Allmende soll weichen

Ein Kreuzberger migrantischer Verein muss seinen Sitz für profitablere Verwertung räumen

Die Räumungsfrist läuft. Doch mangels bezahlbarer neuer Büroräume ist der migrantische Verein Allmende bereit, seine jetzigen Räume zu besetzen – und es auf eine Räumung ankommen zu lassen.

»Herzlich willkommen zur Allmende« stand auf einer Tafel im Versammlungsraum des migrantischen Vereins in Kreuzberg. So freundlich wurden die mehr als 30 Menschen begrüßt, die sich Anfang dieser Woche in den Räumen des Vereins Allmende versammelt hatten. Neben Mitgliedern waren es Nachbarn und Aktivisten der Bündnisse »Zwangsräumungen verhindern« und »Kotti & Co«. Gemeinsam haben sie beratschlagt, wie die Verdrängung von Allmende aus ihrem Domizil in Kreuzberg verhindern werden kann. Bereits zum 1. Januar 2013 hätten die Räume verlassen werden müssen, weil der Hausbesitzer Diego Gross den Mietvertrag nicht verlängert hatte.

»2006 haben wir die Räume bezogen und hatten ein gutes Verhältnis mit dem Besitzer. Daher waren wir überrascht, als wir von ihm erfuhren, dass er die Räume anderweitig vermieten will und eine profitablere Verwertung anstrebt«, erklärt Ahmed Beyazkaya vom Allmende-Vorstand. Bislang hat der Verein noch eine Frist von einigen Monaten. Die Räumungsklage des Hausbesitzers soll am 29. Oktober 2014 verhandelt werden. Große Hoffnungen auf einen juristischen Erfolg machen sich die Allmende-Aktivisten indes nicht, weil es sich um einen leicht kündbaren Gewerbemietvertrag handelt.

»Zunächst haben wir neue Räume gesucht und dann festgestellt, dass wir keine bezahlbare Alternative finden«, berichtet Allmende-Aktivist Garip Bali. Zudem habe man den Hausbesitzer Gespräche angeboten. Auch eine moderate Mieterhöhung hätte man akzeptiert. Doch Gross sei nicht zur Rücknahme der Kündigung, sondern allenfalls zu einer Verlängerung der Räumungsfrist bereit gewesen. Nachdem der Verein ein Transparent aus dem Fenster gehängt hatte, auf dem auf Deutsch und Türkisch »Allmende bleibt« zu lesen ist, habe er auch dieses Zugeständnis zurückgenommen. »Das war für uns der Zeitpunkt, wo wir uns dazu entschlossen haben, uns politisch gegen die Räumung zu wehren«, erklärt Bali. Nun sei man auch bereit, die Räume zu besetzen und sich notfalls räumen zu lassen.

Nachdem Allmende bereits Nachbarschaftstreffen organisiert hatte, beratschlagten am Montag Initiativen und Nachbarn, vor allem aus Neukölln und Kreuzberg, wie Allmende unterstützt werden könne. Ein Bewohner des Neuköllner Hausprojekts Friedelstraße 54 informierte, dass das Haus kürzlich verkauft worden sei und sich die Bewohner ebenfalls gegen eine mögliche Vertreibung mit anderen Betroffenen koordinieren wollen. Andere Besucher des Treffens wiesen auf die langjährige politische Arbeit von Allmende hin. »In euren Räumen wurden Veranstaltungen gegen Rechtspopulisten und Neonazis vorbereitet. Ihr habt für eine solidarische Gesellschaft gestritten und diese Solidarität wollen wir jetzt zurückgeben, wenn wir euch gegen die Räumung unterstützen«, meint eine Frau. Auch Beyazkaya betont, Allmende habe sich nie als türkischer Kulturverein verstanden. »Wir kämpfen gegen Rassismus und Ausgrenzung in Berlin, wo wir wohnen«, erklärt er im nd-Gespräch. In den nächsten Wochen würden sie für diese Ziele auch in eigener Sache streiten. Hausbesitzer Gross erklärte dem »neuen deutschland«, dass Allmende die Sachlage offenbar falsch darstelle. Da es sich um ein laufendes Verfahren handelt, wolle er aber keine Stellungnahme abgeben. Sein Rechtsanwalt Helge Schulz erklärte auf Nachfrage, Allmende habe den Mietvertrag nicht rechtzeitig verlängert. Da die Räume bereits erneut vermietet seien, wäre eine Rücknahme der Kündigung nicht möglich.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/936520.allmende-soll-weichen.html

Peter Nowak

Verfassungsschutzbericht: Anstieg der fremdenfeindlichen Gewalt

Salafisten stellen „die größte Bedrohung für die innere Sicherheit im terroristischen Phänomenbereich“ dar

Die Vorstellung des aktuellen Verfassungsschutzberichtes ist ein jährliches Ritual in der deutschen Innenpolitik. Gestern wurde vom Bundesinnenminister der VS-Bericht 2013[1] präsentiert. Wie üblich wurde auf das politische Spektrum links und rechts der ominösen politischen Mitte geblickt und vor den dortigen Entwicklungen gewarnt[2].

Das Potential der sogenannten Linksextremisten sei 2013 gegenüber dem Vorjahr leicht zurückgegangen, linke Gewalttaten aber hätten zugenommen, so Innenminister Thomas de Maizière. Er und VS-Präsident Maaßen konstatierten eine neue Ruppigkeit im Umgang mit der Polizei, aber auch mit Mitarbeitern in Jobcentern und der Ausländerämtern.

Beide Beamten zogen als Beleg für gestiegene Gewaltbereitschaft im linken Spektrum die militanten Auseinandersetzungen bei und nach einer Demonstration zum Erhalt des Kulturzentrums Rote Flora in Hamburg im Dezember letzten Jahres heran (Gummigeschosse und Führerscheinentzug statt Lösung sozialer Probleme[3]). Dabei sind der genaue Ablauf der Ereignisse und der angebliche Überfall auf eine Polizeiwache umstritten (Hamburg: Die einen sagen so, die anderen so[4]). Politische Beobachter monierten schon länger, dass sich in den gestiegenen Zahlen über angeblich gestiegene linke Gewaltbereitschaft auch die Strafanzeigen wegen Beteiligung an Sitzblockaden einfließen.

Dagegen hat die Zahl der explizit militanten linken Demonstrationen eher abgenommen, was auch die Entwicklung rund um die Revolutionäre 1.Mai-Demonstration in Berlin-Kreuzberg[5] zeigt.

Gewalt gegen Migranten

Auch im rechten Milieu hat sich nach dem VS-Bericht die Zahl des harten Kerns reduziert, doch die Gewaltbereitschaft sei gegenüber dem Vorjahr 2013 signifikant angestiegen und habe den höchsten Stand seit 2006 erreicht. So sei allein im vergangenen Jahr die Zahl der Angriffe mit fremdenfeindlichen Motiven noch einmal um 20 Prozent auf 473 Übergriffe gestiegen. Das waren 80 mehr als 2012.

De Maizière sprach bei Vorstellung des Verfassungsschutzberichts von „unablässigen“ Versuchen der rechten Szene, „die Stimmung gegenüber Fremden zu vergiften“. Auch hier verweisen Kritiker auf die Verantwortung der Politik durch die Unterbringung der Menschen in Heimen in Gegenden, die sie sich nicht ausgesucht haben. Die Auflösung der Heime und die Unterbringung der Flüchtlinge in Privatwohnungen ihrer Wahl würden rechte Kampagnen zumindest erschweren, allerdings den Rassismus nicht beseitigen, der sich nicht auf die offene Rechte beschränkt.

Salafistische Gefahr?

Einen großen Stellenwert bei der Vorstellung des VS-Berichts nahm auch die zunehmende Gefahr vor gewaltbereiten Islamisten ein. Vor allem Salafisten, die im syrischen Bürgerkrieg gekämpft haben und jetzt zurückkehren, sind damit gemeint. Mehr als 270 deutsche Islamisten seien zum Dschihad nach Syrien gegangen: „ein Trend, dessen Ende nicht abzusehen ist“.

Das islamistische Personenpotenzial in Deutschland ist von 42.550 (2012) auf 43.190 gestiegen. Der Anstieg beruht insbesondere auf dem stetigen Zuwachs bei den Anhängern salafistischer Bestrebungen in Deutschland.

Verfassungsschutzbericht 2014

„Mit Blick auf den islamistischen Terrorismus kann ich feststellen, dass der derzeit für uns die größte Bedrohung für die innere Sicherheit darstellt, jedenfalls im terroristischen Phänomenbereich“, formulierte Hans Georg Maaßen diese Sorge im Bürokratendeutsch seiner Behörde.

