Zu Diskriminierungen kann es überall kommen, wo es Mehrheiten und Minderheiten gibt

Die Pädagogin Sanem Kleff von „Schule ohne Rassismus“ über Deutschenfeindlichkeit und Gewalt an den Schulen

Der Kulturkampf um die Schulen in Deutschland geht weiter. Mittlerweile hat sich der FDP-Generalsekretär Martin Lindner mit der Forderung zu Wort gemeldet, dass Schüler mit Migrationshintergrund auf dem Schulhof deutsch sprechen müssen. Diese Forderung ist Teil eines Integrationsprogramms mit dem die FDP die Zuwanderung mit den Interessen der deutschen Wirtschaft in Einklang bringen will. Gleichzeitig haben sich in Zeiten der Krise nach einer Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Zeiten der Krise rechte und rassistische Einstellung in der Deutschen Mehrheitsgesellschaft verfestigt (Die Verfinsterung der deutschen Mitte).
   

Für das Projekt Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage sind solche Befunde alarmierend. Es wurde in einer Zeit gegründet, als Menschen mit nichtdeutschem Hintergrund nicht nur verbal bedroht worden sind. „Schule ohne Rassismus“ setzt auf die Selbstorganisierung von Schülern. Es bietet Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, das Klima an ihrer Schule aktiv mitzugestalten, in dem sie sich bewusst gegen jede Form von Diskriminierung, Mobbing und Gewalt wenden.

Diese Auseinandersetzung ist die Voraussetzung, eine Bildungseinrichtung zur „Schule gegen Rassismus“ zu erklären. Mittlerweile tragen mehr als 800 Schulen mit knapp 500.000 Kindern und Jugendlichen den Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. Die Pädagogin Sanem Kleff leitet das Projekt und hat zahlreiche Bücher zum Thema interkulturelles Lernen herausgegeben.

 Wird die Schule wirklich immer mehr zur Kampfzone, wie manche Boulevardmedien suggerieren?

Sanem Kleff: Nein, es trifft nicht zu, dass die Gewalt in den Schulen immer mehr um sich greift. Die Gewalt ist in den Schulen im letzten Jahrzehnt zurück gegangen, wie durch Polizeiberichte belegt werden kann. Zugenommen haben dagegen Mobbing und andere Diskriminierungen. So sind an manchen Schulen „Jude“ oder „du Opfer“ zu häufige Schimpfworten geworden.

 War die von zwei Berliner Pädagogen losgetretene Debatte über eine Deutschenfeindlichkeit also berechtigt?

Sanem Kleff: Nein, diese Debatte trifft das Problem überhaupt nicht. Tatsächlich machen sich nicht nur Jugendliche, sondern Migranten unterschiedlichen Alters auch über die Eigenheiten der in Deutschland Geborenen lustig. Das sollten die Deutschen mit Humor auch ertragen können. Problematisch wird ein solches Verhalten doch nur, wenn es mit Diskriminierungen und Mobbing verbunden ist. Überall, wo es Mehrheiten und Minderheiten gibt, können solche Diskriminierungserfahrungen beobachtet werden. Dabei ist die Zusammensetzung dieser Gruppen beliebig. Wenn beispielsweise in einer Schule sehr viele Dänen und die Deutschen in der Minderheit sind, kann es ebenso zu Mobbing kommen.

 Was stört Sie an der aktuellen Debatte?

Sanem Kleff: Was mir nicht gefällt, ist, dass sich ausgerechnet jetzt, wo das ganze Land scheinbar auf dem Sarrazin-Trip ist, Lehrer in dieser Weise zu Wort melden. Sie schreiben über Altbekanntes mit dem Gestus, dass man das doch sagen können müsse. Sie verwenden den Begriff der Deutschenfeindlichkeit, der lange Zeit von der neuen Rechten gebraucht wird. Und sie verknüpfen das von ihnen kritisierte Verhalten mit dem angeblichen moslemischen Hintergrund der Schüler. Damit finden sie sich im Einklang mit einer veröffentlichten Meinung, wie sie von Sarrazin bis zu Alice Schwarzer und Hendrik Broder vertreten wird.

 Welche Konsequenzen ziehen Sie aus Diskriminierungen an den Schulen?

