Die Lohnarbeit macht krank

Auch die die Unternehmen müssen sich fragen, warum sie angesichts der eigentlich erfreulichen Tatsache, dass der Gesellschaft die Lohnarbeit ausgeht, nicht eine Kampagne für radikale Arbeitszeitverkürzung machen

Stress auf der Arbeit bis Burnout, das Thema ist schon seit Jahren bekannt und wird eifrig diskutiert. Jetzt hat der Deutsche Gewerkschaftsbund die aktuellen Ergebnisse der Auswertung „Psychostress am Arbeitsplatz“ vorgestellt. Sie sind Teil des DGB-Index Gute Arbeit, mit dem seit 2007 die Qualität der Arbeitsbedingungen gemessen wird. Dort wird noch einmal bestätigt, dass die Arbeitsverhältnisse immer mehr Menschen krank machen.

Tatsächlich sind die Zahlen, die der DGB am Freitag in Berlin auf einer Pressekonferenz vorstellte, eindeutig. „Alle Untersuchungen belegen, dass die Zahl der psychischen Erkrankungen in den letzten zehn Jahren geradezu explodiert ist. Psychische Erkrankungen sind mit 40 Prozent inzwischen ein Hauptgrund für Erwerbsminderung – also für das krankheitsbedingte, frühzeitige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben“, erklärt die stellvertretende DGB-Vorsitzende Annelie Buntenbach.

56 Prozent der knapp 5.000 bundesweit befragten abhängig Beschäftigten haben angegeben, sie seien starker oder sehr starker Arbeitshetze ausgesetzt. Dies sei im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg von vier Prozentpunkten. Gleichzeitig hätten 80 Prozent der Beschäftigten angegeben, dass sie seit Jahren „immer mehr in der gleichen Zeit leisten müssen“, untermauerte Buntenbach ihren Befund mit Zahlen.

„Sanierung der Mitarbeiter“

Man braucht nur einige der bekannten aktuellen Filme über die modernen Arbeitsverhältnisse ansehen, um zu wissen, dass man da nur krank werden kann. Dazu gehört der Film Die Ausbildung von Dirk Lütter über einen Jugendlichen im Callcenter und Work Hard Play Hard. Dort heißt es sehr prägnant: „In unserer modernen Arbeitswelt bedeutet die Sanierung eines Unternehmens, die Sanierung der Mitarbeiter.“ Wie diese Sanierung der Mitarbeiter aus Sicht des Managements bewerkstelligt wird, zeigt der Filmemacher Harun Farocki eindrucksvoll im Video Ein neues Produkt. In diesen Filmen wird deutlich, dass das kapitalistische Wirtschaften der Profitmaximierung dient und nicht den Bedürfnissen der Menschen.

Daher greift die Reaktion des DGB-Vorstands auf die Studie über die krankmachenden Arbeitsverhältnisse auch zu kurz, wenn genau letzteres eingefordert wird. So moniert Buntenbach mit Recht, dass es in den Betrieben kaum Präventionsmaßnahmen gegen die krankmachenden Arbeitsverhältnisse gibt und bezeichnete die Ergebnisse der Studie als „Alarmsignal der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“. Allerdings müssen sich auch die DGB-Gewerkschaften fragen, ob sie mit ihrer oft sozialfriedlichen Politik der Anpassung mit zu den Befunden beigetragen haben.

Schießlich haben die Unternehmer in der Regel wenig Interesse, Geld und Ressourcen für Präventionsmaßnahmen auszugeben, solange es genügend Arbeitskräfte gibt, welche die wegen Krankheit ausscheidenden Kräfte ersetzen können. Historisch sorgten immer zwei Faktoren für Verbesserung der Arbeitsverhältnisse. Der Mangel an Arbeitskräften und der Druck einer Selbstorganisation der Gewerkschaften und Lohnabhängigen, die sich für ihre Rechte organisieren.

Es gibt genügend Berichte von Arbeitskräften, die sich jahrelang für ihr Unternehmen krumm gelegt haben und alle Anforderungen und Verzichtsleistungen geschluckt haben, in der Hoffnung, bloß nicht arbeitslos zu werden. Sie berichteten oft über viele Krankheiten, die sie mit Medikamenten überdeckten, weil man sich auch Krankheitstage nicht leisten wollte. An irgendeinem Punkt war für diese Arbeitskräfte dann Schluss mit dem ewigen Verzichtüben. Sie organisierten sich für ihre Rechte und viele ihrer Leiden waren verschwunden. Es sind aber in den letzten Jahren in der Regel nicht die DGB-Gewerkschaften gewesen, die solche Selbstorganisationsprozesse gefördert und angestoßen haben. Die wenigen Ausnahmen bestätigen die Regel.

Warum nicht radikale Arbeitsverkürzung propagieren?

Zudem müssen sich die DGB-Gewerkschaften mehrheitlich fragen lassen, warum sie angesichts der Befunde nicht die Forderung nach einer radikalen Verkürzung der Lohnarbeit stärker propagieren. Das wäre nämlich eine vernünftige Forderung gegen die krankmachende Arbeitszeitverdichtung. Zudem wäre es beim gegenwärtigen Stand der Produktivkräfte eine vernünftige Forderung.

Es ist die Spezifik der kapitalistischen Verwertung, dass die eigentlich erfreuliche Entwicklung, dass der Gesellschaft die Lohnarbeit ausgeht, zu einem Fluch für die Beschäftigten wird und sie mit Stress und Burnout und immer längeren Arbeitszeiten konfrontiert werden. Hier könnte eine Bewegung, die sich auf der Höhe der Zeit mit dem Kapitalismus auseinandersetzt, ansetzen. Es war schließlich auch kein Zufall, dass sich Karl Marx im ersten Band des „Kapital“ intensiv mit dem damaligen Kampf um die Arbeitszeitverkürzung befasst hat.
Peter Nowak

Konfessionslos in der Schule?

Der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten(IBKA) hat eine bundesweite Kampagne für eine Schule ohne Religionsunterricht angekündigt. Dazu soll das religionskritische Buch »Konfessionslos in der Schule« des IBKA-Vorsitzende Rainer Ponitka an Bildungspolitiker in den Landesparlamenten verschickt werden. Zudem sind Diskussionsveranstaltungen mit Lehrern und Schülern über den Einfluss der Religion auf die Schule geplant. Dort sollen sich die Schüler auch über Möglichkeiten informieren lassen können, wie sie sich vom Religionsunterricht befreien lassen können. Dieses Recht ist in den Bundesländern sehr unterschiedlich geregelt. So können sich in Nordrhein-Westfalen Schüler mit Erreichen des 14. Lebensjahrs auch ohne Einwilligung der Eltern vom Religionsunterricht befreien lassen. In Saarland und Bayern ist das erst mit dem Beginn der Volljährigkeit möglich. Ponitka plädiert für die Abschaffung des Religionsunterrichts. Als Ersatz soll es einen Ethikunterricht jenseits aller Konfessionen geben.

Für das IBKA-Konzept einer religionsfreien Schule gibt es viele Gründe. Aber ein Argument wird vom IBKA bisher zu wenig verwendet. In vielen Schulen in Deutschland geht die Zahl der Kinder mit christlichem Hintergrund zurück, während die Anzahl der Schüler mit islamischen Glauben steigt. Ein gemeinsamer Ethikunterricht könnte verhindern, dass an den Schulen jede Religion ihre eigene Domäne verteidigt. Das Konzept einer säkularen Schule muss aber nicht nur gegen die großen christlichen Kirchen, sondern auch islamische Organisationen verteidigt werden, die es als größte Errungenschaft sehen, wenn sie eigenen Religionsunterricht durchführen können.

http://www.heise.de/tp/blogs/6/153561
Peter Nowak

Angriff der christlichen Taliban?

Ein Buch konstatiert eine neue Radikalität der Abtreibungsgegner in Deutschland. Das Spektrum reicht von der extremen Rechten bis in fast alle Bundestagsparteien

Die Abweisung eines Vergewaltigungsopfers durch zwei katholische Klinken in Köln sorgt derzeit bundesweit für Schlagzeilen. Vor allem die Begründung verursachte Empörung. Danach ist es dem Personal seit Kurzem unter Androhung einer fristlosen Kündigung dienstlich verboten, Vergewaltigungsopfer zur Beweissicherung gynäkologisch zu untersuchen, weil damit eine Beratung über eine eventuell daraus drohende Schwangerschaft und eine Verordnung der von der katholischen Kirche abgelehnten „Pille danach“ einhergehen könnte.

Ist das nicht ein guter Beweis für den zunehmenden Einfluss von Abtreibungsgegnern in Deutschlands, der am Mittwochabend auf einer Podiumsdiskussion im Berliner Familienplanungszentrum Balance konstatiert wurde? Dort wurde ein neues Buch mit dem Titel „Die neue Radikalität der Abtreibungsgegner_innen im (inter-)nationalen Raum“ vorgestellt, das kürzlich im Verlag AG Spak veröffentlicht worden ist.

Es macht auf ein Thema aufmerksam, dass in Deutschland lange Zeit kaum mehr beachtet worden ist. Vorbei scheinen die großen Debatten um den Paragraphen 218, der mit dem Slogan „Mein Bauch gehört mir“ von der Frauenbewegung angegriffen worden ist. 1990 brachte das Thema noch mal Tausende auf die Straße, die forderten, dass im wiedervereinigten Deutschland das Abtreibungsgesetz der DDR Übernommen werden soll. Doch auch hier setzte sich die BRD durch. Nach dem Schwangerschafts- und Familienhilfeänderungsgesetz, das im Oktober 1995 in Kraft trat, bleiben Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich strafbar. Die eng begrenzten Ausnahme sind seitdem umkämpft, denn nicht mehr die Befürworter, sondern die Gegner jeglicher Abtreibung machen seitdem inner- und außerparlamentarisch mobil, wie verschiedene Autoren in dem Buch nachweisen. So hat die CDU/CSU 2008 einen Gesetzesentwurf zur Verhinderung von Spätabtreibungen vorgelegt. 2010 wurden die Bedingungen für die medizinische Indikation verschärft.

