Droht Merkel der Super-Gauck?

Die Kampagne für den Gegenkandidaten steht erst am Anfang

Eigentlich hatte Angela Merkel bei der Nominierung des Bundespräsidenten alles richtig gemacht. Mit dem Kandidaten Christian Wulff wurde ein weiterer potentieller Merkel-Konkurrent weggelobt. Zudem ist er ein ausgewiesener Anhänger schwarz-gelber Koalitionen. Doch nun könnte die Bundespräsidentenwahl zur Zitterpartie für die Bundesregierung werden. Denn der Gegenkandidat Joachim Gauck scheint nicht so chancenlos, wie man es angesichts der komfortablen Mehrheit der Bundesregierung in der Bundesversammlung, die den Präsidenten wählt, annehmen könnte.

Vor allem FDP-Politiker versichern, dass sie mit einen Präsidenten Gauck gut leben können. Und es sind nicht nur einige Ostpolitiker, die sich für den Bürgerrechtler aussprechen, auch der nicht gerade einflusslose schleswig-holsteinische FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki hat ihn als eine gute Wahl bezeichnet. Mit ihrem Abweichen von der Koalitionslinie könnte die FDP sich auch dafür rächen, dass mehrere ihrer Lieblingsprojekte, wie die Steuersenkung und die Kopfpauschale, in der Bundesregierung nicht mehrheitsfähig sind. Zudem war die FDP in die Kandidatensuche gar nicht einbezogen. Damit war Parteichef Westerwelle, aber nicht unbedingt die Parteibasis, einverstanden.

Aber auch in der Union gibt es bis die Vorstandsetagen Sympathie für den Rostocker Pastor. Dabei steht die Kampagne für Gauck erst am Anfang. Der Bürgerrechtler Lutz Rathenow hat angekündigt, dass die Pro-Gauck-Lobby in den nächsten Wochen noch sehr aktiv sein wird.

Wulff hat mit seiner Ankündigung, er wolle sein Ministerpräsidentenamt erst räumen, wenn er am 30.Juni gewählt wird, die Siegeszuversicht nicht erhöht. Dass führende Politiker der Linken erklären, in einem dritten Wahlgang für Gauck zustimmen, steigert seine Chancen. Das Regierungslager will durch die Minimierung von unabhängigen Personen in der Bundesversammlung die Mehrheit für Wulff sichern.

Pyrrhussieg für SPD und Grüne

Da mit Gauck und Wulff zwei Konservativen unterschiedlicher Akzentuierung und Herkunft gegeneinander antreten, wäre auch ein Sieg von Gauck keine Richtungswahl. Allerdings wäre Merkels Autorität angegriffen, wenn Wulff unterliegt. Auch ein Rückzug von Wulff ist in der nächsten Zeit noch denkbar. Auch Bundeskanzler Kohl kam 1993 auf diese Weise der von ihm persönlich ausgewählte rechtskonservative Bundespräsidentenkandidat Steffen Heitmann abhanden, was für den Kanzler nur ein vorübergehender Malus war.

SPD und Grüne könnten bei einem Sieg von Gauck die Freude auskosten, Merkel in die Schranken gewiesen zu haben, in dem sie selber einen Konservativen aufstellten.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/147773

Peter Nowak

Sixt bremst Betriebsräte aus

Der Autovermieter  Sixt bezeichnet sich als  „Deutschlands führender Mobilitätsdienstleister“. Bei Arbeitnehmerrechen hinkt das Unternehmen aber weit hinterher.

