„Solidarität herzustellen, ist eine schwierige Arbeit“

Ende Mai fand in Berlin die Konferenz von Labourstart, einer Nachrichten- und Kampagnen-Website für die internationale Gewerkschaftsbewegung, statt. Diskutiert wurde über das Thema »globale Solidarität«. Wie es um diese und die Möglichkeit, Arbeitskämpfe weltweit zu führen, steht, darüber sprach die Jungle World mit Gisela Neunhöffer vom Labourstart-Netzwerk Berlin, die die Konferenz mit vorbereitet hat.

Labourstart, das klingt wie eines der vielen Start-up-Projekte. Was hat es mit internationaler Solidarität zu tun?

Labourstart wurde 1998 gegründet mit Sitz in London. Bisher hat es Konferenzen zur globalen Solidarität in London, Washington, Hamilton, Ontario, Istanbul und Sydney durchgeführt. Ende Mai trafen sich über 300 Delegierte aus etwa 75 Ländern aus aller Welt erstmals in Berlin.

Was war der Grund für diese Ortswahl?

Kurz nach dem Kongress des Internationalen Gewerkschaftsbundes, der ebenfalls in Berlin stattfand, bot die Labourstart-Konferenz Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern, von Basisaktiven bis zu Vorsitzenden und Vertretern der internationalen Gewerkschaftsorganisationen, die Möglichkeit, aktuelle Fragen der Gewerkschaftsbewegung in einem informellen Rahmen zu diskutieren. Zudem sollte das Projekt bei den deutschen Gewerkschaften bekannter gemacht werden.

Was waren die Höhepunkte der Berliner Konferenz?

Auf dem Eröffnungspanel lieferte Kıvanç Eli Açık vom linken türkischen Gewerkschaftsbund DISK aktuelle Informationen zum Grubenunglück in Soma und zeigte die Folgen der Missachtung der Arbeitsgesetzgebung auf. Am zweiten Tag gehörte Nazma Akter zu den Podiumsteilnehmerinnen. Die Frauenaktivistin und Gewerkschafterin sprach über ihren Kampf für die Näherinnen in Bangladesh.

Gab es auch außerhalb der Konferenz praktische Aktionen internationaler Solidarität?

Am 24. Mai beteiligten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz an einer Kundgebung vor einer Edeka-Filiale in Berlin-Kreuzberg. Die Aktion wurde von Verdi, der Christlichen Ini­tiative Romero, der Supermarktinitiative und der Initiative »Eigentum verpflichtet« gemeinsam vorbereitet. Damit soll der Edeka-Konzern zur Wahrnehmung seiner Verantwortung in der internationalen Lieferkette seiner Produkte aufgefordert werden – von der Produktion, in diesem Fall von Orangensaft, bis zu den Arbeitsbedingungen in den Edeka-Läden hierzulande.

Spielten auf der Konferenz auch die Rechte von Erwerbslosen eine Rolle?

Es gab mehrere Workshops zum Kampf für die Rechte von Erwerbslosen. Mag Wompel vom Informationsportal Labournet Germany betonte noch einmal eindringlich, dass die Verteidigung der Rechte derjenigen, die aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzt sind, zum eigensten Interesse der Gewerkschaftsarbeit gehören muss. Schließlich gehören die Entrechtung von Erwerbslosen und der Abbau von Rechten für die Beschäftigten zusammen.

Welche gewerkschaftlichen Solidaritätskampagen wurden von Labourstart bisher initiiert?

Sehr bekannt ist der internationale Kampf für Entschädigung für die Opfer des Einsturzes der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesh. Labourstart hat dazu beigetragen, dass der Druck auf die verantwortlichen Textilkonzerne erhöht wurde, damit sie endlich Geld in den vereinbarten Entschädigungsfond einzahlen. Auch die verbindliche Umsetzung der Gebäudesicherheits- und Feuerschutzbestimmungen spielt in der Kampagne eine wichtige Rolle. Die Unterstützung des Kampfes der Textilarbeiterinnen und -arbeiter in Kambodscha ist ebenfalls ein wichtiges Anliegen von ­Labourstart. Der Arbeitskampf dauert bereits mehrere Monate. Die Beschäftigten sind einer massiven Repression von Seiten des Staates ausgesetzt. Streikende wurden auf Demonstrationen erschossen oder schwer verletzt. Zahlreiche Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter wurden verhaftet oder mussten untertauchen.

Sind als Träger solcher Solidaritätsaktionen nicht eher Nichtregierungsorganisationen (NGO) als Gewerkschaften gefragt?

Bei dieser Solidaritätsarbeit arbeiten Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen eng ­zusammen. Es mag sein, dass die NGOs hier bekannter sind, weil sie in der Regel die Öffentlichkeitsarbeit in Europa übernehmen. Aber die gewerkschaftliche Arbeit vor Ort ist auch sehr wichtig. Schließlich muss in den Betrieben kontrolliert werden, ob die Vereinbarungen über faire Arbeitsbedingungen auch umgesetzt werden. Das können NGOs aus Europa nicht leisten. Dazu sind starke Gewerkschaftsgruppen nötig.

Unterstützt Labourstart auch Kämpfe von Beschäftigten in Deutschland?

Natürlich. Auch dafür gab es auf der Konferenz vielfältige Beispiele. Ich will nur an die internationale Solidaritätsaktion für die Streikenden des Raststättenkonzerns Autogrill erinnern. Gemeinsam mit der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) kämpfen die Beschäftigten für den Abschluss eines Tarifvertrags. Anfang April sind Beschäftigte in Thüringen und Bayern in einen unbefristeten Streik getreten. Labourstart hat eine internationale Solidaritätskampagne initiiert, die sehr erfolgreich war. Innerhalb weniger Tage haben Tausende Menschen aus aller Welt Autogrill aufgefordert, die Forderungen der Beschäftigten nach einem Tarifvertrag und fairen Löhnen zu erfüllen.

Kann ein Internetaktivismus, der sich auf einen Mausklick oder eine digitale Unterschrift beschränkt, wirklich Grundlage für eine weltweite Solidaritätsbewegung sein?

Es ist gerade eine Stärke von Projekten wie Labourstart, dass sie den Menschen die Möglichkeit des Engagements auf unterschiedlichen Ebenen geben. Wer wenig Zeit hat, kann einen Solidaritätsaufruf unterzeichnen. Andere können Texte in die verschiedenen Sprachen übersetzen. Zudem wird nach der Konferenz überlegt, ob in verschiedenen Ländern Labourstart-Unterstützergruppen gegründet werden. Die Diskussion darüber ist noch nicht abgeschlossen.

Ist die schlechte finanzielle Ausstattung des Projekts nicht ein großes Problem?

Gegenwärtig läuft der größte Teil der Arbeit ehrenamtlich. Es gibt nur ganz wenige bezahlte Stellen. Doch ohne die inhaltliche Zusammenarbeit und finanzielle Unterstützung verschiedener Gewerkschaften und Stiftungen sowie Einzelspenden wäre die Konferenz in Berlin nicht möglich gewesen.

Ist es aber nicht ein großes Problem, wenn Gewerkschaftsvorsitzende auf dem Kongress ein Bekenntnis zur internationalen Solidarität ablegen und in der Praxis eine Tarifpolitik für die Stärkung des Standorts Deutschlands machen, der andere Beschäftigte niederkonkurriert?

Es ist ein Ziel von Projekten wie Labourstart, das Prinzip der internationalen Solidarität in der Gewerkschaftsbewegung zu verankern und mit Leben zu füllen. Es geht darum, deutlich zu machen, dass nur so heute noch Erfolge zu erzielen sind. Dabei gibt es natürlich immer wieder Rückschläge, weil die Politik des »Teile und herrsche« eben manchmal doch ganz gut funktioniert. Doch in der Geschichte der Gewerkschaftsbewegung ist die Frage, wie Solidarität über vermeintlich unterschiedliche Interessen hinweg geübt werden kann, nicht neu. Darum ging es bei der Durchsetzung der Flächentarifverträge ebenso wie beim Kampf für die Rechte von Frauen in der Arbeitswelt. Diese Solidarität herzustellen, ist eine langwierige und schwierige Arbeit – manchmal eben auch innerhalb der eigenen Organisationen.

In den vergangenen Monaten wurde auch in Deutschland heftig darüber gestritten, ob Flüchtlinge ohne gültigen Aufenthaltsstatus Gewerkschaftsmitglieder werden können. Spielte das Thema auf dem Kongress auch eine Rolle?

Es gab mehrere Workshops, die sich mit der Frage beschäftigen, wie Gewerkschaften sich für Migrantinnen und Migranten mit unterschied­lichem Aufenthaltsstatus öffnen können. Dabei wurden verschiedene Modelle vorgestellt. In ei­nigen Ländern organisieren sich Migrantinnen und Migranten in eigenen Organisationen, in anderen sind sie Teil der bestehenden Gewerkschaftsstrukturen.

Es wird immer beklagt, dass das Kapital vernetzt, die Arbeiterbewegung aber noch im nationalstaatlichen Denken verfangen ist. Kann Labourstart das ändern?