1000 Kreuze und Guerillajournalismus der Abtreibungsgegner

Doch auch auf außerparlamentarischer Ebene haben die Abtreibungsgegner in den letzten Jahren ihre Aktivitäten ausgeweitet. Seit einigen Jahren organisieren sie in verschiedenen europäischen Ländern Mitte September sogenannte „Märsche für das Leben“, auf denen weiße Kreuze getragen werden, die aus der Sicht der Abtreibungsgegner die getöteten Kinder symbolisieren sollen. Seit 2011 hat sich die Teilnehmerzahl erhöht und durch die Beteiligung jüngerer Gruppen und Einzelpersonen hat sich auch das Aktionsrepertoire erweitert.

Die Szene der jungen Lebensschützer trifft sich europaweit zu Tagungen und hat auch das Internet als Kampffeld entdeckt. Vorbild der Abtreibungsgegner ist dabei eindeutig die USA, wo sie im Windschatten der von Ronald Reagan ausgerufenen Konservativen Revolution Erfolge verzeichneten, wie die Historikern Dagmar Herzog aufzeigt. Zu den Aktionsfeldern gehört auch ein Guerilla-Journalismus. Danach geben sich Abtreibungsgegnerinnen als hilfesuchende Frauen aus, die dann die Ärzte und das Klinikpersonal dadurch zu kompromittieren versuchen, dass sie ihnen Gesetzesverstöße nachweisen wollen und Videos von Gesprächen ins Netz stellen.

Auch in Deutschland müssen sich Einrichtungen, die legale Abtreibungen durchführen oder die betroffenen Frauen unterstützen, wie Pro Familia oder Balance immer wieder mit Anzeigen der Gegner auseinandersetzen. Aufhänger ist dabei der Paragraph 219 a des Strafgesetzbuches, der Werbung für eine Abtreibung unter Strafe stellt. Damit kann schon die Information über eine Einrichtung, die Schwangerschaftsabbrüche durchführt, kriminalisiert werden, stellt die Gesundheitsberatung Sybill Schulz fest. Weiterhin versuchen Abtreibungsgegner, Frauen auch vor den Einrichtungen direkt anzusprechen und moralisch unter Druck zu setzen, was von dem österreichischen Arzt Christian Fiala als psychische Gewalt beschrieben wird, die als freie Meinungsäußerung getarnt wird.

Dass dieses unterschiedliche Repertoire der Abtreibungsgegner ihre Wirkung nicht verfehlt, wird an mehreren Stellen im Buch deutlich. So musste das Familienzentrum Balance ihre Webpräsenz verändern. Viele der von der Einrichtung angeschriebenen Ärzte und Pro-Choic- Einrichtungen, die ins Visier der Gegner geraten sind, wollen darüber in der Öffentlichkeit nicht sprechen. Die Befürchtung ist groß, dass heute eine offensive Propagierung des feministischen Grundsatzes „Mein Bauch gehört mir“ wieder mit Stigmatisierung und gesellschaftlicher Ausgrenzung verbunden ist.

Neue Perspektiven für die Abtreibungsgegner?

Es gibt aber auch andere Erfahrungen. So schreibt die Publizistin Jutta Ditfurth, die schon 1988 erklärte, dass sie zwei Mal abgetrieben habe und es nicht bereue, in ihrem Vorwort, dass von Männern in ihrem Wikipedia-Eintrag immer wieder heftige Diskussionen von Abtreibungsgegnern geführt werden. Noch im letzten Jahr sei sie vom Wirtschaftsredakteur der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in einem Gespräch über ein völlig anderes Thema unvermittelt gefragt worden, ob sie abgetrieben habe. „Wie oft haben Sie in Ihrem Leben onaniert und damit mögliches menschliches Leben vergeudet?, fragte ich zurück. Mit roten Ohren wechselte er das Thema“, beschreibt Ditfurth die für den Redakteur wohl eher peinliche Episode.

Aber auch jenseits von persönlicher Courage hat die Offensive der „christlichen Taliban“ zur Entstehung einer neuen politischen Bewegung geführt, die das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung propagiert. Als Beispiele werden in dem Buch oft sehr kreative Aktionen anlässlich der Märsche der Abtreibungsgegner genannt aufgeführt. Ein Höhepunkt waren eine Großdemonstration und zahlreiche Aktionen anlässlich des Papstbesuches 2011 in Berlin und auch in anderen Städten. Auch dass es nun nach mehr als zwei Jahrzehnten wieder ein Buch gibt, das die Szene der Abtreibungsgegner analysiert und kritisiert, kann als Zeichen für ein neues Selbstbewusstsein de Pro-Choice-Bewegung interpretiert werden.
http://www.heise.de/tp/blogs/6/153561
Peter Nowak
Peter Nowak

Guardian in der Zeitungskrise

Der Guardian zeigt, dass der Ausbau der Internetpräsenz keine Lösung für die Zeitungskrise ist

Vom Zeitungssterben war in den letzten Monaten in Deutschland viel die Rede. Aber die Krise ist natürlich international. So sinken die Auflagen sämtlicher britischer Tageszeitungen kontinuierlich. Davon ist auch der Guardian betroffen. Die tägliche Auflage ist von knapp 380.000 Exemplar im letzten Jahr auf knapp 205.000 Exemplare gefallen. Von 2011 bis 2012 verlor der Guardian 12 Prozent der Auflage.

Die Guardian Media Group, der Medienkonzern, zu dem der Guardian gehört, vermeldete ca. 92 Millionen Euro Verlust für das Finanzjahr 2011/2012. Jetzt soll ein Sparprogramm umgesetzt werden, das Entlassungen mit einkalkuliert. Seit Juli 2012 versucht die GMG, 100 Angestellte zum freiwilligen Ausscheiden zu überreden. Dabei soll eine Abfindung helfen. Doch besonders erfolgreich war das Management bisher nicht. Bis Oktober 2012 sind etwa 30 Angestellte auf das Angebot eingegangen und GMG hat einen erneuten Aufruf zum freiwilligen Ausscheiden mit detaillierten Informationen, wie viele Mitarbeiter aus den jeweiligen Ressorts verschwinden sollen, wiederholt.

Da ein solcher Druck in Großbritannien trotz vieler Niederlagen, die die Gewerkschaften in den letzten Jahren einstecken mussten, noch zu Widerstand führt, hat der britische Journalistenverband National Union of Journalists seine Mitglieder bei Guardian News & Media befragt, ob sie Kampfmaßnahmen gegen die drohenden Entlassungen befürworten. 400 der 650 Angestellten sind zum Streik bereit.

Internetpräsenz kein Weg aus der Zeitungskrise?

Die Entwicklung des Guardian wird in Großbritannien besonders beachtet, weil es sich um eine der wenigen Tageszeitungen handelt, die ein linksliberales Profil behalten haben und sich der Boulevardisierung der Medien verweigerten. Dass aber auch in anderen Ländern auf den Guardian geschaut wird, liegt daran, dass es vor einigen Jahren die Hoffnung gab, dass die Zeitung vielleicht sogar eine Lösung für die Zeitungskrise bereit hält. So betreibt der Guardian die drittgrößte internationale Tageszeitungswebsite. Guardian.co.uk hatte im Juni 2012 30 Millionen Nutzer.

Der Guardian war auch eine der ersten Zeitungen, die die Inhalte der Internetpräsenz von der Printausgabe trennten. Während Online immer die aktuellsten Meldungen erschienen sind, war in der Zeitung mehr Platz für Hintergrundartikel. So wollte die Redaktion beweisen, dass die Förderung beider Projekte möglich ist.

In der deutschen Medienlandschaft, wo die Internetpräsenz der meisten Zeitungen sich nicht von den Printmedien unterschied, war das Vorgehen des Guardians für viele ein Vorbild. Die Wochenzeitung Freitag hatte sogar den Anspruch formuliert, eine Art deutscher Guardian zu werden. Auch dort legte man viel Wert darauf, dass die Onlinepräsenz kein Abklatsch der Printausgabe wird. Neben einen eigenen Blogbereich gab es auch eine Online-Redaktion. Doch damit ist seit Jahresbeginn Schluss. Die Online-Redaktion des Freitag wurde massiv eingedampft. Seitdem fragen sich viele Leser und Nutzer, warum die Redaktion die Axt gerade an jenes Alleinstellungsmerkmal anlegt, auf den sie besonders stolz war.

Wenn nun nicht nur der Freitag, sondern auch der Guardian in der Krise ist, lässt die Schlussfolgerung zu, dass der Ausbau der Internetpräsenz keine Lösung für die Zeitungskrise ist. Derweil werden nun dritte Wege aus der Zeitungskrise auf Freitag Online diskutiert. Dazu gehören gesellschaftliche Finanzierungsmodelle, die nicht mehr ausschließlich auf der Werbung basieren.
http://www.heise.de/tp/blogs/6/153547
Peter Nowak

Wenn der Mitarbeiter als Sicherheitsrisiko behandelt wird

Entwurf zum „Beschäftigtendatenschutzgesetz“: Kritiker sehen eine Ausweitung der legal möglichen Überwachung

Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung, der noch im Januar im Bundestag verabschiedet werden soll, will die heimliche Videoüberwachung am Arbeitsplatz verbieten, die legale Überwachung aber ausweiten. Kaum wurde das Vorhaben am Wochenende bekannt, gab es Kritik von Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden. Der IG-Metall-Justiziar Thomas Klebe bezeichnet den Entwurf als Katastrophe.