Sanem Kleff: Es sollten alle Formen von Diskriminierung ernst genommen und die Elemente in den Schulen gestärkt werden, die sich dagegen zur Wehr setzen, Das Projekt Schule gegen Rassismus hat es deshalb immer abgelehnt, einzelne Diskriminierungsphänomene wie Antisemitismus, Homophobie, Rassismus isoliert wahrzunehmen. Es gibt sehr viele pädagogische Instrumente, um hier einzugreifen. Ich nenne hier nur stichwortartig den Einsatz von Streitschlichtern und Konfliktlotsen, aber auch den Aufbau von Räumen und Zeiten, in denen die Auseinandersetzung mit den Schülern und ihren Problemen möglich ist. Um solche Forderungen müsste sich die Bildungspolitik wieder auf die Prämisse besinnen. Je mehr Probleme die Schüler und ihre Familien haben, umso besser muss die Schule ihre ausgestattet sein.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33491/1.html

Peter Nowak

Die Deutschen als Opfer

Die aktuelle Debatte um die Deutschfeindlichkeit macht deutlich, wie schwer es fällt, die Realitäten einer Einwanderungsgesellschaft zu akzeptieren
Der Begriff Rassismus war lange Zeit links konnotiert. Als in den frühen 90er Jahren Menschen nichtdeutscher Herkunft Opfer von Gewalt von Deutschen wurden, sprachen konservative Politiker jeglicher Couleur in der Regel von Ausländer- oder Fremdenfeindlichkeit, um das R-Wort zu vermeiden. Das scheint sich nun geändert zu haben.
   „Deutschenfeindlichkeit ist Rassismus“, erklärte die junge CDU-Familienministerin Schröder und outete sich gleich als Opfer von antideutschem Rassismus.

Schröder hatte das Thema schon früher aufgegriffen. Als junge Unionspolitikerin brachte sie im hessischen Landtagswahlkampf 2008 das Thema Deutschenfeindlichkeit in die Diskussion ein. Politiker von Grünen und SPD kritisierten Köhler damals und argwöhnten, die junge Politikerin wolle sich im Windschatten des damaligen rechtskonservativen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch am rechten Unionsrand profilieren. Als Köhler dann ministrabel wurde, fragten nur noch linke Medien polemisch, ob eine neue Rechte mit am Kabinettstisch
Tatsächlich wurde der Begriff der Deutschfeindlichkeit in den 90er Jahren im Umfeld der Wochenzeitung Junge Freiheit, die jetzt auch dankbar Schröders Äußerungen aufnimmt, und noch rechteren Publikationen in Stellung gebracht, wenn ein in Deutschland Geborener von Menschen mit Migrationshintergrund angegriffen und verletzt wurde. Es war damals die Antwort von Rechts auf eine gesellschaftliche Diskussion um Rassismus in Deutschland.

Respekt gegenüber den Deutschen

Doch die aktuelle Debatte hat ihre Stichwortgeber nicht mehr am rechten Rand, was dort mit Genugtuung zur Kenntnis genommen wird. Schröder befindet sich heute mit der Debatte in guter Gesellschaft.

So will der Vorsitzende der christsozialen Kultusministerkonferenz, Ludwig Spaenle, die Migrantenverbände in die Pflicht nehmen. Sie müssten stärker den nötigen Respekt ihrer Mitglieder gegenüber den Deutschen einfordern. Auch das Vorstandsmitglied der Grünen Cem Özdemir stellt nicht die naheliegende Frage, ob nicht viele Mitglieder dieser Verbände selbst Deutsche sind. Er fordert viel mehr selber konkrete Maßnahmen gegen die Deutschenfeindlichkeit.

Die aktuelle Debatte wurde durch eine Studie der Berliner Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft angefacht. Dort wurde allerdings jenseits von Schlagworten der gesellschaftliche Hintergrund ausgeleuchtet, der in den Medien gerne vergessen wird. So wird der Prozess einer Segregation im Bildungssystem beschrieben, weil Eltern mit höheren Einkommen ihre Kinder möglichst schnell an Schulen mit guten Rankings anmelden. Die Folgen werden in der Studie so benannt:
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 An den weniger begehrten restlichen Schulen der Sek I verblieben immer mehr Schüler aus armen, bildungsfernen Familien, vor allem von Familien mit Migrationshintergrund. Deutschstämmige und aufstiegsorientierte Migrantenfamilien flüchteten aus bestimmten Schulbezirken wie Nord-Neukölln oder Teilen von Mitte und Kreuzberg. Das gleiche Phänomen zeigte sich etwa auch in anderen Städten. Immer mehr Kinder und Jugendliche leben in sozialen Brennpunkten und verlieren den Anschluss an Bildung und Beruf.

