Griechenland in oder out?

Nicht nur in Deutschland hat die Debatte über einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone an Fahrt gewonnen

Als kürzlich Berlins Vizekanzler Philipp Rösler wieder einmal laut über einen Austritt Griechenlands aus der EU-Zone redete, wurde von einigen SPD-Politikern dessen Rücktritt gefordert. Er habe mit seinem unverantwortlichen Geschwätz mit dazu beigetragen, dass nun auch Deutschland von den Ratingagenturen abgewertet wurde, lautete die ganz auf den Standort bezogene Kritik der Sozialdemokraten. Denn für die Interessen der griechische Bevölkerung einzutreten, könnte ja wieder fast als Vaterlandsverrat gewertet werden – und davor haben besonders deutsche Sozialdemokraten große Angst.

Da brauchte vor einigen Wochen der FDP-Wirtschaftslobbyist Brüderle das V-Wort nur kurz in den Mund zu nehmen, als manche Sozialdemokraten nach dem Wahlsieg des französischen Parteifreunds Hollande zu forsch gegenüber der Bundesregierung auftraten. Und schon waren sie wieder kleinlaut. Als vor wenigen Tagen nun der bayerische Finanzminister Markus Söder Rösler noch überbot und einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone als fast unabwendbar bezeichnete, kam denn auch von der SPD keine große Resonanz. Sie haben mittlerweile längst mitbekommen, dass Griechenland-Schelte und EU-Kritik populär ist.

Schon längst gibt es Bestrebungen, bei den nächsten Wahlen mit einer populistischen Partei der EU-Kritiker anzutreten. Noch sind sich die beteiligten Personen nicht ganz einig, aber es sieht so aus, als liefe es auf die Kandidatur der Freien Wähler hinaus. Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, dass sie damit das politische Koordinatensystem in Deutschland durcheinanderbringen könnte. Besonders betroffen davon während die aktuellen Regierungsparteien. So kann die Intervention von Rösler und Söder auch als ein vorgezogener Wahlkampf betrachtet werden. Es ist klar, dass die EU-Politik dort eine zentrale Rolle einnehmen wird.

Schließlich sind Söder und Rösler in Europa nicht alleine mit der Forderung nach einem schnellen Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Die Regierung von Lettland hat diese Forderung bereits gestellt. Wenig überraschend war, dass sich der als EU-Kritiker bekannte tschechische Präsident Klaus es sich nicht nehmen ließ, sich ebenfalls in dieser Frage zu Wort melden. Er forderte in einem Beitrag im Handelsblatt nicht nur einen schnellen Austritt Griechenlands aus der Eurozone, sondern auch einen Abschied von der sozialen Marktwirtschaft und von grünen Utopien.

Schrankenloser Kapitalismus ohne Sozialklimbim

Mit seinem Bekenntnis zum schrankenlosen Kapitalismus ohne Sozialklimbim und Umweltauflagen ist er sich auch mit den Politikern einig, die Griechenland in der Eurozone halten wollen Schließlich werden im Windschatten der Krise europaweit Arbeits- und Gewerkschaftsrechte abgebaut. Darauf haben Isabelle Schömann und Stefan Clauwaert in einer im Auftrag des Europäischen Gewerkschaftsinstituts verfassten Studie mit dem Titel Arbeitsrechtsreformen in Krisen – eine Bestandsaufnahme in Europa kürzlich hingewiesen.

EU-Politiker wie Barroso wollen am Beispiel Griechenland deutlich machen, wie weit man die Wirtschaft eines Landes deregulieren kann. Das soll natürlich ein Pilotprojekt für andere EU-Länder werden. Klaus, Rösler und andere wollen das Exempel eher im Rausschmiss Griechenlands sehen. An der Deregulierung im Interesse des Kapitals haben beide Fraktionen keine Kritik. „Mit dem bisherigen Krisenmanagement wird die Chance vertan, Europa sozial und nachhaltig aufzubauen“, so der Befund von Annelie Buntenbach vom DGB-Vorstand im Vorwort der erwähnten Studie des Gewerkschaftsinstitut. Die Studie ist allerdings auch eine Herausforderung an die Gewerkschaften und die sozialen Bewegungen. Doch die sind hierzulande kaum präsent, weder in der Griechenlanddebatte noch in der Solidarität in einer sich gerade ausweitenden sozialen Bewegung in Spanien.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152480
Peter Nowak

Schlecht beraten

»Gewerkschaften und Studierende: Passt das überhaupt zusammen? Wir meinen schon.« Diese Überzeugung der Freiburger DGB-Hochschulgruppe ist noch im Internet zu finden. Doch mittlerweile muss man sich die Frage stellen, ob eine emanzipatorische studentische Politik und der DGB-Apparat zusammenpassen. Denn der DGB-Südbaden hat die Campusgruppe aufgelöst, nachdem diese ein Sprecherduo gewählt hatte, ohne den zuständigen DGB-Sekretär Jan Wieczorek um Erlaubnis zu bitten. Zudem hatte die gewerkschaftlich orientierten Studierenden nach Angaben eines Gruppenmitglieds beschlossen, dass der DGB-Sekretär nicht mehr Rederecht als andere in der Gruppe haben soll.
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Der Konflikt kündigte sich an, als Wieczorek einen von der Campusgruppe vorbereiteten Flyer, der in satirischer Form die prekären Beschäftigungsverhältnisse an der Uni aufspießte, ablehnte, weil er »in dieser Form dem DGB schadet«. Nähere Begründungen erhielt die Unigruppe nach Angaben eines Mitglieds nicht.

In einem Gespräch mit dem Freiburger Radio Dreyeckland verteidigte der DGB-Vorsitzende Südbaden-Hochrhein Jürgen Höffin die Auflösung vehement. Er sieht auch nachträglich keinen Raum für ein von den Studierenden vorgeschlagenes klärendes Gespräch. Auch einen Offenen Brief der Gruppe wollte er nicht beantworten. Schließlich habe er einzelnen Mitgliedern den Standpunkt des DGB klar vermittelt. Die Campusgruppe habe sich mit der eigenmächtigen Wahl ihrer Sprecher nicht an die Grundsätze des DGB gehalten, die im übrigen auch für Erwerbslosen- und Seniorengruppen des DGB gelten. Es könne schließlich nicht angehen, dass jedes studentische DGB-Mitglied eine Gruppe unter diesem Label gründe.

Ob der DGB-Apparat gut beraten ist, die wenigen überzeugten Gewerkschafter an den Hochschulen abzuwürgen? Studierende, die sich am Campus für den DGB einsetzen, sind eine absolute Minderheit. Dabei wäre angesichts der prekären Arbeitsbedingungen dort eine kämpferische Gewerkschaftspolitik notwendig. Wäre es nicht eine gute Gelegenheit, die auch im DGB diskutierten Grundsätze von Selbstermächtigung und Basisdemokratie einfach umzusetzen?
http://www.neues-deutschland.de/artikel/233706.schlecht-beraten.html
Peter Nowak

Petition gegen Maaßen?

Mathias Bartelt ist Student und Mitglied des Akademischen Senats (AS) der FU Berlin
Der Akademische Senat der Freien Universität (FU) Berlin hat dem künftigen Verfassungsschutz-Chef Georg Maaßen eine Honorarprofessur verweigert. Eine studentische Initiative hat jetzt trotzdem eine Petition gestartet. Warum ist diese noch nötig, wenn die Entscheidung gegen Maaßen ausgefallen ist?
Wir haben die Initiative gestartet, nachdem Maaßen in Zeitungsinterviews erklärt hatte, er könne sich eine Kandidatur vorstellen, wenn sich die Mehrheitsverhältnisse im Akademischen Senat geändert haben.

Wie realistisch ist das? Das ist durchaus möglich, denn die momentane rechnerische Stimmverteilung im Akademischen Senat der FU stellt zum Teil eine Ausnahme dar, weil Listen aus formalen Gründen nicht antreten konnten. Meist war der Akademische Senat in den vergangenen Jahren von einer konservativen Mehrheit geprägt. können sich immer ändern. Ich bin sicher, dass Herr Maaßen so etwas im Hinterkopf hatte.

