Generalstreik mit großer Beteiligung gegen Renzi und Merkel, auch in Belgien gibt es Proteste
In mehr als 50 Städten demonstrierten am Freitag nach Angaben der Gewerkschaften mehr als 270.000 Menschen gegen die Arbeitsmarktreformen von Premier Matteo Renzi. In Mailand und Turin kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten. An den Aktionen beteiligten sich auch Studierende und prekär Beschäftigte.
Aber auch die Arbeitsniederlegungen warenin allen Branchen spürbar. Die größten italienischen Gewerkschaftsbündnisse CGIL (CGIL) und UIL erklärten, dass 50 Prozent der Bahn- und Flugverbindungen und 70 Prozent der Verbindungen im Nahverkehr betroffen gewesen seien. Die Streikbeteiligung in der Industrie habe bei insgesamt 70 Prozent gelegen. Auch Flüge von und nach Deutschland mussten ausfallen. Bei der Lufthansa war die Tochter Air Dolomiti betroffen, die von München aus fliegt. Air Berlin strich ebenfalls einige Flüge.
„Così non va“
In Rom brach der öffentliche Nahverkehr zusammen, U-Bahn und Busse wurden bestreikt und mehrere Demonstrationen schlängelten sich durch die Stadt. In Mailand sprangen als Weihnachtsmänner verkleidete Demonstranten über die Absperrung vor dem Pirelli-Hochhaus, die Polizei setzte Tränengas ein.
Die Gewerkschaften protestierten unter dem Motto „Così non va!“ [1], was mit „So geht es nicht“ übersetzt werden kann, in erster Linie gegen die Arbeitsmarktreformen von Renzis Mitte-Links-Regierung. Seit Monaten mobilisieren die Arbeitnehmervertreter gegen den sogenannten JobsAct [2], der unter anderem eine Lockerung des Kündigungsschutzes vorsieht. Italien steckt in der schwersten Rezession der Nachkriegszeit und hat mit einer Arbeitslosigkeit von mehr als 13 Prozent zu kämpfen – bei den Jugendlichen liegt sie sogar bei über 43 Prozent.
Gegen diese wirtschaftlichen Probleme sollen Italien nun die gleichen Rezepte angewandt werden, die bereits seit mehr als 10 Jahren in Deutschland zu einem Ausbreiten des Niedriglohnsektors führte. Als eine italienische Version der Agenda 2010 sollen auch in Italien die Arbeitsverhältnisse noch weiter dereguliert und der Einfluss der Gewerkschaften weiter minimiert werden.
Anders als in Deutschland bei der Einführung von Hartz IV haben sich in Italien auch die großen Gewerkschaften eindeutig gegen diese Reformen, die eine Verschlechterung der Arbeits- und Lebensverhältnisse bedeuten, ausgesprochen. Dabei sind die großen Gewerkschaftsbünde in der Regel auf Ausgleich mit der Regierung bedacht, was von Basisgewerkschaften wie SinCobas [3]kritisiert wird, die in der aktuellen Mobilisierung der großen Gewerkschaften keineswegs ein Abrücken von derensozialpartnerschaftlichen Linie sehen. Eigentlich wollen sie weiterhin einen Kompromiss, doch die Regierung Renzi hat daran gar kein Interesse.
Renzi hat sich schon vor seiner Wahl zum Premierminister als Verschrotter der letzten noch übrig gebliebenen Reste der alten Arbeiterbewegung empfohlen. Unter diesen Umständen sind die großen Gewerkschaften zum Kämpfen gezwungen.
Streik gegen deutsche Austeritätspolitik
Die Mobilisierung in Italien richtet sich nicht nur gegen die Pläne der Renzi-Regierung, sondern auch gegen Merkel und die von Deutschland favorisierte Austeritätspolitik. In den letzten Monaten häuften sich aus der deutschen Politik die Mahnungen an die Adresse der italienischen Regierung, bloß nicht in dem Bestreben nachzulassen, die italienische Wirtschaft nach dem Vorbild Deutschlands zu deregulieren. Die Ermahnungen wurden so dringlich, dass sie selbst Renzi, der eigentlich ein gelehriger Schüler der deutschen Politikkonzepte sein wollte, zu viel [4] wurden.