Mit der salafistischen Gefahr wird denn auch die in Kritik stehende enge Zusammenarbeit mit anderen Geheimdiensten, also etwa den amerikanischen, legitimiert: „Der Anschlag von Brüssel hat uns vor Augen geführt, dass aus der Möglichkeit eines Anschlags durch solche Syrien-Rückkehrer eine tödliche Realität geworden ist. Eine enge Zusammenarbeit der deutschen Sicherheitsbehörden untereinander und mit internationalen Partnern ist zur Eindämmung dieser Gefahr unerlässlich“, erklärte de Maizière.

Natürlich wird der VS-Bericht seit jeher als Steinbruch betrachtet, aus dem sich die jeweiligen politischen Akteure, die Teile herausbrechen, die für ihre Argumentation taugen. So hat der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei[6] Oliver Machow in einem Interview[7] sofort den sogenannten Linksextremismus als besonders besorgniserregend bezeichnet. Die GdP hat sich auch in der Vergangenheit immer darum bemüht, die radikale Linke als besonders gefährlich darzustellen.

Ob das auch daran liegt, dass diese Kreise besonders polizeikritisch sind und mit Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Vergangenheit bereits öfter Menschenrechtsverletzungen bei der Polizei aufgedeckt haben. Auch das Versagen von Polizei und Ermittlungsbehörden gegenüber rassistischer Gewalt wurde immer wieder von zivilgesellschaftlichen Organisationen und engagierten Einzelpersonen thematisiert[8]. Erst kürzlich hat die Politikwissenschaftlerin Britta Schellenberg gemeinsam mit der sächsischen Heinrich Böll Stiftung eine Studie[9] herausgegeben, die dieses Versagen bei einem rechten Überfall auf eine Gruppe von Indern im sächsischen Mügeln nachweist.

Gesetzesverschärfungen angedacht?

Auch die Angst vor salafistischen Anschlägen in Deutschland, die so neu nicht ist, hat einen anderen Polizeigewerkschafter schon einmal dazu animiert, Lösungsvorschläge in Umlauf zu bringen, die mit dem Grundgesetz kaum vereinbar sein dürften. So regte GDP-Funktionär Rainer Wendt an, salifistische Syrien-Rückkehrer die Wiedereinreise nach Deutschland zu verweigern[10].

Davon abgesehen, dass die Islamisten auch außerhalb der deutschen Grenzen eine Gefahr darstellen, wenn sie Anschläge planen, sind viele der Betroffenen deutsche Staatsbürger, die gar nicht ausgebürgert werden können. Es steht daher zu befürchten, dass die Angst vor dem Salafismus dazu dient, über Verschärfungen bei den Ausländergesetzen nachzudenken. Der sozialdemokratische Innenminister von Baden Württemberg Reinhard Gall hat denn auch schon wieder die Vorratsdatenspeicherung als Mittel gegen den Salafismus[11] in Gespräch gebracht. Auch die Formulierungen im Bericht machen deutlich, dass weiterhin Druck von den Sicherheitsbehörden auf eine noch größere Kontrolle und Überwachung ausgeübt wird:

Mit den neuen technischen Mitteln verändern sich auch Agitations- und Radikalisierungsvarianten: Das Internet wird zum Katalysator neuer Strukturen im Extremismus, zur Keimzelle neuer Aktionsformen in der Realwelt. Das Medium Internet wird bei der Verbreitung extremistischer Propaganda, als Kommunikationsplattform und nicht zuletzt bei der Koordination von Aktivitäten weiter an Bedeutung gewinnen: eine Entwicklung, der sich die Sicherheitsbehörden mit geeigneten Mitteln entgegenstellen müssen.

Verfassungschutzbericht 2014

Mehrere Zeitungen haben sich bei der Vorstellung des diesjährigen VS-Berichtes daran erinnert, dass der Dienst durch ihr Versagen im Kampf gegen NSU massiv an Glaubwürdigkeit verloren hat. Wenn es nun zu diesem Komplex im aktuellen VS-Bericht heißt: „Aus den Reaktionen des rechtsextremistischen Spektrums zum NSU-Komplex können jedoch keine unmittelbaren Anhaltspunkte für ein mögliches rechtsterroristisches Handeln abgeleitet werden“, könnte man sagen, die Dienste kehren wieder zu ihrer alten Praxis zurück. Auch vor der Selbstenttarnung der NSU mochten sie keine rechtsterroristischen Gefahren in Deutschland erkennen.

In Berlin sorgte vor einigen Wochen ein öffentliches Wandbild[12], auf dem eine Kooperation zwischen Staat und NSU behauptet wird, für einen Polizeieinsatz. Ein antirassistisches Bündnis[13] spricht von Zensur. Für die Kritiker des VS ist hingegen die NSU-Affäre nicht vergessen. Sie verweisen darauf, dass sämtliche im VS-Bericht aufgeführten Informationen und Zahlen genau so gut von zivilgesellschaftlichen Gruppen geliefert werden könnten.

Peter Nowak

http://www.heise.de/tp/artikel/42/42043/1.html

Anhang

Links

[1]

http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2014/06/vsb2013.html

[2]

http://www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/publikationen/verfassungsschutzberichte/vsbericht-2013-kurzzusammenfassung

[3]

http://www.heise.de/tp/artikel/40/40647/

[4]

http://www.heise.de/tp/artikel/40/40732/

[5]

http://www.rbb-online.de/politik/thema/erster-mai-2014/beitraege/walpurgisnacht-1-mai-berlin-2014.html

[6]

http://www.gdp.de

[7]

http://www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/DE_Malchow-Linksextremismus-ebenso-entschlossen-bekaempfen-wie-Extremismus-von-rechts

[8]

https://www.kop-berlin.de/

[9]

http://www.boell.de/sites/default/files/muegeln_download.pdf

[10]

http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/polizeigewerkschaft-ausweisung-von-syrien-rueckkehrern-gefordert/10067338.html

[11]

http://www.deutschlandfunk.de/terrorgefahr-in-deutschland-ernsthafte-bedrohung-durch.694.de.html?dram:article_id=289512

[12]

http://www.dropbox.com/sh/0d3n3vfgbhergmk/AAAVxa_5rzZInZYtB0wRYku9a

[13]

http://buendnisgegenrassismus.org/)

„Dann besetzen wir die Räume“

Solidarität mit Allmende!
Mieter/innen und nichtkommerzielle Projekte wehren sich gegen Vertreibung aus „Kreuzkölln“.

Seit fast 10 Jahre hat der migrantische Verein Allmende seine Räume am  Kottbusser Straße. 22-26. Zum 1.Janaur wurden sie vom Hausbesitzer Diego Gross gekündigt. Versuche die Kündigung zurückzunehmen seien ergebnislos gewesen, berichtet Vereinsmitglied Garip Bali. Dabei hätten sie sogar eine moderate Mieterhöhung akzeptiert. Zunächst habe man versucht,  neue bezahlbare Räume in der Nähe zu bekommen, berichtet Bali. Doch schnell habe man gemerkt, dass es diese Räume nicht gibt.  „Das war für uns der Zeitpunkt, wo  wir uns dazu entschlossen haben, uns politisch gegen die Räumung wehren“, erklärt Bali. Nun sei man auch bereit, die Räume zu besetzen und sich notfalls räumen zu lassen.
Allmende-Vorstandsmitglied Ahmed Beyazkaya  sieht auch eine Parallele zu ihrer poltischen Arbeit in den letzten Jahren. „Wir haben uns gegen Rassismus und soziale Vertreibung  in Berlin gewehrt, wo wir arbeiten und leben. Jetzt sind  wir selber von sozialer Vertreibung betroffen und hoffen auf Solidarität. Ein erstes Treffen von Nachbarn und Initiativen aus Kreuzberg und Neukölln war gut besucht. Anwesend waren auch Delegierte des Bündnisses gegen Zwangsräumungen, aber auch Mieter aus der näheren Umgebung. So berichtete ein Bewohner des Hausprojektes Friedelstraße 54 in Neukölln, dass ihr Haus kürzlich verkauft wurde. Die Mieter/innen  bereiten sich auf eine drohende Vertreibung vor und laden am Nachmittag des  6.Juli zu einem Nachbarschaftstreffen ein. Zudem wollen sich die Bewohner mit anderen von Räumung bedrohten Mietern und Projekten vernetzen.