Warum halten Sie Georg Maaßen für eine Honorarprofessur an der FU-Berlin nicht geeignet? M.B.: Maaßen war als Beamter im Innenministerium mit verantwortlich für die menschenunwürdige Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Als Ko-Schriftleiter und Autor der Zeitschrift „Ausländerrecht und Ausländerpolitik“ hat er sich dort und in anderen Publikationen stets als „Hardliner“ präsentiert, der auch darüber sinnierte, dass verdächtigen Muslimen die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt werden müsste, was ganz klar grundgesetzwidrig ist.
Maaßen ist zudem mitverantwortlich für die Verweigerung der Einreisegenehmigung des vier Jahre unschuldig im US-Lager Guantanamo Bay festgehaltenen Mannes. Wir halten solche Positionen mit einer Honorarprofessur einer Institution, die in einer kritischen wissenschaftlichen Tradition steht, für unvereinbar.

Welche Gruppen haben im Senat gegen die Berufung Maaßens gestimmt?
Als Mitglied des AS darf ich zu Personal-Vorgängen im AS keine Angaben machen.

Worauf stützt sich diese Geheimtuerei bei der Personalentscheidung einer Hochschule? Im Berliner Hochschulgesetz ist festgeschrieben, dass Personalangelegenheiten geheim sind.

Ist eine solche Geheimhaltung in einer Zeit, , wo so viel von Transparenz geredet wird, nicht anachronistisch?
Wir kritisieren diese Geheimhaltungspolitik, die im übrigen nicht nur bei der Professurenberufung praktiziert wird. Auch bei der Diskussion um die neue Grundordnung der Hochschule hat die Fraktion des Hochschulpräsidenten durchgesetzt, dass sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden muss.

Was soll mit der Petition geschehen?
Sie kann in den nächsten 6 Monaten unterzeichnet werden und richtet sich an die Fachbereiche und die Hochschulgremien. Mitten in den Semesterferien läuft die Unterzeichnung natürlich langsam an. Wir wollen dazu beitragen, dass nach Semesterbeginn auch mit Veranstaltungen und Aktionen eine Debatte hierüber entsteht.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/
233614.petition-gegen-maassen.html

Peter Nowak

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Mit dem Steuerrecht auf Extremistenjagd?

Die Kritik an einer scheinbar belanglosen Änderung im Steuerrecht mit möglicherweise großen Folgen wächst

Bislang konnten betroffene Organisationen im Falle einer Erwähnung im Verfassungsschutzbericht ihre Gemeinnützigkeit vor dem Finanzamt oder durch eine Klage vor dem Finanzgericht nachweisen. Durch die geplante Gesetzesänderung ist ihnen diese Möglichkeit künftig verbaut. Es bleibt nur eine zeitaufwendige Klage vor einem Verwaltungsgericht gegen die Nennung im Verfassungsschutzbericht (Steuerrecht als Verfassungsschutz?). Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen fordern daher die Bundestagsabgeordneten auf, dem Jahressteuergesetz 2013 die Zustimmung zu verweigern; in dem Aufruf der Kritiker heißt es:

„Mit dem vorgelegten Gesetz will die Bundesregierung die Abgabenordnung (AO) so ändern, dass Organisationen, die in einem Verfassungsschutzbericht im Zusammenhang mit Extremismus genannt werden, die Gemeinnützigkeit ohne Prüfung entzogen wird (§ 51, Absatz 3, AO). Damit würde dem Verfassungsschutz ermöglicht, de facto über den Fortbestand gemeinnütziger Organisationen zu entscheiden.“

Stärkung des VS im Windschatten des NSU-Skandal

Die innenpolitische Sprecherin der Linken Ulla Jelpke stellt einen Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion über die Rolle des Verfassungsschutzes im NSU-Skandal her: „Dass nach dem Willen der Bundesregierung zukünftig ausgerechnet die Versager vom Verfassungsschutz mit ihren politischen Einschätzungen gemeinnützige Vereine finanziell ausbluten können, ist politisch und rechtlich bedenklich“, erklärt die Parlamentarierin .

Erstaunlicherweise übernimmt Jelpke mit dem Begriff des Versagens eine aktuell sehr weit verbreitete Version der Rolle des Verfassungsschutzes. Es gibt allerdings durchaus Kritiker dieser Lesart. Zudem ist die Kehrseite des Versagens dann ein rekonstruierter und eben effektiver Verfassungsschutz. Daher ist es kein Widerspruch, dass im Windschatten der NSU-Debatte Pläne für eine Verstärkung der Behörden diskutiert wird. Ulla Jelpke, die dagegen für eine Auflösung eintritt, müsste eigentlich die These vom Versagen der Dienste kritischer betrachten.

Die Bundesregierung hat in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage von Jelpke ihre Pläne noch einmal bekräftigt, mit dem Steuerrecht gegen angebliche Extremisten vorzugehen. In der Antwort an die Linken bekräftigte ein Sprecher der Bundesregierung, dass sie weiter zu einer Antwort auf eine Anfrage der FDP vom Jahr 2008 steht.

„Nach den Grundsätzen unseres Rechtsstaats reicht ein Verdacht oder eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz noch nicht für eine Sanktion – hier: Aberkennung der Gemeinnützigkeit – aus.“

Die Organisation müsse vom VS ausdrücklich als extremistisch bezeichnet worden sein, um die Gemeinnützigkeit zu verlieren. Jelpke weist mit Recht darauf hin, dass es sich hier bei um keinen definierten Rechtsbegriff, sondern um einen Kampfbegriff handele. Manche Kritiker dieser geplanten Klausel hoffen darauf, dass die FDP ihr bürgerrechtliches Engagement entdeckt und die Extremismusklausel aus dem Steuerrecht entfernt.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152468
Peter Nowak

Waffenhändler verstecken sich hinter bürgerlicher Fassade

Der Aktionskünstler Philipp Ruch über eine Initiative gegen Eigentümer des Rüstungskonzerns Krauss-Maffei

nd: Wie kamen Sie auf die Idee, die Panzerfamilie im Fall von Krauss-Maffei an die Öffentlichkeit zu bringen?
Philipp Ruch: Durch einen Auszug des Handelsregisters und entsprechende Vorrecherchen wurde uns klar: Das ist keine kleine Sache, wenn ein Bundesvorstand der Humanistischen Union, eine Berufsschullehrerin, eine Fotografin und ein Künstler aus der Pfalz sich hinter bürgerlichen Fassaden und schöngeistigen Engagements verstecken und nebenher von Millionengewinnen aus schmutzigen Waffendeals leben. Wir wollten den Eigentümern keine andere Wahl lassen, als in den Spiegel zu sehen und sich nach delphischem Muster zu erkennen. Einer der Waffenhändler hielt das für einen Angriff auf seine »Reputation und Integrität«. Nun ist ihm klar geworden, dass er diesen Angriff jahrzehntelang selbst geführt hat – nicht wir.

Wer steckt hinter der Gruppe Zentrum für politische Schönheit?
Wir sind ein Thinktank, der versucht, die Eigentümer des größten deutschen Panzerkonzerns auf den richtigen Weg zu bringen. Geschäfte wie das mit Saudi-Arabien darf es nie wieder geben. Dafür tragen die Eigner die Verantwortung und dafür wollen wir sie auch zur Verantwortung ziehen. Wir haben zehn Aktionen ausgearbeitet und wieder verworfen, bis wir zu der Form gelangt sind, die Sie jetzt betrachten können. In einer früheren Fassung wollten wir die Eigentümer entführen. Wir haben auch tatsächlich nach einer neuen Beate Klarsfeld gesucht.

Warum haben Sie auch das Privatleben der Eigentümer in Ihre Kampagne einbezogen?
Händler, die von Waffengeschäften in Milliardenhöhe leben, müssen dazu stehen, wenn sie die Gewinne kassieren wollen. Sie können und dürfen sich nicht hinter gesellschaftlichen Engagements verstecken und nebenher mit ihren Produkten eine der schlimmsten Diktaturen der Welt aufrüsten. Das war unser vorrangiges Ziel. Dass darüber hinaus die nächsten Bekannten und Weggefährten der Waffenhändler nichts von den Einkommensquellen der Eigentümer wussten, war ein großes Glück. Wir hoffen, dass der Saudi-Arabien-Deal schon daran scheitern wird.

