Metoo: Kummerkasten von Mittelstandsfrauen oder neues feministisches Kampffeld?

Es handelt sich nicht um ein Mittelschichtsproblem, gerade Frauen mit wenig oder geringem Einkommen sind am stärksten auch von der sexuellen Unterdrückung betroffen

Welchen politischen Stellenwert hat eigentlich gesellschaftliche Liberalität – Feminismus, Antirassismus, LGBTI-Rechte, das gesamte Paket? Wo ist das auf der politischen Skala einzuordnen?“ Diese Frage [1] stellte die Publizistin und Kulturwissenschaftlerin Isolde Charim kürzlich in der Taz. Dort stellt sie fest, dass diese Werte nicht nur von der politischen Rechten, sondern auch von Teilen der Linken infrage gestellt würden.

Von linker Seite sehen sich aber die unterschiedlichen Phänomene, die wir unter gesellschaftlicher Liberalisierung zusammenfassen, auch massiven Angriffen ausgesetzt. Da werden sie als „Feigenblatt“ des neoliberalen Kapitalismus bezeichnet, hinter dem die wahren Ausbeutungsverhältnisse nur umso ungenierter betrieben werden. Als „Herrschaftsideologie einer globalisierten Klasse“. Als Klassenkampf der „neuen Mittelschichten“ gegen „die da unten“. Die Liste ließe sich fortsetzen. Klar ist, dass diese Kritik auch die Antriebsenergie jener ist, die nun #aufstehen wollen.

Isolde Charim

Nun sind unter den Zielen, der von Charim angesprochenen Aufstehen-Bewegung [2] tatsächlich keine explizit feministischen Ziele benannt. Nicht einmal die aktuell vieldiskutierte Abschaffung [3] des Paragraphen 219 , der jede Werbung für Abtreibungen verbietet und die Ärzte, die diese Dienstleistung anbieten, kriminalisiert, wird dort erwähnt. Das ist eine kritikwürdige Leerstelle, ebenso, wenn statt Kampf gegen Rassismus der politisch falsche Begriff Fremdenhass genannt wird.

Sahra Wagenknecht und die Me-Too-Debatte

Schon vor einigen Monaten hat sich die Aufstehen-Initiatorin Sahra Wagenknecht despektierlich über die Me-Too-Kampagne geäußert [4]:

Wenn wirtschaftliche Abhängigkeit ausgenutzt wird, um Frauen oder auch Männer zu belästigen, ist das eine üble Geschichte. Das gibt es mit Sicherheit auch im Bundestag, und dagegen muss mehr getan werden. Etwas anderes ist es, wenn solche Abhängigkeiten nicht existieren. Natürlich werde auch ich mal blöd angebaggert, aber da kann ich doch selbstbewusst Grenzen setzen, und muss mich nicht über Twitter ausweinen. Als Abgeordnete kann man sich wehren. Schlimm ist es, wenn man sich wegen finanzieller Abhängigkeit oder Angst um den Arbeitsplatz nicht wehren kann. Beide Situationen sollte man nicht miteinander vermengen.

Sahra Wagenknecht

Schnell machte in den sozialen Netzwerken die Meldung die Runde, nun habe sich Wagenknecht auch noch gegen feministische Kämpfe positioniert. In der Frankfurter Rundschau wurde ihr gar vorgeworfen [5], sie würde patriarchale Machtstrukturen nicht anerkennen und sei mit ihrer Position nicht weit von der konservativen Publizistin Birgit Kelle, die das Buch „Dann mach doch die Bluse zu“ herausgegeben hat.

Doch diese Kritik wird Wagenknecht nicht gerecht. Es ist nicht anzunehmen, dass sie mit der Formulierung „selbstbewusst Grenzen setzen“, das gemeint hat. Zudem wurde sie direkt nach sexistischer Anmache im Parlament gefragt und darauf hat sie geantwortet. Gleichzeitig hat sie klar erklärt, dass sie hier in einer privilegierten Position ist und auf die verwiesen, die sich wegen finanzieller Abhängigkeiten oder Angst um den Arbeitsplatz nicht so wehren können. Kritisieren könnte man, dass Wagenknecht hier keine konkreten Vorschläge macht, wie sich gerade diese Frauen wehren können. Das könnte beispielsweise die Einrichtungen von Rätinnen und Räten gegen sexistische Diskriminierung nicht nur, aber auch am Arbeitsplatz sein. Sie könnten in größeren Betrieben aber auch auf Stadtteilebene eingerichtet werden, weil ja solche sexistischen Angriffe dort genau so häufig vorkommen.

