„Heinz Buschkowsky schlägt Alarm“

Entfacht Buschkowsky erneut die von Sarrazin ausgelöste Debatte?

Der Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky gehört zu den bekanntesten Berliner SPD-Politikern. Die Hauptstadt-SPD weiß diese Beliebtheit zu schätzen und stellt sich immer wieder vor Wahlen sehr öffentlichkeitswirksam hinter Buschkowsky, auch wenn der aus seiner politischen und persönlichen Freundschaft mit dem umstrittenen ehemaligen Berliner Senator Sarrazin nie einen Hehl gemacht hat. Lediglich dessen Rückgriff auf die Eugenik hatte Buschkowsky schon auf den Höhepunkt der Sarrazin-Debatte kritisiert. Nun hat Buschkowsky mit „Neukölln ist überall“ selber ein Buch veröffentlicht, das durchaus zu einer Debatte „Sarrazin Light“ führen könnte.

Im Stil von Sarrazin

Die Werbekampagne des Ullstein-Verlags ist durchaus darauf angelegt. Wird doch Buschkowsky ganz im Sarrazin-Stil als Autor vorgestellt, der sagt, was viele denken, aber angeblich nur wenige sagen. So heißt es dort:

„Heinz Buschkowsky schlägt Alarm: Zoff auf den Straßen, hohe Arbeitslosigkeit, Überfremdungsängste bei der einheimischen Bevölkerung das ist die Realität in Berlins Problembezirk Nr. 1. Doch Neukölln ist überall. Buschkowsky sagt, was sich in Deutschland dringend ändern muss.“

Als hätte es nicht bereits 2006 den Film Knallhart gegeben, der mit dem gleichen Gestus beworben wurde. Auch damals ging es um „Migrantengewalt in Neukölln“ und Buschkowsky hatte es verstanden, den Film zu einer Breitseite gegen naive Multikulti-Anhänger zu machen. Tatsächlich hat das Multikulti-Konzept Kritik verdient, weil es Menschen an die Herkunft und ihre daran verknüpfte Kulturen festnageln will. Doch in diesem Sinne ist Buschkowsky wie viele seiner Anhänger selber Kulturalist. Das macht sich schon daran fest, dass er Menschen, die teilweise in Deutschland geboren wurden und auch oft die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, als Migranten beschreibt, denen er, wenn sie sich nicht in Deutschland integrieren wollen, gerne beim Kofferpacken helfen würde.

Das ist nur ein Beispiel für den Buschkowskyschen Populismus, der sein Buch auch in den verschiedenen Ultrarechtsgruppen und Medien attraktiv macht. So hat sich der ehemalige NPD-Vorsitzende Voigt in einem aktuellen Gerichtsverfahren wegen Volksverhetzung in seiner Verteidigungsstrategie auf Buschkowskys Buch berufen.

Mittlerweile wird in verschiedenen Medien wie dem Freitag und der Taz über darüber diskutiert, wie viel Rassismus in Buschkowskys neuen Buch steckt. Freitag-Redakteurin Verena Schmitt-Roschmann sieht in dem Buch die Fortsetzung des „Stummsinns“, den Sarrazin vorgemacht hat. Alke Wirth sieht hingegen in Buschkowskys Buch den Rassismus des Kleinbürgers am Werk, gesteht ihm allerdings zu, als Politiker pragmatischer zu agieren denn als Buchautor und will in ihm keinen zweiten Sarrazin erkennen. Tatsächlich kalkuliert das Buch den Skandal ein und der Autor kann sich sofort als verfolgte Unschuld inszenieren, wenn der Vorwurf des Rassismus und Rechtspopulismus kommt. Genau darin aber besteht die Strategie vieler Rechtspopulisten.

Soziale Probleme kulturalisiert

Bisher gibt es bei den Buschkowsky-Kritikern eine wenig beachtete Gemeinsamkeit mit den Gegnern von Sarrazin. Sie verweisen auf rassistische Textstellen und vergessen die soziale Dimension. Wie Sarrazin hat sich auch der Neuköllner Bürgermeister schon öfter über freche Erwerbslose ausgelassen, deren einziges Ziel nicht Arbeit um jeden Preis sei

Wenn er jetzt schreibt, dass Integration eine Bringschuld sei, dass die „einheimische“ Bevölkerung ihr Land im Großen und Ganzen eigentlich ganz gut finde und von Zugewanderten, auch denen der 2. und 3. Generation, eine Anpassung an die hiesigen Lebensweisen erwarte, dann grenzt er auch alle die Menschen mit aus, die die Zustände hier überhaupt nicht gut finden. Gerade in Neukölln boomt der Niedriglohnsektor und die Zahl der Hartz IV-Empfänger mit und ohne Lohnarbeit steigt. Davon sind Menschen betroffen, deren Eltern nach Deutschland eingewandert sind, aber auch alte Neuköllner und zunehmend auch die sogenannten jungen Kreativen, die nach Nordneukölln ziehen.

In diesem Sinne bekommt der Slogan „Neukölln ist überall“ eine ganz neue Bedeutung. Es ist ein Labor für schlechte Arbeitsbedingungen, Niedriglohn und Hartz IV. Doch Buschkowsky versteht es genau wie Sarrazin, diese sozialen Zustände mit den sich daraus ergebenden Problemen zu kulturalisieren, indem er den Jugendlichen, deren Vater eingewandert ist, zum Problem erklärt und nicht die sozialen Verhältnisse, die auch die Menschen tangieren, die schon seit Generationen hier leben. Diese Aufteilung wird von dem Großteil der Betroffenen nachvollzogen. Das ist der Grund von Buschkowskys Beliebtheit über Neukölln hinaus. In der Ignorierung dieser sozialen Dimension besteht auch der blinde Fleck vieler Buschkowsky- und Sarrazin-Kritiker.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152853
Peter Nowak

Zivilgesellschaft statt Verbot

Es könnte Szenarien geben, die eine Vorführung des Mohammed-Trailers ohne Rückgriff auf staatliche Verbote und Religionsschutz verhindern

Eine bunte und friedliche Demonstration sei es gewesen, der Anmelder habe im Vorfeld mit der Polizei kooperiert und ein Sprecher der Polizei erklärte im Nachhinein, dass die Aufregung im Vorfeld bei den Medien größer gewesen sei als bei ihnen. So wie in Freiburg haben in den letzten Tagen auch in anderen deutschen Städten jeweils einige hundert Menschen gegen den von rechten Christen aus den USA lancierten Mohammad-Movie-Trailer protestiert.

Dass hier also das Recht auf Meinungsfreiheit völlig im Rahmen des deutschen Demonstrationsrechts in Anspruch genommen wurde, ist für den Großteil der Medien nicht besonders interessant. Da werden noch immer zum großen Teil die Nachrichten aus den Ländern in den Mittelpunkt gestellt, in denen die Proteste gegen den Trailer gewalttätig verlaufen sind. Dabei wird oft unterschlagen, dass auch in den arabischen, asiatischen und afrikanischen Ländern, in denen es Proteste militanter Islamisten gab, nur eine verschwindende Minderheit beteiligt war. Dass fast zeitgleich in Ägypten ungleich mehr Menschen gegen soziale Missstände demonstriert und gestreikt haben, war hingegen in Deutschland kaum jemandem eine größere Nachricht wert.