Es wird kritisiert, Ihre Aktion stelle Menschen an den virtuellen Pranger und lade zur Denunziation ein.
Diese Kritik nehmen wir ernst. Für Denunziationen braucht es einen Unrechtsstaat oder allgemein ein dysfunktionales Rechtssystem. Wir glauben aber an das deutsche Recht, das u.a. die Freiheit der Kunst, sich auch mit Waffenhändlern intensiv auseinanderzusetzen, schützt. Wir haben nur »Denunzianten« gesucht für strafrechtlich relevante Vergehen. Wenn eine Person mit ihrem Vermögen Steuern hinterzieht, sollte sie dafür auch rechtmäßig in Haft kommen. Es war nicht unser Ziel, Reputation zu beschädigen, sondern es wurden öffentlich zugängliche Informationen zusammengetragen, wodurch falsche Reputationen automatisch verschwanden. Ansonsten müssten wir auch vom Handelsregisterpranger sprechen.

Welche juristischen Folgen kommen jetzt auf Sie zu?

Die Waffenindustrie ging mit Staranwälten gegen uns vor. Zunächst erwirkte Krauss-Maffei Wegmann über den größten Eigentümer Rüdiger von Braunbehrens eine Unterlassungserklärung gegen unser Projekt. Vergangenen Dienstag veröffentlichten wir eine interne E-Mail des Künstlers und Waffenhändlers Burkhard von Braunbehrens. Zwei Tage darauf setzte er uns eine knappe Frist von mehreren Stunden, die E-Mail zu löschen.

Wie wollen Sie weiter vorgehen?

Es kann nicht angehen, dass reiche Waffenhändler uns verklagen. Wir brauchen dringend Spenden für den juristischen Gegenschlag. Die können eingezahlt werden auf ein Konto der GLS Bank. Kontoinhaber: Initiative für die Verteidigung der Menschlichkeit e.V., Konto Nr. 1115471800, BLZ: 43060967
http://www.neues-deutschland.de/
artikel/233278.waffenhaendler-verstecken-sich-hinter-buergerlicher-fassade.htm
Interview: Peter Nowak

Mit Bankenschelte in den Wahlkampf

Mit Bankenbashing versucht sich SPD-Chef Gabriel von Merkel abzusetzen und innerparteilich in Stellung zu bringen

Eigentlich ist die SPD in den letzten Wochen kaum präsent. Einige ihrer Spitzenpolitiker werfen Bundeskanzlerin Merkel zwar regelmäßig vor, sie brauche zu lange, um in der Eurokrise die Positionen einzunehmen, die die SPD schon immer vertritt. Doch wenn es zur Abstimmung kommt, stimmen die Sozialdemokraten in der Regel brav mit der Regierung, wie vor einigen Tagen bei der Entscheidung über die Finanzhilfen für die spanischen Banken. Da meldete sich sogar die Parteibasis zu Wort und wagte zögerliche Kritik an dieser Finanzspritze.

Nun hat es der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel doch noch geschafft, mit einem Thesenpapier im Sommerloch einige Tage für Schlagzeilen zu sorgen. Dabei werden in den Medien einige prägnante Sätze über das Erpressungspotential der Banken zitiert und schon entsteht der Eindruck, die SPD entwickele sich zur Kapitalismuskritikerin. Nun ist Bankenbashing noch keine Kapitalismuskritik, oft sogar das Gegenteil davon. Doch dieThesen lesen sich wie eine Mixtur aus kirchentagstauglichen Floskeln und Stammtischweisheiten.

„Banken diktieren die Politik“, heißt es in den Thesen und ebenso: „Banken zocken die Kunden ab“, „Banken manipulieren“ und „spekulieren riskant mit dem Geld ihrer Sparer“. Alles keine Neuigkeiten und alles andere als radikal. Den Zweck der Übung hat Gabriel gleich mit aufgeschrieben. „Die Bundestagswahl 2013 muss zu einer Entscheidung über die Bändigung des Banken- und Finanzsektors werden.“

Tatsächlich hat das Papier eine so große mediale Aufmerksamkeit bekommen, weil Gabriel damit den Ton für den kommenden Wahlkampf vorgeben will. Allerdings geht es erst einmal um den Kampf um die Nummer eins innerhalb der SPD. Da sind seine Kontrahenten mit Peer Steinbrück und Walter Steinmeier nicht zufällig zwei Exponenten der Schröder-SPD, die gemeinsam mit den Grünen wesentliche Regulierungen im Banken- und Finanzsektor abbauten. Darauf haben Unionspolitiker in einer ersten Replik sofort hingewiesen.

Noch ist längst nicht ausgemacht, ob Gabriel im innerparteilichen Machtkampf Erfolg hat. Im Gegenteil: Dem ehemaligen Pop-Beauftragen der SPD werden im Machtkampf nur Chancen eingeräumt, wenn sich die Exponenten der Schröder-SPD, Steinbrück und Steinmeier, untereinander zerstreiten. Aber auch hier könnte Gabriel schnell ins Hintertreffen geraten, falls sich Hannelore Kraft, die in Umfragen schon als erfolgreichste Merkelherausforderin gehandelt wird, doch noch entschließt, in die Bundespolitik zu gehen.

Wiederauflage der Heuschreckenkampagne

Doch Gabriels Thesen könnten auch ohne ihn an exponierter Stelle zum Ton des nächsten SPD-Wahlkampfs werden. Schließlich sind sie allgemein genug gehalten und sie greifen einen sich in der Krise steigernden Unmut in der Bevölkerung auf. Das Lamento über die Gier der Bankmanager ist dann schnell zu hören. Hier will Gabriel die SPD gleichermaßen gegen die gegenwärtigen Regierungsparteien als auch gegen die Linkspartei in Position bringen.

Letztere wird von verschiedenen SPD- Politikern in öffentlichen Statements gerne schon als erledigter Fall betrachtet. In Wirklichkeit ist den führenden SPD-Politikern klar, dass es Wunschdenken ist. Mit verbaler Bankenkritik und Gerechtigkeitsfloskeln hofft man dem Wunsch näher zu kommen. Das Ganze wirkt wie eine Neuauflage der Heuschreckenkampagne, mit der der damalige Parteivorsitzende Franz Müntefering den Sozialdemokraten 2005 in der Endphase der Schröder-SPD einen Hauch von sozialer Kompetenz erhalten wollte.

Die Kritik, die er damit erntete, gehörte zum Konzept. So wie Müntefering später loyaler Koalitionspartner der Merkel-CDU wurde, dürften sich auch die aktuellen SPD-Führungsvertreter ähnliche Hoffnungen machen. Schließlich gilt eine große Koalition als wahrscheinlichste Regierungsvariante nach der nächsten Bundestagswahl und so ist an die Spitzenkandidatur auch der Vizekanzlerposten gekoppelt. Mögen nach dem rosagrünen Wahlerfolg in Nordrhein-Westfalen auch manche in der OPD wieder an eine solche Regierungskombination im Bund denken, bleiben die Realisierungsmöglichkeiten gering. Sollten wieder fünf – oder mit den Piraten sechs Parteien – in den Bundestag einziehen, ist eine Mehrheit aus SPD und Grüne eher unwahrscheinlich.

Zudem machen die jüngsten Querelen bei den Grünen deutlich, dass sich dort wieder Kräfte melden, die von der Orientierung an die SPD loskommen will. Darauf zielen die Kritiker des Duos Trittin/Roth, das als Garant einer solchen Anlehnung an die SPD gilt. Dass jetzt von den Kritikern mit Kathrin Göhring Eckardt eine Befürworterin der Öffnung auch zur Union in die Diskussion gebracht wurde, macht deutlich, dass es auch nach der nächsten Wahl Regierungsoptionen ohne SPD gibt.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152436
Peter Nowak

Ende einer kranken Logik


Neben positiven Reaktionen auf das Urteil des Bundesverfassungsgesetzes zu den Leistungen für Flüchtlinge gibt es auch Hetze von rechts

„Jahrelang haben Politiker Flüchtlingen ein menschenwürdiges Leben verweigert. Gut, dass das Verfassungsgericht den Betroffenen recht gibt. Traurig, dass die Sache erst vor Gericht landen musste.“ So wie dieser Kommentar der Frankfurter Rundschau zum aktuellen Urteil des Bundesverfassungsgericht zu den finanziellen Leistungen für Flüchtlinge, bewerten es viele als ein Trauerspiel der Politik, dass jahrelang Menschen bewusst Gelder vorenthalten worden sind.

