Erhitzte Gemüter

ÄRGER Hauseigentümer unterstellen Gentrifizierungsgegnern Brandstiftung

„Wir kämpfen dafür, in unseren Wohnungen bleiben zu können, und jetzt werden wir indirekt in die Nähe von Brandstiftern gerückt“, empört sich Klaus Weins, Mieter am Weichselplatz 8 in Neukölln. Er ärgert sich über ein Schreiben der Hauseigentümer an die MieterInnen. Es bringt einen Kellerbrand im Dezember mit Protesten gegen die Modernisierung des Gebäudes in Zusammenhang. Letztere gehen von MieterInnen aus, die sich zur „Initiative FuldaWeichsel“ zusammengeschlossen haben.

„Wir sind schon länger schockiert, mit welcher Vehemenz wir angegriffen und mit verkürzten und falschen Aussagen in ein übertrieben schlechtes Licht gerückt werden“, moniert die Grundstücksgemeinschaft Weichselplatz in dem Schreiben. Es sei nicht auszuschließen, dass die Brandstiftung einen „neuen Höhepunkt der Eskalation“ darstelle. Der Polizeisprecher Martin Dams bestätigte gegenüber der taz, dass das Feuer durch Brandstiftung verursacht worden sei. Für einen politischen Hintergrund gebe es aber keine Anhaltspunkte.

In einer Erklärung stellten AktivistInnen klar, dass Brandstiftung in einem Wohnhaus völlig indiskutabel sei. Die anonymen AutorInnen wehren sich auch dagegen, den Kellerbrand mit der Sabotageaktion gegen einen Fahrstuhl im September in Verbindung zu setzen. Dafür hatten unbekannte GentrifizierungskritikerInnen im Internet die Verantwortung übernommen. Inzwischen hat die Initiative FuldaWeichsel begonnen, Unterschriften gegen den Einbau einer Videokamera im Treppenhaus zu sammeln.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F01%2F31%2Fa0202&cHash=dc7ef58c118ad74c3ccc5aded854ae25

Peter Nowak

Mursi und seine Kritiker

Der Besuch des ägyptischen Präsidenten lenkt die Aufmerksamkeit auf die Menschenrechte. Doch nicht allen Kritiker geht es dabei um Demokratie

Nur wenige Stunden dauerte der Besuch des ägyptischen Präsidenten heute in Berlin. Die angespannte Lage im Land hat zu einer erheblichen Verkürzung beigetragen. Doch sie hat auch dazu beigetragen, dass der Besuch im Vorfeld mehr Aufmerksamkeit bekommen hat, als es sonst der Fall gewesen wäre. Dabei überwog in den meisten Medien die Frage, wie die Bundesregierung einen Staatsmann empfangen soll, der die Demokratie im eigenen Land zerstört und für den Tod zahlreicher Demonstranten verantwortlich ist.

Es ist durchaus selten, dass bei einem Besuch der zahlreichen Autokraten und Diktatoren dieser Welt in Deutschland die Menschenrechte in den jeweiligen Ländern eine solche Aufmerksamkeit von den deutschen Medien erfahren. Daher dürfte die Annahme nicht unberechtigt sein, dass nicht alle Proteste gegen Mursi der Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten geschuldet sind. Manche hätten bestimmt nicht protestiert, wenn statt Mursi Mubarak nach Berlin gekommen wäre. Dabei stammt der Repressionsapparat, der zurzeit auch gegen Demonstranten vorgeht, noch aus der Zeit des von den westlichen Staaten gehätschelten Mubarak-Regimes.

Repression von Mubarak übernommen

Eine Organisation, die auf jeden Fall auch gegen Mursis Vorgänger auf die Straße gegangen wäre, ist Amnesty International. Mit ihrer Überschrift „Ägypten: Sicherheitskräfte kommen weiterhin straflos davon“ macht die Menschenrechtsorganisation deutlich, dass die Repression in Ägypten nicht mit Mursi begonnen hat und dass ein Großteil der Sicherheitskräfte die Praxis des Mubarak-Regimes fortsetzt, die allerdings in Deutschland und vielen anderen westlichen Ländern wenig Kritik erfahren hatte.

Auch die Justiz, die in der letzten Woche Fußballfans zum Tode verurteilte und damit den neuen Zyklus von Widerstand und Repression in Ägypten auslöste, ist nicht erst von der neuen Regierung eingesetzt worden. Die meisten Juristen waren schon unter Mubarak im Amt und genau das hat auch der Kern der Widerstandsbewegung vom Tahirplatz immer kritisiert. Nur werden solche Tatsachen gerne unterschlagen, wenn suggeriert wird, dass die Repression in Ägypten eigentlich das Werk eines Präsidenten ist, der Ägypten islamisieren will. Es gibt allerdings auch einige Journalisten, die hier differenzierter berichten.

Es sollte konstatiert werden, dass es um Demokratie und Menschenrechte in Ägypten heute nicht viel besser bestellt ist als zu Zeiten Mubaraks. Es handelt sich also dabei weniger um eine spezifisch islamistische Repression. Vielmehr haben bisher sämtliche Machthaber in Ägypten die Demokratiebewegung sowie Gewerkschaften und soziale Bewegungen unterdrückt. Mursi ist hier also keine Ausnahme, sondern setzt die Tradition fort.

Christenverfolgung in Ägypten?

Eine wichtige Rolle bei den Protesten gegen den Mursi-Besuch spielte die angebliche spezielle Verfolgung von Christen in Ägypten. Vor allem koptische Christen prangern eine „gnadenlose Verfolgung von Christen“ an. Ähnlich argumentiert auch der in Deutschland lebende koptische Bischof Amba Damian. Kritiker werfen ihm vor, selbst eine besonders konservative Religionsauffassung zu haben: „So riet er auf einer Veranstaltung in München den Deutschen einmal, sie sollten ihr Erbe besser pflegen, ihre christlichen Überzeugungen stärker leben und mehr Kinder kriegen. Sonst sind sie irgendwann fremd im eigenen Land.“

So ist Amba Damian auch von radikalen Islamkritikern vereinnahmt wurden. Hier wird ein grundsätzliches Problem deutlich, wenn man besondere Rechte für Religionen fordert. Die Grundsätze, die die säkularen Grünen erst kürzlich in ihrer Gründungserklärung wieder deutlich machten, sollten auch universell gelten.

„Orientierungspunkt ist die freie Entfaltung der Persönlichkeit in sozialer und ökologischer Verantwortung, also individuelle Selbstbestimmung.“

Ein solcher Ansatz ist etwas diametral anderes, als ein Kampf um Rechte für eine bestimmte Religion. Eine untergeordnete Rolle bei den Protesten spielte eine Rede, die Mursi vor drei Jahren gehalten hat, als er noch nicht ahnen konnte, dass er einmal ägyptischer Präsident wird. Dort wettert er gegen Zionisten und vergleicht sie mit Blutsaugern und Kriegstreibern, „den Nachfahren von Affen und Schweinen“.

Wenn Mursi nun sagt, die Zitate seinen aus dem Zusammenhang gerissen worden, bestätigt er seine Kritiker. Denn in welchen Zusammenhang sind diese Sätze etwas anderes als antisemitische Hetze? Wenn er nun sagt, er sei Moslem und respektiere alle Religionen, bleibt er auch ganz in der Logik der Kämpfer für religiöse Rechte gefangen. Denn von Menschenrechten jenseits der Religion ist dabei nicht die Rede.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153648
Peter Nowak

Wenn die Kündigung in die Rehaklinik geschickt wird

Stress am Arbeitsplatz und Kündigung: „Wie misst man eigentlich die Arbeitsleistung eines Produktentwicklers?“

Stress am Arbeitsplatz ist mittlerweile ein Dauerthema. Nachdem vor zwei Wochen der DGB eine Studie zu diesem Thema vorgelegt hat, treffen sich heute in Berlin Vertreter aus Politik, Gewerkschaften, und Wirtschaft, um über Maßnahmen zu beraten. Der Medizinsoziologe Johannes Siegrist bringt die Zunahme von Stress am Arbeitsplatz auch mit der Globalisierung in Verbindung.

