Mehr als Symbolik

»Genug geschwiegen« steht auf dem Transparent an der Spitze der Demonstration. Dahinter gehen zehn Personen in weißen T-Shirts, auf denen die Gesichter der zehn Todesopfer des »Nationalsozialistischen Untergrunds« zu sehen sind. Drei Jahre sind seit dessen Selbstenttarnung vergangen. In Berlin wurde das zum Anlass genommen, um mit einer Demonstration zu erinnern, dass jenseits offizieller Sonntagsreden keine ernsthaften Konsequenzen gezogen wurden. In den Redebeiträgen, die am Samstag auf der Route durch den Wedding gehalten werden, wird betont, dass Rassismus in großen Teilen der Bevölkerung wie auch in den Staatsapparaten fest verankert sei. Knapp 1 500 Menschen beteiligen sich an der Demonstration, bei der es nur einen ernsthaften Zwischenfall gibt. Aus einem Haus wird ein schweres Gefäß auf die Demonstranten geschleudert, zum Glück trifft es niemanden. Auf der Abschlusskundgebung betonen mehrere Redner, dass der Kampf um das Gedenken an die NSU-Opfer weitergeht. In vielen Städten wollen Angehörige die Straßen, in denen ihre Verwandten ermordet wurden, nach den Opfern benennen. Überall wurde dieses Ansinnen abgewiesen oder verzögert. In einigen Fällen sammelten Anwohner sogar Unterschriften gegen eine Umbenennung. Mit symbolischen Straßenumbenennungen haben Angehörige und antirassistische Gruppen in Hamburg und Berlin deutlich gemacht, dass sie es nicht akzeptieren, dass den Angehörigen selbst diese Geste der Anerkennung verweigert wird. Von der Politik können sie keine Unterstützung erwarten. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) besuchte am 31. Oktober das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln und lobte dessen Beitrag für die Sicherheit Deutschlands. Die ungeklärten Fragen über die Rolle dieses Dienstes beim Umgang mit dem NSU reduzierte Merkel auf »ein paar Dinge aus der Vergangenheit«. Es ist zu befürchten, dass sie damit großen Teilen der deutschen Bevölkerung nach dem Munde redet.

http://jungle-world.com/artikel/2014/45/50871.html

Peter Nowak

Gedenken an NSU-Opfer gefordert

Straßenumbenennungen zur Erinnerung werden oft abgelehnt

Zumindest für einige Stunden wird in Berlin eine Straße zwischen Kurfürstendamm und Joachimsthaler Straße den Namen des NSU-Opfers Mehmet Kubaşık tragen. Der Kioskbesitzer war am 4. April 2006 in Dortmund erschossen

Zumindest für einige Stunden wird in Berlin-Charlottenburg eine Straße zwischen Kurfürstendamm und Joachimsthaler Straße den Namen des NSU-Opfers Mehmet Kubaşık tragen. Der Kioskbesitzer war am 4. April 2006 in seinem Laden in Dortmund erschossen worden. Angehörige und Freunde des Toten gingen nach der Tat schnell von einem neonazistischen Mord aus, fanden damit aber bei der Polizei und vielen Medien kein Gehör.

Damals wurde die Mordserie bei den Behörden noch unter dem rassistischen Obertitel »Dönermorde« geführt. Erst am 4. November 2011 wurde deutlich, dass die Angehörigen von Kubaşık Recht hatten. Durch einen Zufall wurde bekannt, dass eine Gruppe von Neonazis seit über einem Jahrzehnt im Untergrund agierte und quer durch die Republik Menschen ermordete, die nur eines gemeinsam hatten: Sie waren nicht in Deutschland geboren. Der »Nationalsozialistische Untergrund« ermordete zwischen 2000 und 2007 mutmaßlich neun Kleinunternehmer mit Migrationshintergrund und eine Polizistin.

Zum dritten Jahrestag der Selbstenttarnung des NSU planen am 4. November Angehörige der Opfer und antirassistische Gruppen an den Tatorten symbolische Straßenumbenennungen. Sie sollen die Namen der Mordopfer tragen. Um 17.30 Uhr sollen in ganz Deutschland gleichzeitig Straßen nach den Opfern der NSU-Mordserie benannt.

»Wir wollen unserer ermordeten Angehörigen würdig gedenken und gleichzeitig darauf aufmerksam machen, dass unser Anliegen von den politisch Verantwortlichen und auch Teilen der Anwohnern ignoriert oder sogar regelrecht bekämpft wird«, erklärte Ali Bezkart vom Berliner Bündnis gegen Rassismus gegenüber »nd«. Das Bündnis hatte schon für den vergangenen Samstag eine Demonstration unter dem Motto »Rassismus in der Gesellschaft bekämpfen« organisiert. Rund 1500 Menschen beteiligten sich am Marsch durch den Berliner Ortsteil Wedding. Die massive Ablehnung einer Umbenennung von Straßen nach den Mordopfern des NSU bezeichnete eine Rednerin auf der Abschlusskundgebung als ein Beispiel für Alltagsrassismus.