Unfähig, die Welt im Plural zu denken

Man muss nun den Medien nicht unterstellen, dass sie hier bewusst ein Feindbild des Islam aufbauen oder gar „Islamophobie“ schüren wollen. Viel besser bringt es die Kennerin vieler islamisch geprägter Länder, die Reisekorrespondentin Charlotte Wiedemann, mit der Formulierung auf den Begriff, dass hier „die Unfähigkeit, die Welt im Plural zu denken“ deutlich werde. Tatsächlich sind in der Debatte um den Kurzfilm solche differenzierten Stellungnahmen noch immer die Ausnahme. Zu den Ausnahmen gehört auch das Kompetenzzentrum Islam der Aktion 3.Welt Saar, das in einer Pressemitteilung sowohl auf die antisemitischen und antiamerikanischen Töne der islamistischen Kampagne der letzten Tage hinwies, aber auch die rassistischen Untertöne in den hiesigen Medien benannte.

„Die in den Medien geführte Diskussion zu den Vorfällen trägt auch rassistische Züge. Moslems und Araber werden nicht als entscheidungsfähige, handelnde Subjekte gesehen, sondern als Pawlow’sche Hunde, die nicht anders können, als bei jeder vermeintlichen Beleidigung des Propheten Mohammed instinktiv mit Gewalt zu reagieren. Diese rassistische Grundhaltung teilen offenbar manche Anhänger der multikulturellen Gesellschaft und Politiker verschiedener Parteien mit den Rechtspopulisten von ‚Pro Deutschland‘, die jetzt mit dem Film hausieren gehen.“

In der Pressemitteilung wird zudem gegen ein Verbot des Films argumentiert, das schnell auch dazu führen könnte, religionskritische Stimmen generell zum Schweigen zu bringen. Zumindest bei manchen Stellungnahmen aus dem Spektrum der CSU, in denen einer Verschärfung des Paragraphen 166 das Wort geredet wurde, ist die Befürchtung tatsächlich nicht von der Hand zu weisen. Denn dabei geht es um die Sanktionierung einer angeblichen Schmähung der Religion.

Das Dresden-Szenario

Statt eines Verbotes sollte eine gesellschaftliche Debatte darüber geführt werden, ob der Film gezeigt werden soll oder nicht. Dass die bereits im Gange ist, zeigte die Abfuhr, die sich Cinema for Peace holten, als sie als eine Art Trittbrettfahrer des Medienhypes über den Film kurzzeitig ankündigten, ihn demnächst in Berlin zeigen zu wollen. Wahrscheinlich wollten sie damit vor allem das Medieninteresse auf ihr dahin dümpelndes Projekt lenken und hatten noch nicht einmal den Geschäftsführer des Kinos vorher kontaktiert, in dem Cinema for Peace den Film zeigen wollte.

Es wäre absurd, ihm deswegen den Vorwurf zu machen, er würde das Recht auf freie Meinungsäußerung einschränken. Es ist ein Unterschied, ob ein staatliches Verbot durchgesetzt werden soll oder ob sich Kinobetreiber, Filmverleiher und auch Filmvorführer weigern, den Film zu zeigen. Letzteres ist eine zivilgesellschaftliche Entscheidung, die sich vor allem gegen das Umfeld und die politische Stoßrichtung derer richtet, die lautstark verkünden, den Trailer öffentlich zeigen zu wollen. Dagegen zu protestieren, könnte auch das Ergebnis jener „breiten gesellschaftlichen Diskussion“ sein, die Bundesinnenminister Friedrich am Sonntag im Interview mit dem Deutschlandfunk einforderte. Nur sollte es dabei nicht um den „Schutz religiöser Gefühle“ gehen, wie Friedrich sich ausdrückte, sondern um eine Absage sowohl an Islamismus, aber auch an Rassismus und Rechtspopulismus.

Friedrich gibt in dem Interview auch den Hinweis darauf, dass es ein Szenario geben könnte, das eine öffentliche Filmvorführung aus der rechten Ecke ohne Rückgriff auf den Schutz der Religionen verhindern könnte.

„Wenn konkret zu befürchten wäre, dass es Unruhen und Auseinandersetzungen – gewalttätige Auseinandersetzungen – gibt, die Sie nicht beherrschen können auf andere Art und Weise, dann könnte man so etwas untersagen. Aber das wäre etwas, was im Einzelfall ganz konkret vor Ort von den Länderbehörden zu beurteilen wäre.“

Das ist das gleiche Szenario, das in der Vergangenheit schon die Durchführung vieler rechter Demonstrationen beispielsweise in Dresden verhindert hat. Politiker, die immer nach Verboten und staatlichen Sanktionen rufen, wären dann wieder einmal durch die Aktivitäten der Zivilgesellschaft blamiert.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152839
Peter Nowak

Rösler und der Romneyeffekt

Auch in Deutschland gehört eine Verachtung der Einkommensschwachen bei Politikern, die Ungleichheit fördern, längst zum Alltag

Der Staat wird ärmer und die vermögenden Schichten reicher, lautet das Fazit des Reichtumsberichts der Bundesregierung. Dabei handelt es sich um die Folge einer Politik, die von den Bundesregierungen unterschiedlicher Couleur in den letzten Jahren betrieben wurde. Die Ergebnisse des Berichts sind wahrlich keine Überraschung, wie der soziale Kahlschlag in vielen Kommunen zeigt. Doch für Teile der Bundesregierung scheint das Problem nicht die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, sondern der Bericht, der diese Fakten in Zahlen fasst.

Der FDP-Wirtschaftsminister Philipp Rösler ließ prompt via Handelsblatt mitteilen, dass er die Veröffentlichung des Reichtumsberichts nicht mitträgt, weil die Gefahr bestehe, dass er für eine Diskussion um eine stärkere Vermögensbesteuerung herangezogen werden könnte.

Dabei stieß sich Rösler vor allem an dem Passus in dem Bericht, in dem von einem Prüfauftrag die Rede ist, „ob und wie über die Progression in der Einkommensteuer hinaus privater Reichtum für die nachhaltige Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden kann“. Hier wird also die Frage aufgeworfen, ob es sich eine Gesellschaft leisten kann, dass mitten im wachsenden Reichtum für Wenige, die Einrichtungen der sozialen Daseinsvorsorge für die Mehrheit der Bevölkerung, seien es Schwimmbäder, Theater oder der öffentliche Nahverkehr immer mehr reduziert werden müssen.

Linksabweichlerin von der Leyen?

Doch für Rösler und die FDP scheint allein schon eine solche Frage den Sozialismus heraufzubeschwören. „Noch mehr Umverteilung“ sei für sein Ministerium nicht zustimmungsfähig, ließ er dem Handelsblatt mitteilen. Bald stellten sich nur seine Parteifreunde, sondern auch Bundeskanzlerin Merkel hinter ihm. Höhere Steuern würden vor allem den Mittelstand in Deutschland schaden, hieß es.

