Die Linke – Motor eines Politikwechsels?

In einem Strategiepapier wird vorgestellt, wie die Partei koalitions- und regierunsfähig gemacht werden könnte

Bis zur Bundestagswahl sind noch drei Jahre Zeit und doch bereiten sich die Parteien schon darauf vor. Die Linkspartei hat jetzt ein Strategiepapier vorgelegt, in dem sie ihre Pläne für die nächsten Jahre skizziert. Dabei macht die Partei schon im Titel deutlich, dass sie zu einem Motor für den Politikwechsel werden will. In dem Papier wird dieses Vorhaben dann konkretisiert. Es gehe um die Schaffung anderer gesellschaftlicher und parlamentarischer Mehrheiten. Diese sind aber ohne SPD und Grüne nicht denkbar. Deshalb wird im Strategiepapier offen formuliert, was bisher bei der Linkspartei ein Reizthema ist.

„Auf dieser Grundlage kann die Linke offensiv für die Abwahl von Schwarz-Gelb auch durch ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis kämpfen“, heißt es in dem Papier. In ihm wird aber auch das Dilemma angesprochen, dass SPD und Grüne sicherlich auch einen Regierungs-, nicht aber einen Politikwechsel im Sinne der Linken anstreben. Die Partei könnte sich dann schnell in die Rolle einer bloßen Mehrheitsbeschafferin für eine Politik wiederfinden, die an der Basis mehrheitlich gar nicht mitgetragen wird. Damit aber würde sie bald Mitglieder und Wählerstimmen verlieren. Verweigert sie sich aber einer solchen Funktion und wagt es eigene Forderungen zu stellen, könnte sie schnell als Verhinderung einer rot-grünen Reformpolitik gebrandmarkt werden.

Die aktuelle Diskussion in Nordrhein-Westfalen zeigt, was auf die Partei im Bund zukommen würde, wenn sie durch das Wahlergebnis zwischen SPD-Grünen und schwarz-gelben Block zum Zünglein an der Waage würde. Selbst bei Themen, wo es zwischen SPD, Grünen und Linken eigentlich eine gemeinsame Basis geben müsste, wenn es nach dem Wahlprogramm geht, hakt es bei der Umsetzung. Wie bei einen Pokerspiel geht es schließlich darum, wer mehr Angst vor Neuwahlen hat. Schnell wird auf diese Weise aus einer Debatte über politische Inhalte ein Gezerre über Umfragewerte.

Die Linke spricht in dem Strategiepapier die Problematik an, für die Ablösung der gegenwärtigen Regierungskoalition auf Parteien angewiesen zu sein, die wesentliche Ziele der Linken nicht teilen. Deshalb schlägt sie vor, nicht auf eine Änderung der Politik von SPD und Grünen zu warten, ihre eigenen Vorschläge in der Öffentlichkeit zu popularisieren und damit die anderen Parteien unter Druck zu setzen. Damit würde die Partei zum Motor für einen Politikwechsel.

Soziale Themen im Mittelpunkt

An erster Stelle sehen die Verfasser des Papiers die Sozialpolitik. Gerechte Steuern, höhere Hartz IV-Regelsätze, die Einführung eines Mindestlohns, einer solidarischen Gesundheitsversorgung und einer Rente, die vor Armut schützt, lauten hier die Forderungen hinter den Bindestrichen. An zweiter Stelle wird die Formulierung einer Friedenspolitik, die zivile Konfliktlösungsmethoden mit nichtmilitärischen Mitteln stärken soll, gefordert. An letzter Stelle sieht sich die Linke auch als Interessenvertreterin des Ostens, wo die PDS als mitgliederstärkste der beiden Gründungsparteien ihre Basis hatte.

Dass dieser Punkt in dem Papier an letzter Stelle steht, macht deutlich, dass die Linke eines zumindest geschafft hat: Den der PDS anhaftende Ruf, ein Traditionsverein der Wendeverlierer aus dem Osten zu sein, hat sie weitgehend verloren. Das zeigten auch die Reaktionen auf die Vorlage des Strategiepapiers. Selbst die schärfsten Kritiker bedienen diese Art der Kritik kaum noch.

Wie hältst Du es mit dem Regieren?

Dort wird vielmehr beobachtet, ob und wie die Linke es schafft, für ein Bündnis mit SPD und Grünen zu kämpfen und die aktuelle Politik der beiden Parteien zu kritisieren. Diese Frage wird vor allem dann interessant, wenn die Formelkompromisse, wie sie auch in dem Strategiepapier in großer Zahl vorkommen, in konkrete Politik umgesetzt werden sollden.

So heißt es in dem Papier, dass die Bundeswehr in eine Friedensarmee umgewandelt werden soll. Sarah Wagenknecht, die Kritikerin einer zu starken Anpassung der Linken, versteht unter dieser vagen Formulierung die Forderung nach radikaler Abrüstung, ja sogar nach Abschaffung der Bundeswehr. Wie wird sie reagieren, wenn ein Bündnis aus SPD und Grünen die Zustimmung der Linken für eine aus Spargründen schrumpfende Bundeswehr verlangt? Je mehr sich die Linke auf eine solche Logik einlässt, desto größer wird auch die Distanz zu den außerparlamentarischen Bewegungen, die nach den Vorstellungen der Autoren des Strategiepapiers Druck auf die anderen Parteien ausüben sollen.

In Berlin zeigte die Diskussion um die Wasserprivatisierung, dass die dort mitregierende Linke durch die Initiative zu einem Volksbegehren und die Veröffentlichung der Verträge zur Wasserprivatisierung selber unter Druck geraten ist. Im benachbarten Brandenburg drohen Bürgerinitiativen der aus SPD und Linken bestehenden Landesregierung wegen der geplanten Einlagerung von CO2-Abfall mit einem brandenburgischen Stuttgart 21. Je mehr sich die Linke selber in Regierungs- oder Tolerierungspositionen begibt, desto größer wird die Anzahl solcher und ähnlicher Initiativen.

Zwischen einer Lafontaine- und einer Mosaiklinken?

Dieses nun wahrlich nicht neue Problem wird von zahlreichen Projekten, die ein politisches Klima für ein wie auch immer geartetes Bündnis zwischen SPD, Grünen und Linken schaffen wollen, eifrig diskutiert. Besonders das Innenpolitikressort der Wochenzeitung Freitag widmet sich den auch Crossover genannten Anliegen. Der Innenpolitikredakteur des Freitag Tom Strohschneider ist auch für eine der zentralen Internetprojekte zu dieser Thematik verantwortlich.

Mit dem Institut für solidarische Moderne wurde das Crossover-Projekt in Richtung Grüne und SPD ausgeweitet. Mit den in der theoretischen Tradition von Antonio Negri stehenden Philosophen Thomas Seibert gehört auch ein Mitglied der außerparlamentarischen Interventionistischen Linken zu dessen Mitbegründern. Seibert entwirft in seinem vieldiskutierten Text das Bild einer Mosaiklinken mit einer Arbeitsteilung zwischen außerparlamentarischen Bewegungen und Reformlinken an der Regierung. Er fordert von der Linkspartei mehr Bereitschaft zum Mitregieren.
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 So hätte sich hierzulande die Partei Die Linke endlich ernsthaft dem Format einer Partei neuen Typs anzumessen, zu dem sie sich doch regelmäßig bekennt – und das gerade in der mittelfristig realpolitischen Perspektive auf eine rot-rot-grüne Besetzung der Staatlichkeit. Das wird die Bewegungen unter Zugzwang setzen, nicht nur ihre Spontaneität, sondern auch ihre Autonomie zu stärken – eine Aufgabe, in der besonders das Vermögen ihrer radikalen Ränder gefordert ist, die dazu nötige Reibung zu erzeugen.
Thomas Seibert

Ähnliche Debatten werden auch auf internationaler Ebene in Teilen der ehemaligen globalisierungskritischen Bewegung geführt. Welchen Einfluss sie haben, wenn die Linke tatsächlich, in welcher Form auch immer, in eine Bundesregierung eingebunden ist, bleibt offen. In Berlin und Brandenburg, wo die Linken mitregieren, scheinen diese Debatten zumindest weder die Partei noch die außerparlamentarischen Bewegungen zu interessieren.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33610/1.html

Peter Nowak

Mythos Volksabstimmung und direkte Demokratie

Während manche hoffen, Projekte wie Stuttgart 21 wären mit Volksabstimmungen und direkter Demokratie unmöglich, hoffen Politiker damit, die Bürger besser einbinden zu können.

Manche Medienvertreter sahen schon mal wieder eine Zeitenwende am Horizont, nur weil die Vermittlungsbemühungen rund um das Projekt Stuttgart 21 live übertragen worden sind. Doch die Superlative dürften eine kurze Lebensdauer haben. Während anlässlich der ersten Live-Übertragung noch von einer „beispiellosen öffentlichen Schlichtungsrunde“ die Rede war, machte sich bei der zweiten Runde schon Ernüchterung breit. Erst stritt man sich darüber, ob die Bahn die Friedenspflicht einhält und dann verstrickten sich der grüne Tübinger Oberbürgermeister Palmer und der für die technische Abwicklung des Projekts Stuttgart 21 zuständige Volker Kefer in komplizierten Details über die Auslastung des Bahnknotens Stuttgart.
   

Hier wurde deutlich, dass die Liveübertragung schon beim zweiten Mal kein Thema war. Warum auch? Schließlich werden hier die Möglichkeiten der modernen Technik genutzt. Ein Meilenstein für die Demokratie ist das noch lange nicht. Schließlich gibt es auch regelmäßig Liveübertragung von den Debatten aus dem Bundestag. Das die aber selten in den Medien wahrgenommen werden und auch nur in wenigen Fällen hohe Einschaltquoten haben, liegt daran, dass sich eben viele Menschen nicht dafür interessieren.

In den USA, wo sogar die Tagungen der Sonderausschüsse live übertragen werden, sorgte vor allem die Aufarbeitung der Clinton-Lewinksy-Affäre und besonders der Versuch, gegen Clinton ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten, für Rekorde bei den Einschaltquoten. Allein an diesem Beispiel wird manche naive Vorstellung widerlegt, dass allein eine Liveübertragung solcher Debatten schon der Demokratie förderlich sei. Denn die Debatten der Clinton-Jäger bewegten sich auf dem Niveau von Bild TV.