4 Beschäftigte, die als Callcenter-Agents bei Sixt in Rostock gearbeitet haben, sind in den letzten Wochen entlassen worden. Sie sehen den Rausschmiss im  Zusammenhang mit ihrer gewerkschaftlichen Tätigkeit.  
Zunächst wurde Torsten Sting entlassen, der sich in  Rostock mehrmals für die Gründung eines Betriebsrates eingesetzt hatte. Neben einer fristgerechten wurde ihm „wegen massiver Pflichtverletzungen“  noch eine fristlose Kündigung zugesandt. Zu  den Gründen soll auch das Tragen eines T-Shirts mit der Parole „Wir sind keine Zitronen“ gehört haben.  Auch 3 weitere Callcenter-Mitarbeiter, die sich nach Stings Entlassung weiter für die Gründung eines Betriebsrats einsetzten, bekamen mittlerweile die Kündigung. Das Unternehmen bestreitet jeden Zusammenhang mit der gewerkschaftlichen Tätigkeit.    
Die IG-Metall-Verwaltungsstelle Rostock hatte  Sixt schon im März zu Gesprächen wegen der Gründung eines Betriebsrats aufgefordert.  Das Unternehmen hat daraufhin erklärt,  die  IG-Metall sei nicht zuständig. Doch vielleicht vom  Management erhoffte Kompetenzstreitigkeiten zwischen verdi und der IG-Metall wollen die Gewerkschafter gar nicht erst aufkommen lassen.  Deshalb soll sich jetzt der DGB-Rostock um das Prozedere der Betriebsratswahl kümmern.  
Die Frage ist, ob sich genügend Kollegen dafür finden. Ein Sixt Mitarbeiter, der nicht namentlich  genannt werden will, spricht vom Klima der Angst. Die Mitarbeiter seien mit den Arbeitsbedingungen sehr unzufrieden. Deshalb stößt die Etablierung eines Betriebsrates auf offene Ohren. Nach den Kündigungen sei bei der Belegschaft allerdings auch die Angst gewachsen. Denn ihren Arbeitsplatz wollen viele nicht riskieren.
Am kommenden Dienstag urteilt das Rostocker Arbeitsgericht über die Rechtmäßigkeit der fristlosen Kündigung von Torsten Frings. Seine Anwältin siehe gute Chanen für ihren Mandanten. Ein positives Urteil für ihn könnte die Aktivitäten für eine baldige Betriebsratswahl  beschleunigen. Das wäre ein Novum bei Sixt. In der Vergangenheit sind Versuche von Mitarbeitern in anderen Sixt-Standorten, einen Betriebsrat aufzubauen, immer gescheitert.
Nach Betriebsrat Werk geschlossen?
Die arweService GmbH erbringt überwiegend Serviceleistungen für Sixt. Im April wurden die 28 Mitarbeiter der Bonner Filiale entlassen und das gesamte Werk wurde geschlossen. Einen Tag zuvor hatten die Beschäftigten einen Betriebsrat gewählt.    „Es ist unfassbar, wie Arbeitgeber heute immer noch versuchen, Betriebsräte zu verhindern. Damit setzt die arwe die Existenz der Arbeitnehmer bewusst aufs Spiel“, moniert der zuständige verdi-Sekretär Özcan Özdemir.  Er hält die ökonomischen Gründe, die die Geschäftsleitung für die Schließung anführt, für vorgeschoben. 
„Die Aufträge sind da, durch die Verlagerung auf den Subunternehmer entstehen der arwe bis zum Ablauf der Kündigungsfrist sogar doppelte Kosten“, betont Özdemir und verweist auf die Internet-Seite der arwe-Service GmbH. Dort bezeichnet man sich als „ein organisch gewachsenes, wirtschaftlich gesundes und innovationsgesteuertes Unternehmen“.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/172544.sixt-bremst-betriebsraete-aus.html?sstr=Sixt
Peter Nowak

Haushaltsprobleme der Linken

Einem Teil der Parteibasis ist das erst vor wenigen Wochen auf dem Rostocker Parteitag gewählte Führungspersonal zu teuer
Eigentlich ist die Linke gerade mit der Kritik an den Sparplänen der Bundesregierung beschäftigt. Da kommen ihr nun Finanz- und Haushaltsprobleme in eigener Sache in die Quere: Einem Teil der Parteibasis ist das erst vor wenigen Wochen auf dem Rostocker Parteitag gewählte Führungspersonal schlicht zu teuer. Auf der ersten Sitzung des neugewählten Parteivorstands wurde auch über die finanzielle Vergütung gesprochen.