Wir werden mit der kleinen Initiative natürlich nicht die neue internationale Arbeiterbewegung erfinden. Doch Labourstart kann wichtige Bausteine liefern, die Menschen solidarisches Handeln überhaupt wieder ermöglichen.

http://jungle-world.com/artikel/2014/24/50044.html

Peter Nowak

»Solidarisches Handeln überhaupt ermöglichen«

In Berlin trafen sich rund 300 GewerkschafterInnen aus aller Welt zur Konferenz des Onlineportals LabourStart

Nach dem DGB-Bundeskongress und dem Kongress des Internationalen Gewerkschaftsbundes IGB endete mit der LabourStart-Konferenz ein Gewerkschaftsmarathon in Berlin.
Gisela Neunhöffer Gisela Neunhöffer hat die diesjährige LabourStart-Konferenz maßgeblich mit organisiert. Unter dem Motto »Globale Krise – globale Solidarität« trafen sich bereits am letzten Maiwochenende GewerkschafterInnen aus aller Welt, um über neue Strategien zu diskutieren und vergangene Kampagnen auszuwerten. Mit der Gewerkschafterin sprach für »neues deutschland« Peter Nowak.

nd: Ist LabourStart der Neustart einer Arbeiterbewegung?
Wir werden mit der kleinen Initiative natürlich nicht die neue internationale Arbeiterbewegung erfinden. Doch LabourStart kann wichtige Bausteine liefern, die Menschen solidarisches Handeln überhaupt wieder ermöglichen.

Wie wollen Sie das erreichen?
LabourStart ist eine 1998 gegründete Nachrichten- und Kampagnenwebseite für die internationale Gewerkschaftsbewegung. Nach Konferenzen zur globalen Solidarität in London, Washington, Hamilton, Ontario , Istanbul und Sydney trafen sich Ende Mai über 300 Delegierte aus rund 75 Ländern erstmals in Berlin.

Warum gerade dort?
Kurz nach dem Kongress des Internationalen Gewerkschaftsbundes, der ebenfalls in Berlin stattfand, bot die LabourStart-Konferenz eine Möglichkeit für Gewerkschafter von Basisaktiven bis zum Vorsitzenden und Vertreter der internationalen Gewerkschaftsorganisationen, aktuelle Fragen der Gewerkschaftsbewegung in einem informellen Rahmen zu diskutieren.

Können Sie einige Beispiele für die Arbeit von LabourStart nennen?
Sehr bekannt ist der internationale Kampf um Entschädigung für die Opfer des Einsturzes der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch. LabourStart hat mit dazu beigetragen, dass der Druck auf die verantwortlichen Textilkonzerne erhöht wurde, endlich das notwendige Geld in den vereinbarten Fonds einzahlen. Auch die verbindliche Umsetzung der Gebäudesicherheits- und Feuerschutzbestimmungen spielt in der Kampagne eine wichtige Rolle.

Die Unterstützung des Kampfes der Textilarbeiter in Kambodscha ist ebenfalls ein wichtiges Anliegen von LabourStart. Der Arbeitskampf dort dauert bereits mehrere Monate. Die Beschäftigten sind einer massiven Repression von Seiten des Staats ausgesetzt. Zahlreiche Gewerkschafter wurden verhaftet oder mussten untertauchen.

Unterstützt LabourStart auch Streiks in Deutschland?
Ja. Ich will nur an die internationale Solidaritätsaktion für die Streikenden des Raststättenkonzerns Autogrill erinnern, die gemeinsam mit der Gewerkschaft Nahrung-Genus-Gaststätten (NGG) für den Abschluss eines Tarifvertrages kämpfen. Anfang April sind Beschäftigte in Thüringen und Bayern in einen unbefristeten Streik getreten. LabourStart hat eine erfolgreiche internationale Solidaritätskampagne gestartet Innerhalb weniger Tage haben Tausende Menschen aus aller Welt den Autogrill aufgefordert, die Forderungen der Beschäftigten nach einen Tarifvertrag und fairen Löhnen nachzugeben.

Kann ein Mausklick Grundlage für eine weltweite Solidaritätsbewegung sein?
LabourStart ermöglicht den Menschen die Möglichkeit des Engagements auf unterschiedlichen Level. Wer wenig Zeit hat, kann einen Solidaritätsaufruf unterzeichnen. Andere können Texte in die verschiedenen Sprachen übersetzen. Zudem wird nach der Konferenz überlegt, ob in verschiedenen Ländern LabourStart-Unterstützergruppen gegründet werden.

Fragen: Peter Nowak

„Der Markt ist eine Zumutung“

PROTESTKINO In „Mietrebellen“ zeichnen Matthias Coers und Gertrud Schulte Westenberg die Mieterproteste der letzten Jahre nach – und räumen mit Klischees über Betroffene auf

INTERVIEW PETER NOWAK

taz: Frau Schulte Westenberg, Herr Coers, wer sind eigentlich die „Mietrebellen“ Ihres gleichnamigen Films?

Matthias Coers: Wir haben mit dem Titel auf den Begriff der Mietnomaden reagiert, der von der Wohnungswirtschaft erfolgreich lanciert wurde. Damit wurde ein absolutes Nebenproblem aufgeblasen, um MieterInnen als BetrügerInnen zu diffamieren. Wir bezeichnen die MieterInnen als RebellInnen, die sich gegen Mieterhöhungen und Vertreibungen solidarisch wehren.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Gertrud Schulte Westenberg: Das betrifft alle MieterInnen, die wir im Film zeigen. Ich will exemplarisch die Rentnerin Rosemarie Fließ nennen, die sich wenige Tage vor ihrer eigenen Räumung an einer Demonstration gegen die Räumung der Familie Gülbol in Kreuzberg beteiligte, obwohl sie sich nur noch mit Mühe bewegen konnte.

Die Beerdigung von Rosemarie Fließ, die zwei Tage nach ihrer Zwangsräumung starb, ist ein zentrales Element des Films

Coers: Der Tod von Rosemarie Fließ hat die Dramaturgie des Films verändert. Meine Grundidee war zunächst, in dem Film die unterschiedlichsten Menschen zu zeigen, die sich gegen ihre Vertreibung wehren und so den Zuschauern Mut zu machen. Dieses Konzept war durch den Tod von Rosemarie Fließ nicht mehr aufrechtzuerhalten. Wir setzten die Beerdigung an den Anfang und wollten damit deutlich machen, dass Zwangsräumungen keine Seltenheit sind – und mitunter auch tödlich sein können. Doch so wie die meisten Zwangsräumungen ohne öffentliche Aufmerksamkeit über die Bühne gehen, werden auch Krankheit, Trauer und Tod der Mieter nach dem Verlust der Wohnung in der Regel nicht wahrgenommen.

Schulte Westenberg: Ich war als Mieterin von einer Modernisierungsankündigung mit angedrohter Mieterhöhung konfrontiert, schloss mich meinen NachbarInnen zusammen – und wir hatten Erfolg. Diese eigene Erfahrung hat mich sensibel für den MieterInnenprotest gemacht. Ich habe Menschen kennengelernt, die sich gegen Mieterhöhung und Verdrängung engagieren und war davon stark beeindruckt. Ich dachte mir, dass die eine Arbeit machen, für die eigentlich die Politik zuständig ist. Das war meine zentrale Motivation für den Film.

Der Film konzentriert sich sehr stark auf die einzelnen Protagonisten. Warum fokussieren Sie sich so auf die einzelnen Charaktere, auf das Persönliche des Protests?

Coers: Damit wollten wir die Unterschiedlichkeit der Mietrebellen deutlich machen. Die migrantische Rentnerin gehört genauso dazu wie der Fahrradkurier aus der autonomen Szene. Wir wollten so auch der Vorstellung entgegentreten, dass Menschen, die ihre Wohnung verlieren, mit den finanziellen Realitäten nicht zurechtkommen. In Wirklichkeit sind die ökonomischen Realitäten auf dem Mietenmarkt eine Zumutung für immer größere Teile der Menschen, bis hin zur Mittelschicht. Wir haben MietrebellInnen in Pankow und Spandau ebenso kennengelernt wie in Kreuzberg und Neukölln.

„Mietrebellen“ läuft morgen in den Kinos an – ist das Thema nun für Sie auserzählt?

Schulte Westenberg: Mich würde ein investigativer Film reizen, der nachzeichnet, wie der soziale Wohnungsbau in Berlin von der Politik zielstrebig gegen die Wand gefahren wurde.

Coers: MieterInnen als selbstbewusste TeilnehmerInnen in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen werden mich auch weiter beschäftigen.