Auch der Flüchtlingsrat Brandenburg spricht in einer ersten Stellungnahme von einer schallenden Ohrfeige für die Bundesregierung. „Ihre Politik der menschenunwürdigen Behandlung von Flüchtlingen muss nun endlich ein Ende haben. Das AsylbLG ist nicht reformierbar und gehört abgeschafft“, lautet das Fazit der Sprecherin des Brandenburger Flüchtlingsrats Beate Selders. Ähnlich kommentiert Pro Asyl das Urteil. Es habe klargestellt, dass Flüchtlinge keine Menschen zweiter Klasse sind.

Hetze von Rechtsaußen

Erwartungsgemäß anders fallen die Reaktionen in den Kreisen aus, die ihre Politik gerade darauf abstellen, Menschen nach Nation und vermeintlicher Rasse auszusortieren. „Abschaffung des Sozialstaats – mehr Geld für Asylbewerber“ setzt die NPD-Thüringen ihre Kampagne gegen alle, die sie als Nichtdeutsche klassifiziert, fort. „Geld für alle Welt – wenn die Deutschen nicht endlich aktiv Widerstand gegen derlei Ungerechtigkeiten leisten und ihrem Zorn wirkungsvoll Ausdruck verleihen, haben die Ausländerlobbyisten ihr Ziel erreicht und letztlich Deutschland abgeschafft“, heißt es bei der NPD. Das kann fast 20 Jahre nach dem pogromartigen Auseinandersetzungen eines rechten Mobs gegen Flüchtlinge in Rostock durchaus als Drohung verstanden werden. Zumal solche Äußerungen nicht nur aus der Ecke der NPD, von der nichts anderes erwartet wird, kommen.

Während die rechtskonservative Junge Freiheit noch relativ neutral über das Urteil berichtet, würden viele Leserkommentare auch die NPD-Ideologen erfreuen. Da wird von der Wut des Volkes geraunt und den Richtern geraten, „selber für die Asylbewerber zu blechen“. Dabei berufen sie sich u.a. auf Sarrazin. Auch beim rechtspopulistischen Onlineportal PI-News finden sich unter einem Kommentar zum Urteil hetzerische Kommentare. In dem Text auf der Homepage wird positiv an die Schweiz erinnert, wo die Leistungen für Flüchtlinge sinken würden. Auf der Kommentarspalte wird ein Link zwischen den Leistungen für Flüchtlinge und der Eurokrise gezogen und Deutschland als Opfer imaginiert.

Hartz IV für alle?

Nun muss sich zeigen, wie die Politiker der etablierten Parteien das Urteil kommentieren und ob es auch dort populistische Zungenschläge gibt. Noch am Wochenende hatten in der linksliberalen Tageszeitung unter der Rubrik Streit der Woche nicht nur Unionspolitiker, sondern auch ein parteilose Leser dafür plädiert, die Leistungen für Flüchtlinge nicht zu erhöhen.

Wenn jetzt Länderpolitiker davor warnen, dass durch die Mehrbelastung, die durch das Urteil entsteht, womöglich Erwerbslose benachteiligt würden, sind populistischen Zungenschläge schon angelegt. Weitgehend kommentarlos haben die aktiven Erwerbslosengruppen in Deutschland auf das Urteil reagiert. Dabei hätten sie Grund, darauf hinzuweisen, dass Hartz IV für alle Menschen unzumutbar ist, ihr Ziel müsste sein, für alle Menschen, die hier leben, ein akzeptables Einkommen zu erstreiten.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152414
Peter Nowak

Aktion gegen „Panzerfamilie“: die Grenzen der Kunstfreiheit

Während die Familie, die zu den Eigentümern von Krauss-Maffei gehört, juristisch auf die Aktion „25000 Euro“ reagiert, wächst auch andernorts der Widerstand gegen deutsche Rüstungsexporte

Eigentlich können die Politkünstler vom Zentrum für politische Schönheit zufrieden sein. Nur wenige Wochen, nachdem sie im Internet bekannt machten, dass zu den Eigentümern der Waffenhersteller Krauss Maffei bekennende Philanthropen und Humanisten gehören, die in ihrer Freizeit in diversen Menschenrechtsorganisationen engagiert sind, haben zwei der Familienmitglieder sich vom Panzerdeal mit Saudi Arabien distanziert.

So erklärte Burkhart von Braunbehrens in einem Interview, den Waffendeal mit Saudi Arabien verhindern zu wollen, und auch Vera von Braunbehrens ließ verlautbaren, das Waffengeschäft nicht zu billigen. Damit sind zwei Mitglieder der „Panzerfamilie“ auf Distanz gegangen. Im Internet wird nun darüber debattiert, wie ernst diese Distanzierungen gemeint sind und vor allem, ob damit auch die Bereitschaft verbunden ist, auf die Profite an dem Rüstungsdeal zu verzichten. Diese Reaktionen sind ganz im Sinne der Kampagne, wie sie auf der Homepage der Politkünstler in sechs Schritten skizziert ist. Mittlerweile ist der unter Punkt 6 genannte Machtkampf zwischen den beiden Eigentümerfamilien von Krauss Maffei im Gange und der Ausgang ist noch ungewiss.

Anwaltskosten drohen Initiative lahmzulegen

Doch mittlerweile haben die Braunbehrens auch juristische Schritte gegen die Künstler eingeleitet. Deshalb musste die Webseite umgestaltet werden, bestimmte Formulierungen durften nicht mehr verwendet werden. Doch gravierender für die Künstlerinitiative sind die Kosten, die durch die Klagen auf sie zukommen. „Am Freitag mussten wir sogar die Anwaltskosten des 90fachen Millionärs und Waffenhändlers Rüdiger von Braunbehrens (1.248,31 Euro) schultern. Unsere Webseite mussten wir selbst zensieren, um Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe abzuwenden“, erklärt Philipp Ruch vom Zentrum für politische Schönheit.

Die Initiative ruft zu Solidaritätsspenden auf. Die sollen bei der GLS-Bank auf ein Konto der „Initiative für die Verteidigung der Menschlichkeit e.V.“ eingezahlt werden. Leider inszeniert sich die Initiative fast in Occupy-Manier als Interessenvertreter von nicht gleich 99, aber doch 94 Prozent der deutschen Öffentlichkeit, die laut Meinungsumfragen gegen den Export der Leopard 2 Panzer nach Saudi Arabien seien. Wenn Ruch in seinem Solidaritätsaufruf so oft betont, wie viel die Initiative bereits riskiert hat und sie jetzt „nicht mit Waffen sondern per Gerichtsverfahren“ zum Schweigen gebracht werden soll, klingt das Eigenlob doch sehr deutlich durch. Dabei hätte sie das gar nicht nötig. Schließlich hatte die Aktion eine überwiegend positive Berichterstattung. Zudem hat die Initiative mittlerweile Nachahmer bei Politaktivisten gefunden.

Unter dem Motto „Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“ agieren zahlreiche Initiativen und Nichtregierungsorganisionen gegen den deutschen Waffen- und Rüstungsgüterexport. Ein Kampagnenschwerpunkt lautet auch dort, „den Tätern Namen und Gesicht zu geben“. In der letzten Augustwoche soll im Namen eines Illuminationsprojekts eine Bildmontage mit Bundeskanzlerin Angela Merkel als Panzerkommandantin per Laserstrahl an öffentliche Gebäude projiziert werden. Auch Aktionen am Firmensitz des Panzerherstellers Krauss Maffei-Wegmann in Kassel gehören zum Protestfahrplan.

Allerdings sollen auch die Firmensitze von anderen Unternehmen besucht werden, die am Rüstungsgeschäft verdienen. Dazu gehören die ATM-Computersysteme in Konstanz, die die Software für den Leopard-Panzer liefern, wie die Diehl-Defence in Überlingen, die Geschäfte mit der Produktion von Munition, Drohnen und Panzerketten macht, sowie die MTU Friedrichshafen GmbH, die Panzermotoren herstellt.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152408

Peter Nowak

Den Hass aufstocken

Wie funktioniert die Stimmungsmache gegen »Transferbezieher«? Eine Untersuchung zeigt, was Bild-Leser von Empfängern des ALG II halten.