Wegfall der sozialen Infrastruktur

Sowohl die Friedelstraße als auch Allmend liegen in einer Gegend, die unter dem Stichwort Kreuzkölln in den letzten Jahren eine massive Aufwertung erfahren hat.  Sie wurde als angesagter  Szenebezirk in den Medien gefeiert.   Damit war natürlich auch eine Wertsteigerung der Immobilien verbunden. Eigentümer können dort jetzt eine  wesentlich größere Rendite erzielen als noch vor einem Jahrzehnt. Die Leidtragenden sind neben Mieter/innen mit geringem Einkommen auch nichtkommerzielle Projekte und Vereine wie Allmende. Ein Mitglied der  Initiative „Zwangsräumungen verhindern“ erklärte, man habe anfangs nur von Vertreibung bedrohte Mieter unterstützt. Erst in der letzten Zeit habe ein Umdenken stattgefunden. Wenn Vereine wie Allmende keine bezahlbaren Räume in Kreuzberg und Neukölln mehr finden, bricht auch ein Stück soziale Infrastruktur weg. Daher  werde man auch Allmende und andere nichtkommerzielle Projekte bei ihren Widerstand gegen Vertreibung unterstützen.  Einige Wochen Zeit gibt es noch. Über die Räumungsklage gegen Allmende wird am 29.Oktober 2014 verhandelt. Unabhängig  vom Ausgang hat der Verein bereits seine Position klar gemacht. „Allmende bleibt“, heißt es auf Deutsch und Türkisch auf einem Transparent im Fenster.  Hausbesitzer Gross  erklärte gegenüber MieterEcho, dass Allmende die Sachlage offenbar falsch darstelle. Da es um ein laufendes Verfahren handelt, wolle er aber  keine Stellungnahme abgeben.

aus:

MieterEcho online 18.05.2014

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/allmende.html

Peter Nowak

Neue Friedensbewegung oder Querfront?

Papierlos, rechtlos

Bürokratie: Menschen ohne Arbeitserlaubnis können bei Verdi nicht mehr Mitglied werden. eine Justizposse

Gemeinsam kämpfen wir für bessere Arbeitsbedingungen. So präsentieren sich  die deutschen Gewerkschaften gerne nach außen. Doch wenn es um Flüchtlinge geht, hört die Solidarität schnell auf – zumindest beim Bundesvorstand der Dienstleistungsgewerkschaft verdi. Die Vorstandsetage ist nämlich der Auffassung, dass Ausländer ohne Arbeitserlaubnis nicht Verdi-Mitglied werden dürfen.Begonnen hat es im vergangenen Sommer, als rund 300 Flüchtlinge der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ in die Gewerkschaft aufgenommen wurden – vom Hamburger Fachbereich „Besondere Dienstleistungen“. Die Asylbewerber schrieben .

„In der Gewerkschaft haben wir eine Partnerin gefunden,  die die Ungerechtigkeit, die uns angetan wurde, realisiert und diesen Kampf mit uns zusammen führt“. Seitdem sah  man  auf Flüchtlingsdemonstrationen häufig  Ver.di-Fahnen. Doch dann bekam der Hamburger Gewerkschaftssekretär Peter Bremme hat vom ver.di-Bundesvorstand eine Abmahnung bekommen. Er habe mit der Aufnahme der Flüchtlinge gegen die -Satzung verstoßen. Begründet wurde das mit einer Stellungnahme der Verdi-Verwaltung, die formaljuristisch in Ordnung sein mag, mit der Wirklichkeit und den Herausforderungen einer Gewerkschaft aber herzlich wenig zu tun hat. Zum einen wird bemängelt, dass eine Lampedusa-Flüchtlinge als Bauarbeiter oder Automechaniker arbeiteten, also bei der Dienstleistungsgewerkschaft falsch seinen. Dies verkennt jedoch die Lebensrealität der meisten Migranten, die sich mit kurzfristigen Arbeitsverhältnissen herumschlagen müssen. Sollen sie alle paar Wochen die Gewerkschaft wechseln? Zum anderen argumentieren die Bürokraten von Verdi, dass diejenigen Flüchtlinge, die keine Arbeitserlaubnis haben, weder lohnabhängig noch erwerbslos seine. Dabei gelingt der Gewerkschaftsführung ein Kunstgriff, in dem sie sich „weniger auf den Zustand der Erwerbslosigkeit als auf arbeitsmarktpolitische bzw. sozialrechtliche Zuordnung“ beruft. Das heißt: da die Flüchtlinge vom Staat nicht als erwerbslos gemeldet werden, dürfen sie sich nicht in Verdi organisieren.Muss eine Gewerkschaft die ausgrenzende Logik der deutschen Asylgesetze übernehmen, die Flüchtlingen eine Arbeitsaufnahme verbietet und so auch verhindert, dass sie sich arbeitslos melden können? Sollte der Staat entscheiden, wer Gewerkschaftsmitglied wird? Und wird durch ein solches Gebaren nicht die Verhandlungsposition von Verdi gegenüber den Arbeitgebern geschwächt? Es gibt einen guten Grund, weshalb sich nicht nur Lohnabhängige in Gewerkschaften organisieren. Die Erwerbslosen können leicht gegen sie ausgespielt werden. Wenn sie durch Sozialhilfekürzungen gezwungen sind, jeden noch so schlecht bezahlten Job anzunehmen, dann erhöht sich auch der Druck auf die Beschäftigten, eine miese Bezahlung zu akzeptieren. Bei Menschen ohne Arbeitserlaubnis ist es genauso. Wenn sie illegal für Hungerlöhne arbeiten, schwächt das auch die Gewerkschaften. Der Verdi-Vorstand schießt sich also ins eigene Knie, wenn er die Flüchtlinge ausschließt. Das erkennen inzwischen auch viele ehren- und hauptamtliche Gewerkschafter. Sie haben einen Aufruf unterzeichnet, der eine Verdi-Mitgliedschaft unabhängig vom Aufenthaltsstatus fordert. Der Bundesvorstand ist inzwischen zwar nicht von seiner Position abgerückt, aber es gibt einige Hoffnungsschimmer. Die aufgenommenen Flüchtlinge aus Hamburg dürfen trotz des Gutachtens Verdi-Mitglieder bleiben. Zudem existieren seit einigen Jahren in mehreren Städten  Ver.di-Arbeitskreise, die auch Beschäftigten ohne gültige Dokumente zu ihrem Recht verhelfen. Papierlos aber nicht rechtlos, lautet ihr Motto. Es sollte für alle Flüchtlinge gelten. Vor allem in den Gewerkschaften.

Peter Nowak

aus Wochenzeitung Freitag 24/2014 vom 6.4. 2014

https://www.freitag.de/inhaltsverzeichnis

Solidarität in eigener Sache

MIETE Der Kreuzberger Migrantenverein Allmende, der sich seit 2004 sozial und politisch im Kiez engagiert, soll seine Räumlichkeiten verlassen – und wehrt sich vor Gericht gegen die Kündigung

In den Räumen des Migrantenvereins Allmende in Kreuzberg wurden in den letzten Jahren zahlreiche Solidaritätsaktionen vorbereitet. Kundgebungen gegen Neonazis und RechtspopulistInnen unterschiedlicher Couleur standen besonders im Fokus des „Hauses für alternative Migrationspolitik und Kultur“, wie sich Allmende definiert. Am heutigen Dienstag nun wird es in den Räumen am Kottbusser Damm um Solidarität in eigener Sache gehen: Der Verein wehrt sich gegen die Vertreibung aus seinen Räumen.

Bereits zum 1. Januar 2013 hätte Allmende sein Domizil verlassen müssen, weil Hausbesitzer Diego Gross den Mietvertrag nicht verlängert habe. „2006 haben wir die Räume bezogen und hatten ein gutes Verhältnis mit dem Besitzer. Daher waren wir überrascht, als wir von ihm erfuhren, dass er die Räume anderweitig vermieten will“, sagte Ahmed Beyazkaya aus dem Allmende-Vorstand der taz. „Wir klagen gegen die Kündigung. Für Oktober ist der erste Verhandlungstermin anberaumt.“

Schlechte Chancen

Die Chancen eines rechtlichen Erfolgs werden von JuristInnen allerdings als nicht besonders gut bewertet, weil Vereine leichter kündbar sind als Mietwohnungen. Der Mietvertrag war ein sogenannter Optionsvertrag, der, wenn beide Seiten das möchten, regelmäßig verlängert werden kann.

Trotz allem organisiert Allmende Widerstand. Zu dem Treffen am heutigen Dienstag wurden neben NachbarInnen auch VertreterInnen von Vereinen und nichtkommerziellen Projekten in Kreuzberg und Neukölln eingeladen, die wegen steigender Mieten ebenfalls um ihre Räume fürchten.