Der konzernnahe wirtschaftspolitische Sprecher Michael Fuchs der Union warf seiner Parteifreundin, der Arbeitsministerin von der Leyen vor, mit der Veröffentlichung des Armutsberichts den Koalitionsvertrag zu verletzen. Finanzstaatssekretär Steffen Kampeter sah in dem Bericht gar „Linksrhetorik pur“. Innerhalb weniger Wochen wurde damit von der Leyen zweimal in die Nähe einer Linksabweichlerin gerückt. Auch mit ihrer Initiative für eine Zusatzrente geriet sie in diesen Ruch, obwohl bei ihrem Modell eine lange Lebensarbeitszeit und eine private Rentenversicherung festgeschrieben sind.

Nachdem von der Leyen dann auch noch das um Nuancen sozialere Rentenmodell der SPD gelobt hat, gab es erste Kommentare, die sich schon Gedanken darüber machen, ob sich von der Leyen vielleicht als Merkel-Nachfolgerin in einer großen Koalition nach den nächsten Wahlen ins Spiel bringen will. Schließlich hatte auf dem SPD-Zukunftskongress der rechte Sozialdemokrat und aussichtsreiche Bewerber für die SPD-Spitzenkandidatur Peer Steinbrück erstaunlich deutlich erklärt, keinen Posten in einem Kabinett unter Merkel annehmen zu wollen Natürlich fiel manchen Kommentatoren sofort auf, dass er einen Posten unter von der Leyen nicht ausgeschlossen hat.

Allerdings sollte der aktuelle Streit auch nicht überinterpretiert werden. Von der Leyen hat als Arbeitsministerin eine andere Rolle in der Bundesregierung als Rösler und auch Merkel und muss hier die soziale Komponente berücksichtigen. Es dürfte sich bei den aktuellen Auseinandersetzungen um die Altersarmut und den Reichtumsbericht also eher um ein Spiel mit verteilten Rollen innerhalb der Bundesregierung handeln als um einen grundlegenden Richtungsstreit.

Dabei hat allerdings die soziale Komponente eindeutig eine Minderheitenposition. Merkel und Rösler machen hier noch einmal deutlich, dass ihnen die Interessen der Kapitalbesitzer alle näher sind als der Menschen, die sich wegen mangelndem Einkommen immer mehr einschränken müssen. Schließlich ist es die Folge einer nicht nur von der gegenwärtigen Bundesregierung vorangetriebenen Politik. Die Vermögenssteuer ist schon unter Rot-Grün beträchtlich gesenkt worden.

„Eure Armut kotzt uns an“
US-Präsidentschaftskandidat Romney geriet vor wenigen Tagen in die öffentliche Kritik, als er auf einer nicht für die große Öffentlichkeit bestimmten Rede vor vermögenden Wahlhelfern davon sprach, dass er es nicht als seine Aufgabe ansieht, sich um die ärmere Hälfe der US-Bürger, die auf staatliche Leistungen angewiesen ist, zu kümmern. Sofort merkten Kritiker an, so etwas könne sich ein Präsidentschaftskandidat nur in den USA erlauben.

Die Reaktion von Rösler, Merkel und Co. auf die Veröffentlichung des Reichtumsbericht zeigt, wie unrecht sie haben. Auch in Deutschland gehört eine Verachtung der Einkommensschwachen bei denen, die mit ihrer Politik Ungleichheit fördern, längst zum Alltag. Westerwelle hat mit seinem Lamento über die spätrömische Dekadenz dafür ebenso die Stichworte geliefert wie Sarrazin mit seiner Hetze gegen Transferleistungsbezieher. In dieser Tradition stehen auch Merkel und Rösler, wenn sie schon in einem Bericht über die Armut die Gefahr sehen, es könne eine Diskussion aufkommen, wie die Einkommensverhältnisse fairer gestaltet werden könnten.

Das ist das erklärte Ziel eines breiten Bündnisses, das mit einem Aktionstag am 29. September an die Öffentlichkeit treten will. Zu den Aktionsformen gehören unter anderem eine Demonstration, die rückwärts läuft, um den sozialen Rückschritt deutlich zu machen. Ob man damit allerdings die Romney-Adepten an der Spree beeindruckt, darf bezweifelt werden. Vielleicht würde ihnen eher der Spiegel vorgehalten, wenn Demonstranten mit Merkel- und Röslermasken Schilder mit der Aufschrift „Eure Armut kotzt uns an“ tragen würden.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152819
Peter Nowak

Strafrecht nicht effektiv

Die Fraktion der Piraten will »Schwarzfahren« entkriminalisieren

Im letzten Jahr verbüßten nach Auskunft der Berliner Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz 1269 Personen eine Freiheitsstrafe in Berliner Gefängnissen, weil sie wegen Fahrens ohne Fahrschein im öffentlichen Nahverkehr erwischt wurden und die verhängte Geldstrafe nicht zahlen konnten. Im Jahr 2010 verbüßte ein Drittel der Insassen der JVA Plötzensee eine mehrmonatige Haft wegen Beförderungserschleichung, wie der Vorgang in der Juristensprache heißt.

Die Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus strebt eine Entkriminalisierung des Fahrens ohne Ticket an. Sie will einen Antrag in das Abgeordnetenhaus einbringen, in dem das Land Berlin aufgefordert wird, sich im Bundesrat dafür einzusetzen, dass das Delikt der Beförderungserschleichung aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wird. Am Montagabend hatte die Piratenfraktion zu dieser geplanten Bundesratsinitiative zur Podiumsdiskussion verschiedene Juristen ins Berliner Abgeordnetenhaus eingeladen. Vor dem nicht sehr zahlreich erschienenen Publikum sprach sich der Jurist des Verbandes deutscher Verkehrsunternehmer Thomas Hilpert vehement gegen die Initiative aus. Sie fördere diejenigen, die »eine gestörte Beziehung zum Recht haben«, monierte er.

Hilpert räumte ein, dass die intensiven Fahrscheinkontrollen nicht mehr Geld in die Kassen der Verkehrsbetriebe spülen. Schließlich muss das Personal bezahlt werden. Hilpert sieht in den Kontrollen vor allem ein Disziplinierungsinstrument. Das es nur bei den Menschen funktioniert, die noch das Geld für ein Ticket haben, gab Rechtsanwalt Oliver Heischel zu bedenken. Der Vorsitzende des Vollzugsbeirates berichtet aus seiner alltäglichen Berufspraxis, dass es »die Ärmsten der Armen« sind, die wegen mehrmaligem Fahren ohne Ticket im Gefängnis sitzen, weil sie die Geldstrafe nicht zahlen können. Auch der Richter am Berliner Landgericht Ulf Buermeyer sieht im Strafrecht »kein effektives Mittel«, um mit sozialen Problemen umzugehen. Hier konnte der rechtspolitische Sprecher der Piratenpartei Simon Weiß anknüpfen. »Viele Menschen fahren ohne Ticket, weil sie kein Geld haben und nicht, weil sie ein gestörtes Verhältnis zum Recht haben. Hier ist das Strafrecht völlig fehl am Platze« widersprach er dem Juristen der Verkehrsbetriebe.

