Rückschlag für die informationelle Selbstbestimmung

Gefangene büßen zusätzlich durch Altersarmut

Organisationen und nun auch eine eigene Gewerkschaft fordern von Justizministern die Einbeziehung von Strafgefangenen in die Rentenversicherung

Fast 40 Jahre alt ist die Forderung nach einer Rentenversicherung für ehemalige Strafgefangene. Die Justizminister sind damit nun erneut konfrontiert.

Das Grundrechtekomitee führt den Resozialisierungsauftrag der Gesellschaft ins Feld: Danach sollen die Lebensbedingungen von ehemaligen Strafgefangenen weitestmöglich den üblichen Lebensbedingungen angeglichen werden. Schädlichen Folgen der Haft ist entgegenzuwirken. Martin Singe vom Komitee erinnert zudem an die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze. Diese fordern die Einbeziehung von Gefangenen in die Sozialversicherungssysteme. Trotzdem gibt es in Deutschland keine gesetzliche Rentenversicherung für Strafgefangene. Das Grundrechtekomitee, die Bundesarbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe (BAG-S) und weitere Organisationen der Straffälligenhilfe haben deshalb die Justizministerkonferenz aufgefordert, diesen Missstand endlich abzuschaffen.

Erneut aufgefordert, muss man sagen. Sozialstaatsgebot, Gleichheitsgrundsatz und Resozialisierungsprinzipien, die Martin Singe zur Begründung anführt, veranlassten bereits vor fast vier Jahrzehnten eine Mehrheit der Parlamentarier im Bundestag zum Handeln. Im 1976 beschlossenen und 1977 in Kraft getretenen Strafvollzugsgesetz wurde eine Regelung für die Einbeziehung von Gefangenen in die Rentenversicherung angekündigt. Als Bemessungsgröße waren 90 Prozent des Durchschnittslohns aller Versicherten angegeben. In den 70er Jahren diskutierten auch kritische Juristen, Kriminologen und Strafrichter ausführlich über die Stärkung von sozialen und politischen Rechten von Strafgefangenen. Es gab dazu einen Kongress in Bielefeld; ein Buch zum Thema im Suhrkamp-Verlag wurde mehrmals aufgelegt. Mit der Stärkung der Gefangenenrechte sollte die Leitidee der Resozialisierung vorangetrieben werden.

Doch das versprochene Bundesgesetz ist bis heute nicht erlassen worden. Zumindest ist das Thema wieder in der öffentlichen Debatte, seit das Grundrechtekomitee 2011 eine Internetpetition mit der Forderung initiierte, die Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung endlich umzusetzen. Dass das angekündigte Gesetz so lange verschleppt wurde, liegt auch daran, dass Gefangene keine Lobby haben. Noch immer gibt es in der Öffentlichkeit Stimmen, die zu einer Freiheitsstrafe verurteilten Menschen soziale Rechte verweigern wollen.

Seit mehr als einem Jahr macht sich auch die im Mai 2014 gegründete Gefangenengewerkschaft/bundesweite Organisation (GG/BO) für die Rechte der Gefangenen stark. In einem Offenen Brief an die Bundesjustizminister wird der Ausschluss der Häftlinge aus der Rentenversicherung als politisch nicht zu rechtfertigen und juristisch zumindest fragwürdig bezeichnet. »Der durch die fehlende Rentenversicherung entstehende Schaden für die Gefangenen kommt einer Doppelbestrafung gleich. So werden sie nach Absitzen der Haftstrafe durch verminderte oder fehlende Rentenansprüche noch einmal sanktioniert und schlimmstenfalls faktisch zur Altersarmut verurteilt«, erklärt der Sprecher der GG/BO Oliver Rast gegenüber »neues deutschland«. Für die Gefangenengewerkschaft, die mittlerweile bundesweit knapp 800 Mitglieder hat, gehören Rentenversicherung und ein Mindestlohn auch im Gefängnis zusammen, um zu verhindern, dass der Weg aus dem Gefängnis direkt in die Altersarmut führt.

ttps://www.neues-deutschland.de/artikel/974886.gefangene-buessen-zusaetzlich-durch-altersarmut.html

Peter Nowak

Die Schmuddelkinder der Überwachungsdebatte

„Während ein Max Schrems mit dem Ruf „Kämpf um Deine Daten“ Facebook und andere Giganten zumindest Nadelstiche versetzt, sind die DNA-Datenbanken im letzten Jahrzehnt weltweit gewachsen.“ Dieses kritische Fazit ziehen die beiden Mitarbeiterinnen des Gen- ethischen Netzwerkes (www.gen-ethisches-netzwerk.de) ) Susanne Schultz und Uta Wagenmann über die Ignoranz in großen Teilen der Bevölkerung über die DNA-Sammelwut. Vor einigen Monaten haben sie im Verlag Assoziation A ein Buch über diese biologische Vorratsdatenspeicherung herausgegeben,

die zum Schmuddelkind der Überwachungsdebatte wurde. Dabei zeigt das Buch, dass es genügend Gründe für eine größere Aufmerksamkeit auf die DNA-Sammelwurt gäbe. Schließlich hat sich, was als „Kopfgeburt“ des deutschen Innenministers Otto Schily begann, zu einem multilateralen Netz von Datenbanken entwickelt. Mittlerweile sind

EU-weit die DNA-Profile von knapp 10 Millionen Menschen gespeichert, betont der Politikwissenschaftler Eric Töpfer. Doch eine ähnliche Gegenbewegung, wie sie gegen die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung entstanden war, ist gegen diese DNA-Datenbanken nicht in Sicht. Der Aufbau dieser DNA Datenbanken schreitet auf globaler

