Eine Minute Redezeit für einen Mietervertreter

Statt über ein Video aus Chemnitz sollte eigentlich über die Situation am Wohnungsmarkt gestritten werden

Millionen Menschen in Deutschland haben Angst, dass sie sich ihre Wohnung nicht mehr leisten können. Immer mehr Menschen geben einen beträchtlichen Teil ihres Einkommens für die Miete aus. Da wird schon mal beim Essen und beim Urlaub gespart.

In dieser Situation hat sich die Bundesregierung am 21. September zweieinhalb Stunden [1] für einen Wohngipfel genommen, der schon längst als verpasste Chance [2] eingeschätzt wird.

Ein Bündel von Maßnahmen, Absichtserklärungen und Mini-Antworten, mehr Wohngeld für Geringverdiener, digitalisierte Bauverfahren, weniger Bürokratie. Der Betrachtungszeitraum beim Mietspiegel soll von vier auf sechs Jahre verlängert werden. Der Wandel von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen soll erschwert werden. Der Bund selbst will Wohnraum schaffen für seine eigenen Bediensteten, Bauland vergünstigt abgeben.

Deutschlandfunk

Dort wird auch formuliert, was viele Mieter fordern:

Es wäre an der Zeit gewesen für diese Bundesregierung, ein klares Signal zu senden. Für die Mieterinnen und Mieter, die in bereits bestehenden Mietverhältnissen Angst haben, ihre Miete irgendwann einmal nicht mehr bezahlen zu können. Es wäre an der Zeit gewesen für eine grundlegend andere Wohnpolitik. Die nicht nur auf das Baukindergeld und Steuererleichterungen für private Investoren setzt. Waren die Erwartungen an diesen „Gipfel“ zu hoch gesteckt? Vielleicht. Auch eine Bundesregierung kann die grundlegenden Fehler der vergangenen Jahre nicht ad hoc wieder gut machen. Seit Ende der 1990er-Jahre wurde die Förderung für den Bau von Sozialwohnungen zurückgefahren.

Deutschlandfunk

Aktive Mieter demonstrierten vor dem Gipfel

Man brauchte nur die Agenda des Wohngipfels zu lesen, um zu sehen, dass es im Wesentlichen um die Interessen der Immobilienwirtschaft ging. Ein Vertreter des Mieterbundes hatte gerade einmal eine Minute Redezeit. Hier wird schon deutlich, wo die Prioritäten des Gipfels lagen.

Aktivisten der in den letzten Jahren gewachsenen Mieterbewegung [3] protestierten denn auch vor dem Gipfel. Zudem gab es einen Alternativen Mietengipfel [4]. Dort wurden die verschiedenen oft sehr realpolitischen Vorstellungen [5] einer mieterfreundlichen Wohnungspolitik präsentiert.

Die Palette reicht von Mieterschutz für soziale Träger, über Bußgeld für überhöhte Mieten bis zur Forderung nach Legalisierung von selbstorganisierten Wohnen. Ein Teilnehmer hatte „Enteignen“ auf sein Schild geschrieben und stand damit für den Teil der Mieterbewegung, die die Eigentumsfrage [6] stellt.

Verschiedene Initiativen widmen sich konkreten Investoren wie „Deutsche Wohnen [7], Padovic [8] oder der CG-Gruppe [9]. Ein anderes Schild wies auf die von der Berliner Mietergemeinschaft initiierte Initiative für einen neuen kommunalen Wohnungsbau [10] hin. Es handelt sich bei der aktuellen Mieterbewegung in Deutschland also zweifellos um eine der aktivsten sozialen Bewegungen mit sehr konkreten Vorschlägen und einer außerparlamentarischen Verankerung.

Warum wird nicht mehr über die hohen Mieten und die fehlenden Wohnungen geredet?

Da stellt sich schon die Frage, warum rund um den Mietengipfel die starke außerparlamentarisch Mietenbewegung nicht stärker in den Fokus gerückt wurde. Warum hat die SPD, die sich in den letzen Wochen verbal für mieterfreundliche Regelungen einsetze, nicht mit konkreten realpolitischen Forderungen ihren Koalitionspartner stärker unter Druck gesetzt?

