Wohnen statt Zitronen

Der Wohnraum für Menschen mit niedrigen Einkünften wird überall in Deutschland knapper. Eine Berliner Initiative hat deshalb ein Konzept für einen neuen so­zialen Wohnungsbau ausgearbeitet.

Deutschland rückt zusammen – so könnte man das Ergebnis einer Studie über das Wohnungsangebot für einkommensarme Familien zusammenfassen, die die Sozialwissenschaftler Timo Heyn, Reiner Braun und Jan Grade kürzlich im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung veröffentlichten. Gestützt auf eine Untersuchung in den 100 einwohnerreichsten Städten Deutschlands kommen die Wissenschaftler zu dem Resultat, dass immer mehr Menschen wegen niedriger Einkommen und zu hoher Mieten gezwungen sind, in kleineren Wohnungen zu leben.

»Rückzug aufs Hochbett« betitelte die Taz einen Bericht über die Studie. Diese machte auch deutlich, wie wenig die statistischen Daten über die Lebenswirklichkeit vieler Menschen aussagen. Im Durchschnitt stehen in Deutschland pro Person 42,7 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung. Doch in diesen Angaben bleibt die soziale Ungleichheit unberücksichtigt. Während Menschen mit hohen Einkommen in großzügigen Lofts häufig eine Wohnfläche in dreistelliger Quadratmeterzahl nutzen, sind immer mehr Menschen mit niedrigen Löhnen und Einkommen zum Zwangskuscheln gezwungen.

In Großstädten wie Berlin ist schon längst offensichtlich, dass der derzeitige Wohnungsbestand nicht mehr ausreicht. Doch welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, ist auch bei Gruppen umstritten, die sich gegen Räumungen und für erschwingliche Mietwohnungen engagieren. Das wurde jüngst anlässlich des erfolgreichen Volksbegehrens »100 % Tempelhof« deutlich. Während die Senatspläne zur Umgestaltung des ehemaligen Flug­hafen­areals weitgehend auf Ablehnung stießen, setzten sich nur wenige aus der außerparlamentarischen Linken mit den Forderungen nach einer weitgehend naturbelassenen Fläche kritisch auseinander.

Der Wirtschaftswissenschafter Birger Scholz war eine Ausnahme. »Sonderlich fortschrittlich war die deutsche Romantik nie. Größenteils war sie reaktionär und auf jeden Fall ziemlich apolitisch und eskapistisch. Als die Industrialisierung die feudalen Verhältnisse hinwegfegte, träumten sich die Romantiker an ferne Sehnsuchtsorte, dorthin, wo die Zitronen blühen. Im Jahr 2014 blühen in Berlin die Zitronen auf dem Tempelhofer Feld«, schrieb er in der Sozialistischen Zeitung. Sein Wunsch, das große Bündnis zur Verhinderung des Baus neuer Wohnungen aus »Piraten, Linkspartei, Grünen, Linksradikalen und neuroman­tischen Mittelschichten« möge beim Volksbegehren eine Niederlage davontragen, hat sich bekanntlich nicht erfüllt. Scholz gehört nun mit Gewerkschaftern, Sozialaktivisten, Mitarbeitern der Berliner Mietergemeinschaft und Wissenschaftlern zu den Erstunterzeichnern der Initiative Neuer Kommunaler Wohnungsbau (INKW), die ein Konzept für einen kommunalen Wohnungsbau erarbeitet hat, der vollständig aus öffentlichen Geldern finanziert werden soll. Ziel ist der Bau neuer Wohnungen mit erschwinglichem Mietpreis durch die Schaffung von öffent­lichem Eigentum.

»Im Gegensatz zu den Konzepten des Senats wollen wir keine Subventionen für private Eigentümer, damit die Miete für eine begrenzte Zeit erträglich bleibt. Darüber hinaus schlagen wir einen Umbau der Wohnungsbaugesellschaften vor, von der bisherigen privatrechtlichen Form hin zu Anstalten öffentlichen Rechts, damit sie nicht profitorientiert, sondern gemeinwohlorientiert arbeiten«, sagt Rouzbeh Taheri, Sprecher der INKW, der Jungle World. Die Beteiligung privater Unternehmen soll nach diesem Konzept ausgeschlossen sein. Das ist für Taheri auch eine Konsequenz aus dem Westberliner Korruptionssumpf der siebziger und achtziger Jahre, der den sozialen Wohnungsbau lange diskreditiert hat. »Die Korruption und die Misswirtschaft im sozialen Wohnungsbau wurde durch die Vermischung öffentlicher und privater Unternehmen erleichtert«, so der INKW-Sprecher, der die basisdemokratischen Elemente seines Konzepts betont. »Wir möchten eine starke Stellung und Mitbestimmung der Mieter in den Aufsichtsgremien der städtischen Wohnungsbaugesellschaften. Nur die Kontrolle durch die Betroffenen kann Korruption verhindern«, erklärt Taheri optimistisch.

Er betont auch, dass das Konzept keine Rückkehr zum Plattenbau der sechziger und siebziger Jahre bedeute. Der damalige soziale Wohnungsbau sei vor allem durch den Bau von Großsiedlungen für eine Gesellschaft bestimmt gewesen, in der Normalarbeitsverhältnisse in der fordistischen Massenproduktion vorherrschten. »Diese Verhältnisse haben sich grundlegend geändert. Wir wollen Wohnungen, die den heutigen Bedürfnissen Rechnung tragen: Gebäude mit unterschiedlich großen Einheiten, umbaufähige Wohnungen, Einheiten für die verschiedenen Generationen, Bauabschnitte, die sich in die vorhandenen Stadtstrukturen einfügen«, sagt Taheri.