„Bei der offenen Videoüberwachung bedeuteten die Regelungen eine Verschlechterung gegenüber der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Während sie bisher nur vorübergehend und nur aus konkretem Anlass erlaubt worden sei, solle sie nun ohne zeitliche Beschränkungen und auch zur Qualitätskontrolle möglich sein: Das ist Vorratsdatenspeicherung.“

Auch der DGB und die Dienstleistungsgewerkschaft verdi haben Widerstand gegen den Gesetzentwurf angekündigt. Politiker aus den Koalitionsparteien sehen es als Erfolg, dass künftig Überwachungen im Sanitärbereich oder in Umkleidekabinen nicht mehr möglich sein sollen. Damit machen sie aber nur deutlich, wie weit verbreitet und ausufernd die bisherige Überwachungspraxis war.

Kritik am Gesetzesvorhaben der Bundesregierung kommt auch aus dem Unternehmerlager. Sie richtet sich vor allem gegen die geplanten Regelungen, wonach Facebook und andere soziale Netzwerke künftig für Arbeitgeber auch dann tabu sein sollen, wenn sie bereits mit Betriebsräten andere Regelungen vereinbart haben. Sollte das Gesetz wie geplant im Sommer in Kraft treten, müssten zahlreiche Konzerne solche betriebsinternen Vereinbarungen mit wesentlich geringeren Datenschutzregelungen verändern.

Deshalb hatten zahlreiche Wirtschaftsverbände gehofft, dass sich die Bundesregierung mit der gesetzlichen Regelung noch Zeit lässt, weil bis dahin die betriebsinternen Regelungen gelten. Tatsächlich schien es lange so, als würde auch der Beschäftigtendatenschutz zu den Gesetzesvorhaben gehören, die in die nächste Legislaturperiode verschoben werden.

Ständig neue Fälle von Mitarbeiterüberwachung

Dass die Regierungskoalition nun doch in dieser Legislaturperiode den Datenschutz am Arbeitsplatz regeln will, liegt an der nicht abreißenden Serie von bekannt gewordenen Mitarbeiterüberwachungen. Besonders im Dienstleistungsbereich scheint das Motto „Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser“ längst zur Richtschnur für viele Betriebe geworden sein.

Auch im neuen Jahr wurde wieder ein Fall von heimlicher Mitarbeiterüberwachung bekannt. Wie der Spiegel berichtete sollen Mitarbeiter beim Discounter Aldi-Süd mit versteckter Kamera beobachtet worden sein. Die Firma wies die Vorwürfe zurück und erklärte, wenn überwacht worden sei, dann hätten die Maßnahmen zur Aufdeckung von Straftaten gedient. Mit dieser Begründung werden bekannt gewordene Überwachungsfälle am Arbeitsplatz generell gerechtfertigt.

Der Detektiv plaudert gegenüber dem Spiegel recht detailliert aus dem Nähkästchen. „Ich hatte weiterhin den Auftrag, alle Auffälligkeiten zu melden. Also auch, wenn ein Mitarbeiter zu langsam arbeitete, ich von einem Verhältnis der Mitarbeiter untereinander erfahren habe oder ich andere Details aus dem Privatleben mitbekam, zum Beispiel im Hinblick auf die finanzielle Situation des Mitarbeiters“, berichtete der Detektiv. Dieses Vorgehen mag zwar dem offiziellen Firmen-Selbstverständnis widersprechen, ist aber mittlerweile Alltag im Arbeitsleben.

Ob bei Lidl oder bei der Steakhauskette Maredo, die heimliche Mitarbeiterbeobachtung ist anscheinend längst Alltag, aber nicht unbedingt legal. Die Bundesarbeitsgerichte haben der Videoüberwachung am Arbeitsplatz enge Grenzen gesetzt.

Kein Thema für die Datenschutzbewegung?

Bemerkenswert ist, dass die Überwachung am Arbeitsplatz bei der Datenschutzbewegung, die sich in den letzten Jahren in Deutschland entwickelt hat, nicht im Fokus steht. Sicher wird das Thema vor allem von den an den Bündnissen beteiligten Gewerkschaften angesprochen. Aber generell ist der Widerstand wesentlich stärker, wenn die Bundesregierung oder EU-Gremien Überwachungsmaßnahmen planen, als wenn sie in den Unternehmen praktiziert wird.
In der Vergangenheit monierten Erwerbslosenverbände bereits, dass auch die Pflicht von ALG II-Empfängern, ihre Konten offenzulegen, wenig Kritik bei der Datenschutzbewegung auslöste.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153531
Peter Nowak

Parlamentarische Rückendeckung für Wowereit

Misstrauensvotum wurde abgelehnt, eine Blamage für die Opposition

Heute mussten die Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses eine Sonderschicht einlegen. Am Vormittag wurde über das von der parlamentarischen Opposition eingebrachte Misstrauensvotum gegen den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit abgestimmt. Es wurde abgelehnt. Eine Überraschung war das nicht, nachdem sich beide Partner der großen Koalition, die eine große Mehrheit im Abgeordnetenhaus haben, hinter die durch die ständige Verzögerung des Hauptstadtflughafens unter Druck geratenen Bürgermeister stellten.

Blamage für die Opposition

Doch die Abstimmung wurde am Ende eine Blamage für die parlamentarische Opposition. Denn bei der Abstimmung erhielt Wowereit mindestens eine Stimme aus ihren Reihen. 62 Abgeordnete stimmten mit Ja, 85 votierten gegen den Antrag. SPD und CDU-Fraktion haben 85 Mandate, ein CDU-Abgeordneter aber fehlte. Demnach muss Wowereit eine Stimme bekommen haben, die nicht der SPD oder der CDU-Fraktion zuzurechnen ist, unter der Voraussetzung, dass sämtliche Mandatsträger des Regierungslagers die Vorlage ablehnten. Zuvor hatte die Opposition gehofft, dass zumindest einzelne Abweichler im Regierungslager für das Misstrauensvotum stimmen.

Das Ergebnis der Abstimmung wird nun eher für weiteren Zwist unter den Oppositionsfraktionen sorgten. Dort gibt es noch immer den Wettbewerb, wer die entschiedenste Oppositionspolitik betreibt. Deshalb preschten die Grünen, die Wowereit noch immer nicht verzeihen können, dass der Regierende Bürgermeister nicht sie, sondern die CDU als Koalitionspartner auswählte, mit dem Misstrauensvotum vor. Die Piraten, die bundesweit im Abwärtstrend sind und sich auch in Berlin gegenseitig mit Faschismusvorwürfen belegen, schlossen sich sofort an. Bei der Linkspartei, die ein Jahrzehnt mit Wowereit geräuschlos regierte, dauerte es länger, bis man sich dem Misstrauensvotum anschloss. Schließlich hätte sie ihre Rolle als Oppositionspartei sonst endgültig eingebüßt.

Vor allen im Umfeld der Linkspartei gab es von Anfang an die Kritik, dass ein von vornherein zum Scheitern verurteiltes Misstrauensvotum die Koalition eher zusammenschweißt. Das mag für den Moment auch stimmen. Doch die Diskussion um das Misstrauensvotum hat auch die Schwäche einer SPD offenbart, die in Berlin schlicht keinen Nachfolger für Wowereit hat, nachdem der als Nachfolger vorgesehene Michael Müller parteiintern ausgebremst wurde. Außerhalb der parlamentarischen Opposition hat das Flughafendesaster eher wirtschaftsliberalen Positionen wieder Auftrieb verschafft. So wurde diskutiert, ob der Airport schneller fertig geworden wäre, wenn er privaten Unternehmen gebaut worden wäre. Als hätte es nicht zahlreiche Bauskandale auch mit privaten Unternehmen gegeben.

Neuer Namen für den Flughafen?

Die meisten Bewohner Berlins beteiligen sich nicht an der großen medialen Aufregung um das Winterlochthema BER. Sie reagieren eher sarkastisch und erinnern daran, dass der Kölner Dombau Jahrhunderte dauerte. Derweil gibt es einen Wettbewerb um die Neubenennung des Airport. Satire oder nicht – mit Rückgriff auf preußische Tugenden fordert ein bisher unbekannter „Willy-Brandt-Freundes- und Freundinnenkreis“ eine Umbenennung mit der Begründung „Willy Brandt hat es nicht verdient, dass sein anerkannt guter Name im Zusammenhang mit einem derartigen Desaster bleibend in Verbindung gebracht wird!“ Der für Medien und Kultur beim Neuen Deutschland zuständige Redakteur Jürgen Amendt hat den bekannten Westberliner Kabarettisten Wolfgang Neuss als Alternative in die Diskussion gebracht. Als Begründung schreibt er: „Der Berliner Kabarettist war ein radikaler Pazifist (‚Auf deutschem Boden darf nie mehr ein Joint ausgehen‘). Statt Brandt könnte Neuss die Gäste des BER begrüßen. Man müsste natürlich Neuss die Ehre erweisen und über den Eingang ein großes Schild anbringen, auf dem geschrieben steht: ‚Vom Berliner Boden aus darf nie mehr ein Flugzeug starten.'“
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153523
Peter Nowak

Die vergessenen Toten

In Berlin soll ein Gedenk- und Informa­tionsort für die Opfer der »Aktion T4« eingerichtet werden. Es ist nicht der erste Versuch, sich der Thematik erinnerungspolitisch zu nähern, und wie schon in der Vergangenheit gibt es auch diesmal Anlass zu Kritik.

