PROTEST Gülaferit Ünsal ist in der JVA Pankow in Hungerstreik getreten und fordert freien Medienzugang
„Schluss mit der Zensur von Zeitschriften und Zeitungen. Schluss mit der Provokation und dem Mobbing“ – so beginnt die Hungerstreikerklärung von Gülaferit Ünsal, die in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Pankow inhaftiert ist. Seit 6. April verweigert die nach dem Paragraf 129 b wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung verurteilte Frau die Nahrung. Damit protestiert Gülaferit Ünsal dagegen, dass ihr die linke türkische Zeitung Yürüyus nicht ausgehändigt wird und andere Zeitungen mit großer Verspätung ankommen. Als weiteren Grund für den Hungerstreik nennt Ünsal das Mobbing von anderen Gefängnisinsassen.
„Sie wird von Mitgefangenen immer wieder beschimpft und bedroht“, erklärt Wolfgang Lettow vom Netzwerk „Freiheit für alle politischen Gefangenen“, der Ünsal regelmäßig besucht und mit ihr in Briefkontakt steht. „Ünsal hat seit Monaten versucht, ihre Situation mit juristischen Mitteln zu verbessern. Erst als das scheiterte, griff sie zum Mittel des Hungerstreiks“, sagte Lettow der taz.
Nach mehr als einem Monat der Nahrungsverweigerung beginnt langsam die Solidaritätsarbeit. Die Ortsgruppe der Roten Hilfe Berlin will mit Kundgebungen die Forderungen von Ünsal unterstützen.
Solidaritätshungerstreik
Ab 11. Mai ist Ahmed Yüksel, der in der JVA Düsseldorf inhaftiert ist, in zunächst auf drei Tage befristeten Solidaritätshungerstreik getreten. Sollte sich die gesundheitliche Situation von Ünsal verschlechtern, wollen weitere Gefangene teilnehmen.
Zum 1. Mai hatten sich sieben Insassen aus verschiedenen Gefängnissen mit einer Erklärung zu Wort gemeldet, in der sie sich als revolutionäre, widerständige und politische Gefangene bezeichnen.
Auch Gülaferit Ünsal hat diesen Aufruf unterschrieben. Die Mehrheit der UnterzeichnerInnen wurde wie sie wegen angeblicher Mitgliedschaft und Unterstützung der in Deutschland und der Türkei verbotenen Revolutionären Volksbefreiungsfront-Partei (DHKP-C) verurteilt.
Über die Anna-und-Arthur-Kampagne zur Zeugnisverweigerung von Linken
Auf einer Veranstaltung zur aktuellen staatlichen Repression gegen Linke durfte ein Grußwort nicht verlesen werden, weil die vortragende Person vor Gericht Aussagen gemacht hatte. Das sollen Linke aber nicht.
»Arthur und Anna halten’s Maul«, lautet das Motto einer der langlebigen Kampagnen der radikalen Linken. Damit werden Beschuldigte und Zeugen in politischen Verfahren aufgefordert, keine Aussagen zu machen und die Kooperation mit Justiz und Polizei zu verweigern. Doch die scheinbar so klare Parole war immer Gegenstand von heftigen Diskussionen in der Linken. Sollen Einlassungen vor Gericht auch dann unterbleiben, wenn damit niemand belastet, aber die eigene juristische Situation verbessert wird? Oder soll eher nach der Devise verfahren werden, die die Gruppe »Für eine linke Strömung« (FelS) im Zusammenhang mit dem Aussageverhalten von Antifaschisten in Berlin vor 20 Jahren unter das Motto »Anna und Arthur drücken auch mal ein Auge zu« fasste?
Bei einer Veranstaltung Ende August in Berlin wurde deutlich, dass diese Frage auch in der radikalen Linken unterschiedlich beantwortet wird. Eingeladen hatte eine Berliner Solidaritätsgruppe, die über die aktuelle staatliche Repression gegen linke Strukturen informieren wollte. Auch Olli R., der wegen angeblicher Mitgliedschaft in der militanten Gruppe (mg) eine Haftstrafe in der JVA Tegel absitzt, war angefragt worden, auf der Veranstaltung ein Grußwort beisteuern. Doch seine »Überlegungen für die Solidaritätsarbeit mit Gefangenen« konnten nicht vorgetragen werden. Die von Olli R. damit beauftragte Person habe vor einigen Jahren in einem politischen Prozess Einlassungen gemacht und könne daher auf der Veranstaltung nicht auftreten, entschieden die Veranstalter.
Für den langjährigen Aktivisten der Startbahn-Bewegung in Frankfurt am Main Wolf Wetzel gehört eine solche Haltung in das politische Umfeld der späten 1980er Jahre, in dem die Anna-und-Arthur-Kampagne entwickelt wurde: Im November 1987 waren an der Startbahn West zwei Polizisten durch Schüsse tödlich verletzt worden und zahlreiche Aktivisten mit einem Mordvorwurf sowie drohenden Haftstrafen konfrontiert. In polizeilichen Vernehmungen machten viele der Betroffenen Aussagen, die auch die Strukturen der Startbahnbewegung offengelegten. Die Kampagne »Anna und Arthur halten’s Maul« sei ein großer Erfolg geworden, weil fast alle Aussagen zurückgenommen wurden, sagt Wetzel. Und das, obwohl die Kampagne kein lehrbuchhaftes Vorgehen gefordert habe: »Sie verlangte kein fehlerloses, lupenreines politisches Verhalten«, so Wetzel.
Flexibilität in der Debatte wünscht sich auch Michael Dandl vom Bundesvorstand der Antirepressionsorganisation Rote Hilfe (RH). Die Organisation hatte http://de.indymedia.org/2013/09/348392.shtml2007 die Broschüre »Bitte sagen Sie jetzt nichts! Aussageverweigerung und Verhörmethoden« herausgegeben. »Wir haben Kriterien erarbeitet, aber wir wissen auch, dass eine politische Diskussion, die an einem bestimmten Punkt stehen bleibt, früher oder später zum Problem wird«, so Dandl gegenüber »nd«. Die RH-Kampagne heiße bewusst »Keine Aussagen bei Polizei und Staatsanwaltschaft!«. Die Forderung, keine Aussagen und Einlassungen vor Gericht zu machen, sei aus gutem Grund nicht erhoben worden. »Die Verschiedenheit der Umstände lassen an diesem Punkt keine kampagnentauglichen Verallgemeinerungen zu.«
In den 1970er Jahren lehnten fast alle linken politischen Gefangenen die Kooperation mit staatlichen Behörden grundsätzlich ab. In den Verfahren gegen Mitglieder der Rote Armee Fraktion (RAF) wurden vor Gericht politische Erklärungen für die Öffentlichkeit verlesen, Einlassungen oder gar Aussagen waren aber ausgeschlossen. Ein solcher Umgang mit der Justiz werde auch heute noch praktiziert, sagt Wolfgang L. vom Netzwerk für politische Gefangene. So hätten alle im Prozess gegen Verena Becker wegen des Attentats auf Bundesgeneralanwalt Siegfried Buback als Zeugen vorgeladene Ex-RAF-Mitglieder trotz Androhung von Beugehaft die Aussage verweigert. Auch die in Frankfurt am Main zur Zeit wegen RZ-Mitgliedschaft angeklagte Sonja Suder lehnt ebenso wie mehrere in dem Verfahren vorgeladenen Zeugen jede Aussage ab. Eine Zeugin wurde nach mehrwöchiger Beugehaft mit der Begründung freigelassen, von ihr sei auch in Zukunft keine Aussage zu erwarten.