Es gäbe genügend dieser Forderungen, die schnell umgesetzt werden könnten und die Situation der Mieter verbessern würden. Stattdessen inszeniert die SPD zum X-ten Mal einen Streit über die Bewertung eines Videos, auf dem angeblich die Wahrheit über die rechten Demonstrationen von Chemnitz zu sehen sein soll. Tatsächlich braucht es dieses Video gar nicht, um die rechten Aktivitäten kritisieren zu können. Das Ganze ist ein Beispiel für einen hilflosen K(r)ampf gegen Rechts, mit dem die SPD hofft, wieder einige Stimmen zurückgewinnen zu können und in Wirklichkeit noch mehr den Eindruck einer Partei vermittelt, die vielleicht mal Angst vor der Fünfprozenthürde haben könnte.

Die aktuelle Inszenierung um den Chef des Verfassungsschutzes Georg Maaßen ist auch deshalb so absurd, weil doch viele politische Beobachter davon ausgingen, dass der gemeinsam mit Seehofer nach der Bayerischen Landtagswahl in wenigen Wochen von der politischen Bühne verschwinden wird.

Die Konzentration der ganzen Kritik an Maaßen soll zudem das „System Verfassungsschutz“ aus der Schusslinie nehmen. Dabei ist der und nicht eine einzelne Person das Problem. Hier dient der von der SPD inszenierte K(r)ampf gegen Rechts nur dazu, von sozialen Problemen wie den Mieten nicht reden zu müssen.

Der beständige Aufbau eines rechten Popanz ist übrigens seit Jahrzehnten ein probates Mittel, um die Menschen auf die bürgerlichen Parteien einzuschwören. Wie gut das funktioniert, kann man an den vielen Merkel-Linken in Deutschland gut ablesen.

Bezahlbare Wohnungen für alle, unabhängig von der Herkunft

Dabei hätte auch der Kampf um bezahlbare Wohnungen für alle zweifellos eine antirassistische Perspektive. Hier würde nicht eine spezielle Forderung für Migranten gestellt ,sondern für alle Menschen, die hier leben, unabhängig von der Herkunft.

Auf einer wohnungspolitischen Konferenz [11] der Berliner Mietergemeinschaft [12] im Mai 2018 berichteten Vertreter vom Flüchtlingsrat und von anderen Initiativen, welche negative Folgen die aktuelle Wohnungspolitik gerade auch für Migranten hat.

So wäre die Forderung nach bezahlbaren Wohnungen für alle, die hier leben, auch geeignet, unterschiedliche Menschengruppen hinter einer Forderung zu vereinen. Statt sich also in Endlos-Schleife über Chemnitz-Bilder und Videos zu unterhalten, würde man mit dem Wohnungs- und Mietenthema eine Diskussion beginnen, mit der man nicht auf dem Terrain von AfD und Co. ist.

Schnell würde dann auch klar, dass diese Partei sehr investorenfreundlich ist. Dann könnte sogar ein Teil ihrer Basis nachdenklich werden. Das ist aber nur möglich, wenn man sich nicht auf die Diskursebene der Rechten begibt, auch keine ihrer Forderungen zu Migranten unterstützt, sondern mit der Popularisierung sozialer Themen konkrete Zumutungen in die Öffentlichkeit bringt, die viele Menschen sehr bewegt und wo die Rechten nur verlieren können.

Peter Nowak
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[1] https://www.deutschlandfunk.de/wohngipfel-im-kanzleramt-zweieinhalb-stunden-fuers-wohnen.1773.de.html?dram:article_id=428663
[2] https://www.deutschlandfunk.de/wohngipfel-verpasste-chance-im-kampf-gegen-die-wohnungsnot.720.de.html?dram:article_id=428757
[3] https://mietenwahnsinn.info/wohngipfel-2018/
[4] https://mietenwahnsinn.info/wohngipfel-2018/alternativer-wohngipfel/programm/
[5] https://mietenwahnsinn.info/wohngipfel-2018/alternativer-wohngipfel/
[6] https://interventionistische-linke.org/termin/das-rote-berlin-strategien-fuer-eine-sozialistische-stadt
[7] https://www.dwenteignen.de/
[8] https://padowatch.noblogs.org/
[9] https://nordkiezlebt.noblogs.org/rigaer-71-73-cg/
[10] http://www.inkw-berlin.de/
[11] https://www.bmgev.de/politik/bauen-bauen-bauen.html
[12] https://www.bmgev.de/

