Sondergesetze für Arme

Erwerbslosengruppen kündigen Kampagne gegen geplante weitere Verschärfung für Hartz IV-Empfänger an

Die bundesdeutsche Gesellschaft betont unentwegt, wie vorbildhaft sie sich gegen Neonazis und offene Rechte stellt und die Bild-Zeitung will dabei natürlich nicht hintanstehen. Allerdings werden oft genug die Parolen der Rechtsaußengruppierungen dort einfach übernommen, die für große Empörung gesorgt hätten, wenn sie in einer der Publikationen am rechten Rand erschienen wären.

So verwendeteBild Mitte Mai eine Schlagzeile bei der sich Rechtsaußenblätter wie die Nationalzeitung wahrscheinlich schon aus juristischen Gründen durch die Verwendung von Anführungszeichen abgesichert hätten. „Sozialschmarotzererklärt, warum ihm Hartz IV zusteht“ [1] wird dort der Sprachduktus aus dem LTI [2] gegen Michael Fielsch [3] gehetzt. Dieser erinnert mit seiner Installation „In Gedenken an die Opfer der Agenda 2010“ [4] an die Hartz IV-Empfänger, die wie die Rentnerin Rosemarie Fliess [5] nach einer Zwangsräumung starben oder die aus Angst vor einem Leben in Armut Selbstmord verübt haben. Für Bild führt die in ruhigem Ton vorgebrachte Erklärung von Fielsch, dass er eine solche Tätigkeit für sinnvoller als irgendwelche Maßnahmen des Jobcenters hält, zu dem menschenverachtenden Ausfall.

Im Duktus gemäßigter,im Inhalt ähnlich sozialchauvinistisch argumentiert die Autorin Rita Knobel-Ulrich, die Bücher mit den zynischen Titel „Reich durch Hartz IV“ verfasst und dafür in Bild, aber auch viel weiter rechts [6] viel Lob erfährt.

Widerspruch soll kostenpflichtig werden

Knobel-Ulrich fordert in Talkshows eine weitere Verschärfung für Hartz IV-Empfänger und geriert sich damit als Lautsprecher für entsprechende Bestrebungen in der Politik.

Unter dem unverfänglichen Titel „Rechtsvereinfachung im SGB II“ [7] hat eine vornehmlich aus wirtschaftsnahen Verbänden und Vertretern der Bundesagentur für Arbeit zusammengesetzte Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf mehr als 40 Seiten Maßnahmen aufgelistet, die Verschlechterungen für Hartz IV-Empfänger mit sich bringen. Erleichtert würde damit die Arbeit der Mitarbeiter von Jobcentern und Arbeitsagenturen, betont [8] Inge Hannemann, die wegen ihrer kritischen Haltung zu Sanktionen ihre Arbeit an einer Arbeitsagentur verlor.

24 der 120 Änderungsvorschlägen fanden am Mittwoch bei einem ersten „Fachgespräch“ im Bundestag bereits Anklang. Der Referent für Erwerbslosen- und Sozialrecht, Harald Thomé [9], rechnet damit, dass die Gesetzesnovelle im Herbst beschlossen wird und kommt aufgrund seiner Stellungnahme [10] zu dem Fazit [11], dass vielen Betroffenen mit der geplanten Novelle ein „Bewegen im rechtsfreien Raum“ droht. Beispielsweise könne das Amt überzahlte Beträge auch ohne Bescheid zurückfordern. Familienangehörige würden noch stärker als bisher für Rückforderungen haften. Rechtloser sollen auch Hartz-IV-Bezieher werden, denen das Jobcenter zu geringe Leistungen gezahlt hat. Komme die Arbeitsgruppe mit ihren Plänen durch, werde „eine Sonderrechtszone zementiert, die immer stärker vom einst gültigen Sozialrecht abweicht“. Thomé listet auch die wenigen Verbesserungen für Hartz IV-Empfänger durch die geplanten Reformen auf.

Vor allem die Bundesagentur für Arbeit drängt in diesem Zusammenhang auf schärfere Sanktionen für Langzeiterwerbslosen, die wiederholt Termine beim Jobcenter platzen lassen. Bislang werden die Leistungen in diesen Fällen um maximal 30 Prozent gekürzt, künftig sollen sie nach dem Willen der BA auch ganz gestrichen werden können. Auch die Möglichkeit, Bescheide der Jobcenter auf ihre Richtigkeit überprüfen zu lassen, soll eingeschränkt werden und mit Kosten verbunden sein. Das wäre für Erwerbslose eine gravierende Einschränkung, weil die Anzahl der Widersprüche gegen Bescheide vom Jobcenter seit der Einführung der Agenda 2010 massiv zugenommen hat und in vielen Fällen im Sinne der Betroffenen entschieden worden ist.

Im Herbst Proteste gegen Verschärfungen geplant

Auf einem bundesweiten Treffen haben sich ca. 60 Erwerbslosengruppen ab September Widerstand gegen die geplanten Verschärfungen angekündigt. In einer gemeinsamen Erklärung [12] prangern sie den „permanenten Rechtsbruch im Jobcenter“ an. „Im Jobcenter erleben die Erwerbslosen schon heuteständig Unrecht und durch die neuen Reformen soll es noch einmal verschärft werden“, begründet Martin Künkler von der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen [13] den neuerwachten Widerstandsgeist von manchen Erwerbslosenaktivisten

In den letzten Jahren hat es wenig kollektive Widerstandsformen gegeben. Dass es keine gesellschaftliche Reaktion darauf gibt, wenn die Bildzeeitung Erwerbslosenaktive als Sozialschmarotzer abqualifiziert, ist auch ein Symptom dafür, wie weit die Ideologie der Abwertung von einkommensarmen Menschen schon in der Gesellschaft verankert ist. Dafür ist allerdings die Zahl der Menschen gewachsen, die sich zu ihren Terminen am Amt haben begleiten [14] lassen. Es wird sich zeigen, ob die geplanten Verschärfungen tatsächlich zu einem neuen Aufschwung von Erwerbslosenprotesten führen.

http://www.heise.de/tp/news/Sondergesetze-fuer-Arme-2222112.html

Peter Nowak

[1]

[2]

[3]

[4]

[5]

[6]

[7]

[8]

[9]

[10]

[11]

[12]

13]

[14]