„Die Intensität der Arbeit hat sich in den vergangenen 20 Jahren in vielen Berufen gesteigert. Das Tempo, die Arbeitsmenge, die zu erledigen ist, und die Anforderungen an die Arbeit haben sich erhöht.“

Ein wichtiger Grund sei die zunehmende Konkurrenz in Zeiten der Globalisierung. Wobei die Konkurrenzsituation längst in allen Bereichen des Arbeitslebens Einzug gehalten hat. Günther Demin (Name auf Wunsch des Betroffenen verändert) kennt das Thema Stress am Arbeitsplatz allerdings nicht nur aus den Medien. Dem 48-jährigen Softwareentwickler eines mittelständischen Betriebs wurde im Dezember gekündigt. Jetzt kämpft er um seinen Arbeitsplatz.

Demin würde zu geringe Arbeitsleistung erbringen, so Begründung der Firma. Für ihn ist der Vorwurf nicht nachvollziehbar. „Wie misst man eigentlich die Arbeitsleistung eines Produktentwicklers?“, fragt er sich. Vor allem die Umstände der Kündigung machen ihn wütend. So sei mit ihm vor der Kündigung nicht gesprochen worden. Außerdem war er krankgeschrieben, als er die Kündigung erhalten hat. Dass es kein großer Beitrag zur Genesung ist, wenn man kurz vor Weihnachten in einer Rehaklinik die Kündigung erhält, kann sich jeder denken.

Klinikaufenthalt als Arbeitsverweigerung?

Zumal der Firmenleitung seine gesundheitlichen Probleme bekannt gewesen sein müssen. Denn Demin hat sich eigentlich vorbildlich verhalten, wenn man die Tipps und Ratschläge der medizinischen Fachleute zum Maßstab nimmt. Schon im Frühjahr letzten Jahres stellte er nach gesundheitlichen Problemen bei seiner Rentenversicherung einen Antrag auf eine stationäre Behandlung in einer Rehaklinik. „Neben der Sicherung meiner Gesundheit hatte auch der Erhalt meines Arbeitsplatzes für mich hohe Priorität“, erklärt Demin.

Deshalb bat er seinen Arbeitgeber um eine Arbeitszeitverkürzung, damit er die Anforderungen am Arbeitsplatz und die Wiederherstellung seiner Gesundheit miteinander verbinden kann. Der Arbeitgeber habe die Bitte aber abgelehnt, so Demin. Stattdessen erhielt er eine Abmahnung wegen Arbeitsverweigerung.

Dabei habe es sich klar um ein Missverständnis gehandelt, betont der Betroffene. Er habe seinen Arbeitgeber auf seinen beantragten, aber auch noch nicht bewilligten Klinikaufenthalt hinweisen wollen und gesagt, dass er möglicherweise krankheitsbedingt für einige Wochen nicht am Arbeitsplatz erscheinen könne. Die Abmahnung sei später zurückgenommen worden.

Demin zeigt im Gespräch mit Telepolis sogar Verständnis für seinen Chef. Vielleicht sei die Ankündigung ja tatsächlich missverständlich formuliert gewesen. Allerdings kann auch eine besondere Stresssituation entstehen, wenn Beschäftigte erfahren müssen, dass ein angekündigter Klinikaufenthalt als Arbeitsverweigerung sanktioniert wird. Könnten solche Maßnahmen nicht gerade dazu führen, dass Beschäftigte, statt sich um ihre Gesundheit zu kümmern, alles unternehmen, um ihren Arbeitsplatz zu erhalten und dann lieber Pillen schlucken, als sich krankschreiben zu lassen?

Normalität, die viele nicht wahrhaben wollen

Im Sommer 2012 bat Demin seinen Chef um eine Arbeitszeitverkürzung. Zuvor hatte er einen Nervenzusammenbruch erlitten, der mit einem zweiwöchigen Klinikaufenthalt verbunden war. Dieses Mal hatte er zur Untermauerung ein ärztliches Attest vorweisen können. „Meine damaligen Ärzte bescheinigten mir, dass eine kürzere Arbeitszeit für mich gesundheitlich dringend anzuraten ist“, betont Demin. Darauf habe ihm sein Arbeitgeber eine bis Ende 2012 befristete Arbeitszeitverkürzung genehmigt. Ab September 2012 habe er 32 statt bisher 40 Stunden in der Woche gearbeitet. Ab 31. Oktober habe die beantragte Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik begonnen, die Anfang Dezember noch einmal um drei Wochen verlängert worden sei. Während dieser Behandlung sei ihm die Kündigung zugeschickt worden.

Die Rehaklinik hat er Ende Dezember verlassen. Allerdings sei er noch bis zum 18.Februar 2013 arbeitsunfähig geschrieben, berichtet Demin gegenüber Telepolis. Für seinen Arbeitsplatz will er in dieser Zeit aber trotzdem kämpfen. Ein Gütetermin vor dem Stuttgarter Arbeitsgericht blieb am 29. Januar ohne Ergebnis. Jetzt will er sich auf den Arbeitsgerichtsprozess vorbereiten und dabei auch Gewerkschaften und soziale Initiativen informieren. Der Termin des Prozesses steht noch nicht fest. Von der Firma gab es bislang noch keine Stellungnahme zu den Vorwürfen.

Sie soll auf Wunsch des Betroffenen nicht namentlich genannt werden. Es ist auch nicht nötig, denn was Demin berichtet, ist gerade nicht ein besonders skandalöser Fall, sondern eher die Schilderung einer Normalität, die viele nicht wahrhaben wollen. Wenn sich jetzt auch Vertreter der Politik und Wirtschaft alarmiert zeigen, wird nicht selten auf die volkswirtschaftlichen Schäden verwiesen, die durch die gesundheitlichen Folgen von Stress am Arbeitsplatz entstehen. Der Fall Günther Demin macht aber deutlich, wie hoch die Kosten für den einzelnen Beschäftigten sind, über die auch in der aktuellen Debatte zu selten geredet wird.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153640
Peter Nowak

Konferenz der Unsichtbaren

Es gibt viele weibliche Flüchtlinge, doch bei Protesten sind sie kaum präsent – das soll sich ändern
Weibliche Asylbewerber leiden nicht nur unter der allgemeinen Diskriminierung von Flüchtlingen, sondern zudem unter sexistischer Behandlung – bei Ämtern, in Heimen und innerhalb der Flüchtlingsbewegung. Zum ersten Mal widmet sich nun eine Konferenz ausschließlich ihren spezifischen Problemen. Das soll Frauen ermutigen, sich stärker zu engagieren.