„Mietrebellen“. Von Gertrud Schulte Westenberg und Matthias Coers. Zu sehen ist der Film ab heute im Lichtblick-Kino (18 Uhr) und im Moviemento (18.30 Uhr). Weitere Termine: mietrebellen.de
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=me&dig=2014%2F04%2F23%2Fa0099&cHash=a060d5ec1031d8497dc6cf4e920ab484
Interview: Peter Nowak

»Mietrebellen« im Kino

Gespräch mit Regisseur Matthias Coers

Heute um 18.30 Uhr hat im Kino Moviemento der Dokumentarfilm »Mietrebellen« Premiere, der die Berliner Mieterkämpfe der letzten beiden Jahren zeigt. Mit Regisseur Matthias Coers sprach Peter Nowak.

nd: Wie entstand das Konzept für den Film?
Coers: : Ich habe bereits seit Jahren Videoclips zu sozialpolitischen Themen gedreht. Meine Co-Regisseurin Gertrud Schulte Westenberg hatte bereits einen Film zur Hartz IV- und zur »Mietenproblematik gedreht. Wir haben uns bei der Videoarbeit kennengelernt.

Wir haben Ihr es geschafft, die Mietenrebellen vor die Kamera zu bekommen?
Anfangs gab es schon Zurückhaltung. Schließlich will niemand gerne in einer Notlage gezeigt werden, besonders, wenn er seine Wohnung verlieren soll. Doch gerade die aktiven Menschen haben uns auch vertraut und unsere positive Grundhaltung zu ihren Anliegen gespürt. So konnten wir eine Nähe herstellen, ohne die der Film nicht möglich gewesen wäre.

Der Film beginnt mit dem Tod der Rentnerin Rosemarie Fließ zwei Tage nach ihrer Zwangsräumung. Hat dies die Konzeption des Films beeinflusst?
Der Tod der Rentnerin hat nicht die Grundstruktur, aber die Dramaturgie des Films verändert. Unsere Grundidee war zunächst, die unterschiedlichsten Menschen zu zeigen, die sich gegen ihre Vertreibung wehren. Dieses Konzept war durch den Tod von Rosemarie Fließ nicht mehr aufrechtzuerhalten. Wir setzten die Beerdigung an den Anfang. Es ist ein extremes Ereignis. So wie die meisten Zwangsräumungen ohne öffentliche Aufmerksamkeit über die Bühne gehen, werden auch Krankheit und Tod nach dem Verlust der Wohnung in der Regel nicht wahrgenommen.

Warum sind auf dem Ankündigungsplakat einige der Mietrebellen abgebildet?
Wir wollten ihre Unterschiedlichkeit zeigen. Die migrantische Rentnerin ist ebenso betroffen wie der autonome Fahrradkurier. Damit wollten wir der Vorstellung entgegentreten, Menschen, die ihre Wohnung verlieren, kommen mit den finanziellen Realitäten nicht zu recht. In Wirklichkeit sind die ökonomischen Realitäten auf Immobilienmarkt eine Zumutung für immer größere Teile der Menschen bis hin zur Mittelschicht.

Haben Sie die Hoffnung, dass der Film etwas verändert?
Sicher wird niemand nach dem Film aus dem Kinosessel aufstehen und sagen, jetzt wehre ich mich gegen meinen Vermieter. Er ist aber ein Lehrstück. Wenn die Menschen in der Nachbarschaft erfahren, dass jemand von Mieterhöhungen betroffen ist, wissen sie durch den Film, dass es eine Alternative dazu gibt, die Verhältnisse ohnmächtig hinzunehmen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/930932.mietrebellen-im-kino.html

Interview: Peter Nowak

»Ehrung ist nicht gerechtfertigt«

Der Bonner Student Lukas Mengelkamp will keinen Kissinger-Lehrstuhl an seiner Universität

Lukas Mengelkamp studiert Geschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. Mit der »Initiative Zivile Uni Bonn« hat er einen Offenen Brief dagegen aufgesetzt, dass dort ein Lehrstuhl für internationale Beziehungen und Völkerrecht eingerichtet wird, der nach dem US-Politiker Henry Kissinger benannt werden soll. Dies hatte die Bundesregierung im Mai 2013 zum 90. Geburtstag Kissingers beschlossen. Mit ihm sprach Peter Nowak.

nd: Kürzlich haben sich zahlreiche Wissenschaftler in einem Offenen Brief gegen die Kissinger-Professur ausgesprochen. Sehen Sie darin einen Erfolg Ihrer Öffentlichkeitsarbeit?
Mengelkamp: Ja, natürlich freuen wir uns als »Initiative Zivile Uni Bonn« sehr, dass nun endlich dem Thema eine angemessene Aufmerksamkeit zuteil wird. Wir bemühen uns schon seit einem halben Jahr darum, eine Debatte über die Professur anzustoßen. Vor allem zeigt uns der Brief, dass wir mit unserer Kritik alles andere als allein sind.

Wird der Aufruf die Debatte um die Professur beeinflussen?
Der Aufruf hat die Debatte nach unserem Empfinden schon ein ganzes Stück voran gebracht. In vielen überregionalen Zeitungen wurde berichtet. Etwa eineinhalb Wochen vor dem Offenen Brief haben wir bereits eine Erklärung veröffentlicht, die über 1000 Personen unterschrieben. Die Initiative wird von einer breiten zivilgesellschaftlichen Bewegung getragen, die Wissenschaftler, Menschenrechts- und Ärzteorganisationen, namhafte Juristenvereinigungen, kirchliche Organisationen und internationale wie nationale Friedensorganisationen umfasst. Zu den Unterzeichnenden zählen Hochschullehrende, gewerkschaftlich Organisierte, Handwerker, Politiker, Theologen und Unternehmer – also ein Querschnitt der Gesellschaft.

Sie setzten sich schwerpunktmäßig für eine zivile Hochschule ein. Inwieweit ist die durch den Namen eines Politikers, der nie Militär war, tangiert?
Wir kritisieren die Namensgebung und die Finanzierung durch das Bundesverteidigungsministerium. Henry Kissinger steht für eine Politik, in der das Völkerrecht mit Füßen getreten wurde. Dazu proklamiert das Verteidigungsministerium eine militarisierte Außenpolitik. Hier ergibt sich der Verdacht, dass es das Interesse des Ministeriums ist, im wissenschaftlichen Diskurs seine Interpretationslinie von Außen- und Sicherheitspolitik zu stärken.

Sprechen nicht Kissingers aktuelle Warnungen vor einem konfrontativen Kurs gegenüber Russland in der Ukraine für ihn?
Das würde darauf hinaus laufen, dass man hunderttausende Tote in Südostasien mit seiner Entspannungspolitik zwischen den Blöcken des Kalten Krieges aufzuwiegen versucht. Er war aber mitverantwortlich für die Massenbombardements über Kambodscha und Laos während des Vietnamkriegs. Außerdem hat er Militärdiktaturen in Lateinamerika und Pakistan aktiv unterstützt und den Angriffskrieg Indonesiens gegen Osttimor gebilligt. Die Namensgebung ist eine ungerechtfertigte Ehrung.

Was werden Ihre nächsten Schritte gegen die Kissinger-Professur sein?
Die Bonner Initiative wirbt weiter für die Erklärung gegen die Kissinger-Professur. Besonderen Wert legen wir auf unsere Forderung nach einer zivilen Hochschule, die in Forschung und Lehre möglichst unabhängig bleibt und ihrer gesellschaftlichen Verantwortung für Frieden und dem Wohlergehen der Menschen gerecht wird.

Haben Sie die Unterstützung der rot-grünen NRW-Landesregierung?
Die Universitätsleitung behauptet, sie werde bei der Professur uneingeschränkt vom Wissenschaftsministerium unterstützt. Nach unserem Wissensstand gibt es keinerlei Aussagen von Seiten des Ministeriums, die diese Behauptung belegen könnten. Von politischer Seite wird unsere Erklärung unter anderem von den Landtagsabgeordneten Rolf Beu von den Grünen und Felix von Grünberg von der SPD unterstützt. Außerdem von der Europaabgeordneten Barbara Lochbihler ebenso von den Grünen und dem Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko von der LINKEN.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/929448.ehrung-ist-nicht-gerechtfertigt.html

Interview: Peter Nowak

»Die Rechten bedienen sich der sozialistischen Rhetorik«

Yevgenia Belorusets lebt als Autorin und Künstlerin in Berlin und Kiew. Im Dezember 2013 hat sie Demonstranten auf dem Maidan in Kiew fotografiert.


Interview: Peter Nowak


Machen Sie sich in diesen Tagen Sorgen um Ihre Freunde in der Ukraine, wo extrem rechte Parteien an der Regierung beteiligt sind und die Nationalistenbewegung »Rechter Sektor« in manchen Teilen des Landes die Straße beherrscht?

Der »Rechte Sektor« macht mir tatsächlich Angst, weil ich dessen Ideen und politische Vorstellungen ablehne. Ich mache mir aber keine Sorgen, dass ich oder meine Freunde in der Ukraine gegenwärtig von ihm angegriffen werden. Insgesamt waren die rechten Gruppen auch auf dem Maidan eindeutig eine Minderheit. Allerdings ist es diesen Gruppen in der letzten Zeit gelungen, unpolitische Menschen anzuziehen.

Wieso findet die rechte Ideologie bei diesen Menschen solche Zustimmung?