Der italienischen Protestbewegung ist in der großen Mehrheit durchaus bewusst, dass sie nicht nur gegen die Pläne eines neoliberal gewendetes Sozialdemokraten ankämpfen, sondern dass sie gegen ein von Deutschland auch gegen immer stärkere Kritik aufrechterhaltenes Dogma der Austeritätspolitik kämpfen. Der Generalstreik zeigte, dass der Widerstand dagegen vor allem in Südeuropa durchaus noch nicht gebrochen ist.
Vor zwei Jahren, am 14. November 2012 gab ein südeuropaweiter Generalstreik gegen die Austeritätspolitik zumindest eine Ahnung von der Kraft einer transnationalen sozialen Bewegung. Damals entstand auch in Deutschland eine Initiative [5], die solche transnationale Streiks auch hier solidarisch unterstützen wollte. Das Projekt stieß an Grenzen, weil es nach dem 14. November wenig transnationale Streiks in Europa gab. Dafür gab es in der letzten Zeit Versuche, lange Zeit weitgehend vergessene Arbeitskämpfe zu unterstützen [6], wie den der Logistikarbeiter [7] in
Norditalien [8].
Doch wie sich am 12. Dezember in Italien zeigte, sind auch Generalstreiks durchaus weiterhin ein Kampfmittel. Sollte der Albtraum der europäischen Austeritätspolitiker wahr werden und in Griechenland doch noch nach Neuwahlen die linkssozialdemokratische Syriza die Regierung bilden und zumindest einen Teil ihrer Wahlversprechen ernst nehmen, könntees europaweit noch zu größeren Widerstand gegen die Austerititätspolitik kommen.
In Belgien Streiks gegen Rechtsregierung
Schon vor einigen Jahren haben belgische Gewerkschafter die Kampagne „Helft Heinrich“ [9] vorgeschlagen, mit denen sie den Gewerkschaften in Deutschland helfen wollten, höhere Löhne durchzusetzen und damit nicht nur ihre Lebensbedingungen zu verbessern, sondern auch die Eurozone vor einen Wettbewerb in den Niedriglohnsektor bewahren wollten. Damit wurde schon deutlich, dass es in Belgien eine historisch gewachsene kämpferische Gewerkschaftsbewegung gibt.
Diese Erfahrungmuss jetzt auch die belgische Rechtsregierung machen, die mit gewerkschaftsfeindlichen Gesetzen und Einschnitten ins soziale System eine Streikwelle provozierte. So soll das Rentenalter von 65 auf 67 Jahre heraufgesetzt werden und die Löhne sollen nicht mehr automatisch an die Inflationsrate angepasst werden. Bereits im November gab es gleich mehrere Arbeitsniederlegungen, in den nächsten Tagen ist ein belgienweiter Generalstreik geplant [10].
In Spanien, wo es 2012 eine große Streikbewegung gab, bereitet die postfranquistische Regierung massive Einschränkungen beim Demonstrationsrecht vor, die nach Meinung des Spanien-Korrespondenten der Taz zwei Ziele hat: „Angst verbreiten, Mundtotmachen.“ [11]Angesichts der wachsenden Podemos-Bewegung [12], die in Umfragen mittlerweile die Regierungspartei an Zustimmungswerten übertrifft, geht in der Regierung wohl die Angst um, dass dort verspätet doch noch nachgeholt werden könnte, was 1975 versäumt wurde, die Befreiung der spanischen Gesellschaft vom Franquismus und seinen Nachwirkungen.
http://www.heise.de/tp/news/Cosi-non-va-2489476.html
Peter Nowak
Links:
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