Betroffen sind in der patriarchalen Gesellschaft davon vor allem aber nicht nur Frauen. Wir haben bei der Me-Too-Debatte auch erfahren, dass auch Männer in bestimmten Branchen von Frauen unter Druck gesetzt werden. Auch für sie sollten diese Räte natürlich offen sein. Vorbild könnten die Gleichstellungsbeauftragen sein, die es seit den 1980er Jahren in vielen Verwaltungen und auch in größeren Betrieben gab.

Vom digitalen Kummerkasten zu Räten

Das wäre eine Weiterentwicklung der Me-Too-Bewegung, die vielerorts sehr viel gelobt, aber wenig kritisiert wurde. Dabei müsste es ein Allgemeinplatz sein, dass Kritik der Motor einer Bewegung und fehlende Kritik mittelfristig Stillstand heißt. In der Interviewpassage konnte man Wagenknechts despektierliche Äußerung, sich nicht ausweinen zu müssen, als eine solche Kritik verstehen.

Tatsächlich trägt dieser Ausdruck wenig dazu bei, dass die Betroffenen, die mit ihren Erfahrungen an die Öffentlichkeit gegangen sind, einige Schritte weitergehen. Denn tatsächlich wäre eine Me-Too-Bewegung als digitaler Kummerkasten kein Instrument der Gegenmacht. Es ist auch deutlich, dass die im Neoliberalismus zum Dogma erhobene Individualisierung hier voll reinschlägt. Es ist eben offensichtlich, dass alle Betroffene als Einzelne reden, dann sicher unterstützt werden, aber ein kollektiver Prozess nicht stattfindet, wie er sich noch vor Jahrzehnten in Streiks gegen Niedriglöhne für Frauen beispielsweise bei Pierburg [6] ausdrückte.

Da hilft es auch nicht, wenn von Behshid Najafi von einer Selbstorganisation migrantischer Frauen [7] nun nach Me Two, Me Three und Me Four gefordert [8] wird. Die zur Begründung genannte Mehrfachbetroffenheit von unterschiedlichen Unterdrückungsformen bei migrantischen Frauen ist vorhanden, aber sie nur in eigenen Erzählungen nebeneinanderzustellen, trägt nicht dazu bei, die Vereinzelung zu überwinden und zu gemeinsamen Kämpfen zu kommen.


Frauen mit wenig Einkommen am meisten betroffen

Es darf eben nicht dabei stehen bleiben, sich nur die unterschiedlichen Geschichten von Unterdrückungserfahrungen zu erzählen, es kommt darauf an, diese Unterdrückungen abzuschaffen. Da wird auch sehr schnell deutlich, dass es sich nicht um ein Mittelschichtsproblem handelt. Im Gegenteil, gerade Frauen mit wenig oder geringem Einkommen, sind am stärksten auch von der sexuellen Unterdrückung betroffen. Um da was zu ändern, müssen eben auch gesellschaftliche Strukturen in Frage gestellt werden.

Einige Beispiele dazu wurden auf einer Tagung der Berliner Mietergemeinschaft [9] zum Thema Bauen, Bauen, Bauen – sozial und kommunal [10] genannt, die hier dokumentiert [11] ist. Dort ging es auch um die unterschiedlichen Folgen der Wohnungsnot. Dora Zimmermann vom Verein Wildwasser [12] befasste sich mit den Auswirkungen für Mädchen und Frauen. So seien junge Frauen gezwungen, mit Brüdern unter einem Dach zu leben, die deren Leben überwachen und reglementieren wollen. Frauen falle es auch wegen der Wohnungsnot viel schwerer, sich von gewalttätigen Männern zu trennen. Das ist nur eines von vielen Beispielen, wie sexuelle Unterdrückung mit anderen Ausbeutungsmechanismen zusammenfällt. Das legt nahe, dass es auch nur gemeinsam bekämpft werden kann. Und es stellt sich dann die Frage, ob Me Too es schafft, vom digitalen Kummerkasten zu einer Plattform der Organisierung zu werden.

URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-4153174
https://www.heise.de/tp/features/Metoo-Kummerkasten-von-Mittelstandsfrauen-oder-neues-feministisches-Kampffeld-4153174.html

Peter Nowak

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.taz.de/Archiv-Suche/!5528111&s=&SuchRahmen=Print/
[2] https://www.aufstehen.de/
[3] https://www.sexuelle-selbstbestimmung.de/10127/gute-argumente-fuer-eine-streichung-von-%c2%a7-219a-stgb-fakten-statt-ideologie/
[4] https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/parteien/id_83083940/sahra-wagenknecht-im-interview-die-spd-schafft-sich-ab-.html
[5] http://www.fr.de/politik/meinung/kommentare/metoo-die-ignoranz-der-frauen-a-1431518
[6] http://www.labournet.de/politik/gw/geschichte/wilder-streik-das-ist-revolution-der-streik-der-arbeiterinnen-bei-pierburg-in-neuss-1973
[7] https://agisra.org/index.php?de_home
[8] http://www.taz.de/Archiv-Suche/!5527564
[9] https://www.bmgev.de
[10] https://www.bmgev.de/politik/bauen-bauen-bauen.html
[11] http://zweischritte.berlin/post/175450818498/bauen-bauen-bauen
[12] http://www.wildwasser-berlin.de/

Ausbleibende Neubauten

Die Berliner Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Links­partei) wird von rechts und auch von links kritisiert, weil nicht genug Wohnungen gebaut werden. Wer aber soll Wohnraum für wen schaffen?
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Nun hat sich auch eine Politikerin der Berliner Grünen der Kritik an der Baupolitik der Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linkspartei) angeschlossen. »Wir brauchen ein Berliner Bündnis mit den privaten Investoren«, forderte Antje Kapek, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Abgeordnetenhaus, Ende Juli. Grüne und Linkspartei regieren Berlin gemeinsam mit der SPD. Der SPD-Politiker Volker Härtig hatte Anfang Juli in einem partei­internen Schreiben den Rücktritt Lompschers gefordert. Er wirft der »Stillstandssenatorin« vor, mit einem »leichtfertigen Laissez-faire gegenüber den Bezirken« sowie »einseitiger Akzentuierung der Partizipation« von Altmietern den Wohnungsbau in Berlin zu behindern.

Der Vorwurf, Lompscher lasse zu, dass Altmieter sich mit allen Mitteln gegen den Neubau vor ihrem Schlafzimmerfenster wehren, ist in den vergangenen Monaten in der SPD nicht nur von Härtig geäußert worden; Ülker Radziwill, stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus und dezidierte Parteilinke, zeigte dagegen Verständnis für Härtigs Kurs. Dass die ­Berliner CDU und die FDP sich schon lange auf Lompscher als »Neubaubremse« eingeschossen haben, ist nicht überraschend.

Dass die Berliner CDU und die FDP sich schon lange auf Lompscher als »Neubaubremse« eingeschossen haben, ist nicht überraschend, doch auch Basisinitiativen teilen die Kritik an der Bausenatorin.

Doch auch Journalisten und Initiativen, die auf Distanz zum parlamentarischen Betrieb stehen, teilen die Kritik an der Senatorin. So befasste sich der Journalist Rainer Balcerowiak in einen Kommentar in der Taz kritisch mit der Wohnungspolitik in Deutschland und beklagte die mangelnde Bereitschaft zum Neubau. »Ausgerechnet die ›rot-rot-grüne‹ Landesregierung in Berlin tritt dabei aber kräftig auf die Bremse – aus Angst vor Konflikten mit ihrer ›neubaukri­tischen‹ Klientel. Viele Neubauvorhaben werden faktisch unter Zustimmungsvorbehalt durch die ›Stadtgesellschaft‹ gestellt. Mit dem Ergebnis, dass die angepeilten Neubauquoten trotz starken Zuzugs und explodierenden Mieten bei Weitem nicht erreicht werden«, monierte Balcerowiak, der seit Jahren für Mieterecho schreibt, die Mitgliederzeitung der parteiunabhängigen Berliner Mietergemeinschaft. Diese kritisierte bereits nach Veröffentlichung der Koa­litionsvereinbarungen der rot-rot-grünen Landesregierung, dass die Senatsverwaltung unter Lompscher den Neubau von Wohnungen allenfalls als ­lästige Pflichtübung behandele. Vor einigen Wochen hat die Berliner Mieter­gemeinschaft eine Tagung unter dem programmatischen Titel »Bauen, bauen, bauen – sozial und kommunal« im Berliner IG-Metall-Haus organisiert.