Es soll dort um die Vorbereitung praktischen Widerstands gehen. „Wenn wir vor Gericht kein Recht bekommen, werden wir die Räume besetzen und es notfalls auf eine Zwangsräumung ankommen lassen“, kündigte Beyazkaya an.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2014%2F06%2F17%2Fa0148&cHash=db951836b7ebf71d8e7a0ba7b3f60506

Peter Nowak

Soli-Veranstaltung: Heute, 19 Uhr, Allmende e. V., Kottbusser Damm 25-26, Kreuzberg

Erwerbslose kündigen neue Proteste an

Drohende Verschärfung von Agenda 2010 mobilisiert

In der letzten Zeit war wenig von Erwerbslosenprotesten zu hören. Das könnte sich ändern. Ab September soll es in verschiedenen Städten Aktionen gegen eine erneute Verschärfung der Agenda-2010-Politik geben. Das ist das Resümee einer bundesweiten Tagung, an der im nordrhein-westfälischen Lage Vertreter von rund 60 Erwerbslosengruppen aus dem gesamten Bundesgebiet teilnahmen.

Von einer neuen Protestbereitschaft spricht Martin Künkler von der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen gegenüber »nd«: »Im Jobcenter erleben die Erwerbslosen schon heute ständig Unrecht, und durch die neuen Reformen soll es noch einmal verschärft werden«, so Künkler. Der Grund liegt in einem 43-seitigen, von einer vornehmlich mit Vertretern wirtschaftsnaher Verbände und der Jobcenter bestückter Bund-Länder-Kommission verfassten Papier mit dem Titel »Rechtsvereinfachung im zweiten Sozialgesetzbuch II«.

Tatsächlich sind in dem Text einige Verbesserungen für die Situation von Hartz IV-Empfängern aufgelistet. Doch der Großteil bedeutet eine Verschlechterung, analysiert der Referent für Erwerbslosen- und Sozialrecht, Harald Thomé. Beispielsweise kann demnach das Amt überzahlte Beträge auch ohne Bescheid zurückfordern. Zudem sollen Familienangehörige noch stärker als bisher für behördliche Rückforderungen haften. Rechtloser sollen auch Hartz-IV-Betroffene werden, denen das Jobcenter über Monate oder gar Jahre hinweg zu geringe Leistungen gezahlt hat.

Komme die Arbeitsgruppe mit ihren Plänen durch, resümiert Harald Thomé, werde für den ohnehin abgehängten Teil der Bevölkerung »eine Sonderrechtszone zementiert, die immer stärker vom einst gültigen Sozialrecht abweicht«. Dabei existierte bereits jetzt ein Sonderrecht für Arme, moniert Martin Behrsing vom Erwerbslosenforum Deutschland gegenüber »nd«.

Es sei ein Skandal, dass »in den Jobcentern eine Art rechtsfreier Raum herrscht«, sagte Evelyn Schuckhardt von der Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (ALSO) auf der Tagung der Erwerbslosenaktivisten, die am Wochenende zu Ende ging. Nach den Angaben der Bundesagentur für Arbeit seien 44 Prozent aller Klagen von Leistungsberechtigten erfolgreich. »In fast jedem zweiten Fall muss also ein Sozialgericht das Recht durchsetzen, dass die Jobcenter zuvor missachtet haben«, so Schuckhardt weiter. Daher empörte die Versammelten besonders, dass zu den Vorschlägen der Bund-Länder-Kommission auch eine Kostenpflichtigkeit der Widersprüche gehört, die damit klar erschwert würden. Die geplanten Verschärfungen werden von populistischer Hetze gegen Erwerbslose flankiert. So bezeichnete »Bild« im Mai den Erwerbslosenaktivisten Michael Fielsch in einer Schlagzeile als Sozialschmarotzer, weil der in einer TV-Sendung gesagt hatte, er sehe sein Engagement für die Opfer der Agenda 2010 als sinnvollere Arbeit an als die vom Jobcenter geforderten Bewerbungstrainings. Mit seiner Ausstellung »In Gedenken an die Opfer der Agenda 2010« war Fielsch bundesweit bekannt geworden. Darin wird an Hartz-IV-Betroffene erinnert, die aus Angst vor Sanktionen den Freitod wählten oder die, wie die Berliner Rentnerin Rosemarie Fließ, nach einer Zwangsräumung starben Die geplanten Verschärfungen bei Hartz IV könnte die Zahl der Opfer noch erhöhen. Daher hofft Künkler, dass die Flaute der Erwerbslosenbewegung vorbei ist und der Protest wieder wächst.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/936000.erwerbslose-kuendigen-neue-proteste-an.html

Peter Nowak

Der Pranger kommt im Internetzeitalter wieder

Eine Ausstellung in Berlin wirft die Frage auf, ob ein juristisches Verbot von Hygienelisten im Internet nicht auch ein Beitrag zum Kampf gegen eine überwachte Gesellschaft ist

„Außer Kontrolle – Leben in einer überwachten Welt“[1] lautet der Titel einer Ausstellung, die im Museum für Kommunikation in Berlin zu sehen ist. Der Besuch lohnt sich, gerade weil sie sich nicht auf die Themen NSA und Snowden fixiert, die beim Titel der Ausstellung zu erwarten gewesen wären. Die Ausstellung richtet vielmehr den Fokus auf die Aspekte einer überwachten Gesellschaft, die in der aufgeregten Diskussion der letzten Monate oft zu kurz kamen.

Die Ausstellung beginnt mit kleinen Tafeln, auf denen in Bild und Text gezeigt wurde, wie im Mittelalter tatsächliche oder vermeintliche Straftäter, aber auch viele Menschen, die einfach in ihrer Zeit ein unangepasstes Leben führten, angeprangert worden sind. Sie trugen Schilder um den Hals, auf denen ihrer „Verbrechen“ aufgeführt waren, bevor oft auf grausame Weise hingerichtet wurden. Sie wurden gerädert, geköpft oder viergeteilt, oft weil sie beschuldigt wurden, mit dem Teufel im Bunde zu stehen.

Man sieht auf den Bildern unangepasste Frauen, die als Hexen angeprangert worden sind. Wenn man denkt, das sei nur ein kurzer Blick in ein fernes finsteres Zeitalter, wird man schnell eines Schlechteren belehrt. Es werden Fotos von Juden gezeigt, die nach 1933 auf der Straße an den Pranger gestellt, von SA-Männern gewacht und vom deutschen Mob begeifert worden sind. Wenige Jahre später wurden Frauen mit geschorenen Haaren auf den Pranger gestellt, weil sie Beziehungen mit nichtdeutschen Kriegsgefangenen oder Zwangsarbeitern eingegangen haben sollen. Und auch die Ausrede, auch diese finstere Zeit sei ja nun endgültig vorbei, wird der Ausstellungsbesucher nicht geltend machen können.

Eine Festnahme reicht für den Internetpranger

Auf einen kleinen Bildschirm blicken einem etwa die Gesichter von Menschen aller Altersstufen entgegen, die in ganz moderner Form angeprangert wurden. In einigen US-Staaten stellt die Polizei sämtliche Fotos von Menschen ins Netz, die sie festgenommen hat. In Kurzform werden Angaben zur Person und zum Grund der Festnahme genannt. Eine Frau wird beschuldigt, eine minderjährige Person in ihrer Wohnung beherbergt zu haben, ein junger Mann ist mit einer kleinen Menge Marihuana erwischt worden und ein anderer soll die öffentliche Ordnung gestört haben.

Es gab keinen Gerichtstermin und keine Verurteilung. Allein die Tatsache, dass sie von der Polizei dieser Delikte beschuldigt, reicht nach den Gesetzen dieser US-Bundesstaaten aus, um diese Menschen an den virtuellen Pranger zu stellen.

Auf einer anderen Webseite sind die Daten von Menschen aufgelistet, die das Gefängnis verlassen haben. Ihr aktueller Wohnort ist dort ebenso aufgeführt wie die die Delikte, wegen derer sie inhaftiert waren. Gerade für Menschen, die in kleineren Orten wohnen, kann ein solcher Internetpranger gravierende Folgen haben. Obwohl sie ihre Strafe abgesessen haben, werden sie so vor der Bevölkerung weiterhin als Feindbild präsentiert.

Fokus auch auf die Bevölkerung als Mob und Voyeur

Es ist ein Verdienst dieser Ausstellung, dass sie ihren Fokus nicht nur auf die Überwachung durch die Staatsapparate richtet, die schon vor Jahrhunderten begonnen hat, sondern auch thematisiert, wie große Teile der Bevölkerung daran beteiligt waren und sind.