Ebene voran, wie der Politikwissenschaftler Eric Töpfer schreibt. Der Biometriker Uwe Wendling widmet sich den Lobbyorganisationen in der Biotechbranche. Sie versprechen maximalle Sicherheit durch DNA-Analysen. Oft lassen sich PolitikerInnen, die für eine möglichst umfassende DNA-Kontrolle eintreten, vor Opfern von Mord und ergewaltigung

ablichten. Auch hierzulande wird die biologische Datensammelwut mit dem Schutz vor diesen Verbrechen begründet. In dem Buch wird aber nachgewiesen, dass in Deutschland heute die Mehrheit der DNA-Daten bei Verdächtigen im Bereich der Kleinkriminalität wie Sachbeschädigung oder Diebstahl gesammelt werden. Auch politische AktivistInnen werden häufig zur Abgabe ihrer DNA aufgefordert, wie an mehreren Fallbeispielen gezeigt wird. Die Journalistin Heike Kleffner weist nach, wie durch eine falsche DNA-Spur Romafamilien verdächtigt wurden, für den Mord an der Polizistin Michele Kiesewetter verantwortlich zu sein. Heute wissen wir, dass sie das letzte Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds war.

Viel Akzeptanz in der Bevölkerung

Noch in den 80er Jahren gab es eine relevante gentechnikkritische Bewegung, die sich schon über DNA-Tests kritisch äußerte, bevor deren technische Möglichkeiten ausgereift waren. Sie war vor allem in feministischen Kreisen stark verankert, umfasste allerdings auch WissenschaftlerInnen und MedizinerInnen. Das Gen-ethische Netzwerk, das das Buch heraus gibt, steht in der Tradition dieser kritischen Strömung. Wenn man sich fragt, warum die DNA-Sammelwut heute so wenig hinterfragt wird, muss man auch auf die Akzeptanz zu sprechen kommen, die die Gentechnik in den letzten Jahren erfahren hat. Ihr wird immer mehr zugetraut, dass sie gesellschaftliche Probleme lösen kann. Deshalb stößt auch eine Propaganda auf offene Ohren, die die DNA-Tests als Waffe gegen Verbrechen wie Vergewaltigung und Mord anpreist. Wie in dem Buch aufgezeigt wird, kooperiert in den USA die Firma Thomas Honeywell Gouvernmental Affairs bei ihrer Lobbyarbeit für die DNA-Technologie auch mit Opfern von schweren Verbrechen. Zu den SponsorInnen dieses Lobbyunternehmens gehört das Unternehmen Life Technologies, ein führender Anbieter aller notwendigen Angebote auf dem Gebiet der DNA-Industrie. Eine gute Lobbyarbeit kann nur Früchte tragen, wenn es in Teilen der Gesellschaft auch Denkmuster gibt, auf die diese Lobbyarbeit abzielt. Dazu gehört sicher der Wunsch, als gesellschaftlich störend empfundenes mittels einer modernen Technologie bekämpfen und einschränken zu können. Diese Vorstellung, die der wissenschaftlichen und technischen Revolution vorausgegangen ist, wurde populärer, als sich mit der Entwicklung der Gentechnologie die wissenschaftlichen Möglichkeiten boten, solche Utopien oder Dystrophien in die Realität umzusetzen.

nahmen bei dem Teil der Bevölkerung nicht auf Kritik, der sich eine wissenschaftliche Bekämpfung gesellschaftlicher Probleme wünscht. Daher setzt eine kritischere Haltung zur DNA-Datensammelwut eine Problematisierung der Vorstellungen voraus, mit technologischen Mitteln gesellschaftliche Probleme angehen zu können. Wenn Schultz und Wangenmann kritisieren, dass die DNA von Unterprivilegierten und rassistisch diskriminierten Gruppen überdurchschnittlich erfasst werden, korrespondiert das mit einem weit verbreiteten sozialchauvinistischen Bewusstsein, das diese Gruppen schnell in die Nähe von Kriminalität rückt. Hier ist wahrscheinlich der Grund zu suchen, warum die DNA-Sammelwut auch bei vielen ÜberwachungskritikerInnen kein Grund für Protest ist.

Widerstand nicht sinnlos.

Trotz dieser pessimistischen Befunde sind die Kampagnen gegen die DNA-Sammelwut (http://fingerwegvonmeinerdna.blogsport.eu/ wie sie das gen-ethische Netzwerk immer wieder initiiert hat und die auch in dem Buch vorgestellt sind, keineswegs folgenlos. Dabei lohnt  ein Blick über die Grenzen. Schließlich ist auch die Sammelwut grenzenlos. Am 23. Dezember 2014 setzte das Bundesgericht der Schweiz, die höchste juristische Instanz unseres Nachbarlandes, der unumschränkten DNA-Kontrolle deutliche Grenzen. Das geltende Schweizer Recht rechtfertige selbst bei hinreichendem Tatverdacht nicht in jeden Fall eine DNA-Entnahme, geschweige denn deren Archivierung in einer Datenbank, urteilten die Richter. Geklagt hatte eine politische Aktivistin, der gegen ihren Willen von der Polizei DNA-Proben entnommen worden waren. Das gut lesbare Buch dient der Aufklärung und liefert Informationen, auf die dann Gruppierungen und Einzelpersonen zurückgreifen konnten, wenn sie selber zur DNA-Probe aufgefordert wurden. Das kann ganz unterschiedliche politische Zusammenhänge betreffen. Aber auch Menschen, die in der Nähe von Orten leben, an denen ein Verbrechen geschehen ist, sind betroffen. Sich dann den geforderten DNA-Reihenuntersuchungen zu verweigern, ist schon ein Akt der Zivilcourage. In dem Buch werden erschreckende Beispiele geliefert, wie jemand zum Verdächtigen wurde, weil er sich einer „freiwilligen“ Reihenuntersuchung widersetzte. Das Buch gibt einen guten Überblick über den ersten zaghaften Widerstand gegen die DNA-Tests und liefert  Tipps und Anregungen für Menschen, die der Meinung sind, dass auch und gerade ihre DNA ausschließlich ihnen gehört. 