Obwohl noch keine genauen Zahlen bekannt wurden, machten an der Basis Vermutungen die Runde, dass auch Bundestagsabgeordnete ihre Vorstandstätigkeit in der Partei zusätzlich vergüten können. Die schnell empörten Genossen schrieben Briefe an den Vorstand.

„Glaubt ihr wirklich, dass Bundestagsabgeordnete 4000 Euro zusätzlich im Monat zum Leben brauchen“, zitierte das parteinahe Neue Deutschland aus einem Brief des Kreisvorstandes Havelland. Nach Informationen des Spiegel protestierten auch andere Basisorganisationen gegen die „Selbstbedienungsmentalität“. Die Linkenbasis moniert auch eine mangelhafte innerparteiliche Transparenz bei der Finanzierungsfrage.

Eine als „Hilfreiche Erläuterung“ überschriebene Pressemitteilung des Pressesprechers der Bundestagsfraktion der Linken, Hanno Harnisch, konnte den Streit nicht beenden. Harnisch schrieb, dass es keine Neuregelung der Vorstandsbezüge, sondern nur einen Beschluss für die neue Wahlperiode gäbe. Fortgesetzt werde eine Regelung, die auch für Lothar Bisky und Oskar Lafontaine gegolten habe. Die Linksfraktion sei für diese Frage gar nicht zuständig und der Inhalt der Meldung treffe nicht zu, konterte das Neue Deutschland.

Während drei der sieben Parlamentarier, die auch im Vorstand der Linken sind, mittlerweile auf eine zusätzliche Entlohnung verzichtet haben, soll ein Vorstandsmitglied bereits seine Forderungen angemeldet haben. Ende März war Klaus Ernst aus dem neuen Führungsduo der Linken wegen unklarer Abrechnungen seiner Flüge in die Kritik geraten. Der Spiegel berichtet, er soll auch Flüge beim Bundestag abgerechnet haben, wo er nicht als Bundestagsabgeordneter sondern als IG-Metall-Funktionär unterwegs gewesen sein soll. Ernst bestreitet die Vorwürfe.

Weder Wulff noch Gauck

Während diese internen Haushaltsprobleme Teil der Entwicklung der Linken zu einer ordentlichen Parlamentspartei sind, kann sie sich über die Auswahl der Bundespräsidentenkandidaten freuen. Weil weder Wulff noch Gauck von der Parteibasis akzeptiert werden, bleibt der Partei die Diskussion über eine mögliche Unterstützung eines SPD- oder Grünen-Kandidaten erspart.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/147767

Peter Nowak

Für eine ganz andere Bildung

Bei der Aktionswoche des Bildungsprotestes soll es nicht nur um Geld gehen
Studierende machen wieder mobil – eine Woche Protest ist angekündigt. Doch es geht ihnen um mehr als bei den Streiks im letzten Jahr.
Transparente, Infostände und sogar Zeltstädte dürften in den nächsten Tagen an vielen Hochschulen der Republik zum Alltag gehören. Sie sind Teil einer Bildungsprotestwoche, zu der Studierende, Schüler und Auszubildende vom 7. bis 12. Juni aufrufen. Auf einer Pressekonferenz in Berlin haben die Aktivisten dezentrale Proteste angekündigt. Am Mittwoch sind in vielen Städten Demonstrationen für eine andere Bildung geplant. Die Organisatoren hoffen, dass sich neben Schülern und Studierenden auch Auszubildende beteiligen. Schließlich rufen auch einige Gewerkschafter zu den Protesten auf.

Mit der Aktionswoche werden die Bildungsproteste fortgesetzt, die im Sommer und Herbst 2009 Tausende Studierende und Schüler mobilisiert hatten. Allerdings handelt es sich keinesfalls um eine Wiederholung der Bildungsproteste der letzten beiden Semester, betonen die Organisatoren. So soll im Rahmen der Aktionswoche über ein anderes Bildungssystem diskutiert werden. An manchen Schulen und Hochschulen werden Plenen stattfinden, an anderen Bildungseinrichtungen wie der Aachener Hochschule wird ein Protestcamp mit Zelten aufgebaut.