Sie denken nicht in den Kategorien »rechts« oder »links« und »Faschismus« oder »Antifaschismus«. Für sie sind andere Fragen wichtiger, etwa die Frage, ob die Ukraine zu Europa gehören oder weiter im Einflussbereich Russlands bleiben soll. Wichtig ist, zu verstehen, dass es eher um die ukrainischen Vorstellungen von Russland und Europa, autoritären und demokratischen Regierungsformen geht. Die proeuropäische Wahl stört die rechte Idee nicht. Die ukra­inischen Rechten bedienen sich ohnehin einer sozialistischen Rhetorik und locken damit viele Menschen an. Viele Menschen leben in der Ukraine unter der Armutsgrenze, da kann eine populistische Mischung von rechten Ideen und sozialistischen Versprechungen erfolgreich sein.

Was haben rechte Parteien und Organisationen anderes anzubieten als den Na­tionalismus?

Es ist eine populistische Strategie, die vieles vereint: das Versprechen eines gerechteren und sichereren Lebens, von Bildung und Bewahrung der ukrainischen Kultur. Nationalistische Ansichten erzeugen die Illusion von Ehrlichkeit und Treue. Das sind bekannte rechtspopulistischer Diskurse in vielen Ländern.

Besteht da nicht die Gefahr, dass die in der Vergangenheit marginalen rechten Gruppen politischen Einfluss in der Ukraine gewinnen?

Meine Hoffnung ist, dass viele Menschen die rechten Gruppen wieder verlassen, weil sie deren populistische Ideen nicht teilen und diese sich als hohl herausstellen.

Worauf stützen Sie Ihren Optimismus?

Die rechte Swoboda-Partei gewann nach den letzten Kommunalwahlen in mehreren Städten Parlamentssitze, beispielsweise in Lwiw. Auch in diesem Fall teilt ein Großteil ihrer Wähler deren Ideen nicht. Aber das propagandistische Versprechen einer Stadtverwaltung ohne Korruption kam bei ihnen gut an. Nun stellte sich in kurzer Zeit heraus, dass die Swobada-Politiker mindestens genauso korrupt sind wie die der anderen Parteien. Dadurch haben sie bei den Wählern stark an Sympathie eingebüßt. Solche rechts­populistischen Parteien wie die Swoboda sind in der Tat ein Problem, aber das gilt nicht nur für die Ukraine, sondern für ganz Europa.

Könnte die Abspaltung der Krim rechten Gruppen mit ihrem antirussischen Nationalismus Zulauf bringen?

Ich denke, dass sie von diesen Ereignissen nicht profitieren können. So verbietet es die politische Situation in der Ukraine, über kriegerische Lösungen der Krim-Frage nachzudenken. Das ist auch eine Folge des Schocks, den die Todesopfer der Proteste auf dem Maidan in großen Teilen der ukrainischen Gesellschaft ausgelöst haben. Diesen Stimmen müssen auch die rechten Kräfte Rechnung tragen, wenn sie gesellschaftlich noch Einfluss behalten wollen.

Warum gelingt es linken Gruppen und Parteien in der Ukraine nicht, bei diesen unpolitischen Menschen anzukommen?

Die Begriffe »links« und »rechts« haben in der Ukraine eine andere Bedeutung als in Deutschland. Die Kommunistische Partei war und bleibt höchst korrupt und diskreditiert nachhaltig linke Ideen. Es gibt nichtparlamentarische Linke, dazu gehöre auch ich. Diese Gruppen sind aber noch sehr klein und schwach und bekommen keine finanzielle Unterstützung. Diese Gruppen haben noch zu wenig Erfahrung, um eine breite Öffentlichkeit zu erreichen. Meistens arbeiten sie auf der akademischen Ebene, da viele junge Wissenschaftler dabei sind. Deswegen sehen viele Menschen ohne Ausbildung und ohne jegliche Chance, die Ukraine zu verlassen, in den Linken Menschen mit Privilegien, und deshalb sind die Linken für sie keine Option.

Gilt das nicht vor allem für die Westukraine und ist es nicht ein Problem, dass die Sorgen vieler Menschen im Osten auch von den Protestierenden am Maidan nicht ernst genommen werden?

Diese Spaltung in Ost- und Westukraine wird überschätzt und von der russischen Propaganda ausgenutzt. Wenn man nur russische Medien sieht und hört, denkt man, in der Ukraine habe ein faschistischer Putsch stattgefunden, es herrsche ein Bürgerkrieg und russischsprachige Menschen würden von ukrainischen Nationalisten getötet. Wenn Menschen unter dem Eindruck dieser Propaganda stehen, ist es verständlich, dass sie wollen, dass Russland sie schützt.

Rührt diese Angst nur von der russischen Propaganda her oder auch von einer ­Regierung, in der Politiker der extremen Rechten vertreten sind und die als eine der ersten Maßnahmen die Zweisprachigkeit aufheben wollte?

Natürlich war diese Maßnahme, die mittlerweile wieder zurück­genommen wurde, ein großer Fehler. Das hat zur Verunsicherung der russischsprachigen Menschen beigetragen. Doch derzeit finden in der Ukraine mehr Debatten über die Zweisprachigkeit statt als früher. Selbst rechte Politiker versuchen, zweisprachig zu kommunizieren.

Müssten nicht die Maidan-Aktivisten, wenn ihnen die behauptete politische Selbstbestimmung wichtig ist, auch den Bewohnern der Krim zugestehen, dass sie sich für Russland entscheiden?

Sicher soll das Prinzip der Selbstbestimmung auch für die Bewohner der Ukraine gelten. Doch ein Referendum unter der Drohung von Militär und russischen Nationalisten, bei dem ein Ergebnis von über 97 Prozent herauskommt, ist gerade kein Beispiel für Selbstbestimmung.

Selbst ohne diese Beeinflussung hätte die Mehrheit vermutlich für den Anschluss an Russland votiert. Ist man in der Ukraine nicht vielmehr aus nationalistischen Gründen dagegen?

Das Problem besteht darin, dass niemand weiß, wie groß der Anteil der Menschen auf der Krim ist, die ohne Druck und Beeinflussung für einen Anschluss an Russland stimmen würden, und wie auf einer russischen Krim die Menschen behandelt werden, die dagegen sind. Wir konnten in den letzten Tagen sehen, dass Menschen von der Krim fliehen, was wenig Hoffnung auf demokratische Zustände macht. Meine Hoffnung ist die, dass Russland reagiert wie schon im Kalten Krieg und die Ukraine zum Vorzeigeprojekt macht. Davon würden die Menschen durch höhere Renten und bessere Sozialleistungen profitieren. Die Alternative wäre, dass die Krim ein politisches und soziales Niemandsland wird, wie es in Osteuropa einige gibt. Die Leidtragenden wären die Bewohner.

Auch für die Westukraine stellen sich diese Fragen. Vor einem möglichen EU-Beitritt müssten Anpassungsprogramme umgesetzt werden, die erhebliche Einschnitte in die Sozialprogramme bedeuten und den Lebensstandard vieler Menschen noch weiter sinken lassen würden. Wird darüber in der Ukraine diskutiert?

Nein, diese Fragen spielen momentan in der Debatte eine viel geringere Rolle, als man es sich wünscht. Derzeit wird nur darüber diskutiert, dass sich die Ukraine an die EU anlehnen soll, damit sie nicht mehr so stark von Russland beeinflusst werden kann.

Werden die Menschen nicht bald merken, dass sie für eine Hinwendung zur EU weitere soziale Opfer bringen müssen, und wie werden sie reagieren?

Es herrscht in der Ukraine die Meinung vor, dass die wirtschaftliche und soziale Situation des Landes so schlecht ist, dass es nicht mehr abwärts gehen kann. Die Haltung gegenüber der EU und Russland bleibt aber postkolonial; viele hoffen, dass es unter der EU nicht schlimmer läuft als bisher. Das Wichtigste aber ist die Hoffnung, dass mit der EU die Korruption in der Ukraine geringer wird. Ich hoffe, die Ukrainer werden für Ihre Rechte weiter kämpfen, sonst waren alle Proteste umsonst.

http://jungle-world.com/artikel/2014/14/49626.html
Interview: Peter Nowak

„Murks ist Teil der Logik der Produktion“

AUSSTELLUNG Stefan Schridde sammelt im Murks-Showroom für die Mülltonne gemachte Gegenstände

taz: Herr Schridde, in Ihrem Showroom versammeln Sie alte Schuhe, kaputte Waschmaschinen und gebrauchte Zahnbürsten. Warum soll man sich das ansehen?

Stefan Schridde: Wir wollen auf die sogenannte geplante Obsoleszenz aufmerksam machen. Das ist der Oberbegriff für Strategien und Methoden, die Lebensdauer eines Produkts zu verringern, um durch einen Neukauf den Profit zu steigern. Es geht uns um Ursachen und Methoden einer Produktion, die am Markt vorbeizielen.

Wie sehen solche Methoden aus?

