Knapp zehn Minuten dauerte es, dann verließ Franziska Giffey (SPD) die Bühne der zentralen DGB-Veranstaltung vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Die Einladung der Regierenden Bürgermeisterin war in den vergangenen Tagen bei vielen Gewerkschafterinnen auf Kritik gestoßen. Der Unmut darüber wurde auf vielen Transparenten und Schildern ausgedrückt, die während ihrer Rede rund um die Bühne zu sehen waren. »Von der Krise zur Enteignung« stand auf einem Banner der Stadtteilinitiative »Hände weg vom Wedding«, die sich vor einigen Monaten mit der Berliner Aktion gegen Arbeitgeberunrecht (Baga) vereinigt hat. Baga organisiert seit Jahren außerbetriebliche Unterstützung für Arbeitskämpfe. Erstmals seit zwei Jahren hatte der Gewerkschaftsbund …
„Viele Pfiffe und ein Ei gegen Giffey“ weiterlesenSchlagwort: Klassenkampfblock
Umverteilung bewegt die Massen
Es ist wohl einmalig in Deutschland, dass am Tag der Pressefreiheit, die eigentlich ein Schutzrecht gegen den Staat ist, über Gesetzesverschärfungen diskutiert wird. Im Diskurs der Staatsapparate und der ihr nahestehenden Nichtregierungsorganisationen wird es nicht als Einschränkung der Pressefreiheit in Deutschland gesehen, dass das staats- und machtkritische Onlineportal Indymedia-Linksunten abgeschaltet und die vermeintlichen Verantwortlichen kriminalisiert wurden. Auch die häufigen Angriffe auf Polizisten auf Journalisten bei linken Demonstrationen kommen an diesen Tag kaum zur Sprache. Vielmehr werden als größte Bedrohung der Pressefreiheit in Deutschland Angriffe auf Journalisten durch …
„Umverteilung bewegt die Massen“ weiterlesenWissenschaftler als prekärer Beruf
Die Initiativen gegen Niedriglohn im Wissenschaftsbetrieb mehren sich, sind aber noch sehr zersplittert. Es wird sich zeigen, ob sie sich vernetzten können
„10 Jahre Frondienst im Dienst der Integration“ und „Ich arbeite prekär – im Auftrag des Bundes“: Mit solchen Parolen protestierten in den letzten Woche Integrationslehrer in verschiedenen Städten gegen ihre schlechten Arbeitsbedingungen. Der Zeitpunkt müsste für sie gut sein. Schließlich sind Deutschlehrerinnen und -lehrer aktuell sehr gefragt, da jeder Geflüchtete in Deutschland obligatorisch einen Integrationskurs „Deutsch für Zuwanderer“ belegen muss.
Doch die Lehrenden klagen über geringen Lohn und schlechte Arbeitsbedingungen. Von einem Honorar von etwa 20 Euro pro Stunde müssen sie auch ihre Kranken- und Rentenversicherung vollständig selbst finanzieren. Urlaubsgeld erhalten sie nicht. Wenn sie krank sind, müssen sie einen Verdienstausfall hinnehmen. Bei befristeten Verträgen gibt es zudem keinen Kündigungsschutz. Oft verdienen die Integrationslehrer so wenig, dass sie noch mit Hartz IV aufstocken müssen, um überhaupt ihre Lebenshaltungskosten zu decken.
Viele Lehrkräfte wollen den ihnen aufgezwungenen Status als Selbstständige loswerden und fordern tariflich bezahlte Arbeitsplätze. „Wir sind keine Unternehmertypen, sondern Lehrer und wollen auch so behandelt werden“, wurde Georg Niedermüller, Mitbegründer der Initiative Bildung prekär [1], im Herbst auf Spiegel Online zitiert [2]. In dieser Initiative haben sich Lehrkräfte verschiedener Richtungen, die sich gegen die schlechten Arbeitsbedingungen und Niedriglöhne wehren wollen, zusammengeschlossen.
Honorartabelle zeigt die prekäre Bildungsarbeit
Das ist auch das Anliegen des Netzwerkes Prekäres Wissen [3], das Bildungsarbeiter in der Wissenschaft mit prekären Arbeitsverhältnissen koordinieren will. Kürzlich veröffentlichte das Netz eine Honorartabelle für Lehrbeauftragte [4] an verschiedenen Hochschulen.
