Warum die Kritik an der Entscheidung, ein Wohnprojekt für Migranten vorerst nicht in den Rostocker Stadtteil Groß Klein zu errichten, falsch ist
Die Taz schont Politiker der Linken nicht. Nachdem Sahra Wagenknechts Merkel-Schelte dort heftig kritisiert [1] wurde, titelte die linksliberale Zeitung nun: „Ein Linker kuscht vor Neonazis“ [2].
Dabei hätte die Schlagzeile auch lauten können: „Für Politiker der Linken geht das Wohl von Geflüchteten vor.“ Schließlich entschied der Rostocker Senator für Soziales, Gesundheit und Sport“, Steffen Bockhahn, ein Wohnprojekt für Migranten vorerst nicht in den Rostocker Stadtteil Groß Klein zu errichten, nachdem es mehrere rechte Protestaktionen [3] gegeben hat.
Bei Teilen der Stadtteilbewohner gibt es durchaus Sympathien für die Ziele der Rechten. Auch jugendliche Migranten, die in einem Wohnprojekt in dem Stadtteil lebten, wurden in andere Einrichtungen aufgeteilt. Bockhahn rechtfertigt seine Entscheidung mit Sicherheitsbedenken, die auch vom Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern und den Polizeibehörden geteilt würden. Tatsächlich hat es in den letzten Wochen mehrmals rechte Aktionen gegen den Zuzug von Geflüchteten in den Stadtteil gegeben.
Einknicken vor Rechten?
Kritisch [4] sieht Bockhahns Entscheidung gegen die Flüchtlingsunterkünfte in den Stadtteil Wolfgang Richter, der bundesweit bekannt wurde, weil er 1992 Ausländerbeauftragter in Rostock war und Migranten beigestanden hat, die in einen brennenden, von einen rechten Mob angezündeten Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen eingeschlossen waren und sich nur in letzter Minute retten konnte.
Damals wurden die Migranten unter demütigenden Bedingungen aus dem Stadtteil evakuiert. Der Filmemacher Philipp Scheffner hat in seinen Film „Revision“ [5] eine Szene festgehalten, in der Migranten auf gepackten Taschen vor der geräumten Unterkunft sitzen und auf dieBusse warten, die sie abholen sollen. Die Ereignisse von 1992 waren Ausdruck für die Macht der Rechten und das Versagen des Staates, der vor dem Bündnis aus Nazis und Pogrombürgern kapitulierte.
Daher ist die Öffentlichkeit auch besonders hellhörig, wenn nun erneut bekannt wird, dass in Rostock Flüchtlinge nach rechten Protesten evakuiert werden. „Da hätte man nicht zurück weichen dürfen“, kritisierte Richter Bockhahns Entscheidung. Auch die Initiative Rostock Nazifrei spricht [6] in einer Erklärung vor einen Kniefall vor dem rechten Mob, richtet aber ihre Kritik vor allem gegen den konservativen Innenminister von Mecklenburg- Vorpommern Lorenz Caffier.
Was ist das Interesse der Migranten?
Die Initiative begründet ihre Kritik aber nicht nur mit der Staatsraison, sondern auch mit den Interessen der Migranten. „Gerade für die Jugendlichen im Stadtteil, wardie Einrichtung Anlaufstelle in der Freizeit bei Sorgen und auch bei Hausaufgaben.“ Für sie sei die Schließung eine Katastrophe.
Am Interesse der Migranten müsste sich aber jede Beurteilung der Maßnahmen ausrichten. Es ist zumindest äußerst fragwürdig, wenn Richter jetzt nur mit der Staatsraison argumentiert, die es verbiete, den Protesten von Rechten nachzugeben. Da werden Geflüchtete instrumentalisiert, um ein Zeichen setzen, dass der Staat nicht nachgibt. Nur haben diese Menschen oft keine andere Wahl, als die zugewiesenen Unterkünfte zu akzeptieren. Da ist zu fragen, warum sie dann in Stadtteile wie Groß Klein verbracht werden, wo sie freiwillig gar nicht leben wollen.
Richter erwähnt mit Recht, dass sich Rostock in den letzten 20 Jahren geändert hat und die Stadt daher nicht mehr bruchlos mit dem Pogrom von Lichtenhagen in Verbindung gesetzt werden kann. Richter spricht von den zivilgesellschaftlichen Initiativen, die in den zwei Jahrzehnten in Rostock entstanden sind.
Da ergibt sich doch die Frage, warum werden die Geflüchteten nicht in Stadtteilen untergebracht, die von diesen zivilgesellschaftlichem Leben geprägt sind? Für Groß Klein trifft das kaum zu. Wichtig wäre aber, dass man die Geflüchteten entscheiden lässt, wo sie leben wollen. Sollten sie sich für Stadtteile wie Groß Klein entscheiden, müssen sie gegen rechte Störversuche verteidigt werden. Für die große Mehrheit der Geflüchteten dürfte es tatsächlich in ihrem Interesse gewesen sein, aus den ungeliebten Stadtteilen verschwinden zu können.
http://www.heise.de/tp/news/Sollen-Fluechtlinge-aus-Staatsraison-in-rechter-Umgebung-leben-3289439.html
Peter Nowak
Links:
[1]
[2]
[3]
[4]
[5]
[6]