Auch der Regisseur des zurzeit in vielen Kinos gezeigten Films »Mietrebellen«, Matthias Coers, gehört zu den Erstunterzeichnern der INKW-Initiative. Für seine Unterstützung war entscheidend, dass bei der architektonischen Gestaltung der Neubauten den individuellen Bedürfnissen der Menschen Rechnung getragen werden soll. Dass Teile der stadt- und mieterpolitischen Gruppen den Neubau von Wohnungen mit dem Argument ablehnen, es müsse eine Bevölkerungsverdichtung verhindert werden, hält Coers für kurzsichtig. Er hofft, dass das Konzept der INKW hier eine Debatte anregt, die den Wohnungsneubau und den Erhalt bestehender Bauten verbindet.

Das ist auch das Ziel des Stadtsoziologen Andrej Holm, der das Konzept ebenfalls unterstützt. »Ob die neue Initiative einen Beitrag zur Stärkung der Mieterbewegung leisten kann, wird wesentlich davon abhängen, ob es den Initiatoren gelingt, die auch in den Protestbewegungen diskutierte Gegenüberstellung von Neubau und Bestand zu überwinden. So schön eine Vorstellung eines starken und sozialisierten öffentlichen Wohnungsbaus auch ist, ohne wirksame Strategien, die Mietsteigerungen auch im Bestand aufzuhalten, wird er keine Wirkung entfalten«, sagt Holm der Jungle World.

Von den im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien unterstützt bisher nur die Piratenpartei das Konzept. Von der Linkspartei, die sich in der Opposition wieder an manche sozialpolitischen Inhalte erinnert, die sie als Teil der Regierung vergessen hatte, hätte sich Taheri zumindest eine Reaktion auf das Konzept erwartet. Schließlich seien alle Oppositionsparteien angeschrieben worden. Die für den Wohnungsbau zuständige Abgeordnete der Linkspartei, Kathrin Lompscher, sagte dagegen, es habe vor der Veröffentlichung des Aufrufs keine Kontaktaufnahme der INKW mit ihrer Partei gegeben. Bei der Problemanalyse und den Zielen sei man sich in vielem einig, aber es gebe keine vollständige Übereinstimmung zwischen den Auffassungen ihrer Partei und dem ­INKW-Konzept. Über eine Unterstützung werde in den Gremien der Partei zurzeit diskutiert.

http://jungle-world.com/artikel/2014/26/50106.html

Peter Nowak

Stadionverbot wegen falscher Farbe?

Kämpfst du schon?

In der beschaulichen Landhausstraße im Berliner Bezirk Wilmersdorf gab es in den vergangenen Wochen gleich zweimal mehrstündige Kundgebungen mit rot-schwarzen Fahnen. Die Basisgewerkschaft Freie Arbeiter-Union (FAU) protestierte damit gegen die Kündigung von acht Beschäftigten der Schwedischen Schule Berlin (SSB), die dort ihr Domizil hat. Die gesamte Belegschaft der Schule war am 28. Mai entlassen worden. Zuvor hatte sie in einem offenen Brief gegen von der Schulleitung geplante Lohnkürzungen bei der Hortbetreuung protestiert. Es ist nicht ihr erster Arbeitskampf. Bereits vor vier Jahren wehrte sich die Belegschaft erfolgreich gegen schlechte Arbeitsbedingungen. Damals entstand auch die FAU-Gruppe an der Schule. Mehrere der schwedischen Beschäftigten waren zuvor schon in der Schwestergewerkschaft SAC organisiert, die allerdings wesentlich größer als die FAU ist. Die SAC hat mittlerweile in Schweden eine Solidaritätskampagne für die Berliner Kollegen initiiert. Die Berliner Schule untersteht der protestantischen Kirche Schwedens – für kleruskritische Gewerkschaften ein Wunschgegner. Dennoch ist die Kampagne in Berlin sehr bürgerfreundlich angelegt. Während der Kundgebungen schallten aus den Lautsprechern schwedische Kinderlieder, auf Luftballons stand »Komi gen, Lena«, was übersetzt »Komm schon, Lena« bedeutet. Dieser freund­liche Appell an die Geschäftsführerin der SSB, Lena Brolin, die Kündigung wieder zurückzunehmen, zeigte allerdings noch keine Wirkung. Alle Gesprächsangebote der FAU seien bisher ignoriert worden, sagt ein betroffener Erzieher der Jungle World. Nun haben sich schon 13 Eltern mit den Beschäftigten solidarisiert und fordern deren Wiedereinstellung und eine Schlichtung im Konflikt. Wenn auch sie nicht gehört werden, dürfte es noch häufiger Kundgebungen unter schwarz-roten Fahnen in Wilmersdorf geben, und die Appelle an Lena würden wohl nicht mehr so freundlich ausfallen.

http://jungle-world.com/artikel/2014/26/50119.html

Peter Nowak

Eine Arbeitszeit, die dem Chef gefällt

Syrer nach Polen abgeschoben

Antirassistische Initiative verlangt, dass ein traumatisierter syrischer Flüchtling aus Warschau zurück nach Deutschland geholt wird.

Die Flüchtlingsorganisation Refugees Emancipation hatte zu einem Aktionstag vor dem Erstaufnahmelager Eisenhüttenstadt eingeladen. Zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni sollte über die Situation der Asylsuchenden in dieser Einrichtung informiert werden. An diesem Tag war ein syrischer Student, der sich seit 35 Tagen in Eisenhüttenstadt in Abschiebehaft befand, bereits nach Polen abgeschoben worden.