Auf dieser Ebene dürfte die Debatte um Stuttgart 21 nicht enden. Hier könnte eher eine zu spezielle Diskussion den Kreis der Zuschauer dezimieren. Dass schon bei der zweiten öffentlichen Sitzung ein Techniker und ein Parteipolitiker das große Wort führten und die in letzter Zeit so viel zitierten Männer und Frauen von der Straße nur in einer Statistenrolle blieben, sollte zumindest Anlass zur Skepsis sein, wenn im Gefolge der Debatte um Stuttgart 21 von neuen Formen der Partizipation geredet wird.

Vom Ausrufen der Dagegen- und Barrikaden-Republik

Nun ist es die Methode von Medien, möglichst immer gleich Stempel aufzudrücken und einzelne Phänomene zu verallgemeinern. Sicher war der Protest von Stuttgart für deutsche Verhältnisse beachtlich, wenn man sich aber vergegenwärtigt, dass im Nachbarland Frankreich in der letzten Woche ein Großteil der Raffinerien belagert waren und in der Folge der Benzinmangel den Alltag vieler Menschen bestimmte, relativeren sich die Ereignisse von Stuttgart erheblich. Gemessen an der medialen Beachtung, die die Auseinandersetzung um das Bahnprojekt hier bekommt, hätte man in Frankreich von einer vorrevolutionären Situation reden müssen.

Auffällig ist die völlige Geschichtslosigkeit, die sich in der Berichterstattung über die Stuttgarter Proteste konstatieren lässt. Da wird der Eindruck erweckt, als wären nun das erste Mal bisher politisch nicht in Erscheinung getretene Bürger auf die Straße gegangen, wodurch die Proteste auch eine besondere Qualität bekommen hätten. Als wäre nicht die Anti-AKW-Bewegung das prägnanteste Beispiel eines solchen Bürgerprotestes, dem sich die Linken danach anschlossen. Oder als hätte es nicht Anfang der 80er Jahre eine Fülle von Bürgerinitiativen quer durch die Republik gegeben, wo Menschen wie jetzt in Stuttgart darüber klagten, dass ihre ganz persönlichen Belange von den Parteipolitikern nicht wahrgenommen werden.

Viele dieser Bürgerinitiativen haben im Laufe der Jahre allerdings ihr Verhältnis zu den Parteien verändert. Oft gibt es ein Verhältnis der friedlichen Koexistenz mit verteilten Rollen. Auf der größeren Politik haben sich viele Bürgerinitiativen zu Nichtregierungsorganisationen entwickelt, die heute auch von offiziellen Politikern anerkannt und geschätzt werden. Sie haben gerade nicht, wie in den frühen 80er Jahren manche befürchteten oder erhofften, die Parteipolitik ersetzt, sondern arbeiten ihr zu. Sie dienen sogar manchmal als Frühwarnsystem für die offizielle Politik. Zumindest die schlaueren Politiker aus den unterschiedlichsten Spektren erkennen diese Rolle an.

Vor knapp 10 Jahren war es dann die Bewegung von Seattle, später auch die globalisierungskritische Bewegung genannt, die die hiesigen Medien ins Vibrieren brachte. Auch damals wurde schon die Frage gestellt, ob sich jetzt eine neue Bewegung etabliert, die die politischen Pläne von Staaten und Organisationen wie dem IWF und der Weltbank ins Wanken bringt. Diese Art der Berichterstattung hat auch vielen Bewegungsaktivisten geschmeichelt, weil sie einen politischen Einfluss suggerierte, den die globalisierungskritische Bewegung zumindest in Deutschland nie gehabt hatte.

Nun wird mit dem Begriff Stuttgart 21 eine ähnliche Labelpolitik betrieben. Darunter werden eigenständige Bewegungen wie der Widerstand gegen den Castortransport dann im Zweifel ebenso subsumiert wie Villenbesitzer am Rande von Berlin, die sich über die Änderung von Flugrouten beim Flughafen Berlin-Brandenburg-International beschweren. Das Label Stuttgart 21 rückt sie jetzt in einen überregionalen Protestkontext, obwohl es solche lokalen Widerstände gegen Verkehrsprojekte immer gegeben hat. Absurd ist es nur, deswegen eine Dagegen-Republik oder gar eine Barrikaden-Republik mit einer Protestwelle, die ein Spiegel-Schreiber durch Deutschland rollen sieht, herbei zu halluzinieren.

Von der Volksabstimmung zum gesunden Volksempfinden

Das Pendant zu diesen Szenarien sind manche akademischen Bewegungssurfer, die sicher bald auch ein entsprechendes Buch zum Phänomen Stuttgart 21 auf dem Markt werfen werden. Einer dieser Bewegungssurfer, der Sozialpsychologe und Kulturwissenschaftler Harald Welzer, der in der letzten Dekade kaum ein aktuelles Thema ausließ, hat im Taz-Interview auch schon einige Konsequenzen aus Stuttgart 21 formuliert. Heraus kommen Banalitäten wie:
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 An verschiedenen Stellen unserer Republik regt sich Protest dagegen, sich Entscheidungen aufoktroyieren zu lassen, die man als Teil des politischen Gemeinwesens nicht zu tragen bereit ist… Der allgemeine Nenner ist, dass sich die Leute nicht mehr durch die traditionelle Parteienpolitik vertreten fühlen, und das trifft die Volksparteien im Allgemeinen. Insofern wird diese Art von Protest auch nicht zurückgehen.
Harald Welzer

Solche Einschätzungen waren schon in den frühen 80er Jahren häufig zu lesen. Wenn Welzer dann das Lob der Kleinteiligkeit anstimmt und auch in Protesten von Villenbesitzern gegen die Flugrouten keinen Wohlstandsegoismus wahrnehmen will, merkt man, dass seine ständige Berufung auf den Bürger eben nicht nur Rhetorik ist. Hier wird tatsächlich der mündige Bürger beschworen, der seine Interessen auch im außerparlamentarischen Raum im Zweifel besser durchzusetzen vermag, als ein Hartz-IV-Empfänger oder eine migrantische Familie. Nicht erst der Ausgang der Volksabstimmung zur Schulreform in Hamburg machte deutlich, dass man auch mittels Volksabstimmungen eine knallharte Lobbypolitik für die Besserverdienenden und Besservernetzten betreiben kann.

In der Schweiz, wo Volksabstimmungen, Teil des politischen Systems sind, ist diese Erkenntnis nicht besonders überraschend. Nur in der deutschen Debatte hat man gelegentlich den Eindruck, es könnte die reine direkte Demokratie ausbrechen, die die gesellschaftlichen Ausbeutungs- und Ausgrenzungsmechanismen ignorieren kann. Wenn, wie in Hamburg geschehen, Benachteiligungen von sozial schwächeren Menschen durch Volksabstimmungen bestätigt werden können, sind nicht mehr die Politiker verantwortlich. Die Ausgegrenzten sind direkt mit einem sogenannten Volkswillen konfrontiert, in das sich bei manchen Themen auch schnell das „gesunde Volksempfinden“ mischen kann. Eine direkte Demokratie, die über den Wohnort von Straftätern oder über die Sanktionen für Flüchtlinge und Langzeiterwerbslose entscheiden könnte, wäre hier und heute eher eine Horrorvorstellung.

Neue Herrschaftstechniken

In der letzten Zeit hat sich auch bei manchen Freunden der direkten Demokratie etwas mehr Realismus breit gemacht. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit im Berliner Vorwahlkampf einen Vorschlag lanciert, nach dem auch Politiker vor der Bestätigung eines Großprojekts die Bevölkerung befragen könnten, geriet unter Populismusverdacht. Allerdings ist die Begründung des befragten Politologen nicht stimmig, wenn er die Schweiz als positives Gegenbeispiel anführt:
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 Das Referendum in der Schweiz ist als Kontrollinstrument von unten konzipiert. Das heißt, die Bürger sammeln Unterschriften und stellen dann ein Verwaltungsvorhaben auf den Prüfstand. Herr Wowereit will, dass die Regierung die Möglichkeit hat, ein Referendum durchzuführen.

Nicht nur das Volksbegehren über das Minarettverbot hat verdeutlicht, dass in der Schweiz Volksbegehren immer wieder zu populistischen Zwecken eingesetzt werden und die Unterschriften sammelnden Bürger nicht selten Mitglieder von den unterschiedlichen Parteien nahestehenden Vorfeldorganisationen sind, die mittels Volksabstimmung ihre Programmatik durchsetzen wollen. Die rechtskonservative SVP ist damit öfter besonders erfolgreich, aber auch andere Parteien bedienen sich dieser Methoden.

Bisher waren die meisten deutschen Politiker, mit Ausnahme der Grünen, gegenüber dem Instrument der Volksbefragung reserviert eingestellt. Das könnte sich jetzt ändern und gerade hierin könnte ein Langzeitergebnis der Debatte um Stuttgart 21 liegen. Denn dass man in Zukunft bei solchen Projekten die Bürger besser einbinden und mitnehmen muss, dieser Erkenntnis verschließen sich heute selbst Unionspolitiker nicht mehr. Sehr prägnant hat der SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Friedrich in einen Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau auf den Punkt gebracht, wie der Einbau plebiszitärer Elemente in das deutsche Verfassungssystem neue Herrschaftstechniken etablieren könnte:
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 Gerade umstrittene Entscheidungen oder Großprojekte können dadurch besser legitimiert werden und eine breitere Unterstützung finden, als dies über parlamentarische Beschlüsse allein möglich ist. Volksbegehren und Volksabstimmungen entwerten keinesfalls parlamentarische Entscheidungsverfahren, sondern verstärken sie.
Peter Friedrich

Doch die erste Übung in mehr direkter Demokratie ging für die Parteien gründlich schief. Am vergangenen Freitag lehnten im Stuttgarter Landtag CDU und FDP einen Antrag der SPD nach einer Volksabstimmung zu Stuttgart 21 vor der Landtagswahl im kommenden März ab. Die Grünen enthielten sich, mit der Begründung, die SPD wolle mit der Befragung das Projekt durch die Bevölkerung bestätigen lassen. Die Grünen aber haben aber wohl auch nicht genug Zutrauen in die vielzitierten mündigen Bürger, dass die das Kalkül durchschauen und gegen Stuttgart 21 stimmen könnten.

