Ulrike Heider verteidigt den Impetus der sexuellen Befreiung
„Ficken ist Frieden“, lautete die Parole der Berliner Schriftstellerin und Straßenkünstlerin Helga Götze[1]. Mehrere Jahre stand sie fast täglich mit ihren Schild vor der Berliner Gedächtniskirche. Dafür wurde sie oft angefeindet, belächelt oder zu einer Tabubrecherin erklärt. So lautet der Sammelbegriff für alle Menschen, die irgendwie aus der gesellschaftlichen Norm fallen. Dabei sah sich Götze wesentlich als Kämpferin für die sexuelle Befreiung. Doch in einer Zeit, in der Sexualität in der Regel mit Gewalt und Unterdrückung verbunden wird, war eine Position, wie sie Götze vertrat, kaum mehr gesellschaftlich vermittelbar.
Leider findet Götze in dem Buch „Vögeln ist schön“[2] keine Erwähnung, in dem die Journalistin Ulrike Heider[3] die sexuelle Revolution rehabilitieren will, die auch Teil des 68er Aufbruchs gewesen ist. Schon der Titel weist darauf hin, wie Heider bereits im Vorwort erklärt: „Vögeln ist schön, um es gleich zu verraten, stand als Graffito weit sichtbar an einem Schulhaus in der hessischen Provinz. Es stand da eine halbe Stunde, denn der Direktor holte sofort die Maler, um die Parole zu überpinseln.“
Vorangegangen war dem Ende der 60er Jahre eine wochenlange harte Auseinandersetzung zwischen Jugendlichen, die gegen die rigide deutsche Sexualmoral rebellierten, und einer Schulverwaltung und Polizei, die diese Moral mit allen Mitteln verteidigen. Die jugendlichen Aktivisten wurden kriminalisiert und von der Schule relegiert. Die Aktion war nur ein Beispiel für eine sexuelle Rebellion, die eben nicht nur die Studierenden und die Großstädte ergriffen hat. Vielmehr war der Kampf gegen die sexuelle Rigidität der NS-sozialisierten Lehrer, Erzieher, Eltern und Chefs eine gesamtgesellschaftliche Angelegenheit, wie übrigens viele andere Bereiche des 68er Aufbruchs. Erst im Zuge seiner Historisierung entstand der Geschichtsmythos von den aufmüpfigen Intellektuellen, die die Bundesrepublik zivilisiert hätten.
Der Anteil von Jungarbeitern, Erwerbslosen, aber auch von Menschen, für die ein Leben weder primär in Studium noch in Erwerbsarbeit bestanden hat, am 68er Aufbruch war zwischenzeitlich systematisch negiert und schließlich ausgeblendet worden. Auch historisch interessant sind die weiteren Bezüge, aus der sich die sexuelle Emanzipationsbewegung in den späten 68er Jahren speist. Mögen die sich politisierenden Studierenden ihren Wilhelm Reich und ihren Herbert Marcuse rezipiert haben. Für die große Mehrheit der Bevölkerung spielten Beate Uhse, Oswalt Kolle und die Anti-Baby-Pille eine wichtigere Rolle bei der Überwindung einer rigiden Sexualmoral.
Heider nennt denn auch für die sexuelle Revolution drei Quellen: die Interessen der Sexualreformer, der Sexualvermarkter und der Sexualrevolutionäre. Alle drei hätten ein gemeinsames Ziel gehabt, die Enttabuisierung des sexuellen Genusses.
Sozialistischer Bumszwang und frauentümelnde Selbsterfahrungsgruppen
Bereits vor mehr als 25 Jahren hat Heider in einem längeren Aufsatz unter dem Titel Protestbewegung und Sexualbewegung[4] die Grundthesen ihres heutigen Buches vertreten. „Die antiautoritäre Protestbewegung der späten sechziger Jahre, von den damaligen Herrschenden gefürchtet wie die Sünde, ist noch heute Gegenstand heimlichen Grauens aller Staatsdiener, Politiker und Etablierten bis hin zu den Grünen“, schrieb sie in einer Zeit, in der die Ökopartei sich gerade anschickte, zur neuen liberalen Partei zu werden, die nachhaltig zur Modernisierung des Standortes Deutschland beitragen sollte. Wie in ihrem Buch grenzte Heider bereits 1988 den sexuellen Aufbruch von der Sexwelle ab. Sie kritisierte auch eine Entwicklung innerhalb großer Teile der damaligen Neuen Linken, die sie als „sozialistischen Bumszwang“ etikettierte. Aber auch die Richtung, in die Teile der neuen feministischen Bewegung trifteten, kritisierte Heider entschieden.