»Ich vergehe vor Not, muss ich Euch schreiben. Jetzt, wo meine Männer fort sind, muss ich hier sitzen und kann nichts tun«, schrieb ein Schuhmachermeister, der von den nationalsozialistischen Behörden als angeblich Geisteskranker verhaftet worden war, am 3. September 1939 aus der Psychiatrieanstalt Grafeneck an seine Angehörigen. Wie er sind nach vorsichtigen Schätzungen zwischen 1940 und 1941 mehr als 70 000 Psychiatriepatienten und Menschen mit Behinderungen durch Ärzte und Pflegekräfte ermordet worden. Für sie soll nach einem Beschluss des Deutschen Bundestages vom November 2011 ein Gedenk- und Erinnerungsort geschaffen werden. Um zu entscheiden, in welcher Form dies geschehen soll, wurde wenig später vom Land Berlin und dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien ein Wettbewerb für die Gestaltung ausgerichtet. Im Dezember vorigen Jahres schließlich, rund ein Jahr nach dem Beschluss des Bundestages, konnten die eingegangen Entwürfe für den geplanten »Gedenk- und Informationsort Tiergartenstraße 4« in einer Sonderausstellung in der Berliner Topographie des Terrors begutachtet werden.
Leicht zu übersehen. Ein neuer Gedenk- und Erinnerungsort soll die unscheinbare Gedenkplatte vor der Berliner Philharmonie ergänzen
Leicht zu übersehen. Ein neuer Gedenk- und Erinnerungsort soll die unscheinbare Gedenkplatte vor der Berliner Philharmonie ergänzen (Foto: PA/akg-images/Henning Langenheim)

Ein großer Teil der Entwürfe befasst sich mit der im Krieg zerstörten Villa in der Tiergartenstraße 4, in der die Mordaktion, die heute in Anspielung auf die Adresse des Hauses auch »Aktion T4« genannt wird, geplant wurde. Dass sich diese Bezeichnung langsam durchsetzt, ist auch ein Erfolg von Betroffenengruppen, die sich seit langem gegen den verharmlosenden Begriff »Euthanasiemorde« wehrten. Euthanasie heißt wörtlich übersetzt »schöner Tod«. Dagegen wurden die als geisteskrank stigmatisierten Menschen grausam ermordet, vergast, vergiftet oder erhängt. Dennoch findet der euphemistische, aus der Terminologie der Eugenik stammende Begriff bis heute Verwendung.

In den ausgestellten Entwürfen für den Gedenk­ort sollen neben dem Ort, an dem die Taten geplant wurden, auch die Opfer ein Gesicht bekommen. Bei dem als Siegerentwurf prämierten Modell, das von der Berliner Architektin Ursula Wilms gemeinsam mit dem Stuttgarter Konzeptkünstler Nikolaus Koliusis und dem Aachener Landschaftsarchitekten Heinz W. Hallmann eingereicht worden war, bildet eine blaue, halbdurchsichtige Spiegelwand den Mittelpunkt. Damit greifen die Preisträger Elemente des »Andernacher Spiegelcontainers« auf, der von dem Künstler Paul Patze gemeinsam mit Schülern 1996 entworfen wurde, um an die Opfer der Morde in der Villa zu erinnern, die nach einem Zwischenaufenthalt in Andernach im hessischen Hadamar vergast worden waren. Ferner soll eine 40 Meter lange Sitzbank die Tiergartenstraße mit dem Denkmal verbinden. Die nach Westen ausgerichtete, schräg gestellte Betonwand dient dabei auch als Grundkonstruktion für ein durchlaufendes, aus 13 Elementen bestehendes Informationspult, auf dem Biographien einzelner Opfer der »Aktion T4« präsentiert werden sollen. Eine Gedenkplatte, die bereits 1989 am Ort eingelassen worden ist, soll ebenfalls in das mit dem ersten Preis prämierte Modell integriert werden. Die Inschrift derselben ist schlicht aber präzise: »Die Zahl der Opfer ist groß, gering die Zahl der verurteilten Täter«.

Tatsächlich sind in beiden Teilen Deutschlands die meisten an den Morden beteiligten Ärzte sowie das Klinikpersonal nicht nur nicht bestraft worden, viele Täter haben ihre Karriere oft bruchlos fortsetzen können. Entwürfe, die solche Zusammenhänge deutlicher thematisierten und an die Diskriminierung von Psychiatriepatienten bis in die Gegenwart erinnerten, kamen bei dem Wettbewerb nicht in die engere Auswahl. So sollten etwa in einem der abgelehnten Entwürfe sechs Stelen aus dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas die sechs Orte symbolisieren, an denen die Morde in Deutschland verübt wurden, und damit gleichzeitig auch der von Historikern nachgewiesene Zusammenhang zwischen der Vernichtung der zu geisteskrank erklärten Menschen und der Shoa symbolisch zum Ausdruck gebracht werden.

Doch nicht nur die fehlende Kontextualisierung innerhalb der Gesamtheit der nationalsozialistischen Verbrechen sorgt für Unmut. So kritisieren etwa Verbände von Psychiatrieerfahrenen die aktuelle Denkmalauslobung als »Pro-forma-Gedenken zum Billigtarif« und beziehen sich damit auf die lediglich 500 000 Euro, die der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien für den Gedenkort zur Verfügung gestellt hat. Auch einige der in der Topgraphie des Terrors gezeigten Denkmalentwürfe äußerten in ihren Begleittexten eine ähnliche Kritik.

Nicht vertreten unter den präsentierten Entwürfen war ein Vorschlag für einen Gedenkort, den mehrere Betroffenenverbände bereits vor 15 Jahren gemacht hatten. Am 26. Januar 1998 hatte sich in Berlin ein »Freundeskreis des Museums ›Haus des Eigensinns‹« konstituiert, dessen Ziel es war, an der Gründung einer Stiftung sowie eines Museums mitzuwirken, das an der historischen Stätte Tiergartenstraße 4 in Berlin hätte errichtet werden sollen (Jungle World 2/1999). Die Diskussion um ein würdiges Erinnern an die Opfer der »Aktion-T4« ist also alles andere als neu.

Obwohl damals zum Freundeskreis des Haus des Eigensinns mit Dorothea Buck eine Überlebende der »Aktion-T4« zählte und mit dem Auschwitz-Überlebenden Henry Friedlander auch ein Histo­riker vertreten war, der in seinen Forschungen den Zusammenhang zwischen den Morden und der Shoa nachgezeichnet hat, wurde das Projekt von Politik und Öffentlichkeit von Anfang an ignoriert. An den möglichen Kosten kann es nicht gelegen haben. Ein privater Stifter, der unbekannt bleiben wollte, hätte für die Errichtung einen Beitrag von 1,75 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Damit wäre das Projekt auch ohne öffent­liche Mittel finanziell wesentlich großzügiger ausgestattet gewesen als der jetzt ausgelobte Gedenkort.

Problematisch an der Idee war dagegen der Plan, im »Haus des Eigensinns« auch die sogenannte Prinzhornsammlung, eine Sammlung von Kunst sogenannter Geisteskranker, zu präsentieren. Der Arzt Hans Prinzhorn, dem die Sammlung ihren Namen verdankt, bewegte sich seinerzeit im völkischen Milieu der Weimarer Republik und unterstützte in den letzten Jahren vor seinem Tod im Jahre 1933 die Nationalsozialisten. Für ihn waren die Kunstwerke der Psychiatrie­patienten Teil der Krankenakte. Lange Zeit waren die Artefakte in Kellern der Heidelberger Universitätsklinik gelagert. Erst 2001 wurde auf dem Gelände der Klinik ein Museum eröffnet, in dem seither in regelmäßigen Abständen Teile der Prinzhornsammlung gezeigt werden. Der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrene sprach in diesem Kontext von einer zweifachen Enteignung der Patienten. Sie sind als Künstler in der Regel namentlich nicht genannt und auch nicht gefragt worden, ob sie ihre Arbeiten weggeben wollten. Zumindest mit dieser Debatte wird sich der nun prämierte Entwurf nicht auseinandersetzen.
http://jungle-world.com/artikel/2013/02/46913.html
Peter Nowak

Bafögantragstau – oder wie die Krise in Deutschland ankommt

Mit der Agenda 2020 soll der Sozialstaat auf allen Gebieten weiter abgebaut werden

Ende Dezember 2012 hat die Berliner GEW-Vorsitzende Sigrid Baumgardt in einer Pressemitteilung Alarm geschlagen. Weil die Bafög-Anträge von Tausenden Schülern und Studierenden trotz rechtzeitiger Abgabe noch nicht bearbeitet worden sind, sei die Situation der Betroffenen dramatisch. Viele wissen nicht, wie sie die nächste Miete bezahlen sollen. Zudem haben sich viele Betroffene verschuldet. Denn von den Abschlagszahlungen, die nur 80 Prozent des Bafög betragen, kann kaum jemand über die Runden kommen. Die Berliner GEW forderte, dass zumindest diese Abschläge unbürokratisch weiter gewährt werden muss, ohne dass die Betroffenen weitere Anträge steellen müssen.

