Verbotene Filme

Deutschland 2014, Regie: Felix Möller

«Historische Nitrofilme sind hochexplosiv», warnt Egbert Koppe, Spezialist für Filmrestaurierung am Bundesarchiv in Hoppegarten, einem Vorort von Berlin. Diese Szene steht auch am Anfang eines Films, bei dem es um Streifen geht, die nicht nur wegen des chemischen Materials hochexplosiv sind.Der vor kurzem in die Kinos gekommene Verbotene Filme widmet sich dem Erbe des Nazi-Kinos. Ob es sich wirklich um «ein verdrängtes Erbe» handelt, wie es im Presseheft zum Film heißt, müsste wohl mit einem Fragezeichen versehen werden.

Schließlich wird in dem 93minütigen Film sehr schnell deutlich, dass ein Großteil dieser Filme aus dem NS-Fundus in der Nachkriegs-BRD weiterhin mit großem Erfolg gezeigt wurde. Das betraf vor allem die Sparte der Unterhaltungs- oder Naturfilme, die besonders in der letzten Phase der NS-Zeit häufig gedreht wurden. So sollte der deutschen Volksgemeinschaft eine heile Welt auf der Leinwand vorgespielt werden, während die Massenmordpolitik auf ihrem Höhepunkt stand. Ein Großteil der deutschen Bevölkerung spielte dabei gerne mit und wollte auch nach 1945 davon nicht lassen. Aus politischen Gründen musste an der einen oder anderen Stelle ein Hakenkreuz oder ein antisemitisches Motiv ersetzt werden.

Im Film werden dazu einige Beispiele gezeigt. Hier sei das «volkspädagogische Ethos» der Freiwilligen Selbstkontrolle (FSK) am Werk gewesen, erklärt deren heutige Leiterin. Der Filmhistoriker Thomas Koebner fordert, die Schnitte rückgängig zu machen. Nur dann könne man vor den Filmen Angst haben und müsse sich mit ihnen auseinandersetzen.

Tatsächlich war das Herausschneiden von kompromittierenden Elementen keine Lösung und verdeutlichte gut, wie die Entnazifizierung in der westdeutschen Nachkriegszeit abgelaufen ist: Man schnitt NS-Symbole heraus und machte ansonsten weiter wie bisher.

Doch Verbotene Filme behandelt auch NS-Streifen, bei denen es mit einigen Schnitten und Retuschen nicht getan war. NS-Propaganda-Filme wie Jud Süß, Heimkehr oder Ich klage an konnten in der Nachkriegszeit tatsächlich nicht mehr öffentlich gezeigt werden. Was aber nicht bedeutete, dass sie verschwunden waren. NS-Nostalgiker fanden immer einen Weg, sie zu sehen, und im Internetzeitalter stellt sich natürlich die Frage, ob sich ein Film überhaupt verbieten lässt, noch einmal neu.

Sollte man dann gleich offiziell alle NS-Filme freigeben? Diese Frage wird am Schluss des Films eindeutig mit Ja beantwortet. Der Regisseur Oskar Röhler pocht auf das Recht, immer und überall den Film zu sehen, den er gerade sehen will. So bleibt der irrige Eindruck, das wäre die Kernaussage des gesamten Filmes. Tatsächlich gibt er keine eindeutigen Antworten. So sprechen sich die Kinobesucher, die nach Ausnahmevorführungen «verbotener Filme» ihre ersten Eindrücke vortragen, keineswegs alle für eine Freigabe aus. Manche sind regelrecht erschrocken über die Szenen, die sie gerade gesehen haben und plädieren dafür, die Filme nicht freizugeben. Dass ausgerechnet ein Aktivist der extremen Rechten nicht nur uneingeschränkt für die Freigabe ist, sondern im Film den Nationalsozialismus verteidigt, spricht auch nicht dafür, die NS-Propaganda frei Haus zu liefern. Dass aber Verbote allein kein Mittel der Auseinandersetzung sind, macht der Film gut deutlich.

www.salzgeber.de/presse/pressehefte/verbotene_ph_web.pdf.

Verbotene Filme

Peter Nowak

„Vages Versprechen“

Die Berliner Senatorin für Integration, Dilek Kolat (SPD), hat behauptet, eine Einigung mit den Flüchtlingen erzielt zu haben, die am Oranienplatz und in einer Schule in Kreuzberg um ihr Bleiberecht kämpfen. Martina Mauer ist Sprecherin des Berliner Flüchtlingsrats und widerspricht dieser Darstellung. Das Gespräch wurde am 20. März geführt.

Small Talk von Peter Nowak


Warum sprechen Sie von einer Scheineinigung?

Weil anders als vom Senat dargestellt nur ein Teil der Flüchtlinge dem Papier zustimmt. Das derzeit vorliegende Angebot des Berliner Senats lässt viele Frage offen. Daher ist auch nicht für alle beteiligten Flüchtlingsgruppen erkennbar, ob das Angebot auch für sie eine Lösung ist.

Welche unterschiedlichen Flüchtlingsgruppen sind betroffen?

Fünf Gruppen waren in der Verhandlungsdelegation mit Kolat vertreten. Die Lampedusa-Flüchtlinge, die in Deutschland noch nicht registriert sind, sollen nach dem Angebot Duldungsbescheinigungen erhalten, wobei deren Geltungsdauer noch unklar ist. Doch das ist nur eine Minderheit der Flüchtlinge. Für alle Flüchtlinge, die in Deutschland einen Asylantrag gestellt und eine Wohnsitzauflage für andere Bundesländer haben, ist das Angebot nur ein vages Versprechen. Das gilt auch für die Flüchtlinge mit Duldungsstatus und Wohnsitzauflage in anderen Bundesländern und für Geflüchtete, die wegen der Dublin-Verordnung Abschiebeverfügungen in andere EU-Länder haben.

Ist es nicht problematisch, wenn die Gruppe der Geflüchteten so aufgespalten wird?

Ihre ursprüngliche Forderung war ein generelles Bleiberecht für alle. Das war politisch nicht durchsetzbar. Deshalb ging es darum, zumindest für jede Gruppe eine akzeptable Lösung zu finden. Das leistet das vorliegende Angebot jedoch nicht.

Was soll mit der besetzten Gerhard-Hauptmann-Schule geschehen?

Die Senatsverwaltung fordert jetzt neben der Räumung des Oranienplatzes de facto auch die Räumung der Gerhard-Hauptmann-Schule, obwohl die Delegation es ausdrücklich abgelehnt hat, die Verhandlungen auf die Zukunft der besetzten Schule auszuweiten.

Wie kann es zu einer Lösung kommen?

Die Gespräche zwischen den Flüchtlingen und dem Senat müssen fortgesetzt werden. Die jetzt vom Senat präsentierte Scheineinigung ist in dieser Hinsicht kontraproduktiv, weil sie die Flüchtlinge spaltet und dazu dienen könnte, medial und in der Öffentlichkeit eine polizeiliche Räumung vorzubereiten.

http://jungle-world.com/artikel/2014/13/49577.html

Interview: Peter Nowak

»Gegen die Folgen der Krise«

Am Wochenende fand in Berlin ein Netzwerktreffen von europäischen Basisgewerkschaften statt. Es wurde über Strategien des betrieblichen und so­zialen Widerstands gegen die Austeritätspolitik diskutiert. Zum Abschluss fanden Kundgebungen vor dem Sitz des DGB-Bundesvorstands und der Vertretung der Europäischen Kommission statt. Willi Hajek ist in der basisgewerkschaftlichen Bildungsarbeit tätig.

Wie ist das Netzwerk entstanden?

Es hat sich das erste Mal 2001 getroffen und seitdem jährlich in einer anderen europäischen Hauptstadt. Die Initiative ging von der französischen Basisgewerkschaft SUD und der spanischen CGT aus. Die Kontakte reichen bis ins Jahr 1995, als es in Frankreich Massenstreiks gab.

