstellungsbegehren schon eingestand, dass die Grenzen der rechtsstaatlichen Ermittlungen erreicht seien, bleibt offen.

Ein Film weist schlampige Ermittlungen nach

Zurück bleibt vor allem bei Flüchtlingsorganisationen der Verdacht, dass in Deutschland die Justiz zurückhaltender ermittelt, wenn die Opfer einen Migrantenhintergrund haben. Dieser Verdacht wird nicht nur im Todesfall Oury Yalloh laut. So wurde kürzlich auch das Verfahren zum Tod der im letzten Sommer in einen Jobcenter in Frankfurt/Main von einer Polizeikugel getroffene Christy Schwundeck eingestellt. Auch bei ihr ist es Freunden und Unterstützern mit einem juristischen Verfahren weniger um eine Bestrafung gegangen, sondern um eine Aufklärung über die Hintergründe ihres Todes.

In der nächsten Zeit dürfte die mangelhafte juristische Aufarbeitung des Todes der rumänischen Arbeitsmigranten Grigore Velcu und Eudache Caldera für Diskussionen sorgen. Die beiden wurden am 29.Juni 1992 angeblich von Jägern auf einem Feld in Mecklenburg Vorpommern erschossen, als sie nach dem Grenzübertritt auf einen Transfer nach Deutschland warteten. Die beiden Jäger, die für die Schüsse verantwortlich waren, wurden freigesprochen. Augenzeugen der Tat wurden nicht gehört, zahlreiche offensichtliche Widersprüche blieben ungeklärt und selbst die den Angehörigen der Getöteten bei einem Jagdunfall zustehende Entschädigung wurde nicht ausgezahlt.

Dass dieser Fall nach fast 20 Jahren wieder diskutiert wird, ist dem Filmemacher Philip Scheffner zu verdanken, der den ungeklärten Fragen dieses Todes im Getreidefeld in dem schon auf der Berlinale vielbeachteten Film Revision nach recherchierte. Er hat damit die Arbeit gemacht, die die Justizbehörden versäumten. Er besuchte die Angehörigen der Toten in Rumänien und spürte auch einen Augenzeugen auf, der mit Velcu und Caldera im Kornfeld wartete, als die tödlichen Schüsse fielen. Als der Prozess begann, war er schon längst wieder abgeschoben worden.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151588
Peter Nowak

Tod im Getreidefeld

Im Juni 1992 wurden in Mecklenburg-Vorpommern zwei Migranten aus Rumänien getötet. Der genaue Tathergang wurde bisher nicht aufgeklärt. Nun erinnert ein Dokumentarfilm an die Opfer.

Die Namen Grigore Velcu und Eudache Calderar kannte bisher kaum jemand. Das könnte sich bald ändern. In wenigen Monaten wird der Dokumentarfilm »Revision« in die Kinos kommen, der den bislang ungeklärten Tod der beiden Roma aus Rumänien in einem Getreidefeld in Mecklenburg-Vorpommern in den frühen Morgenstunden des 29. Juni 1992 zum Thema hat. Schon auf der Berlinale sorgte Philip Scheffners Film für Diskussionen. Vielleicht auch, weil die Männer den falschen Pass hatten, gab es in den Medien damals nur eine kurze Meldung zum Tod Velcus und Calderars. Die offizielle Version lautet, die beiden Männer seien beim illegalen Übertritt der deutsch-polnischen Grenze von Jägern erschossen worden, die die Gruppe, die in dem Getreidefeld auf ihren Transfer wartete, mit Wildschweinen verwechselt hätten. Die Schützen konnten schnell ermittelt werden. Ein ehemaliger Polizist und passionierter Jäger aus der Region sowie ein Jäger aus Hessen wurden wegen fahrlässiger Tötung und unterlassener Hilfeleistung angeklagt. Nachdem das Verfahren über mehrere Jahre verschleppt worden war, erfolgte ohne jede kritische Öffentlichkeit die Einstellung. Auch eine Revision wurde verworfen. Es habe nicht mit letzter Sicherheit geklärt werden können, wer die tödlichen Schüsse abgegeben habe, die beide Männer getötet haben, lautet die Hauptbegründung für die Einstellung.

Dabei leisteten die Jäger den von den Schüssen Getroffenen weder Erste Hilfe, noch verständigten sie einen Rettungswagen. Mindestens einer der Männer atmete noch, als er etliche Stunden später von Erntehelfern gefunden wurde, er starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Ob er überlebt hätte, wenn sofort lebensrettende Maßnahmen eingeleitet worden wären, wurde nie geklärt.