»Jede von uns trägt den Schmerz der Vergangenheit. Wir haben Armut, Elend, Krieg, politische Verfolgung, sexuelle Gewalt und Erniedrigung erlebt. Wir sind einen langen, beschwerlichen Weg gegangen und gemeinsam befinden wir uns hier in der Migration im Exil.« Mit diesen eindringlichen Worten beginnt der Aufruf für die erste Flüchtlingsfrauenkonferenz in Deutschland, die vom 19. bis 21. April in Hamburg stattfinden soll. Die Initiative steht im Kontext des wachsenden Widerstands von Flüchtlingen. 2012 gilt als Jahr ihres Aufbruchs, Höhepunkte waren ein Marsch von Würzburg nach Berlin, der Hungerstreik am Brandenburger Tor und die Errichtung eines Flüchtlingscamps im Bezirk Kreuzberg. Doch dieser Widerstand scheint männlich zu sein – Frauen sind dabei kaum sichtbar. Aus diesem Befund ist im vergangenen Jahr beim Flüchtlingssommercamp in Erfurt die Idee für die Konferenz entstanden.

»In den letzten Jahren ist uns aufgefallen, dass gerade in unserem selbstorganisierten Kampf die Beteiligung von Frauen sehr gering ist«, erklärt eine Aktivistin vom Vorbereitungskreis. Dabei sind Frauen nicht weniger von den Problemen betroffen. Die Residenzpflicht schränkt ihre Bewegungsfreiheit ein, sie müssen abgeschottet in Heimen leben, und immer wieder droht die Abschiebung. Im Gegensatz zu Männern sind sie aber zudem mit sexistischer Unterdrückung konfrontiert, nicht nur in ihrer Heimat, sondern auch hierzulande, auf Ämtern und in Heimen. »Frauen erfahren Ausgrenzung, Erniedrigung und Ausbeutung in ihrem Alltag besonders stark, deshalb haben sie kaum Kraft, sich am Widerstand zu beteiligen«, meint die Konferenzorganisatorin.

Der Erfahrungsaustausch soll deshalb auf der Konferenz viel Raum bekommen. Dabei werden Frauen nicht nur vom Kampf für ihre Rechte in ihren Herkunftsländern und von sexuellen Belästigungen bei Festnahmen berichten. Auch Übergriffe in deutschen Flüchtlingsunterkünften von männlichen Flüchtlingen und Mitarbeitern sollen zur Sprache kommen, genauso wie sexistische Einstellungen deutscher Behörden. Die Frauen wollen darüber hinaus beraten, wie sie mit sexistischem Verhalten innerhalb der Flüchtlingsstrukturen umgehen können. Zu Opfern wollen sie sich allerdings nicht stilisieren lassen, betont die Aktivistin des Vorbereitungskreises.

Sie hofft, dass die Konferenz Frauen ermutigt, sich in der Flüchtlingsbewegung stärker einzubringen. Deshalb wird im Rahmen der Veranstaltung auch das Internationale Flüchtlingstribunal vorbereitet, das im Juni in Berlin stattfinden soll. Dann wollen Flüchtlingsorganisationen Anklage gegen die deutsche Regierung erheben. Ihr wird zur Last gelegt, mitverantwortlich zu sein für die Fluchtursachen, die Toten an den europäischen Außengrenzen und »für das psychische und physische Leid, das Flüchtlinge und MigrantInnen hierzulande tagtäglich erleben«. Für die Flüchtlinge sind solche Aktivitäten ein finanzieller Kraftakt. Die Organisatorinnen der Frauenkonferenz haben daher ein Spendenkonto eingerichtet.

Spendenkonto: Förderverein Karawane, Kto-Nr. 40 30 780 800, GLS Gemeinschaftsbank, BLZ 430 609 67, Stichwort: Flüchtlingsfrauenkonferenz

http://www.neues-deutschland.de/artikel/811433.konferenz-der-unsichtbaren.html
Peter Nowak

Antifa goes Crowdfounding

Zivilgesellschaftliche Initiative sammelt Geld für Internetportal über rechte und rassistische Gewalt

Kann man im Netz Geld verdienen? Diese Frage stellen sich viele Medienarbeiter. Crowdfounding heißt seit einigen Jahren das Zauberwort. Kann das Netz auch zur Finanzierung zivilgesellschaftlicher Projekte beitragen, fragt sich das Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum . In den 80er Jahren als Rechercheinitiative von Antifaschisten für Antifaschisten gegründet, ist es mittlerweile eine wichtige Informationsquelle für alle, die sich mit der rechten Entwicklung in Deutschland befassen. Auch viele Journalisten nutzen die Rechercheergebnisse.

Längst sind die Zeiten vorbei, wo die Gründergeneration des Apabiz ihre Archivarbeit in Ordnern zusammenfasste. Die Möglichkeiten, die das Internet für Recherchearbeit bietet, zeigen sich an dem vom Apabiz erstellten NSU-Watchblog, der auf eine übersichtliche, schnelle Einarbeitung in die Thematik auch für Menschen ermöglicht, die nicht ständig die aktuellen Entwicklungen verfolgt haben. In dem Portal Berlin Rechtsaußen kann man sich schnell und präzise über rechte Begebenheiten rund um Berlin informieren.

Nach dem Vorbild von NSU-Watch und Berlin Rechtsaußen plant das Apabiz jetzt ein noch ambitionierteres Projekt, ein interaktives Informationsportal über die extreme Rechte in Deutschland. Die Startversion, die es im Netz zu sehen gibt, macht schon deutlich, welche Vorteile ein solches Mapping des Rechten Deutschland haben kann. Wo bisher in diversen Zeitungen wie wöchentlich in der Jungle World über aktuelle Vorkommnisse rassistischer und antisemitischer Gewalt berichtet wird, können in Zukunft Orte angeklickt werden. Treffpunkte der extremen Rechten sollen dort ebenfalls dokumentiert werden, wie die aktuell recherchierten rechten Vorhaben und Projekte. Auch die rechte Vergangenheit soll interaktiv abgerufen werden können.

Rechter Hotspot Nordrhein-Westfalen

Dass eine solche kartographische Darstellung einen genaueren Einblick in das rechte Treiben gibt, macht Apabiz-Mitarbeiter Felix Hansen an einen Beispiel deutlich. „Mit einer Karte, wie wir sie planen, kann man sich relativ einfach durch bestimmte Kategorien durchklicken und Schwerpunkte in bestimmten Regionen erkennen, in denen rechte Entwicklungen stattfinden.“

So kann man bei der Dokumentation rechter Morde feststellen, dass einer der Schwerpunkte das Bundesland Nordrhein-Westfalen ist. Ein solcher Schwerpunkt sei im öffentlichen Bewusstsein oft nicht vorhanden, denn dort werde meist nur Ostdeutschland als Zentrum rechter Gewalt wahrgenommen, so Hansen. Das liegt sicher auch an der medialen Berichterstattung, wo rechte Vorkommnisse in Ostdeutschland besonders in Mecklenburg-Vorpommern eher mit ausführlichen Reportagen und Fernsehbeiträgen bedacht werden, als wenn sie in einen alten Bundesland geschehen. Es ist natürlich auch bequemer, weil man dann die Verantwortung noch auf die Politik der ehemaligen DDR verlagern kann.

So war es auch bei den letztjährigen Gedenkveranstaltungen zum 20. Jahrestag der rassistischen Kundgebungen in Rostock-Lichtenhagen und [Hoyerswerda http://rassismus-toetet.de/?p=1497] schwieriger, auch Mannheim-Schönau mit in die Gedenkkultur aufzunehmen. Auch dort fanden vor 20 Jahren massive rassistische Ausschreitungen statt.

Im Internetportal kann die Geschichte und Gegenwart von Rassismus und extrem rechter Gewalt hingegen viel realistischer dargestellt werden, weil es eben um die Dokumentierung der Fakten und nicht um die mediale Aufarbeitung geht. Eine solche Dokumentation setzt aber eine besonders gründliche und arbeitsintensive Vorarbeit voraus. Schließlich müssen alle Meldungen aufwendig gegenrecherchiert werden.