Gen-ethisches Netzwerk (Hg.) Identität auf Vorrat, Zur Kritik der DNA-Sammelwut, Assoziation A, Berlin 2014, 135 Seite, 14 Euro, ISBN 978-3-86241-439-0-44

aus: verdikt 1.15

https://bund-laender.verdi.de/++file++55817d7bba949b58e2003378/download/f%C3%BCrs%20Netz_1_15.pdf

Peter  Nowak

* Der Rezensent ist Journalist in Berlin. Er  publiziert in verschiedenen Tages- und Wochenzeitungen. Seine Artikel sind auf https://peter-nowak-journalist.de/ dokumentiert,

Viel Lärm um Hackerangriffe auf den Bundestag

„So nah ist uns in Deutschland die Gefahr aus dem Netz noch nie gekommen.“

„So nah ist uns in Deutschland die Gefahr aus dem Netz noch nie gekommen. Wir wissen nicht, wer uns angreift, wir wissen nicht, was der Angreifer will. Wir kennen seine Absichten nicht. Werden gezielt geheime Informationen abgeschöpft? Sollen einzelne Abgeordnete ausspioniert werden, um Erpressungspotenziale zu ermitteln?“

Mit diesen kriegerischen Tönen kommentierte Brigitte Fehrle, ehemals Taz, heute Berliner Zeitung, im Deutschlandfunk [1] die Hackerangriffe auf Computersysteme des Bundestags. Bei der ganzen kriegerischen Rhetorik kommt Fehrle nicht einmal auf die Idee, die ganze Erzählung über den großen Hackerangriff auf uns alle, einmal kritisch zu hinterfragen. Damit ist sie aber in der journalistischen Zunft nicht allen. Einige der Dramatisierungen der letzten Tage wurden auf Golem.de zusammengefasst [2].

Jagd auf „politische Kriminelle?“

Doch eine solche Versachlichung würde nicht gut zu Fehrles Endzeitvision passen. Schließlich kann in diesem Cyberkrieg jeder der Feind sein:

Das Wesen des Cyberkrieges ist der unsichtbare Gegner. Er kann überall sein. Selbst die Rückverfolgung eines platzierten Virus sagt nichts über die Auftraggeber. Es können Geheimdienste sein, es können Firmen sein, die Industriespionage betreiben, es können politische Kriminelle sein, die Unruhe stiften wollen.

Gerade die letzte Aufzählung macht stutzig. Wer sollen denn die politischen Kriminellen sein? Besteht ihr Delikt darin, dass sie eben Unruhen schaffen? Gehören sie vielleicht zu jenen Personenkreisen, die in der letzten Zeit manche Behörden durch die Preisgabe von streng geheimen Daten zur Verzweiflung gebracht haben? Man denke nur an die 2011 durch Wikileaks veröffentlichten, streng vertraulichen Diplomatic Cables [3], eine unredigierte Sammlung von zahllosen Depeschen aus US-Botschaften, die nur teilweise als geheim eingestuft worden waren.

Datenschutz und Persönlichkeitsrechte gelten für Personen, die in der Wertung von Wikileaks Verwerfliches getan haben, anscheinend nicht. Und auch nicht für ihre Freunde und Bekannten. Wer in Wikileaks-Enthüllungen namentlich genannt wird, hat im Übrigen keinerlei Möglichkeit, sich bei einer Kommission zu beschweren oder auf Löschung oder auch nur eine Entschuldigung zu drängen.

Gerade eine Szene, die sich mit Recht gegen staatliche Überwachung wehrt, sollte diese Kritik auch gegenüber Institutionen wie Wikileaks behalten, wenn die in ihrer alltäglichen Praxis noch hinter die staatlichen Behörden zurückfallen. Eine solche Kritik sollte aber eine Verteidigung von Wikileaks und ähnlichen Institutionen gegen staatliche Kriminalisierungsversuche mit einschließen.

Die Geheimdienstmitarbeiter auf unseren Häuserwänden

Nun gibt es neben Wikileaks auch andere Wege und Methoden, sich mit den Akteuren der Überwachung zu beschäftigten. In Berlin kann man manchmal sogar ihre Konterfeis auf öffentlichen Häuserwänden sehen. Overexposed [4] heißt das Projekt des italienischen Künstlers Paolo Cirio [5]. Dort verwendet und verfremdet er Fotos von führenden Akteuren der Überwachung, die er in deren privaten Netzwerk gefunden hat.

Sie sind nicht nur auf manchen Häuserwänden, sondern auch noch bis zum 20. Juli in der Galerie Nome in Berlin-Friedrichshain zu sehen. Paolo Cirio hat natürlich die Menschen, die er porträtiert nicht um Erlaubnis gefragt. Die Möglichkeit, dass sein Vorgehen juristische Folgen haben kann, ist nicht gering.

Gerade in einer Zeit, in der die Öffentlichkeit davon überzeugt werden sollen, dass es sich bei den Hackerangriffen auf Bundestagscomputer um einen „Angriff auf uns alle“ handelt. Solche Floskeln haben wir immer dann gehört, wenn die wieder einmal Rechte eingeschränkt werden sollen. Nebenbei werden die durch die verschiedenen Überwachungsdebatten diskreditierten Verfassungsschutzbehörden auf diese Weise wieder rehabilitiert und bekommen sogar noch mehr Macht, als sie offiziell bisher hatten. Die Taz bringt das Dilemma so auf den Punkt [6]:

Der Bundestag muss sich also helfen lassen – doch von wem? Dass der Verfassungsschutz bei der Aufklärung mitwirkt, hat zwar selbst die Linksfraktion akzeptiert; doch dass sich das Parlament beim Aufbau seines Computersystems komplett in die Abhängigkeit von Bundesbehörden wie dem Verfassungsschutz oder dem BSI begibt, dürfte auf Vorbehalte stoßen – schließlich ist die Gewaltenteilung zentral für die Demokratie.