Allerdings betonte Weiß mehrmals, dass es seiner Partei nicht darum gehe, das Fahren ohne Fahrschein zu legalisieren. Schließlich könnten die Verkehrsbetriebe Schadenersatz mit Hilfe des Zivilrechts durchsetzen, gab er zu bedenken. Auf den Einwurf von Hilpert, wie Menschen, die so arm dran sind, dass sie die Geldstrafen nicht zahlen können, für die zivilrechtlichen Forderungen aufkommen sollen, konnte Weiß wenig erwidern. Es war ein Zuhörer, der in seinem kurzen Redebeitrag für ein Recht auf Mobilität unabhängig vom Geldbeutel eintrat. Solche sozialen Forderungen werden von Erwerbslosengruppen und der Initiative »Berlin fährt frei« propagiert. Auf der Podiumsdiskussion kamen sie nicht zu Wort. »Ich unterstütze die Entkriminalisierung, doch ich sehe es als einen Schwachpunkt, dass die soziale Komponente zu kurz kam«, lautet das Fazit einer Erwerbslosenaktivistin gegenüber »nd«.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/239172.strafrecht-nicht-effektiv.html
Peter Nowak

Bedroht in Hoyerswerda

Antifa-Gruppen fordern Gedenkort und Entschädigung für Naziopfer von 1991
Am Wochenende wollen Antifa-Gruppen in Hoyerswerda an die rassistischen Ausschreitungen von 1991 erinnern. Diese bildeten den Auftakt einer Serie von Angriffen auf Ausländer in Deutschland nach der Vereinigung.

Der Jahrestag der rassistischen Ausschreitungen in Rostock hat vor einigen Wochen für große Aktivitäten gesorgt, nicht nur seitens der antifaschistischen Bewegung, sondern auch der offiziellen Politik. Wenn für Sonnabend zwei linke Bündnisse zu einer Demonstration nach Hoyerswerda mobilisieren, wird die Teilnehmerzahl hingegen wohl im dreistelligen Bereich bleiben. Dabei war die sächsische Stadt der erste Ort in Deutschland, wo nach der Vereinigung Gewalt gegen Ausländer eskalierte. Unter dem Beifall Hunderter Schaulustiger griffen Neonazis im September 1991 ein Wohnheim von Vertragsarbeitern aus Vietnam und Mosambique an. Die Opfer wurden schließlich unter Polizeibegleitung in Bussen aus der Stadt gebracht.

Allerdings nicht in Sicherheit. »Viele mussten die Nacht in den Bussen verbringen und sind sofort abgeschoben worden«, erinnert sich Mathias Buchner an die unwürdige Behandlung der Opfer rechter Gewalt. Er ist Sprecher des Bündnisses »Pogrom 91«, in dem sich linke Aktivisten aus der Region zusammengeschlossen haben. Den Begriff rassistisches Pogrom haben sie bewusst gewählt, weil bei den Angriffen Tote bewusst in Kauf genommen worden seien, begründet Buchner die Wortwahl, die in Hoyerswerda nicht nur beim CDU-Bürgermeister, sondern auch bei Stadträten der LINKEN auf Ablehnung stieß. Die Demonstration am Sonnabend wird allerdings von LINKE-Politikern unterstützt, darunter die antifaschistische Sprecherin der Landtagsfraktion, Kerstin Köditz und die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke.

Auch die Linksjugend Solid mobilisiert zur Demo und versuchte Unterstützung in Hoyerswerda zu finden. Dabei wurden Solid-Aktivisten an ihrem Infostand auf dem Marktplatz von Neonazis bedroht. Anschließend versammelten sich die Rechten vor dem Büro der Partei, wo die Jugendorganisation eine Veranstaltung geplant hatte. Auf Anraten der Polizei musste sie vorzeitig abgebrochen werden, was nach Augenzeugenberichten von der mit Reichskriegsflagge aufmarschierten Neonazigruppe mit Applaus und den Rufen »Hoyerswerda bleibt braun« quittiert wurde. Bereits im vergangenen Jahr waren Opfer der Ausschreitungen von 1991, die zum 20. Jahrestag nach Hoyerswerda gekommen waren, von Neonazis erneut angegriffen worden. Dies sei auch ein Grund gewesen, in diesem Jahr wieder bundesweit nach Hoyerswerda zu mobilisieren, erklärt Martin Peters vom Bündnis »Rassismus tötet« gegenüber »nd«.

Die Initiativen fordern einen angemessenen Gedenkort und eine Entschädigung der Opfer. Die Stele, die im vergangenen Jahr aufgestellt wurde, erfüllt diesen Anspruch nicht. Sie spricht ganz allgemein von »extremistischen Ausschreitungen«. »Von Rassismus ist dort ebenso wenig die Rede, wie von der Unterstützung durch große Teile der Bevölkerung«, kritisieren die Antifagruppen. Eine Woche nach der Demonstration wird es im Rahmen der Interkulturellen Woche in der Kulturfabrik Hoyerswerda eine Veranstaltung mit den Herausgebern der Anthologie »Kaltland« geben, die das rassistische Pogrom thematisiert.

Demo, 22. September, 14 Uhr, Bahnhof Hoyerswerda

http://www.neues-deutschland.de/artikel/239012.bedroht-in-hoyerswerda.html
Peter Nowak

Hat die Bundesregierung zu stark auf den Dialog mit dem Islam gesetzt?

Unionspolitiker zielt mit seiner Kritik auch auf die Obama-Regierung

Wie gewohnt gibt es in der Bundesregierung und den sie tragenden Parteien die unterschiedlichsten Signale auch zum Umgang mit der gegenwärtigen Auseinandersetzung um den islamfeindlichen Mohammad Movie Trailer. Genau diese Signale sind zumindest von Angela Merkel gewollt, kann sie sich doch, wie heute wieder auf der Bundespressekonferenz als Pragmatikerin präsentieren.

Der CSU-Politiker Hans-Peter Uhl spricht sich dagegen für ein Verbot des Trailers aus und argumentiert mit außenpolitischen Rücksichten. Doch gleichzeitig können konservative Christen im Subtext auch in Uhls Erklärung heraushören, dass es keine grenzenlose Freiheit gäbe und dass die Grenzen der Religionskritik auch bei der nächsten Papstkarikatur aufgezeigt werden könnten.

Wer ist der Adressat der Kritik?

Ganz andere Akzente setzte der außenpolitische Sprecher der Union Philipp Mißfelder (http://www.philipp-missfelder.de/) in einem Deutschlandfunk-Interview. Dort wird scheinbar selbstkritisch eingeräumt, die radikalislamistischen Positionen in den arabischen Ländern unterschätzt zu haben. Doch schnell stellt sich die Frage nach dem Adressaten der Kritik. Seiner Partei stellt er selbstverständlich gute Noten aus: „Eins ist auf jeden Fall auch klar, wenn man den Arabischen Frühling sich anschaut, und da hat unsere Fraktion von Anfang an gewarnt. Es ist müßig, automatisch zu glauben, dass dadurch, dass jetzt in einigen Ländern mehr Freiheit herrscht, automatisch sich auch Demokratie und Menschenrechte, Religionsfreiheit verbessern. Das ist nicht der Fall.“

Dabei bleibt allerdings unklar, welche Konsequenzen Mißfelder aus dieser Einschätzung des arabischen Frühlings zieht, die übrigens in Israel schon vor einem Jahr laut wurde. Hat sich die Bundesregierung aus staatspolitischen Gesichtspunkt nicht richtig verhalten, als sie sich nicht aktiv am Sturz des Gaddaffi-Regimes beteiligte? Schließlich hat dies in der Flüchtlingsabwehr den EU-Staaten und beim Verhör mutmaßlicher Islamisten auch den USA gute Dienste erwiesen. Zudem dürften sich manche Anhänger des libyschen Regimewechsels fragen, ob sich das Unternehmen gelohnt hat, wenn dort nun die Islamisten, die man zunächst vom Gaddafi-Regime foltern ließ und dann bewaffnete, nun am Personal der US-Botschaft Rache nehmen. Sollte man nun trotzdem eine syrische Opposition weiter bedingungslos unterstützen, wenn mittlerweile auch vom Assad-Regime unabhängige Quellen bestätigen, dass Islamisten dort mittlerweile eine wichtige Rolle spielen?