Auch der Vorwahlkämpfer Wowereit hat, aller Rhetorik vom mündigen Bürger zum Trotz, jetzt gleich zwei Schlappen innerhalb weniger Tage hinnehmen müssen. Erst erreichte ein Volksbegehren, das die Offenlegung von Geheimverträgen zur Berliner Wasserprivatisierung fordert, das notwenige Quorum an Unterschriften, damit es weiter betrieben werden kann (Berliner dürfen voraussichtlich über die Offenlegung von Geheimverträgen abstimmen). Dann veröffentlichte die Taz Auszüge aus diesen Verträgen, wodurch die Vermutungen der Kritiker in Bezug auf die Gewinnzusagen an private Firmen bestätigt wurden.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33591/1.html

Peter Nowak

Karlsruhe prüft deutsche Asylpolitik

Von der Beurteilung des griechischen Asylsystems hängt die Zukunft vieler Flüchtlinge ab

Der Rechtsschutz für Asylbewerber steht auf dem Prüfstand. Das Bundesverfassungsgericht verhandelt an diesem Donnerstag über die drohende Abschiebung eines Flüchtlings nach Griechenland. Das Verfahren könnte grundlegende Bedeutung für den Rechtsschutz von Asylbewerbern haben.
 

Heute findet vor dem Bundesverfassungsgericht eine mündliche Verhandlung statt, auf die Flüchtlingsorganisationen und Antirassismusgruppen große Hoffnung setzen. Der Rechtsschutz für Asylbewerber steht auf dem Prüfstand. Der Beschwerdeführer ist ein irakischer Staatsbürger, der bereits in Griechenland einen Asylantrag gestellt hatte, bevor er nach Deutschland kam. Deshalb entschied das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dass sein Antrag unzulässig sei und ordnete die Abschiebung nach Griechenland an. Das Bundesverfassungsgericht stoppte die Abschiebung im September vergangenen Jahres jedoch einstweilig. Sollte diese Entscheidung Bestand haben, könnte das Auswirkungen auf das gesamte Asylsystem der Europäischen Union haben, in der die Verantwortung für Flüchtlinge sehr ungleich verteilt ist.

Konkret geht es um das seit 2003 bestehende Dublin II-Abkommen. Nach der in der irischen Hauptstadt beschlossenen Verordnung ist der EU-Staat für die Abwicklung eines Asylverfahrens zuständig, den ein Flüchtling zuerst betritt. Deutschland ist das wegen seiner zentralen Lage nur selten. Im Jahr 2009 erklärte sich das Bundesamt für Migration bei etwa 33 Prozent aller in Deutschland gestellten Asylanträge für nicht zuständig und richtete ein Übernahmeersuchen an einen anderen europäischen Staat. Griechenland hingegen ist für Flüchtlinge aus Irak, Iran oder Nordafrika das Tor nach Europa: Ihre Fluchtwege führen sie zuerst an die Ägäis.

Der 30-jährige Iraker, dessen Klage in Karlsruhe verhandelt wird, fürchtet, in Griechenland kein ordentliches Asylverfahren zu bekommen. Seit Jahren weisen Flüchtlingsorganisationen, aber auch der Europarat auf die Überlastung des griechischen Asylsystems hin. Gerade erst ermahnte das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR die Regierung in Athen, umgehend menschenwürdige Bedingungen in den Lagern zu schaffen und den Flüchtlingen Rechtssicherheit zu gewähren.

»Das Land ist eine asylrechtliche Wüste«, sagt der Geschäftsführer von Pro Asyl Günter Burkhardt. Das Asylsystem sei »völlig kollabiert«. Bereits der Zugang zu einem Asylverfahren ist nicht sichergestellt, bestätigt die griechische Rechtsanwältin Giota Masouridou. Ein Aufnahmesystem für Schutzsuchende sei nicht vorhanden. Die Anerkennungsquote in der ersten Instanz liege seit Jahren nur wenig über null Prozent, die zweite Rechtsinstanz wurde 2009 abgeschafft. Aktuell seien fast 50 000 Asylverfahren unbearbeitet. »Die Folgen für die in Griechenland gestrandeten Schutzsuchenden sind Rechtlosigkeit, willkürliche Inhaftierung, Obdachlosigkeit und Hunger«, so die Athener Asylexpertin Masouridou.

Wegen dieser Zustände haben mehrere europäische Länder die Abschiebungen nach Griechenland gestoppt, darunter Holland, Belgien, Norwegen und Großbritannien. In Dänemark wurden nach Interventionen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte seit diesem Sommer über 200 Abschiebungen gestoppt. Auch in Deutschland verweigerten Verwaltungsgerichte in über 300 Fällen die Überstellung nach Griechenland. Das Bundesverfassungsgericht intervenierte seit vergangenem Herbst zugunsten von 13 Asylsuchenden, weil dort womöglich »bedrohliche rechtliche Defizite« herrschten.

Von den obersten deutschen Richtern wird nun eine Grundsatzentscheidung erwartet. Der Zweite Senat will prüfen, ob die Bundesrepublik Flüchtlinge automatisch in einen Ersteinreisestaat abschieben darf oder ob die Betroffenen Anspruch auf eine gerichtliche Überprüfung haben. Dass überhaupt eine mündliche Verhandlung stattfindet spricht dafür, dass Karlsruhe dem Verfahren eine fundamentale Bedeutung beimisst. Das Urteil wird in einigen Wochen erwartet.

Die Bundesregierung wehrt Änderungen an ihrer Abschiebepolitik bis jetzt ab. Sie macht es sich leicht und verweist auf die formale Einordnung jedes EU-Mitgliedstaates als »sicher«. In einer kleinen Anfrage erklärte sie im Dezember: »Die Bundesregierung hält an ihrer Auffassung fest, dass Griechenland ein sicherer Drittstaat im Sinne von Artikel 16a Absatz 2 GG ist.« Vielleicht müssen sich die Politiker wieder einmal von Karlsruhe korrigieren lassen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/182883.karlsruhe-prueft-deutsche-asylpolitik.html

Peter Nowak

Frau, Mann, Mensch

Transsexuelle wehren sich gegen Diskriminierung

Vor zwölf Jahren wurde der PDS-Bürgermeister von Quellendorf abgewählt, nachdem er sich als Transsexueller geoutet hatte. Die Geschichte aus Sachsen-Anhalt zeigt, wie wenig Menschen gesellschaftlich akzeptiert sind, die sich nicht den Geschlechterrollen Frau oder Mann zuordnen. Es gibt »Transfrauen«, die äußerlich wie Männer aussehen und umgekehrt. Im Alltag und im Arbeitsleben sind sie in Deutschland zahlreichen Diskriminierungen ausgesetzt, die die »Aktion Transsexualität und Menschenrecht« in einem Report auflistet. Am Wochenende protestierten transsexuelle Menschen in 80 Ländern gegen ihre Diskriminierung in der Gesellschaft und ihre »Pathologisierung« durch Mediziner. Viele bezeichnen sich selbst als »Transmenschen«, weil sie die Reduzierung auf das Geschlechtliche ablehnen.

 In Krankheitskatalogen ist Transsexualität noch immer als »Geschlechtsidentitätsstörung« aufgeführt. In Berlin demonstrierten am Sonnabend rund 100 Menschen vor der Charité für die Streichung dieser Diagnose. Ein Redner kritisierte den Psychoanalytiker Klaus Beier vom Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin: »Er vermittelt in seinen Vorlesungen ein hochgradig diskriminierendes Bild von Transmenschen, das zudem nicht dem aktuellen Forschungsstand der Sexualwissenschaften entspricht.«

Die Schriften der US-Philosophin Judith Butler, die sich von den Kategorien der Zweigeschlechtigkeit verabschiedet, haben nicht nur innerhalb der Wissenschaft einen großen Einfluss. Sie trugen auch wesentlich zur Vernetzung von transsexuellen Menschen bei. Sie stand dabei nicht nur im Widerspruch zu vielen linken Bewegungen und Parteien, die die Geschlechterfrage allenfalls als Nebenwiderspruch betrachteten. Auch Teile der feministischen Bewegung wurden von den Transmenschen kritisiert, weil sie die Geschlechterordnung nicht in Frage stellten. Die überwiegend akademischen Organisationen konnten an der gesellschaftlichen Ausgrenzung wenig ändern.

Ausgrenzung bis zum Mord
Die Ablehnung von Transpersonen kann tödlich sein. Im Februar 2006 war die brasilianische Transsexuelle Gisberta Salce Juni in Portugal von einer Gruppe junger Männer gefoltert, vergewaltigt und schwer verletzt in einen Brunnen geworfen worden. Dort erlag sie ihren Verletzungen. Der Europäische Kommissar für Menschenrechte Thomas Hammerlberg schlug Alarm: »In meinen Gesprächen mit Nichtregierungsorganisationen, welche die Rechte von Transgender-Menschen verteidigen, zeigte sich, dass eine große Zahl ähnlicher Verbrechen nicht angezeigt werden. Einer der Gründe dafür scheint das mangelnde Vertrauen in die Polizei zu sein«, erklärte er.

Auch in den USA leben Transmenschen gefährlich. 1993 war Teena Brandon im Alter von 21 Jahren in Nebraska ermordet worden. Der Film »Boys don’t cry«, der ihre Geschichte später bekannt machte, sorgte international für Empörung und zur verstärkten Organisierung der Betroffenen. Der Aktionstag am Sonnabend wäre sonst nicht denkbar gewesen. »Es wurde deutlich, dass das internationale Netzwerk der Transmenschen funktioniert«, erklärte Dieter Lehmann, einer der Organisatoren des Berliner Aktionstages gegenüber ND.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/182788.frau-mann-mensch.html

Peter Nowak

Und am Ende ein Kanzler Trittin?