Dabei geht es den Aktivisten nicht nur um eine bessere finanzielle Ausstattung und die völlige Abschaffung von Studiengebühren. Sie stellen die Strukturen an den Bildungseinrichtungen infrage. »Um wirkliche Verbesserungen zu erreichen, brauchen wir eine radikale Demokratisierung des Bildungssystems«, betont die Berliner Studentin Saskia Benisch.

»Obwohl Politiker und Medien ein gewisses Wohlwollen für die Proteste der letzten Semester äußerten, wurde auf unsere zentralen Forderungen gar nicht eingegangen«, moniert die Studentin Tanja Bausch und vertritt damit die Meinung vieler Aktivisten.

Im Zeichen der Krise werden offen massive Kürzungen auch im Bildungsbereich von Politikern der Union und der FDP diskutiert. Auch ein Treffen zwischen studentischen Aktivisten und Bundesbildungsministerin Schavan Mitte Mai hat bei vielen Protestierenden eher zu Enttäuschungen geführt. Allerdings wurden dabei auch unterschiedliche Proteststrategien sichtbar. Während ein Teil der Aktivisten das Treffen unter Protest vorzeitig verließ, blieben andere, obwohl sie die Kritik teilten. Danach sprachen wohlmeinende Protestberater wie der emeritierte Berliner Politologe Peter Grottian davon, dass die Bewegung eine bessere theoretische Fundierung brauche und warnten vor der Gefahr der Schrumpfung.

Jörg Rostek von der Pressegruppe des Bildungsstreikbündnisses bestätigt gegenüber ND, dass sich bei manchen Aktivisten mittlerweile Ernüchterung eingestellt hat. Zugleich hätten sich Menschen beteiligt, die bisher noch nicht aktiv gewesen seien. Rostek will sich daher auch nicht an Spekulationen beteiligen, ob sich mehr oder weniger Aktive an den Bildungsprotesten beteiligen. Die Aktivisten vernetzten sich sowohl im In- wie im Ausland. So tauschten sich studentische Aktivisten aus aller Welt an der Bochumer Universität bei einem Internationalen Bildungskongress aus. Innerhalb Deutschland arbeiten die Bildungsaktivisten mit anderen Protestbündnissen zusammen. Sie beteiligen sich mit einem Bildungsblock an den Krisendemonstrationen am 12. Juni in Berlin und Stuttgart.

(www.bildungsstreik.net/)

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/172482.fuer-eine-ganz-andere-bildung.html

Peter Nowak

Europa – anders und von unten

Vorbereitung auf Istanbuler Sozialforum
»Auf dem Weg nach Istanbul«, lautete das Motto eines ganztägigen Workshops, zu dem die Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Verein Helle Panke Ende Mai in Berlin eingeladen hatten. Dort gab es Informationen über das nächste Europäische Sozialforum (ESF), das vom 1. bis 4. Juli in Istanbul stattfinden wird.
Wird es ein Forum, an dem über die Grenzen Europas hinaus gemeinsam Politik diskutiert und gemacht werden kann? Dies war eine der Fragen, die die 80 Teilnehmer der Veranstaltung mit türkischen und kurdischen Aktivisten sozialer Bewegungen erörterten. Sie sehen in der Wahl des Ortes eine Chance für eine Perspektiverweiterung. Die bisherigen Sozialforen fanden in Florenz, Paris, London Malmö und Athen statt. Die Organisatoren in der Türkei hoffen auch auf ein verstärktes Interesse sozialer Bewegungen aus Osteuropa.

 Aber natürlich werden die aktuellen sozialen und bürgerrechtlichen Kämpfe in der Türkei eine zentrale Rolle spielen. So wird bei der Eröffnungskundgebung am zentralen Istanbuler Taksim-Platz ein Vertreter der seit Monaten gegen ihre Entlassung kämpfenden Arbeiter der Tabakfabrik Tekel sprechen. Eine Delegierte des Mesopotamischen Sozialforums, das im September 2009 in Diyarbakir getagt hatte, wird die Forderungen der in der kurdischen Bevölkerung sehr aktiven zivilgesellschaftlichen Bewegungen zur Sprache bringen. Am 30. Juni wird auch der Europäische Frauenmarsch in Istanbul eintreffen, der die soziale Diskriminierung und patriarchale Unterdrückung von Frauen in Europa auf die Tagesordnung setzen wird.