Was passiert zwischen den jährlichen Treffen?

Es gibt eine regelmäßige Koordination in verschiedenen Branchen. Besonders gut funktioniert das Netzwerk »Bahn ohne Grenzen«, an dem sich neben europäischen auch afrikanische Bahnbeschäftigte beteiligen. Auch das Netzwerk der Callcenter-Beschäftigten funk­tioniert gut, weil dort die Sprachprobleme klein sind.

Ging es bei dem Treffen auch um Beschäftigungen, die mit dem Begriff Care-Arbeit bezeichnet werden?

Ja, es gibt ein Manifest gegen die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens, das in verschiedenen Sprachen, auch auf Deutsch, zu finden ist. Die Initiative ging von belgischen, französischen und polnischen Gewerkschaften aus. Auf dem Treffen berieten mehrere Gewerkschafterinnen der polnischen Krankenschwestern und Hebammen, wie die Kampagne gegen die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens vorangetrieben werden kann. Leider war in der Arbeitsgruppe aus Deutschland niemand vertreten.

Gab es auch Verabredungen zu europaweiten Protesten?

Eine große Rolle spielen die »Märsche der Würde« gegen die Folgen der Krise, die am 22. März in Madrid enden. Auf der Abschlussdemonstration wird es einen Block von internationalen Unterstützern geben.

Warum endete das Netzwerktreffen mit einer Protestkundgebung vor der Zentrale des DGB-Vorstands?

Aus zwei Gründen. In Deutschland will der DGB vor allem mit der IG Metall ein Gesetz zur Tarifeinheit durchsetzen, das die Rechte von Branchen- und Basisgewerkschaften einschränken würde. In Italien, Frankreich und Spanien machen die großen Gewerkschaften Abkommen mit der Regierung. Branchen- und Basisgewerkschaften werden ignoriert, ihre Rechte teilweise massiv eingeschränkt.

http://jungle-world.com/artikel/2014/12/49537.html

Interview: Peter Nowak

Eine bessere Welt durch Forensik?

Eine Ausstellung will dokumentieren, wie mit forensischen Metholden auf allen Gebieten Menschenrechtsverletzungen und Unrecht nachträglich bekannt werden. Die Forensik als Herrschaftstechnik hingegen wird vernachlässigt

Drei Minuten Zeit hatte die Familie, um ihr Haus im Gaza-Streifen am 9. Januar 2009 zu verlassen. Mit einer Warnrakete der israelischen Armee sollten die Bewohner zum sofortigen Verlassen des Hauses aufgefordert werden. Mehrere Familienmitglieder waren noch im Haus, als die Rakete einschlug. Mehrere Kinder und eine Frau waren sofort tot.

Im Berliner Haus der Kulturen der Welt [1] wird das Geschehen noch einmal akribisch nachgezeichnet. Mehrere Videos und Gesprächsaufzeichnungen unter anderem mit dem palästinensischen Anwalt Mohammed Jabareen [2] rekonstruieren den Angriff minutiös.Diese Untersuchung steht in der Abteilung „Forensische Architektur“ [3] innerhalb der Ausstellung, die mit einem Adjektiv benannt wird.

Forensis [4] lautet der Titel und auf einer Tafel am Eingang werden die Besucher darüber informiert, dass dieser Begriff im Römischen Reich bedeutete, dass man zum Forum, also zur damaligen Gesellschaft, gehörte. Frauen, Plebejer, Sklaven gehörten schon mal nicht dazu. Aber der Titel könnte in die Irre führen. Denn was dem Besucher auf vielen Videoleinwänden und Tafeln geboten wird, ist eine Geschichte der modernen Kriminalistik in all ihren Verästelungen.

Allein in der Abteilung forensische Architektur kann man schon eine gute Stunde verweilen,wenn man die dort präsentierten Videos und Infotafeln studieren will. Da berichtet eine Deutsche, wie sie Augenzeugin eines Drohnenangriffs in Nordpakistan geworden ist. Während sie sich mit einer weiteren Frau und mehreren Kindern in einem Nebengebäude befand,explodierte im Hauptgebäude die Drohne, gerade als sich die Männer zum Essen versammelt haben sollen. Nur ein großer schwarzer Krater sei übrig geblieben, in dem noch Kleidungs- und Körperteile der Männer zu finden gewesen seien.Der Ablauf des Drohnenangriffs wurde nachgezeichnet.

Trotzdem bleiben am Ende sehr viele Fragen offen. Warum das Haus im Gaza zum Ziel einer Rakete wurde, bleibt ebenso unklar wie der Grund für den Drohnenangriff in Pakistan. Natürlich ist es nachvollziehbar, dass die Anonymität derAugenzeugin, die wohl wieder in Deutschland lebt, gewahrt wird. Warum nicht zumindest einige Informationen zu den einzelnen Angriffen geliefert werden, bleibt offen. Sie hätten es den Besucher ermöglicht, neben einer reinen Betroffenheit hinaus das präsentierte Material einordnen zu können.

Es werden viele Beispiele für eine sinnvoll angewendete Forensik gezeigt. So konnten Menschenrechtsorganisationen nachweisen, dass im Sommer 2011 ein Flüchtlingsboot im Mittelmeer versank und 64 Menschen getötet wurden, während die Nato dem Drama zuschaute und Hilfe verweigerte. Einweitgehendes unbekanntes Verbrechen ist die gezielte Zerstörung von Dörfern im brasilianischen Amazonas-Gebiet. Viele Einwohner wurden im Laufe von Jahrzehnten ermordet undin Massengräbern verscharrt. Mit Hilfe der Forensik kann man die Verbrechen heute an den unregelmäßigen Waldbestand erkennen.

Ozonloch – Meisterleistung forensischer Ästhetik

Auch im Ökologiebereich können mit den Mitteln der Forensik jahrelange Umweltverbrechen nachgewiesen werden. Als eine „Meisterleistung forensischer Ästhetik“ wird der Begriff Ozonloch aufgeführt. Mit den komplexen chemischen Prozessen in der Atmosphäre hat die Bezeichnung wenig zu tun. Sie wurde als für die Menschen nachvollziehbares Modell kreiert, mit dem die Folgen der Klimaveränderung vermittelt werden sollen. Wenn in einem lebenswichtigen Bestandteil der Atmosphäre ein Loch entstanden ist, könnten sich viele Menschen betroffen fühlen. Dass aus Gründen der Nachvollziehbarkeit in den Naturwissenschaften Modelle gewählt werden, die mit dem Alltagsverstand begreifbar sind, ist in den Naturwissenschaften nichts Neues. Man denke nur an die Konstruktion der Atommodelle.

Man braucht eine Menge Zeit, wenn man sich in die ausgestellten Materialien vertieft und erfährt viele Details. Doch das Fehlen von Hintergrundinformationen fällt immer wieder auf. Wohin das Ignorieren des gesellschaftlichen Kontexts führt, zeigt sich bei historischen Themen.Da wird ein NS-Konzentrationslager in Serbien neben ein Internierungslager gestellt, in dem im jugoslawischen Bürgerkrieg die zu Feinden erklärten Menschen anderer Nationen festgehalten wurden. Verbrechen gab es in beiden Lagern, doch die Spezifik des nazistischen Kriegs- und Vernichtungspolitik droht bei einer solchen Darstellung verloren zu gehen.

Wenn auf einer Tafel vermerkt ist, dass 50 Jahre nach dem Nürnberger Tribunal der Internationale Gerichtshof gegen NS-Deutschland wieder auflebte, als es um die Aufarbeitung der Verbrechen
im jugoslawischen Bürgerkrieg ging, fehlt der Hinweis darauf, dass die Folgen und Kollateralschäden der Natoangriffe nie Gegenstand von Ermittlungen waren.