Dazu sammelte sie über 60 typische Beispiele von prekärer Arbeit in der Wissenschaft von Lehraufträgen bis zu Vorträgen. Sie ermittelte zudem, welcher häufig unbezahlte tatsächliche Arbeitsaufwand für die jeweiligen Aufträge nötig gewesen war, und errechnete so aus dem offiziellen Honorar den tatsächlichen Bruttostundenlohn der meist freiberuflich Tätigen. In über 20 Fällen lag dieser tatsächliche Stundenlohn unter dem Mindestlohn von 8,50 Euro. An der Leipziger Universität und der Freien Universität Berlin (FU) gab es sogar Lehraufträge ganz ohne Bezahlung.
Im Wissenschaftsbereich sind Niedriglohn und schlechte Arbeitsbedingungen, auch im Mittelbau, völlig üblich, wie die Deutsche Gesellschaft für Soziologie in einer Stellungnahme [5] vom Februar 2016 feststellte. Sie sieht die prekären Arbeitsbedingungen als Folge eines „akademischen Kapitalismus“, der durch eine Unterfinanzierung der Hochschulen und einen verschärften Wettbewerb um Forschungsgelder gekennzeichnet ist.
Auf einer Fachtagung der DGS diskutierten Gewerkschafter und Wissenschaftler Ende Februar über das Thema Wissenschaft als prekärer Beruf [6]. „Diese Diskussion will (…) die Folgen prekärer Beschäftigung für die Lebenssituation, das wissenschaftliche Selbstverständnis und für die soziologische Wissensproduktion diskutieren“, lautete der Anspruch an die Tagung.
Dabei wurde nun über die prekäre Wissensproduktion in den letzten Jahren genug diskutiert. Es muss sich nun zeigen, ob die Betroffenen über den Austausch von Befindlichkeiten hinaus in der Lage sind, sich zumindest in der Wissensbranche zu vernetzen und eine einheitliche Organisierung hinzukriegen.
Kampf um neuen Tarifvertrag der studentischen Hilfskräfte an den Berliner Hochschulen
Denn prekäre Arbeit wird im Wissenschaftsbereich schon früh eingeübt. So haben die ungefähr 6.000 wissenschaftlichen Hilfskräfte an Berliner Hochschulen seit 2001 keine Lohnerhöhung mehr bekommen. Das Weihnachtsgeld hat der Berliner Senat 2004 gestrichen [7]. 2011 mussten GEW und Verdi die Verhandlungen über einen neuen Tarifvertrag ergebnislos abbrechen, weil es nicht gelungen war, den nötigen politischen Druck zu erzeugen.
In nächster Zeit wollen beide Gewerkschaften gemeinsam mit politisch engagierten Studierenden aus sämtlichen Berliner Hochschulen einen neuen Anlauf für den Kampf um einen Tarifvertrag [8] nehmen. Als erster Schritt wurde eine Umfrage gestartet, mit der ermittelt werden soll, welche tariflichen Forderungen den studentischen Hilfskräften wichtig sind. Zu Beginn des neuen Semesters sollen verstärkt neue Gewerkschaftsmitglieder geworben werden.
Darin sehen beide Gewerkschaften die Voraussetzungen, um eine lange, vielleicht mit Streiks verbundene Tarifauseinandersetzung erfolgreich zu bestehen. Schließlich war es in den achtziger Jahren erst nach einem langen Arbeitskampf möglich, Tarifverträge für studentische Hilfskräfte abzuschließen. Beide Gewerkschaften und die Studierenden sind sich einig, dass die Selbstorganisierung der Hilfskräfte die Grundlage des Erfolgs ist.
„Eine solche Kampagne steht und fällt mit der Bereitschaft der studentischen Beschäftigten, sich aktiv einzubringen und gewerkschaftlich zu organisieren“, heißt es auf der Homepage der GEW. Ein weiterer Erfolg der Kampagne wäre es, wenn die prekären Integrationslehrer, Soziologen etc. ihre Statusgrenze überspringen könnten und Solidarität mit ihren Kollegen üben würden. Denn ein Erfolg in einem Bereich in der Bildungsbranche wäre auch für die anderen ein Ansporn.
Die Beschäftigten des Botanischen Gartens machen es vor
An einem aktuellen Beispiel ist es gelungen, unterschiedliche Gruppen von Prekären an der Hochschule zusammenzubringen. Dass nicht nur wissenschaftliche Mitarbeiter von schlechten Arbeitsbedingungen betroffen sind, zeigt der Kampf der Beschäftigten des Botanischen Gartens Berlin [9] gegen Dumpinglöhne und Outsourcing. Ein Teil der Belegschaft arbeitet für die FU, zu der der Garten gehört.