So könnte die Dramatisierung der Hackerangriffe auf Bundestagscomputer einen Beitrag dazu leisten, dass die Hack-Aktivismus kriminalisiert und staatliche Überwachungsbehörden rehabilitiert werden.

http://www.heise.de/tp/news/Viel-Laerm-um-Hackerangriffe-auf-den-Bundestag-2691006.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.deutschlandfunk.de/cyberangriff-auf-bundestag-der-unsichtbare-feind.720.de.html

[2]

http://www.golem.de/news/iuk-kommission-das-protokoll-des-bundestags-hacks-1506-114635.html

[3]

https://wikileaks.org/cablegate.html

[4]

http://www.nomeproject.com/de/ausstellungen/overexposed

[5]

http://www.paolocirio.net/

[6]

http://www.taz.de/Angriff-aufs-Netz-des-Bundestags/!5203618/

Ist Al Sisi der Schah 2015?

Gülaferit Ünsal beendet ihren Hungerstreik

Weil sie in der Haft schikaniert worden sein soll, nahm Gülaferit Ünsal aus Protest keine Nahrung mehr auf. Jetzt hat die Gefängnisleitung reagiert.

Am 29. Mai hat Gülaferit Ünsal nach 54 Tagen ihren Hungerstreik erfolgreich beendet. In einem von Ünsal, ihrer Rechtsanwältin, der Gefängnisleitung und dem Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses Canan Bayram (Grüne) unterschriebenen Protokoll wurde festgehalten, dass die Gefangene Zeitungen und Post künftig sofort ausgehändigt bekommt. Die Gefängnisleitung verpflichtete sich gegenüber Ünsal »zu einem Umgang in interkulturell respektvoller Form«. Zudem sollten künftig Bedrohungen von Ünsal im Gefängnis untersucht und geahndet werden.

Die Gefangene hatte seit Monaten über Mobbing durch einige Mitgefangene und das Vorenthalten von legalen linken Zeitungen geklagt. Nachdem sie im letzten Jahr vergeblich mit Briefen auf ihre Situation aufmerksam gemacht hatte, war sie am 6. April in den Hungerstreik getreten. Die Nachricht vom erfolgreichen Ende des Hungerstreiks wurde am Freitagabend mit großer Freude von den rund 60 Menschen aufgenommen, die sich vor der JVA für Frauen in Pankow versammelt hatten, um Ünsal ihre Solidarität auszudrücken. Mehrmals wöchentlich fanden in den letzten Wochen Kundgebungen in unmittelbarer Nähe der JVA statt. Organisiert wurden sie von der Berliner Ortsgruppe der Roten Hilfe und dem Netzwerk »Freiheit für alle politischen Gefangenen«. Ünsal war im Mai 2013 vom Berliner Kammergericht zu einer Haftstrafe von sechseinhalb Jahren wegen »Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung« verurteilt worden.

»Für mich als Anwältin ist es absurd, dass man mehr als 50 Tage in den Hungerstreik gehen muss, um seine Rechte zu bekommen«, erklärte Canan Bayram gegenüber »nd«. Die Rote Hilfe sagte, es wird jetzt notwendig sein, dass die Öffentlichkeit weiterhin beobachtet, ob die Vereinbarungen mit Ünsal eingehalten werden. Canan Bayram will die Gefangene einmal im Monat besuchen. Auch Hakan Taş, der für die LINKE im Abgeordnetenhaus sitzt, hat einen Besuch bei Ünsal angekündigt.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/972852.guelaferit-uensal-beendet-ihren-hungerstreik.html

Peter Nowak

»Alles ist kaputt«

Mieter der Grunewaldstraße erheben Vorwürfe gegen Hauseigentümer

Roma in Schöneberg beschuldigen ihren Vermieter, sie bedroht zu haben, um ihren Auszug zu erpressen. Sollte es einen weiteren Räumungsversuch geben, wollen sie vor dem Bezirksamt protestieren.

»Keine Fotos, keine Namen«, betonten die acht Mieter der Grunewaldstraße 87 im Stadtteil Schöneberg mehrmals eindringlich. Sie waren am Donnerstagnachmittag in die Räume der Roma-Selbsthilfeorganisation Amaro Foro nach Neukölln gekommen, um auf illegale Entmietungsmethoden aufmerksam zu machen. Der Besitzer des Hauses versuche, sie mit allen Methoden loszuwerden. Bereits Mitte Mai seien drei vom Eigentümer engagierte Männer in die Wohnungen der Rumänen eingedrungen und hätten sie zum sofortigen Verlassen des Hauses aufgefordert. Als sie sich weigerten, seien nicht nur ihnen Schläge angedroht worden. »Sie wüssten, wo unsere Kinder in die Schule gehen und würden sie entführen«, berichten die Betroffenen. Außerdem hätten die Männer gedroht, »unsere Frauen zu vergewaltigen«. Zwei Mieter berichteten, dass sie zu einem Café in Schöneberg gebracht worden seien, wo die Drohungen fortgesetzt worden sein sollen. Einer der Betroffenen hat Teile davon mit seinem Handy dokumentiert.

Von Polizei und Politik fühlen sich die Mieter im Stich gelassen. Sie hätten Anzeige erstattet und die Namen der Täter genannt. Zudem hätten sie gefordert, dass die das Haus nicht mehr betreten dürfen. Bisher sei nichts geschehen. »Die Polizei ist nicht auf unserer Seite«, meint eine Mieterin. Zum 1. Juni rechnen die Mieter mit erneuten Räumungsversuchen. »Wir wollen unsere Wohnungen nicht verlassen, weil wir dann obdachlos sind. Wenn es aber einen erneuten Räumungsversuch gibt, verlassen wir alle das Haus und bauen unsere Zelte in einem Park oder vor dem Bezirksamt auf«, sagte einer der Mieter unter zustimmenden Nicken der anderen.