Den Grünen wird zur Zeit viel zugetraut: das Ministerpräsidentenamt in Baden-Württemberg, den Posten als Regierende Bürgermeisterin in Berlin und auch das Kanzleramt

Einen Spitznamen hat die Wunschkandidatin der Grünen für die Berliner Abgeordnetenhauswahl im September 2010 schon bekommen. „Granate Renate“ tituliert die Taz Renate Künast, über die in der Zeitung wochenlang gerätselt wurde. Tritt sie nun als Spitzenkandidatin der Grünen an oder nicht? Ihre Fans haben Umfragewerte präsentiert, die belegen sollen, dass die Ökopartei mit Künast besonders gute Chancen hätte, stärkste Partei in Berlin zu werden.
Solche Vorwahlmethoden sind von der Kandidatenkür in den USA bekannt. Mit Meldungen dieser Art bringen sich Kandidaten dort oft gerne selber in Stellung, bleiben aber offiziell dezent im Hintergrund. Sie können sich lange bitten lassen und ihre Bereitschaft zur Kandidatur inszenieren, als würden sie nur einem Ruf der Basis nachgeben. Sollte der Ruf aber nicht laut genug sein, kann der Politiker immer noch sagen, die Bereitschaft zur Kandidatur nie erklärt zu haben.

Im Fall Künast scheint der Ruf laut genug gewesen zu sein. Nicht nur die Taz hat sich für ihre Kandidatur interessiert. Allerdings hat die Politikerin ihre Bereitschaft zur Kandidatur nur indirekt erklärt. Auf der Webseite der Berliner Grünen wird die Politikerin noch nicht erwähnt. Für den 5. November laden die Grünen zu einem erweiterten Mitgliederabend mit Künast ins Berliner Museum für Kommunikation. Zwei Tage später auf der Landesdelegiertenkonferenz soll ihre Kandidatur dann offiziell bekannt gegeben werden.

Künast lässt sich herab

Dieses Prozedere stößt in dem grünen Umfeld nicht nur auf Sympathie. So überschrieb die Taz einen Kommentar mit: „Künast lässt bitten“. Dieser Gestus lässt noch erahnen, dass diese Partei einmal, lang, lang ist es her, gegen solche Machtspielchen bei den damals etablierten Parteien angetreten ist. Gerade in Westberlin, wo die Grünen lange Zeit Wert darauf legten, sich Alternative Liste zu nennen, war die Distanz zu den Etablierten besonders ausgeprägt.

Deshalb kann Christian Ströbele dort ohne große Unterstützung der Parteispitze sein Direktmandat holen und verteidigen. Seine Wahlplakate vermitteln den Eindruck, als hätte man dafür extra noch einmal sämtliche grünen und alternativen Träume und Ressentiments ausgepackt. Selbst der Spruch „Ströbele wählen, heißt Fischer quälen“ durfte nicht fehlen. Im Politalltag aber ist die grüne Basis realpolitisch genug, um mit einer Politikerin als Spitzenkandidatin anzutreten, die betont, von Fischer viel gelernt zu haben. Die gut inszenierte Kandidatenkür gehört dazu. Innerparteilich hatte sie damit Erfolg. Ihr potentielle Konkurrent Volker Ratzmann, der sich vom Anwalt der linken Szene Berlins zum Oberrealo, der auch mit der Union regieren würde, entwickelte, hat schon im Vorfeld deutlich gemacht, dass er Künast nicht im Wege stehen wird.

Nach allen Seiten offen

Nach ihrer offiziellen Kandidatur wird der Kampf um die gesellschaftliche Mehrheit beginnen. Der wird für Künast nicht so einfach wie ihr innerparteilicher Durchmarsch. Schließlich gibt es sowohl bei den bekennenden Konservativen in Westberlin, als auch in den Resten des Arbeitermilieus in beiden Teilen Berlins weiterhin große Vorbehalte gegen die Grünen, wenn sie auch in den letzten Jahren geschrumpft sind.

Eine Koalition mit den Grünen als Juniorpartner wird von keinem der beiden Blöcke ausgeschlossen. Schließlich hat Berlin Erfahrungen mit SPD-Grünen Regierungen. Die Chancen eines Bündnisses mit den Konservativen haben sich auch mit dem Rückzug von Friedbert Pflüger aus der Politik nicht verschlechtert. Der gescheiterte Herausforderer von Wowereit bei der letzten Abgeordnetenhauswahl stand in der Union für eine Öffnung zu den modernen Teilen des Bürgertums, das die Grünen repräsentieren.

Pflüger versuchte die Berliner Union nach dem Vorbild von Hamburg zu modernisieren. Jetzt könnte es der Union sogar passieren, dass sie im Duell zwischen Künast und Wowereit auf den 3. Platz rutscht und als Juniorpartner in eine von Künast geführte Regierung eintritt. Ein solches Szenario hätte vor 25 Jahren niemand auch nur zu denken gewagt. Damals galt die Alternative Liste in konservativen Kreisen als eine Ansammlung von linken Spinnern und Chaoten, die möglichst schnell wieder aus dem Parlament verschwinden sollten.

Genau so undenkbar wäre es vor 25 Jahren auch gewesen, dass ein amtierender Nato-Generalsekretär bei einer Konferenz der grünen Bundestagsfraktion reden und mit Applaus empfangen wird, wie es in diesen Tagen geschehen ist.

Trotz ihres Drangs nicht nur in die arithmetische, sondern auch in die politische Mitte mussten die Grünen immer noch befürchten, zwischen SPD und Union zerrieben zu werden. Durch Ihre nicht nur in Berlin historisch hohen Umfragewerte scheinen solche Probleme vorerst in den Hintergrund zu treten.

Auf den Weg zu einer Mittelpartei?

Der Politologe Lothar Probst analysiert den grünen Erfolg als eine Entwicklung von einer Funktions- zu einer Mittelpartei in einem sich verfestigenden 5-Parteien-System. Sie ist damit nicht mehr automatisch Mehrheitsbeschafferin von SPD oder Union, sondern kann in bestimmten Bundesländern eigene Kandidaten für das Amt zum Ministerpräsidenten aufstellen, die sogar Aussicht auf Mehrheiten haben. Dabei wäre ein grüner Ministerpräsident in Baden-Württemberg auf kultureller Ebene eine größere Überraschung, als eine Regierende Bürgermeisterin Künast.

In vielen ostdeutschen Bundesländern hingegen müssen die Grünen noch immer um das Überspringen der Fünfprozenthürde kämpfen. Zurzeit sind die Grünen in drei Landtagen nicht vertreten. In dieser Lage befindet sich auch die Linkspartei, die in ostdeutschen Bundesländern stärkste Partei werden kann und in westdeutschen Bundesländern wie Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz um den Einzug in den Landtag bangen muss.

Selbst die FDP, eigentlich eine klassische Funktionspartei, stellte in Baden-Württemberg nach 1945 den Ministerpräsidenten. Vor fast 10 Jahren, als das Duo Möllemann/Westerwelle das Projekt 18 ins Leben gerufen hatte, wurde kurzzeitig erneut auch die Möglichkeit von liberalen Ministerpräsidentenkandidaten ins Gespräch gebracht.

Kanzler Trittin?

Dafür ist ein möglicher Kanzler Trittin heute eine durchaus denkbare Option. Schließlich liegen in Umfragen SPD und Grüne gleichauf, gelegentlich liegen auch schon die Grünen vorn. Dabei handelt es sich freilich um Momentaufnahmen. Die gegenwärtige Regierungsmehrheit wird nichts unversucht lassen, um eine solche Konstellation als Gift für die Wirtschaft darzustellen.

Bei der Auseinandersetzung um das Projekt Stuttgart 21 ist eine solche Strategie schon deutlich erkennbar. Der grüne Co-Parteichef Özdemir hat in einem Taz-Interview darauf schon mit dem Bekenntnis geantwortet, keine „Dagegen-Partei“ zu sein und angekündigt, dass Regieren angesichts leerer Kassen „beinhart“ werden wird.

Bald dürften sich dann die Konflikte häufen, wie sie bei den bayerischen Grünen über die Winterolympiade 2018 ausgebrochen sind. Während ein Teil der Grünen diese Pläne unterstützt, beteiligen sich andere am Protestbündnis. Wegen solcher Konflikte macht sich bei einigen Grünen angesichts der hohen Umfragewerte schon Höhenangst breit. Schließlich sehen sie am Beispiel der FDP, wie schnell eine Partei in der Wählergunst abstürzen kann.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33540/1.html

Peter Nowak

Großer Bahnhof gegen „Stuttgart 21“

PROTEST Mit einem Sonderzug kommen am Dienstag 600 Aktivisten zum Demonstrieren nach Berlin

Am kommenden Dienstag wird der Widerstand gegen Stuttgart 21 nach Berlin getragen. Von 8 bis 17 Uhr soll an verschiedenen Orten in der Innenstadt gegen das Bahnprojekt in der schwäbischen Hauptstadt protestiert werden. Der extra für den Protestevent gecharterte Sonderzug der süddeutschen AktivstInnen wird am Dienstag um 8 Uhr am Berliner Hauptbahnhof eintreffen. Dort soll er vom Berliner „Schwabenstreich“ empfangen werden. In der Gruppe haben sich Menschen zusammengeschlossen, die sich für direkte Demokratie einsetzen.

Seit einigen Wochen organisieren sie jeden Mittwoch Kundgebungen am Potsdamer Platz (taz berichtete). Bisher hielt sich die TeilnehmerInnenzahl in Grenzen. Daher sind die etwa 600 TeilnehmerInnen hochwillkommen, die am Dienstag mit dem Sonderzug nach Berlin kommen wollen.

Vom Hauptbahnhof ist ein Kulturzug durch das Regierungsviertel geplant. Am Bundeskanzleramt soll Halt gemacht werden. Für Alexis Passadakis ist dort die richtige Adresse für den Protest. „Stuttgart 21 ist ein bundesweiter Konflikt. Kanzlerin Angela Merkel entscheidet federführend über die Mittel der Bahn“, meint das Mitglied von Attac.