Forensik als Herrschaftstechnik

Die Kuratoren Anselm Franke vom HKW und der Architekt und Professor an der Londoner Goldsmith University, Eyal Weizman [5] können ihrer Faszination für die gewachsenen Möglichkeiten der Forensik nicht verbergen. Dass die Forensik Teil der Herrschaftstechnik sein kann, wird in der Ausstellung nur an wenigen
Beispielen deutlich.

Dass auch die internationale Gerichtsbarkeit Teil einer Machtpolitik sein kann, wird nur am Rande deutlich. So erstattete ein südamerikanischer Diplomat Strafverfahren gegen die Industrienationen wegen ihrer Verantwortung für den Klimawandel. Natürlich wurde nie Anklage erhoben und man erfährt wenig darüber. Immerhin eine Installation widmet sich dem Einsatz von Lügendetektoren bei der Befragung von Geflüchteten. Hier dient die Forensik als Mittel zur schnelleren Abschiebung. In der Ausstellung hätte man sich mehr solcher Beispiele gewünscht, die einen kritischen Blick auf die Forensik ebenso wie auf die InternationaleGerichtsbarkeit geboten hätten.

http://www.heise.de/tp/news/Eine-bessere-Welt-durch-Forensik-2151482.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http

[2]

http://www.mtit.pna.ps/ar/cp/plugins/spaw/uploads/files/CV/Mohammad%20Jabareen.pdf

[3]

http://www.hatjecantz.de/eyal-weizman-5275-0.html

[4]

http://www.hkw.de/de/programm/projekte/2014/fore

Hilfe für Gefangene

Autorenkollektiv blickt auf Geschichte der Roten Hilfe

Die Geschichte der Roten Hilfe ist auch eine Geschichte der politischen Gefangenen in der BRD seit den 1960er Jahren. Das Kollektiv »Bambule« hat dazu ein Buch herausgegeben.

Am 18. März wird traditionell der politischen Gefangenen gedacht. Die Roten Hilfen spielen in der Geschichte der politischen Gefangenenschaft traditionell eine zentrale Rolle, in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts wie auch nach dem Zweiten Weltkrieg wieder. Ein Autorenkollektiv hat jetzt im Laika-Verlag in zwei Bänden die Geschichte der Gefangensolidarität zwischen 1968 und 1980 veröffentlicht. Auf insgesamt 750 Seiten schreiben 20 Autoren eine Geschichte der linken Bewegung zwischen 1968 und 1980 und ihrer Roten Hilfen: In den Hochzeiten der verschiedenen maoistischen Parteigründungsprojekte Mitte der 1970er Jahre existierten zwei, manchmal gar drei Rote Hilfen, wie Michael Csaskoczy schreibt.

Friedrich Burschel widmet sich der weitgehend unbekannten Geschichte der Gefangenenräte, in denen sich Häftlinge ohne politischen Hintergrund in den 1970er Jahren organisierten. Sie wollten »abschaffen, was uns kriminell und asozial macht«. Sie wandten sich dagegen, dass meist nur politische Gefangene oft mit bürgerlichem Hintergrund die Aufmerksamkeit der Solidaritätsbewegung bekamen.

Mehrere Kapitel in dem Buch widmen sich den Diskussionen um die Solidarität mit Gefangenen aus den bewaffnet kämpfenden Gruppen in den 1970er Jahren. Doch die Stärke des Buches ist der Blick auf bisher wenig beachtete Details.

Doch Markus Mohr, ohne den die beiden Bände nicht zustande gekommen wären, betont, dass er damit keine Forschungslücke schließen, sondern Möglichkeiten für eine neue linke Bewegung eröffnen will. »Es geht um etwas erheblich Besseres. Mit einer in der Gesamtschau betrachteten pluralen Perspektive sollen die Beiträge dazu dienen, die komplexe Thematik zu sondieren, mit dem Ziel etwas zu erkunden, was bislang unbeachtet geblieben ist«, heißt es in der Einleitung.

Bambule (Hrsg.):  Zur Geschichte der Roten Hilfe in der BRD – Band I und II, 2013, Laika Verlag, Hamburg, pro Band 21 €

http://www.neues-deutschland.de/artikel/927408.hilfe-fuer-gefangene.html

Peter Nowak

Renzi: Mit neuem Wahlgesetz für große Koalitionen, gegen kleine Parteien

Italien: Parlamentsreform im Abgeordnetenhaus mit großer Mehrheit angenommen

Eine spannende Debatte

Ist eine Demokratisierung der Wirtschaft überhaupt möglich?

»Demokratisches Wirtschaften von unten ist, örtlich oder regional vernetzt oder auch als Einzelprojekt, möglich. Dafür sprechen Tatsachen, auch in Deutschland«. Diese optimistische Aussage stammt von Ulla Plener.

Die renommierte DDR-Historikerin beschäftigt sich seit Jahren in ihren Forschungen und Schriften mit Theorie und Praxis der Wirtschaftsdemokratie. Daher war es nur konsequent, dass der von ihr mitbegründete Förderverein für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung zu ihrem 80. Geburtstag eine Tagung unter das Thema »Demokratische Transformation als Strategie der Linken« stellte. Daran beteiligten sich ausgewiesene Experten aus der alten Bundesrepublik und der DDR sowie viele junge Nachwuchswissenschaftler.

Der Tagung entsprang der hier anzuzeigende Band. Er enthält wichtige Anregungen für eine konstruktive linke Strategiedebatte in- und außerhalb der Parlamente sowie in den Gewerkschaften und sollte deshalb einen breiten Leserkreis, nicht nur unter Genossen und Genossinnen der Linkspartei und der SPD, sondern auch deren Spitzenfunktionären und Wirtschaftsexperten finden.

Ralf Hoffrogge stellt die Debatten über die Demokratisierung der Wirtschaft in der Zeit der Weimarer Republik vor. Nachdem die in der Novemberrevolution aufblühenden rätedemokratischen Modelle im Bündnis von Freikorps und SPD-Führung blutig zerschlagen waren, begann Mitte der 1920er Jahre in der Sozialdemokratie eine neue Debatte über wirtschaftsdemokratische Konzepte, die im Heidelberger Programm von 1925 ihren Niederschlag fand. Ziel war, den Kapitalismus zu bändigen, nicht abzuschaffen.

Doch in Deutschland hatten selbst solche reformkapitalistischen Konzepte nie die Chance einer praktischen Umsetzung. Von jenen ließ sich aber die arbeiterzionistische Aufbaugeneration im späteren Israel inspirieren. Einer der wichtigen sozialdemokratischen Theoretiker der Wirtschaftsdemokratiekonzepte in Weimarer Zeit war Fritz Perez Naphtali, der vor den Nazis nach Palästina floh.

Die Feminismusforscherin Gisela Notz untersucht wirtschaftsdemokratische Elemente in der Geschichte der Genossenschaftsbewegung. Einbezogen sind in diesem Band auch internationale Erfahrungen. Sarah Graber und Kamil Majchrzak zeichnen die Diskussionen über Arbeiterselbstverwaltung in der Frühphase der polnischen Solidarnosc-Bewegung nach. Offen bleibt hier allerdings, wie stark diese Tendenzen wirklich waren. Schließlich konstatieren die Autoren, dass auch die erklärten Marktwirtschaftler, die eine starke Konkurrenz zwischen den Betrieben propagierten, von Anfang an in der Solidarnosc-Bewegung vertreten waren. Von besonderem Interesse dürften die Erfahrungen sein, die mit selbstverwalteten Betrieben in Argentinien gemacht wurden. Jörg Roesler hat sich damit intensiv befasst.