Diese Information kam vom »Netzwerk gegen Lager und Abschiebehaft in Eisenhüttenstadt«, in dem sich Menschen zusammengeschlossen haben, die Flüchtlinge beraten. »Auch der syrische Student, dessen Namen wir auf Wunsch des Betroffenen nicht bekannt geben, gehörte zu den Personen, die regelmäßig von uns besucht worden waren«, erklärt Torben Schneider von der antirassistischen Initiative.

Der Student habe mehr als einen Monat in einem syrischen Gefängnis gesessen, wo er Schlägen und einer Woche Isolationshaft in völliger Dunkelheit ausgesetzt gewesen sei, berichtet Schneider. »Nach diesen traumatisierenden Ereignissen versuchte er, sich nach seiner Entlassung das Leben zu nehmen, floh später über Jordanien und Polen nach Frankfurt am Main und wollte zu seinem Bruder, der in Köln lebt.« Nach einer Kontrolle durch die Bundespolizei wurde er in Eisenhüttenstadt inhaftiert. Rechtsgrundlage ist das Dublin-System, nach dem Asylsuche in dem EU-Land bleiben müssen, dass sie bei ihrer Flucht zuerst betreten, Die gesundheitliche Situation spielt dabei oft keine Rolle. Dabei sah die Ausländerbehörde eine besondere Schutzbedürftigkeit des Syrers wegen Traumatisierung, was ihn aber weder vor der Haft noch vor der Abschiebung bewahrte.

Den Besuchern von der antirassistischen Initiative fiel der besorgniserregende Zustand des jungen Mannes sofort auf. In der Abschiebehaft sei er zuletzt total abgemagert gewesen, heißt es. Er habe jeden Appetit verloren und panische Angst vor dem Einschlafen gehabt. »Er litt unter den immer wiederkehrenden Bildern von der Folter in Syrien und hatte Suizidideen«, erzählt Schneider.

Man kontaktierte den Verein »KommMit für Migranten und Flüchtlinge«. Die dort tätige Psychologin Hanna Grewe untersuchte den Syrer. »Er war dringend behandlungsbedürftig, hätte niemals als ein Opfer von Folter und Menschenrechtsverletzungen in Abschiebehaft genommen werden dürfen, da dies zu einer Retraumatisierung führt«, schrieb sie in einer Stellungnahme.

Doch mit dieser Stellungsname konnte sich das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) nicht mehr befassen, weil der Flüchtling einige Tage früher als angekündigt abgeschoben wurde, wie Ivana Domazet vom Flüchtlingsrat Brandenburg kritisierte. Torben Schneider fordert nun, dass die Wiedereinreise des Syrers sofort veranlasst wird. Zurzeit lebt der Mann in Warschau.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/937235.syrer-nach-polen-abgeschoben.html

Peter Nowak

Mieter schicken Kreuzberger Rathausmitarbeiter in den Urlaub

„Mieten runter“ und „Kiez statt Profitwahnsinn“, lautete die Parolen auf den Transparenten, mit denen am 24. Juni mehr als 50 Mieter aus Kreuzberg mit einem Go-In im Rathaus des Stadtteils in der Yorkstraße   ihren Kommunalpolitikern  auf die Pelle rückten.

Zu ihren zentralen  Forderungen  gehörten  ein  berlinweiter  Umwandlungsstopp von Miet- in Eigentumswohnungen, ein sofortiges  und ausnahmsloses Umwandlungsverbot in allen Milieuschutzgebieten, die  Aufnahme aller von Verdrängung besonders stark betroffenen Innenstadtgebiete in die soziale  Erhaltungsverordnung und die Rekommunalisierung des privaten Wohnungs- und Mietshausbestandes durch die Einführung des berlinweiten Vorkaufsrechts eines nicht profitorientierten kommunalen Trägers.
Als besonderes Präsent an die Sachbearbeiter im Rathaus verteilten sie  eine für ein Jahr geltende Beurlaubung bei vollem Lohnausgleich. „Wir wollen damit deutlich machen, dass sich unsere Kritik nicht gegen die Sachbearbeiter sondern gegen die Politiker richtet,  erklärt Mieterin   Kerstin Coltrin.  Den Sachbearbeitern sei nicht zuzumuten, weiterhin gegen ihr Gewissen ausführender Arm in der Verdrängung langjähriger Mieter zu sein, so Coltrin. Die Freude bei den Beschenkten hielt sich allerdings in Grenzen. Sie reagierten überwiegend reserviert auf die Ausführungen der Mieter, in denen sie darlegten, dass  auch die  Sachbearbeiter auf ihrem Arbeitsplatz einer enormen psychischen Belastung ausgesetzt seien, da sie auf der einen Seite hautnah mit den Sorgen und Ängsten der Mieter  konfrontiert  sind und auf der anderen Seite von Investoren  massiv unter Druck gesetzt würden.    Der Grund für die Zurückhaltung des Rathauspersonals  mag auch darin liegen, dass die Mieter ihnen empfahlen, die Reisekosten bei Berlin Aspire Real Estate, Taekker oder BIMA einzutreiben. „Sie haben  sich viel zu lange auf Kosten der Mieter bereichert“, kritisierte der Mieter Johannes Spock, der ebenfalls an der Rathausaktion teilnahm. Die Namen dieser Firmen und Institutionen werden immer wieder genannt, wenn es um die Vertreibung von einkommensschwachen Mietern geht“, betont Spock.