»Die Bevölkerung Berlins wächst um mehr als 40 000 Einwohnerinnen und Einwohner jährlich, dementsprechend muss sich der Wohnungsbestand um mehr als 20 000 Wohnungen im Jahr erhöhen«, begründete Joachim Oellerich von der Berliner Mietergemeinschaft diese Forderung. »Die Wohnungen müssen aber nicht nur gebaut werden, sondern auch bezahlbar sein, das bedeutet ›sozial‹. Mit der erfor­derlichen Nachhaltigkeit kann das nur durch einen ›kommunalen‹ Wohnungsbau geschehen, Private wären dazu nur mit verschwenderischer Förderung in der Lage«, betonte Oellerich. Die Mietergemeinschaft sei sehr für demokratische Beteiligung, entgegnet er dem Vorwurf, seine Organisation hebele mit ihrer Kritik an Mitbestimmungsrechten Mieterrechte aus. »Doch werden gerade diejenigen, für die Wohnungen von existentieller Bedeutung sind, von der Beteiligung ausgeschlossen. Die Wohnungssuchenden finden kein Gehör. Sie können sich nicht organisieren und auch nicht artikulieren. Ihre ­Bedürfnisse werden von der Senatsverwaltung allzu leicht ignoriert.«

Auf der Tagung beschrieben verschiedene Referentinnen und Referenten, welche existentiellen Auswirkungen die Wohnungsnot hat. Stefania Animento von den »Berlin Migrants ­Strikers« berichtete, wie schwierig es für ihre Klientel sei, in Berlin eine Wohnung zu finden. Das führe dazu, dass sie in viel zu teuren, kleinen Wohnungen leben müssten. Nora Brezger vom Berliner Flüchtlingsrat kritisierte, dass der Berliner Senat noch immer spezielle Unterkünfte für Geflüchtete bevorzuge, statt in Wohnungen zu investieren.

Dora Zimmermann vom Verein Wildwasser befasste sich mit den Folgen der Wohnungsnot für Mädchen und Frauen. So seien junge Frauen gezwungen, mit Brüdern unter einen Dach zu leben, die deren Leben überwachen und reglementieren wollen. Frauen falle es auch wegen der Wohnungsnot viel schwerer, sich von gewalttätigen Männern zu trennen.

Hier wurden viele gute Argumente für einen verstärkten Wohnungsbau ­genannt. Allerdings blieb letztlich die Frage offen, die ein Moderator zu ­Beginn des zweiten Panels der Tagung stellte: Wie realistisch ist es, in einem kapitalistischen Staat zu fordern, dass mit Wohnungen kein Profit gemacht wird? Wäre der auf der Tagung propagierte neue kommunale Wohnungsbau eine Art Insel im Kapitalismus?

Doch auch wenn hier viele Fragen offenblieben, haben sich verschiedene von der Wohnungsnot betroffene Gruppen und Einzelpersonen zusammengeschlossen. In den vergangenen Monaten hat ein solches Bündnis dafür gesorgt, dass die Berliner Mietendemonstration im April 2018 viel größer wurde, als es selbst Optimisten erhofft hatten. Auch danach waren es solche temporären Bündnisse, die ­gegen Zwangsräumungen protestierten oder Mieter etwa bei Eigenbedarfs­kündigungen solidarisch zum Gerichtstermin begleiteten.

https://jungle.world/artikel/2018/32/ausbleibende-neubauten

Peter Nowak

P.S.: Die Tagung der Berliner Mietergemeinschaft ist auf Video dokumentiert und kann hier abgerufen werden:

http://zweischritte.berlin/post/175450818498/bauen-bauen-bauen