Eine kleine Kohlebürste am Elektromotor von Staubsaugern sorgt etwa dafür, dass die Geräte kaputtgehen. Wir alle kennen auch das Problem von Schuhsohlen, die so schnell abgetreten sind, dass die Schuhe nicht mehr getragen werden können. Wir rufen dazu auf, solche abgetretenen Schuhsohlen im Murks-Showroom vorbeizubringen. Am Ende soll ein Kunstwerk der geplanten Obsoleszenz entstehen.

Die Ausstellung findet im Haus der IG Metall statt. Viele Unternehmen, die in der Gewerkschaft organisiert sind, dürften ebenfalls ihren Teil zur Wegwerfproduktion beitragen.

Wir haben mit der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen eine Partnerschaft geschlossen, um auch in den Betrieben über die geplante Obsoleszenz aufzuklären und Alternativen zu entwickeln. Denn der Murks, der produziert wird, ist nicht die Schuld der Beschäftigten, sondern Teil der herrschenden Produktionslogik.

Was hat Sie zu der Kampagne „Murks? Nein Danke!“ bewogen?

Es waren vor allem ethische Gründe. Ich bin Vater zweier Kinder. Bei meinen Besuchen in Afrika habe ich gesehen, wie Kinder auf Müllhalden herumklettern, die aus ausrangierten Waren aus Europa bestehen. Da wurde mir klar, dass wir den AfrikanerInnen nicht nur ihre Ressourcen entwenden, sondern bei ihnen auch unseren gesundheitsschädlichen Müll abladen.

INTERVIEW: PETER NOWAK

Der Showroom im Haus der IG Metall, Alte Jakobstr. 149, ist bis zum 25. April geöffnet. Mo.-Do. 9-18 Uhr, Fr. 9-14.30 Uhr. Eintritt frei. Immer mittwochs von 17 bis 19 Uhr gibt es vertiefende Fachvorträge

Stefan Schridde

Jahrgang 1961, ist Betriebswirt und Initiator der 2012 gegründeten Bürgerbewegung „Murks? Nein danke!“, die sich für Ressourceneffizienz einsetzt.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2014%2F04%2F02%2Fa0139&cHash=a5ce9f2c62b987b7612835512626fe41

„Vages Versprechen“

Die Berliner Senatorin für Integration, Dilek Kolat (SPD), hat behauptet, eine Einigung mit den Flüchtlingen erzielt zu haben, die am Oranienplatz und in einer Schule in Kreuzberg um ihr Bleiberecht kämpfen. Martina Mauer ist Sprecherin des Berliner Flüchtlingsrats und widerspricht dieser Darstellung. Das Gespräch wurde am 20. März geführt.

Small Talk von Peter Nowak


Warum sprechen Sie von einer Scheineinigung?

Weil anders als vom Senat dargestellt nur ein Teil der Flüchtlinge dem Papier zustimmt. Das derzeit vorliegende Angebot des Berliner Senats lässt viele Frage offen. Daher ist auch nicht für alle beteiligten Flüchtlingsgruppen erkennbar, ob das Angebot auch für sie eine Lösung ist.

Welche unterschiedlichen Flüchtlingsgruppen sind betroffen?

Fünf Gruppen waren in der Verhandlungsdelegation mit Kolat vertreten. Die Lampedusa-Flüchtlinge, die in Deutschland noch nicht registriert sind, sollen nach dem Angebot Duldungsbescheinigungen erhalten, wobei deren Geltungsdauer noch unklar ist. Doch das ist nur eine Minderheit der Flüchtlinge. Für alle Flüchtlinge, die in Deutschland einen Asylantrag gestellt und eine Wohnsitzauflage für andere Bundesländer haben, ist das Angebot nur ein vages Versprechen. Das gilt auch für die Flüchtlinge mit Duldungsstatus und Wohnsitzauflage in anderen Bundesländern und für Geflüchtete, die wegen der Dublin-Verordnung Abschiebeverfügungen in andere EU-Länder haben.

Ist es nicht problematisch, wenn die Gruppe der Geflüchteten so aufgespalten wird?

Ihre ursprüngliche Forderung war ein generelles Bleiberecht für alle. Das war politisch nicht durchsetzbar. Deshalb ging es darum, zumindest für jede Gruppe eine akzeptable Lösung zu finden. Das leistet das vorliegende Angebot jedoch nicht.

Was soll mit der besetzten Gerhard-Hauptmann-Schule geschehen?

Die Senatsverwaltung fordert jetzt neben der Räumung des Oranienplatzes de facto auch die Räumung der Gerhard-Hauptmann-Schule, obwohl die Delegation es ausdrücklich abgelehnt hat, die Verhandlungen auf die Zukunft der besetzten Schule auszuweiten.

Wie kann es zu einer Lösung kommen?

Die Gespräche zwischen den Flüchtlingen und dem Senat müssen fortgesetzt werden. Die jetzt vom Senat präsentierte Scheineinigung ist in dieser Hinsicht kontraproduktiv, weil sie die Flüchtlinge spaltet und dazu dienen könnte, medial und in der Öffentlichkeit eine polizeiliche Räumung vorzubereiten.

http://jungle-world.com/artikel/2014/13/49577.html

Interview: Peter Nowak

»Gegen die Folgen der Krise«

Am Wochenende fand in Berlin ein Netzwerktreffen von europäischen Basisgewerkschaften statt. Es wurde über Strategien des betrieblichen und so­zialen Widerstands gegen die Austeritätspolitik diskutiert. Zum Abschluss fanden Kundgebungen vor dem Sitz des DGB-Bundesvorstands und der Vertretung der Europäischen Kommission statt. Willi Hajek ist in der basisgewerkschaftlichen Bildungsarbeit tätig.

Wie ist das Netzwerk entstanden?

Es hat sich das erste Mal 2001 getroffen und seitdem jährlich in einer anderen europäischen Hauptstadt. Die Initiative ging von der französischen Basisgewerkschaft SUD und der spanischen CGT aus. Die Kontakte reichen bis ins Jahr 1995, als es in Frankreich Massenstreiks gab.

Was passiert zwischen den jährlichen Treffen?

Es gibt eine regelmäßige Koordination in verschiedenen Branchen. Besonders gut funktioniert das Netzwerk »Bahn ohne Grenzen«, an dem sich neben europäischen auch afrikanische Bahnbeschäftigte beteiligen. Auch das Netzwerk der Callcenter-Beschäftigten funk­tioniert gut, weil dort die Sprachprobleme klein sind.

Ging es bei dem Treffen auch um Beschäftigungen, die mit dem Begriff Care-Arbeit bezeichnet werden?

Ja, es gibt ein Manifest gegen die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens, das in verschiedenen Sprachen, auch auf Deutsch, zu finden ist. Die Initiative ging von belgischen, französischen und polnischen Gewerkschaften aus. Auf dem Treffen berieten mehrere Gewerkschafterinnen der polnischen Krankenschwestern und Hebammen, wie die Kampagne gegen die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens vorangetrieben werden kann. Leider war in der Arbeitsgruppe aus Deutschland niemand vertreten.

Gab es auch Verabredungen zu europaweiten Protesten?

Eine große Rolle spielen die »Märsche der Würde« gegen die Folgen der Krise, die am 22. März in Madrid enden. Auf der Abschlussdemonstration wird es einen Block von internationalen Unterstützern geben.

Warum endete das Netzwerktreffen mit einer Protestkundgebung vor der Zentrale des DGB-Vorstands?

Aus zwei Gründen. In Deutschland will der DGB vor allem mit der IG Metall ein Gesetz zur Tarifeinheit durchsetzen, das die Rechte von Branchen- und Basisgewerkschaften einschränken würde. In Italien, Frankreich und Spanien machen die großen Gewerkschaften Abkommen mit der Regierung. Branchen- und Basisgewerkschaften werden ignoriert, ihre Rechte teilweise massiv eingeschränkt.

http://jungle-world.com/artikel/2014/12/49537.html

Interview: Peter Nowak

»Uns wurde mit Erschießen gedroht«

Die Kritik an deutschen Geschichtsmythen provoziert in Deutschland oftmals noch immer einen rechten Shitstorm. Wie derzeit Anne Helm, Politikerin der Piratenpartei, wegen ihrer Bomber-Harris-Aktion standen vor einigen Wochen die beiden bayerischen Landtagsabgeordneten der Grünen, Sepp Duerr und Katharina Schulze, im Mittelpunkt rechter Angriffe. Sie hatten ein braunes Tuch mit der Aufschrift »Den Richtigen ein Denkmal, nicht den Altnazis! Gegen Spaenles Geschichtsklitterung« (Ludwig Spaenle ist der bayerische Kultusminister, Anm. d. Red.) über das sogenannte Denkmal für die Trümmerfrauen in München gelegt. Die Jungle World sprach mit Katharina Schulze über bayerische Geschichtspolitik und die Folgen ihrer Kritik daran.

Wieso haben Sie und Ihr Landtagskollege Sepp Dürr das Denkmal für die Trümmerfrauen verdeckt?