Obdachlosenmagazin droht Zwangsräumung

Viele der am  Go-IN beteiligten Mieter kommen aus Kreuzberg und haben aktuelle Beispiele für die Vertreibungspolitik parat, von der neben Mieter auch nichtkommerzielle Projekte betroffen sind. So droht die Obdachlosenzeitung Querkopf ihre Redaktionsräume in der Blücherstraße 37 zu verlieren, in denen sie seit 2001 arbeitete. Zum 31.  März sollte sie die Räume verlassen. Eine Zwangsräumung soll jetzt gerichtlich durchgesetzt werden.  Da aber die  Kündigung an  ein Vorstandsmitglied des Querkopf geschickt wurde, das bereits vor  2 Jahren verstorben ist, dürfte das Zwangsräumungsbegehren gerichtlich zurück gewiesen werden und der Querkopf kann zumindest vorerst die Redaktionsräume behalten.  „Doch wir brauchen klare gesetzliche Regelungen, um solche Kündigungen zu verhindern“, begründete  Kerstin  Coltrin ihr Go-in ins Rathaus. Enttäuscht sind die Mieter über das völlige Ignorieren der Aktion durch die Medien.  „Für die scheinen Mieterproteste keine Konjunktur mehr zu haben, für uns schon“, so Johannes Spock.

aus:  MieterEcho online 26.06.2014

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/go-in-rathaus-kreuzberg.html

Peter Nowak

Fehlende Wohnungen werden oft nicht als kollektives Problem wahrgenommen

Ben Seel ist Hochschulpolitikreferent des Asta der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Über Bildungsproteste und die Probleme an seiner Hochschule sprach mit ihm Peter Nowak.

nd: Von einer großen bundesweiten Protestbewegung wie noch vor einem Jahrzehnt oder einigen Jahren sind die Bildungsstreiks im Moment etwas entfernt.
Seel: Die Beteiligung gestaltet sich in den unterschiedlichen Bundesländern unterschiedlich. Das liegt am Anlass der Proteste. Es geht um die Finanzierung des Bildungswesens. Dort, wo die Kürzungen versteckt vorgenommen werden, sind die Proteste geringer als in den Bundesländern, in denen die Kürzungen ganz offen vollzogen werden. In Sachsen, wo von der Kürzungspolitik viele Fakultäten betroffen sind, gab es bereits im Herbst eine große studentische Mobilisierung dagegen. Von Halle gingen die neuen Bildungsproste aus, dort gingen auch schon im April über 6000 Menschen auf die Straße.

Wie machen sich die Kürzungen an Ihrer Universität bemerkbar?
Große Probleme gibt es beim Fachbereich Erziehungswissenschaften, wo selbst die Dekanin Vollversammlungen und Aktionstage angesichts der drohenden Pleite organisiert. Ein weiteres Problem ist die Unterfinanzierung des Studentenwerkes, was zu Preiserhöhungen von bis zu 50 Prozent in der Mensa geführt hat. Dadurch gibt es bei den Essenspreisen kaum noch Unterschiede zu einem Restaurant.

Müssten dagegen nicht viel mehr Studierende auf der Straße sein? Schließlich sind davon viele betroffen.
Der Kampf gegen die Studiengebühren wurde als kollektives Problem angesehen und hat viele Studierende mobilisiert. Wenn jemand keine Wohnung findet oder das Mensaessen nicht bezahlen kann, wird das hingegen oft als individuelles Problem gesehen, was eine politische Mobilisierung erschwert.

Sind weitere studentische Proteste geplant?
Wahrscheinlich Anfang September soll es in Jena ein studentisches Camp geben. Dort sollen die Proteste dieses Semesters ausgewertet und über weitere Aktionen im nächsten Semester beraten werden.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/937152.individualisierter-geldmangel.html

Interview: Peter Nowak

Das Erbe der Nachwendezeit erhalten

HAUSPROJEKT Die MieterInnen der Brunnenstraße 6/7 in Mitte kämpfen um neue, langfristige Verträge

Eines der letzten großen Hausprojekt aus der Nachwendezeit kämpft um seine Zukunft. „Wir bleiben alle – gegen Zwangsräumung und Vertreibung“: Solche Aufrufe kann man derzeit an den Wänden zum Eingang der Brunnenstraße 6/7 lesen. Seit einigen Wochen mobilisiert der „Verein zur Erhaltung der Brunnenstr. 6/7“ in eigener Sache: Es drohe eine kalte Räumung des Hausprojekts, hieß es kürzlich in einer Pressemitteilung des Vereins.

Grund ist ein Schreiben, der Eigentümerfirma Gawehn Grundstücks GmbH, in dem den BewohnerInnen zum 1. Mai Mieterhöhungen von 15 Prozent angekündigt worden wurden. Der Gebäudekomplex war bereits im Jahr 1990 besetzt worden. Am runden Tisch wurden damals sehr günstige Mieten ausgehandelt. Doch der Vertrag ist nun ausgelaufen.

„Für viele MieterInnen wäre die angekündigte Erhöhung finanziell nicht tragbar gewesen“, erklärte Brunnenstraßen-Bewohnerin Petra Lange gegenüber der taz. Daher sei man an die Öffentlichkeit gegangen. Die Mobilisierung hatte Erfolg, wie sich am Montagabend zeigte. Rund 50 Unterstützerinnen des Hausprojekts trafen sich mit Transparenten vor dem Rathaus Mitte. Sie begleiteten die BewohnerInnen der Brunnenstraße 6/7 und ihre AnwältInnen zur zweiten Verhandlungsrunde mit der Gawehn GmbH. Ergebnis: Die 15-prozentige Mieterhöhung ist vom Tisch.