„Bafögantragstau – oder wie die Krise in Deutschland ankommt“ weiterlesen

Das Gedenken hat ein Nachspiel

Nach ihrer Protestaktion bei der Erinnerungsfeier am Montag verteidigt sich die Oury-Jalloh-Initiative gegen Vorwürfe
Die Proteste bei der Gedenkveranstaltung für den verbrannten Asylbewerber Oury Jalloh sorgen weiter für Diskussionen.
Der Eklat bei der Gedenkveranstaltung zum achten Todestag des afrikanischen Flüchtlings Oury Jalloh, der am 7. Januar 2005 unter ungeklärten Umständen in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte, beschäftigt weiter die Medien. Eine Gruppe von Flüchtlingen hatte am Montag lautstark ihren Unmut über die Veranstaltung deutlich gemacht und von Heuchelei gesprochen (ND berichtete). Einige Medien sprachen darauf von Störer, die von Außerhalb“ gekommen sind und monierten sich über einen „gewaltbereiten afrikanischen Asylbewerber“.
„Mit uns hat niemand geredet gesprochen“ meinte Komi Edzro von der „Initiative In Gedenken an Oury Jalloh e.V. gegenüber ND. Zu den konkreten Vorfällen auf der Kundgebung wolle die Initiative erst Stellung nehmen, wenn man sich genau über die Vorfälle erkundigt hat. Man werde aber auch die eigenen Freunde gegen mögliche strafrechtlichen Konsequenzen aber auch zunehmende öffentliche Angriffe verteidigen, betonte er. Dabei geht es vor allem Abraham H., der sich am Montag gegen die Kundgebung protestierte. „Der Mann ist durch die Ereignisse rund um Oury Jallohs Tod traumatisiert“, betont Edzro. Er erinnerte an die Demonstration zum siebten Todestag von Yalloh im letzten Jahr, als die Polizei brutal gegen die Aktivisten vorging. Zu den verletzten Demonstranten gehörte auch H. Auch bei den Gerichtsverfahren, die die Todesumstände von Jalloh klären sollten, sei H. immer wieder gemaßregelt worden, wenn er seine Empörung über den Umgang mit dem Fall äußerte. Schließlich habe er sogar ein Hausverbot für das Gerichtsgebäude bekommen. „Die Menschen, die dafür sorgten, dass sich die Justiz mit den Todesumständen befassen muss, werden so davon ausgeschlossen. Das schafft Empörung und Wut“, beschreibt Edzro die Gefühle vieler der in der Gedenkinitiative aktiven Flüchtlinge. Der Tod der Mutter von Oury Jalloh, die sich bis zum Schluss für die Aufklärung des Todes ihres Sohnes einsetzte habe die Verbitterung ebenso erhöht, wie die Meldung, dass in Polizeikreisen einen Spendenaufruf kursiert, mit dem die Geldstrafe beglichen werden soll, zu der der Dessauer Polizeibeamte Andreas S. verurteilt wurde. Er war der nach zwei langwierigen Gerichtsverfahren der fahrlässigen Tötung schuldig gesprochen worden. Dass aber die Frage, wie es zu dem Tod von Jalloh kam, unbeantwortet blieb, sorgt bei der Initiative für besonders große Wut. Schließlich hatten sie über Jahre für die Gerichtsverfahren gekämpft, weil sie dort Aufklärung erhoffen haben. „Jetzt wird uns gesagt, wir müssen das Urteil akzeptieren. Doch wir verlangen weiter Aufklärung“, betont Edzro.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/809512.das-gedenken-hat-ein-nachspiel.html

Peter Nowak

Werbefreies Internet, Zensur oder Kampf gegen Google?


In Frankreich sorgt der zweitgrößte Internetprovider Free mit seinem Angebot, das standardmäßig einen Werbeblocker integriert hat, für Diskussionen

In Frankreich schien sich das neue Jahr mit einer Revolution im Internet anzukündigen. Millionen Surfer konnten die Webseiten ohne jegliche Werbung aufrufen. Der zweitgrößte Internetprovider Freebox hatte zum Jahreswechsel den Werbeblocker Adblock Plus in sein Angebot Freebox Revolution integriert. Doch schon nach wenigen Tagen war Schluss mit dem werbefreien Internet.

Die französische Ministerin für Telekommunikation Fleur Pellerin hatte Freebox die Nutzung des Werbeblockers untersagt. Der Mitgründer von Adblock Plus Till Faida gibt sich in einem Pressestatement trotz des politischen Eingriffs zufrieden:

„Der Vorstoß des Internetproviders Freebox in Frankreich zeigt, in welcher Krise sich Online-Werbung derzeit international befindet. Mittlerweile wurde Freebox zwar untersagt, diese Funktion zu nutzen; dennoch ist die Nachfrage der Verbraucher nach Werbeblocker groß.“

Die Suchanfragen nach „Adblock“ in Frankreich hätten sich nach der Bekanntgabe von Freebox mehr als verdoppelt. Circa 100.000 neue Abonnenten sollen sich in den letzten Tagen das Add-on Adblock Plus heruntergeladen haben.

Zweite Front im Kampf gegen Google?

Doch die Geschichte von der bösen Industrie, die mit Unterstützung der Politik ein werbefreies Internet verhindert, klingt zu schön, um wahr zu sein. Vor allem erklärt sie nicht, warum Freebox den Werbeblocker überhaupt integrierte, statt selber an der Werbung zu verdienen. In der FAZ beschreibt Jörg Altwegg die Maßnahme als zweite Front im Kampf gegen Google:

„Die französischen Internetprovider wollen den Suchmaschinenkonzern an den Kosten für die technische Infrastruktur beteiligen. Orange, SFR und Bouygues, die wichtigsten Anbieter, unterstützen das Anliegen. Sie investieren Milliarden in die Netze und Sendeanlagen und halten Google für einen Parasiten, der kaum Kosten hat und überall profitiert.“

Zudem hat Freebox mit seiner Maßnahme keineswegs ein webefreies Internet im Sinn und wollte Marktanteile und Sympathien erhöhen. Schließlich gehört Free gehört dem Unternehmer Xavier Niel, der mit seinen Billigangeboten für Internet und mobiles Telefonieren die Marktführer in Zugzwang brachte und die ganze Landschaft verändert hat. Er ist inzwischen auch einer der drei Eigentümer der Zeitung Le Monde.

Wer entscheidet, was akzeptable Werbung ist?

Auch der Adblock Plus steht schon länger in der Kritik. Denn ganz so konsequent sind die Verantwortlichen bei ihrem Kampf gegen die Werbung nicht. Mittlerweile haben sie den Terminus akzeptable Werbung eingeführt und meinen damit die Anzeigen, die den Programmentwicklern als akzeptabel erscheinen.

„Werbung soll nicht blinken oder Töne von sich geben, sie soll Webseiten nicht mit Scripten verstopfen und so die Ladegeschwindigkeit behindern. Am besten sind reine Textanzeigen, die den Nutzer mit Inhalten und nicht mit aufmerksamkeitsheischenden Effekten zu überzeugen versuchen“, so die Philosophie der Adblock-Entwickler

Weil auch der größte Teil der Werbeindustrie das Interesse haben dürfte, Produkte zu entwickeln, die die Interessenten nicht gleich nerven, könnten so vermeintliche Vorkämpfer für ein werbefreies Internet, die vor zwei Jahren noch heftig bekämpft wurden, zu Propagandisten einer besonders freundlichen, aber auch besonders erfolgreichen Werbung werden. Schon monieren Kritiker im Netz, dass sich Adblock von der Werbeindustrie kaufen ließ. Das dürfte allerdings ein ähnliches Märchen sein, wie die Erzählung von Freebox als Vorkämpfer für ein werbefreies Internet.


Vorreiter einer neuen Zensurmöglichkeit

Wache Beobachter fürchten noch ganz andere Folgen. Der Präzidenzfall Free Revolution hat ein Modell vorgeführt, wie ein Provider standardmäßig Zensur in sein Angebot einbauen kann, warnt das Magazin Numérama. Free habe in dieser Hinsicht großen Schaden angerichtet:

„Free hat gezeigt, dass ein Provider dazu bereit ist, Inhalte zu blockieren (vergessen wir für zwei Minuten, dass es Werbung war, es handelt sich in erster Linie um HTML-Code), ohne die Abonnenten davon in Kenntnis zu setzen, ohne ihnen zu sagen, welche Inhalte auf der Webseite, die sie aufsuchen, unterdrückt wurden.“

Mit der Aktion habe Free ein Feld für alle Lobbyisten aus allen möglichen Richtungen eröffnet, die gerne bestimmte Zugänge zu bestimmten Inhalten gesperrt hätten. Die Einrichtung einer Option, die es ermöglicht, den Blocker zu desaktivieren, macht die Angelegenheit nicht viel besser, kritiert Numérama. Um diese Wahl überhaupt zu haben, müsse man informiert sein. Noch schlimmer sei aber, dass sich die Option ‚Filter ausschalten‘ auf „perverse Weise“ gegen die Interessen der Nutzer verwenden ließe – nämlich als Information darüber, wer den Filter ausschaltet. Das kann in Frankreich rechtliche Konsequenzen haben – bei Usern, die auf Filesharer-Seiten gehen.