Andererseits könnten auch die Anhänger eines spezifisch deutschen Umgangs mit dem Islam nach dem Sturm auf die deutsche Botschaft im Sudan zu einer kritischen Bilanz kommen. Die Dialog-Linie wird zumindest von den Islamisten nicht belohnt. Hier bietet sich ein Einfalltor für die Atlantiker, die in der Union, aber auch in der SPD und der FDP vertreten sind und einer stärkeren Kooperation mit den USA das Wort reden. Mißfelder gehörte schon in der Vergangenheit zu den Politikern, die vor einer zu starken Entfremdung von den USA warnten. Dabei geht es keinesfalls um eine Unterordnung, sondern um die Frage, ob sich deutsche Interessen eher in guter Kooperation mit den USA oder eher in mehr oder weniger deutlich artikulierten Dissens zu Washington besser vertreten lassen. Für Letzteres stand die rotgrüne Regierung unter Schröder während des Irakkriegs. Damals gehörte Merkel noch zu den Atlantikern. Da sich diese Position allerdings in der Bevölkerung als nicht mehrheitsfähig erwies, zeigte sie auch in dieser Frage viel Flexibilität. Diese Geschmeidigkeit kann man auch führenden Politikern von SPD und Grünen nicht absprechen, die im Libyen-Konflikt der Bundesregierung vorwarfen, nicht eindeutig auf Seiten der Gaddafi-Gegner Position bezogen zu haben.

Hoffnung auf Obama-Niederlage?

Doch Mißfelders Intervention zielt nicht nur auf die deutsche Innen- und Außenpolitik, sondern sehr deutlich wird auch Obamas Nahostpolitik und dabei besonders seine als Versöhnungsgeste verstandene Rede in Kairo kritisiert: „Wenn man die Rede von Obama in Kairo zugrunde legt, wenn man auch zugrunde legt, was er in der Türkei gesagt hat, und das mit der Realität vergleicht, dann ist man sehr weit davon entfernt. Das ist nicht zwangsläufig Barack Obamas Schuld, aber man muss wirklich sagen, es gibt eine große Lücke in der Politik im Nahen Osten, was den Führungsanspruch der USA angeht, und es gibt einfach kein konsequentes Konzept der USA.“ Damit reiht sich Mißfelder in den Reigen der Politiker in den USA, in Israel und in anderen Ländern ein, die den aktuellen islamistischen Furore um den Mohamed Trailer nutzen, um Obama zumindest Schwäche gegenüber der arabischen Welt vorzuwerfen. Der Vorstoß von Mißfelder hat keine unmittelbare Auswirkungen auf die aktuelle Außenpolitik. Sie soll vielmehr im Vorwahlkampf den Atlantikern, die in der Union besonders stark sind und ihre außenpolitische Linie auf Adenauer zurückführen, das Gefühl geben, dass sie in der Partei noch eine nicht unwichtige Stimme haben.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152798
Peter Nowak

Religionskritik oder Hetze rechter Christen?

Ob der Mohammad Movie Trailer in Deutschland gezeigt werden kann, dürfte die Gerichte beschäftigen

Die rechtspopulistische Kleinstpartei Pro Deutschland bleibt selbst bei von ihnen zentral beworbenen Großaktionen in der Regel im zweistelligen Teilnehmerbereich. Trotzdem scheint sie ein internationaler Faktor. Als vor wenigen Tagen die deutsche Botschaft im Sudan angegriffen wurde, soll ein Grund darin gelegen haben, dass die Rechtspartei kritische Mohammed-Karikaturen auf mehreren Kundgebungen gezeigt hatte.

Dass im Internetzeitalter solche Haltungen auch im Sudan wahrgenommen werden, kann nur verwundern, wer noch immer ein Afrikabild pflegt, wie es auf den meisten Werbeplakaten von Hilfsorganisationen zu sehen ist. Dort blicken traurige Kinder vor irgendwelchen windschiefen Hütten in die Kamera. Insignien der modernen Gesellschaft fehlen in der Regel völlig. Die Macher solcher Klischeewerbung geben unumwunden zu, dass Fotos von Jugendlichen in Internetcafes der Spendenbereitschaft nicht förderlich wären. Dabei würden gerade solche Bilder die Realität wesentlich besser spiegeln und auch leichter erklärbar machen, warum im Sudan die Aktion einer rechten Kleinstpartei in Deutschland für so viel Wirbel sorgt. Gerade Migranten aus afrikanischen Ländern sind häufige Kunden von Internetcafes und tauschen sich mit ihren Verwandten und Freunden über Dinge aus, die sie bewegen. Die Pro-Deutschland-Aktion gehörte nun mal für Moslems zu diesen Ereignissen, selbst wenn sie nicht zum salafistischen Spektrum gehören sollten, die auf die Plakataktion mit Straßenaufruhr reagierten.

Damals hatten verschiedene Gerichte der Rechtspartei bescheinigt, dass sie die Karikaturen zeigen kann (Auch Rechte dürfen Mohammed-Karikaturen zeigen), und widersprachen damit den Verbotsverfügungen der NRW-Landesregierung. Diese juristische Entscheidung bekam Unterstützung auch von Kreisen, die mit der Pro-Deutschlandbewegung nichts zu tun hat und sie sogar politisch bekämpfen. Tatsächlich war dieses Urteil begründet. Jedes Mitglied einer Religionsgemeinschaft muss es hinnehmen, wenn diese mit Witz und Karikatur angegangen wird. Dieses Recht auf Religionskritik bzw. Freiheit von der Religion gehört zu den Essentiels einer säkularen Gesellschaft. Wenn das irgendwelche religiösen Fundamentalisten zum Anlass für Angriffe nehmen, so müssen diese an die Spielregeln einer säkularen Gesellschaft erinnert werden.

Wo beginnt die rassistische Hetze?