Streit über Laufzeit

Doch vor allem über die Laufzeiten eines neuen Vertrags gehen die Vorstellungen von MieterInnen und EigentümerInnen weit auseinander. Während die Gawehn den Vertrag auf lediglich acht Jahre befristen will, fordern die MieterInnen eine dreißigjährige Laufzeit.

Im Gespräch mit der taz gibt sich der Geschäftsführer der Gawehn-Grundstücksverwaltung Uwe Heiland optimistisch, dass es trotzdem zu einer baldigen Vereinbarung mit den MieterInnen kommen wird. Er wolle ein „langfristiges Gemeinschaftswohnen zu sozialverträglichen Preisen in dem Gebäude“ garantieren. „Wir sind dabei auf einen guten Weg“, erklärte Uwe Heiland.

Ziemlich optimistisch

Auch Bewohnerin Petra Lange äußerte sich zufrieden vor allem über die kurzfristige Unterstützung. „Wir haben gezeigt, dass wir unsere Interessen am Verhandlungstisch, auf der Straße oder vor Gericht vertreten können.“ Für die nächste Verhandlungsrunde erwartet sie allerdings ein weiteres Entgegenkommen der Eigentümer. Denn: „Deren aktuellen Vorschläge sind noch nicht sozialverträglich.“

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bt&dig=2014%2F06%2F26%2Fa0197&cHash=2770348089bb8eee656f291810f6072b

Peter Nowak

Terrorurteil gegen Journalisten in Kairo

Mit Mittelstand im Klassenkampf

Wenn das Kapital  prekär wird – Peter Nowak zum Aktionstag der Trucker
„Wir  Fahrer sind nicht Eure Sklaven oder Plagen sondern Eure Versorger“. Mit dieser  Parole protestierten am 3. Mai   TruckerInnen  Lohndumping und Existenzvernichtung.  20 Jahre sinkende Löhne und eine Überausbeutung beklagte Ingo Schulze vom Kraftfahrer Club Deutschland, der die Proteste in Berlin maßgeblich vorbereitete. Auf der Abschlusskundgebung am Brandenburger Tor zog Schulze eine zwiespältige Bilanz. „Wir haben es wieder nicht geschafft, die Masse der LKW-FahrerInnen zu mobilisieren“, meinte er mit Blick auf die 10 LKW, die rund um das Brandenburger Tor mit großen Transparenten auf die Forderungen aufmerksam machten. Positiv hob er hervor, dass am Samstag erstmals  TruckerInnen   in 7 europäischen Hauptstädten zeitgleich  protestierten.    Demonstrationen gab es  in Berlin,  Den Haag, Rom, Stockholm, Oslo, Kopenhagen und Madrid.
Neben einheitlichen  Ausbildungsstandards und einem  Mindestlöhnen steht die Einhaltung der Regeln der Kabotage im Forderungskatalog. Kabotage nennt man das Erbringen von Transportdienstleistungen in einem Land durch ein ausländisches Verkehrsunternehmen. Nach  der gültigen Gesetzeslage darf ein ausländisches  Fahrzeug  in einem EU-Mitgliedsstaat drei Fahrten pro Woche übernehmen. Doch oft seien  ausländische Fahrzeuge wochenlang  in Europa unterwegs, monierten verschiedene RednerInnen.  Sie machten aber deutlich, dass sich ihr Protest nicht gegen ausländische KollegInnen  sondern gegen die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen und  die Dumpinglöhne richte, von denen die TruckerInnen in allen Ländern  betroffen seien.
In einer Grußadresse  appellierten  Beschäftigte des Kölner Ford-Werkes an die Trucker, sich nicht für den nationalen Standort spalten zu lassen.  Unterstützung für die TruckerInnen kam auch von der japanischen Eisenbahngewerkschaft Doro Shiba, von  Berliner S-BahnfahrerInnen und der AG Taxi bei verdi. Ansonsten kam von den DGB-Gewerkschaften bisher wenig Unterstützung für die LKW-FahrerInnen. aus. Dafür übten die Basisgewerkschaften   FAU,  Wooblies und das Berliner  Bündnis klassenkämpferische Block  Solidarität mit den Prekären der Autobahn.  Ihre Transparente mit antirassistischen  Inhalten prägten die Kundgebung. Lediglich der Vertreter eines mittelständischen Truckerunternehmens redete einer Abschottung  gegenüber ausländischen FahrerInnen das Wort.
Im Bündnis, die den Aktionstag vorbereitet haben, sind auch mittelständische Unternehmen aus der Logistikbranche vertreten. So blieb auch bei den linken UnterstützerInnen ein zwiespältiges Resümee des Aktionstages. Sehr positiv wurde vermerkt, dass die Kundgebung durch die zahlreichen UnterstützerInnen einen  klassenkämpferischen Ausdruck hatte und Grußadressen,  wie die der Ford-KollegInnen besonders viel Applaus bekommen hatten. Anderseits zeigt die Beteiligung von mittelständischen Unternehmen bei der Vorbereitung des Aktionstages und bei der Kundgebung, dass der Protest von berufsständischen Strukturen geprägt ist.    Auch die geringe Mobilisierungskraft beim Aktionstag, der schließlich monatelang vorbereitet wurde, ist eindeutig ein Manko. Der Berliner Organisator Ingo Schulze hat am Schluss angekündigt, dass es in einigen Monaten weitere Proteste und vielleicht auch einen neuen europaweiten Aktionstag geben soll.
aus:  express 5/2014
http://www.labournet.de/express/
Peter Nowak