In München wurden – anders als in anderen großen deutschen Städten – zum weitaus überwiegenden Teil Altnazis von den US-Amerikanern zu den Aufräumarbeiten zwangsverpflichtet. Nach Informationen des Münchner Stadtarchivs waren an der Trümmerbeseitigung in der Stadt insgesamt 1 500 Personen beteiligt, davon 1 300 Männer. Sie waren zu 90 Prozent ehemalige aktive Mitglieder in NS-Organisationen. Dieser historisch unbestrittenen und von Seiten der Staatsregierung bestätigten Tatsache wurde im Zusammenhang mit der Aufstellung des Gedenksteins in keiner Weise Rechnung getragen. Das von dem Gedenkstein ausgehende Signal ist unseres Erachtens ein pauschales Dankeschön an alle Beteiligten an den Aufräumaktionen, die bei genauerem Hinsehen größtenteils mitverantwortlich waren für die Gräueltaten des »Dritten Reichs«. Damit werden die Fakten verdreht und historische Tatsachen relativiert.

Gab es denn vor der Errichtung des Denkmals eine Diskussion darüber, dass die Trümmerfrauen in München vor allem Nazimänner waren?

Die Debatte wird in München bereits seit mehr als zehn Jahren geführt. Auch im Münchner Stadtrat wurde das Thema schon mehrfach diskutiert. Vier Mal hat der Stadtrat sich gegen eine Aufstellung eines Denkmals für Trümmerfrauen auf städtischem Grund ausgesprochen. Und auch die letzte CSU-Initiative wurde 2008 abgelehnt, der Stadtrat schloss sich erneut der Feststellung der Historiker an, dass das Phänomen Trümmerfrauen in München eine untergeordnete Rolle gespielt hat und eine pauschale Ehrung deswegen höchst problematisch ist.

Wieso wurde das Denkmal dennoch errichtet?

Nachdem der Münchner Stadtrat die Aufstellung auf städtischem Grund mehrmals abgelehnt hatte, wandte sich der Verein »Dank und Gedenken der Aufbaugeneration, insbesondere der Trümmerfrauen e. V.« an die bayerische Landesregierung. Der Freistaat stellte auf der Grundlage eines Gestattungsvertrags ein Grundstück am Münchner Marstallplatz für die Errichtung des Gedenksteins zur Verfügung. Der Stein wurde im Mai 2013 aufgestellt und im September 2013 unter anderem im Beisein von Kultusminister Ludwig Spaenle eingeweiht.

Wie erklären Sie sich, dass das bayerische Kultusministerium nach diesen langen Diskussionen die Errichtung des »Denkmals« auf staatlichem Boden ermöglicht hat?

Daran wird wieder einmal deutlich, dass die CSU keine progressive Kraft ist. Der zuständige Minister Ludwig Spaenle ist selbst Historiker und müsste um die fatale Wirkung einer falschen Erinnerungskultur eigentlich wissen. Er hat auf die Anfrage meines Kollegen Sepp Dürr im bayerischen Landtag bestätigt, dass die Situation in München nach dem Krieg unbestritten eine andere war als in anderen deutschen Städten. Ebenso betonte er in seiner Antwort, dass die Ergebnisse der lokalen Forschung in München – nämlich, dass überwiegend Akteure, die dem NS-Regime zu Dienste gewesen waren, bei der Aktion zur Trümmerbeseitigung eine Rolle gespielt haben – bei der Gesamtwürdigung des Denkmals unstrittig einen sehr wichtigen Gesichtspunkt darstellen. Trotzdem hat er der Aufstellung des Denkmals in München zugestimmt und diese Entscheidung immer wieder gegen Kritik verteidigt.

Waren Sie von den wütenden Reaktionen auf Ihre Aktion überrascht?

Die Heftigkeit der Angriffe hat mich schon überrascht. Wir hatten unsere Aktion lediglich in einen lokalen Rahmen in München geplant, denn, wie ich schon angeführt habe, gibt es diese Diskussion dort schon länger. Als dann unsere Aktion bekannt wurde, ging in den rechten Medien und Internetforen ein regelrechter Shitstorm gegen uns los. In kurzer Zeit gingen auf den Facebookseiten unzählige Kommentare ein, darunter waren offene Holocaust-Leugner und NS-Nostalgiker, die ihre Hetze und Drohungen teilweise mit Klarnamen posteten. Uns wurde mit Vergasen und Erschießen gedroht. Ich habe die Kommentare mittlerweile gelöscht, denn ich möchte den Rechten keine Plattform auf meiner Seite bieten. Davor haben wir natürlich alles gesichert und alles strafrechtlich Relevante zur Anzeige gebracht. Die Diskussion in den Medien blieb meistens weiter sachlich. Es wurden Zeitzeugen und Historiker befragt, die ebenfalls die Forschungen des Münchner Stadtarchivs bestätigten, dass die Situation in München anders war als in anderen Städten. Bei den extremen Rechten ging die Hetze jedoch weiter. Es hat mich erschüttert, dass es auch zu Aktionen gegen Einrichtungen der Grünen kam. So wurde über dem Parteibüro in Berlin-Hellersdorf ein Transparent mit der Aufschrift »Grüne Denkmalschänder« angebracht.

1997 gab es in München eine rechte Mobilisierung gegen die dort gezeigte Wehrmachtsausstellung. Daran waren CSU-Politiker ebenso beteiligt wie offene Neonazis. Ist München für solche rechten Proteste besonders geeignet?

Die öffentliche Diskussion nach unserer Aktion hat gezeigt, dass sich insbesondere rechte Kreise durch die – von ihnen selbst befeuerte – Kritik an der Denkmalsverhüllung bestätigt sehen und eine Verbindung zu einem extrem rechten Geschichts- und Gegenwartsverständnis herstellen. Gerade München als ehemalige Hauptstadt der NS-Bewegung hat eine besondere Verpflichtung, sich der eigenen geschichtlichen Verantwortung zu stellen. Im Moment befindet sich gerade das NS-Dokumentationszentrum in Bau, wofür wir Grüne mit zahlreichen Initiativen jahrelang ge­arbeitet haben. Außerdem gibt es viele Bündnisse und Initiativen, die immer zur Stelle sind, wenn in München Rechte auf die Straße gehen.

In der auf Ihrer Homepage veröffentlichten Erklärung zur Verhüllungsaktion heißt es: »Die Aufräumarbeiten in München sind nicht vergleichbar mit dem bewundernswerten Einsatz der Trümmerfrauen in anderen deutschen Städten.« Müsste nicht auch in den Städten, in denen tatsächlich Frauen den Schutt wegräumten, die Frage gestellt werden: Was haben diese im NS gemacht?

Es gibt keine Kollektivschuld, aber es darf eben genauso weder kollektiven Freispruch noch generationenübergreifende Ehrung geben. So wenig die »Achtundsechziger« pauschal ihre Väter beschuldigen durften, dürfen die Enkel heute ihre Großmütter generell freisprechen. Wer an das Nachkriegsleid und die Aufbauleistungen erinnert, ohne einen Zusammenhang zur Vorgeschichte herzustellen und zum unsäglichen Leid, das Nazi-Deutschland über Millionen anderer ­gebracht hat, verzerrt die Verhältnisse. Pauschale Ehrungen sind deswegen problematisch und die historischen Fakten müssen immer vorher genau geprüft werden. Ich halte es deswegen für geeigneter und angemessener, in anderer Form, etwa durch Ehrungen von Einzelpersönlichkeiten, der Leistungen einzelner Menschen zu gedenken.

Also müsste Ihre Aktion doch eher ein Anlass sein, den deutschen Trümmerfrauen-Mythos nicht nur in München, sondern generell in Frage zu stellen?

Wir haben uns auf die konkreten Umstände in München bezogen. Wenn sich in anderen Städten Initiativen bilden, die auf erinnerungspolitischem Feld arbeiten und sich mit dem Thema Trümmerfrauen auseinandersetzen wollen, freue ich mich über den Austausch.

http://jungle-world.com/artikel/2014/10/49463.html

Interview: Peter Nowak

„Über Ausbeutung geredet“

Seit dem 1. Februar streiken in Dresden-Neustadt drei Kellner der Szenekneipe »Trotzdem«. Wolf Meyer ist einer von ihnen und hat mit der Jungle World gesprochen.

Was ist der Grund eures Streiks?

Die Kneipeninhaberin hat drei gewerkschaftlich in der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union organisierten Kellnern zum 28. Februar gekündigt. Die FAU hat die Chefin zur Rücknahme der Kündigung und zum Abschluss eines Haustarifvertrags aufgerufen. Nachdem keine Reaktion kam, haben wir den Streik begonnen.

Weshalb wurde euch gekündigt?

Die Chefin erklärte, es habe Diebstähle im Warenlager gegeben, die an die Substanz gingen. Da mehr Leute als die drei Gekündigten als mögliche Täter in Frage kommen, sehen wir den Vorwurf als Verleumdung. Mittlerweile hat sie klargestellt, dass zu dem Lager sogar ihre Verwandten Zugang haben.

Steht die Kündigung im Zusammenhang mit eurer gewerkschaftlichen Tätigkeit?