Dafür aber wird Geld gebraucht. Deshalb hat das Apabiz unter dem Motto „Antifa goes Crowdfounding“ im Internet Geld für das neue Portal gesammelt. Die Zielmarke war klar: „Wenn bis zum 31. Januar nicht 5000 Euro zusammenkommen, wird es das Projekt nicht geben und die Spender bekommen ihr Geld zurück erstattet.“ Mittlerweile wurden allerdings schon mehr als 5500 Euro gesammelt. Doch das Apabiz will bis zum 31. Januar weiter um Gelder werben. „Wenn mehr Geld zusammenkommt, könnte man auch mehr Arbeit in das Projekt stecken“, so Hansen. Sollten sogar mehr als 8000 Euro zusammenkommen, würde ein Teil des Geldes in einem Fond zur Beobachtung des NSU-Prozesses fließen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153628
Peter Nowak

FAU gründet Mediensektion

MedienarbeiterInnen schließen sich zusammen

„Zu viel Stress, zu viel Arbeit, zu wenig Honorar, das sind meine Probleme.“ So begründete ein freier Radiojournalist am Samstag, warum er sich in der neuen Mediensektion der Berliner Freien ArbeiterInnen Union (FAU) engagiert. Rund 25 Personen waren im Büro der Basisgewerkschaft in Mitte zur Gründung versammelt: JournalistInnen, FotografInnen, Beschäftigte beim Fernsehen.

Gesprochen wurde über die Probleme, die Gewerkschaftsarbeit in der Branche erschweren. „Ich kenne meine KollegInnen nicht und weiß nicht, was sie verdienen. Wie sollen wir da gemeinsame Forderungen aufstellen?“, fragte eine freie Journalistin. Ein Verlagsmitarbeiter schilderte, wie schnell Interessenkonflikte unter Beschäftigten entstehen: „Wenn ich für ein Projekt ÜbersetzerInnen engagiere, sollen die möglichst kostengünstig sein. Damit drücke ich aber deren Lohn.“

Auch die Frage, wie ein solidarischer Umgang zwischen freien und festangestellten JournalistInnen möglich ist, wird das neue Syndikat beschäftigen. Eine Arbeitsgruppe soll Grundlagen für die weitere Strategie ausarbeiten. Andere wollen ein Register der Honorarsätze und Löhne erstellen – um das Tabu zu brechen, dass man in der Medienbranche über Honorare und Löhne nicht redet. Auch ein Internetforum, in dem sich die Beschäftigten über Probleme austauschen können, ist angedacht.

Ein Diskussionszirkel soll die Sektion aber nicht werden, betont der Berliner FAU-Sekretär Andreas Förster. „Das Ziel ist ein gewerkschaftlicher Anlaufpunkt für Verlags- und MedienarbeiterInnen, die sich selber vertreten wollen.“ Die FAU lege auf basisdemokratische Entscheidungsprozesse Wert.
Nächstes Treffen: 31. Januar, 19 Uhr im FAU-Lokal, Lottumstr. 11

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F01%2F28%2Fa0143&cHash=0c046c3e418b76680a14e328c185635c
Peter Nowak

Bekennender Deutschnationaler


Rechtslastiger Wissenschaftler bewirbt sich um Professur an der Technischen Universität Berlin.

Zahlreiche Studierende besuchten am vergangenen Donnerstag den Vorstellungsvortag von Reinhard Kienberger an der Technischen Universität Berlin (TU), wo er sich um eine Physik-Professur beworben hat. Die meisten Anwesenden interessierte allerdings mehr die politische Vita Kienbergers, der seit 1990 Mitglied der „Akademischen Burschenschaft Österreichischer Germanen Wien“ ist und zeitweise deren Sprecher war. Die „Germanen Wien“ gehören innerhalb der Deutschen Burschenschaft der ultrarechten Burschenschaftlichen Gemeinschaft an.

Während der Antrittsvorlesung berief sich Kienberger auf die Trennung von Wissenschaft und Politik, bekräftigte aber sein Bekenntnis zum Deutschnationalismus. In einem Interview mit dem Salzburger Magazin „Echo“ wurde Kienberger 2009 deutlicher. „Ich möchte als erstes feststellen, dass ich deutschnational bin … aber eben alles andere als rechtsradikal oder rechtsextrem“, betonte er. Seine Ablehnung des Nationalsozialismus begründet er so: „Ich als nationaler Mensch lehne ihn aber auch deswegen ab, weil der Nationalsozialismus eben nicht national war.“

„Von Linksextremisten gegründete Privat-Stasi“

In dem „Echo“-Interview verteidigt Kienberger auch seinen Burschenschaftsbruder Gerhard Pendl, der wegen einer Rede am Grab des bekennenden Nationalsozialisten Walter Nowotny sogar von der ÖVP-FPÖ-Regierung aus dem Universitätsrat entlassen worden war, was Kienberger „eine vollkommen falsche Entscheidung“ nennt. Das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) in Wien, das sich das Gedenken an die Opfer des NS-Regimes widmet, bezeichnet Kienberger als „eine von Linksextremisten gegründete Privat-Stasi“.

Der Allgemeine Studentenausschuss der Technischen Universität Berlin ruft die Hochschulgremien auf, sich gegen eine Berufung von Reinhard Kienberger zu entscheiden.
Blick nach Rechts
http://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/bekennender-deutschnationaler

Peter Nowak

Der unbekannte Reaktor am Rande Berlins

Berliner Oberverwaltungsgericht hält Flugrouten über Forschungsreaktor für zu gefährlich und bestätigt damit eine Initiative, die sich für dessen Schließung einsetzt

Schon wieder sorgt der zukünftige Berliner Flughafen für Schlagzeilen. Dieses Mal geht es aber nicht um Baumängel, sondern um die Flugrouten. Die müssen nach einem Urteil des Berliner Oberverwaltungsgericht geändert werden. Grund ist der Forschungsreaktor BER II auf dem Gelände des Helmholtz-Zentrums. Die Richter schreiben dazu:

„Der 11. Senat ist der Auffassung, dass die streitgegenständliche Festsetzung der Flugroute rechtswidrig ist und die Kläger in ihren abwägungserheblichen Belangen (Gesundheit, Planungshoheit) verletzt. … Das Risiko eines Flugunfalls und eines terroristischen Anschlags auf den Luftverkehr und der dadurch ausgelösten Freisetzung ionisierender Strahlung des Forschungsreaktors wurde nicht hinreichend in den Blick genommen. Eine solche fallspezifische Risikoermittlung wäre notwendige Grundlage einer Abwägung gewesen. Die Risikoermittlung war auch deshalb geboten, weil die Risikobetrachtungen für den Reaktor in Bezug auf den Flugverkehr veraltet waren und die Beklagte darauf durch die Atomaufsichtsbehörde hingewiesen wurde.“

Dieses Mal wurde allerdings nicht die Flughafengesellschaft, sondern das dem Bundesverkehrsministerium unterstehende Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung vom Gericht gerügt. In einer kurzen Mitteilung zum Urteil wird darauf hingewiesen, dass Revision gegen das Urteil zugelassen ist und das Amt die weiteren Schritte noch prüfe. Das Bundesamt könnte in Revision gehen, eine andere Flugroute wählen oder die vom Gericht angemahnte Risikoberechnung nachreichen. Sollte es dann aber bei der bisherigen Route bleiben, werden garantiert neue Klagen folgen.


Neustart beim Flughafen oder Schließung des Reaktors?