Kürzlich versorgte die Bild-Zeitung aus Anlass ihres 60jährigen Bestehens alle deutschen Haushalte mit einem Gratisexemplar. Auch der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) durfte seine Meinung in dieser Jubiläumsausgabe kundtun. Das Boulevardblatt könne »nur Trends verstärken, aber keine eigenen setzen«, befand Schröder im Interview. »Es muss immer eine Stimmung da sein, an die Bild anknüpfen kann.« In der Bevölkerung vorhandene Stimmungen zu nutzen, beherrschte auch er als Kanzler der Agenda 2010 virtuos. Schon zu Beginn seiner Amtszeit stellte er klar: »Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft.«

Der Ausspruch stieß nicht nur an Stammtischen auf Zuspruch. Bild nahm die Stimmung auf und sorgte mit der eigenen Berichterstattung dafür, dass sie erhalten blieb und verstärkt wurde. Das ist das alltägliche Kerngeschäft der Zeitung seit ihrer Gründung. Die Soziologen Britta Steinwachs und Christian Baron haben nun unter dem Titel »Faul, frech, dreist« ein Buch im Verlag »Edition Assemblage« herausgebracht, in dem sie genauer untersuchen, wie die Stimmungsmache gegen Arbeitslose funktioniert.

Anhand des Untertitels »Die Diskriminierung von Erwerbslosigkeit durch Bild-Leser*innen« wird schon deutlich, dass die Autoren einigen gedanklichen Kurzschlüssen mancher Kampagnen gegen die Bild-Zeitung nicht erliegen, in denen das Boulevardblatt vor allem als Medium denunziert wurde, das die Bevölkerung im Sinne der Herrschenden manipuliere. Baron und Steinwachs hingegen konstatieren nicht nur in der Ober- und Mittelschicht, sondern auch unter Lohnabhängigen und sogar den Erwerbslosen selbst eine Stimmung gegen Erwerbslose, die angeblich nicht arbeiten wollen und zu Unrecht Leistungen beziehen.

Als Grundlage der Untersuchung dient die Berichterstattung über den von Bild zu »Deutschlands frechstem Arbeitslosen« stilisierten Arno Dübel. Weil der schwer kranke und seit Jahrzehnten Arbeitslosengeld beziehende Mann sich dafür in der Öffentlichkeit nicht schämte, sondern freimütig bekannte, es gebe für ihn Schöneres als Lohnarbeit, wurde er zum Gegenstand ­einer Kampagne, an der sich die Leser der Zeitung eifrig beteiligten. Die Autoren haben hierzu Leserkommentare auf Bild.de ausgewertet und in ihre Untersuchung einbezogen. Sie sind in Auszügen auf mehr als 20 Seiten abgedruckt und liefern einen Eindruck von »Volkes Stimme«. Während schriftliche Leserbriefe vor dem Abdruck häufig noch verändert werden, zeigen die Beiträge im Internet ungefiltert, was die Kommentatoren aus der Bevölkerung über Menschen denken, die nicht dazu bereit sind, ihre Arbeitskraft zu jedem Preis und unter allen Bedingungen zu verkaufen.

Genau das nämlich forderten viele, die sich auf Bild.de über Dübel äußerten. Selbst Krankheit und Alter wurden dabei nicht mildernd berücksichtigt. So empfahlen gnädige Bild-Leser, der Mann solle zum »Pappe aufheben im Park« verpflichtet werden oder Einkaufswagen einsammeln. Andere wünschten, er solle im Winter unter Brücken schlafen oder »ganz weggesperrt« werden. »Auf die Straße mit dem Arbeitsverweigerer, der hat nichts anderes verdient«, urteilte eine Person. Schon in der Wortwahl wird deutlich, dass es den meisten Usern um Sanktionierung und Repression ging. Doch Bild-Leser haben auch ein Herz. »Der arme Hund. Der kann doch nichts dafür«, litt ein Schreiber beispielsweise mit Dübels Haustier.

Häufig verwiesen diejenigen, die sich besonders bei der Hetze gegen den Mann hervortaten, darauf, dass sie auch arbeiteten, ohne staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. »Also, ich gehe gerne jeden Morgen arbeiten und bin nicht neidisch auf solche Schmarotzer wie Dübel«, lautet ein repräsentativer Satz. Einige betonten stolz, keine ALG-II-Empfänger in ihrem Freundeskreis zu haben. Manche fanden es besonders verabscheuungswürdig, dass Dübel mit seinem Verhalten »die ehr­lichen und anständigen Arbeitslosen« verunglimpfe.

»Wer Gesetze zu seinem Lebensunterhalt in Anspruch nehmen will, muss sich an die Regeln dieser Gesetze halten«, lautete eine gängige Auffassung. Zwar führten wenige Leser Konventionen und Gesetze an, die es verbieten, einen offensichtlich kranken Mittfünfziger mittellos auf die Straße zu setzen. Andere Kommentatoren sahen denn auch gerade in der Existenz solcher Bestimmungen einen schweren Fehler des Sozialstaats. Häufig endeten solche Postings mit den Worten: »Armes Deutschland!«

Baron und Steinwachs haben eine ergiebige Übersicht geliefert. Doch so begrüßenswert ihr Ansatz ist, die Rolle der Bild-Leser in den Mittelpunkt ihre Untersuchung zu rücken und damit die plumpe These zu hinterfragen, das Boulevardblatt betreibe Manipulation von oben, so fragwürdig bleiben ihre weiteren Erklärungen. Sie interpretieren die Hassbotschaften, die sich gegen Dübel richteten, als ein Beispiel von »Klassismus«, einer Diskriminierung von Erwerbslosen durch Lohnabhängige. Allerdings ist diese Klassifizierung in zweifacher Hinsicht fragwürdig.

So dürften zu den Kommentatoren auf Bild.de auch pflichtbewusste Erwerbslose gehören, die ihre ständige Suche nach Lohnarbeit von jemandem wie Dübel lächerlich gemacht sehen. Davon zeugt die Empörung über die vermeintliche Verunglimpfung »ehrlicher und anständiger Arbeitsloser«. Andererseits finden sich unter den Empfängern von ALG II immer mehr Menschen, deren Lohnarbeit nicht mehr ihre Lebenskosten deckt und die daher staatliche Unterstützung benötigen.

Zu diesem Ergebnis kommt eine im Juni veröffentlichte Studie des DGB. Demnach ist das Verarmungsrisiko für Erwerbstätige in den vergangenen Jahren gestiegen und weist zudem regionale Unterschiede auf. In den alten Bundesländern waren Ende 2011 durchschnittlich fast 29 Prozent der ALG-II-Empfänger erwerbstätig. Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR war es fast ein Drittel. In Brandenburg, Sachsen und Thüringen ist sogar mehr als ein Drittel von ihnen berufstätig. Zwischen 2007 und 2010 stieg die Zahl der Haushalte mit mindestens einem erwerbstätigen Empfänger von ALG II in den alten Bundesländern um 14 Prozent, in Ostdeutschland um elf Prozent. Am stärksten war der Anstieg in Berlin. Aber in Bremen, Hessen und Hamburg ist die Zahl der sogenannten Aufstocker ebenfalls stark gestiegen.

Auch sie werden häufig den »Transferbeziehern« zugerechnet und in abwertender Weise den Lohnabhängigen gegenübergestellt, die ohne staatliche Unterstützung auskommen. Der Begriff des Sozialchauvinismus, mit dem linke Gruppen diese Art der Diffamierung in jüngster Zeit häufiger bezeichnen, ist treffender, als von »Klassismus« zu sprechen, denn er umfasst die Aversion gegen die »Transferbezieher«, die eine zentrale Rolle spielt. Der Sozialchauvinismus kann dabei ALG-II-Empfänger mit und ohne Lohnarbeit genauso treffen wie einen Staat wie Griechenland und seine Bevölkerung. Es ist kein Zufall, dass sich auch hier Bild besonders dabei hervortut, vorhandene Stimmungen zu verstärken.
http://jungle-world.com/artikel/2012/28/45835.html
Erwiderung von Andreas Kemper:
http://andreaskemper.wordpress.com/2012/09/24/sozialchauvinismus-oder-klassismus/
Peter Nowak

Bundessozialgericht kippt Hartz IV-Sätze nicht

In einer aktuellen Entscheidung bewertet das Gericht die Hartz IV-Sätze als mit dem Grundgesetz vereinbar

Geklagt hatte eine arbeitslose 54-jährige Frau, die im Raum Mannheim allein in einer Mietwohnung lebt. Sie hält den Hartz-IV-Satz für Erwachsene von derzeit 374 Euro pro Monat für zu niedrig und forderte rund 1.000 Euro. Andernfalls seien ihre Menschenwürde und das Sozialstaatsprinzip verletzt. Bereits das Landessozialgericht Baden-Württemberg hatte ihre Klage 2011 abgelehnt. Das vom Gesetzgeber gewählte Statistikmodell, das auf den Verbrauch der 15 Prozent niedrigsten Verdiener in Deutschland abstellt, sei zulässig. Abschläge für chemische Reinigung, Färben der Kleidung, aber auch für Alkohol seien vertretbar, so die Richter. Weil die Frau in Revision ging, musste sich nun erstmals das Bundessozialgericht in einem Piloturteil mit den Hartz IV-Sätzen befassen.