Zeitgleich wird an der Schaubühne der kulturelle Protest geprobt. Ab 10.30 Uhr studiert der Theaterregisseur Volker Lösch dort mit AktivistInnen den „Berlin-Stuttgarter Bürgerchor“ ein. Die Premiere des Proteststücks ist am Potsdamer Platz. Dort beginnt ab 17 Uhr die Abschlusskundgebung des Aktionstages.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2010%2F10%2F22%2Fa0152&cHash=d47c835b6c

Peter Nowak

Stuttgart: Lobbykritik I

Die Auseinandersetzung um das Bahnprojekt Stuttgart 21 wird auch virtuell geführt. Am Sonnabend legte die Nichtregierungsorganisation LobbyControl den Grundstein für das Internetprojekt Lobbypedia. Die Namensähnlichkeit zu dem Internetlexikon Wikipedia ist nicht zufällig. Auch Lobbypedia will sich der Software Mediawiki bedienen, um über politische und wirtschaftliche Entscheidungen zu informieren, die bei der Planung von Stuttgart 21 eine Rolle spielten. In den Planungsprozess involvierte Personen, Firmen, Verbände und Interessengruppen sollen benannt werden. Ein weiterer Themenbereich für Lobbypedia ist die Frage, wie ein 2004 verfolgter Bürgerentscheid verhindert worden ist. »Lobbypedia will nicht selber pro oder contra Stuttgart 21 Partei ergreifen, sondern die Strukturen und Machtverhältnisse hinter dem Bauprojekt offenlegen«, erklärte Elmar Wiegend von LobbyControl. Ziel ist der Aufbau eines allgemeinen Portals zur Bau- und Immobilienlobby in Deutschland.

www.lobbycontrol.de/blog

http://www.neues-deutschland.de/artikel/182238.bewegungsmelder.html

Peter Nowak

Die Deutschen als Opfer

Die aktuelle Debatte um die Deutschfeindlichkeit macht deutlich, wie schwer es fällt, die Realitäten einer Einwanderungsgesellschaft zu akzeptieren
Der Begriff Rassismus war lange Zeit links konnotiert. Als in den frühen 90er Jahren Menschen nichtdeutscher Herkunft Opfer von Gewalt von Deutschen wurden, sprachen konservative Politiker jeglicher Couleur in der Regel von Ausländer- oder Fremdenfeindlichkeit, um das R-Wort zu vermeiden. Das scheint sich nun geändert zu haben.
   „Deutschenfeindlichkeit ist Rassismus“, erklärte die junge CDU-Familienministerin Schröder und outete sich gleich als Opfer von antideutschem Rassismus.

Schröder hatte das Thema schon früher aufgegriffen. Als junge Unionspolitikerin brachte sie im hessischen Landtagswahlkampf 2008 das Thema Deutschenfeindlichkeit in die Diskussion ein. Politiker von Grünen und SPD kritisierten Köhler damals und argwöhnten, die junge Politikerin wolle sich im Windschatten des damaligen rechtskonservativen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch am rechten Unionsrand profilieren. Als Köhler dann ministrabel wurde, fragten nur noch linke Medien polemisch, ob eine neue Rechte mit am Kabinettstisch
Tatsächlich wurde der Begriff der Deutschfeindlichkeit in den 90er Jahren im Umfeld der Wochenzeitung Junge Freiheit, die jetzt auch dankbar Schröders Äußerungen aufnimmt, und noch rechteren Publikationen in Stellung gebracht, wenn ein in Deutschland Geborener von Menschen mit Migrationshintergrund angegriffen und verletzt wurde. Es war damals die Antwort von Rechts auf eine gesellschaftliche Diskussion um Rassismus in Deutschland.

Respekt gegenüber den Deutschen

Doch die aktuelle Debatte hat ihre Stichwortgeber nicht mehr am rechten Rand, was dort mit Genugtuung zur Kenntnis genommen wird. Schröder befindet sich heute mit der Debatte in guter Gesellschaft.

So will der Vorsitzende der christsozialen Kultusministerkonferenz, Ludwig Spaenle, die Migrantenverbände in die Pflicht nehmen. Sie müssten stärker den nötigen Respekt ihrer Mitglieder gegenüber den Deutschen einfordern. Auch das Vorstandsmitglied der Grünen Cem Özdemir stellt nicht die naheliegende Frage, ob nicht viele Mitglieder dieser Verbände selbst Deutsche sind. Er fordert viel mehr selber konkrete Maßnahmen gegen die Deutschenfeindlichkeit.

Die aktuelle Debatte wurde durch eine Studie der Berliner Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft angefacht. Dort wurde allerdings jenseits von Schlagworten der gesellschaftliche Hintergrund ausgeleuchtet, der in den Medien gerne vergessen wird. So wird der Prozess einer Segregation im Bildungssystem beschrieben, weil Eltern mit höheren Einkommen ihre Kinder möglichst schnell an Schulen mit guten Rankings anmelden. Die Folgen werden in der Studie so benannt:
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 An den weniger begehrten restlichen Schulen der Sek I verblieben immer mehr Schüler aus armen, bildungsfernen Familien, vor allem von Familien mit Migrationshintergrund. Deutschstämmige und aufstiegsorientierte Migrantenfamilien flüchteten aus bestimmten Schulbezirken wie Nord-Neukölln oder Teilen von Mitte und Kreuzberg. Das gleiche Phänomen zeigte sich etwa auch in anderen Städten. Immer mehr Kinder und Jugendliche leben in sozialen Brennpunkten und verlieren den Anschluss an Bildung und Beruf.

Das ist der soziale Hintergrund, in dem sich die gesellschaftlich ausgeschlossenen Kinder und Jugendliche, für die Hartz IV die einzige Perspektive ist, zu Gangs mit eigenen Codes und Regeln zusammenschließen. Wer dabei in der Minderheit ist, bekommt Probleme. Die Ein- und Ausschlusskriterien können am Musikgeschmack, an den Klamotten, dem Slang und in manchen Berliner Stadtteilen auch an der biodeutschen oder migrantischen Herkunft festgemacht werden. In den USA ist es schon seit Langem bekannt, dass in bestimmten Stadtteilen Jugendliche mit weißer Haut in der Minderheit sind und sich dort auf verschiedene Weise Respekt verschaffen müssen.

Der Rapper Eminem gilt als erfolgreiches Paradebeispiel dafür. Nur würde in den USA anders als jetzt in Deutschland kaum jemand von Antiamerikanismus sprechen, weil eben völlig klar ist, dass alle Akteure der jugendlichen Ein- und Ausgrenzungsrituale US-Amerikaner sind. Die aktuelle Debatte in Deutschland zeigt, dass darüber selbst im politischen Etablissement kein Konsens besteht. Da ist im Zweifel ein Jugendlicher, mag er auch hier geboren sein und die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, doch noch ein Araber, nur weil seine Vorfahren aus dem Nahen Osten kommen.

Damit wird aber deutlich, dass manche Politiker Deutschland noch immer nicht als Einwanderungsland mit all seinen Problemen ansehen. So werden die zweifellos bestehenden Konflikte in Schulen oder anderen öffentlichen Orten nicht als soziale innergesellschaftliche Probleme gesehen, sondern ethnisiert. Durch die Einführung des Begriffs der Deutschenfeindlichkeit in die Debatte wird signalisiert, dass ein Teil der Beteiligten eben nicht Teil der Gesellschaft ist. Sie haben allenfalls einen Gaststatus, den sie durch ungebührliches Benehmen verlieren können.

Mehr Stimmung als Empirie

Der Berliner Beauftragte für Migration und Integration hat zum Schlagwort der Deutschenfeindlichkeit einige bedenkenswerte Fragen formuliert.

Könnte man nicht mit mehr Berechtigung über einen Antisemitismus in Europa reden, wenn in einer europaweiten Studie 24,4 % der Befragten der Meinung sind, der Einfluss der Juden sei zu groß? In anderen Studien wurde nachgewiesen, dass ein großer Anteil der Bevölkerung Homosexualität als amoralisch abwertet. Deswegen würde kein Kabinettsmitglied vor einer Homophobie in Deutschland warnen.

Während zu Antisemitismus und Homophobie belastbares Zahlenmaterial vorliegt, ist das beim Reizthema Deutschenfeindlichkeit nicht der Fall. Ein vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen erstellter Bericht will Hinweise auf deutschenfeindliche Haltungen jugendlicher Migranten mit islamischen Inhalt erkannt haben. Eine im Auftrag des Bundesinnenministeriums erstellte Studie konnte dafür allerdings keine Hinweise finden.

Die aktuelle Debatte wird auch nicht von Empirie sondern von einer Stimmungspolitik geleitet, wie sie die FAZ auch dem bayerischen Ministerpräsident Seehofer bei seinen Einlassungen zur Einwanderungspolitik attestiert hat. Nur werden diese Stimmungen heute längst nicht nur von Konservativen bedient. Spätestens seit der Sarrazin-Debatte will sich niemand nachsagen lassen, linken Träumereien nachzuhängen, ein Gutmensch zu sein oder gar Tabus zu haben.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33478/1.html

Peter Nowak

Dialogagenda Stuttgart 21: Reden und Weiterbauen

Mappus könnte mit seiner Gesprächsbereitschaft eine schwarz-grüne Koalition nach den Landtagswahlen anstreben

Als Rambo wurde der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus in den letzten Tagen von den Gegnern des Verkehrsprojekts Stuttgart 21 nach den Polizeieinsätzen der letzten Woche immer wieder karikiert. Der so Gescholtene gab sich in einer Landtagssitzung am 6. Oktober versöhnungsbereit, betonte aber in der Regierungserklärung an dem Projekt festhalten zu wollen. Er verwies auf die ökonomischen Vorteile, die das Projekt seiner Meinung nach für die Region und ganz Baden-Württemberg habe. Sollte der Bahnhof nicht gebaut werden, drohe das Land ökonomisch abgehängt zu werden, warnte Mappus.