Das ist nur eine von vielen Ungereimtheiten, die Scheffner aufdeckt. So sagte eine Gutachterin aus, dass bei den Lichtverhältnissen in der Morgendämmerung Wildschweine von Menschen klar zu unterscheiden gewesen seien. Auch die Ursache für einen Brand des Getreidefeldes nach den Schüssen bleibt offen. Angeblich soll ein Mähdrescher der Grund dafür gewesen sein. Vor der Kamera bestreiten zwei Feuerwehrleute, die an der Löschung beteiligt waren, dass ein Mähdrescher vor Ort gewesen sei. Scheffner befragte auch einen Freund der Getöteten, der sich mit ihnen auf den Weg nach Deutschland gemacht hatte und Augenzeuge ihres Todes wurde. Auch nach mehrmaligem Nachfragen beharrt er darauf, dass die tödlichen Schüsse mit Zielfeuerwaffen aus einem Polizeiauto erfolgt seien, das am Rande des Felds gestanden habe. Diesen Umgereimtheiten wurde in dem Verfahren, das nur drei Verhandlungstage dauerte, nie nachgegangen. Keiner der Augenzeugen, die mit den Opfern im Feld auf ihren Transfer warteten, wurde als Zeuge gehört. Die meisten von ihnen waren zu diesem Zeitpunkt längst abgeschoben worden. Die Polizei hatte die Gruppe wenige Stunden nach den tödlichen Schüssen an einer nahen Autobahnraststätte aufgespürt.

Vor der Kamera wollte keiner der Schützen Stellung zu dem Vorfall nehmen oder den Angehörigen der Opfer wenigstens nachträglich Beileid aussprechen. Während der hessische Jäger erklären ließ, er habe kein Interesse an einem Kontakt mit dem Filmemacher, beauftrage der ehemalige Polizist aus Mecklenburg-Vorpommern einen Anwalt, um mitzuteilen, dass der Fall rechtsstaatlich geprüft und längst zu den Akten gelegt worden sei. Auch die versicherungsrechtlichen Ansprüche seien mittlerweile verjährt, betonte der Jurist. Schließlich hätten die Angehörigen keine finanziellen Ansprüche geltend gemacht.

Die Verwandten der Opfer waren allerdings nie über ihre Rechte informiert worden. Dabei hätte eine finanzielle Entschädigung ihr Leben vielleicht etwas erleichtern können. Velcu und Calderar waren zum Arbeiten nach Deutschland gekommen, weil sie in Rumänien keine Perspektive sahen. Sie hätten mit den Einkommen ihre Familien unterstützt. Ihr Tod stürzte ihre Angehörigen zusätzlich zur Trauer auch in große soziale Not. Frau Calderar war mit ihren Kindern zeitweise obdachlos.

Der Filmemacher stellt das Ereignis auch in einen politischen Zusammenhang. Knapp zwei Monate nach den tödlichen Schüssen im Sommer 1992 belagerte ein Mob aus Nazis und Bürgern in Rostock-Lichtenhagen ein Erstaufnahmelager für Migranten. Unter den Bewohnern, die in letzter Minute evakuiert wurden, nachdem es den Angreifern gelungen war, Teile des Gebäudes mit Molotow-Cocktails in Brand zu stecken, waren auch Augenzeugen der tödlichen Schüsse auf Calderar und Velcu. Wenige Monate später wurde das Asylrecht »reformiert«, oder besser gesagt: abgeschafft.

Das rassistische Klima hatte auch Velcu schon zu spüren bekommen. Er war mit seiner Familie 1989 nach Deutschland gekommen und lebte in einem Flüchtlingsheim in Gelbensande. Seine Mutter, die in dem Heim starb, wurde auf dem Dorffriedhof begraben. 1992 wurde die Grabstätte von Velcus Mutter mehrmals von Unbekannten verwüstet. Daraufhin entschloss Velcu sich, nach Rumänien zu reisen, um die nötigen Papiere für die Überführung der Leiche seiner Mutter in das Land zu besorgen. Er starb auf seinem Rückweg nach Deutschland im Getreidefeld. Das zerstörte Grabkreuz ist bis heute in einer Kirche in der Umgebung deponiert, auf Initiative einer Lehrerin aus der Region soll das Grab von Si­minica Ecaterina wieder hergerichtet werden. Scheffner sieht darin eine erste Reaktion auf die Diskussionen um seinen Film. In diesem Jahr jährt sich der Tod von Velcu und Calderar zum zwanzigsten Mal, ebenso wie die Angriffe auf das Asylbewerberheim in Rostock-Lichtenhagen.
http://jungle-world.com/artikel/2012/10/45018.html
Peter Nowak