Hoffnungen auf Bundesverfassungsgericht?
Auch einige Erwerbslosengruppen machten sich große Hoffnungen, dass die neuen Hartz IV-Sätze juristisch zu Fall gebracht werden könnten. Ihre Hauptargumente lauteten, bei den neuen Hartz-Sätzen seien als Vergleichsmaßstab statt vorher 20 Prozent nur 15 % der Bevölkerung mit niedrigem Einkommen herangezogen worden. Sie sind daher anders, als es das Bundesverfassungsgericht 2010 in seinen Urteil gefordert hatte, nicht nachvollziehbar und transparent errechnet worden.

Zudem seien in dieser Gruppe auch Menschen im Niedriglohnsektor vertreten gewesen, denen eigentlich Leistungen nach Hartz IV zustehen, die aber diese Leistungen nicht beantragen. Auf diese Weise wurde der Satz künstlich niedriger berechnet. Zudem halten es die Erwerbslosengruppen nicht für plausibel, dass ein Essen im Restaurant oder Geld für Schnittblumen oder alkoholische Getränke nach dem Willen der Bundesregierung nicht mehr zu den Posten gehören sollen, die aus dem Regelsatz für Hartz-IV-Bezieher bezahlt werden. Damit werde der Grundsatz verletzt, dass das Existenzminimum auch die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen ermöglichen müsse.

Dieser Lesart ist das Bundessozialgericht nicht gefolgt und steht jetzt in der Kritik von Erwerbslosenaktiven. So moniert Martin Behrsing vom (Erwerbslosenforum Deutschland

„Das Bundessozialgericht (BSG) hält die sogenannte Hartz-IV-Reform von 2011 und die damit verbundene Armut verfassungsgemäß.“

Behrsing wirft den Kassler Richtern vor, „kaum etwas mit den Realitäten der Hartz IV-Armut zu tun zu haben“. Allerdings war es von Anfang auch unter aktiven Erwerbslosen umstritten, mangels einer durchsetzungsstarken Bewegung auf die Richter zu setzen. Doch noch sind die Hoffnungen auch bei den Erwerbslosen, die auf den Rechtsweg setzen, nicht ganz geschwunden.

Schließlich muss sich auch das Bundesverfassungsgericht noch mit den Hartz IV-Sätzen befassen. Denn Ende April hatte die 55. Kammer des Sozialgerichts Berlin die Position vertreten, dass die Hartz-IV-Sätze derzeit für Erwachsene um 36 Euro im Monat zu niedrig liegen. Richter Georg Rudnik hat daher seinerseits das Bundesverfassungsgericht um Prüfung gebeten (Hartz IV beschäftigt weiter die Gerichte). Die Karlsruher Richter sind nicht von den Entscheidungen der Kasseler Kollegen abhängig. Allerdings beobachten sie die Rechtssprechung und können sich mit ihrer Entscheidung Zeit lassen. So mag der Richterspruch aus Kassel nicht alle Hoffnungen auf ein juristisches Aus der Hartz-IV-Sätze bedeuten, ein Dämpfer ist er allemal.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152382
Peter Nowak

Bundeswehr-Geböbnis: mit Pomp und Demo

MILITÄR Zum ersten Mal seit drei Jahren rufen Kritiker des Bundeswehr-Gelöbnisses zum Protest
Mit viel Pomp wird die Bundeswehr auch am diesjährigen 20. Juli ihr Gelöbnis im Bendlerblock in Tiergarten zelebrieren. Allerdings melden sich zum ersten Mal seit drei Jahren auch die KritikerInnen wieder zu Wort: Bereits um 17 Uhr ruft das „Berliner Bündnis gegen Krieg und Militarisierung“ ab Heinrich-Heine-Platz zu einer Demo unter dem Motto „Krieg beginnt hier – Widerstand auch“ auf.

Die Demo führt an verschiedenen Orten vorbei, die mit Krieg und Rüstung zu tun, so Bündnissprecherin Alina Meyer. Dazu soll neben den Sitzen des Bundesverbands der Deutschen Industrie und dem Auswärtigen Amt auch das Jobcenter Kreuzberg gehören. In der Nähe soll mit einer Rede darauf hingewiesen werden, dass die Bundeswehr nach der Abschaffung der Wehrpflicht dazu übergeht, in Jobcentern für Berufe bei der Armee zu werben.

Mit der Demo knüpft das Bündnis an die 1990er Jahre an, als die Proteste gegen das Gelöbnis noch einen wichtigeren Stellenwert in der linken Terminplanung hatten. Mehrere tausend Menschen hatten sich damals daran beteiligt. Mit der Zeit ging die Anzahl der TeilnehmerInnen jedoch massiv zurück.

„Wir wissen, was wir wollen – nämlich der heroischen Selbstinszenierung der Bundeswehr entgegentreten“, sagt diesmal jedoch Frank Brendle vom Büro für antimilitaristische Maßnahmen. Das Büro wird am Abend des 20. Juli am Kreuzberger Heinrichplatz eine satirische Videokundgebung veranstalten. Unter dem Motto „Spott und Hohn der Bundeswehr“ werden satirische Filmschnipsel zum Thema Militär unter anderem mit Charlie Chaplin, Monty Python sowie Erich Mühsam geboten – jeweils vertont von der Punkband Slime.

„Auch wenn der Protest gegen das Gelöbnis momentan keine Massen anzieht, kann das für uns kein Grund sein, unsere Anti-Kriegs-Positionen in der Öffentlichkeit nicht deutlich zu artikulieren“, betont Alina Meyer vom Demo-Bündnis.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/
?ressort=bl&dig=2012%2F07%2F13%2Fa0195&cHash=7006de1829
Peter Nowak

Eine Frage des Selbstverständnisses

Dürfen linke Anwälte Neonazis verteidigen? Ein Fall in Freiburg sorgt für heftige Debatten
Eine Anwältin aus dem linken Spektrum hat ihr Umfeld gegen sich aufgebracht, weil sie einen Neonazi gerichtlich vertritt. Dieser soll einen jungen Antifaschisten schwer verletzt haben. Die Diskussion in Freiburg berührt Grundsatzfragen des linken Selbstverständnisses.

Das Verfahren gegen den Neonazi Florian S. sorgt seit Wochen für Aufmerksamkeit. Der 30-jährige Versicherungsvertreter ist vor dem Freiburger Landgericht wegen versuchten Totschlags angeklagt. Er wird beschuldigt, am 1. Oktober 2011 einen 21-jährigen Antifaschisten angefahren und schwer verletzt zu haben. Morgen soll das Urteil gesprochen werden.

Linke Gruppen gehen davon aus, dass S. mit voller Absicht in eine Gruppe Antifaschisten gerast sei und verweisen auf dessen Facebook-Seite, auf der er sich in Vernichtungsfantasien gegen politische Gegner ergehe. So habe er dort angekündigt, nur darauf zu warten, von Antifaschisten angegriffen zu werden, um sie dann »in Notwehr die Klinge fressen zu lassen«.

Kurz nach Beginn des Verfahrens landete der Angeklagte einen Coup, der nun in linken Kreisen für Streit sorgt. So behauptete Florian S., aus der Naziszene ausgestiegen zu sein und feuerte seine bisherige Anwältin Nicole Schneider, die in rechten Kreisen einen guten Namen hat. Zu seinem neuen Verteidigerteam gehört die junge Anwältin Tina Gröbmayr, bis dahin Sprecherin der Grünen Alternative Freiburg (GAF), einer linken Abspaltung der lokalen Grünen. Als Studentin war sie aktiv beim Arbeitskreis Kritischer Juristen (akj). Ihr neuer Job bringt nicht nur mit sich, Entlastendes für ihren Mandanten zu suchen, sondern könnte auch bedeuten, die Antifas in ein schlechtes Licht zu rücken, wenn es der Verteidigung dient. Gröbmayrs politisches Umfeld reagierte entsetzt.