Doch wie soll man reagieren, wenn unter dem Deckmantel der Religionskritik Hetze gegen gesellschaftliche Minderheiten betrieben wird? So hat sich auch der Antisemitismus historisch wie aktuell immer auch der Religionskritik bedient In der aktuellen Debatte um die Beschneidung schwingen solche Töne mit, wenn Juden und Moslems zumindest indirekt unterstellt wird, sie würden ihre Kinder quälen und verstümmeln. Auch bei der Diskussion um das Schächten von Tieren, die in Frankreich eine größere Rolle spielt als in Deutschland, werden gegen Juden und Moslems gerichtete Ressentiments laut. Nun stellt sich die Frage, ob man nicht das Kind mit dem Bade ausschüttet, wenn man solchen Gruppen das Zeigen bestimmter Filme, Bücher oder Karikaturen mit religionskritischen Inhalten verbietet. In der Auseinandersetzung um die Karikaturen hatten daher die Gerichte für das Recht auf Religionskritik entschieden. Wie ein juristischer Streit um eine Vorführung des Mohammad Movie Trailers ausgeht, ist völlig offen. Denn es gibt hier schon einige gravierende Unterschiede.

Hat der Film auch eine antisemitische Agenda?

Während Karikaturen eben einen Gegenstand verfremden, handelt es sich bei dem Trailer um ein Produkt plumper Hetze. Die Spuren weisen in das Lager rechter christlicher Fundamentalisten, die in der Mehrheit genau so gegen Juden wie gegen Moslems agieren, selbst wenn ein Teil von ihnen in der israelischen Rechten Bündnispartner gegen den Islam sieht. Die kurze Geschichte des Mohammad Movie Trailers macht dies auch deutlich.

Schließlich ist wohl aus Kreisen der Verantwortlichen die anfangs von vielen Medien aufgenommen Behauptung gestreut worden, der Film sei von einem aus Israel eingewanderten Juden produziert worden, der als Immobilienhändler gearbeitet und für die Produktion des Films Geld von 100 reichen Juden in den USA Millionenbeträge gesammelt habe. Scheinbar hinterfragte zunächst niemand, wofür das Geld angesichts des Low-Budget-Trailers gebraucht wurde. Auch fiel wohl zunächst kaum auf, dass die Fama vom jüdischen Immobilenhändler und seinen reichen jüdischen Spendern gleich mehrere antisemitische Elemente enthielt.

Damit wurde zumindest implizit in Kauf genommen, dass nicht nur Israel, sondern Jüdinnen und Juden in aller Welt ins Visier von Islamisten geraten, also offen der Gefahr ausgesetzt wurden. Ein solches Vorgehen rechter Gruppen ist nicht selten. Schließlich helfen sie so mit beim Schüren des von ihnen viel zitierten Kampfes der Kulturen. Der Trailer ist also ein Beispiel dafür, dass unter dem Mantel der Religionskritik Hetze gegen gesellschaftliche Minderheiten betrieben wird.

Ob man darauf mit einem Vorführverbot reagiert, wie es jetzt im Fall von Pro Deutschland gefordert wird (Provokationstrittbrettfahren), muss Gegenstand der gesellschaftlichen Debatte bleiben. Nur wäre schon viel gewonnen, wenn man hier unterscheiden würde zwischen einer emanzipatorischen Islamkritik, die sich am Ziel eines säkularen Staates orientiert und einer Hetze aus dem Umfeld rechter Christen, die eine säkulare Gesellschaft nicht weniger hassen als die Islamisten.

Die Notwendigkeit einer solchen Differenzierung ist übrigens nicht neu. Als vor einigen Jahren rechte Gruppen und eine mit ihnen kooperierende Bürgerinitiative gegen den Bau einer Moschee in Berlin-Heinersdorf mobilisierten, propagierten antifaschistische Gruppen neben dem Recht auf Freiheit von der Religion auch ein Recht auf Religionsfreiheit.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152792
Peter Nowak

Verhaftet Henry Kissinger

Menschenrechtsvereine machen Druck

Anlässlich des 39. Jahrestags des Militärputsches in Chile wurden diese Woche in verschiedenen Tageszeitungen in Deutschland und dem Ausland Anzeigen mit dem Titel »Verhaftet Kissinger« geschaltet. Verantwortlich für die Aktion waren der in Chile geborene Künstler Alfredo Jaar und das Europäische Menschenrechtszentrum (ECCHR), das in Berlin seinen Sitz hat. Für Jaar ist es das Finale dreier Ausstellungen in Berliner Museen, in denen er sich auch mit dem Militärputsch gegen Chiles linkssozialistischen Präsidenten Salvador Allende am 11. September 1973 auseinandersetzte. Das Vorgehen der Generäle, die in den ersten Tagen nach dem Putsch Tausende Anhänger der gewählten Regierung verhaften, foltern und ermorden und auf öffentlichen Plätzen linke Literatur verbrennen ließen, weckte weltweit Assoziationen an den Faschismus. Jaar arbeitete in seinen Installationen mit Originaldokumenten, die nachweisen, dass die damalige US-Regierung und besonders ihr Außenminister Henry Kissinger seit der Wahl von Allende den Sturz der demokratisch legitimierten Regierung betrieben hat.

Das Ziel des ECCHR ist, Politiker und nichtstaatliche Akteure wegen von ihnen begangener Menschenrechtsverbrechen vor Gericht zu bringen. Ein Sprecher der Menschenrechtsorganisation bezeichnet Kissinger, der 1923 in Deutschland geboren wurde, als einen der »Hauptverantwortlichen, der von den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten begangenen Kriegsverbrechen«. Weder sei seine Verstrickung jemals untersucht, noch sei er für seine Verbrechen angeklagt worden. Im Gegenteil: Bis heute sei Kissinger sowohl in Deutschland als auch international herzlich willkommen und respektiert.

Die Forderung, den US-Politiker juristisch zu belangen, ist alt und wird nicht nur wegen seiner Rolle beim Putsch in Chile erhoben. Kissinger hatte zwischen 1969 und 1977 verschiedene Funktionen innerhalb der US-Regierung inne. Während seiner Zeit als Außenminister eskalierte der Vietnamkrieg und wurde von den USA unter Bruch des Völkerrechts auf die Nachbarländer Kambodscha und Laos ausgeweitet. Jaar und der ECCHR haben deshalb die Anzeigen nicht nur in »taz«, »Tagesspiegel« und »Berliner Zeitung«, sondern auch in Medien von Laos, Kambodscha und Vietnam geschaltet. Dort versuchen Menschenrechtsorganisationen und Opferverbände ebenfalls, Kissinger vor Gericht zu bringen.

Heute Abend wird der Jurist und ECCHR-Mitbegründer Wolfgang Kaleck in Berlin mit Alfredo Jaar über die Kooperation von Menschenrechtsorganisationen und Kunst diskutieren.

18 Uhr, ECCHR-Büro, Zossener Str. 55-58
http://www.neues-deutschland.de/artikel/238538.verhaftet-henry-kissinger.html
Peter Nowak

Gedenkaktion für NS-Opfer zieht aufs Tempelhofer Feld

ERINNERUNG AN DIE VERDRÄNGTE GESCHICHTE DES AREALS

Immer am zweiten Sonntag im September gedenken alte und junge AntifaschistInnen der Verfolgten des NS-Regimes und diskutieren über den Kampf gegen alte und neuer Nazis – eine Tradition seit 22 Jahren. Am kommenden Sonntag findet die Aktion erstmals auf dem Tempelhofer Feld statt. Unmittelbarer Grund für den Umzug aus Mitte sind laut Hans Coppi vom Veranstalter VVN-BdA die Bauarbeiten rund um den Schlossplatz. Es ist aber auch eine Rückkehr zu den Wurzeln: In Tempelhof fand 1946 der erste Tag der Mahnung statt.