Für den Hausbesitzer war das Geschäft mit den Roma bisher sehr lukrativ. Mieten zwischen 300 und 400 Euro für einen Raum und eine Küche sowie eine Etagentoilette seien nicht ungewöhnlich gewesen. Alle Mieter sprachen vom schlechten baulichen Zustand des Hauses. »Alles ist kaputt«, fasste es ein Mieter zu zusammen. Die Wohnungen haben teilweise kein Wasser und keinen Strom.

»Die rumänischen Familien sind nicht dafür verantwortlich, dass ihnen ohne eine Chance auf dem Berliner Wohnungsmarkt stark überbelegter Wohnraum in sehr schlechtem Zustand und völlig überteuert vermietet wird«, sagt der Vorstandsvorsitzende von Amaro Foro, Merdjan Jakupov.

Damit wendet sich die Initiative gegen Versuche von Medien und Teilen der Nachbarschaft in der Grunewaldstraße, die Romafamilien dafür verantwortlich zu machen, dass Lärm und Dreck auf der Straße zunehmen. In der letzten Woche waren auf einem Treffen einer Nachbarschaftsinitiative solche Töne zu hören (»nd« berichtete). Aber andere Nachbarn betonten, dass nicht die Roma sondern der Vermieter das Problem seien. Vielleicht kommt es zu einer Kooperation. Die Roma bekräftigten ihrerseits, sie hätten an guten Kontakten zur Nachbarschaft großes Interesse. Auch die Klagen über Müll vor dem Haus könnten sie verstehen. Doch das liege an fehlenden Mülltonnen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/972744.alles-ist-kaputt.html

Peter Nowak

Fünfzig Tage hungern

Mehrmals wöchentlich finden zurzeit Kundgebungen in unmittelbarer Nähe der Justizvollzugsanstalt (JVA) für Frauen in Berlin-Pankow statt. Organisiert werden sie von der Berliner Ortsgruppe der Roten Hilfe und dem Netzwerk »Freiheit für alle politischen Gefangenen«. In deutscher und türkischer Sprache werden Solidaritätserklärungen verlesen. Zwischendurch wird Musik in beiden Sprachen gespielt. Die Teilnehmer der Kundgebungen halten Plakate mit dem Konterfei von Gülaferit Ünsal hoch, die sich seit dem 6. April in der JVA im Hungerstreik befindet. Sie wehrt sich so nach eigenen Angaben gegen Schikanen durch Mitgefangene und die Postzensur, denn linke Zeitungen in deutscher und türkischer Sprache erhält sie nicht oder nur mit großer Verzögerung. Ünsal wurde im Mai 2013 vom Berliner Kammergericht zu einer Haftstrafe von sechseinhalb Jahren wegen »Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung« verurteilt. Es handelt sich dabei um die »Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front« (DHKP-C), eine militante marxistisch-leninistische Organisation in der Türkei. Als geistig klar, aber körperlich sehr geschwächt beschreibt ein Mann, der Ünsal im Gefängnis besucht hat, ihren Zustand nach über fünfzig Tagen Hungerstreik. Ein körperlicher Zusammenbruch ist jederzeit möglich. Der Kreis der Unterstützer bleibt weiterhin überschaubar. Die Zahl der Kundgebungsteilnehmer schwankt zwischen 20 und 80. Mittlerweile haben weitere Gefangene, die nach Paragraph 129b verurteilt wurden, aus Solidarität einen Hungerstreik begonnen. Unterstützung kommt auch von der Gefangenengewerkschaft. Auffällig ist die Ignoranz staatlicher Stellen und der im Berliner Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien gegenüber dem lebensgefährlichen Protest. An Informationsmangel kann es nicht liegen. Ünsal hatte vor Beginn ihres Hungerstreiks in Briefen an die Öffentlichkeit und Parteien auf ihre Lage in der JVA Pankow aufmerksam gemacht.

http://jungle-world.com/artikel/2015/22/52031.html

Peter Nowak

Mumia schwer erkrankt

MAHANOY. Starker Gewichtsverlust, schuppige Haut, verbunden mit Juckreiz und Schwindel. So beschreibt eine Besucherin Mitte April den Gesundheitszustand des US-amerikanischen Journalisten Mumia Abu Jamal, der sich auf der Krankenstation des Gefängnisses SCI Mahanoy befindet. Sein Gesundheitszustand sei weiterhin ernst, habe sich aber gegenüber Ende März gebessert. Damals war bekannt geworden, dass Mumia mit einem schweren Diabetesschock aus dem Gefängnis in ein Krankenhaus eingeliefert wurde. Zunächst durfte er keinen Besuch empfangen. Erst nach zahlreichen Protestmails und Kundgebungen vor US-Botschaften in aller Welt wurde seine Totalisolation aufgehoben. „Jetzt muss Mumia endlich freigelassen werden. Im Gefängnis ist seine vollständige Genesung nicht möglich“, betont Anton Mestin von der Berliner „Mumia-Solidarität“. Mumia Abu Jamal war 1982 wegen Mordes an einem Polizisten zum Tode verurteilt worden. Der Journalist, der auch Ehrenmitglied von ver.di ist, hat die Tat immer bestritten. Nach weltweiten Protesten wurde das Urteil in eine lebenslängliche Haftstrafe umgewandelt.