Der andere Teil wurde beim Tochterunternehmen „Betriebsgesellschaft für die Zentraleinrichtung Botanischer Garten und Botanisches Museum“ angestellt. Beide Gruppen machen die gleiche Arbeit, doch die Ausgegliederten erhalten bis zu 42 Prozent weniger Lohn. Seit über einem Jahr kämpfen Beschäftigte des Botanischen Gartens für das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“.
Mittlerweile haben sie zwei erfolgreiche Warnstreiks organisiert [10]. Weil die Ankündigung so kurzfristig war, konnte die FU die Streikenden nicht ersetzen. So kamen Besucher während des ersten Streiktags in den Genuss des freien Eintritts.
Die Beschäftigten des Botanischen Gartens haben für ihren Widerstand gegen das von der Universitätsleitung favorisierte Outsourcing Unterstützung von einem Bündnis, das von linken Studierendengruppen über die Berliner Gruppe gegen Arbeitgeberunrecht [11] bis zur antikapitalistischen Initiative Klassenkampfblock [12] reicht.
Kürzlich hat sich ein Solidaritätskreis gegründet, an dem Studierende, studentische Hilfskräfte und Wissenschaftler aus mehreren Berliner Hochschulen beteiligt sind. Denn ein Erfolg im Botanischen Garten wäre auch eine Ermutigung für die prekären Wissenschaftler.
http://www.heise.de/tp/news/Wissenschaftler-als-prekaerer-Beruf-3152849.html
Peter Nowak
Links:
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1.Mai in Berlin
Klassenkampf reloaded
Auch viele radikale Linke haben in den letzten Jahren die Aktivitäten am 1.Mai in Berlin eher kritisch beurteilt. Die DGB-Demonstration am Vormittag galt als zeremonial und wenig attraktiv. Mit der revolutionären 1.Mai-Demonstration bot sich um 18 Uhr in Kreuzberg eine radikale Alternative an, bei der nicht an den Staat und die Parteien appelliert wird.
Die alljährliche mediale Konzentration auf die berühmt-berüchtigte Mai-Randale – in den letzten Jahren eher eine Folge des vom Bezirk ausgerichteten Myfestes und seiner dort feilgebotenen harten Getränke als der Revolutionären Demonstration – wurde eher gelangweilt wahrgenommen.
Seit Jahren versuchen sich deshalb unterschiedliche Akteure an einer Repolitisierung des 1.Mai. Die Euro-Mayday-Paraden gegen prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse waren ein leider nur kurzlebiger Versuch in dieser Richtung.
Doch in diesem Jahr zeigte sich, dass sich sowohl die DGB-Demonstration als auch die Revolutionäre 1.Mai-Demonstrationen politisieren lassen. Dafür sorgte ein an beiden Demonstrationen beteiligter Klassenkampfblock, der den Kampf gegen Lohnabbau, gegen die Hartzgesetze und gegen die Angriffe auf das Streikrecht in den Mittelpunkt stellte. Mit einer in großer Auflage gedruckten Maizeitung wurde gezielt für die Teilnahme an dem Block auch vor Jobcentern und Betrieben geworben.Vor zwei Jahren noch war der Klassenkampfblock auf der DGB-Demonstration nur widerwillig geduldet. Mittlerweile hat er sich zum Forum der Widerspenstigen innerhalb und außerhalb des DGB auf der Demo entwickelt.
Gewerkschaftler aus verschiedenen europäischen Ländern nahmen mit einem Transparent für das europäische Streikrecht daran teil. Diese Themen brachte der Klassenkampfblock auch in die Revolutionäre Demonstration in Kreuzberg ein, was sehr notwendig ist. Denn dort versammeln sich viele, die in erster Linie im Staat und in der Polizei den Gegner sehen und mit dem Aufbau sozialer Gegenmacht am Arbeitsplatz, im Stadtteil und im Jobcenter wenig Erfahrung haben. Der Kampf gegen teuere Mieten prägte die Mai-Demonstrationen in diesem Jahr deutlich.
Der Bewegungsforscher Dieter Rucht versuchte nach dem 1.Mai in der Taz einen Gegensatz zwischen Mieter- und Klassenkampf aufzubauen. Das Gegenteil ist richtig. Beide Kämpfe gehören zusammen. Dieser Aufgabe will sich der Klassenkampfblock künftig verstärkt widmen, nicht nur am 1.Mai. Deshalb wird dort auch über eine Beteiligung an einer berlinweiten Mieterdemonstration Anfang September nachgedacht.
http://www.sozonline.de/2011/05/1-mai-in-berlin/#more-2445
Peter Nowak