Wiedereinzug ausgeschlossen

RÄUMUNG MieterInnen des alternativen Hausprojekts Scharni 29 streiten vor dem Landgericht gegen eine Unternehmensgruppe. Die hatte 2010 die Räumung veranlasst, aber Teile des Gebäudes stehen noch immer leer

Der Streit zwischen den MieterInnen der Scharnweberstraße 29 und der Unternehmensgruppe Padovicz beschäftigt erneut die Justiz. Am Dienstag tagte die Zivilkammer des Berliner Landgerichts über eine Räumungsklage gegen MieterInnen des Hauses aus dem Jahr 2007. Der Termin war nötig geworden, weil der Bundesgerichtshof ein Räumungsurteil des Berliner Landgerichts, das Padovicz Recht gegeben hatte, im November 2010 aufhob. Die Karlsruher Richter monierten, das Landgericht habe den Grundsatz auf rechtliches Gehör der MieterInnen verletzt, weil es deren Einlassungen im Räumungsurteil ignoriert habe. Auch in der Sache hatte der BGH den MieterInnen Recht gegeben. Es ging um die Fristen bei Mietzahlungen, die im Grundsatz bis zum dritten Arbeitstag eines Monats überwiesen sein müssen.

Wenn der aber auf einen Samstag fällt, gilt der folgende Montag als Stichtag. In dem strittigen Fall hatte die Richterin den vom Anwalt der MieterInnen, Burkhard Dräger, vorgetragenen Einwand ignoriert und der Räumungsklage zugestimmt, weil die Miete erst am Fünften des Monats überwiesen worden war.

Ein anderer Streitpunkt ist die Frage nach dem Stichtag für den Mietzins, wenn eine Wohnung erst am 27. eines Monats bezogen wird. „Das ist juristisches Neuland. Da gibt es auch wenig Anhaltspunkte in der Literatur“, sagte Dräger gegenüber der taz. Deshalb wird ein Urteil auch erst am 9. August verkündet. Eine gütliche Einigung kam beim Termin im Zivilgericht nicht zustande, weil die Rechtsanwältin des Eigentümers betonte, dass für ihren Mandanten ein Wiedereinzug der gekündigten MieterInnen nicht infrage komme.

Dabei steht der erste Stock des Hauses seit der mit einem großen Polizeiaufgebot durchgesetzten Räumung im Oktober 2010 (taz berichtete) leer. Da die MieterInnen nach der Aufhebung des Räumungsurteils durch den BGH mit ihren Versuchen scheiterten, mittels einer einstweiligen Verfügung die Wohnungen wieder zu beziehen, kann Padovicz die Wohnungen wieder vermieten.

Dass die Räume bislang nicht vermietet wurden, dürfte auch die Bezirkspolitik beschäftigen. Für die Sanierung der Scharnweberstraße 29 hatte Padovicz Fördermittel im Rahmen der Sozialen Stadterneuerung erhalten. Die Vereinbarungen sehen vor, dass das Belegungsrecht für die Wohnungen beim Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg liegt. Daneben gehören eine Mietobergrenze und die Vermietung von Wohnungen an BesitzerInnen von Wohnberechtigungsscheinen zu den Förderbedingungen. Ein Verstoß gegen diese mit der Investitionsbank Berlin (IBB) abgeschlossenen Vereinbarungen kann mit einer Rückzahlung der Fördermittel geahndet werden. Diese Sanktionsmöglichkeiten wurden in der Vergangenheit kaum genutzt. Das hat sich zuletzt geändert: Mittlerweile werden von Padovicz Fördermittel bei anderen sanierten Häusern zurückgefordert, weil dort die in deVereinbarungen festgelegten Mietgrenzen überschritten wurden.

Peter Nowak

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2011%2F07%2F20%2Fa0148&cHash=7b03fde421