Das Hadopi-Gesetz schreibt vor, dass der Rechner mit einem Filter versehen sein muss, um ihn vor Missbrauch im Zusammenhang mit Verletzungen von Immaterialgüterrechten zu schützen. Ansonsten drohen dem User unter der angegebenen IP bei Verletzungen von Lizenzrechten Strafen, wenn ihm nachgewiesen wird, dass er sich der „Nachlässigkeit“ schuldig gemacht hat. Bislang war dieser Nachweis schwer zu führen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153497
Peter Nowak

»telegraph« über DDR-Jugendkultur

. In der DDR stand die Kirche von Unten (KvU) für eine staatsferne, unangepasste Kultur- und Jugendszene. Sie erkämpfte sich in der DDR Freiräume, doch im realexistierenden Kapitalismus soll die KvU aus ihrem Domizil im Prenzlauer Berg vertrieben werden. Diese Geschichte beschreibt der Historiker und einstige Aktivist der DDR-Jugendopposition, Dirk Moldt, in der neuen Ausgabe der ostdeutschen Zeitschrift »telegraph« (Nr. 124, 76 Seiten, 6 Euro). Dietmar Wolf, Mitbegründer der Autonomen Antifa Ostberlins erinnert darüber hinaus an die rassistischen Pogrome von Hoyerswerda, Rostock und Mannheim-Schönau. Über den Zusammenhang von Krise und Rassismus informiert der Journalist Thomas Konicz und der österreichische Verleger Hannes Hofbauer beschreibt, wie in Osteuropa sogenannte bunte Revolutionen in westlichen Stiftungen geplant werden. Ein interessantes Heft, das Themen abseits des Mainstreams behandelt.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/809375.bewegungsmelder.html
telegraph.ostbuero.de
Peter Nowak

Das war linke Jugendkultur


MAGAZIN Die aktuelle Ausgabe des „telegraph“ beleuchtet die Rolle der „Kirche von unten“

Die Kirche von unten (KvU) hat keinen Mietvertrag mehr für ihre Räume in Prenzlauer Berg: Der Besitzer will Eigentumswohnungen schaffen. Da ist es erfreulich, dass mit dem Historiker Dirk Moldt ein Mitbegründer der KvU an die Rolle erinnert, die das Projekt für eine unangepasste linke Jugendkultur in der DDR hatte.

Moldts Rückblick ist in der aktuellen Ausgabe der „ostdeutschen Zeitschrift“ telegraph erschienen. 1987 als Sprachrohr der DDR-Umweltbibliothek entstanden, wurde sie 1989 zum Forum der DDR-Opposition, die nicht Wiedervereinigung und Kapitalismus anstrebte. Von dieser Prämisse lassen sich die MacherInnen bis heute leiten. In dieser Ausgabe erinnert Dietmar Wolf, Mitbegründer der Autonomen DDR-Antifa, an die rassistischen Pogrome vor 20 Jahren in Hoyerswerda, Rostock und Mannheim-Schönau. Er zeigt präzise auf, wie diese von PolitikerInnen zur Einschränkung des Asylrechts genutzt wurden.

Der Rapper Jens Steiner beschreibt, wie der traditionelle Protestsong zum Politkitsch wurde. Weitere Beiträge widmen sich dem NSU-Verfahren und rassistischen Strömungen im Europa der Krise.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F01%2F09%2Fa0144&cHash=87a502342887d41d4361754fe6a48853
Peter Nowak
telegraph 125/126, 6 €, beziehbar über telegraph.ostbuero.de

Wowereit – Rücktritt auf Raten?

Der Regierende Bürgermeister von Berlin steht nach der fünften Verschiebung der Flughafenöffnung unter Druck – aber vielleicht wird der Bevölkerung dann klar, dass der neue Airport gar nicht gebraucht wird

Am gestrigen Nachmittag kündigte der Regierende Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit seinen Rücktritt an, vorerst aber nur aus dem Aufsichtsrat der Berliner Flughafengesellschaft. Zuvor wurde eine Meldung der Bildzeitung bestätigt, dass sich die Eröffnung des Airport am Rande von Berlin erneut verschiebt und vor dem Frühjahr 2014 nicht denkbar ist.

Damit ist der Termin bereits vier Mal verschoben worden. Ursprünglich sollte er am 30.Oktober 2011 in Betrieb gegangen sein. Das Datum war schon lange stillschweigend und ohne öffentliche Aufmerksamkeit gecancelt worden. Doch für die Eröffnung am 3.Juni 2012 waren nicht nur bereits Plakate gedruckt. Auch viele Läden haben schon Verträge abgeschlossen. Daher sorgte die Verschiebung dieses Termins für erheblichen Druck auf die Politik. Nachdem kurzzeitig der 17.März 2013 als neuer Eröffnungstermin genannt wurde, hatte man sich dann auf den 27.Oktober verständigt. Auch dieser Termin ist nun Makulatur.

Hätte Wowereit, der sicher schon länger über das Flughafendebakel informiert war, nicht schon nach den letzten Wahlen sehr zur Überraschung eines Großteils der Berliner Bevölkerung – und zum Unmut großer Teile seiner eigenen Partei – eine Koalition mit der CDU statt mit den Grünen durchgesetzt, wäre er wahrscheinlich nicht mehr im Amt. Denn ein Bündnis aus SPD und Grünen hatte nur eine knappe Mehrheit gehabt. Die Grünen, die die Brüskierung durch Wowereit bis heute nicht verwunden haben, zeigen nun, dass sie auch Opposition können und waren die ersten, die Wowereits Rücktritt fordern. Die gesamte übrige buntscheckige parlamentarische Opposition aus Piraten, FDP und Linken schloss sich an.

Doch solange der christdemokratische Koalitionspartner bei der Stange bleibt, wird Wowereit im Amt bleiben können. Am kommenden Donnerstag dürfte er das Misstrauensvotum im Abgeordnetenhaus daher überstehen. Aber auch die Union wird nur auf einen günstigen Moment und gute Umfragewerte warten, um Wowereit zu Fall zu bringen. Das ist schließlich das politische Geschäft. Der damalige SPD-Hoffnungsträger hat 2001 genauso gehandelt, als er den Diepgen-Senat stürzte und die erste Koalition mit der PDS einging.

Diese Zeit mit einem so pflegeleichten Koalitionspartner dürften Wowereits beste Jahre gewesen sein. Damals war in der Hauptstadtpresse auch gelegentlich gerätselt worden, wie lange Wowereit es in Berlin aushält. In jenen Tagen wurde er als reif für einen Posten in der Bundespolitik gehandelt, sogar als möglicher Kanzlerkandidat stand er zur Diskussion.

Wowereit statt Steinbrück?

Würde Wowereit demnächst zurücktreten müssen, ist davon nicht mehr die Rede. Warum eigentlich? Sollte die SPD bei der Landtagswahl in Niedersachsen nicht gewinnen und der Unmut über Peer Steinbrück zunehmen, wäre doch Wowereit die perfekte Alternative. Schließlich hat er es in seinen besten Zeiten in Berlin verstanden, neoliberale Politik charmant zu verkaufen. Er lamentierte nicht über zu geringe Einkommen der Spitzenpolitiker, sondern kreierte den Spruch „arm, aber sexy“. Dass er damit selbst nicht gemeint war, wurde ihm gerne verziehen.

Denn er war eher dafür bekannt, dass er auf Festivals und Partys als bei Banken und Großunternehmen Ansprachen hielt. Über Honorare wurde gar nicht gesprochen. War es seine Bescheidenheit oder ist Wowereit in finanziellen Dingen nur dezenter als sein Parteifreund Steinbrück?

Und warum sollte ausgerechnet ein sich länger dahinziehender Hauptstadtflughafenbau einen Karriereknick für Wowereit bedeuten? Könnte er die Vorwürfe der Opposition nicht in Pluspunkte für sich umwandeln? Da wird ihm vorgeworfen, im Aufsichtsrat mit stoischer Ruhe der BER-Pleite zugesehen zu haben. Ja, wäre es besser gewesen, er hätte das Ganze durch hektische Symbolaktionen noch mehr chaotisiert? Oder hätten die Oppositionsparteien, wenn sie an der Regierung gewesen wären, die Bevölkerung etwa aufgerufen, am Wochenende Freiwilligenarbeit am Flughafengelände zu leisten, damit der Eröffnungstermin eingehalten wird? Hektisch genug waren ja schon die Verantwortlichen der Flughafengesellschaft, die nach der Debatte um die Terminverschiebung fast alle Fachleute entlassen haben, so dass niemand mehr wusste, wie es jetzt weitergeht.

Vom Flughafen mit Terminverzögerungen zur Bauruine

Sie haben aus einem Flughafenbau mit Terminverzögerungen eine Bauruine gemacht. Gäbe es bei der parlamentarischen Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus auch noch Menschen, die nicht wie die Regierung im Wartestand agierten, würden sie ihre Chance nutzen und die Parole ausgeben, der Berliner Flughafen soll eine Bauruine bleiben. Schließlich sind in den 1970er und 1980er Jahren auch viele AKW-Projekte entweder Bauruinen geblieben oder aus der Planung erst gar nicht hinausgekommen und die Grünen haben applaudiert.

Denn eines zeigt sich doch durch die dauernden Verzögerungen ganz deutlich. Es geht auch ohne den neuen Großflughafen. Außerdem wäre es ein durchaus umweltfreundliches Unterfangen, wenn der Vielfliegerei vor allem auf Kurzstrecken Grenzen gesetzt würden. Vor mehr als 25 Jahren waren die Grünen noch Teil eines breiten, bundesweit beachteten Bündnisses gegen den Bau der Startbahn am Frankfurter Flughafen. Der Kampf, in den die ganze Rhein-Main-Region einbezogen war, ging verloren.

Mit dem Widerstand gegen das Projekt Stuttgart 21 hat ein solch entschiedener Ein-Punkt-Protest gegen ein Verkehrsinfrastrukturprojekt seine Fortsetzung gefunden. Dort beobachten die Aktivisten akribisch, ob sich eine seltene Fledermaus oder ein Juchtenkäfer in die Bäume und das Gestrüpp verirrt, damit das Bauvorhaben verzögert werden kann.