Auch kritische Stimmen zur Wirtschaftsdemokratie sind in diesem Band vertreten. So spricht der Politologe Michael Hewener von einer doppelten Illusion: »die eines möglichen demokratischen Kapitalismus und die eines möglichen Übergangs zum demokratischen Sozialismus«. Er vertritt den Standpunkt, staatliche Eingriffe in die Wirtschaft dienen stets nur der Verbesserung der Kapitalakkumulation und nicht der Demokratisierung.

Gerade solche kontroversen Einschätzungen und Urteile weisen dieses Buch als eine exzellente Diskussionsgrundlage über das Verhältnis von Demokratie und Wirtschaft aus, um das es in der heutigen Bundesrepublik arg bestellt ist – was wohl keiner ernsthaft negieren kann.

Axel Weipert (Hg): Demokratisierung von Wirtschaft und Staat. Nora Verlag. 230 S., br., 19 €.

Peter Nowak

Wenn Bürger sich zu wehren beginnen …

Andrej Holm und Autoren berichten über soziale Kämpfe in einer neoliberalen Stadt – das Beispiel Berlin

Seit knapp zwei Jahren gibt es in der deutschen Hauptstadt eine Mieterbewegung, die über Berliner Blätter hinaus für Schlagzeilen sorgt. Die Analysen des Stadtsoziologen Andrej Holm haben vielleicht mit dazu beigetragen, dass sich Mieterprotest artikulierte. In seinem neuen Buch gibt der engagierte Wissenschaftler einen Überblick und zieht Bilanz.

Im ersten Teil werden die Bedingungen untersucht, die Mieter zu Protesten treibt. Dass das Schlagwort der Gentrifizierung den Sachverhalt oft nicht trifft, machen die Stadtplanerin Kerima Bouali und der Stadtsoziologe Sigmar Gude am Beispiel der Entwicklung des Stadtteils Neukölln deutlich. Es sei nicht wahr, dass dort Besserverdienende einkommensschwache Bewohner verdrängen. Vielmehr sei ein Kampf um Wohnungen unter Geringverdienern entbrannt. Die Autoren betonen, dass dieser politisch gewollt und vorangetrieben wurde und wird.

Mehrere Beiträge nehmen die Politik der vormaligen rot-roten Landesregierung kritisch unter die Lupe. Von einem »Masterplan der Neoliberalisierung« spricht Holm und verweist auf die massive Privatisierung landeseigener Wohnungen und die Liberalisierung des Baurechts. Bei seiner Analyse des Berliner Bankenskandals spart auch der Publizist Benedict Ugarte Charon nicht mit Kritik an der PDS bzw. der LINKEN.

Mit der Situation von Sexarbeiterinnen in Berlin-Schöneberg befasst sich die Stadtforscherin Jenny Künkel. Sie analysiert sehr gründlich die Debatte, die vor allem von Gewerbetreibenden gegen den »Straßenstrich an der Kurfürstenstraße« initiiert wurde. Am Ende ihres informativen Beitrags geht sie auf die Probleme der außerparlamentarischen Linken ein, sich mit den stigmatisierten Frauen zu solidarisieren Es ist erfreulich, dass auch solche Aspekte hier beleuchtet werden, die in der Debatte über Mieterproteste und das Recht der Bürger auf ihre Stadt kaum vorkommen.

Jutta Blume zeigt auf, wie sich Künstler mit prekären Lebens- und Arbeitsbedingungen über Wasser halten – was Imagekampagnen für Berlin als »Hauptstadt der Kreativen« natürlich nicht thematisieren. Berichtet wird auch darüber, wie sich die instrumentalisierten Künstler zu wehren beginnen. Eine ernüchternde Bilanz der Kampagne »Mediaspree versenken«, die sich gegen die Baupläne am Berliner Spree-Ufer wandte, zieht Jan Dohnke. Der Sozialwissenschaftler Robert Maruschke wiederum weiß, wie mit Bürgerbeteiligungskonzepten im Stadtteil Akzeptanz für ungeliebte Projekte gewonnen werden soll. Die von ihm offerierte Alternative einer transformatorischen Stadtteilorganisierung führt er leider nicht weiter aus.

Über Initiativen wie Konti & Co, die in Kreuzberg mit einer Protesthütte und Lärmdemonstrationen gegen Mieterhöhungen aktiv sind, wird im letzten Kapitel informiert. Das Buch dürfte nicht nur für Hauptstädter interessant sein.

Andrej Holm (Hg.): Reclaim Berlin. Soziale Kämpfe in der neoliberalen Stadt. Assoziation A. 368 S., geb., 18 €.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/926424.wenn-buerger-sich-zu-wehren-beginnen.html

Peter Nowak

»Uns wurde mit Erschießen gedroht«

Die Kritik an deutschen Geschichtsmythen provoziert in Deutschland oftmals noch immer einen rechten Shitstorm. Wie derzeit Anne Helm, Politikerin der Piratenpartei, wegen ihrer Bomber-Harris-Aktion standen vor einigen Wochen die beiden bayerischen Landtagsabgeordneten der Grünen, Sepp Duerr und Katharina Schulze, im Mittelpunkt rechter Angriffe. Sie hatten ein braunes Tuch mit der Aufschrift »Den Richtigen ein Denkmal, nicht den Altnazis! Gegen Spaenles Geschichtsklitterung« (Ludwig Spaenle ist der bayerische Kultusminister, Anm. d. Red.) über das sogenannte Denkmal für die Trümmerfrauen in München gelegt. Die Jungle World sprach mit Katharina Schulze über bayerische Geschichtspolitik und die Folgen ihrer Kritik daran.

Wieso haben Sie und Ihr Landtagskollege Sepp Dürr das Denkmal für die Trümmerfrauen verdeckt?

In München wurden – anders als in anderen großen deutschen Städten – zum weitaus überwiegenden Teil Altnazis von den US-Amerikanern zu den Aufräumarbeiten zwangsverpflichtet. Nach Informationen des Münchner Stadtarchivs waren an der Trümmerbeseitigung in der Stadt insgesamt 1 500 Personen beteiligt, davon 1 300 Männer. Sie waren zu 90 Prozent ehemalige aktive Mitglieder in NS-Organisationen. Dieser historisch unbestrittenen und von Seiten der Staatsregierung bestätigten Tatsache wurde im Zusammenhang mit der Aufstellung des Gedenksteins in keiner Weise Rechnung getragen. Das von dem Gedenkstein ausgehende Signal ist unseres Erachtens ein pauschales Dankeschön an alle Beteiligten an den Aufräumaktionen, die bei genauerem Hinsehen größtenteils mitverantwortlich waren für die Gräueltaten des »Dritten Reichs«. Damit werden die Fakten verdreht und historische Tatsachen relativiert.

Gab es denn vor der Errichtung des Denkmals eine Diskussion darüber, dass die Trümmerfrauen in München vor allem Nazimänner waren?

Die Debatte wird in München bereits seit mehr als zehn Jahren geführt. Auch im Münchner Stadtrat wurde das Thema schon mehrfach diskutiert. Vier Mal hat der Stadtrat sich gegen eine Aufstellung eines Denkmals für Trümmerfrauen auf städtischem Grund ausgesprochen. Und auch die letzte CSU-Initiative wurde 2008 abgelehnt, der Stadtrat schloss sich erneut der Feststellung der Historiker an, dass das Phänomen Trümmerfrauen in München eine untergeordnete Rolle gespielt hat und eine pauschale Ehrung deswegen höchst problematisch ist.

Wieso wurde das Denkmal dennoch errichtet?

Nachdem der Münchner Stadtrat die Aufstellung auf städtischem Grund mehrmals abgelehnt hatte, wandte sich der Verein »Dank und Gedenken der Aufbaugeneration, insbesondere der Trümmerfrauen e. V.« an die bayerische Landesregierung. Der Freistaat stellte auf der Grundlage eines Gestattungsvertrags ein Grundstück am Münchner Marstallplatz für die Errichtung des Gedenksteins zur Verfügung. Der Stein wurde im Mai 2013 aufgestellt und im September 2013 unter anderem im Beisein von Kultusminister Ludwig Spaenle eingeweiht.