Es ist auffallend, dass nur die drei gewerkschaftlich Organisierten gekündigt wurden, obwohl keinem ein Diebstahl nachgewiesen wurde. Wir haben uns vor einem Jahr in der FAU organisiert und im Mai 2013 eine Gehaltserhöhung von 20 Prozent durchgesetzt. Bei der nächsten Lohnverhandlung für den von uns zunächst angepeilten Mindestlohn von 8,50 Euro sind wir der Inhaberin entgegengekommen und haben vorgeschlagen, die Preise auf die Getränke leicht zu erhöhen und darüber zu informieren, dass damit höhere Löhne für die Beschäftigten bezahlt werden sollen. Die Preiserhöhung hat stattgefunden, die Information über die Lohnerhöhung auf 8,50 Euro nicht mehr.

Wie läuft der Streik ab?

Jeden Tag ab 20 Uhr organisieren wir Streikposten vor der Kneipe. Neben den FAU-Mitgliedern beteiligen sich auch viele Unterstützer.

Welche Erfahrungen habt ihr gemacht?

Die ersten zwei Streiktage hatte die Chefin die Kneipe geschlossen. Danach wurde sie mit Hilfe von Streikbrechern wieder geöffnet. Positiv sehen wir, dass im Dresdner Szenebezirk Neustadt wieder über die Ausbeutung am Arbeitsplatz geredet wird. Schließlich sind die Löhne in vielen Kneipen sehr niedrig. Die Rechte von Arbeitnehmer­innen und Arbeitnehmern werden unterlaufen. Das hat unsere Branchensektion Nahrung und Gastronomie mit einem Lohnspiegel, der auf unserer Homepage (www.libertaeres-netzwerk.org/allgemeines-syndikat/bng) zu finden ist, deutlich gemacht.

http://jungle-world.com/artikel/2014/07/49333.html

Small Talk von Peter Nowak

»Nicht der richtige Weg«

Die Arbeitsagentur Ulm hat Ende Januar Marcel Kallwass, einem 22jährigen Studenten der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit (HdBA), fristlos gekündigt. Dem Rauswurf waren Auseinandersetzungen vorausgegangen. Kallwass hat mit der Jungle World gesprochen.

Was war der Anlass für Ihren Rauswurf?

Ich habe den hochschulinternen Mailverteiler genutzt, um mein zweites Flugblatt zu verschicken und eine Debatte unter den Studierenden anzustoßen. Inhaltlich argumentiere ich im Flugblatt, dass es eine Illusion ist, zu glauben, dass der Job beim Arbeitsamt und Jobcenter sozial ist. Der genaue Inhalt kann auf meinem Blog http://kritischerkommilitone.wordpress.com nachgelesen werden.

Wie wurde Ihre Kündigung begründet?

Wie bei den zwei Abmahnungen Ende vergangenen Jahres wurden mir Beleidigung des Arbeitgebers, Verletzung der Loyalitätspflicht und Verstoß gegen interne Vorschriften vorgeworfen. Die Agentur betrachtet die Nutzung des hochschulinternen Verteilers als rechtswidrig, da eine private Nutzung nicht erlaubt sei.

Warum haben Sie ein Studium an der HdBA begonnen?

Ich wollte Berufsberater werden, weil ich damit die Vorstellung verbunden habe, junge Menschen zu unterstützen. An der HdBA hat mir vor allem die Verbindung zwischen der akademischen Ausbildung und der Praxis gefallen.

Wann haben Sie begonnen, Kritik zu äußern?

Ich habe im Rahmen des Studiums im Jobcenter Ulm hospitiert. Dort habe ich zweimal mitbekommen, wie Erwerbslose sanktioniert wurden. Mir war sofort klar, dass es nicht der richtige Weg ist. Ich habe in der Hochschule Diskussionen über die Sanktionen angeregt. Dabei musste ich feststellen, dass viele Kommilitonen die Sanktionen befürworten.

Haben Sie deshalb die Auseinandersetzung auch außerhalb der Hochschule geführt?

Nachdem ich viele Diskussionen in der Hochschule geführt hatte und dabei an eine Grenze gestoßen war, begann ich, meine Kritik auf meinem Blog zu veröffentlichen. Damit wollte ich auch meine Solidarität mit der Hamburger Jobcenter-Mitarbeiterin Inge Hannemann ausdrücken, die wegen ihrer Kritik am Hartz-IV-System vom Dienst suspendiert wurde.

Wie reagieren Sie auf die Kündigung?

Proteste gegen den Rausschmiss sind in Mannheim und Ulm geplant. Am 20. Februar wird es in Mannheim eine Diskussionsveranstaltung zum Widerstand gegen Hartz IV geben.

http://jungle-world.com/artikel/2014/06/49292.html

Small Talk von Peter Nowak

Apologie von links?

Der Finanzanalyst Guenther Sandleben wirft linken Krisentheoretikern vor, nur die Banken zu kritisieren

Guenther Sandleben ist Finanzanalyst und verfasst Bücher zu ökonomischen Themen. Kürzlich hat er im Neuen-ISP-Verlag gemeinsam mit Jakob Schäfer das Buch »Apologie von links« herausgegeben, das sich kritisch mit unterschiedlichen linken Krisentheorien auseinandersetzt. Mit Sandleben sprach Peter Nowak.

nd: In Deutschland boomt die Wirtschaft. Warum reden Sie in Ihrem Buch trotzdem von Krise?
Sandleben: Zunächst würde ich die Erzählung vom deutschen Wirtschaftsboom stark relativieren. Die Industrieproduktion hat noch nicht einmal das Vorkrisenniveau von Anfang 2008 wieder erreicht. Zudem muss man über den deutschen Tellerrand blicken. In vielen Teilen der Welt und nicht zuletzt in der europäischen Peripherie ist kein Ende der Wirtschaftskrise abzusehen. Vieles spricht dafür, dass wir hier in Deutschlands Zukunft blicken.

Worauf stützen Sie diese Prognose?
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Weltmarktkrise auch auf Deutschland durchschlägt. Schließlich ist 2009 die deutsche Wirtschaft um fast fünf Prozent geschrumpft. Der gegenwärtige kleine Aufschwung, der zum Boom hochgelobt wird, basiert auf einer riskanten Geld-, Zins- und Verschuldungspolitik. Sie erleichtert die deutschen Exporte, unterminiert aber das Vertrauen ins Geld und kann nicht endlos verlängert werden.

Sie werfen prominenten linken Ökonomen wie Rudolf Hickel, Lucas Zeise oder Michael Heinrich vor, mit ihren Krisenerklärungen eine »Apologie von links« zu betreiben. Was meinen Sie damit?
Diese Ökonomen sehen die Ursache für die Krise im Banken- und Finanzsektor und nehmen die eigentliche Warenproduktion weitgehend aus. Damit aber vergeben sie eine gute Möglichkeit, die Krise zum Anlass zu nehmen, das kapitalistische Wirtschaftssystem insgesamt zu hinterfragen. Stattdessen wird die Lösung in der Regulierung der Banken und des Finanzsektors gesehen. Damit beschönigen sie die Verhältnisse.

Was ist das größte Problem bei dieser Krisenanalyse?
Dass diese Theorie nicht sachgemäß ist. Die Kredit- und Bankenkrise ist eine Folge der kapitalistischen Überproduktionskrise und nicht deren Ursache. So war die berühmte Pleite der US-Bank Lehman Brothers die Folge der Krise im Immobilien- und Industriesektor. Weil Kredite nicht mehr bedient werden konnten, brach die Bank zusammen.

Was ist das Wesen der Überproduktionskrise?
Es wird mehr produziert als nachgefragt wird. Und zwar einerseits, weil die Investitionsgüternachfrage wegen Kapitalverwertungsschwierigkeiten plötzlich wegbricht, und andererseits, weil den Menschen Einkommen fehlt, um das Nötige zu kaufen. Ein gutes Beispiel ist die Überproduktion in der europäischen Auto- und Stahlindustrie, die mehr als 20 Prozent beträgt.

Welche Konsequenzen haben die unterschiedlichen Theorien für eine linke Antwort auf die Krise?
Wenn man die Ursache der Krise im Banken- und Finanzsektor sieht, kommt man zu Vorschlägen der Bankenregulierung, wie sie von Attac und vielen anderen Organisationen vorgetragen werden. Damit bleibt aber die kapitalistische Ökonomie, die doch gerade die katastrophale Krise verursacht hat, ausgeblendet. Teilweise werden sogar betriebliche Bündnisse gegen die Banken vorgeschlagen. Wenn man richtigerweise von der Überproduktionskrise ausgeht, dann gerät die kapitalistische Produktionsweise selbst in den Mittelpunkt der Kritik. Sie ist dafür verantwortlich, dass die Produktion von Waren eingestellt wird, weil sie sich nicht verwerten lassen, obwohl sie von den Menschen gebraucht werden. Dabei könnte die Überproduktion eine Bereicherung der Menschen bedeuten und das allgemeine Lebensniveau anheben. Hier sehe ich Perspektiven für eine überzeugende Kritik am Kapitalismus und der Formulierung von Alternativen, die bei einer Konzentration auf Banken und Finanzmärkte vergeben wird.