Beim Berliner Flughafen klappt das ohne animalische Hilfe. Wenn schon die parlamentarische Opposition so phantasielos ist, könnte ja vielleicht eine außerparlamentarische Bewegung entstehen, die nicht nur den Weiterbau einer Stadtautobahn verhindern will, sondern sich auch die Forderung nach Erhalt des Airports als Bauruine zu eigen macht.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153487
Peter Nowak

»Ihr Arbeitslosengeld fällt komplett weg«


Weil er zum dritten PC-Grundkurs nicht mehr ging, erhält ein Koch aus Forst drei Monate kein Geld

Bert Neumann ist empört. Der gelernte Koch aus Forst, dessen Name hier auf seinen Wunsch hin geändert wurde, ist seit mehreren Jahren erwerbslos und hat Hartz IV bezogen. Gerade hat ihm sein Jobcenter mitgeteilt, dass er von 1. Januar bis 31. März keinerlei finanzielle Unterstützung bekommen wird. »Die Minderung erfolgt für die Dauer von drei Monaten und beträgt 100 Prozent des Arbeitslosengeld II«, heißt es in dem Schreiben einer Sachbearbeiterin. Als wäre diese Mitteilung nicht schon aussagekräftig genug, wurde im nächsten Absatz des Schreibens noch einmal wiederholt: »Ihr Arbeitslosengeld II fällt in diesem Zeitraum komplett weg.«

Als Grund wird angeben, Neumann sei einem PC-Grundkurs des Bildungswerks Futura GmbH unentschuldigt ferngeblieben. Neumann bestreitet diesen Vorwurf nicht. »Ich wurde zum dritten Mal in den gleichen Computerkurs geschickt, der aber immer von unterschiedlichen Trägern veranstaltet wurde«, erklärt er. Dort seien den Kursteilnehmern die Grundlagen der Internetnutzung beigebracht worden. Dadurch sollten sie in die Lage versetzt werden, im Netz nach Stellenangeboten zu suchen und sich übers Internet zu bewerben. »Wir lernten in dem Kurs, wie man einen Computer anschaltet und die Maus bedient. Da ich aber schon lange mit dem Computer arbeite, war das für mich überhaupt nichts Neues«, begründete Neumann sein Verhalten. Das habe er auch seiner Sachbearbeiterin beim Jobcenter mitgeteilt. Die aber habe ihn mit der Begründung, dass auf einer der Bewerbungen, die er zu dem Termin mitbringen musste, ein Fleck gewesen sei, aufgefordert, den Kurs erneut zu besuchen.

»Mit einer teilweisen Streichung des ALG II habe ich gerechnet, nachdem ich den Kurs verlassen habe, nicht aber mit einer Totalstreichung« erzählt Neumann. Um dringend notwendige Lebensmittel zu kaufen, wurde ihm vom Amt ein Gutschein im Wert von 176 Euro ausgehändigt. Den darf er nur für bestimmte Waren eintauschen. Zudem muss er den Betrag bei einem einzigen Einkauf ausgeben. Ist der Wert des Einkaufs geringer, verfällt der Rest, weil kein Wechselgeld ausgegeben werden darf. Neumanns größte Sorge ist momentan, seine Wohnung zu verlieren, weil er seine Miete nicht bezahlen kann. »Ich habe es dem Vermieter noch gar nicht gesagt, weil ich befürchte, dass er mir sofort die Kündigung schicken wird«, sagt Neumann. Mit Hilfe der Linkspartei hat er einen Anwalt gefunden, der Klage gegen den Totalentzug von Hartz IV eingereicht hat.

Die Erfolgsaussichten sind nicht schlecht. Eine 100-prozentige Sanktion sei zwar generell rechtmäßig, im Detail aber an sehr vielen Punkten angreifbar, erklärt Harald Thome. »Erfolge gibt es regelmäßig. Ich würde behaupten, dass in der juristischen Prüfung zirka 75 Prozent der Sanktionsbescheide kassiert werden«, betont der beim Verein Tacheles arbeitende Referent für Arbeitslosen- und Sozialrecht.

Doch bis zu einer juristischen Entscheidung kann es einige Wochen dauern. Zurzeit wird Neumann von Freunden unterstützt. Sie planen für Anfang Februar eine Veranstaltung zum Widerstand gegen Zwangsmaßnahmen unter dem Hartz-IV-Regime. Dort soll etwa der Berliner Aktivist und Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens Ralph Boes reden, der vor einigen Wochen mit einem Hungerstreik gegen die Sanktionen der Jobcenter bundesweit für Aufsehen sorgte. Auf der Veranstaltung soll auch die Initiative vorgestellt werden, die zum Ziel hat, dass sich Erwerbslose bei ihren Terminen beim Jobcenter von Personen ihrer Wahl begleiten und unterstützen lassen können. Die Gruppe hat mittlerweile erfahren, dass in Forst aktuell fünf Erwerbslosen die Bezüge komplett gestrichen wurden.

Silvia Friese vom Jobcenter Spree-Neiße verwies darauf, dass Neumann in der Vergangenheit bereits zwei Maßnahmen abgebrochen habe und nun unentschuldigt bei dem PC-Kurs fehlte. Da der Erwerbslose bisher nicht seine Bereitschaft erklärt habe, »die Pflichten nachträglich erfüllen zu wollen«, sei »eine nachträgliche Begrenzung der Sanktion auf 60 Prozent des Regelbedarfes nicht möglich.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/809300.ihr-arbeitslosengeld-faellt-komplett-weg.html