Damit wird auch schon seine Wahlkampfstrategie in den kommenden Monaten deutlich. Denn nach dem Streit um Stuttgart 21 wurden der CDU sinkende Umfragewerte prognostiziert. Dem will die CDU mit ihrem Bekenntnis zum Industriestandort Baden-Württemberg begegnen. Gleichzeitig aber muss Mappus den Eindruck zerstreuen, er wolle das Projekt mit aller Gewalt durchsetzen, weil davon sogar Teile der CDU-Basis nicht angetan waren.

Deshalb gab sich Mappus auch etwas selbstkritisch, ohne den Polizeieinsatz direkt zu kritisieren. Vielmehr sprach er von Szenen im Stuttgarter Schlossgarten, die sich nicht wiederholen dürften, und bekundete, wegen des Streits um den Bahnhof dürfe niemand verletzt werden. Als Vermittler hat er mit Heiner Geißler einen Mann vorgeschlagen, von dem er überzeugt ist, dass er auch von den Kritikern, die Mappus mehrmals als Gegnerbewegung titulierte, nicht abgelehnt werden kann. Tatsächlich genießt das CDU- und Attac-Mitglied Geißler auch in oppositionellen Kreisen Respekt. Zudem hat er schon in Tarifkonflikten zwischen Gewerkschaften und Unternehmern vermittelt. Doch dabei ging es meist um die Annäherung von Lohnprozenten. Wie aber soll ein Kompromiss in Stuttgart aussehen? An dieser Frage dürfte auch die Vermittlungsfähigkeit eines Heiner Geißler an Grenzen stoßen. Schließlich sind die Ausgangspositionen klar: Die Kritiker wollen Stuttgart 21 stoppen und über konkrete Abwicklungsmodalitäten diskutieren. Die Landesregierung hingegen will die Kritiker in das Projekt einbinden.

Schwarz-grün noch nicht vom  Tisch?

Wenn auch kaum Aussicht auf eine Einigung besteht, so könnte die Landesregierung doch von der versöhnungsbereiten Handlung profitieren. Schließlich wurden durch den Polizeieinsatz, den Abriss eines Teils des Bahnhofs und des Fällens von Bäumen Fakten geschaffen. Mappus betonte in seiner Rede, immer nur die Arbeiten vorgenommen zu haben, die für den Fortgang des Projekts in der jeweiligen Phase unumgänglich sind.

Der Bau kann auch weitergehen, wenn der noch nicht abgerissene Teil des Bahnhofs erhalten, in Teilen des Parks ein besonderer Schutzraum für die Juchtenkäfer geschaffen und auf besondere Barrierefreiheit aller Bauten Wert gelegt wird. Doch die Grünen, die sich besonders für eine Vermittlung einsetzen, was von Mappus in der Regierungserklärung mit einen Lob für deren Vorsitzenden Winfried Kretschmann ausdrücklich gewürdigt wurde, könnten mit solchen Kompromissen sogar eine schwarz-grüne Koalition nach den Landtagswahlen anstreben. Dass war schon länger das Ziel von großen Teilen der grünen Basis in dem Land und auch von Kretschmann. Die Auseinandersetzungen in Stuttgart waren für solche Pläne scheinbar eher hinderlich. Zumindest diejenigen unter den Stuttgarter Demonstranten, die angesichts des Polizeiaufmarsches das Deutschlandlied anstimmten, dürften für Mappus Dialogagenda noch nicht verloren zu sein.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/148515

Peter Nowak

Stuttgart 21 – Konflikt eskaliert

Hunderte von Verletzten wegen massiven Polizeieinsatzes, Wasserwerfer, Reizgas und Schlagstöcke wurden auch gegen Schüler eingesetzt
Monatelang wurde bundesweit ein neues Protestphänomen bestaunt. In Stuttgart wollte der [extern] Widerstand gegen das verkehrspolitische Projekt [extern] Stuttgart 21 nicht abreißen. Das ist die Kurzbezeichnung eines Verkehrs- und Städtebauprojekts zur Neuordnung des Eisenbahnknotens Stuttgart. Kernstück ist die Umwandlung des Stuttgarter Hauptbahnhofs in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof. Die Zulaufstrecken werden in Tunnel verlegt. Zusätzlich sollen zwei weitere Bahnhöfe, ein neuer Abstellbahnhof und eine neue Stadtbahn-Station entstehen

Mit der offiziellen Entscheidung für die Umsetzung des Projekts begannen zahlreiche [extern] Protestaktionen. Seit November 2009 finden wöchentlich sogenannte Montagsdemonstrationen mit mehreren tausend Teilnehmern statt. Sie halten das Projekt für betriebsschädlich, nicht bahnkundenfreundlich, umweltbelastend und überteuert und bemängeln Eingriffe in Umwelt, Grundwasser, Denkmäler und privates Eigentum.

Die Aktionen blieben kein lokales Ereignis mehr, sondern wurden auch von Bewegungsforschern mit Interesse verfolgt. Denn es zeigte sich, dass das Projekt in Umfragen mehrheitlich abgelehnt wurde und auch Einfluss auf den Ausgang der Landratswahl in einigen Monaten haben kann. Den Grünen werden hohe Gewinne prognostiziert, manche sehen sie schon als Regierungspartei in spe.

In der letzten Zeit sollten Gegner und Befürworter verhandeln. Weil den Gegnern klar war, dass es nichts mehr zu reden gibt und der Abriss des Bahnhofs voranschreitet, war der Dialogversuch schnell beendet.

Seit dem 30. September ist die Zeit der Gespräche endgültig vorbei. An diesem Tag ging die Polizei mit Wasserwerfern, Reizgas, Schlagstöcken und Fausthieben auf Demonstranten vor, darunter auch auf Kinder. Mehrere hundert Demonstranten seien wegen Augenverletzungen behandelt worden, teilten die Projektgegner mit. Die Krankenhäuser in Stuttgart seien überlastet. Die Einsatzkräfte wollten damit Wege im Stuttgarter Schlossgarten räumen, die von einer Gruppe Demonstranten blockiert wurden. Dort sollen die ersten von insgesamt 300 teilweise Jahrzehnte alten Bäume für den Umbau des Hauptbahnhofes gefällt werden. Auch der Landtag wurde abgeriegelt.

Während die Oppositionsparteien im Stuttgarter Landtag die Polizeigewalt verurteilten, rechtfertigte Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech den massiven Polizeieinsatz. Die angemeldete Demonstration hätte nicht den erwarteten Verlauf genommen und sei in Gewalt ausgeartet. Zudem hätten die Demonstranten nicht mit der Polizei sprechen wollen.

Eskalation mit Ansage

Dabei kam für Beobachter der Protestbewegung die Zuspitzung nicht so überraschend. Nachdem wochenlang die Gegner des Projekts den Diskurs bestimmten und ein Baustop auch in konservativen Medien nicht mehr ausgeschlossen wurde, stellte sich Bundeskanzlerin Merkel im Bundestag eindeutig hinter das Projekt. Zunehmend wurde auch in der FAZ und anderen konservativen Zeitungen nach linken Hintermännern des Protests Ausschau gehalten, die vor allem in der Gruppe der [extern] Parkschützer ausgemacht wurden.

Gleichzeitig machte die Deutsche Bahn deutlich, dass sie einem Ausstieg des Landes Baden-Württemberg aus dem Milliardenprojekt nicht tatenlos zusehen werde. „Weil ein Ausstieg des Landes aus ‚Stuttgart 21‘ die Bahn eine Menge Geld kostet, könnten wir das gar nicht akzeptieren“, sagte DB-Vorstand Volker Kefer.

Die Maßnahmen sollen einen handlungsfähigen Staat demonstrieren, der sich nicht von der Straße unter Druck setzen lässt. Sie demonstrieren, wir regieren, lautete schon in den 80er Jahren die Devise gegen die Anti-Pershing-Bewegung. In den nächsten Wochen wird sich zeigen, ob dieses Kalkül in Stuttgart aufgeht. Auch ein anderes Szenario ist denkbar. Die Polizeiaktion und vor allem die Gewalt gegen Schulkinder haben für bundesweite Aufregung gesorgt und könnten den Protesten auch bundesweit noch mehr Auftrieb geben.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33422/1.html

Peter Nowak

Kein Tag für Deutschland

Linke mobilisieren gegen die Einheitsfeiern in Bremen

Was haben der Bundesvorsitzende der Jusos Sascha Vogt, die Europaabgeordnete der LINKEN Gaby Zimmer und der Intendant am Berliner Maxim-Gorki-Theater Armin Petras gemeinsamen? Alle drei haben in der taz vom vergangenen Sonnabend die Frage verneint, ob der zwanzigste Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung Grund zum Feiern sein soll. Sie stehen mit ihrer Meinung nicht allein. Unter dem Motto »Etwas Besseres als die Nation« ruft ein linkes Bündnis zu einer bundesweiten Demonstration auf, die am 3. Oktober um 16.30 Uhr am Bremer Hauptbahnhof beginnt.

Das Bundesland Bremen richtet in diesem Jahr die Einheitsfeierlichkeiten aus. Bundespräsident Wulff und Bundeskanzlerin Merkel werden dort Reden halten und zum Kulturprogramm gehören der Auftritt von Silly aus der DDR und Nena aus der BRD. »Superdeutschland begießt 20 Jahre Einheit, mit Angela, Christian und Nena. Es gibt zwar kein Freibier, aber wir kommen trotzdem«, kommentieren die Antinationalisten das Programm ironisch. Die Ausrichter des Einheitstages werden von Alex Schneider, einem Mitorganisator der Gegendemo, mit Spott bedacht: »Ursprünglich war geplant, eine Mauer aus weißen Laken zu errichten, die gemeinschaftlich bemalt und anschließend symbolisch eingerissen werden sollte. Doch noch nicht mal das haben die Bremer Feiertagsbürokraten hingekriegt.« In dieser Unbeholfenheit sieht er keinen Grund für eine Entwarnung. »Der nationale Burgfrieden braucht kein von oben verordnetes Kulturprogramm, er gründet im spontanen Alltagsnationalismus der Bürger«, warnt Schneider.
Kein Frieden mit »Schland«

Genau an diesem Punkt setzt die Kritik der Antinationalisten an. Auch der scheinbar heitere Partynationalismus der Fußballweltmeisterschaft, in dem Deutschland zu »Schland« zusammenschrumpfte, sei nicht so harmlos, wie es scheint, betont Schneider. Auf einer Veranstaltung des Berliner Bündnisses gegen die Wendefeierlichkeiten, das zur Bremer Demonstration mobilisiert, wurde auf verschiedene Facetten des von ihnen kritisierten Alltagsnationalismus eingegangen. Thematisiert wurde dabei auch der Flaggenstreit im Berliner Stadtteil Neukölln. Während der Fußball-WM waren dort häufig Läden und Wohnungen von Menschen mit migrantischem Hintergrund mit schwarz-rot-goldenem Stoff verziert, was bei linken Gruppen im Stadtteil auf Kritik stieß. Kritisch sehen die Veranstalter auch die um ihren Arbeitsplatz kämpfenden Opel-Arbeiter, die einem bestimmten Investor Lohnverzicht anboten und damit ein Beispiel für »betrieblichen Standortnationalismus« darstellten.