Um die Mitte der siebziger Jahre mit dem offiziellen Abschied von der Linken begannen sich große Teile der Frauenbewegung zu entpolitisieren. Man zog sich in frauentümelnde Selbsterfahrungsgruppen zurück, berauschte sich am Anblick von Klitoris und Muttermund, diskutierte über Menstruation und Mond und entdeckte zu guter Letzt die Gebärfreuden als den Inbegriff weiblicher Identität. Seither wurde die Sexualität der Frauen auch von Frauen selbst wieder mehr als Last und Bürde denn als Lust und Recht.
Man kann in Heiders 1988 veröffentlichten Aufsatz die Grundstruktur ihres aktuellen Buches wieder erkennen. Allerdings hat sie dort viele ihrer Thesen zugespitzt. In der Entwicklung der letzten beiden Jahrzehnte findet sie genügend empirische Beispiele für ihre Thesen.
Bessere Sexualität in einer besseren Gesellschaft
Besonders die Debatte[5] um tatsächliche oder imaginierte Pädophilie im Gefolge der 68er Bewegung sieht Heider ihre frühe Kritik an einen gesellschaftspolitischen Backlash bestätigt, der die Ergebnisse der sexuellen Revolution wieder rückgängig machen will. Dabei macht die Autorin für diese Entwicklung nicht in erster Linie das Agieren wichtiger Akteure der Bewegung verantwortlich. Sie nimmt die gesellschaftliche Entwicklung in den Blick. Die Sexualrevolutionäre Hatten „nichts weniger als eine bessere Sexualität in einer besseren Gesellschaft“ zum Ziel gehabt. „Ich klage nicht über eine verratene Revolution, sondern meine, dass die Sexuelle Revolution im radikalen Sinn, ebenso wie die soziale Revolution nur in Ansätzen antizipiert werden konnte“, so Heider.
Dieser Aspekt sollte auch für den Wandel in der Debatte bei den Grünen[6] nicht aus den Augen verloren werden. Die sexualpolitischen Positionen der späten 70er und frühen 80er waren noch mit der vagen Utopie einer befreiten Gesellschaft verknüpft. 2014 sind die Grünen wichtige Träger einer weltweit agierenden, auch wieder kriegsführenden Macht. Da braucht es andere sexuelle Werte und Normen. Die oft inquisitorische Züge annehmenden Verbannung von sexualpolitischen Positionen fast 40 Jahre später, die in der Partei nie Relevanz hatten und längst vergessen gewesen sind, ist wohl zum Teil damit zu erklären, dass die Grünen eben als aktiver Teil der deutschen Staatlichkeit agieren und deren Normen mitbestimmen wollen.
Blick auf einige Feuilleton-Aufreger
Mit Kritik nimmt sie auch parteifernere publizistische Ergüsse unter die Lupe, die sich unter Stichworten wie „Feuchtgebiete“ und „Axolotl Roadkill“ für einige Wochen zu Feuilleton-Aufregern[7] entwickelt hatten. Heider weist nach, dass auch in diesen Texten Sexualität nur als Gewalt und nicht als Lust und Befreiung verhandelt wird.
Einige Lichtblicke sieht die Autorin beim sexpositiven Feminismus[8] und mit Einschränkungen in den Transgender-Theorien in der Tradition von Judith Butler. Das Buch liefert zudem eine Fundgrube von Verweisen auf Literatur und Filme aus mehr als einem halben Jahrhundert zum Themenfeld sexuelle Befreiung und die Versuche, diese einzuschränken und zurückzudrehen. So hat Heider auch viele Bücher wieder gelesen, die wie Simone Beauvoirs „Das andere Geschlecht“, Verena Stefans „Häutungen“ oder Herbert Marcuses „Triebstruktur und Gesellschaft“ heute mehr zitiert als gelesen werden.
http://www.heise.de/tp/artikel/41/41970/1.html
Peter Nowak
Anhang
Links
[1]
http://www.tagesspiegel.de/berlin/nachrufe/helga-goetze-geb-1922/1171802.html
[2]
[3]
[4]
http://www.isioma.net/sds03603.html
[5]
http://www.heise.de/tp/news/Der-gruene-Danny-und-die-Lust-2030755.html
[6]
http://www.heise.de/tp/news/Gruenalternative-Sittlichkeit-1998768.html
[7]
http://www.uibk.ac.at/literaturkritik/zeitschrift/769111.html
[8]
http://www.kmu.edu.tw/~gigs/enrollment/doc/The_Feminist_Sexuality_Debates.pdf