weitere Infos:

http://www.freiheit-fuer-mumia.de/
http://mmm.verdi.de/aktuell-notiert/2015/weltweit-sorge-um-die-gesu

aus: «M» – MENSCHEN – MACHEN – MEDIEN

http://mmm.verdi.de/medien-international/02-2015/mumia-schwer-erkrankt

Peter Nowak

Erschütternd aktuell: der Report „Deutsche Flüchtlingspolitik“

Dass Tausende Flüchtende im Mittelmeer sterben, schockiert uns immer wieder. Weniger Schlagzeilen machen die mindestens 451 Refugees, die seit 1993 in Deutschland den Tod gefunden haben. Dass diese Zahlen überhaupt bekannt werden, ist Ehrenamtlichen zu verdanken, die sich in der Antirassistischen Initiative Berlin (ARI) engagieren. Seit 1993
geben sie den Report Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen heraus, der die verschiedenen
Formen von Gewalt, Verletzungen und Diskriminierungen gegen Flüchtlinge recherchiert und auflistet. Alljährlich
wird er aktualisiert, gerade ist eine neue Auflage erschienen, die alle Fälle bis zum Jahresende 2014 erfasst. Die Schicksale, die dort chronologisch aufgelistet sind, schaffen es meist nur als kleine Meldung auf die hinteren Seiten der Zeitungen. Da übergießt sich am 20. Februar 2014 der Iraner Kahve Pouryazdani mit Benzin und stirbt den Feuertod. Am 11. März vergangenen Jahres versucht sich eine 39-jährige Abschiebegefangene zu vergiften, am 7. September eine Nigerianerin mit ihren beiden Kindern. Elke Schmidt, die seit Jahren die Dokumentation koordiniert, führt die Suizide auf die wachsende Verzweiflung angesichts der schlechten Lebensbedingungen zurück, denen Flüchtlinge, Asylbewerber und Menschen ohne Papiere in Deutschland  ausgesetzt sind. Das Problem, sagt Elke Schmidt, seien nicht nur die restriktiven Rahmenbedingungen, die durch die bundesdeutschen Asylgesetze vorgegeben werden: „Es sind auch die Mitarbeiter der Ämter, der Polizei und der Abschiebegefängnisse, die oft mit Allmachtsgebaren, Willkür,  Schikanen, Rechtsbruch und purer Gewalt gegen die Schutzsuchenden vorgehen.“ Für die Erstellung der Dokumentation wertet die Gruppe Presseartikel, Polizeiberichte und Informationen von Flüchtlingshilfsorganisationen aus. Alle Meldungen werden gegenrecherchiert und erst veröffentlicht, wenn sie von zwei unabhängigen Quellen bestätigt werden. Elke Schmidt hat das Projekt 1993 mit einer Mitstreiterin gestartet, nachdem sich der Onkel eines verschwundenen tamilischen Flüchtlings an die ARI gewandt hatte. Sie forschten nach und fanden heraus, dass er mit acht anderen tamilischen Flüchtlingen beim Grenzübertritt in der Neiße ertrunken war. Mit einem Filmteam machte die ARI damals den Tod in der Neiße öffentlich. Seitdem sammelt das kleine Team Nachrichten über Todesfälle, Misshandlungen und Gewalt, die in direktem Zusammenhang mit der deutschen Flüchtlingspolitik stehen. Noch so ein Fall: Am 20. Januar 2014 stoppt die griechische Küstenwache einen Fischkutter. Darin sitzen 27 Geflüchtete aus Afghanistan und Syrien. Einige wollen zu Verwandten nach Deutschland. Die griechische Küstenwache versucht den Fischkutter zurück auf türkisches Territorium zu drängen und nimmt ihn ins Schlepptau. In der stürmischen See reißt das Seil, der Kutter sinkt. Drei Frauen und acht Kinder sterben. Die Überlebenden mussten über Monate mit Hilfe von Pro Asyl darum kämpfen, dass sie bei Verwandten in Deutschland leben können. Auch darüber informiert die Dokumentation, die in Zeiten von Pegida und der erneuten Verschärfung der Asylgesetzgebung noch immer  so wichtig ist wie vor über zwei Jahrzehnten. Dabei ist der größte Wunsch der Herausgeber, Zustände zu schaffen, in denen ihre Dokumentation endlich überflüssig wird.

S. 14

Peter Nowak

Kampf für Lohn und Rente


Im Gefängnis ist reine politische Organisierung out, der Beitritt zu einer Gewerkschaft ist dagegen der Renner

Mehr als drei Jahrzehnte hörte man auf linken Demonstrationen: »Wir sind nicht alle, es fehlen die Gefangenen.« Heute hört man diese Parole seltener. Dabei sitzen auch jetzt Aktivisten hinter Gittern.

»Als politische, kämpfende und widerständige Gefangene grüßen wir aus den Kerkern der imperialistischen Bundesrepublik Deutschland die Völker der Erde, mit dem Geist der internationalen Solidarität und der Liebe zur Freiheit«, begann ein Aufruf, mit dem sich sieben Gefangene aus verschiedenen Justizvollzugsanstalten anlässlich des 1. Mais zu Wort meldeten. Der einzige deutsche Unterstützer des Aufrufs, Thomas Meyer-Falk, bezeichnet sich selbst als anarchistischer Red-Skin. 1996 wurde er nach einen Bankraub verhaftet. Das Geld sollte linken Projekten zufließen. Von Anfang an verstand sich Meyer-Falk als politischer Gefangener. Er ist damit eine Ausnahme.

Die anderen Unterzeichner des Aufrufs waren in der Türkei in militanten linken Organisationen aktiv, haben dort früher schon im Gefängnis gesessen und sich gegen Folter und Isolationshaft gewehrt. Einige beteiligten sich an langen Hungerstreiks. In Deutschland wurden sie wegen Mitgliedschaft oder Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach dem umstrittenen Paragrafen 129b verurteilt. Seit dem 6. April befindet sich eine von ihnen, Gülaferit Ünsal, in einem unbefristeten Hungerstreik, weil ihr in der JVA Pankow linke Literatur und Medien verweigert oder erst mit großer Verzögerung ausgehändigt wurden.