Eine zentrale Rolle bei den Protesten spielt das 2006 gegründete »Ums-Ganze!«-Bündnis, in dem sich Ablehnung von »Staat, Nation und Kapital« mit avantgardistischer Attitüde verbindet. Schon im letzten Jahr hat sich am 8. November das Bündnis kritisch mit den Wendefeierlichkeiten beschäftigt. Mehrere tausend Menschen beteiligten sich an einer Demonstration in Berlin unter dem Motto »Es gibt kein Ende der Geschichte«. Auch in Bremen rechnet Alex Schneider mit einigen tausend Teilnehmern. In zahlreichen Städten habe es gut besuchte Vorbereitungsveranstaltungen gegeben und ein Jugendbündnis ruft zu einem eigenen Block auf der Demonstration auf.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/180632.kein-tag-fuer-deutschland.html

Peter Nowak

Halber Erfolg für Sarrazin

Der Auftritt von Buschkowsky soll die SPD-Basis mit dem Ausschluss von Sarrazin versöhnen

Eine Personalie sorgte auf dem SPD-Parteitag (siehe Links „angetäuscht“) für Aufsehen: Der Bürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky, gehörte neben dem ehemaligen Bundespräsidentschaftskandidaten Joachim Gauck zu den Gastrednern. Der Neuköllner Lokakpolitiker erfüllte dort ganz die Erwartungen. Er redete über die Integrationspolitik und nahm dabei kein Blatt vor den Mund:

„Wer dauerhaft zu uns kommt, hat auch die Pflicht, einen eigenen Beitrag zur Integration in die Gesellschaft zu leisten, zum Beispiel durch Teilnahme an Integrationskursen. Dazu brauchen wir eine konsequente und schnellere Anwendung der bestehenden Gesetze und keine weiteren Gesetzesverschärfungen!“

In Zukunft solle der Abbruch von Integrationskursen ebenso wenig akzeptiert werden wie das Schulschwänzen, betonte Buschkowsky

Beruhigung der SPD-Basis

Genau deshalb wurde er eingeladen. Diese Thesen hat Buschkowsky schon seit mehreren Jahren vertreten und sich dabei im SPD-Mittelbau nicht unbedingt Freunde gemacht. Als Mann für das Grobe hat er sich seit Jahren immer wieder zum Thema Integration zu Wort gemeldet.

Von seinen Kritikern wurde Buschkowsky öfter mit Sarrazin verglichen. Dem hat er auch sein überraschendes Comeback auf dem SPD-Parteitag zu verdanken. Damit soll der Basis signalisiert werden, dass die Kritik am Multikulturalismus kein Ausschlussgrund aus der SPD ist. Das aber behaupteten viele Sarrazinfans in und außerhalb der SPD.

Von Buschkowsky abgeschrieben

Buschkowsky lehnt einen Ausschluss von Sarrazin ab und hat sich zu seinem umstrittenen Buch sehr unterschiedlich geäußert. So bescheinigt er im gleichen Interview Sarrazin, dass er die Sachprobleme zutreffend beschrieben, aber auch, dass er Formulierungen gebraucht habe, die am Rande des Rassismus angesiedelt seien.

Zudem grenzt sich Buschkowsky von Sarrazins Ausflügen in die Eugenik ab, weist aber nicht uneitel darauf hin, dass die in seinen Augen brauchbaren Teile des Buches von ihm abgeschrieben sein sollen. Tatsächlich beruft sich Sarrazin in seinem Buch auf intensive Gespräche mit Buschkowsky.

Dessen Auftritt auf dem SPD-Parteitag ist so auch ein halber Sieg Sarrazins. Während man sich von den Ausflügen in die Genetik distanziert, werden seine Thesen zur Integrations- und Unterschichtenproblematik, die vor einigen Jahren noch auf große Kritik auch in liberalen Kreisen gestoßen wären, heute weitgehend unterstützt. So wird ein Buschkowsky, der mit seiner Kritik an der multikulturellen Gesellschaft in der SPD lange Zeit im Rechtsaußen angesiedelt war, zum Gastredner des Parteitages.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/148457

Peter Nowak

Neue Rechtspartei in Berlin?

Für die Berliner Abgeordnetenhauswahl im nächsten Jahr gibt es rechte Parteiplanungen, gehofft wird auf Zulauf von den etablierten Parteien

René Stadtkewitz wurde aus der CDU-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses ausgeschlossen. Eigentlich wäre es eine Nachricht ohne große politische Bedeutung. Denn der Rechtsaußenpolitiker Stadtkewitz, der schon vor einigen Monaten nach großen Druck aus der CDU ausgetreten ist (Vor einem neuen Kulturkampf?), hatte bundespolitisch wenig Bedeutung. Auch in Berlin blieb er der Hinterbänkler, der immer wieder rechte Duftmarken setzte. So war er der führende Kopf einer Bürgerinitiative gegen den Bau einer Moschee im Stadtteil Heinersdorf (Kulturkampf in Berlin-Pankow).
   

Die Moschee ist längst eröffnet. Doch Stadtkewitz blieb seinem Thema treu und lud zur Unterstützung und Vernetzung des Kampfes gegen den Islam den holländischen Populisten Geert Wilders nach Berlin ein (Keine Tea-Party-Bewegung in Deutschland). Weil er an diesem Vorhaben festhielt, musste er nun die CDU-Fraktion verlassen. Damit bekamen die Personalie Stadtkewitz und seine Ankündigung, eine eigene Partei gründen zu wollen, doch eine größere Bedeutung (Kommt die Rechtspartei?).

Europaweite Anti-Islambewegung

Denn anders als Henry Nitzsche oder Martin Hohmann, weitere Rechtsaußenpolitiker, die die CDU in den letzten Jahren verlassen mussten und in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwanden, ist Stadtkewitz nicht isoliert. Schließlich ist die Anti-Islambewegung mittlerweile ein Faktor nicht nur am rechten Rand und nicht nur in Deutschland.

Das kann an der Personalie Wilders gezeigt werden. Denn fast wäre er als Unterstützer der nächsten holländischen Regierung nach Berlin gekommen. Die Verhandlung zwischen seiner rechtspopulistischen Bewegung und den holländischen Konservativen und Christdemokraten waren weit fortgeschritten. Wilders hat die Verhandlungen abgebrochen, weil einige christdemokratische Abgeordnete Probleme hatten, diese Positionen hoffähig zu machen. Jetzt kann sich Wilders als Rebell gegen das politische Establishment feiern lassen und auf weitere Zustimmung hoffen.

Doch nicht nur in Holland existiert mittlerweile eine rechte Bewegung, die den Kampf gegen den Islam als politisches Vehikel entdeckt hat. Spätestens seit der erfolgreichen Volksabstimmung über das Verbot von Minaretten in der Schweiz (Kein Muezzin-Ruf aus der Toblerone) ist kein Land davon ausgenommen. In den meisten Ländern wollen die klassischen Rechtsparteien mit dem Moslembashing Aufmerksamkeit gewinnen. Dabei legen sie es bewusst auf einen Skandal an, um sich dann als Opfer eines linken oder liberalen Meinungsterrors zu gerieren.

So haben die ultrarechten Schwedendemokraten einen Wahlkampfspot kreiert, wo verschleierte Frauen zu sehen sind, die beim Run auf schwedische Sozialleistungen eine Rentnerin überholen. Im schwedischen Fernsehen wurde das Video nicht ausgestrahlt, die Zugriffe im Netz sind hoch. Die österreichische Rechtspartei FPÖ bzw. ihre Filiale in der Steiermark hatte ein Anti-Islam-Spiel ins Netz gestellt, in dem man Symbole, die für einen Imam oder eine Moschee stehen, wegklicken konnte. Kritiker wollten darin ein Abschießen erkennen. Die Aufregung war groß – und das ist ganz nach dem Geschmack der FPÖ. Das macht deutlich, dass die Rechten nicht ins Abseits geraten, wenn sie am Themenfeld Islam mit Provokationen und Skandalen arbeiten.

Suche nach einer Integrationsfigur

Auch in Deutschland hat das gesamte politische Lager rechts von der Union den Kampf gegen den Islamismus auf ihre Fahnen geschrieben. Die rechte Szene ist in Deutschland allerdings besonders zerstritten und der Streit um die Abgrenzung nach Rechtsaußen begleitet seit Jahren jede dieser Gruppierungen. So gab es lange Jahre Streit zwischen der Deutschen Volksunion und den Republikanern, beide Gruppierungen sind heute marginal.

Aktuell wird der innerrechte Machtkampf zwischen der Pro-Deutschland-Bewegung und der NPD ausgetragen. Die Pro-Deutschlandbewegung grenzt sich offiziell von dem neonazistischen Flügel der Rechten ab. Aber einige ihrer Spitzenpolitiker sind im innerparteilichen Flügelkampf der NPD unterlegen, bevor sie sich ein neues politisches Betätigungsfeld suchten. Deshalb steht für viele rechtskonservative Kräfte auch die Pro-Deutschlandbewegung zu stark im alten rechten Lager verankert.