Wichtige Themen werden in Istanbul angesichts der Wirtschaftskrise die Suche nach ökonomischen Alternativen, aber auch der Kampf um soziale Rechte auf europäischer Ebene sein. Bürgerrechtsgruppen aus vielen Ländern und Aktivisten der noch junge Klimabewegung werden anwesend sein. In Deutschland haben Gewerkschaften und lokale soziale Initiativen Interesse am ESF gezeigt. Aber auch Einzelpersonen sind willkommen. Informationen gibt es auf der Homepage www.esf2010.org/.

Auch wenn die Sozialforumsbewegung in den Medien nicht mehr so präsent und die Teilnehmerzahl bei den ESF gesunken ist, betonte Silke Veth von der Rosa-Luxemburg-Stiftung die Erfolge: »Es existieren mittlerweile kontinuierlich arbeitende Netzwerke, beispielsweise das Wassernetzwerk und das Netzwerk gegen Prekarisierung, die sich auch unabhängig vom ESF treffen und neue Leute einbinden.«

http://www.neues-deutschland.de/artikel/172292.europa-8211-anders-und-von-unten.html

Peter Nowak

Folter und Folterandrohung sollen in Europa tabu bleiben

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte rügt die milde Bestrafung der für die Folterandrohungen gegenüber Gäfgen verantwortlichen Polizisten
Der wegen Kindesentführung und -tötung zu lebenslänglicher Haft verurteilte Jurist Markus Gäfgen hat einen Teilsieg errungen, der ihm aber wenig nützt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat am 1. Juni entschieden, dass deutsche Polizeibeamte bei Gäfgens Vernehmung die Menschenrechte verletzt hätten, als sie den Beschuldigten mit Folter drohten, wenn er das Versteck des entführten Kindes nicht offenbart.

„Der Gerichtshof war überzeugt, dass die deutschen Gerichte, sowohl im Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer als auch in demjenigen gegen die Polizeibeamten, ausdrücklich und eindeutig anerkannt hatten, dass die Behandlung des Beschwerdeführers bei seinem Verhör gegen Artikel 3 verstoßen hatte.“

Der Gerichtshof sparte auch nicht mit Kritik an den milden Strafen der verantwortlichen Polizisten, die „nicht den notwendigen Abschreckungseffekt hatten, um vergleichbaren Konventionsverletzungen vorzubeugen“. Ausdrücklich rügte das Gericht, dass die Folterdrohung keinen Karriereknick für alle Beamten bedeutete.

„Zudem gab die Tatsache, dass einer der Beamten später zum Leiter einer Dienststelle ernannt worden war, Anlass zu grundlegenden Zweifeln, ob die Behörden angemessen auf den Ernst der Lage angesichts einer Verletzung von Artikel 3 reagiert hatten.“

Mit dieser Entscheidung machte das Europäische Gericht klar, dass an dem absoluten Folterverbot nicht gerüttelt werden darf. Für Gäfgen allerdings ändert sich durch die Entscheidung nichts. Ein neues Verfahren, das er gefordert hatte, wird es nicht geben. Die Richter begründeten diese Entscheidung damit, dass maßgeblich für das Urteil nicht die unter Folterdrohung gemachten Aussagen, sondern ein späteres Geständnis war. Davor war Gäfgen erklärt wurden, dass alle vorherigen Aussagen nicht im Prozess verwendet werden.