Aber der finanzgetriebene Kapitalismus ist doch real.
Der Realitätsgehalt liegt darin, dass in den letzten Jahrzehnten die Finanzmärkte stark angewachsen sind. Dieser Ausgangspunkt der von mir kritisierten Ökonomen ist korrekt. Doch falsch wird es, wenn diese davon ausgehen, dass der Antrieb der Profitvermehrung von dort kommt. Der liegt im Kapitalismus selber. Der Finanzsektor und die Warenproduktion bedingen einander. Es ist falsch, die Verantwortung für die Krise einseitig bei den Banken zu sehen. Das kapitalistische System als Ganzes enthält die zerstörerischen Krisenprozesse, mit all dem Elend, das daraus entsteht.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/920676.apologie-von-links.html

Interview: Peter Nowak

»Wir spüren Gegenwind«

Im Sommer nahm der Landesbezirk Hamburg der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi 300 Flüchtlinge als Mitglieder auf. Ein Gutachten der Verdi-Bundesverwaltung kam kürzlich jedoch zu dem Ergebnis, dass eine Mitgliedschaft von Flüchtlingen ohne Aufenthaltspapiere gegen die Satzung verstoße. Markus Kip vom »Arbeitskreis undokumentiertes Arbeiten« bei Verdi gehört zu den Initiatoren eines Aufrufs für eine Mitgliedschaft unabhängig vom Aufenthaltsstatus.

Wie hat Ihr Arbeitskreis im Sommer auf die Aufnahme der Flüchtlinge reagiert?

Wir sahen die Aufnahme als einen mutigen Schritt, die Gewerkschaft an ein Thema heranzuführen, dem bislang innerhalb der Organisation zu wenig Beachtung geschenkt wurde.

Welche Reaktionen gab es nun auf den Aufruf, den Ihr Arbeitskreis veröffentlicht hat?

Wir haben eine unerwartet große Resonanz erfahren. Viele Unterstützer drückten in ihren E-Mails ihre Empörung darüber aus, dass es offensichtlich keine Selbstverständlichkeit ist, dass sich Gewerkschaften auf die Seite der Entrechteten und prekär Beschäftigten stellen. Andere drückten Besorgnis aus, dass der in den vergangenen Jahren von Verdi praktizierten Solidarität mit undokumentierten Migranten die Grundlage entzogen werden könnte.

Gab es keine Kritik?

Inzwischen spüren wir auch Gegenwind. Einige können nicht verstehen, dass es reale Zugangsschwierigkeiten für Migranten mit prekärem Aufenthaltsstatus zu gewerkschaftlicher Organisation und Unterstützung gibt. Andere finden unser Vorgehen zu polarisierend

Was sagen Sie zu dem Argument, dass die Satzung der Gewerkschaft die Mitgliedschaft von Geflüchteten nicht vorsieht?

Ob diese Auslegung der Satzung in der Frage der Mitgliedschaft von Flüchtlingen beziehungsweise von Personen ohne Arbeitserlaubnis die richtige oder einzig mögliche ist, muss noch geprüft werden. In jedem Fall zeichnet sie sich durch falsche Annahmen aus.

Fordern Sie eine Satzungsänderung?

Das wird zu überlegen sein. Nun ist uns eine Diskussion zum gewerkschaftlichen Selbstverständnis wichtig angesichts der Tatsache, dass viele Lohnabhängige aus den unterschiedlichsten Gründen und auf den unterschiedlichsten Wegen in dieses Land gekommen sind. Entscheidend für uns als Initiatoren des Aufrufs ist, dass Lohnabhängige sich bei Verdi gewerkschaftlich organisieren können, um ihren Arbeitsrechten unabhängig vom Aufenthaltsstatus Geltung zu verschaffen.

http://jungle-world.com/artikel/2014/01/49075.html

Interview: Peter Nowak

»Mich hätten sie damals auch mitgenommen«

Mit einem Videoprojekt erinnern junge GewerkschafterInnen aus Berlin, Brandenburg und Sachsen an die Nazizeit

»Widerstand leisten – zu jeder Zeit und überall!« lautet das Motto einer antifaschistischen Videoreihe der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen. Der Bezirksjugendsekretär der Gewerkschaft Christian Schletze-Wischmann hat das Projekt zusammen mit jungen GewerkschafterInnen initiiert. Mit ihm sprach für »nd« Peter Nowak.

nd: Wie ist die Idee zu dem Videoprojekt »Widerstand leisten – zu jeder Zeit und überall!« entstanden?

Schletze-Wischmann: Die IG Metall Jugend Berlin Brandenburg Sachsen hat ihre Tradition im Kampf gegen Nazis. Ob bei Gegendemonstration kleinerer wie größerer Naziaktivitäten, Unterstützung von Bündnissen gegen Nazis und vor allem im Rahmen unserer politischen Bildung stehen wir für eine demokratische Gewerkschaftsbewegung.

Im Kreise unserer aktiven Metaller entstand die Idee,  sich im Rahmen des 80. Jahrestags der Zerschlagung der Gewerkschaften mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Zudem sollte etwas Besonderes dazu entstehen. Es sollte eine Botschaft vor allem für die sozialen Netzwerke sein. Wir wollen einfach unseren Kollegen danken, dass sie trotz Verfolgung und Inhaftierung weiterhin Widerstand geleistet haben. Wir wollen ganz klar zum nachdenken und zum kämpfen animieren.

War es schwer, eine Genehmigung für das Drehen der Videos im ehemaligen KZ zu bekommen?
Dank der Gedenkstätte Sachsenhausen in Oranienburg konnten wir direkt vor Ort drehen und so dem Projekt eine besondere Stimmung geben.  Als Recherchegrundlage konnten wir das von   war das von Siegfried Mielke und Stefan Heinz  im Metropol.-Verlag herausgegebene Buch: „Funktionäre des Deutschen Metallarbeiterverbandes im NS-Staat. Widerstand und Verfolgung“.
Warum war der Bezug auf die historischen Widerstandskämpfer für den Kampf gegen Neonazis wichtig?
Es geht um die einfache und leicht verständliche Botschaft, dass wir aktive Gewerkschafter heutzutage, würden die Nazis an die Macht kommen, die Ersten wären, die ihrer Freiheit beraubt würden. Genau wie unsere Kollegen vor 80 Jahren. Wir spitzen es in den Videobeiträgen mit der Aussage zu: „Vor 80 Jahren hätten mich die Nazis auch mitgenommen“. Das Unterschätzen der Nazis und die von Teilen der Gewerkschaften vollzogene Anpassungsstrategie kurz vor der Zerschlagung 1933 haben dazu beigetragen, dass es im Endeffekt so leicht für die Nazis gewesen ist. Wir lernen daraus, dass konsequenter Widerstand der bessere Weg ist.
Gab es mehr Interessenten für die Sprecherrollen und nach welchen Kriterien wurden sie ausgewählt?
Wir haben uns in einem Seminar ausführlich mit den Hintergründen der Machtergreifung durch die Nazis beschäftigt und mit den Teilnehmer die Videoidee entwickelt, dass jeder einen Paten des DMV (Deutscher Metallarbeiterverband) vorstellt. Da wir mit unserem IG Metall Bezirk drei Bundesländer abdecken, haben wir geschaut, dass wir aus allen drei Bundesländern auch Kollegen vorstellen. Das haben wir dann auch mit den aktiven Metallern verbinden können, so dass nicht nur ein politischer, sondern auch ein lokaler Bezug entstand. Im Endeffekt sind wir Anfang März mit 15 Kollegen nach Oranienburg und haben 11 Folgen plus ein Hintergründe-making- of an zwei Tagen drehen können.
Welche Reaktionen gab es bisher auf die Videos?
Nur Positive. Wir freuen uns natürlich, dass wir im gesamten Themenjahr zur Zerschlagung einen eigenen besonderen Beitrag leisten konnten.

Sind Sie nur für junge Leute gedacht?
Nein. Der Widerstand gegen Nazis hat keine Altersgrenze!

Wo werden die Videos eingesetzt?
Innerhalb der IG Metall und anderer Gewerkschaften beispielswiese auf den Veranstaltungen zum 1. Mai, auf unserem youtube-Kanal www.youtube/igmbbs und auf unserer Facebook-Seite https://www.facebook.com/IgMetallJugendBerlinBrandenburgSachsen. Nach Rücksprache mit uns, können die Clips auch für Veranstaltungen verwendet werden. Wir würden uns z.B. über interessierte Schulen freuen.

Sind Nachfolgeprojekte geplant?
Die Herausforderung, dass Geschichte einen Bezug zum heutigen Leben junger Menschen hat und daraus gemeinsam eine politische Botschaft zu entwickeln, nehmen wir auch in Zukunft an.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/919135.mich-haetten-sie-damals-auch-mitgenommen.html
Interview: Peter Nowak