Wie erklären Sie sich, dass das bayerische Kultusministerium nach diesen langen Diskussionen die Errichtung des »Denkmals« auf staatlichem Boden ermöglicht hat?

Daran wird wieder einmal deutlich, dass die CSU keine progressive Kraft ist. Der zuständige Minister Ludwig Spaenle ist selbst Historiker und müsste um die fatale Wirkung einer falschen Erinnerungskultur eigentlich wissen. Er hat auf die Anfrage meines Kollegen Sepp Dürr im bayerischen Landtag bestätigt, dass die Situation in München nach dem Krieg unbestritten eine andere war als in anderen deutschen Städten. Ebenso betonte er in seiner Antwort, dass die Ergebnisse der lokalen Forschung in München – nämlich, dass überwiegend Akteure, die dem NS-Regime zu Dienste gewesen waren, bei der Aktion zur Trümmerbeseitigung eine Rolle gespielt haben – bei der Gesamtwürdigung des Denkmals unstrittig einen sehr wichtigen Gesichtspunkt darstellen. Trotzdem hat er der Aufstellung des Denkmals in München zugestimmt und diese Entscheidung immer wieder gegen Kritik verteidigt.

Waren Sie von den wütenden Reaktionen auf Ihre Aktion überrascht?

Die Heftigkeit der Angriffe hat mich schon überrascht. Wir hatten unsere Aktion lediglich in einen lokalen Rahmen in München geplant, denn, wie ich schon angeführt habe, gibt es diese Diskussion dort schon länger. Als dann unsere Aktion bekannt wurde, ging in den rechten Medien und Internetforen ein regelrechter Shitstorm gegen uns los. In kurzer Zeit gingen auf den Facebookseiten unzählige Kommentare ein, darunter waren offene Holocaust-Leugner und NS-Nostalgiker, die ihre Hetze und Drohungen teilweise mit Klarnamen posteten. Uns wurde mit Vergasen und Erschießen gedroht. Ich habe die Kommentare mittlerweile gelöscht, denn ich möchte den Rechten keine Plattform auf meiner Seite bieten. Davor haben wir natürlich alles gesichert und alles strafrechtlich Relevante zur Anzeige gebracht. Die Diskussion in den Medien blieb meistens weiter sachlich. Es wurden Zeitzeugen und Historiker befragt, die ebenfalls die Forschungen des Münchner Stadtarchivs bestätigten, dass die Situation in München anders war als in anderen Städten. Bei den extremen Rechten ging die Hetze jedoch weiter. Es hat mich erschüttert, dass es auch zu Aktionen gegen Einrichtungen der Grünen kam. So wurde über dem Parteibüro in Berlin-Hellersdorf ein Transparent mit der Aufschrift »Grüne Denkmalschänder« angebracht.

1997 gab es in München eine rechte Mobilisierung gegen die dort gezeigte Wehrmachtsausstellung. Daran waren CSU-Politiker ebenso beteiligt wie offene Neonazis. Ist München für solche rechten Proteste besonders geeignet?

Die öffentliche Diskussion nach unserer Aktion hat gezeigt, dass sich insbesondere rechte Kreise durch die – von ihnen selbst befeuerte – Kritik an der Denkmalsverhüllung bestätigt sehen und eine Verbindung zu einem extrem rechten Geschichts- und Gegenwartsverständnis herstellen. Gerade München als ehemalige Hauptstadt der NS-Bewegung hat eine besondere Verpflichtung, sich der eigenen geschichtlichen Verantwortung zu stellen. Im Moment befindet sich gerade das NS-Dokumentationszentrum in Bau, wofür wir Grüne mit zahlreichen Initiativen jahrelang ge­arbeitet haben. Außerdem gibt es viele Bündnisse und Initiativen, die immer zur Stelle sind, wenn in München Rechte auf die Straße gehen.

In der auf Ihrer Homepage veröffentlichten Erklärung zur Verhüllungsaktion heißt es: »Die Aufräumarbeiten in München sind nicht vergleichbar mit dem bewundernswerten Einsatz der Trümmerfrauen in anderen deutschen Städten.« Müsste nicht auch in den Städten, in denen tatsächlich Frauen den Schutt wegräumten, die Frage gestellt werden: Was haben diese im NS gemacht?

Es gibt keine Kollektivschuld, aber es darf eben genauso weder kollektiven Freispruch noch generationenübergreifende Ehrung geben. So wenig die »Achtundsechziger« pauschal ihre Väter beschuldigen durften, dürfen die Enkel heute ihre Großmütter generell freisprechen. Wer an das Nachkriegsleid und die Aufbauleistungen erinnert, ohne einen Zusammenhang zur Vorgeschichte herzustellen und zum unsäglichen Leid, das Nazi-Deutschland über Millionen anderer ­gebracht hat, verzerrt die Verhältnisse. Pauschale Ehrungen sind deswegen problematisch und die historischen Fakten müssen immer vorher genau geprüft werden. Ich halte es deswegen für geeigneter und angemessener, in anderer Form, etwa durch Ehrungen von Einzelpersönlichkeiten, der Leistungen einzelner Menschen zu gedenken.

Also müsste Ihre Aktion doch eher ein Anlass sein, den deutschen Trümmerfrauen-Mythos nicht nur in München, sondern generell in Frage zu stellen?

Wir haben uns auf die konkreten Umstände in München bezogen. Wenn sich in anderen Städten Initiativen bilden, die auf erinnerungspolitischem Feld arbeiten und sich mit dem Thema Trümmerfrauen auseinandersetzen wollen, freue ich mich über den Austausch.

http://jungle-world.com/artikel/2014/10/49463.html

Interview: Peter Nowak

Ein langer Weg zum Frauenkampftag

Sibylle Plogstedt legte eine lesenswerte Geschichte der DGB-Frauen vor

Der Weg zur Emanzipation der DGB-Frauen in der eigenen Organisation war ein steiniger. Bürokratische Hindernisse und ideologische Differenzen galt es zu überwinden.

»Trotz aller gesellschaftlichen Fortschritte: der Internationale Frauentag hat seine Existenzberechtigung nicht verloren«, heißt es in einer Erklärung des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg zum 8. März. Das war nicht immer so. 1980 wollte der DGB- Bundesvorstand durchsetzen, dass sich gewerkschaftliche Frauen nicht an den Aktionen zum 8.März beteiligen. Schließlich werde der in der DDR gefeiert und Clara Zetkin, die als wichtige Initiatorin gilt, war Mitglied der Kommunistischen Partei. Nachdem örtliche Initiativen die Vorstandsanweisung ignorierten und die Zahl der Besucherinnen gewachsen war, beschloss der DGB eigene Aktionen zum 8. März zu organisieren.

Dabei war man aber bemüht, den Tag von Clara Zetkin zu trennen. Ein historisches Gutachten machte darauf aufmerksam, dass der Anlass für den Internationalen Frauentag ein Streik von Textilarbeiterinnen in den USA gewesen ist. Die heute weitgehenden vergessenen Querelen um den 8. März im DGB verdanken wir dem Buch »Wir haben Geschichte geschrieben«, dass Sibylle Plogstedt herausgegeben hat. Die Autorin war als undogmatische Linke in der außerparlamentarischen Bewegung aktiv und Mitbegründerin der Frauenzeitung Courage.

Die hatte anders als die heute bekanntere Emma schon früh Kontakte auch zu Frauen in der Gewerkschaftsbewegung gesucht. Mit ihrer Geschichte der Frauen im DGB leistete Plogstedt Pionierarbeit. Dabei hatten die DGB-Frauenausschüsse bereits 1980 den Beschluss gefasst, ihre eigene Geschichte aufzuschreiben. Allerdings verfügte die Frauenabteilung über keinen eigenen Etat. Diese Episode ist durchaus symptomatisch für den Umgang des DGB-Apparates mit der eigenständigen Organisation der Frauen, wie Plogstedt nachweist.