In der Öffentlichkeit war teilweise Unverständnis laut geworden, dass Gäfgen die Möglichkeit habe, den langen Rechtsweg zu bestreiten. Das Urteil vom 1. Juni macht noch einmal die Haltlosigkeit einer solchen Position deutlich. Es stärkt rechtsstaatliche Positionen und zieht Pflöcke gegen jegliches kreative Herumlavieren am Folterverbot ein, ohne dass Gäfgen davon direkt profitiert.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/147741

Peter Nowak

Vom aufrechten Gang

Gewerkschafterin Inken Wanzek berichtet über Widerstand bei Siemens
Seit Siemens Inken Wanzek und viele ihrer Ex-Kollegen aus dem Unternehmen warf, kämpfen die Betroffenen für ihre Rechte. Mit ihrer Homepage und einem Roman wollen sie Widerstand leisten, Mut machen und helfen.
Im Jahr 2002 versuchte der Siemens-Konzern in seiner Münchner Filiale, über 2500 Angestellte aus dem Telekommunikationsbereich zu entlassen. Die meisten Betroffenen waren fast 50 Jahre alt. Widerstand war von ihnen scheinbar nicht zu erwarten. Doch die Siemens-Verantwortlichen sollten sich täuschen: Nach jahrelangen sozialen und juristischen Ausein-andersetzungen mit dem Konzern willigte Inken Wanzek, eine der Betroffenen, zwar in einen Vergleich ein, aber zur Ruhe hat sie sich noch lange nicht gesetzt. Jetzt hat sie ihre Erfahrungen im betrieblichen Widerstand in einem Roman verarbeitet, der unter dem Titel »Der Widerspruch des Gerry Gollmann … und anderer, die den Mut fanden, nicht aufzugeben«, erschien. Am Montagabend stellte sie ihn auf Einladung des Arbeitskreises »Geschichte sozialer Bewegungen Ost/West« in Berlin vor.

Wanzek schildert in ihrem Buch die Gefühle der Angestellten, nachdem ihnen die Entlassung angekündigt wurde. Viele suchten die Schuld bei sich und wollten sich zurückziehen. Wanzek organisierte mit Kollegen Gesprächskreise, wo sich Betroffene aussprechen konnten, Rechtstipps bekamen und auch erste Gegenstrategien berieten. Eine wichtige Rolle spielte die von Wanzek mitgegründete Homepage www.nci-net.de. Sie entwickelte sich schnell zum Kristallisationspunkt des Widerstands.

Auch die Repressionen gegen die »Aufmüpfigen« spielen eine zentrale Rolle in Wanzeks Buch. Sie wurden öffentlich gemobbt und verklagt. In dieser Auseinandersetzung entwickelten sich viele zu Hobbyjuristen, die Broschüren und Bücher für ihre Kollegen in anderen Städten schrieben. Tatsächlich stieß der Kampf der Münchner Angestellten auch an anderen Siemens-Standorten auf Interesse.

Die IG Metall, die den Kampf am Anfang unterstützt hatte, zog sich zu diesem Zeitpunkt zurück – die Kollegen führten ihren Kampf weiter. »Ihr werdet den Kampf nicht gewinnen«, verkündete da noch ein Siemens-Manager, der wohl nicht mit der Beharrlichkeit der Ex-Siemensianer gerechnet hatte.

Die Homepage hat mittlerweile mehrere hundert Zugriffe pro Tag. Die Medien suchen dort nach interessanten Themen. Für Wanzek und ihre Kollegen bleibt die Selbstermächtigung der Beschäftigten zentrales Ziel, dem sie mit der Veröffentlichung des Buches näherkommen will. Und der Kampf geht weiter: Ihre Kollegin Christine Rosenboom ist vor Kurzem als Betriebsrätin zurückgetreten, weil die IG Metall von ihr verlangte, sich von der Homepage zu trennen. Sie entschied sich dagegen.

Inken Wanzek: Der Widerspruch des Gerry Gollmann. Books on Demand, 2009, 700 S., 39,90 Euro.