Hier können Politiker wie Stadtkewitz mit ihrer Herkunft aus einer etablierten Partei eine größere Rolle für eine neue Rechtspartei spielen. Da dessen Zugkraft begrenzt ist, hoffen viele im rechten Lager auf einen Zulauf aus der SPD. Der ehemalige Berliner Finanzsenator Sarrazin wird seit Erscheinen seines Buches „Deutschlands schafft sich ab“ aus dem rechten Lager geradezu genötigt, eine eigene Partei zu gründen (NPD und pro Deutschland werben um Thilo Sarrazin).

Umfragen, die ihr ein zweistelliges Ergebnis prognostizieren, sollen den Entscheidungsprozess beschleunigen (18-Prozent-Potenzial für Sarrazin-Partei). Schließlich gibt es ein konkretes Datum: den 4. September 2011. Dann wird in Berlin ein neues Abgeordnetenhaus gewählt. Die Rechten sehen hier gute Chancen für die erfolgreiche Kandidatur einer neuen Partei jenseits der Union. Die alten rechten Parteien sind in Berlin marginal, die NPD ist beispielsweise intern zerstritten, die Republikaner spielen kaum mehr eine Rolle. Diese Partei war in Westberlin Ende der 80er Jahre mit über 7 % ins Abgeordnetenhaus gewählt worden, was ein Indiz für die Existenz eines rechtes Potentials in der Stadt ist, das aktiviert werden kann. Zudem war die Westberliner Frontstadt-CDU immer ein Sammelbecken für rechte Strömungen, die sich in einer Hauptstadt-CDU, die die Modernisierung auf ihre Fahnen geschrieben hat und auch für die Grünen koalitionsfähig sein will, nicht mehr wohl fühlen. Zudem kann gerade in Berlin mit einer Anti-Islam-Kampagne das Bürgertum gegen Kreuzberger oder Neuköllner Verhältnisse mobilisiert werden.

Lafontaine von rechts?

Die Karten für eine rechte Kandidatur in Berlin werden in den nächsten Monaten gemischt. Die Pro-Bewegung hat sich als erste angemeldet, ein Büro in Berlin bezogen und hoffte auf finanzielle Unterstützung durch den rechten Multifunktionär Patrik Brinkmann (Libertäre als Tea-Party-Großsponsoren). Doch das ist mittlerweile fraglich. Denn Brinkmann will die Kreise um Stadtkewitz mit in die Parteigründungspläne einbeziehen, für die die Pro-Bewegung als notdürftig modernisierte alte Rechte bisher kein Bündnispartner ist.

Nun droht für die Rechte der Supergau, eine Kandidatur gleich mehrerer Parteien, die sich rechts von der Union profilieren wollen und unter der Fünfprozenthürde bleiben. In dieser Situation könnte eine Kandidatur von Sarrazin die Einigung beschleunigen. Was Lafontaine 2005 mit seiner Kandidatur bei den vorher zerstrittenen linkssozialdemokratischen Gruppen gelungen ist, könnte Sarrazin in Berlin von Rechts wiederholen, so das Kalkül der Rechten. Der hat sich bisher aber noch nicht zu solchen Plänen geäußert, weil sie eine Steilvorlage für das laufende SPD-Ausschlussverfahren wären. Da er aber auch solche Pläne nicht kategorisch ausschloss, hoffen die Rechten weiter.

Partei des aggressiven Bürgertums

Dass solche Parteibildungsspiele keine Kopfgeburten sind, zeigt ein Gastkommentar des Medienwissenschaftlers Norbert Bolz im Tagesspiegel, wo er für eine neue rechte Partei auf bürgerlich-konservativer Linie eintritt. Dafür wäre Sarrazin der ideale Kandidat. Schließlich hat er als Senator in seiner Frontstellung gegen Hartz IV-Bezieher beispielsweise Politik für ein Bürgertum gemacht, das die sogenannten Unterklassen in die Schranken weisen will.

Sollte ein solches Parteiprojekt in Berlin erfolgreich sein, dürfte es auch Nachahmer aus anderen Bundesländern geben. Dann könnten vielleicht auch abgehalfterte Politiker wie Friedrich Merz noch einmal in den Ring steigen. Allerdings würde auch ein Überraschungserfolg in Berlin wenig über die Beständigkeit einer solchen Bewegung aussagen. Schließlich hatte die Schill-Partei in Hamburg mit einen ähnlichen Politikkonzept einen rasanten Aufstieg und einen ebenso fulminanten Absturz hingelegt.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33286/1.html

Peter Nowak

Schnitzeljagd auf BKA-Webseiten

Datenschützer beobachten ab heute das Bundeskriminalamt / Demo am Sonnabend in Berlin
Das Bundeskriminalamt (BKA) ist für die Beobachtung von Webseiten von Personen und Gruppen zuständig, die sich nicht in der politischen Mitte bewegen. Heute wollen Datenschützer die Rollen tauschen.
 
Genau vor einem Jahr – am 11. September 2009 – demonstrierten in Berlin 35 000 Bürger für Freiheit statt Angst. Foto Ulli Winkler
»Wir wollen die Webseiten des BKA besuchen, um uns dort mit einer Schnitzeljagd über deren Verständnis von Freiheit und Bürgerrechten zu informieren«, erklärt Jens Plath gegenüber ND. Er ist Mitglied der Initiative, die die Internetperformance vorbereitet, wie die Aktivisten den virtuellen BKA-Besuch nennen. Als Anreiz für die Suche finden sich auf einer eigens dafür eingerichteten Webseite elf Fragen, die der Besucher bei der virtuellen Schnitzeljagd lösen soll. Unter anderem soll erkundet werden, an welchem Ort BKA-Direktor Jürgen Stock 1993 sein Rechtsreferendariat absolvierte, wann der BKA-Vize Jürgen Maurer seinen Dienst antrat, an welchen Tag das Informationssystem INPOL startete und in welchem Jahr das BKA seinen ersten Verbindungsbeamten nach Thailand geschickt hat. Wer sich die Mühe des Suchens ersparen will und Suchmaschinen benutzt, hat schon verloren, so die Aktivisten. Schließlich könne sich das BKA bei seiner Arbeit in der Regel auch nicht bei Google bedienen.

Mit der virtuellen Schnitzeljagd verbinden die Datenschützer mehrere politische Anliegen. »Wir wollen im Vorfeld der Freiheit-statt- Angst-Demonstration, die am kommenden Samstag in Berlin stattfindet, unseren Protest gegen Kontrolle und Überwachung auch auf den virtuellen Raum ausdehnen«, betont Plath. Dabei wolle man mit der Performance das BKA besonders in seiner Rolle als Schnittstelle für die europäische Sicherheitsarchitektur unter die Lupe nehmen. Während die Aktivitäten des BKA im Inland viel diskutiert werden, sei der europäische Bereich noch relativ unbekannt, so Plath. Dabei kann die Zusammenarbeit der europäischen Polizei für die Betroffenen gravierende Auswirkungen haben. »Ein Eintrag in die Dateien ›Gewalttäter Sport‹ oder ›International agierende gewaltbereite Störer‹ hat für die Betroffenen weitreichende Repressalien zur Folge, die bisweilen sogar zum Versagen politischer Betätigung führen«, so Plath als Beispiel.

Am heutigen Donnerstag soll mit der kollektiven Schnitzeljagd die BKA-Beobachtung starten. Sie soll aber keine einmalige Aktion bleiben. »Ziel soll die alltägliche kritische Beobachtung sein«, so Plath. Dafür soll auch am Samstag auf der Freiheit-statt-Angst-Demonstration geworben werden.

datarecollective.net/node/8

http://www.neues-deutschland.de/artikel/179255.schnitzeljagd-auf-bka-webseiten.html

Peter Nowak

Genussinitiative versus Nichtraucher

In Berlin wird wieder um den blauen Dunst gestritten

Nichtraucher mobilisieren gegen Tabakwerbung und bereiten unter dem Motto Frische Luft für Berlin eine Volksinitiative vor, die weitere Einschränkungen für Raucher in Berlin zur Folge hätte. Die Kampagnenhomepage ist noch im Aufbau.

Vorbild sind die strengen Nichtraucherbestimmungen in Bayern, die mittels Volksbegehren durchgesetzt wurden. Sollte die Berliner Initiative Erfolg haben, wäre das Rauchen in Gaststätten, Cafés, Bars, Clubs und Diskotheken grundsätzlich verboten. Die Volksinitiative fordert klare Regeln ohne Ausnahme. Damit beziehen sich die Initiatoren auf Medienberichte, nach denen die Nichtraucherbestimmungen zu viele Ausnahmen zulassen und zudem in vielen Kneipen nicht beachtet werden.

Dem widerspricht die zuständige Berliner Senatorin für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz Katrin Lompscher: „Wir haben immerhin so viel Nichtraucherschutz, wie es ihn vorher noch nie gab. Von den über 7.000 Gaststätten sind weniger als 10 Prozent Raucherkneipen“, erklärte sie in einem Interview. Dort betonte sie auch, dass sie sich striktere Bestimmungen gewünscht hätte, was in Berlin allerdings nicht möglich gewesen wäre, weil in der Diskussion um das Rauchverbot die Zunft der Berliner Gastronomie eine starke Rolle spielte.

Aber auch die Gegner eines verschärften Rauchverbots melden sich zu Wort. Die Initiative für Genuss Berlin e.V. erinnert in einer Pressemeldung daran, dass ein völliges Rauchverbot nicht in erster Linie an den kommerziellen Interessen der Berliner Gastronomie gescheitert sei: „Die Initiative für Genuss Berlin e.V. hatte durch ihren politischen Druck maßgeblich dazu beigetragen, dass in dem heute gültigen Gesetz auch den Interessen der rauchenden Bevölkerung Rechnung getragen wird. Mit dem Gesetz in seiner jetzigen Form wurde ein Kompromiss erzielt, der den Nichtrauchern im öffentlichen Leben und in der Gastronomie weitreichende Rauchfreiheit zusichert.“

Die Genuss-Initiative kündigte an, gegen weitere Verschärfungen bei der Nichtrauchergesetzgebung aktiv werden zu wollen. Für die Aktivisten gehören sowohl Raucher als auch Nichtraucher zu einem weltoffenen Berlin. 
 http://www.heise.de/tp/blogs/3/148333
Peter Nowak