Wegen des falschen Geschlechts in die Psychiatrie?

In Berlin soll ein elfjähriges Transmädchen in eine Psychiatrie eingewiesen werden. Dagegen gibt es Proteste

Das Urteil des Berliner Kammergerichts war möglich geworden, weil sich die getrennt lebenden Eltern des Kindes nicht über die Erziehung einig sind und deshalb die Gesundheitsvorsorge auf das Jugendamt übertragen wurde. Weil eine von der Behörde bestellte Pflegerin der Ansicht ist, die Mutter habe dem Kind die Transsexualität eingeredet, soll es in einer Pflegefamilie untergebracht werden. Zuvor soll ihm aber in der Psychiatrie sein „biologisches“ Geschlecht nahegebracht und „geschlechtsatypisches Verhalten“ unterbunden werden. So zitiert die Tageszeitung den Chefarzt Klaus Beier von der Berliner Charité.

Dagegen regt sich heftiger Widerstand. „Die Annahme, es könne gelingen, mit Zwangsmaßnahmen psychische Gender-Repräsentanzen gegen den Willen einer Person quasi ‚anzutrainieren‘, widerspricht dem Stand internationaler Wissenschaft und den vielfältigen gegenteiligen Erfahrungen von Menschen, die dies als falsch zugewiesenes Geschlecht erlebten und sich von sozialen Zwängen in der Richtung nur traumatisiert fühlten“, heißt es in einer Stellungnahme der Interessengemeinschaft freiberuflicher Einzelfallhelfer und -helferinnen.

Auf einem Jurablog wurden einige Aspekte der Berichterstattung in der Tageszeitung kritisch beleuchtet. Die Entscheidung des Berliner Kammergerichts wurde demnach im taz-Bericht rechtlich nicht richtig eingeordnet: „Der Beschluss des KG, der Anlass der Pressemeldung der taz war, verhält sich nicht ausdrücklich zu der richtigen Vorgehensweise, sondern nur zur Frage, wem die Gesundheitsfürsorge zustehen soll. Allerdings lässt sich im Beschluss eine Bestätigung der Richtungswahl des Jugendamts herauslesen. Eine Zwangstherapie wird aber vom KG nicht bestätigt oder genehmigt.“ Damit bleibt der Skandal aber bestehen, die Freiheitsentziehung des Kindes:

„Unabhängig von der Frage, ob hier eine schon im Kindesalter manifest werdende Transsexualität vorliegt oder nicht: Eine Freiheitsentziehung ist ein derart gravierender Eingriff für ein Kind, dass er nur als ultima ratio vorgesehen werden kann. Laut dem Bericht fehlt bislang ein unabhängiges psychiatrisches Gutachten. Zu einer ambulanten Untersuchung seien Mutter und Kind bereit.“

Protest gegen Zwangspathologisierung

Zahlreiche Gruppen und Einzelpersonen haben sich zum „Aktionsbündnis Alex“ zusammengeschlossen, um schnell Proteste gegen die Einweisung des Kindes in eine psychiatrische Anstalt und den Entzug des Sorgerechts der Mutter zu initiieren. Da gegen die Entscheidung des Kammergerichts Rechtsmittel eingelegt wurden, wird die Angelegenheit die Gerichte weiter beschäftigten. Auf der Kundgebung verurteilte die AG Psychiatriekritik alle Versuche, mit Hilfe von Justiz und Psychiatrie, Menschen auf ein bestimmtes Geschlecht festlegen zu wollen.