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/172136.vom-aufrechten-gang.html

Peter Nowak

Filme zum 2. Juni 1967

Gegen die Entsorgung linker Geschichte
Die »Bibliothek des Widerstands« des Laika-Verlags liefert Bausteine für eine linke Geschichtsschreibung.
Jahrzehnte galt der 2. Juni 1967, der Tag, als der Student Benno Ohnesorg bei einer Demonstration gegen den Schah erschossen wurde, als Geburtsstunde der Neuen Linken in der BRD. Nachdem 2009 bekannt wurde, dass der Schütze Karl-Heinz Kurras für die Stasi gearbeitet hat und sogar SED-Mitglied gewesen sein soll, schien ein weiterer linker Mythos geknackt. Sogar die Frage, ob die Geschehnisse im Juni 1967 eine Inszenierung der DDR waren, wurde in manchen Medien gestellt. Der Laika-Verlag stellt im Rahmen seiner »Bibliothek des Widerstands« eine Gedächtnisstütze gegen die geschichtliche Amnesie bereit. Das ansprechend gestaltete Buch enthält Texte von politischen Aktivisten der vergangenen Jahrzehnte, die den 2. Juni 1967 in den gesellschaftlichen und historischen Kontext stellen. »Was für ein Land. 22 Jahre nach dem Zusammenbruch des Faschismus? An seiner Spitze steht mit Kurt-Georg Kiesinger ein ehemaliges NSDAP-Mitglied, in sechs seiner Landtage sitzen Abgeordnete der neofaschistischen NPD«, resümieren die Herausgeber im Vorwort. Dass sich nicht nur die Studierenden radikalisierten, zeigen die im Buch von Publizisten Uwe Soukup dokumentierten zeitgeschichtlichen Texte der Publizisten Sebastian Haffner und Karl-Heinz Bohrer. »Die vor einer Woche am Opernhaus eingesetzte Polizei hat nicht nur im Affekt, sondern ohne gravierende Notwendigkeit, mit Planung und Brutalität den Lauf gelassen, wie sie bisher nur aus Zeitungsberichten über faschistische oder halbfaschistische Länder bekannt wurde. Das schrieb nicht das Neue Deutschland, sondern die FAZ am 12. Juni 1967.«

Ambitioniertes Programm
Auf der im Buch eingehefteten DVD sind die mit »Der 2. Juni 1967« von Thomas Giefer und Hans-Rüdiger Minow und »Der Polizeistaatsbesuch« von Roman Brodmann zwei zentrale filmische Dokumente über jene Zeit enthalten. Während Giefer und Minow die Ereignisse rund um das Opernhaus nachzeichnen und die Aussagen von Augenzeugen über Polizeigewalt dokumentieren, zeigt Brodmann mit viel Ironie, wie die BRD für den Schahbesuch einen unerklärten Ausnahmezustand inszenierte, der einen Vorgeschmack auf die 1970er Jahre lieferte. Sehr aufschlussreich sind die auf der DVD dokumentierten Kommentare der Aktuellen Kamera und des Senders Freies Berlin.

Buch und Film zum 2. Juni sind nur ein Beispiel im Sortiment des Hamburger Laika-Verlags. Mehr als 100 Filme und Bücher sind im Rahmen der Bibliothek des Widerstands in Vorbereitung. Bereits erschienen ist eine Filmbiografie zu Angela Davis sowie »Der Schrei im Dezember«, ein Filmessay über die Jugendrevolte 2008 in Griechenland. Am 3. Juni um 19 Uhr hat in der Ladengalerie der Tageszeitung junge Welt in Berlin der Film »Krawall« von Jürg Hassler Premiere. Der Protagonist der Züricher Jugendunruhen 1980 erinnert an eine Bewegung mit großer Ausstrahlungskraft.

»Geschichtsbetrachtung ist in Deutschland immer mit Revanche verbunden. Die Revanche will immer die Sicht im Interesse der herrschenden Macht festklopfen«, schreibt der Mitbegründer des Laika-Verlags Karl-Heinz Dellwo. Die Bibliothek des Widerstandes liefert ein Gegenprogramm, dem viel Unterstützung zu wünschen ist. Die Filmbücher können über die Homepage bestellt oder abonniert werden.

www.laika-verlag.de

http://www.neues-deutschland.de/artikel/172128.filme-zum-2-juni-1967.html

Peter Nowak