Ohne einen Mob, der sich das Spektakel ansah, hätte schon im Mittelalter der Pranger nicht seine Wirkung entfalten können. Auch später waren die öffentlichen Hinrichtungen eine große Volksbelustigung, worauf Michel Foucault in „Überwachen und Strafen“ ausführlich hingewiesen hat.

Dass sich auch im Internetzeitalter das voyeuristische Interesse großer Teile der Bevölkerung gut aufrufen lässt, wird nicht nur am Beispiel der USA deutlich gemacht. Da werden Ausschnitte von Fernsehsendungen von Bärbel Schäfer[2] gezeigt, in denen das Darstellungsbedürfnis mancher Menschen auf den Voyeurismus der Zuschauer trifft, die jeden Fehltritt für ihren Hohn und Spott der schnell in Verachtung übergehen kann, ausnutzen.

In der Ausstellung wird aber auch gezeigt, wie scheinbar alte regionale Bräuche zur Diskriminierung und Abwertung von Menschen herhalten müssen, die nicht nach der gesellschaftlichen Norm leben. So reicht es in Norddeutschland, wenn eine Frau mit 25 Jahren noch unverheiratet ist, um sie in ihrem Wohnumfeld „alte Schachtel“ zu markieren. In einer anderen norddeutschen Stadt muss ein Junggeselle eine Rathaustreppe säubern, die von einer johlenden Menge immer wieder mit Bechern und andern Müll beworfen wird. Hier zeigt sich, wie sich unter dem Deckmantel alter Bräuche Ressentiments Bahn brechen, die sich gegen Menschen richten,

Anprangern zum guten Zweck?

Kurz wird in der Ausstellung auch auf die verschiedenen Hygienelisten eingegangen, mit denen sich in Berlin und anderen Städten Verbraucher über die hygienischen Verhältnisse in Restaurants und Lebensmittelläden informieren sollen

Da es dafür die gesetzliche Grundlage nicht gibt, wurden sie gerichtlich verboten[3]. Die Entscheidung hat bei großen Teilen der Öffentlichkeit für Unverständnis gesorgt. Der den Grünen angehörende Politiker, der besonders vehement für die Hygieneliste gekämpft hat, wird von der Berliner Boulevardpresse mit dem lobend gemeinten Titel Sheriff[4] adressiert.

Doch die Ausstellung legt die Frage nahe, ob die Entscheidung zum Verbot solcher Listen nicht durchaus mit dazu beiträgt, die überwachte Gesellschaft und deren weitere Sheriffizierzung zurückzudrängen. Schließlich sind auch die Sheriffs in den USA überzeugt, dass sie nur zum Wohle der Gesellschaft handeln.

Die Ausstellung „Außer Kontrolle? Leben in einer überwachten Welt“ ist im Museum für Kommunikation Berlin[5] bis zum 24. August 2014 zu sehen.

Anhang

Links

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„Solidarität herzustellen, ist eine schwierige Arbeit“

Ende Mai fand in Berlin die Konferenz von Labourstart, einer Nachrichten- und Kampagnen-Website für die internationale Gewerkschaftsbewegung, statt. Diskutiert wurde über das Thema »globale Solidarität«. Wie es um diese und die Möglichkeit, Arbeitskämpfe weltweit zu führen, steht, darüber sprach die Jungle World mit Gisela Neunhöffer vom Labourstart-Netzwerk Berlin, die die Konferenz mit vorbereitet hat.

Labourstart, das klingt wie eines der vielen Start-up-Projekte. Was hat es mit internationaler Solidarität zu tun?

Labourstart wurde 1998 gegründet mit Sitz in London. Bisher hat es Konferenzen zur globalen Solidarität in London, Washington, Hamilton, Ontario, Istanbul und Sydney durchgeführt. Ende Mai trafen sich über 300 Delegierte aus etwa 75 Ländern aus aller Welt erstmals in Berlin.

Was war der Grund für diese Ortswahl?

Kurz nach dem Kongress des Internationalen Gewerkschaftsbundes, der ebenfalls in Berlin stattfand, bot die Labourstart-Konferenz Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern, von Basisaktiven bis zu Vorsitzenden und Vertretern der internationalen Gewerkschaftsorganisationen, die Möglichkeit, aktuelle Fragen der Gewerkschaftsbewegung in einem informellen Rahmen zu diskutieren. Zudem sollte das Projekt bei den deutschen Gewerkschaften bekannter gemacht werden.

Was waren die Höhepunkte der Berliner Konferenz?

Auf dem Eröffnungspanel lieferte Kıvanç Eli Açık vom linken türkischen Gewerkschaftsbund DISK aktuelle Informationen zum Grubenunglück in Soma und zeigte die Folgen der Missachtung der Arbeitsgesetzgebung auf. Am zweiten Tag gehörte Nazma Akter zu den Podiumsteilnehmerinnen. Die Frauenaktivistin und Gewerkschafterin sprach über ihren Kampf für die Näherinnen in Bangladesh.

Gab es auch außerhalb der Konferenz praktische Aktionen internationaler Solidarität?

Am 24. Mai beteiligten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz an einer Kundgebung vor einer Edeka-Filiale in Berlin-Kreuzberg. Die Aktion wurde von Verdi, der Christlichen Ini­tiative Romero, der Supermarktinitiative und der Initiative »Eigentum verpflichtet« gemeinsam vorbereitet. Damit soll der Edeka-Konzern zur Wahrnehmung seiner Verantwortung in der internationalen Lieferkette seiner Produkte aufgefordert werden – von der Produktion, in diesem Fall von Orangensaft, bis zu den Arbeitsbedingungen in den Edeka-Läden hierzulande.

Spielten auf der Konferenz auch die Rechte von Erwerbslosen eine Rolle?

Es gab mehrere Workshops zum Kampf für die Rechte von Erwerbslosen. Mag Wompel vom Informationsportal Labournet Germany betonte noch einmal eindringlich, dass die Verteidigung der Rechte derjenigen, die aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzt sind, zum eigensten Interesse der Gewerkschaftsarbeit gehören muss. Schließlich gehören die Entrechtung von Erwerbslosen und der Abbau von Rechten für die Beschäftigten zusammen.

Welche gewerkschaftlichen Solidaritätskampagen wurden von Labourstart bisher initiiert?

Sehr bekannt ist der internationale Kampf für Entschädigung für die Opfer des Einsturzes der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesh. Labourstart hat dazu beigetragen, dass der Druck auf die verantwortlichen Textilkonzerne erhöht wurde, damit sie endlich Geld in den vereinbarten Entschädigungsfond einzahlen. Auch die verbindliche Umsetzung der Gebäudesicherheits- und Feuerschutzbestimmungen spielt in der Kampagne eine wichtige Rolle. Die Unterstützung des Kampfes der Textilarbeiterinnen und -arbeiter in Kambodscha ist ebenfalls ein wichtiges Anliegen von ­Labourstart. Der Arbeitskampf dauert bereits mehrere Monate. Die Beschäftigten sind einer massiven Repression von Seiten des Staates ausgesetzt. Streikende wurden auf Demonstrationen erschossen oder schwer verletzt. Zahlreiche Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter wurden verhaftet oder mussten untertauchen.

Sind als Träger solcher Solidaritätsaktionen nicht eher Nichtregierungsorganisationen (NGO) als Gewerkschaften gefragt?

Bei dieser Solidaritätsarbeit arbeiten Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen eng ­zusammen. Es mag sein, dass die NGOs hier bekannter sind, weil sie in der Regel die Öffentlichkeitsarbeit in Europa übernehmen. Aber die gewerkschaftliche Arbeit vor Ort ist auch sehr wichtig. Schließlich muss in den Betrieben kontrolliert werden, ob die Vereinbarungen über faire Arbeitsbedingungen auch umgesetzt werden. Das können NGOs aus Europa nicht leisten. Dazu sind starke Gewerkschaftsgruppen nötig.

Unterstützt Labourstart auch Kämpfe von Beschäftigten in Deutschland?

Natürlich. Auch dafür gab es auf der Konferenz vielfältige Beispiele. Ich will nur an die internationale Solidaritätsaktion für die Streikenden des Raststättenkonzerns Autogrill erinnern. Gemeinsam mit der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) kämpfen die Beschäftigten für den Abschluss eines Tarifvertrags. Anfang April sind Beschäftigte in Thüringen und Bayern in einen unbefristeten Streik getreten. Labourstart hat eine internationale Solidaritätskampagne initiiert, die sehr erfolgreich war. Innerhalb weniger Tage haben Tausende Menschen aus aller Welt Autogrill aufgefordert, die Forderungen der Beschäftigten nach einem Tarifvertrag und fairen Löhnen zu erfüllen.