Das ist der soziale Hintergrund, in dem sich die gesellschaftlich ausgeschlossenen Kinder und Jugendliche, für die Hartz IV die einzige Perspektive ist, zu Gangs mit eigenen Codes und Regeln zusammenschließen. Wer dabei in der Minderheit ist, bekommt Probleme. Die Ein- und Ausschlusskriterien können am Musikgeschmack, an den Klamotten, dem Slang und in manchen Berliner Stadtteilen auch an der biodeutschen oder migrantischen Herkunft festgemacht werden. In den USA ist es schon seit Langem bekannt, dass in bestimmten Stadtteilen Jugendliche mit weißer Haut in der Minderheit sind und sich dort auf verschiedene Weise Respekt verschaffen müssen.

Der Rapper Eminem gilt als erfolgreiches Paradebeispiel dafür. Nur würde in den USA anders als jetzt in Deutschland kaum jemand von Antiamerikanismus sprechen, weil eben völlig klar ist, dass alle Akteure der jugendlichen Ein- und Ausgrenzungsrituale US-Amerikaner sind. Die aktuelle Debatte in Deutschland zeigt, dass darüber selbst im politischen Etablissement kein Konsens besteht. Da ist im Zweifel ein Jugendlicher, mag er auch hier geboren sein und die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, doch noch ein Araber, nur weil seine Vorfahren aus dem Nahen Osten kommen.

Damit wird aber deutlich, dass manche Politiker Deutschland noch immer nicht als Einwanderungsland mit all seinen Problemen ansehen. So werden die zweifellos bestehenden Konflikte in Schulen oder anderen öffentlichen Orten nicht als soziale innergesellschaftliche Probleme gesehen, sondern ethnisiert. Durch die Einführung des Begriffs der Deutschenfeindlichkeit in die Debatte wird signalisiert, dass ein Teil der Beteiligten eben nicht Teil der Gesellschaft ist. Sie haben allenfalls einen Gaststatus, den sie durch ungebührliches Benehmen verlieren können.

Mehr Stimmung als Empirie

Der Berliner Beauftragte für Migration und Integration hat zum Schlagwort der Deutschenfeindlichkeit einige bedenkenswerte Fragen formuliert.

Könnte man nicht mit mehr Berechtigung über einen Antisemitismus in Europa reden, wenn in einer europaweiten Studie 24,4 % der Befragten der Meinung sind, der Einfluss der Juden sei zu groß? In anderen Studien wurde nachgewiesen, dass ein großer Anteil der Bevölkerung Homosexualität als amoralisch abwertet. Deswegen würde kein Kabinettsmitglied vor einer Homophobie in Deutschland warnen.

Während zu Antisemitismus und Homophobie belastbares Zahlenmaterial vorliegt, ist das beim Reizthema Deutschenfeindlichkeit nicht der Fall. Ein vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen erstellter Bericht will Hinweise auf deutschenfeindliche Haltungen jugendlicher Migranten mit islamischen Inhalt erkannt haben. Eine im Auftrag des Bundesinnenministeriums erstellte Studie konnte dafür allerdings keine Hinweise finden.

Die aktuelle Debatte wird auch nicht von Empirie sondern von einer Stimmungspolitik geleitet, wie sie die FAZ auch dem bayerischen Ministerpräsident Seehofer bei seinen Einlassungen zur Einwanderungspolitik attestiert hat. Nur werden diese Stimmungen heute längst nicht nur von Konservativen bedient. Spätestens seit der Sarrazin-Debatte will sich niemand nachsagen lassen, linken Träumereien nachzuhängen, ein Gutmensch zu sein oder gar Tabus zu haben.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33478/1.html

Peter Nowak