IKEA schmeißt Arbeiter raus

Proteste in Norditalien

Piacenza. Im Arbeitskampf der italienischen Logistikarbeiter in Norditalien gab es in den letzten Tagen eine massive Verschärfung. In Piacenza wurden 26 Beschäftigte vom IKEA-Konzern entlassen, zuvor waren Streikposten zusammengeschlagen und verletzt worden. Seit 2011 kämpfen in Italien die meist marantischen Arbeiter der italienischen Logistikbranche für reguläre Arbeitsbedingungen. In mehreren großen Logistikunternehmen ist es den Streikenden gelungen, die Einhaltung der nationalen Standards zu erzwingen und sich gegen Vorarbeiter, Leiharbeitsfirmen sowie massiv auftretende Polizei durchzusetzen. Während die großen Gewerkschaften den Arbeitskampf weitgehend ignorierten, werden die Beschäftigten von Teilen der außerparlamentarischen Linken Italiens und der Basisgewerkschaft S.I. Cobas unterstützt. Nach den Entlassungen soll nun die internationale Unterstützung beginnen. In Berlin-Tempelhof ist für Mittwoch, den 25. Juni um 18 Uhr eine Solidaritätsaktion vor der IKEA-Filiale am Sachsendamm 47 geplant.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/936471.ikea-schmeisst-arbeiter-raus.html

Peter Nowak

Antifa macht mobil gegen rechten Verlag

Das Bündnis »Deutsche Stimme abschalten« ruft zu Aktionstag in Riesa auf

Unter dem Motto »Deutsche Stimme verstummen lassen« mobilisieren Antifaschisten für Samstag nach Riesa zum Sitz des Deutsche Stimme Verlages (DS-Verlag). Neben der gleichnamigen monatlich erscheinenden NPD-Parteizeitung gibt der DS-Verlag auch andere Publikationen für die rechte Szene heraus. Doch die Versandseite des Verlages ist zurzeit offline, weil die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften den DS-Onlinekatalog auf den Index gesetzt hat.

Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) hat den Aktionstag gemeinsam mit unabhängigen Antifagruppen organisiert. In dem Bündnis »Deutsche Stimme abschalten« sind neben dem DGB und verschiedenen Einzelgewerkschaften auch die Oppositionsparteien im sächsischen Landtag SPD, Grüne und LINKE vertreten.

Ein Sprecher der VVN-BdA betont, dass sich der Aktionstag nicht nur gegen die NPD-Zeitung sondern gegen die gesamte Infrastruktur der rechten Szene in Riesa richte, die über Sachsen hinaus von Bedeutung sei. In dem Domizil des Verlags haben die Landesgeschäftsstelle der NPD Sachsen, die Bundesgeschäftsstelle der Jungen Nationaldemokraten (JN) und die Geschäftsstelle des NPD-Kreisverbandes Meißen ihren Sitz.

Mittlerweile hat der DS-Geschäftsführer Peter Schreiber den Bundesgeschäftsführer der VVN-BdA, Thomas Willms, wegen übler Nachrede angezeigt, weil die NPD-Mitglieder auf Mobilisierungsmaterialien für den Aktionstag als Neonazis bezeichnet wurden.

Im Vorfeld der Demonstration erzielten die Antifaschisten einen juristischen Erfolg. Das Verwaltungsgericht Dresden genehmigte die Abschlusskundgebung der Demonstration in Hör- und Sichtweise des rechten Verlagsgebäudes und hob den Erlass des Riesaer Landratsamtes auf, der einen Abstand von einen Kilometer vorsah. Zum Abschluss soll dort auch die Punkband Feine Sahne Fischfilet spielen. Die Musiker aus Mecklenburg-Vorpommern sollten bereits im letzten Jahr beim Riesaer Stadtfest auftreten, wurden aber von den Veranstaltern ausgeladen. Nach massiver Hetze der NPD sei die Sicherheit nicht gewährleistet, lautete die Begründung, die bundesweit auf heftige Kritik stieß, weil sie als Einknicken vor den Rechten verstanden wurde.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/936652.antifa-macht-mobil-gegen-rechten-verlag.html

Peter Nowak

Ist Psychiatrie heute noch Folter?

Eine Einladung nach Berlin macht deutlich, wie unterschiedlich die Ansichten über die Psychiatrie heute noch sind

„Menschenrechte und Psychiatrie“ [1] lautete der Titel einer Expertentagung mit hochkarätiger Besetzung, die am Donnerstag in Berlin stattgefunden hat. Auf Einladung der Deutschen Gesellschaft fürPsychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde [2] sprach dort auch der UN-Beauftragte zu Fragen des Genozids und Folter, [3]Juan E. Méndez [4].

Er wurde bereits am Eingang Transparenten empfangen. „Willkommen in Berlin, Herr Méndez“ [5] lautete das Motto eines Bündnisses von Kritikern der aktuellen Psychiatrie in Deutschland. Sie machten auch deutlich [6], dass der Willkommensgruß nur dem UN-Beauftragten, nicht aber dessen Gastgeber galten.“Juan E. Méndez hatte eine ungewöhnliche Einladung erhalten: eine Organisation der Täter, die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie,
Psychosomatik und Nervenheilkunde, hatte ihn zum Vortrag über Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen in der Psychiatrie am 19.6.2014 nach Berlin eingeladen“, heißt es auf der Homepage der Psychiatriekritiker.