Kann ein Internetaktivismus, der sich auf einen Mausklick oder eine digitale Unterschrift beschränkt, wirklich Grundlage für eine weltweite Solidaritätsbewegung sein?

Es ist gerade eine Stärke von Projekten wie Labourstart, dass sie den Menschen die Möglichkeit des Engagements auf unterschiedlichen Ebenen geben. Wer wenig Zeit hat, kann einen Solidaritätsaufruf unterzeichnen. Andere können Texte in die verschiedenen Sprachen übersetzen. Zudem wird nach der Konferenz überlegt, ob in verschiedenen Ländern Labourstart-Unterstützergruppen gegründet werden. Die Diskussion darüber ist noch nicht abgeschlossen.

Ist die schlechte finanzielle Ausstattung des Projekts nicht ein großes Problem?

Gegenwärtig läuft der größte Teil der Arbeit ehrenamtlich. Es gibt nur ganz wenige bezahlte Stellen. Doch ohne die inhaltliche Zusammenarbeit und finanzielle Unterstützung verschiedener Gewerkschaften und Stiftungen sowie Einzelspenden wäre die Konferenz in Berlin nicht möglich gewesen.

Ist es aber nicht ein großes Problem, wenn Gewerkschaftsvorsitzende auf dem Kongress ein Bekenntnis zur internationalen Solidarität ablegen und in der Praxis eine Tarifpolitik für die Stärkung des Standorts Deutschlands machen, der andere Beschäftigte niederkonkurriert?

Es ist ein Ziel von Projekten wie Labourstart, das Prinzip der internationalen Solidarität in der Gewerkschaftsbewegung zu verankern und mit Leben zu füllen. Es geht darum, deutlich zu machen, dass nur so heute noch Erfolge zu erzielen sind. Dabei gibt es natürlich immer wieder Rückschläge, weil die Politik des »Teile und herrsche« eben manchmal doch ganz gut funktioniert. Doch in der Geschichte der Gewerkschaftsbewegung ist die Frage, wie Solidarität über vermeintlich unterschiedliche Interessen hinweg geübt werden kann, nicht neu. Darum ging es bei der Durchsetzung der Flächentarifverträge ebenso wie beim Kampf für die Rechte von Frauen in der Arbeitswelt. Diese Solidarität herzustellen, ist eine langwierige und schwierige Arbeit – manchmal eben auch innerhalb der eigenen Organisationen.

In den vergangenen Monaten wurde auch in Deutschland heftig darüber gestritten, ob Flüchtlinge ohne gültigen Aufenthaltsstatus Gewerkschaftsmitglieder werden können. Spielte das Thema auf dem Kongress auch eine Rolle?

Es gab mehrere Workshops, die sich mit der Frage beschäftigen, wie Gewerkschaften sich für Migrantinnen und Migranten mit unterschied­lichem Aufenthaltsstatus öffnen können. Dabei wurden verschiedene Modelle vorgestellt. In ei­nigen Ländern organisieren sich Migrantinnen und Migranten in eigenen Organisationen, in anderen sind sie Teil der bestehenden Gewerkschaftsstrukturen.

Es wird immer beklagt, dass das Kapital vernetzt, die Arbeiterbewegung aber noch im nationalstaatlichen Denken verfangen ist. Kann Labourstart das ändern?

Wir werden mit der kleinen Initiative natürlich nicht die neue internationale Arbeiterbewegung erfinden. Doch Labourstart kann wichtige Bausteine liefern, die Menschen solidarisches Handeln überhaupt wieder ermöglichen.

http://jungle-world.com/artikel/2014/24/50044.html

Peter Nowak

Sondergesetze für Arme

Erwerbslosengruppen kündigen Kampagne gegen geplante weitere Verschärfung für Hartz IV-Empfänger an

Die bundesdeutsche Gesellschaft betont unentwegt, wie vorbildhaft sie sich gegen Neonazis und offene Rechte stellt und die Bild-Zeitung will dabei natürlich nicht hintanstehen. Allerdings werden oft genug die Parolen der Rechtsaußengruppierungen dort einfach übernommen, die für große Empörung gesorgt hätten, wenn sie in einer der Publikationen am rechten Rand erschienen wären.

So verwendeteBild Mitte Mai eine Schlagzeile bei der sich Rechtsaußenblätter wie die Nationalzeitung wahrscheinlich schon aus juristischen Gründen durch die Verwendung von Anführungszeichen abgesichert hätten. „Sozialschmarotzererklärt, warum ihm Hartz IV zusteht“ [1] wird dort der Sprachduktus aus dem LTI [2] gegen Michael Fielsch [3] gehetzt. Dieser erinnert mit seiner Installation „In Gedenken an die Opfer der Agenda 2010“ [4] an die Hartz IV-Empfänger, die wie die Rentnerin Rosemarie Fliess [5] nach einer Zwangsräumung starben oder die aus Angst vor einem Leben in Armut Selbstmord verübt haben. Für Bild führt die in ruhigem Ton vorgebrachte Erklärung von Fielsch, dass er eine solche Tätigkeit für sinnvoller als irgendwelche Maßnahmen des Jobcenters hält, zu dem menschenverachtenden Ausfall.

Im Duktus gemäßigter,im Inhalt ähnlich sozialchauvinistisch argumentiert die Autorin Rita Knobel-Ulrich, die Bücher mit den zynischen Titel „Reich durch Hartz IV“ verfasst und dafür in Bild, aber auch viel weiter rechts [6] viel Lob erfährt.

Widerspruch soll kostenpflichtig werden

Knobel-Ulrich fordert in Talkshows eine weitere Verschärfung für Hartz IV-Empfänger und geriert sich damit als Lautsprecher für entsprechende Bestrebungen in der Politik.

Unter dem unverfänglichen Titel „Rechtsvereinfachung im SGB II“ [7] hat eine vornehmlich aus wirtschaftsnahen Verbänden und Vertretern der Bundesagentur für Arbeit zusammengesetzte Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf mehr als 40 Seiten Maßnahmen aufgelistet, die Verschlechterungen für Hartz IV-Empfänger mit sich bringen. Erleichtert würde damit die Arbeit der Mitarbeiter von Jobcentern und Arbeitsagenturen, betont [8] Inge Hannemann, die wegen ihrer kritischen Haltung zu Sanktionen ihre Arbeit an einer Arbeitsagentur verlor.

24 der 120 Änderungsvorschlägen fanden am Mittwoch bei einem ersten „Fachgespräch“ im Bundestag bereits Anklang. Der Referent für Erwerbslosen- und Sozialrecht, Harald Thomé [9], rechnet damit, dass die Gesetzesnovelle im Herbst beschlossen wird und kommt aufgrund seiner Stellungnahme [10] zu dem Fazit [11], dass vielen Betroffenen mit der geplanten Novelle ein „Bewegen im rechtsfreien Raum“ droht. Beispielsweise könne das Amt überzahlte Beträge auch ohne Bescheid zurückfordern. Familienangehörige würden noch stärker als bisher für Rückforderungen haften. Rechtloser sollen auch Hartz-IV-Bezieher werden, denen das Jobcenter zu geringe Leistungen gezahlt hat. Komme die Arbeitsgruppe mit ihren Plänen durch, werde „eine Sonderrechtszone zementiert, die immer stärker vom einst gültigen Sozialrecht abweicht“. Thomé listet auch die wenigen Verbesserungen für Hartz IV-Empfänger durch die geplanten Reformen auf.

Vor allem die Bundesagentur für Arbeit drängt in diesem Zusammenhang auf schärfere Sanktionen für Langzeiterwerbslosen, die wiederholt Termine beim Jobcenter platzen lassen. Bislang werden die Leistungen in diesen Fällen um maximal 30 Prozent gekürzt, künftig sollen sie nach dem Willen der BA auch ganz gestrichen werden können. Auch die Möglichkeit, Bescheide der Jobcenter auf ihre Richtigkeit überprüfen zu lassen, soll eingeschränkt werden und mit Kosten verbunden sein. Das wäre für Erwerbslose eine gravierende Einschränkung, weil die Anzahl der Widersprüche gegen Bescheide vom Jobcenter seit der Einführung der Agenda 2010 massiv zugenommen hat und in vielen Fällen im Sinne der Betroffenen entschieden worden ist.