Schon im Jahr 2012 forderten Angehörige die Umbenennung der Hamburger Schützenstraße, in der der Mord an Süleyman Tasköprü begangen wurde. Mit der Begründung, zu viele Firmen seien dort angesiedelt und die Straße sei viel zu stark bewohnt, traten Teile der Bevölkerung aber auch die örtliche SPD dieser Forderung entgegen. Um weiteren Protest und einen langwierigen Umbenennungsstreit zu vermeiden, einigten sich Politik und die Angehörige der Opfer schließlich auf die Umbenennung der nahe gelegenen Kühnehöfe nach Süleyman Tasköprü. Kaum wurden die Anwohner von diesen Plänen informiert, regte sich Protest. Die in der Straße ansässige Traditionsfirma Kühne stellte sich dagegen. Zudem sammelten die Anwohner Unterschriften gegen die Umbenennung.

Auch in Kassel wurde der Wunsch des Vaters des NSU-Opfers Ismail Yozgat, die Ausfallstraße, an der der Mord geschah, nach seinem Sohn umzubenennen, bisher abgelehnt. Angehörige und antirassistische Gruppen wollen diese Blockadehaltung nicht akzeptieren. »Mit der symbolischen Umbenennung wollen wir deutlich machen, wie wenig sich trotz aller Sonntagsreden auch in der Bevölkerung durch die Aufdeckung des NSU verändert hat«, betonte Bezkart.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/951198.gedenken-an-nsu-opfer-gefordert.html
Von Peter Nowak

Hat Deutschland ein Rassismusproblem?

Ein Jahr nach der NSU-Aufdeckung – viel Gerede wenig Änderung

Nicht nur die Taz erinnert dieser Tage an einen besonders makaberen Jahrestag: die Aufdeckung des neonazistischen Untergrunds NSU vor einem Jahr. Es waren nicht die Ermittlungsbehörden, die den Rechtsterroristen auf die Spur gekommen sind. Es war vielmehr der Selbstmord von zwei der rechten Protagonisten, der aufdeckte, dass jahrelang Neonazis in Deutschland morden konnten und die Opfer zu Tätern gestempelt wurden. Wie so etwas möglich sein konnte, war in den vergangenen 12 Monaten Gegenstand zahlreicher außerparlamentarischer Initiativen, aber auch parlamentarischer Ausschüsse.

Ein Jahr nach der Aufdeckung hat sich wenig geändert. Das zeigt die Reaktion der Gewerkschaft der Polizei, die sich zum Jahrestag nicht etwa noch mal offiziell bei den Opfern dafür entschuldigt, dass durch Fehler in der Polizeiarbeit die Morde nicht aufgeklärt wurden und man statt dessen das Umfeld der Toten ausspioniert hatte.

Mehr Geld Polizei eine Lösung?

Stattdessen wird in einer Pressemeldung von einer „ungeheuerlichen Unterstellung“ gesprochen, weil der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy und der Vorsitzende der Türkischen Gemeinden in Deutschland Kenan Kolat deutlich machten, dass es ein Rassismus-Problem in Deutschland gibt. Den Funktionären der Polizeigewerkschaft fällt dazu nur ein, dass die Politik auch in ihren Kerngebieten Einsparungen vorgenommen hat. Hätte also ein größerer Etat für Polizei und Geheimdienste die NSU-Morde verhindert oder zumindest früher aufgedeckt?

Mit einen solchen Argument wird nicht nur von der Polizei und den in die Kritik geratenen Geheimdiensten, sondern auch von Unionspolitikern als Konsequenz aus der NSU-Affäre eine Stärkung von Sicherheitsdiensten und Staat propagiert. Noch mehr Geld für die Sicherheitsorgane, noch mehr Gesetze, noch mehr Überwachung wird hier als Konsequenz aus den NSU-Versagen angeboten. Dabei haben die Ermittlungen der letzten Monate eins deutlich gezeigt. Die unterschiedlichen Dienste waren sehr nah dran an den Protagonisten der NSU. Warum sie trotzdem nicht aufgedeckt werden konnten, kann sehr wohl mit einem strukturellen Rassismus bei den Sicherheitsdiensten erklärt werden, der einen neonazistischen Untergrund für undenkbar hielt, dafür Ausschau nach „kriminellen“ Migranten hielt.