Das jüngste Urteil bestärkt Gegner des bisherigen Flughafen, die für eine komplette Neuplanung eintreten. So fordert eine Initiative „die Forcierung, Bekanntmachung und Durchsetzung eines sachgerechten Nachnutzungskonzepts für den BER und damit verbunden die Forderung zum unverzüglichen Beginn einer Neuplanung eines privat finanzierten und zu betreibenden Großflughafens an einem Standort, der raumverträglich ist, die gesellschaftliche Akzeptanz hat und gleichzeitig den Forderungen der Flugbetriebswirtschaft nach einem europäisch wettbewerbsfähigen Zukunftsflughafen ohne Flugbeschränkungen entspricht“.

Allerdings käme für die Frage der Flugrouten auch eine ganz andere Lösung in Betracht. Das Anti-Atomplenum Berlin-Brandenburg fordert seit Längerem die Schließung des Forschungsreaktors. Es bezeichnet ihn als Deutschlands gefährlichsten Reaktor.

Dabei stützt es sich auf eine auch Stresstest genannte Sicherheitsüberprüfung der Reaktorsicherheitskommission von 2012. Hauke Benner vom Bündnis für die Schließung des Reaktors sieht nach der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Handlungsbedarf. Gegenüber Telepolis erklärt sie:

„Täglich überfliegen schon jetzt bis zu 100 Flugzeuge den Reaktor, der auch nach dem Bericht der Reaktorsicherheitskommission vom Mai 2012 wegen seiner fehlenden Reaktorsicherheitshülle (Containment) hochgradig gefährlich ist. Für einen Weiterbetrieb ist nach Ansicht der RSK dieses Containment unbedingt erforderlich, denn das berühmt berüchtigte „Restrisiko“ ist im Falle eines Flugzeugabsturzes nicht kalkulierbar oder mit irgendwelchen Wahrscheinlichkeitsrechnungen bagatellisierbar. Deshalb ist die Forderung nach sofortiger Abschaltung im Interesse der Bevölkerung von Berlin und Potsdam überfällig.“

Mit dem Urteil ist der weitgehend unbekannte Forschungsreaktor am Rande Berlins in den Fokus der Diskussion gerückt. Selbst zu Hochzeiten der Anti-AKW-Bewegung setzte sich nur ein kleiner Kreis kritisch mit dem Betrieb des Reaktor auseinander.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153615
Peter Nowak

NS-Geschichte in Dokumenten

Eine Trilogie erinnert an die braune Zeit in Berlin – ein Beitrag zum Themenjahr „Zerstörte Vielfalt“ mit dem 2013 an mehrere Jahrestage des Nazi-Terrors erinnert wird.

„Wer die Vergangenheit verstehen will, muss die zeitgenössischen Quellen im Original lesen. Nur so lässt sich direkt nachvollziehen, wie die Situation im jeweiligen Moment einer Entscheidung wahrnehmbar war, wie die Beteiligten die Situation subjektiv verstanden und mitgestalteten.“ Diese Sätze schrieb der Historiker Sven Felix Kellerhoff in der Einleitung des im Berlin Story Verlag erschienen Dokumentenbands „Das braune Berlin“.

„NS-Geschichte in Dokumenten“ weiterlesen

Kein Ende der Recherche

ENGAGEMENT Die Dokumentationsstelle der Antirassistischen Initiative Berlin kann doch weiterarbeiten: Ihr Hilferuf nach Unterstützung wurde gehört

Die Dokumentationsstelle der Antirassistischen Initiative Berlin (ARI) kann ihre Arbeit fortsetzen. Seit 20 Jahren gibt der Verein die Dokumentation „Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen“ heraus. Noch vor wenigen Wochen schien das Projekt in Gefahr, weil ehrenamtliche Mitwirkende fehlten.

„Wir sind jetzt wirklich sehr auf Unterstützung dieser wichtigen Arbeit angewiesen, sonst müssten wir aufhören“, hatte die ARI in einem offenen Brief formuliert. „In der letzten Zeit haben wir die Dokumentation ehrenamtlich zu zweit erstellt. Diese Arbeit können wir auf keinen Fall mehr mit so wenig Personal leisten“, erklärt Elke Schmidt von der ARI den Grund für den Hilferuf – der gehört wurde: Es habe viel Zuspruch gegeben und einige Menschen haben ihre Mitarbeit angeboten, sagte Schmidt gegenüber der taz.

Zurzeit berate man mit den InteressentInnen über die konkrete Ausgestaltung der Kooperation. Begonnen hat Schmidt mit einer Mitstreiterin das Dokumentationsprojekt im Jahr 1994, nachdem sich der Onkel eines verschwundenen tamilischen Flüchtlings an die ARI gewandt hatte. Bei der Recherche stellte sich heraus, dass der Mann mit acht weiteren Flüchtlingen beim Grenzübertritt in der Neiße ertrunken war. Zusammen mit einem Filmteam machte die ARI den Fall öffentlich.

Seitdem sammelt das kleine Dokuteam Nachrichten über Todesfälle, Misshandlungen und Gewalt im Zusammenhang mit der deutschen Flüchtlingspolitik. Über 370 tote Flüchtlinge allein durch staatliche Maßnahmen hat die ARI bisher gezählt. Zurzeit werden die aktuellen Fälle von Gewalt für die demnächst erscheinende Dokumentation recherchiert. Dass sich der Kreis verbreitert, beruhigt nicht nur Elke Schmidt. Die deutschlandweit einzigartige Arbeit erfährt seit Jahren Lob und Anerkennung von AntirassistInnen, Medien und Flüchtlingsorganisationen.
Wer die Arbeit unterstützen will, kann sich bei ari-berlin-dok@gmx.de melden.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F01%2F25%2Fa0153&cHash=2c0dc081945dabe0e2d3b02f6cd1c731
Peter Nowak

Anwohner wollen mitbestimmen

Ein Bauprojekt im Friedrichshainer Südkiez sorgt für massiven Unmut

Bis auf den letzten Platz war der Pavillon im Innenhof der Schule am Traveplatz in Friedrichshain besetzt. Eltern mit ihren Kindern waren ebenso vertreten wie Rentner und Jugendliche und bildeten so einen Querschnitt der Bewohner im südlichen Teil von Friedrichshain. Sie wollten sich über ein Bauprojekt informieren, das seit Wochen für Diskussionen sorgt. 550 Wohnungen sollen auf dem 26 000 Quadratmeter großen Gelände der ehemaligen Autozubehörfabrik Freudenberg zwischen Boxhagener Straße und Weserstraße gebaut werden.

Gleich zu Beginn der Informationsveranstaltung in der vergangenen Woche wurden die unterschiedlichen Meinungen zu dem Projekt deutlich. Der Geschäftsführer der Bauwert Investment Gruppe Jürgen Leibfried, der für das Projekt verantwortlich ist, lobte die gute Kooperation zwischen Bewohnern, dem Bezirk und dem Investor. Zudem sei es Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) zu verdanken, dass auf dem neuen Areal neben Wohnungen im oberen Preissegment auch Sozialwohnungen für Mieter mit geringen Einkommen geplant werden. Zudem überlasse der Investor dem Bezirk Bauland für eine Kita.

Leibfried verwies weiterhin darauf, dass seine Firma mit der Abtragung von giftigem Boden auf dem Gelände, das noch eine ökologische Altlast der Vorwendezeit gewesen sei, in Vorleistung gegangen sei. Nicht nur im Lob über das gelungene Konzept waren sich Investor und Bürgermeister einig. Beide begründeten das Bauvorhaben mit dem Bevölkerungszuzug in Berlin. Allein im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg würden in den nächsten Jahren Tausende weitere Wohnungen benötigt.