Folter in der Psychiatrie endlich abschaffen

Doch es sind nicht nur die Psychiatrieerfahrene und –betroffene, die auch die moderne Psychiatrie mit Folter in Verbindung bringen. So haben 9 Professoren, 4 Rechtsanwälte sowie ein ehemaliger BGH-Richter ein Bündnis gegen Folter in der Psychiatrie [7] gegründet, in dem sich inzwischen 20 Organisationen von Menschenrechtsaktivisten und Betroffene zusammengeschlossen haben.

Dieses Bündnis beruft sich nun ausdrücklich auf Juan E. Méndez. Er hat als Sonderberichterstatter über Folter des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte in der 22. Sitzung des „Human Rights Council“ am 1. Februar 2013 Zwangsbehandlung in der Psychiatrie zu Folter bzw. grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung erklärt [8]. Zudem forderte Méndez dort von allen Staaten, dass sie „ein absolutes Verbot aller medizinischen nicht einvernehmlichen bzw. Zwangsbehandlungen von Personen mit Behinderungen“ verhängen sollen. Darunter fällt für ihn ausdrücklich die Anwendung „nicht-einvernehmlicher Psychochirurgie, Elektroschocks und Verabreichung bewusstseinsverändernder Drogen, sowohl in lang- wie kurzfristiger Anwendung“.

Die Verpflichtung, erzwungene psychiatrische Behandlung wegen einer Behinderung zu beenden, ist „sofort zu verwirklichen und auch knappe finanzielle Ressourcen können keinen Aufschub der Umsetzung rechtfertigen“, mahnte Méndez. In diesem Sinne hat auch das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit öfter geurteilt [9].

Umdenken bei der Psychiatrie?

Die Aktivisten, die den UN-Beauftragten aber nicht dessen Gastgeber in Berlin begrüßten, fordern vom Gesetzgeber, dass endlich die Postulate von Méndez auch in Deutschland umgesetzt werden. „Gewaltfreie Psychiatrie jetzt“ lautete das Motto. Könnte nicht die Einladung des erklärten Folter-Gegners durch die führende Organisation der Deutschen Psychiatrie ein hoffnungsvolles Zeichen für ein Umdenken bei den Organisatoren sein?

Rene Talbot, der bei den Berliner Psychiatrie-Erfahrenen aktiv ist, ist davon nicht überzeugt. Er bezeichnet es als zynisch, dass die Tagung mit dem Titel „Menschenrechte und Psychiatrie“ auf der Méndez eingeladen war und auf der eine „ethische Positionierung der DGPPN“ vorbereitet werden soll, ausgerechnet von einem Präsidenten der DGPPN, Prof. Wolfgang Maier, eröffnet wird, der ein deutscher Erbhygieniker sei. „Die Erbhygiene umetikettiert als ‚psychiatrische Genetik‘, die Prof. Wolfgang Maier als Vorsitzender der Sektion „Genetics of Psychiatry“ bei der World Psychiatric Association vertrat, war die ideologische Grundlage, mit der Ärzte versuchten, ihr systematisches Gaskammer-Massenmorden ab 1939 in Deutschland zu rechtfertigen – das Mordsystem, das anschließend zum Massenmord an Juden, Roma, Sinti und Homosexuellen ins besetzte Polen exportiert wurde“, so Talbot.

http://www.heise.de/tp/news/Ist-Psychiatrie-heute-noch-Folter-2236185.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.zwangspsychiatrie.de/cms-67UN/wp-content/uploads/2014/06/Mendez-DGPPN.pdf

[2]

http://www.dgppn.de/

[3]

http://www.ohchr.org/en/issues/torture/srtorture/pages/srtortureindex.aspx

[4]

http://www.un.org/en/preventgenocide/adviser/juanmendes.shtml

[5]

http://www.zwangspsychiatrie.de/2014/06/willkommen-in-berlin-herr-mendez/

[6]

http://www.zwangspsychiatrie.de/cms-67UN/wp-content/uploads/2014/06/Mendez-DGPPN.pdf

[7]

http://www.folter-abschaffen.de/

[8]

http://www.ohchr.org/Documents/HRBodies/HRCouncil/RegularSession/Session22/A.HRC.22.53_English.pdf

[9]

http://www.zwangspsychiatrie.de/2013/01/nun-offensichtlich-psychiatrie-ist-nackte-gewalt/

Arm und sexy im Gemüsebeet

Die Verfechter der sogenannten Share-Ökonomie haben sich in Berlin getroffen. Ihre Vision von der Zukunft ist die Selbstverwaltung des Elends.

»Von der geteilten Stadt zur teilenden Stadt« – so lautete das Motto einer Veranstaltungsreihe, mit der zahlreiche Projekte, Initiativen, Sozialunternehmen und Startups die »Sharing Week« bewarben, die kürzlich in Berlin stattfand. Im zugehörigen Werbematerial fehlte es nicht an Floskeln, mit denen begründet werden sollte, warum gerade Berlin besonders geeignet sei, der sogenannten Share-Ökonomie zum Durchbruch zu verhelfen.

Warum die »einst geteilte Mauerstadt« der ideale Ort sein soll, um »eine ganz neue, ganz andere, durch und durch lustvolle Form des Teilens zu praktizieren«, bleibt allerdings das Geheimnis der Veranstalter der »Sharing Week«. Auch die These, dass »Besitzen, Konkurrieren und Trennen so etwas von gestern« seien und dass es heutzutage um den »gemeinschaftlichen Zugang zu Dingen, Wissen, Dienstleistungen, Autos, Bügeleisen, Küchengeräten, Computerdateien, Gärten« gehe, wird nicht begründet. Schließlich müssten die Autoren, wenn sie ihre Bekundungen ernst nähmen, über den Kapitalismus reden. Aber mit dem Bündnis für Share-Ökonomie kooperierende Unternehmer und Firmenbesitzer müssen nicht fürchten, dass ihr Eigentum an Produktionsmitteln in Frage gestellt wird. Genauso wenig wird erwähnt, dass Konkurrenz ein Wesensmerkmal des Kapitalismus ist.