Sie geht chronologisch vor und beschreibt die Geschichte der gewerkschaftlichen Frauen von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zum Jahr 1990. Dieses Jahr ist tatsächlich auch für die DGB-Frauen eine Zäsur. Erstmals stehen die DGB-Frauen nicht mehr unter der Ägide von CDU-Frauen. Dass mehr als vier Jahrzehnte Mitglied von CDU/CSU für dieses Amt zuständig waren, ist allerdings nicht der Wille der DGB-Frauen gewesen.

Vielmehr zeigt Plogstedt auf, wie die sich sogar dagegen wehrten. Doch der männlich geprägte DGB-Vorstand wollte in ihren Augen zwei Minderheiten in einen Posten unterbringen: Frauen und CDU/CSU-Mitglieder mussten in den Führungsgremien einer Einheitsgewerkschaft berücksichtigt werden. Die dagegen aufbegehrenden Frauen wurden vom zuständigen Sekretär brüsk zurückgewiesen. Plogstedt beschreibt die Folgen dieser bürokratischen Eingriffe. Viele in der unmittelbaren Nachkriegszeit aktive DGB-Frauen meldeten sich bei Gewerkschaftskongressen kaum noch zu Wort. Der Konflikt innerhalb der Frauengremien spitzte sich erst Mitte der 1960er Jahre wieder zu. Während dort eine Mehrheit für eine Reform des Abtreibungsrechts votierte, lehnte es die Christsoziale Maria Weber aus Gewissensgründen ab, den Beschluss nach Außen zu vertreten.

Sibylle Plogstedt hat eine Organisationsgeschichte der Frauen im DGB geschrieben, die man ohne historisches Vorwissen lesen kann und sollte. Eine ähnliche Geschichte des FDGB wäre wünschenswert, denn der wird in dem Buch recht undifferenziert abqualifiziert.

Sibylle Plogstedt, Wir haben Geschichte geschrieben, Zur Arbeit der DGB-Frauen 1945- 1990, Psychosozial-Verlag, 519 Seiten, 19,90 Euro

http://www.neues-deutschland.de/artikel/926159.ein-langer-weg-zum-frauenkampftag.html

Peter Nowak

„Über Ausbeutung geredet“

Seit dem 1. Februar streiken in Dresden-Neustadt drei Kellner der Szenekneipe »Trotzdem«. Wolf Meyer ist einer von ihnen und hat mit der Jungle World gesprochen.

Was ist der Grund eures Streiks?

Die Kneipeninhaberin hat drei gewerkschaftlich in der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union organisierten Kellnern zum 28. Februar gekündigt. Die FAU hat die Chefin zur Rücknahme der Kündigung und zum Abschluss eines Haustarifvertrags aufgerufen. Nachdem keine Reaktion kam, haben wir den Streik begonnen.

Weshalb wurde euch gekündigt?

Die Chefin erklärte, es habe Diebstähle im Warenlager gegeben, die an die Substanz gingen. Da mehr Leute als die drei Gekündigten als mögliche Täter in Frage kommen, sehen wir den Vorwurf als Verleumdung. Mittlerweile hat sie klargestellt, dass zu dem Lager sogar ihre Verwandten Zugang haben.

Steht die Kündigung im Zusammenhang mit eurer gewerkschaftlichen Tätigkeit?

Es ist auffallend, dass nur die drei gewerkschaftlich Organisierten gekündigt wurden, obwohl keinem ein Diebstahl nachgewiesen wurde. Wir haben uns vor einem Jahr in der FAU organisiert und im Mai 2013 eine Gehaltserhöhung von 20 Prozent durchgesetzt. Bei der nächsten Lohnverhandlung für den von uns zunächst angepeilten Mindestlohn von 8,50 Euro sind wir der Inhaberin entgegengekommen und haben vorgeschlagen, die Preise auf die Getränke leicht zu erhöhen und darüber zu informieren, dass damit höhere Löhne für die Beschäftigten bezahlt werden sollen. Die Preiserhöhung hat stattgefunden, die Information über die Lohnerhöhung auf 8,50 Euro nicht mehr.

Wie läuft der Streik ab?

Jeden Tag ab 20 Uhr organisieren wir Streikposten vor der Kneipe. Neben den FAU-Mitgliedern beteiligen sich auch viele Unterstützer.

Welche Erfahrungen habt ihr gemacht?

Die ersten zwei Streiktage hatte die Chefin die Kneipe geschlossen. Danach wurde sie mit Hilfe von Streikbrechern wieder geöffnet. Positiv sehen wir, dass im Dresdner Szenebezirk Neustadt wieder über die Ausbeutung am Arbeitsplatz geredet wird. Schließlich sind die Löhne in vielen Kneipen sehr niedrig. Die Rechte von Arbeitnehmer­innen und Arbeitnehmern werden unterlaufen. Das hat unsere Branchensektion Nahrung und Gastronomie mit einem Lohnspiegel, der auf unserer Homepage (www.libertaeres-netzwerk.org/allgemeines-syndikat/bng) zu finden ist, deutlich gemacht.

http://jungle-world.com/artikel/2014/07/49333.html

Small Talk von Peter Nowak

»Nicht der richtige Weg«

Die Arbeitsagentur Ulm hat Ende Januar Marcel Kallwass, einem 22jährigen Studenten der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit (HdBA), fristlos gekündigt. Dem Rauswurf waren Auseinandersetzungen vorausgegangen. Kallwass hat mit der Jungle World gesprochen.

Was war der Anlass für Ihren Rauswurf?

Ich habe den hochschulinternen Mailverteiler genutzt, um mein zweites Flugblatt zu verschicken und eine Debatte unter den Studierenden anzustoßen. Inhaltlich argumentiere ich im Flugblatt, dass es eine Illusion ist, zu glauben, dass der Job beim Arbeitsamt und Jobcenter sozial ist. Der genaue Inhalt kann auf meinem Blog http://kritischerkommilitone.wordpress.com nachgelesen werden.

Wie wurde Ihre Kündigung begründet?

Wie bei den zwei Abmahnungen Ende vergangenen Jahres wurden mir Beleidigung des Arbeitgebers, Verletzung der Loyalitätspflicht und Verstoß gegen interne Vorschriften vorgeworfen. Die Agentur betrachtet die Nutzung des hochschulinternen Verteilers als rechtswidrig, da eine private Nutzung nicht erlaubt sei.

Warum haben Sie ein Studium an der HdBA begonnen?

Ich wollte Berufsberater werden, weil ich damit die Vorstellung verbunden habe, junge Menschen zu unterstützen. An der HdBA hat mir vor allem die Verbindung zwischen der akademischen Ausbildung und der Praxis gefallen.

Wann haben Sie begonnen, Kritik zu äußern?

Ich habe im Rahmen des Studiums im Jobcenter Ulm hospitiert. Dort habe ich zweimal mitbekommen, wie Erwerbslose sanktioniert wurden. Mir war sofort klar, dass es nicht der richtige Weg ist. Ich habe in der Hochschule Diskussionen über die Sanktionen angeregt. Dabei musste ich feststellen, dass viele Kommilitonen die Sanktionen befürworten.

Haben Sie deshalb die Auseinandersetzung auch außerhalb der Hochschule geführt?

Nachdem ich viele Diskussionen in der Hochschule geführt hatte und dabei an eine Grenze gestoßen war, begann ich, meine Kritik auf meinem Blog zu veröffentlichen. Damit wollte ich auch meine Solidarität mit der Hamburger Jobcenter-Mitarbeiterin Inge Hannemann ausdrücken, die wegen ihrer Kritik am Hartz-IV-System vom Dienst suspendiert wurde.