Im Herbst Proteste gegen Verschärfungen geplant

Auf einem bundesweiten Treffen haben sich ca. 60 Erwerbslosengruppen ab September Widerstand gegen die geplanten Verschärfungen angekündigt. In einer gemeinsamen Erklärung [12] prangern sie den „permanenten Rechtsbruch im Jobcenter“ an. „Im Jobcenter erleben die Erwerbslosen schon heuteständig Unrecht und durch die neuen Reformen soll es noch einmal verschärft werden“, begründet Martin Künkler von der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen [13] den neuerwachten Widerstandsgeist von manchen Erwerbslosenaktivisten

In den letzten Jahren hat es wenig kollektive Widerstandsformen gegeben. Dass es keine gesellschaftliche Reaktion darauf gibt, wenn die Bildzeeitung Erwerbslosenaktive als Sozialschmarotzer abqualifiziert, ist auch ein Symptom dafür, wie weit die Ideologie der Abwertung von einkommensarmen Menschen schon in der Gesellschaft verankert ist. Dafür ist allerdings die Zahl der Menschen gewachsen, die sich zu ihren Terminen am Amt haben begleiten [14] lassen. Es wird sich zeigen, ob die geplanten Verschärfungen tatsächlich zu einem neuen Aufschwung von Erwerbslosenprotesten führen.

http://www.heise.de/tp/news/Sondergesetze-fuer-Arme-2222112.html

Peter Nowak

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»Solidarisches Handeln überhaupt ermöglichen«

In Berlin trafen sich rund 300 GewerkschafterInnen aus aller Welt zur Konferenz des Onlineportals LabourStart

Nach dem DGB-Bundeskongress und dem Kongress des Internationalen Gewerkschaftsbundes IGB endete mit der LabourStart-Konferenz ein Gewerkschaftsmarathon in Berlin.
Gisela Neunhöffer Gisela Neunhöffer hat die diesjährige LabourStart-Konferenz maßgeblich mit organisiert. Unter dem Motto »Globale Krise – globale Solidarität« trafen sich bereits am letzten Maiwochenende GewerkschafterInnen aus aller Welt, um über neue Strategien zu diskutieren und vergangene Kampagnen auszuwerten. Mit der Gewerkschafterin sprach für »neues deutschland« Peter Nowak.

nd: Ist LabourStart der Neustart einer Arbeiterbewegung?
Wir werden mit der kleinen Initiative natürlich nicht die neue internationale Arbeiterbewegung erfinden. Doch LabourStart kann wichtige Bausteine liefern, die Menschen solidarisches Handeln überhaupt wieder ermöglichen.

Wie wollen Sie das erreichen?
LabourStart ist eine 1998 gegründete Nachrichten- und Kampagnenwebseite für die internationale Gewerkschaftsbewegung. Nach Konferenzen zur globalen Solidarität in London, Washington, Hamilton, Ontario , Istanbul und Sydney trafen sich Ende Mai über 300 Delegierte aus rund 75 Ländern erstmals in Berlin.

Warum gerade dort?
Kurz nach dem Kongress des Internationalen Gewerkschaftsbundes, der ebenfalls in Berlin stattfand, bot die LabourStart-Konferenz eine Möglichkeit für Gewerkschafter von Basisaktiven bis zum Vorsitzenden und Vertreter der internationalen Gewerkschaftsorganisationen, aktuelle Fragen der Gewerkschaftsbewegung in einem informellen Rahmen zu diskutieren.

Können Sie einige Beispiele für die Arbeit von LabourStart nennen?
Sehr bekannt ist der internationale Kampf um Entschädigung für die Opfer des Einsturzes der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch. LabourStart hat mit dazu beigetragen, dass der Druck auf die verantwortlichen Textilkonzerne erhöht wurde, endlich das notwendige Geld in den vereinbarten Fonds einzahlen. Auch die verbindliche Umsetzung der Gebäudesicherheits- und Feuerschutzbestimmungen spielt in der Kampagne eine wichtige Rolle.

Die Unterstützung des Kampfes der Textilarbeiter in Kambodscha ist ebenfalls ein wichtiges Anliegen von LabourStart. Der Arbeitskampf dort dauert bereits mehrere Monate. Die Beschäftigten sind einer massiven Repression von Seiten des Staats ausgesetzt. Zahlreiche Gewerkschafter wurden verhaftet oder mussten untertauchen.

Unterstützt LabourStart auch Streiks in Deutschland?
Ja. Ich will nur an die internationale Solidaritätsaktion für die Streikenden des Raststättenkonzerns Autogrill erinnern, die gemeinsam mit der Gewerkschaft Nahrung-Genus-Gaststätten (NGG) für den Abschluss eines Tarifvertrages kämpfen. Anfang April sind Beschäftigte in Thüringen und Bayern in einen unbefristeten Streik getreten. LabourStart hat eine erfolgreiche internationale Solidaritätskampagne gestartet Innerhalb weniger Tage haben Tausende Menschen aus aller Welt den Autogrill aufgefordert, die Forderungen der Beschäftigten nach einen Tarifvertrag und fairen Löhnen nachzugeben.

Kann ein Mausklick Grundlage für eine weltweite Solidaritätsbewegung sein?
LabourStart ermöglicht den Menschen die Möglichkeit des Engagements auf unterschiedlichen Level. Wer wenig Zeit hat, kann einen Solidaritätsaufruf unterzeichnen. Andere können Texte in die verschiedenen Sprachen übersetzen. Zudem wird nach der Konferenz überlegt, ob in verschiedenen Ländern LabourStart-Unterstützergruppen gegründet werden.

Fragen: Peter Nowak

Wie aus islamistischen „Freiheitskämpfern“ Terroristen werden

Bundessozialgericht auf Sarrazin-Kurs

Was sind angemessene Heizkosten?

Die Richter beziehen sich auf das Bundessozialgesetzbuch, in dem festgelegt ist: Der Staat zahlt für Bedürftige die Kosten für Wohnung und Heizung, „soweit diese angemessen sind“. Welcher Betrag in welcher Stadt angemessen ist, legen Länder und Gemeinden fest. Es sei denn, das Bundessozialgericht greift ein wie in Berlin. Dort hatte der christdemokratische Sozialsenator Mario Czaja 2012 eine neue Berechnungsgrundlage für diese Kosten vorgelegt. Demnach sind die Werteim Vergleich zu der linkssozialdemokratischen Vorgängerin im Sozialsenat Carola Bluhm um rund fünf Prozent gestiegen. Die Zahl der Zwangsumzüge sank innerhalb eines Jahres von 1.337 auf 612.

Die von Czaja erlaubten Mietkosten werden aus zwei Bestandteilen berechnet: der Bruttokaltmiete und den Heizkosten. Die Kaltmiete darf bei einer Person 343,50 Euro betragen, bei zwei Personen 412,20 Euro, bei vier Personen 547,40 Euro. Die Heizkosten werden nach der Größe des Hauses und der Heizungsanlage berechnet. Drei Personen in einer Doppelhaushälfte mit Ölheizung dürfen für 137,25 Euro im Monat heizen, die gleichen drei Personen in einem Mehrfamilienhaus mit Gasheizung aber nur für 100,50 Euro.

Wenn Erwerbslose wie die Reichen heizen dürfen

Die Grundlage für diese Werte war der bundesweite Heizspiegel [4], in dem die tatsächlichen Heizkosten von Zehntausenden Wohnungen verglichen und in vier Kategorien aufgeteilt werden. Die sparsamsten zehn Prozent kommen in die Kategorie „niedrig“, die nächsten 40
Prozent in „mittel“, es folgt die genauso große Kategorie „erhöht“, und die teuersten zehn Prozent ergeben die Kategorie „zu hoch“.

Czaja übernahm die Werte aus der Kategorie „zu hoch“ und erlaubte den Hartz-IV-Empfängern und anderen Bedürftigen damit, so teuer zu heizen wie die obersten zehn Prozent der bundesweiten Bevölkerung. Wenn die Betroffenen ihre Heizkosten auf ein Normalmaß reduzieren, können sie das Gesparte für eine höhere Kaltmiete ausgeben.

„Unser Ziel war es, eine rechtssichere Satzungsregelung zu schaffen, um Empfängerinnen und Empfängern von Kosten der Unterkunft und Heizung Flexibilität bei der Wohnungssuche zu ermöglichen und somit auch die Zahl der Umzüge zu reduzieren. Ein weiteres Ziel war es, die Zahl der Gerichtsverfahren zu reduzieren. Dies war auch gelungen“, erklärte [5] der Senator nach dem Urteil. Die für die Betroffenen relativ großzügige Regelung sollte auch möglichen Protesten von Erwerbslosen vorbeugen, die sich in Berlin durchaus nicht alles gefallen lassen und auch gelegentlich Unterstützung suchen [6], wenn sie einen Termin bei ihren Fallmanager haben.