Die neue Gefangenenplattform erinnert in der Diktion an ähnliche Projekte der Gefangenen der Rote Armee Fraktion (RAF) und des antiimperialistischen Widerstands in den 70er und 80e Jahren. Sie organisierten damals kollektive Hungerstreiks und wurden von Gruppen draußen unterstützt. Mehr als drei Jahrzehnte hörte man auf linken Demonstrationen die Parole: »Wir sind nicht alle, es fehlen die Gefangenen.«

Seit die letzten Gefangenen aus organisierten linken Strukturen freigelassen wurden, hört man diese Parolen jedoch seltener. Für Wolfgang Lettow von der Publikation Gefangeneninfo, der seit Jahrzehnten politische Gefangene besucht, ist diese Entwicklung Ausdruck einer politischen Defensive. »Die durch den Kapitalismus hervorgerufene Vereinzelung geht auch an den Weggebunkerten nicht spurlos vorbei«, erklärt er gegenüber »nd«.

Der Sprecher der im letzten Jahr in der JVA Tegel gegründeten Gefangenengewerkschaft, Oliver Rast, zieht aus dem Wegbrechen organisierter linker Strukturen auch im Gefängnis Konsequenzen. »Jetzt sollte die Frage nach einem Gewerkschaftsengagement hinter Gittern offensiv ausgeworfen werden. Der Kampf gegen die staatlich sanktionierte Billiglöhnerei und die arbeits- und sozialrechtliche Diskriminierung von Gefangenen halten wir für hochpolitisch«, meint Rast gegenüber »nd«.

Gefängnisleitungen scheinen die Neuformierung ernst zu nehmen. So wurden in den vergangenen Wochen die Mitgliederzeitung sowie Ausweise und Materialien der Gefangenengewerkschaft immer wieder beschlagnahmt. Das Anwachsen der Vernetzung hinter Gittern auf über 500 Mitglieder konnten sie nicht verhindern. Hier sieht Rast ein großes Potenzial für eine Politisierung von Gefangenen, die wegen unterschiedlicher Delikte inhaftiert sind.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/970952.kampf-fuer-lohn-und-rente.html

Peter Nowak

Hungern aus Überzeugung

PROTEST Gülaferit Ünsal ist in der JVA Pankow in Hungerstreik getreten und fordert freien Medienzugang

„Schluss mit der Zensur von Zeitschriften und Zeitungen. Schluss mit der Provokation und dem Mobbing“ – so beginnt die Hungerstreikerklärung von Gülaferit Ünsal, die in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Pankow inhaftiert ist. Seit 6. April verweigert die nach dem Paragraf 129 b wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung verurteilte Frau die Nahrung. Damit protestiert Gülaferit Ünsal dagegen, dass ihr die linke türkische Zeitung Yürüyus nicht ausgehändigt wird und andere Zeitungen mit großer Verspätung ankommen. Als weiteren Grund für den Hungerstreik nennt Ünsal das Mobbing von anderen Gefängnisinsassen.

„Sie wird von Mitgefangenen immer wieder beschimpft und bedroht“, erklärt Wolfgang Lettow vom Netzwerk „Freiheit für alle politischen Gefangenen“, der Ünsal regelmäßig besucht und mit ihr in Briefkontakt steht. „Ünsal hat seit Monaten versucht, ihre Situation mit juristischen Mitteln zu verbessern. Erst als das scheiterte, griff sie zum Mittel des Hungerstreiks“, sagte Lettow der taz.

Nach mehr als einem Monat der Nahrungsverweigerung beginnt langsam die Solidaritätsarbeit. Die Ortsgruppe der Roten Hilfe Berlin will mit Kundgebungen die Forderungen von Ünsal unterstützen.

Solidaritätshungerstreik

Ab 11. Mai ist Ahmed Yüksel, der in der JVA Düsseldorf inhaftiert ist, in zunächst auf drei Tage befristeten Solidaritätshungerstreik getreten. Sollte sich die gesundheitliche Situation von Ünsal verschlechtern, wollen weitere Gefangene teilnehmen.

Zum 1. Mai hatten sich sieben Insassen aus verschiedenen Gefängnissen mit einer Erklärung zu Wort gemeldet, in der sie sich als revolutionäre, widerständige und politische Gefangene bezeichnen.

Auch Gülaferit Ünsal hat diesen Aufruf unterschrieben. Die Mehrheit der UnterzeichnerInnen wurde wie sie wegen angeblicher Mitgliedschaft und Unterstützung der in Deutschland und der Türkei verbotenen Revolutionären Volksbefreiungsfront-Partei (DHKP-C) verurteilt.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2015%2F05%2F12%2Fa0141&cHash=6da23a95fbf880a96ab6ea84aea83789

Peter Nowak

Kein Recht auf Platz

AKTION Gericht untersagt Open-Air-Kino auf dem „Leo“ – weil der teilweise der Kirche gehört

Ein Open-Air-Kino gegen Verdrängung hatte die Stadtteilinitiative „Hände weg vom Wedding“ für Sonntagabend auf dem Weddinger Leopoldplatz geplant. Der Film „Buy, Buy St. Pauli“ über Gentrifizierung in Hamburg sollte gezeigt und anschließend mit den FilmemacherInnen diskutiert werden. Doch dann musste sich die Stadtteilinitiative mit der eigenen Verdrängung auseinandersetzen.

Am 24. April hatte das Amtsgericht Wedding der evangelischen Nazarethkirchengemeinde recht gegeben und die Veranstaltung auf dem Areal untersagt. Es gebe genügend Platz auf dem nichtprivaten Teil des Platzes, so die Begründung der Richterin. Sie zog zudem den politischen Charakter der Veranstaltung in Zweifel.

Zuvor hatte die Stadtteilinitiative noch eine einstweilige Verfügung erwirken können. Weil die als Kundgebung angemeldete Filmvorführung unter den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit falle, sei die Gemeinde zur Duldung der Aktion verpflichtet, so die Begründung.