Wie reagieren Sie auf die Kündigung?

Proteste gegen den Rausschmiss sind in Mannheim und Ulm geplant. Am 20. Februar wird es in Mannheim eine Diskussionsveranstaltung zum Widerstand gegen Hartz IV geben.

http://jungle-world.com/artikel/2014/06/49292.html

Small Talk von Peter Nowak

Kapital & Scheiterhaufen

Peter Nowak* über Federicis Versuch zur Aktualität der Hexenverfolgung
Die US-Professorin Silvia Federici, in den 1970ern Mitgründerin des International Feminist Collective und eine der InitiatorInnen der Forderung nach einem „Lohn für Hausarbeit“, wurde in Deutschland durch das 2012 erschienene Buch „Aufstand aus der Küche. Reproduktionsarbeit im globalen Kapitalismus und die unvollendete feministische Revolution“ (Edition Assemblage) bekannter. Dort sind mehrere Aufsätze dokumentiert, in denen die kapitalistische Krise von einem feministischen Standpunkt analysiert, dem Zusammenhang von Reproduktions- und Produktionsarbeit nachgeht und Überlegungen zu einer feministischen Ökonomie der Gemeingüter (Commons) anstellt. Fast zeitgleich mit diesem Sammelband hat der Wiener Mandelbaum-Verlag in seiner Reihe „Kritik & Utopie“ einen ursprünglich bereits 2004 erschienenen geschichtswissenschaftlichen Grundlagentext von Federici übersetzt und einem deutschsprachigen Publikum zugänglich gemacht, der als Ergänzung zu den o.g. genannten klassischen Themen der feministischen „Hausarbeitsdebatte“ gelesen werden kann.
„Caliban und die Hexe“ zeichnet die Entrechtung der Frauen am Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus nach und verbindet diese Entwicklung mit der zeitgleichen Trennung der Bäuerinnen und Bauern von ihrem Land. Übersetzt wurde das Buch von Max Henninger, der auch „Aufstand aus der Küche“ ins Deutsche übertragen hat. Als koordinierender Redakteur der Webseite Sozial.Geschichte.Online ist er auch Experte für soziale Bewegungen und damit als Übersetzer von Federicis Texten insofern besonders geeignet, als Federici mehrfach betont, dass sie mit ihren wissenschaftlichen Arbeiten aktuellen sozialen Kämpfen ein theoretisches Fundament liefern will.
Die Autorin nennt in der Einleitung zwei Motive, dieses Buch zu schreiben: „Erstens ist es der Wunsch, die Entwicklung des Kapitalismus aus feministischer Perspektive neu zu reflektieren, allerdings unter Vermeidung der Beschränkungen einer Frauengeschichte, die sich von der Geschichte des männlichen Teils der Arbeiterklasse absetzt“ (S. 12). Als zweite Motivation benennt sie „die weltweite, mit der globalen Ausbreitung kapitalistischer Verhältnisse einhergehende Wiederkehr einer Reihe von Erscheinungen, die gemeinhin mit der Genese des Kapitalismus in Verbindung gebracht werden“ (S.12). Denn die blutige Hexenverfolgung gehöre nicht der Vergangenheit an, wie Federici u.a. mit Verweis darauf, dass in Afrika und Asien Hexenverfolgungen zunehmen, zeigen möchte. Sie sieht dabei einen Zusammenhang mit den von Weltbank und IWF forcierten Angriffen auf die Subsistenzwirtschaften auf diesen Kontinenten.
Schon im Titel wird auf William Shakespeares Theaterstück „Der Sturm“ Bezug genommen, das genau in der Übergangszeit vom Feudalismus zum Kapitalismus geschrieben wurde. Federici liefert eine besondere Lesart dieses Textes, zu dessen Schlüsselfiguren Caliban, der Sklave des Zauberers Prospero, gehört: „In meiner Interpretation steht Caliban jedoch nicht für den antikolonialen Rebellen, dessen Kampf in der zeitgenössischen karibischen Literatur nachhallt, sondern er ist Symbol des Weltproletariats, genauer: des proletarischen Körpers als Terrain und Mittel des Widerstands gegen die Logik des Kapitalismus“ (S. 12).
Kapitalismus als Konterrevolution
Wie Federici bedient sich auch das Autorenduo Rediker/Linebaugh operaistischer Parameter bei ihrer Betrachtung der Geschichte. Im Gegensatz zum traditionellen Marxismus lehnen alle drei eine historische Zwangsläufigkeit ab, die vom Feudalismus über den Kapitalismus zum Sozialismus führen soll, und sprechen im Gegensatz zu Marx dem Kapitalismus in keiner Phase emanzipatorische Potentiale zu. „Der Kapitalismus war eine Konterrevolution, die die aus den antifeudalen Kämpfen hervorgegangenen Möglichkeiten zerstörte“ (S. 26), schreibt Federici. Sie bezieht sich dabei auf die europaweiten Kämpfe von Bauern, Landarbeitern und städtischen Armen, die im 15. und 16. Jahrhundert in Europa wirkungsmächtig waren. Für das Territorium des heutigen Deutschlands zählen dazu etwa die Bauernkriege und ihre Nachfolgeaufstände, die bis zu der kurzen Herrschaft der Wiedertäufer in Münster reichen. Federici weist mit Recht auf die europaweite Dimension dieser Kämpfe hin und zeigt auch, dass sich bekannte Intellektuelle und Künstler ihrer Zeit mit den Aufständischen solidarisieren. Wenn sie in diesen Bewegungen, wie auch in den Ketzerbewegungen des europäischen Mittelalters, unbedingt emanzipative Momente entdecken will, wirkt das allerdings manchmal etwas bemüht. Allzu wohlwollende Lesarten versieht sie oft selbst mit Fragezeichen. Schließlich ist die Quellenlage schlecht, und oft sind Berichte über diese Bewegungen nur von ihren Verfolgern überliefert.
Hexenverfolgung als Teil des Kampfes gegen die ArbeiterInnenbewegung
Das bezieht sich auch auf die Hexenverfolgung, die in den letzten beiden Kapiteln ausführlich dargestellt wird. Dabei kritisiert sie die Gleichgültigkeit und Ignoranz dieser „großen Hexenjagd“  (S.201)   gegenüber auch bei marxistischen Historikern und bei Marx selbst: „Marxens Analyse der ursprünglichen Akkumulation erwähnt auch die ‚Große Hexenjagd‘ des 16. und 17. Jahrhunderts nicht, obgleich diese staatlich geförderte Terrorkampagne für die Niederlage der Bauern von zentraler Bedeutung war, da sie die Vertreibung der Bauern von den vormals gemeinschaftlich genutzten Ländereien erleichterte“ (S. 78).
Die Autorin begründet die These hauptsächlich damit, dass die Frauen zu den Hauptträgerinnen des Widerstandes gegen die Einhegungen gehörten. Mit der Hexenverfolgung sei dieser Widerstand wesentlich geschwächt worden.
Für Federici gehören die Hexenverfolgungen zur Geschichte der Verfolgung der Arbeiterbewegung, denn es seien schließlich in der Regel Frauen aus der Unterklasse, die als Hexen verfolgt worden seien. „Die Hexenverfolgungen vertieften die Spaltung zwischen Männern und Frauen. Sie lehrten Männer, die Macht der Frauen zu fürchten, und sie zerstörten ein ganzes Universum von Praktiken, Glaubensvorstellungen und sozialen Subjekten, deren Existenz mit der kapitalistischen Arbeitsdisziplin unvereinbar war“ (S. 203). An anderer Stelle schreibt die Autorin: „Die Hexenverfolgungen dienten auch dem Aufbau einer patriarchalen Ordnung, unter der die Körper der Frauen, ihre Arbeit und ihre reproduktiven Vermögen unter staatliche Kontrolle gestellt und in ökonomische Ressourcen verwandelt wurden“ (S.  209 f).  Hier beschreibt Federici über Folgen der Hexenverfolgung. Bei ihr wird darauf aber eine Intention, als ob es gesellschaftliche Kräfte gegeben habe, die die Hexenverfolgung zielbewusst eingesetzt hätten, um den Widerstand gegen den Kapitalismus zu schwächen. Den Beweis dafür bleibt Federici aber schuldig. Gut heraus gearbeitet hat sie allerdings, wie widerständige Frauen auch dann noch  zu Hexen erklärt wurden, als sie nicht mehr am Scheiterhaufen endeten.
Das Feindbild Hexe habe sich auch nach dem Ende der großen Verfolgungen gehalten. Federici verweist hier auf die hetzerische Darstellung von politisch aktiven Frauen in der Pariser Commune, die an das Bild der Hexe erinnern. „1871 griff das Pariser Bürgertum instinktiv darauf zurück, um die weiblichen Kommunardinnen zu dämonisieren und ihnen vorzuwerfen, sie wollten Paris in Brand stecken“ (S. 251). Man könnte dieses Beispiel durch die Darstellung politisch aktiver Frauen in der bayerischen Räterepublik ergänzen, auf die der Autor Klaus Theweleit in dem Buch „Männerphantasien“ hingewiesen hat.
Angriff auf die Subsistenz
Federici beschäftigt sich in einem Kapitel ausführlich mit der Politik der Einhegung und Einzäunung von Äckern und Weideland. Diese gewaltsame Trennung der Menschen vom Land, wo sie Nahrung anbauen und eine Subsistenzwirtschaft betreiben konnten, war bekanntlich eine Voraussetzung dafür, die Menschen in den Stand der „doppelt freien Lohnarbeit“ (Marx) zu setzen, die in den Manufakturen und Fabriken verrichtet werden musste. Marx fasste diesen Prozess der Trennung der Arbeiter von ihren Produktionsmitteln in den Begriff der ursprünglichen Akkumulation. Doch für Federici geht Marx hier nicht weit genug. “Marx analysierte die ursprüngliche Akkumulation allerdings fast ausschließlich vom Standpunkt des Industrieproletariats aus“ (S. 77). Dagegen würde er die Veränderungen in der Reproduktion der Arbeitskraft und der Stellung der Frau kaum erwähnen. Hier setzt Federici an, wenn sie betont, dass die ursprüngliche Akkumulation „nicht allein in der Konzentration von Kapital und für die Ausbeutung verfügbarer   verfügbaren Arbeitern“ (S. 78) bestehe. Für sie gehört die „Akkumulation von Unterschieden und Spaltungen zwischen der Arbeiterklasse“ (S. 78) dazu. Sie benennt hierbei Hierarchisierungen, die auf Geschlecht, Rasse und Alter beruhen. Die Autorin unterstellt, dass (nur) ein heteronormatives Geschlechterverhältnis und eine entsprechend heterosexuelle familiäre Arbeitsteilung funktional für die Aufrechterhaltung kapitalistischer Produktion seien. Zudem wirft sie vielen Marxisten vor, „die kapitalistische Akkumulation mit der Befreiung des Arbeiters oder  Einfügung ist richtig [der] Arbeiterin gleichzusetzen“ (S.78) und betont dagegen, dass der Kapitalismus „brutalere und listigere Formen der Versklavung“ (S. 78) habe.  Hier sind kritische Nachfragen angebracht. Wo haben welche Marxisten dem Kapitalismus pauschal das Verdienst der Befreiung der Arbeiter zugerechnet? Bei Marx selbst ist der doppelt freie Arbeiter ausdrücklich kein befreites Subjekt. Es geht bei Marx immer um eine Unterscheidung der Hinsichten: Freiheit von was und Freiheit zu was? Wenn Federici zudem vom Kapitalismus als einer besonderen Form der Versklavung spricht, geht der spezifische Unterschied zwischen einer Sklavenhaltergesellschaft, in der gerade keine Lohnarbeit in großem Maße vorhanden ist, und der kapitalistischen Ausbeutung verloren. Das sind nur zwei von vielen inhaltlichen Fragen, die sich nach der Lektüre von Federicis Versuch über die Entstehung des Kapitalismus stellen. Was bleibt, ist ein brillant geschriebenes, anregendes, mit vielen zeitgenössischen Motiven Bildern, Flugschriften und Karikaturen  versehenes Buch, das zur kritischen Debatte anregt, auch und gerade, wenn man ihre Argumente  nicht teilt .
http://www.labournet.de/express/
Peter Nowak
Silvia Federici: „Caliban und die Hexe – Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation“, übersetzt von Max Henninger, herausgegeben von Martin Birkner, 315 Seiten, Mandelbaum Verlag, Wien 2012, 24,90 Euro, ISBN 978-3-85476-615-5