Ein Großteil der Bewohner blieb skeptisch und mochte in das Selbstlob von Politik und Investor nicht mit einstimmen. Die Gründe waren höchst unterschiedlich. Einige Eltern im Saal bezeichneten die Schulsituation im Friedrichshainer Südkiez als katastrophal und befürchteten eine weitere Verschärfung durch den Wohnungsneubau.

Wie groß das Misstrauen ist, zeigte sich an einer Kontroverse um die Einladungen zu dem Treffen, die einige Nachbarn nicht erhalten hatten. Schließlich stellte sich heraus, dass die versandten Briefe vielleicht deshalb nicht überall ankamen, weil sie als Werbesendung deklariert nicht überall gesteckt werden durften. Einige Bewohner hinterfragten grundsätzlich, warum die letzte große Freifläche im Bezirk von einem Großinvestor bebaut werden soll.

Zu den Kritikern gehört auch der Architekt Carsten Joost, der gemeinsam mit der Nachbarschaftsinitiative die Ideenwerkstatt Traveplatz Freudenbergareal gegründet hat. Die Initiative verteilte auf der Veranstaltung einen Brief, der einen sehr kritischen Blick auf die bisherige Planung des Areals wirft. Es sei unverständlich, dass das Vorhaben schon im Vorfeld gefeiert werde, meinte Joost. Er befürchtet, dass sich das Projekt zu einer Geldmaschine für den Investor entwickelt. Dass die Kritik von vielen Anwesenden geteilt werde, zeigte der Applaus, den Joost und andere an der Ideenwerkstatt Beteiligte bekamen. Ob sie sich mit ihrer Forderung durchsetzen können, die gesamte Planung zu dem Areal auf den Prüfstand zu stellen, bleibt offen. Allerdings hat auch Bürgermeister Schulz mehrmals betont, dass man mit der Planung noch ganz am Anfang stehe und in dem Stadtteil die Realisierung eines solchen Projekts in der Regel 18 Monate benötige.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/810980.anwohner-wollen-mitbestimmen.html

Peter Nowak

Der Trend ist gegen die Linkspartei

Nach dem Debakel in der Niedersachsenwahl nimmt die Partei Kurs auf ein Bündnis mit SPD und Grünen – warum aber nicht mit den Piraten?

Ist es ein Erfolg oder eher Menetekel? Die Linkspartei wird nicht mehr insgesamt vom Verfassungsschutz beobachtet, lediglich einige von den Behörden als „extremistisch“ eingestufte Gruppierungen genießen dieses Privileg. Dass sich führende Spitzenpolitiker dagegen verwahren, ist nicht nur verständlich, sondern auch politisch klug. Ansonsten würden sie den Verdacht nicht los, dass sie eigentlich diese inkriminierten Gruppierungen gerne selber los werden wollten. Nein, so weit ist es zumindest in der Öffentlichkeit noch nicht.

Selbst als ein beim Parteivorstand der Linken beschäftigter Antifaschist in der letzten Woche wegen seinen Engagements gegen den Naziaufmarsch in Dresden zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt wurde, obwohl ihn niemand beschuldigte, auch nur einen Stein geworfen zu haben, sondern er nur mit dem Megaphon zum Widerstand gegen die Rechten aufgerufen hatte, gab es öffentlich keine Distanzierungen. Ob es dabei bleibt, muss sich zeigen. Denn der Trend steht gegen die Linkspartei.

Das zeigt sich bei der Niedersachsenwahl. Dort wurde die Partei so lange unter die Fünfprozenthürde geschrieben, dass das von der Mehrheit der Presse gewollte Ereignis auch eintrat. Denn die Botschaft ist klar. Einer Partei, der nicht mehr der Einzug ins Parlament zugetraut wird, verliert an Zustimmung, weil viele Wähler noch die Logik von den verlorenen Stimmen verinnerlicht haben. Deshalb gibt es selbst bei Journalisten, die nicht als Freunde der Linkspartei gelten, den Aufruf, die Fünfprozentklausel fallen zu lassen.

Doch die Probleme der Linken wären damit nicht gelöst. In Niedersachsen hat sie ebenso wie in NRW wenige gravierende Fehler gemacht. Sie hat in beiden Bundesländern als linkssozialdemokratische Partei agiert, die sich, wenn es die Mehrheitsverhältnisse erlauben, als Teil der ominösen rot-grünen Mehrheit versteht. Bemerkenswert war, dass auch Sarah Wagenknecht diese Linie nicht nur verbal unterstützte. Sie war von manchen schon als Wirtschaftsministerin in einem von der Linken unterstützten rotgrünen Kabinett gehandelt worden. Dabei galt die bundesweit bekannte Linkspolitikerin Wagenknecht lange als vehementer Kritikerin solcher rosa-grünen Mehrheitsbeschaffungsspiele. Ihr Positionswechsel, den sie selber natürlich nicht als solchen sehen will, ist kein persönliches Problem. Bei den Grünen konnten wir zwischen 1984 und 1990 sehen, wie ehemalige Gegner einer Koalition mit der SPD entweder ausgetreten sind oder die Position wechselten. Heute sind sie schon fast am linken Flügel gegenüber den Befürwortern eines Bündnisses mit der Union.

Um solche Mechanismen zu erklären, helfen keine individuellen Schuldzuweisungen, sondern die Lektüre von Johannes Agnolis wichtiger Schrift „Transformation der Demokratie“, die als Grundlage einer linken Parlamentskritik gelten kann. Dann wird aber auch deutlich, dass die Linke nicht unbedingt mehr Stimmen gewonnen hätte, wenn sie stärker ihren unbedingten Oppositionskurs herausgestellt hätte. Die meisten Wähler haben die Münteferingsche Logik, dass Opposition Mist ist, verinnerlicht, obwohl beispielsweise die meisten Atomkraftwerke in der BRD nicht von den Grünen an der Regierung, sondern von einer bunten außerparlamentarischen Anti-AKW-Bewegung verhindert worden sind.

Gysi und die 7 Zwerge – oder die Sehnsucht nach dem starken Mann?

Gerade das grünennahe Milieu, das der Linkspartei übel nimmt, sich neben den Grünen als eigene reformistische Partei behaupten zu wollen, hat jahrelang vor dem Fundamentalismus der Partei gewarnt. Dass man ihr das in Niedersachsen nun wirklich nicht vorwerfen kann, hat keinen der Kommentatoren dazu bewegt, über die eigene Kritik nachzudenken. Im Gegenteil wird die Linke jetzt noch mehr runter geschrieben.

Stein des Anstoßes ist nun die Präsentation des Spitzenteams für die kommenden Bundestagswahlen. Die gleichen Journalisten, die sich ereiferten, dass die Partei von alten Männern wie Lafontaine und Gysi geprägt war, machen sich jetzt darüber lustig, dass die Partei in einem achtköpfigen Team antritt. Was eigentlich als große Modernisierung einer Partei gilt, die noch vor einem Jahr stark von dem Streit zwischen Lafontaine und Gysi geprägt war, zumal das Team auch noch quotiert ist, wird nun ausgerechnet in der Taz in einer Weise desavouiert, die man einem Lafontaine mit Recht nicht hätte durchgehen lassen. Vom Wimmelbild ist da die Rede oder von Gysi und den sieben Zwergen? Um Inhalte geht es nicht und die Kommentare machen deutlich, dass die Kritik an der Macht eines Gysis oder Lafontaines nicht ernst gemeint war.