Damals war den Überlebenden noch das berüchtigte Columbiahaus bekannt, eines der ersten Berliner Konzentrationslager, das auf dem Areal errichtet worden war. Nach Auflösung des KZ mussten ZwangsarbeiterInnen auf dem Gelände für den Bau des neuen Flughafens und die Luftrüstung schuften. Später wurde die NS-Geschichte des Ortes verdrängt – nur so sei zu erklären, dass das Areal heute „Tempelhofer Freiheit“ genannt werde, kritisiert die Historikerin Beate Winzer, die seit Jahren für einen Erinnerungsort auf dem Areal kämpft. Am Sonntag bietet sie um 14 Uhr eine Exkursion zu den Stätten der NS-Verfolgung am Tempelhofer Feld an.

Diskussionen über historische Themen und aktuellen Rassismus stehen auch auf dem Programm. Um 15 Uhr gibt es ein Gespräch mit Janina Duda. Die jüdisch-polnische Partisanin gehörte als Fallschirmspringerin und Kommandeurin des Emilia-Plater-Bataillons zu den polnischen BefreierInnen vom Nationalsozialismus.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=
2012%2F09%2F08%2Fa0219&cHash=63f962c6693f3ef76c13aa6e093b3f13

Peter Nowak

Aufbruch der Flüchtlinge

Asylbewerber aus ganz Deutschland wollen am Wochenende in Würzburg zwei Protestzüge nach Berlin starten
Die Einzelaktionen von Asylbewerbern in den vergangenen Monaten haben der bundesweiten Protestbewegung neue Kraft verliehen. Der nun beginnende Flüchtlingsmarsch ist der Höhepunkt. Kurz vor dem Start wurde in Würzburg ein Aktivist festgenommen. Begründung: Verstoß gegen die Residenzpflicht.

»Würzburg, Bamberg, Augsburg, Düsseldorf, Berlin. Alle Flüchtlingsheime schließen«, heißt es auf einem Transparent, das an einem weißen Zelt am Berliner Heinrichplatz hängt. Dort harren seit mehreren Wochen Flüchtlinge aus Berlin und Brandenburg Tag und Nacht aus, um für die Durchsetzung ihrer Rechte zu demonstrieren. »Wir sind Teil einer Protestbewegung, die sich aus den Lagerunterkünften über ganz Deutschland ausgebreitet hat«, erklärte ein Aktivist gegenüber »nd«. Tatsächlich sorgten einige spektakuläre Aktionen in den letzten Monaten bundesweit für Schlagzeilen, wurden aber nicht als Ausdruck einer neuen bundesweiten Flüchtlingsorganisation wahrgenommen.

Der Streik der Asylbewerber hatte am 18. März in Würzburg begonnen. Seither campieren sie dort in der Innenstadt, mehrmals waren sie seither auch in den Hungerstreik getreten, teilweise mit zugenähten Lippen. Nun wollen Asylbewerber aus ganz Deutschland von Würzburg aus nach Berlin aufbrechen. Am Sonnabend will sich eine Flüchtlingsgruppe zu Fuß auf den Weg in die Bundeshauptstadt begeben. Die zweite Gruppe toure mit einem Bus eine längere Route quer durch Deutschland, teilen die Organisatoren mit. Beide Protestzüge sollen Mitte Oktober an ihrem Ziel ankommen.

Der Fußmarsch führt die Flüchtlinge von Würzburg aus über mehrere Stationen durch Bayern und Thüringen, über Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg nach Berlin. Dabei sollen sich Bewohner von am Weg liegenden Asylbewerberheimen dem Protestmarsch anschließen. Die Busroute führt über Hessen, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg nach Berlin. Auf beiden Touren sind über 20 Stationen geplant, an denen auch demonstriert werden soll.

Die Forderungen der Flüchtlinge richten sich gegen all die Maßnahmen, die ein Protestteilnehmer als »Erniedrigungsmaschinerie« bezeichnet: Essenspakete, Arbeitsverbot, Gutscheine, Lagerunterkünfte, Abschiebungen und Residenzpflicht. Diese Auflage verbietet es Flüchtlingen, den ihnen von den Ausländerbehörden zugewiesenen Landkreis zu verlassen. Die Betroffenen sehen darin nicht nur ihr Recht auf Bewegungsfreiheit, sondern auch die Möglichkeiten eingeschränkt, sich politisch zu engagieren. So waren die öffentlichkeitswirksamen Proteste der letzten Monate nur möglich, weil sich Flüchtlinge über die Residenzpflicht hinwegsetzten und Verhaftungen und Geldstrafen in Kauf nahmen.

In Würzburg nahm die Polizei am Donnerstag mit dieser Begründung den Sprecher der Bewegung Ashkan Khorasani fest. Der Iraner protestierte dort bereits seit dem 19. März und verstieß damit gegen die Residenzpflicht. Die Flüchtlinge werten die Verhaftung kurz vor dem Beginn des Protestmarsches deshalb als »klare Schikane« und Versuch, den Protest zu unterdrücken. Der Marsch soll ein Höhepunkt, aber kein Ende des Flüchtlingsaufbruchs sein. »In den letzten Monaten haben sich in vielen Flüchtlingsheimen Komitees gebildet, in denen sich die Betroffenen selber organisieren«, kündigt ein Aktivist weitere Proteste für ein menschenwürdiges Leben an.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/237965.aufbruch-der-fluechtlinge.html

Peter Nowak

Digital unsozial

Nicht nur in der Diskussion um den Lebensunterhalt ihres Geschäftsführers zeigt die Piratenpartei, dass sie prekär Beschäftigte, Arbeitslose und Benachteiligte nicht zu ihrer Klientel zählt.

»Ich gehe«, erklärte der politische Geschäftsführer der Piratenpartei, Johannes Ponader, in der vergangenen Woche. Die Ankündigung seines Rückzugs bezog sich nicht auf sein Parteiamt, sondern auf das Jobcenter. Der Theaterpädagoge hatte bisher Arbeitslosengeld II bezogen. Um seinen Lebensunterhalt ohne Leistungen nach dem Hartz-IV-Gesetz bestreiten zu können, stellte Ponader mit Unterstützung der Piratenpartei einen Spendenaufruf ins Netz.

Nachdem der Parteifunktionär während einer Fernsehdebatte im Mai als ALG-II-Bezieher geoutet worden war, entspann sich in Internetforen eine heftige Debatte darüber, wieso der politische Geschäftsführer einer Partei von Hartz-IV-Leistungen lebt. Dabei wurde mit sozialchauvinistischen Tönen nicht gespart, wie sie die Autoren Christian Baron und Britta Steinwachs materialreich am Beispiel der virtuellen Angriffe gegen »Deutschlands frechsten Arbeitslosen Arno Dübel« auf den Internetseiten der Bild-Zeitung nachgewiesen haben (Jungle World 28/12).