Berliner Geschichte

»Keine Hundesteuer, keine Mietsabgaben, keine neuen Maschinen und im Tiergarten rauchen« – das waren die Forderungen einer Demonstration im Juli 1830, die als Berliner Schneideraufstand in die Geschichte einging. Mit dieser sozialen Bewegung beginnt der Historiker Axel Weipert seine »Geschichte des Roten Berlin«. Es folgen der Kartoffelaufstand am Mehringplatz 1847 und die Blumenstraßenkrawalle gegen Zwangsräumungen in Kreuzberg 1872, die vom Militär blutig unterdrückt wurden. Auch in der Weimarer Zeit legt Weipert das Augenmerk auf die Geschichte sozialer Bewegungen. Die beginnt mit den Revolutionären Obleuten, den eigentlichen Trägern der Novemberrevolution. Der Autor zeigt, wie die Rätebewegung von den Freikorps blutig unterdrückt wurde, die im Auftrag der SPD die Revolution abwürgten. Wenig bekannt sind die starke Erwerbslosenbewegung in der Frühzeit der Weimarer Republik und eine Schöneberger Siedlung, die noch in der Frühphase des Naziregimes als Rote Insel bekannt war. Weipert konzentriert sich auf den Stadtteil und selbstorgansierte Kämpfe. Diese wurden in der sozialdemokratischen Presse oft mit Krawall in Verbindung gebracht, etwa die Demonstrationen junger Erwerbsloser 1892 oder die Proteste von Obdachlosen einige Jahre später. Es ist verdienstvoll, dass Weipert diese von den Parteien und Gewerkschaften oft ignorierten oder gar diffamierten Kämpfe in seinem gut lesbaren Buch einer größeren Öffentlichkeit bekannt macht.

http://www.akweb.de//ak_s/ak590/03.htm

Peter Nowak

Axel Weipert: Das Rote Berlin. Eine Geschichte der Berliner Arbeiterbewegung 1830 – 1934. Berliner Wissenschaftsverlag, Berlin 2013. 251 Seiten, 29 EUR.

Massenmörder mit Familie

Ein Film stellt sich am Beispiel der deutschen Einsatzgruppen im Zweiten Weltkrieg die Frage, wie normale Männer Massenmörder wurden, blendet aber die deutschen Spezifika aus

Links

[1]

http://www.das-radikal-boese.wfilm.de/Das_Radikal_Bose/Start.html

[2]

http://www.amazon.de/dp/3930786532/ref=nosim?tag=telepolis0b-21

[3]

http://www.deathcamps.org/occupation/1005_de.html

[4]

http://www.amazon.de/dp/3863311388/ref=nosim?tag=telepolis0b-21

[5]

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13680669.html

[6]

http://www.amazon.de/dp/3499608006/ref=nosim?tag=telepolis0b-21

[7]

http://www.edition-assemblage.de/generalstreik-und-marzkampfe-in-berlin/