Der als »Vordenker der Occupy-Bewegung in den USA« vorgestellte Kulturphilosoph Charles Eisenstein führt im Magazin der »Sharing Week« aus: »Linke kritisieren, dass die Share-Ökonomie die Besitzverhältnisse nicht verändert. Bei Airbnb etwa profitierst du von der Nutzungskontrolle über dein Apartment, es herrscht weiterhin Kapitalismus.« Eisenstein widerspricht dem nicht, betont aber, er glaube trotzdem, die Share-Ökonomie sei ein Schritt in eine gemeinschaftliche Lebensweise.

Wie diese gemeinschaftliche Lebensweise im Jahr 2022 aussehen könnte, haben sich die Kulturarbeiterinnen Cemilia Elle und Jaana Prüss am Beispiel Berlins ausgemalt. Die phantastische »Share-City« macht jedoch nicht den Eindruck, als beherberge sie eine emanzipatorische Gesellschaft. Da wird Joachim Gauck zum Vorsitzenden des Bundesausschusses für Teilhabe, Angela Merkel gärtnert begeistert bei der Kampagne »Pflücken erlaubt statt betreten verboten« im Regierungsviertel – gemeinsam mit der selbsternannten Glücksministerin Gina Schöler. Auch den Menschen, die nicht zu den Gutsituierten gehören, haben Elle und Prüss einen Platz in der »Share-City Berlin« zugewiesen: als fleißige Null-Euro-Jobber. »Wie wild pflanzen nun Freiwillige in den öffentlichen Parks und Grünanlagen Essbares wie Kräuter, Kirschen und Kürbisse«, schreiben die Kulturarbeiterinnen.

Dass diese Zukunftsvision nicht vollkommen unwirklich erscheint, liegt an den Folgen der Krise, die viele Menschen zu spüren bekommen. Wenn Löhne und Einkommen nicht mehr die Reproduktionskosten decken, wird eben Nahrung überall da angebaut, wo es noch möglich ist. In Griechenland und Spanien begeben sich Menschen aufs Land, um Essbares anzubauen. Andere legen Beete und Felder in städtischen Brachen an. In den deindustrialisierten Gegenden von Detroit weiden Ziegen, Getreide und Obst werden dort gezüchtet.

In Deutschland ist das Interesse an der Share-Ökonomie ebenfalls in Zeiten gewachsen, in denen auch die Mittelschicht von unsicheren Arbeits- und Lebensverhältnissen betroffen ist und der Niedriglohnsektor boomt. Wenn Menschen sich Sorgen machen müssen, wie sie das Geld für Essen und Miete aufbringen können, wächst das Interesse an der Subsistenz. Die »Sharing Week« und das Motto »Arm aber sexy«, das Klaus Wowereit der Stadt verordnet hat, gehören zusammen. Darüber findet sich in den Werbematerialien zur »Sharing Week« kein Wort. Stattdessen wird die Armuts- und Elendsökonomie mit schönen Worten und einer Prise Spiritualität zum neuen, angesagten Lebensstil erhoben.

http://jungle-world.com/artikel/2014/25/50076.html

Peter Nowak

Armenspeisung statt Erhöhung des Bafög

Peter Nowak über Studenten, die das Angebot der Essenstafeln annehmen müssen

Seit Jahren wächst in Deutschland die Zahl der Menschen, die das Angebot von Essenstafeln nutzen müssen, weil sie sonst mit ihren geringen Einkommen nicht über die Runden kommen. Längst sind auch junge Menschen davon betroffen. Der Vorsitzende des Bundesverbandes Deutsche Tafeln e.V., Jochen Brühl, wies vor kurzem darauf hin, dass im letzten Jahr die Zahl der Studierenden, die die Essenstafeln nutzen müssen, angewachsen ist. In einigen Medien wurde diese Meldung zwar kurz aufgegriffen, aber schnell wieder vergessen. Der mit dem Begriff Vertafelung der Gesellschaft bezeichnete Boom der Tafeln im letzten Jahrzehnt ist ein Zeichen dafür, dass hierzulande auf die Verteilung von nicht einklagbaren Almosen statt auf eine gesetzliche garantierte Sozialpolitik gesetzt wird.

Im Kontrast dazu steht das Verhalten der Bundesregierung, die sich dafür feiert, dass sie den Bildungsstandort Deutschland stärkt. Die Meldung über die wachsende Zahl von Studierenden, die auf die Armenspeisung angewiesen sind, wurde durch die Nachricht überdeckt, dass der Bund die vollen Kosten des Bafög übernehmen will. Das stieß auf Zustimmung. Studentische Initiativen wie der bundesweite Zusammenschluss fzs monierten lediglich, dass eine Reform der staatlichen Studienförderung wieder einmal verschoben wurde.

Dabei hätte ihnen die Meldung vom Bundesverband Deutscher Tafeln die Grundlage für die Kritik an einer Bildungspolitik liefern können, die vermehrt Studierende zum Gang zu den Essenstafeln zwingt. Aus studentischer Sicht wäre denn auch eine Bafög-Erhöhung weniger eine Stärkung des Bildungsstandorts Deutschlands, sondern ein Beitrag zum Kampf gegen studentische Armut.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/936595.armenspeisung-statt-erhoehung-des-bafoeg.html

Peter Nowak