Auch jetzt fehlt eine inhaltliche Kritik an dem linken Motto „8 Köpfe für den Politikwechsel“. Natürlich wird hier aktiv Kurs auf ein Bündnis mit SPD und Grünen genommen. Dass deren Ablehnung eines solchen Bündnisses von den umworbenen Partnern nicht nur taktisch begründet ist, wird von der Linkspartei freilich ausgeblendet. Wieso linke Positionen ausgerechnet mit dem SPD-Rechten Steinbrück durchsetzbar sein sollen, bleibt ebenso unbeantwortet wie die Frage, wie die Ablehnung aller Kriegseinsätze mit einer grünen Partei durchgesetzt werden soll, die beim Libyen-Konflikt als Speerspitze des Menschenrechtsbellizismus auftrat?

Zudem hat die Linke mit dem Motto implizit auch den Anspruch aufgegeben, als konsequente Opposition aufzutreten, die dazu keine Mitregierungsoptionen brauchen. Je näher die Bundestagswahl rückt und je mehr ein Bündnis zwischen SPD und Grünen möglich erscheint, desto schwieriger wird es die Linke haben, sich als eigenständige Partei profilieren zu können.


Warum kein Wahlbündnis Piraten-Linkspartei?

In vielen Medien ist der Wunsch groß, die Linkspartei möglichst nahe an oder sogar unter die Fünfprozenthürde zu schreiben. Umso erstaunlicher ist, dass nicht über ein Wahlbündnis zwischen Piraten und der Linken diskutiert wird. Dabei hätten sie es in Niedersachsen gemeinsam knapp in den Landtag geschafft. Auch die Inhalte sind recht ähnlich. Beide sind Reformparteien, die den Kapitalismus etwas verbessern wollten. Dabei haben die Piraten ihren Schwerpunkt im Bereich Internet und Transparenz und die Linken im Sozialen. In beiden Bereichen gibt es kaum grundsätzliche Unterschiede.

Dass eine Piratenkandidatin für den niedersächsischen Landtag sogar den Linken einen Twitteraccount zur Verfügung stellte, zeigt, dass es hier auch personell keine unüberwindlichen Hindernisse für eine Kooperation gibt. Warum dann nicht beide, die vom Standpunkt beider Parteien einzig vernünftigen Konsequenzen ziehen und eine rechtlich nicht einfache, aber machbare Wahlallianz schmieden, bleibt erklärungsbedürftig.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153604
Peter Nowak

Wer ist verantwortlich?

Ulrich Müller ist Mitglied des Geschäftsführenden Vorstands der Organisation LobbyControl

nd: Der CDU-Abgeordnete Michael Fuchs sorgt seit einigen Tagen wegen seiner Nebentätigkeiten für Aufsehen. Ist er nur besonders ungeschickt vorgegangen oder ist es so, dass Nebentätigkeiten von Politikern generell kritischer gesehen in der Öffentlichkeit gesehen werden?
U.M.: Im Fall von Michael Fuchs sind es zwei Aspekte, die für eine gewisse Öffentlichkeit gesorgt haben. Zum einen hat er als Abgeordneter Reden bei der Firma Hakluyt & Company gehalten, die als Privatnachrichtendienst für Unternehmen strategische Informationen sammelt. Zum Anderen stand diese Tätigkeit vier Jahre unter einem falschen Firmennamen auf der Bundestagswebseite. Dort war die gemeinnützige Hakluyt Society aufgeführt.
2.) Ist dafür Fuchs oder die Bundestagsverwaltung verantwortlich?
U.M. :Beide Seiten haben Fehler gemacht. Der Ausgang der falschen Angaben liegt in einer unvollständigen Meldung von Fuchs 2008, der eine nichtexistierende Hakluyt London angab. Es lässt sich nicht mehr klären, wie daraus die Halkluyt Society auf der Bundestagshomepage wurde. 2009 gab Fuchs „Hakluyt & Co“ an, da hätte die Bundestagsverwaltung den Fehler bemerken und korrigieren müssen.

3.) Aber können mit beiden Firmennamen nicht nur Insider etwas anfangen?

U.M.: LobbyControl hatte schon länger den Verdacht, dass Fuchs seine Tätigkeiten bei dem Privatnachrichtendienst und nicht dem gemeinnützigen Verein hielt, konnte es aber nicht beweisen. Daher hat die falsche Zuordnung verhindert, dass schon früher kritische Fragen zu dieser Nebentätigkeit von Fuchs gestellt werden. Schließlich war Hakluyt & Company im Jahr 2000 auch in Deutschland in die Schlagzeilen geraten, nachdem bekannt geworden war, dass die Firma im Auftrag der Konzerne Shell und BP den deutschen Spitzel Manfred Schlickenrieder, der sich als linker Filmemacher ausgab, bei Umweltorganisationen einschleuste.

4.) Welchen Anteil hatte das Internet bei der Richtigstellung der Nebentätigkeiten von Fuchs?
U.M.: Die Kollegen von Abgeordnetenwatch hatten bei der Halkluyt Society angefragt und erfahren, dass Fuchs dort nie geredet hat. Dass Internet hatte dann bei der Verbreitung dieser Informationen eine wichtige Rolle gespielt.


5.) Wie bewerten Sie die Rolle der anderen Medien?

U.M.: Von den Medien im Printbereich hätten wir eine stärkere Thematisierung des Falls erwartet. Besonders ist aufgefallen, dass die Lokalmedien aus dem Wahlkreis von Fuchs sehr unkritisch berichtet haben.

5.) Wie war die Kooperation zwischen LobbyControl und Abgeordnetenwatch im Fall Fuchs
?
U.M.: Es gab schon vorher fallweise eine Zusammenarbeit. Wir haben ja unterschiedliche, aber überlappende Ziele. Während Abgeordnetenwatch sich der Transparenz im Bundestag widmet, geht es bei LobbyControl um die Recherche über Lobbyarbeit in allen Bereichen. Im Fall von Fuchs wurde die Kooperation mit Abgeordnetenwatch enger, nachdem der Abgeordnete mit juristischen Mitteln vorging.

6.) Sehen Sie als Konsequenz einen gesetzlichen Handlungsbedarf?
U.M.: Wir forderten schon im Fall von Peer Steinbrück, dass bei Vorträgen von Politikern die eigentlichen Auftraggeber mit genannt werden müssen. Darüber wird noch im Bundestag diskutiert. Außerdem brauchen wir eine bessere Kontrolle der Angaben von Abgeordneten.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/810804.wer-ist-verantwortlich.html
Interview: Peter Nowak

Mehrheit der Österreicher für Beibehaltung der Wehrpflicht

Es ging dabei auch um die Stellung, die Österreich im Rahmen der EU übernehmen soll. Das Votum fiel auch zugunsten des Zivildienstes aus

Am Sonntag waren 6,3 Millionen in Österreich Wahlberechtigte aufgerufen, über die Frage abzustimmen, ob sie für die Beibehaltung oder Abschaffung der Wehrpflicht sind. Diese Frage haben 59,8 Prozent der Menschen, die sich an der Abstimmung beteiligten, mit Ja beantwortet.

Nur 40,2 Prozent sprachen sich für die Einführung einer Berufsarmee und eines freiwilligen Sozialen Jahrs aus. Mit knapp 50 Prozent lag die Beteiligung niedriger als erwartet. Obwohl die Abstimmung nicht bindend ist, hat die österreichische Regierung, eine große Koalition aus SPÖ und ÖVP, schon im Vorfeld angekündigt, das Ergebnis der Abstimmung umzusetzen. Das heißt, es bleibt wie bisher beim Bundesheer. Zudem sollen Reformen innerhalb der Armee durchgesetzt werden.