Vier Vorstandskollegen traten nach dem Bekanntwerden der Mandatsübernahme zurück, ein Ex-Vorstandsvorsitzender ganz aus der Gruppierung aus. Auch die beiden GAF-Stadträte haben kein Verständnis für die Entscheidung, so dass Gröbmayr inzwischen ihren Sprecherposten abgeben musste. Die Vorwürfe weist sie jedoch zurück. In Interviews erklärte sie, sie sei vor allem Anwältin, persönliche politische Auffassungen spielten dabei keine Rolle.

Auch beim Arbeitskreis Kritischer Juristen löste Gröbmayrs Entscheidung kontroverse Diskussionen aus. Erst Anfang Juli trat sie dort als Referentin auf. Eine Distanzierung lehnt der akj aber ab. In einer differenzieren Stellungnahme wird betont, dass es nachvollziehbare Gründe für und gegen die Verteidigung eines Neonazis gebe. »Der akj Freiburg bekennt sich ausdrücklich zur aktiven Ablehnung faschistischen Denkens und Handelns. Gleichzeitig bekennen wir uns zum Recht eines jeden Menschen auf ein faires Verfahren und eine bestmögliche Verteidigung. Hierin sehen wir keinen unüberwindbaren Widerspruch, sondern ein im Einzelfall aufzulösendes Spannungsfeld«, heißt es in der Erklärung.

Der akj sieht bei manchen Kritikern die Grenze zur Diffamierung überschritten. Dabei bezieht er sich auf Texte auf der linken Internetplattform Indymedia-Linksunten, in denen die Anwältin als Naziverteidigerin tituliert wurde. Allerdings finden sich auch dort abwägende Stimmen. »Natürlich ist es ein zivilisatorischer Fortschritt, dass im Rechtsstaat BRD – bei aller gut begründbaren Kritik an der deutschen Justiz – jeder Angeklagte einen Anwalt hinzuziehen kann. Allerdings bedeutet dies im Umkehrschluss nicht, dass jeder Anwalt jedes Mandat annehmen muss«, ist in einem Beitrag zu lesen. Das sehen auch andere linke Anwälte so. Für viele kommt eine Verteidigung von Neonazis oder auch mutmaßlichen Vergewaltigern nicht infrage. Auch im akj geht die Debatte weiter. »Für mich persönlich ist eine Mitgliedschaft im akj sowie mein Selbstverständnis als linker Anwalt nicht vereinbar damit, einen Neonazi wegen einer neofaschistisch motivierten Tat zu verteidigen«, sagt der Berliner Rechtsanwalt Martin Henselmann gegenüber »nd«.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/232284.eine-frage-des-selbstverstaendnisses.html
Peter Nowak

Deutscher Ökonomenkrieg

Der offene Streit unter Wirtschaftswissenschaftlern markiert eine zunehmende Uneinigkeit innerhalb der deutschen Eliten über die Europapolitik

„Der Aufruf baut ein Schreckgespenst auf und schürt Furcht. Der Öffentlichkeit, die nach Orientierung verlangt, und der Politik, die in schwierigen Entscheidungssituationen Kurs zu halten versucht, wird damit nicht geholfen.“ Dieses harsche Urteil erheben bekannte deutsche Ökonomen, die sich ganz selbstverständlich als Politikberater und Sinnstifter sehen, in einem Offenen Brief. Ihre Adressaten sind ebenso bekannte Ökonomen, die genau wie sie den Anspruch erheben, die deutsche Wirtschaft retten zu wollen.

Deutscher Stammtisch

Der wohl von Hans-Werner Sinn verfasste und von 200 anderen Wirtschaftswissenschaftlern unterzeichnete Brief hat im Sommerloch, großen Wirbel verursacht. Adressiert war er an die „Lieben Mitbürger“, in ihm wurden die als Beitrag zur Eurorettung bezeichneten Entscheidungen des EU-Gipfels von Brüssel für falsch erklärt – richtiger wäre gewesen, sie hätten geschrieben, sie seien nicht in deutschem Interesse, wie sie es verstehen.

Dabei sparen die Verfasser nicht mit populistischen Klischees. So heißt es dort: „Die Steuerzahler, Rentner und Sparer der bislang noch soliden Länder Europas dürfen für die Absicherung dieser Schulden nicht in Haftung genommen werden.“ Nicht dem Euro und dem europäischen Gedanken werde mit den Beschlüssen geholfen, statt dessen „der Wallstreet, der City of London, auch einigen Investoren in Deutschland“.

Solche Formulierungen lesen sich, als hätten die Verfasser das Programm für eine rechtspopulistische Partei schreiben wollen, die einen vermeintlich soliden Mittelstand von ausländischen Banken in die Zange genommen sieht. Nun gibt es seit Monaten Versuche, eine solche Partei aus der Taufe zu heben. Da es dort aber viele Personen wie Hans-Olaf Henkel etc. mit einen großen Ego gibt, ist noch nicht klar, ob sie sich auf eine gemeinsame Kandidatur einigen können. Im Gespräch ist eine bundesweite Kandidatur der Freien Wähler, aber bis zu den Wahlen kann es auch noch andere Konstellationen geben. Der Brief der Ökonomen ist Wasser auf die Mühlen aller, die die „solide deutsche Wirtschaft“ von verantwortungslosen Mit-Europäern retten wollen.

Der Text wendet sich explizit an Sparer und Rentner, die dann gemeinsam mit Mittelstandsfunktionären und Teilen der Elite eine Abkehr von Europa und ein Zurück zur DM als letztes Mittel propagieren könnten. Diese Intervention macht deutlich, dass es mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft eine Strömung gibt, die die deutschen Interessen nicht mehr nur im Euro vertreten sieht und durchaus auch eine Rückkehr zur DM mit allen Konsequenzen in Kauf nimmt. Demgegenüber sind die Kritiker dieser Position der Meinung, dass der Standort Deutschland weiterhin nur mit dem Euro gestärkt werden könne. Sie fürchten das Entstehen einer populistischen Bewegung gegen den Euro oder zumindest gegen die weitere Abgabe von Kompetenzen an EU-Gremien und sehen darin eher Nachteile für den Standort Deutschland, den zu stärken beide Fraktionen als ihre Aufgabe sehen.

Streit unter bürgerlichen Ökonomen

Interessant ist, dass sich im aktuellen Ökonomenkrieg auf beiden Seiten der Barrikade Wirtschaftswissenschaftler tummeln, die in den vergangenen Jahren für massive Kürzungen von Sozialleistungen, für die Agenda 2010 und andere Maßnahmen zur Stärkung des Standorts Deutschland eingetreten sind. Mehrere von ihnen haben ihre wissenschaftliche Reputation der Initiative Soziale Marktwirtschaft zur Verfügung gestellt. Dazu gehört der auch als [http.//www.ftd.de/politik/europa/:der-boulevardprofessor/180714.html Boulevardprofessor] bezeichnete Hans-Werner Sinn ebenso wie sein aktueller Antipode Thomas Straubhaar.

Den Brief der Euro-Verteidiger haben auch einige gewerkschaftsnahe Ökonomen wie Peter Bofinger und Gustav Horn unterschrieben. Sie haben sich beim Streit der Ökonomen gegen populistische Positionen gestellt, wie sie in dem von Sinn verfassten Brief zum Ausdruck kommen. Aber eine eigenständige Positionierung, die die Interessen der Lohnabhängigen im EU-Raum ohne Bezüge zu Standortrettungen zum Ausdruck bringt, kommt in beiden Briefen nicht vor.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152351
Peter Nowak

Gauck und der deutsche Michel

»Freiheit« steht auf einem Schild, unter dem sich drei als deutsche Michel gezeichnete Gestalten herumtollen. Die Karikatur aus dem deutschen Biedermeier des 19. Jahrhunderts auf der Titelseite der ostdeutschen Zeitschrift »telegraph« ist ein Kommentar zum neuen deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck, der die Freiheitsmetapher besonders häufig benutzt. Dass die telegraph-Redaktion nicht zu seinen Freunden gehört, ist verständlich. Schließlich wurde die 1987 als Sprachrohr der DDR-Umweltbibliothek entstandene Zeitschrift schon im Herbst 1989 zum Forum der DDR-Opposition, die nicht die Wiedervereinigung und den Kapitalismus zum Ziel hatte. Von dieser staatskritischen Prämisse lassen sich die telegraph-Macher auch in ihrer 124. Ausgabe leiten.