Peter Nowak

Keine Erfolge ohne Basisbewegungen

Peter Nowak über „Politische Streiks im Europa der Krise“

Am 14. November streikten Gewerkschaften in mehreren europäischen Ländern erstmals koordiniert gegen die europäische Krisenpolitik. Viele fragten sich nachher: War das der Beginn eines neuen Protestzyklus?
Gerade rechtzeitig kommt da ein Buch auf den Markt, in dem sich knapp 20 Autorinnen und Autoren aus verschiedenen europäischen Ländern mit der aktuellen Bedeutung der politischen Streiks im Europa der Krise befassen. Einige AutorInnen gehen dabei auch auf die Debatten über Massenstreiks in der Arbeiterbewegung vor 100 Jahren ein und heben dabei die Positionen von Rosa Luxemburg positiv hervor. Bezug genommen wird auf Rosa Luxemburg Schrift „Massenstreik, Partei und Gewerkschaft, wo sie aus den Erfahrungen der gescheiterten Russischen Revolution von 1905 das Konzept des Massenstreiks als offensive Waffe einer erstarkenden Arbeiterbewegung bezeichnete. Auch 1913 schrieb sie in einem Artikel dass sich die Massen mit der Anwendung der neuen Kampfform vertraut machen müssen.
Der Schwerpunkt des Buchs liegt aber auf der Untersuchung der aktuellen Arbeitskämpfe.
Der Historiker Florian Wilde, der als Referent für Gewerkschaftspolitik bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung arbeitet und im Mai 2012 einen Kongress zum Thema politische Streiks in Europa vorbereitet hat, skizziert in der Einleitung den politischen Kontext, der sich fundamental von den Zeiten, als Rosa Luxemburg wirkte, unterscheidet. Während die Anzahl ökonomischer Streiks in den letzten Jahren zurückgegangen sei, hätten politische Generalstreiks zugenommen, denen er aber – anders als den Generalstreiks zu Beginn der Volksfrontregierung 1936 in Frankreich oder den 1968er-Streiks kein revolutionäres Potenzial attestiert.
„Im Gegenteil: Die zunehmende Zahl von politischen Streiks und Generalstreiks ist zunächst Ausdruck der hochgradig defensiven Stellung, in der sich die Gewerkschaften nach drei von Niederlagen geprägten Dekaden heute befinden (…) Die Gewerkschaften und die gesellschaftliche Linke kämpfen in dieser Situation mit dem Rücken an der Wand. Aus dieser Konstellation ergibt sich sowohl die massive Zunahme politischer Streiks als auch ihr vorrangig defensiver Charakter“ (S. 12).
In einer längeren, vergleichenden Studie (S. 24-106) werten die Sozialwissenschaftler Jörg Nowak und Alexander Gallas die aktuelle Streikgeschichte von Großbritannien und Frankreich aus und zeigen die Grenzen der auf den ersten Blick im Vergleich zur Situation in Deutschland beeindruckenden Auseinandersetzungen auf. In beiden Ländern konnten mit den Arbeitskämpfen keine grundlegenden Änderungen der Politik erreicht werden. „So gelingt es der Arbeiterbewegung nicht, konstruktive Gestaltungsmacht zu erlangen. Im Kontext der Krise, in der fast keine Regierung in Europa Zugeständnisse machte, hat sich dieses Protestmuster weitgehend erschöpft“ (S. 64), so Jörg Nowaks ernüchterndes Fazit zu den Streiks in Frankreich. Wenn er im Anschluss darauf verweist, dass der Wahlsieg der Sozialisten ein Effekt der Arbeitskämpfe war, ist damit angesichts der Politik der europäischen Sozialdemokratie keinesfalls gesagt, dass in diesem Wahlsieg auch ein politischer Erfolg der Streikenden lag. Alexander Gallas zeigt in seinem Großbritannien-Schwerpunkt, wie sich Gewerkschaften, Studierende und soziale Bewegungen in ihren Kämpfen in den Jahren 2010 und 2011 aufeinander bezogen haben. Überzeugend argumentiert er, dass es nur so möglich ist, einen gesellschaftlichen Einfluss zu erreichen – die Gewerkschaften alleine seien dazu nicht mehr in der Lage, da sie durch die drastische Deindustralisierung in Großbritannien massiv geschwächt worden seien.
Auch in Griechenland und Spanien, wo in den letzten Jahren die meisten Generalstreiks stattgefunden haben, die aber oft nur Aktionstage waren, ist es nicht gelungen, wenigstens Teile des Krisenprogramms zu verhindern. Olga Karyoti, die die griechische Basisgewerkschaft der Übersetzer vertritt, spricht sogar von ritualisierten Generalstreiks, die ohne politische Erfolge zu Enttäuschung und zum Rückzug der Aktivisten führen (S. 168).
Ähnlich selbstkritische Äußerungen finden sich vor allem in den zehn Länderbeiträgen, in denen linke BasisgewerkschafterInnen zu Wort kommen, wobei die Begründungen durchaus unterschiedlich ausfallen: So analysiert Christine Lafont vom Gewerkschaftsdachverband Solidaires, (den ehemaligen SUD-Gewerkschaften, Anm. d. Red.) wie in Frankreich die zögerliche Haltung der mitgliederstärkeren CGT-Gewerkschaft die letzten großen Streiks gegen die Sozialpolitik von Sarkozy in eine Niederlage führte (S. 145ff.). Deolinda Martin, die dem oppositionellen Flügel der portugiesischen Gewerkschaft CGTP angehört, beschreibt dagegen, dass der dritte Generalstreik seit 2010 im Januar 2012 von der Masse der Bevölkerung ignoriert wurde (S. 150ff.). Bisher wenig bekannte Informationen über das Streikgeschehen in Rumänien und im ehemaligen Jugoslawien liefert Boris Kanzleiter in seinem knappen, aber informativen Aufsatz (S. 114).
So beteiligten sich am 18. April 2012 an der größten Demonstration seit der slowenischen Unabhängigkeit fast 1000000 Menschen an einer Großdemonstration in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana gegen die Kürzungspolitik im öffentlichen Sektor. „In einem Land nur zwei Millionen EinwohnerInnen zählenden Land war dies eine Demonstration der Stärke der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes und des Gewerkschaftsdachverbandes ZSSS“, schreibt Kanzleiter (S.115). In Kroatien wiederum bildete sich in Universitätsprotesten zwischen 2008 und 2010 eine neue Linke heraus, die sich im Zuge der Finanzkrise auch mit streikenden Arbeitern und protestierenden Landwirten solidarisierte. „So hielten bereits im Dezember 2009 protestierende Milchbauern an der Philosophischen Fakultät von Zagreb ein Plenum ab“, so Kanzleiter (S.119). Auch in verschiedene lokale Arbeitskämpfe habe die studentisch geprägte Linke in den letzten beiden Jahren interveniert. Als Treffpunkt der neuen kroatischen Linken habe sich das jährlich im Mai in Zagreb stattfindende Subversive Festival“ etabliert, in dem neben kulturellen Darbietungen auch politische Debatten eine wichtige Rolle spielen. In Serbien, wo sich durch die Dominanz des Nationalismus eine landesweite neue Linke bisher nicht herausgebildet hat, listet Kanzleiter in den letzten Jahren lokale Streiks auf, unter Anderem im Textilkombinat Raska. Der bekannte Aktivist dieses Streiks Zoran Bulatovic wurde anschließend mehrmals tätlich angegriffen und lebt daher mittlerweile im Ausland. Auch in Rumänien, wo sich bisher keine neue emanzipatorische Linke formieren konnte, haben im Januar 2012 massive soziale Proteste zum Rücktritt der dem Präsidenten nahestehenden neoliberalen Regierungskoalition geführt. Seitdem liefern sich der Präsident und die neue sozialliberale Regierung einen erbitterten Machtkampf. Eine eigenständige parteiabhängige soziale Bewegung hat sich aber bisher in dem Land nicht herausbilden können.
Mehrere Beiträge beschäftigen sich mit Streiks in Deutschland. So erinnert Heidi Scharf, erste Bevollmächtigte der IG-Metall Schwäbisch Hall, an vergessene Arbeitskämpfe der letzten Jahrzehnte, die den Charakter politischer Streiks angenommen hatten. Dazu zählten Arbeitsniederlegungen gegen den heute weitgehend vergessenen „Franke-Erlass“, benannt nach dem ehemaligen Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit: Dieser verfügte Mitte der 80er-Jahre, dass Lohnabhängige, die während eines Streiks von den Unternehmen ausgesperrt wurden, keine Unterstützung vom Arbeitsamt mehr bekommen sollten (S. 212). Auch der Frauenstreiktag vom 8. März 1994, der für Scharf und eine weitere Gewerkschafterin einen Strafbefehl wegen Rädelsführerschaft zur Folge hatte, weil die Aktivistinnen eine nicht für den Fußgängerübergang vorgesehene Straßenkreuzung überquerten, wird noch einmal in Erinnerung gerufen (S. 214). Der ehemalige IG Medien-Vorsitzende Detlef Hensche ruft ein Problem in Erinnerung, das sich für jede Geschichtsschreibung über politische Streiks stellt, wenn er schreibt, dass diese in der BRD nie so benannt wurden, weil die offiziell verboten sind. Hensche fordert dazu auf, sich das Recht auf politische Streiks zu erkämpfen. „Die Gewerkschaften sind unter ihren Möglichkeiten geblieben (S. 220)“, skizziert er sehr vorsichtig die Rolle der DGB-Gewerkschaften, die vom politischen Streik in der Mehrheit bis heute nichts wissen wollen und auf die Gesetzeslage verweisen. Dagegen richtet auch sich der „Wiesbadener Appell“ für ein Recht auf politischen Streik, den der Initiator und hessische IG Bauen Agrar Umwelt-Sekretär Veit Wilhelmy im Buch vorstellt und begründet (S. 227).
Leider fehlt aus Deutschland ein Beitrag von einer Basisgewerkschaft außerhalb des DGB. Schließlich waren in den letzten Jahren die GDL, die UFOs in den letzten Jahren oft viel streikfreudiger gewesen, als die DGB-Gewerkschaften. Die anarchosyndikalistische FAU befürwortet seit Langem politische Streiks. Dafür wäre der Schlusstext (S. 232ff.), eine Eröffnungsrede des Linken-Politikers Klaus Ernst auf der schon erwähnten Konferenz der Rosa-Luxemburg-Konferenz im Mai 2012, entbehrlich gewesen, weil er keine neuen Argumente liefert.
Das Buch liefert insgesamt einen guten Überblick über das politische Streikgeschehen im gegenwärtigen Europa. Das politische Fazit lautet, dass Streiks auch heute noch eine wichtige politische Kampfform im Europa der Krise sind. Die Länderbeispiele zeigen aber auch, dass dafür eine Basisorientierung der Gewerkschaften und eine Kooperation mit sozialen Bewegungen Voraussetzungen für einen erfolgreichen Ablauf sind. In Deutschland aber muss das Thema ohnehin erst einmal auf die Tagesordnung von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen gesetzt werden.
Denn die Veränderungen der Arbeitsverhältnisse in vielen europäischen Ländern haben gerade kampferfahrene Gewerkschaften geschwächt. Isolierte Arbeitsverhältnisse im Dienstleistungssektor, die in vielen Ländern boomen, sind auch nicht die besten Voraussetzungen für solidarische Kämpfe. In Deutschland, wo sich die DGB-Gewerkschaften sich als Sozialpartner begreifen und politische Streiks keine Tradition haben, war es schon ein relativer Erfolg, dass auf Initiative von außerparlamentarischen Linken auch die DGB-Gewerkschaften in Berlin am 14. November zu einer Kundgebung mit anschließender Demonstration aufriefen. Die Krisenproteste des Jahres 2012 vom antikapitalistischen Aktionstag am 31. März über die Blockuppy-Aktionstage Mitte Mai bis zum 14. November machen noch einmal deutlich, dass die Konzentration auf mit großen Aufwand organisierte Aktionstage verpuffen, wenn es an Widerstand im Alltag fehlt. Dass er möglich ist, zeigt der MieterInnenwiderstand in verschiedenen Städten. So hat sich n Berlin in den letzten Wochen ein Bündnis gegen Zwangsräumungen von Mietern, die ihre Miete nicht zahlen konnte, gebildet. Mit der Parole „Mieten runter – Löhne hoch“ wurde der Zusammenhang zwischen der MieterInnenbewegung und Arbeitskämpfen zumindest beim Motto hergestellt. Hier bieten sich Ansätze für Proteste, die da ansetzen, wo bei den Leuten die Krise ankommt.

Peter Nowak
Alexander Gallas / Jörg Nowak / Florian Wilde (Hrsg.): „Politische Streiks im Europa der Krise.“ VSA-Verlag, Hamburg 2012, 240 Seiten, 14,80 Euro, ISBN 978-3-89965-532-2

Das Buch erscheint unter einer gemeinfreien Creative Commons License und steht auf der Homepage der Rosa Luxemburg-Stiftung zum Download zur Verfügung: http://www.rosalux.de/publication/38866/politische-streiks-im-europa-der-krise-2.html

Veranstaltungshinweis zum Buch:
Die HerausgeberInnen haben Interesse an Diskussionsveranstaltungen zu dem Buch: In Berlin wird sie am 6.Februar 2013 im Stadtteilladen Zielona Gora in der Grünbergstr. 73 stattfinden. Kontakte vermittelt der VSA-Verlag: maren.schlierkamp@vsa-verlag.de oder gerd.siebecke@vsa-verlag.de

aus Express 12/2012
http://www.express-afp.info/newsletter.html