Durch die Aufmerksamkeit, die der Fall von Alex bekommen hat, wurde der Fokus auf eine internationale Koordination gerichtet, die sich für das Recht einsetzt, das eigene Geschlecht zu leben. Die zentrale Forderung ist dabei die Streichung des Krankheitsbegriffs „Geschlechtsidentitätsstörung“ aus den Krankheitskatalogen, an denen sich die Ärzte orientieren. Im kommenden Jahr sollen diese Kataloge aktualisiert werden. Für die Aktivisten ist daher die zentrale Forderung, die Zwangspathologisierung zu beenden, deren Folgen durch das Urteil gegen Alex für viele Menschen sehr konkret geworden sind.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151693
Peter Nowak

Frau, Mann, Mensch

Transsexuelle wehren sich gegen Diskriminierung

Vor zwölf Jahren wurde der PDS-Bürgermeister von Quellendorf abgewählt, nachdem er sich als Transsexueller geoutet hatte. Die Geschichte aus Sachsen-Anhalt zeigt, wie wenig Menschen gesellschaftlich akzeptiert sind, die sich nicht den Geschlechterrollen Frau oder Mann zuordnen. Es gibt »Transfrauen«, die äußerlich wie Männer aussehen und umgekehrt. Im Alltag und im Arbeitsleben sind sie in Deutschland zahlreichen Diskriminierungen ausgesetzt, die die »Aktion Transsexualität und Menschenrecht« in einem Report auflistet. Am Wochenende protestierten transsexuelle Menschen in 80 Ländern gegen ihre Diskriminierung in der Gesellschaft und ihre »Pathologisierung« durch Mediziner. Viele bezeichnen sich selbst als »Transmenschen«, weil sie die Reduzierung auf das Geschlechtliche ablehnen.

 In Krankheitskatalogen ist Transsexualität noch immer als »Geschlechtsidentitätsstörung« aufgeführt. In Berlin demonstrierten am Sonnabend rund 100 Menschen vor der Charité für die Streichung dieser Diagnose. Ein Redner kritisierte den Psychoanalytiker Klaus Beier vom Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin: »Er vermittelt in seinen Vorlesungen ein hochgradig diskriminierendes Bild von Transmenschen, das zudem nicht dem aktuellen Forschungsstand der Sexualwissenschaften entspricht.«

Die Schriften der US-Philosophin Judith Butler, die sich von den Kategorien der Zweigeschlechtigkeit verabschiedet, haben nicht nur innerhalb der Wissenschaft einen großen Einfluss. Sie trugen auch wesentlich zur Vernetzung von transsexuellen Menschen bei. Sie stand dabei nicht nur im Widerspruch zu vielen linken Bewegungen und Parteien, die die Geschlechterfrage allenfalls als Nebenwiderspruch betrachteten. Auch Teile der feministischen Bewegung wurden von den Transmenschen kritisiert, weil sie die Geschlechterordnung nicht in Frage stellten. Die überwiegend akademischen Organisationen konnten an der gesellschaftlichen Ausgrenzung wenig ändern.

Ausgrenzung bis zum Mord
Die Ablehnung von Transpersonen kann tödlich sein. Im Februar 2006 war die brasilianische Transsexuelle Gisberta Salce Juni in Portugal von einer Gruppe junger Männer gefoltert, vergewaltigt und schwer verletzt in einen Brunnen geworfen worden. Dort erlag sie ihren Verletzungen. Der Europäische Kommissar für Menschenrechte Thomas Hammerlberg schlug Alarm: »In meinen Gesprächen mit Nichtregierungsorganisationen, welche die Rechte von Transgender-Menschen verteidigen, zeigte sich, dass eine große Zahl ähnlicher Verbrechen nicht angezeigt werden. Einer der Gründe dafür scheint das mangelnde Vertrauen in die Polizei zu sein«, erklärte er.

Auch in den USA leben Transmenschen gefährlich. 1993 war Teena Brandon im Alter von 21 Jahren in Nebraska ermordet worden. Der Film »Boys don’t cry«, der ihre Geschichte später bekannt machte, sorgte international für Empörung und zur verstärkten Organisierung der Betroffenen. Der Aktionstag am Sonnabend wäre sonst nicht denkbar gewesen. »Es wurde deutlich, dass das internationale Netzwerk der Transmenschen funktioniert«, erklärte Dieter Lehmann, einer der Organisatoren des Berliner Aktionstages gegenüber ND.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/182788.frau-mann-mensch.html

Peter Nowak