Dem neuen Mann im Präsidentenamt widmet der Mitbegründer des Neuen Forums, Klaus Wolfram, eine Glosse. In einem längeren Text untersucht der Historiker Thomas Klein die Umdeutung der Geschichte der DDR-Opposition, an der sich zunehmend auch einstige Protagonisten beteiligen würden. »Ganz offensichtlich soll das Bild dieser sperrigen Opposition möglichst reibungslos in die identitätsstiftenden Prägungen des Selbstbilds der wiedervereinigten ›Berliner Republik‹ eingefügt werden«, analysiert der Mitbegründer der Vereinigten Linken in der DDR. Einen weiteren Ost-West-Vergleich liefert Klein in einem Aufsatz über Berufsverbote in der BRD und die Arbeitsverweigerung gegenüber Oppositionellen in der DDR.

Mehrere Beiträge widmen sich den aktuellen Protesten. Vor übertriebenem Optimismus warnt Bini Adamzcak. Wenn der Kapitalismus an Zustimmung verliert, könnten auch Islamisten und andere Reaktionäre statt emanzipatorischer Gruppen an Einfluss gewinnen, meint sie. Darüber hinaus setzt sich der Musiker Jenz Steiner in seinem Beitrag kritisch mit dem Berlin-Mythos »Arm, aber sexy« auseinander und kontrastiert die Beschreibungen in Trend-Reisebüchern mit den Arbeitsbedingungen in der Gastronomie- und Clubbranche.

In einem längeren Gespräch über die Ostberliner Hausbesetzerbewegung blitzt sogar etwas Optimismus auf. »Besetzen macht heute noch mehr Sinn als damals«, so einer der Gesprächspartner. Wie aktuell diese Einschätzung ist, zeigt die Aktion einer Gruppe Senioren in Berlin-Pankow, die ihre Begegnungsstätte seit mehreren Tagen besetzt halten und damit die Berliner Linie, nach dem eine Besetzung nicht länger als 48 Stunden toleriert wird, erfolgreich knackten. An ihrem Zaun hängt ein Transparent mit dem Kürzel »WBA«, das DDR-Oppositionelle zur erfolgreichen Protestmarke machten. Heute steht das Kürzel für die Parole der »Recht auf Stadt«-Bewegung »Wir bleiben alle«. Zumindest die Pankower Senioren dürften noch wissen, dass mit WBA vor über zwanzig Jahren die Wohnbezirksausschüsse der DDR gemeint waren.

telegraph 124, 76 S., 4,60 €, beziehbar über telegraph.ostbuero.de.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/231576.gauck-und-der-deutsche-michel.html
Peter Nowak

Tod im Getreidefeld

Vor 20 Jahren wurden im Nordosten zwei Migranten getötet
Am 29. Juni 1992 wurden in Mecklenburg-Vorpommern zwei Migranten aus Rumänien angeblich bei einem Jagdunfall erschossen. Der genaue Tathergang wurde bis heute nicht aufgeklärt.

Heute wird es keine Gedenkveranstaltungen für Grigore Velcu und Eudache Calderar geben. Dabei jährt sich an diesen Tag ihr Tod zum zwanzigsten Mal. Die offizielle Version lautet, die beiden Roma aus Rumänien seien beim illegalen Grenzübertritt von Jägern erschossen wurden, die die in dem Getreidefeld auf ihren Transfer wartenden Menschen mit Wildschweine verwechselt habe. Nur einige Zeitungen berichteten darüber. Im Frühjahr diesen Jahres gab es plötzlich noch einmal größeres Interesse am Schicksal von Velcu und Calderac. Dafür sorgte Philipp Scheffners Film „Revision“, der auf der diesjährigen Berlinale erstmals gezeigt wurde und mittlerweile auf verschiedenen Filmfestivals Preise gewonnen hat.
Scheffner rekonstruiert den Tod der beiden Rumänien und stößt auf haarsträubende Ignoranz der Behörden.
Die Schützen konnten schnell ermittelt werden. Ein Ex-Polizist und passionierter Jäger aus der Region sowie ein Jäger aus Hessen wurde wegen fahrlässiger Tötung und unterlassener Hilfeleistung angeklagt. Nachdem das Verfahren über mehrere Jahre verschleppt wurde, erfolgte unbemerkt von jeder kritischen Öffentlichkeit die Einstellung. Auch eine Revision wurde verworfen. Es habe nicht mit letzter Sicherheit geklärt werden können, wer den tödlichen Schuss abgegeben hat, der beide Männer getötet hat, lautet die Hauptbegründung für die Einstellung.
Dass die Jäger weder erste Hilfe für die von den Schüssen Getroffenen geleistet noch einen Rettungswagen verständigt hatten, wurde vom Gericht ignoriert. . Dabei atmete mindestens eines der Opfer noch, als er viele Stunden später gefunden wurde. Er starb erst am Weg ins Krankenhaus. Ob er überlebt hätte, wenn sofort lebensrettende Maßnahmen eingeleitet worden wären wurde nie geklärt.
Dass ist nur eine von vielen Ungereimtheiten, die Scheffner bei seiner Filmrecherche aufdeckt. So sagte eine Gutachterin aus, dass bei den Lichtverhältnissen in der Morgendämmerung Wildschweine von Menschen klar zu unterscheiden gewesen wären. Ein Augenzeuge, der zu der Flüchtlingsgruppe gehörte, in der sich auch Velcu und Calderar befanden, beharrt auch nach mehrmaligen Nachfragen auf seiner Version, dass der tödliche Schuss mit Zielfeuerwaffen von einem Polizeiauto erfolgt sei, dass am Rande des Felds gestanden habe,
Keiner der Augenzeugen, die mit den Opfern im Feld auf ihren Transfer wartete, wurde als Zeugen gehört. Die meisten waren zu diesem Zeitpunkt längst abgeschoben werden. Die Polizei hatte die Gruppe wenige Stunden nach den tödlichen Schüssen auf einer nahen Autobahnraststätte aufgespürt.
Die Verwandten der Opfer waren nie über ihre Rechte und einer ihnen zustehenden finanziellen Entschädigung informiert worden. Die Männer waren zum Arbeiten nach Deutschland gekommen und hatten mit ihren Einkommen ihre Familien in der Heimat unterstützt. Ihr Tod stürzte die Familien zusätzlich zu ihrer Trauer auch in große soziale Not. Frau Caldarar war ihren Kindern sogar zeitweise obdachlos.

Knapp zwei Monate nach dem Tod der beiden Rumänen belagerten Neonazis und Aktivbürgern in Rostock-Lichtenhagen ein Erstaufnahmelager für Migranten. Unter den Bewohnern, die in letzter Minute evakuiert wurden, nachdem es den Angreifern gelungen war, Teile des Gebäudes mit Molotow-Cocktails in Brand zu stecken, waren auch einige Augenzeugen der tödlichen Schüsse auf Calderar und Velcu. Der hat das rassistische Klima im Flüchtlingsheim Gelbersand selber spüren bekommen. Die Grabstätte seiner Mutter, die in dem Heim starb, war von Unbekannten verwüstet worden. Daraufhin entschloss er sich, in Rumänien die Formalitäten für die Überführung der Leiche seiner Mutter in ihre Heimat in die Wege zu leiten. Auf dem Rückweg nach Deutschland wurde b er im Getreidefeld erschossen. Das zerstörte Grabkreuz, lagerte in einer Kirche in der Umgebung. Auf Initiative einer Lehrerin aus der Region soll das Grab von Siminica Ecaterina wieder hergerichtet werden. Vielleicht wird es auch noch Velcu und Calderar Gedenkort geben. Im September 2012 startet Scheffners Film Revision in den deutschen Kinos.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/231102.tod-im-getreidefeld.html

Peter Nowak