Darauf macht auch ein bundesweites Bündnis gegen Rassismus aufmerksam, das in den nächsten Tagen in zahlreichen Städten mit Gedenkveranstaltungen an die Opfer der NSU-Morde erinnert. In Berlin beginnt die geplante Demonstration bei dem Flüchtlingscamp am Oranienplatz in Kreuzberg. Dort haben sich nach einen bundesweiten Marsch Flüchtlingen eingerichtet, um gegen die verschiedenen Sondergesetze gegen Flüchtlinge in Deutschland zu protestieren. Eine Gruppe von 20 Flüchtlingen trug ihre Forderungen vor das Brandenburger Tor in die Mitte Berlins und wurde durch Ordnungsrecht und Polizei fast schutzlos der winterlichen Kälte ausgeliefert. Auch hier stellt sich die Frage des Rassismus, wie auch bei der kürzlich durch eine Konferenz und ein Gerichtsurteil in die Diskussion gekommenen Racial Profiling eine Rolle spielt.


Welche Lesart setzt sich durch?

Dabei wird in allen Fällen Rassismus als strukturelles Problem von Behörden und Instanzen verstanden. Die Gewerkschaft der Polizei hingegen macht daraus ein persönliches Problem und verwahrt sich dagegen, dass Polizisten in die Rassismusecke gesteckt werden. Damit aber würde die NSU-Affäre als Mittel benutzt, um die Sicherheitsapparate zu Opfern der Debatte zu machen. Es wird vor allen davon abhängen, ob außerparlamentarische und zivilgesellschaftliche Initiativen in der Lage sind, diesem Trend auch medial zu widersprechen und dabei auch gehört zu werden.

Der Jahrestag der NSU-Aufdeckung ist in dieser Hinsicht vielleicht ein wichtiges Datum, um in der Öffentlichkeit eine eigene Lesart zu präsentieren. Es gibt mittlerweile auch verschiedene Autoren, die die NSU-Affäre zum Anlass für historische Forschungen zu rechten Untergrundtätigkeiten nahmen. Solche Arbeiten sind wichtig, um den Kontext zu ermessen und die NSU-Affäre nicht einfach nur als Kette von Fehlern, Pleiten und Pannen erklären, aus denen die Sicherheitsdienste wie Phönix aus der Asche auferstehen können. Allerdings muss man bei den historischen Recherchen aufpassen, nicht selber in den Bereich von Spekulationen und Verschwörungstheorien abzugleiten. Auch deshalb ist es wichtig, vollständige Aktentransparenz von den Behörden einzufordern.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/153112
Peter Nowak

Neues Bündnis gegen Rassismus gegründet

ENGAGEMENT Linke Gruppen wollen gegen Sarrazinismus und Rechtspopulismus kämpfen

Verschiedene linke Gruppen in Berlin wollen mit einem Bündnis gegen Rassismus, Sozialchauvinismus und Rechtspopulismus intervenieren. Bei einem Workshop am Samstag im Mehringhof hat sich der Zusammenschluss, an dem unter anderem die linken Gruppen Theorie und Praxis (Top), Avanti – Projekt undogmatische Linke, die Linksjugend solid sowie antifaschistische Gruppen beteiligt sind, inhaltlich vorbereitet.

Fabian Kunow, Mitarbeiter der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus, beschäftigte sich beim Workshop mit den beiden rechtspopulistischen Parteien „Die Freiheit“ und die Pro-Bewegung. Nach seiner Einschätzung werden beide Gruppierungen nach der Wahl im September nicht ins Abgeordnetenhaus einziehen, könnten allerdings in einigen Bezirksparlamenten Sitze erlangen. Daher sei antifaschistische Bündnisarbeit gegen die Aktivitäten der rechten Parteien weiterhin nötig. Ein zentrales Aktionsfeld soll der Widerstand gegen den Antiislamkongress sein, den die Pro-Bewegung Ende August in Berlin plant.

Das Bündnis will sich auch mit dem „Rechtspopulismus der Mitte“ auseinandersetzen. Als Beispiel führt ein Sprecher die vom ehemaligen Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin entfachte Debatte an. Auf wiederholte Kampagnen gegen Hartz-IV-EmpfängerInnen ging die Neuköllner Erwerbslosenaktivistin Anne Seek ein. Sie verwies auf die kontinuierliche Arbeit, die es in dem Stadtteil unter anderem vor den Jobcentern gibt, um die Betroffenen zu unterstützen.

Garip Bali vom Verein Allmende stellte die Kampagne „Integration Nein Danke“ vor, mit der sich migrantische Gruppen gegen Forderungen nach Anpassung an die deutsche Leitkultur wenden. Dabei werden migrationspolitische Forderungen der Berliner Grünen ebenso kritisiert wie martialische Sprüche von Konservativen. „Bis zur letzten Patrone“ wolle er gegen die Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme kämpfen, hatte etwa der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer auf dem diesjährigen Aschermittwochsempfang seiner Partei gesagt.

So lautet auch das Motto der Auftaktveranstaltung des neuen Bündnisses am 2. Juni im Festsaal Neukölln in der Skalitzer Straße 130, wo auch die nächsten Aktivitäten vorgestellt werden.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2011%2F05%2F30%2Fa0133&cHash=2349dc0235

PETER NOWAK
Infos: http://gegenrassismusundsozialchauvinismus.wordpress.com