Wenn Richterrecht entscheidet

Nicht nur dieses Urteil sollte einen kritischeren Blick auf die Praxis in Deutschland lenken, dass immer mehr Richter über alles und jedes entscheiden. Erwerbslosengruppen fragen mit Recht, wieso Richter, die in der Regel aus der Mittel- oder Oberschicht kommen und nie in die Kategorie der Hartz-IV-Bezieher fallen, darüber entscheiden, wie die Heizkosten für diese Gruppe gestaltet werden sollen?

Neben sozialpolitischen gibt es hier auch demokratietheoretische Probleme. Anders als Politiker gehen Richter nicht ausallgemeinen Wahlen hervor, sind oft kaum bekannt. Wenn es Empörung über Richterentscheidungen gibt, wird sofort davor gewarnt, die „freie Justiz“ unter Druck zu setzen. Damit soll ein Staatsapparat, dernicht erst bei der Entscheidung zu den Heizkosten massiv in die Politik und das Leben vieler Menschen eingreift, außerhalb der Kritik gestellt werden.

Diese Entscheidung des Bundessozialgerichts reiht sich ein in eine allgemeine Verschärfung der sozialen Lage von Erwerbslosen und Menschen im Niedriglohnbereich. So sind immer mehr Menschen wegen niedriger Löhne und Einkommen und hoher Mietengezwungen, in kleineren Wohnungen zu leben. „Weil die Mietpreise in den Ballungszentren steigen, leben dort immer mehr Familien in zu kleinen Wohnungen. Das erfordert Improvisation“, fasst [7] die Taz die Ergebnisse einer von der Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegebenen Studie [8] zusammen. Gleichzeitig gibt es erste Befürchtungen [9], dass sich die als sozialdemokratische Regulierung der Mietkosten geplante Mietpreisbremse verzögern könnte. Das Urteil des Bundessozialgerichts ist also nur ein Baustein bei der Sarrazinierung der Gesellschaft.

http://www.heise.de/tp/news/Bundessozialgericht-auf-Sarrazin-Kurs-2220198.html

Peter Nowak

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Über den Kiez hinaus

Ein neues Buch stellt Ansätze für Organisierung im Stadtteil vor, die aufs Ganze zielen
Über gewerkschaftliche Organizing-Konzepte wurde in den letzten Jahren viel diskutiert. Organisierung kann aber auch im Stadtteil stattfinden. Der Berliner Politikwissenschaftler Robert Maruschke liefert nun eine gut lesbare Einführung in Geschichte, Theorie und Praxis dieses »community organizing«, das soziale Bewegungen in den USA entwickelt haben. Er grenzt sich dabei von liberalen Ansätzen wie etwa Bürgerplattformen ab, die nicht »von unten« wachsen, sondern die Bewohner in bestehende Strukturen einbinden sollen. Kritischer als andere Linke sieht er auch den amerikanischen Pionier der Stadtteilorganisierung, Saul Alinsky. Dieser propagiere zwar konfrontative Aktionsformen, stelle aber »Staat und Kapital« nicht in Frage und distanziere sich überdies von linken Gruppen, kritisiert Maruschke.

Statt dessen wirbt Maruschke für ein transformatorisches Organizingkonzept, das er bei einem Aufenthalt in den USA kennengelernt hat. Es hat zum Ziel, kapitalistische Strukturen zu überwinden, »revolutionär« zu sein. Dass die Praxis diesem Anspruch nicht immer entspricht, wird in dem Buch nicht verschwiegen. So betonen zwar viele transformatorische Organizinggruppen, nicht mit Repräsentanten von etablierten Organisationen zusammenzuarbeiten, beteiligten sich aber dennoch an der Wahlkampagne für Präsident Obama.

Im letzten, etwas kurz geratenen Kapitel behandelt Maruschke die Frage, wie sich Stadtteilorganizing auf Deutschland übertragen lässt. Positive Beispiele sieht er bereits, etwa in Berlin die Initiativen »Kotti & Co« sowie die Kampagne gegen Zwangsräumungen. Bei einer Veranstaltung in der Hauptstadt diskutierte Maruschke vor wenigen Tagen über Community Organizing als Modell für den Mieterkampf. Aus seiner Sicht kommt es nicht darauf an, nun alle mietenpolitischen Auseinandersetzungen mit einem neuen Label zu versehen. Doch die Initiativen könnten von dem Konzept lernen, dass eine langfristige Basisarbeit nötig sei. Dabei sei es für die Gruppenmitglieder wichtig, sich über ihre unmittelbare Alltagsarbeit hinaus mit der Geschichte sozialer Bewegungen sowie der kapitalistischen Gesellschaft auseinanderzusetzen. Das sei Voraussetzung für eine gesellschaftliche Praxis, die über das Bestehende hinausweist.

Robert Maruschke: Community Organizing – Zwischen Revolution und Herrschaftssicherung, Edition Assemblage, Münster 2014, 110S., 9,80 €.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/935587.ueber-den-kiez-hinaus.html
Peter Nowak

Verfahren gegen Ford-Arbeiter verschoben

Arbeiter protestierten 2012 gegen eine Werksschließung in Genk / Solidaritätsaktionen in Deutschland geplant

Ford-Mitarbeiter, die für die Erhaltung ihrer Jobs gekämpft hatten, wollen nun gerichtlich gegen verhängte Geldstrafen vorgehen.

Am Mittwoch sollte vor dem Kölner Amtsgericht der erste Prozess gegen belgische Ford-Arbeiter beginnen, die sich Ende 2012 an Protesten gegen die Schließung ihrer Fabrik beteiligt hatten. Nun sagte das Gericht den Termin kurzfristig wegen eines Formfehlers ab. Den Angeklagten sei die Vorladung nur auf deutsch und nicht auf flämisch zugeschickt worden, so ein Gerichtssprecher.

Karin Blockmann ist skeptisch: »Warum fällt dem Gericht erst wenige Tage vor Prozessbeginn auf, dass den Angeklagten vor einigen Wochen die Schreiben nur auf deutsch zugeschickt wurden?«, fragt das Berliner Mitglied des »Solidaritätskreises 7. November«. Es ist nach dem Datum benannt, an dem die spontanen Proteste stattfanden, die nun ein juristisches Nachspiel haben sollen: 250 Beschäftigte des Ford-Werkes im belgischen Genk zogen damals zur Kölner Zentrale des Autobauers, wo zeitgleich der Europäische Ford-Betriebsrat tagte. Der Protest richtete sich gegen die geplante Schließung des Genker Werkes, die für die Region einen sozialen Kahlschlag bedeuten würde.

Die Beschäftigten wurden von einem großen Polizeiaufgebot eingekesselt und stundenlang festgehalten, bis alle Personalien aufgenommen wurden. Zunächst leitete die Polizei 24 Ermittlungsverfahren u.a. wegen Rädelsführerschaft und besonders schweren Landfriedensbruches ein. Diese Vorwürfe wurden im Anschluss zurückgenommen und 11 Verfahren eingestellt. 12 Beteiligte erhielten Strafbefehle mit hohen Geldbußen – sie legten Widerspruch ein. Für den Prozessbeginn am 11. Juni waren in mehreren Städten Solidaritätsaktionen vorbereitet worden, die wegen der kurzfristigen Verschiebung nun abgesagt wurden.

»Wir hatten Plakate und Transparente vorbereitet und wollten zu einer Ford-Niederlassung nach Berlin ziehen, um unsere Solidarität mit den belgischen Kollegen auszudrücken«, so Blockmann. Man werde aber wieder auf die Straße gehen, wenn ein neuer Termin feststehe.

Vielleicht wird das Verfahren aber auch ganz eingestellt. Selbst der Kölner Polizeipräsident hat den Einsatz gegen die Ford-Arbeiter mittlerweile als Fehler bezeichnet. Man habe die Streiktraditionen in Belgien zu wenig berücksichtigt. Schließlich gehören das Anzünden von Autoreifen und das Abbrennen von Fackeln dort zur Streikchoreographie und werden nicht strafrechtlich geahndet.

Die Kriminalisierung hat mit zu der Solidarisierung beigetragen, die sich die Arbeiter erhofft haben. Sie bezeichnen den Protest als »Weckruf an die Ford-Kollegen in Deutschland«. In der Vergangenheit sei ein Standort nach dem anderen abgewickelt worden, weil die anderen Beschäftigten hofften, noch einmal davon gekommen zu sein. »Wir wollen mit unserer Aktion deutlich machen, dass europaweiter Widerstand eine Alternative wäre«, so einer der Arbeiter.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/935488.verfahren-gegen-ford-arbeiter-verschoben.html

Peter Nowak