Enttäuscht von dem Urteil ist Martin Steinberg von der Stadtteilinitiative. „Erschreckend“ sei es, „mit welchem Nachdruck die Nazarethkirchengemeinde versucht, eine politische Meinungsäußerung auf Teilen des Platzes zu verhindern“, sagte er zur taz. Er verwies darauf, dass das Areal mit öffentlichen Mitteln saniert wurde, bevor es 2006 in den Besitz der Gemeinde überging.

Für Steinberg ist mit dem Urteil der Konflikt nicht beendet. Er wird auch Thema der Aktionstage sein, die noch bis zum 30. April an verschiedenen Orten in Wedding stattfinden. Am 28. April um 20 Uhr wird Robert Maruschke im „Ex-Rotaprint“ in der Gottschedstraße 4 über Stadtteilorganisierung in den USA berichten.

Am 30. April ab 18.30 Uhr wird der ganze Leopoldplatz zum Ort der politischen Auseinandersetzung. Dann beginnt dort eine Stadtteildemo unter dem Motto „Organize! Gegen Rassismus und soziale Ausgrenzung!“, die durch den Wedding zieht.

Anders als in den vergangenen Jahren haben die OrganisatorInnen auf den Zusatz „Walpurgisnacht“ verzichtet. „Damit wollten wir betonen, dass es uns um eine antikapitalistische Demonstration geht, und auch Menschen im Stadtteil ansprechen, die mit dem Bezug zur Walpurgisnacht nichts anfangen können“, begründete Steinberg diese Entscheidung.

Programm der Aktionswoche „Hände weg vom Wedding“:

haendewegvomwedding.blogsport.eu


http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2015%2F04%2F27%2Fa0099&cHash=801051ea40e79a52a20cfdd079ce761e

Peter Nowak

Gefangene im Hungerstreik

Am Sonntag beteiligten sich in Berlin rund 60 Menschen an einer Solidaritätskundgebung vor dem Frauengefängnis Pankow. Sie wollten damit Gülaferit Ünsal grüßen, die sich seit dem 9. April im Hungerstreik befindet. Ünsal war nach Paragraf 129b wegen vermeintlicher Mitgliedschaft in der Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) verurteilt worden. Im Gefängnis war sie mehrmals tätlichen Angriffen von Mitgefangenen ausgesetzt. Nachdem Proteste bei der Gefängnisleitung keine Änderung brachten, trat Ünsal in den Hungerstreik. Sie protestiert zudem gegen die Beschlagnahme von linken türkischen Zeitungen. Bereits seit dem 9. März befindet sich Sadi Özpo­la in der JVA Bochum im Hungerstreik. Auch er war wegen angeblicher Mitgliedschaft in der DHKP-C verurteilt worden. Er protestiert damit gegen die Beschlagnahme linker Bücher und Zeitungen durch die Anstaltsleitung. Die begründet die Maßnahme mit einer Gefahr für die Resozialisation. Sein Gesundheitszustand hatte sich in den letzten Tagen verschlechtert. Die Gefängnisleitung hat Özpola eine Vitaminspritze verweigert, die die gesundheitlichen Folgen des Hungerstreiks mildern soll.

Anmerkung: Sadi Özpola hat seinen Hungerstreik gestern erfolgreich beendet

https://www.neues-deutschland.de/artikel/968732.gefangene-im-hungerstreik.html

Peter Nowak

»Geflüchtete bleiben in Untersuchungshaft«

Am 7. April begann vor dem Berliner Amtsgericht der Prozess gegen drei Flüchtlinge, die sich an der Besetzung einer Schule in der Ohlauer Straße in Kreuzberg beteiligt haben. Torben Schneider war als Prozessbeobachter im Gerichtssaal.

Was wird den drei Männern vorgeworfen?

Den aus Darfur Geflüchteten wird vorgeworfen, am 2. Juli 2014 vom Dach der von Flüchtlingen besetzten Schule in der Ohlauer Straße in Berlin-Kreuzberg Betonteile, Steine und Glas geworfen und damit Polizisten gefährdet zu haben. Damals sollte die Schule von einem großen Polizeiaufgebot geräumt werden. Durch eine antirassistische Mobilisierung konnte das verhindert werden.

Wurden die Männer damals gleich an Ort und Stelle festgenommen?

Nein, die Verhaftung erfolgte mehr als fünf Monate später. Zwei der Geflüchteten sind am 10. Dezember 2014 verhaftet worden. An diesem Tag gab es eine unangekündigte Brandschutzkontrolle in der ehemaligen Schule. Die Bewohner wurden um fünf Uhr morgens aus dem Schlaf gerissen und die beiden wurden verhaftet. Der dritte Mann wurde am 11. Dezember während der Trauerfeier für Sister Mimi vor dem Eingang der Schule verhaftet. Sister Mimi war eine zentrale Aktivistin des Refugee-Protests, sie verstarb am 10. Dezember 2014.

Wurden die Vorwürfe gegen die drei Männer am ersten Prozesstag bestätigt?

Nein. Weder konnte geklärt werden, wer die Gegenstände vom Dach geworfen hat, noch gibt es einen Beweis, dass dadurch Menschen gefährdet worden wären.

Warum wurde der Haftbefehl dann nicht nach dem ersten Verhandlungstag aufgehoben?

Wenn es sich um Menschen mit deutschem Pass handeln würde, wäre spätestens mit dem ersten Prozesstag, bei dem sich der dringende Tatverdacht nicht bestätigt hat, der Haftbefehl aufgehoben worden. Da es sich um Geflüchtete handelt, die eine Schule besetzt haben, bleiben sie in Untersuchungshaft.

Wann wird der Prozess fortgesetzt?

Am 21. April soll der zweite Prozess um neun Uhr vor dem Berliner Amtsgericht fortgesetzt werden. Für den 28. April ist ein weiterer Prozesstag angesetzt. Ich hoffe, dass auch an diesen Tagen wieder viele Unterstützer der Geflüchteten anwesend sind.

http://jungle-world.com/artikel/2015/16/51801.html
Peter Nowak