Keine Frage von Krieg und Frieden

Kritiker sprechen von einer bizarren Volksabstimmung. Tatsächlich haben sich im Vorfeld der Debatte die Positionen zur Frage für oder gegen die Wehrpflicht verändert. Die konservative ÖVP und die rechtspopulistische FPÖ freuten sich ebenso über das Ergebnis, wie der Generalstab und die Offiziersgesellschaft. Sie hatten den Status Quo verteidigt und für die Beibehaltung der Wehrpflicht geworben.

Die sozialdemokratische SPÖ und die österreichischen Grünen hatten für eine Abschaffung der Wehrpflicht geworden. Dabei waren die Positionen in dieser Frage jahrelang konträr. Das rechte Lager setzte sich über viele Jahre für ein Berufsheer ein, während die Sozialdemokratie die Wehrpflicht als historischen Fortschritt verteidigte. Das hat Gründe, die in die österreichische Geschichte zurückreichen. So hat 1934 ein Berufsheer die austrofaschistische Diktatur gegen die schon längst nicht mehr demokratische Republik bei ihrem Bemühen unterstützt, die letzten bürgerlichen Rechte zu beseitigen.

Doch bei der aktuellen Volksabstimmung ging es weder um solche historischen Reminiszenzen, noch hat die Frage von Krieg und Frieden eine Rolle gespielt. Es ging dabei eher um die Stellung, die Österreich im Rahmen der EU übernehmen soll. Das rechte Lager geht eher auf Distanz zu dem Projekt und hält die Neutralität hoch. Damit ist auch die plötzliche Sympathie in diesen Kreisen für die Beibehaltung der Wehrpflicht zu erklären.

Dabei hat die FPÖ mit ihrer Parole „Neutralität gibt es nur mit der Wehrpflicht“ die Situation genauer auf den Punkt gebracht als die Grünen, die mit dem Slogan „Die Wehrpflicht hat ausgedient“ an die Zeiten der Friedensbewegung anknüpfen wollten. Allerdings haben die meisten Wahlberechtigten in Österreich mit ihrer Abstimmung weder über Krieg und Frieden entscheiden noch einen neuen Putsch verhindern wollen.

Entscheidung für den Zivildienst

Eher schon dürfte für das Ja bei der Entscheidung für eine Einrichtung eine Rolle gespielt haben, die oft als Gegengewicht zu der Bundesarmee dargestellt wird: der österreichische Zivildienst. In Zeiten der Krise und der wachsenden Nachfrage im Pflegebereich befürchteten viele, dass dieser Sektor ohne Zivildienstleistende nicht aufrechtzuerhalten sein wird. Ohne Wehrpflicht aber wäre auch der Zivildienst abgeschafft worden und das angestrebte freiwillige soziale Jahr stand bisher nur auf dem Papier.

So zeigt sich einmal mehr, dass Zivildienst und Armee keine Gegensätze waren und sind, sondern einander bedingen. Die antimilitaristische Linzer Friedenswerkstatt hat deshalb eine Petition gegen den Pflegenotstand initiiert, für die Volksabstimmung die Parole „Neutralität statt Berufsheer und EU-Kampftruppen“ ausgegeben und so für die Beibehaltung der Wehrpflicht als kleineres Übel gestimmt.
http://www.jungewelt.de/2013/01-22/017.php
Peter Nowak

Gentrifizierung ohne Leichen

Nach einem Eigentümerwechsel sollen Mieter in Neukölln ihre Wohnungen verlassen

Susanne Neumann sieht für die Zukunft schwarz. »Der Ausverkauf hat in diesem Haus begonnen«, meint die Mieterin der Allerstraße 37 in Neukölln. Die Gegend sei mittlerweile begehrt. Zahlreiche Interessenten hätten sich schon für die Eigentumswohnungen gemeldet, die in ihrem Haus angeboten werden. Viele Mieter seien schon ausgezogen. Vor Kurzem hat auch die Ergotherapiepraxis aus dem Erdgeschoss nach 15 Jahren ein neues Domizil gesucht.

Doch Neumann, die in Wirklichkeit anders heißt, aber aus Angst vor dem Vermieter ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, will nicht klein beigeben. Sie hat sich deswegen mit einer Gruppe anderer Mieter zusammengeschlossen. Gemeinsam haben sich die Mieter der Allerstraße 37 an die örtlichen Stadtteilinitiativen gewandt, die sich dafür einsetzen, dass auch Mieter mit geringen Einkommen weiter in Nord-Neukölln wohnen bleiben können.

Mittlerweile gibt es im Internet einen Blog, in dem über die Entwicklung in der Allerstraße 37 berichtet wird. In der Kritik der Aktivisten steht die Immobilienfirma Tarsap, die das Haus im letzten Jahr gekauft hat. Bereits bevor die neuen Eigentümer in das Grundbruch eingetragen wurden, wären die ersten Termine für Wohnungsbesichtigungen vergeben worden, berichten die Mieter. Wer seine Wohnung nicht zeigen wollte, sei unter Druck gesetzt worden. Sogar mit Kündigung sei gedroht worden.

Als dann im Eingangsbereich des Hauses ein Text an die Wand gemalt wurde, in dem potenzielle Käufer der Eigentumswohnungen daran erinnert werden, dass in dem Haus bereits Menschen wohnen, wurde der Ton zwischen Immobilienfirma und Mietern rauer. Eine Kamera wurde installiert und eine Mieterin erhielt die Kündigung. Sie soll die Renovierungskosten bezahlen, weil sie für das Graffito an der Wand verantwortlich sein soll. Die Mieterin bestreitet allerdings den Vorwurf. Sie sei nur beschuldigt worden, weil sie ein Plakat mit einem ähnlichen Text in ihre Wohnung hängen habe.

Da die juristischen Ermittlungen noch laufen, wollte Tarsap-Geschäftsleiter Uwe Andreas Piehler gegenüber »nd« zu der Situation in dem Haus nicht Stellung beziehen. Er betont, dass die Tarsap mit den Wohnungen Gewinne mache, »ohne über Leichen zu gehen«. Er verwies auf das soziale Engagement, dass das Unternehmen durch finanzielle Förderung von Sportvereinen in Neukölln zeige.

Doch in Neukölln sehen nicht alle die Tarsap positiv. Auf die Wände des Tarsap-Büros in dem Stadtteil wurden in den letzten Monaten häufiger Parolen gegen die Vertreibung von Mietern gesprüht. »Damit müssen wir leben, wir sind halt die bösen Spekulanten«, erklärt Piehler. Er sagt, dass seine Firma auch in der Allerstraße 37 »fair« mit den Bewohnern umgehe. »Wir setzen keinen Mieter vor die Tür, der seit Jahrzehnten im Haus lebt.« Wer jedoch erst wenige Jahre im Haus wohne, sei ein Umzug zuzumuten.

Für die betroffene Mieterin Neumann erklärt sich dieses Vorgehen weniger aus einer sozialen Ader der Tarsap als durch die rechtliche Lage: Die Wohnungen waren schon 1998 von den Voreigentümern in Wohneigentum umgewandelt worden. Für Altmieter, die bereits davor dort wohnten, ist damit ein besonderer Mieterschutz verbunden. Sie dürfen mindestens drei Jahre nicht gekündigt werden. Für alle Mieter, die nach 1998 in die Wohnungen eingezogen sind, gilt dieser besondere Schutz indes nicht. Sie haben dreimonatige Kündigungsfristen. Das gilt für den größten Teil der Mietverhältnisse in der Allerstraße 37 – die meisten Mieter sind nämlich erst nach 1998 dort eingezogen.
www.neues-deutschland.de/artikel/810649.gentrifizierung-ohne-leichen.htm