Besonders die Aussagen einer Anonymous-Gruppe könnten sehr wohl auch von Bild-Lesern stammen. Auf Facebook kündigte sie der Piratenpartei die Freundschaft und schrieb aus diesem Anlass: »Mit diesem Spendenaufruf habt ihr euch endgültig selbst ins politische Abseits geschossen. Wie kann man jemanden, der erfolgreich das Studium der Pädagogik und der Theaterwissenschaften abgeschlossen hat, aber aus purer Bequemlichkeit nicht gewillt ist, arbeiten zu gehen, als politischen Geschäftsführer (…) mit einer derart lächerlichen Aktion auch noch im Amt halten? (…) Es macht uns traurig, mit ansehen zu müssen, wie Ponader durch sein Verhalten die jahrelange Arbeit vieler engagierter Piraten in nur wenigen Wochen zunichte macht. So leid es uns tut, aber solange Ponader noch im Amt ist und weiterhin Narrenfreiheit genießt, werden wir unseren Support für die Piratenpartei in Deutschland einstellen.«

Das Bild vom studierten Faulenzer, der zu bequem zum Arbeiten ist, gehört schon lange zum Ressentiment, das erwerbslosen Akademikern entgegenschlägt, die ihre Arbeitskraft nicht zu jedem Preis verkaufen wollen. Dass Ponader als politischer Geschäftsführer einer Tätigkeit in Vollzeit nachgeht, die als Ehrenamt nicht bezahlt wird, war den Anonymous-Schreibern offenbar keine Zeile wert. Anscheinend wäre es für sie statthaft, wenn Ponader neben seiner zeitaufwendigen Parteitätigkeit seinen Lebensunterhalt mit einem Nebenjob bestreiten würde. Wer braucht schon Schlaf?

Auch innerhalb der Partei melden sich diejenigen zu Wort, die es offensichtlich als ein besonderes Privileg Ponaders sehen, unentgeltlich für die Partei arbeiten zu dürfen. So verurteilten Florian Zumkeller-Quast und Paul Meyer-Dunker, der Vorsitzende und der stellvertretende Vorsitzende der Jungen Piraten, in einem offenen Brief nicht etwa die Tatsache, dass der Geschäftsführer ohne Bezahlung bei der Partei tätig ist, sondern die Spendensammlung für Ponader. Sein Verhalten sei untragbar, hieß es in dem Schreiben. Er habe seine Position genutzt, um »persönliche Vorteile« zu erlangen. Wenn er der Meinung sei, dass für die Arbeit eine Aufwandsentschädigung angemessen sei, solle er sich um entsprechende Beschlüsse bei seiner Partei bemühen, riet der Parteinachwuchs dem Geschäftsführer.

Angesichts solcher Stimmen aus der Partei und ihrem Umfeld wirkt das Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, Peter Arlt, wie die Stimme der Vernunft. Nachdem der ALG-II-Bezug Ponaders bekannt geworden war, wollte Arlt vom Bundesvorsitzenden der Piratenpartei, Bernd Schlömer, wissen, warum die Partei ihren Geschäftsführer nicht einfach bezahlen könne. Der Pressesprecher des deutschen Erwerbslosenforums, Martin Behrsing, ist sich ausnahmsweise in dieser Frage sogar einmal mit Arlt einig. Es sei nicht verständlich, warum eine Partei mit einem derartigen Mitgliederzulauf nicht in der Lage sei, ihren Geschäftsführer vernünftig zu bezahlen, sagt Behrsing der Jungle World. »Ein Ehrenamt übt man in der Freizeit aus. Es ist keineswegs ein unbezahlter Fulltime-Job und Hartz IV kein bedingungsloses Grundeinkommen«, betont der Erwerbslosensprecher. Ponader und seine innerparteilichen Kritiker inszenierten ein »absurdes neoliberales Theater«, so Behrsing. »Sowohl Ponader, der mittlerweile von Spenden lebt, als auch seine parteiinternen Kritiker, die von ihm unbezahlte Arbeit erwarten, unterbieten die durch Hartz IV verursachten Dumpinglöhne bei weitem.« Für Behrsing gilt dagegen immer noch der Grundsatz: »Keine Arbeit ohne Lohn!«

Dass darüber anscheinend bei vielen Piraten und in ihrem Umfeld keine Einigkeit besteht, und dass zudem niemand Ponader geraten hat, sich gewerkschaftlich zu organisieren und bei der Partei einen Lohn einzufordern, von dem er ohne weitere Hartz-IV-Leistungen oder Spendensammlungen leben kann, überrascht jedoch nur, wenn man die Selbsteinschätzung führender Piratenpolitiker und deren politische Praxis ignoriert. So haben Piraten in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg eindeutig die berüchtigte »Schuldenbremse« befürwortet. In verschiedenen Kommunalparlamenten haben die Vertreter der Partei für die Einsparungen bei kulturellen und sozialen Einrichtungen gestimmt, so etwa im Berliner Bezirk Pankow für die Schließung einer Seniorenbegegnungsstätte. Erst als dort die betroffenen Rentner mit einer Besetzung der Einrichtung gegen den Beschluss protestieren und so bundesweit bekannt wurden, distanzierten sich die Piratenvertreter von der Entscheidung.

Zudem hat der Parteivorsitzende Schlömer mehrmals klargestellt, dass er einer liberalen und nicht etwa einer libertären Partei vorsteht, wie manche wohlwollende Linke noch immer annehmen. Schlömer sieht seine Klientel denn auch keinesfalls in Protest-, sondern in Wechselwählern, wie er im August während einer Podiumsdiskussion mit Katja Kipping (Linkspartei) in Berlin sagte. Dabei spekuliert nicht nur er auch auf ehemalige Anhänger von Union und FDP.

Bisher gibt es wenige kritische Auseinandersetzungen mit dem unsozialen Programm der Piratenpartei. Das von Claus Leggewie und Christoph Bieber im Transcript-Verlag herausgegebene Buch »Unter Piraten. Erkundungen in einer neuen politischen Arena« bietet zwar eine gute Analyse von deren Milieu. Doch die Sozialpolitik des Forschungsobjekts wird von den meisten Autoren, darunter Publizisten der Zeit und Süddeutschen Zeitung, einfach nachvollzogen.

Lediglich die Autorin Katja Kullmann macht in ihrem vor einigen Monaten in dem Buch »Die Piratenpartei – Alles klar zum Entern?« veröffentlichten Aufsatz darauf aufmerksam, dass soziale Begriffe im Programm der Partei absolute Ausnahmen sind. Im Grundsatzprogramm komme 44 Mal der Begriff »Freiheit« beziehungsweise »Freiheitlichkeit« vor. Immerhin acht Mal sei von den Segnungen der »Individualität« die Rede. Ein einziges Mal tauche das Wort »Solidarität« auf, führt Kullmann an. Sie sieht die Gründe dafür in der sozialen Stellung vieler Parteimitglieder. Sie klassifiziert die Partei als »Speerspitze der kreativen Klasse«, die »ihr Kapital gewinnbringend einsetzen will«. In diesem Anspruch konkurriere sie mit anderen Kapitalfraktionen, teile aber mit den Konkurrenten die Abwehr sozialer Ansprüche der Beschäftigten. So könnte der Null-Euro-Job von Ponader also tatsächlich eine Vorbildfunktion für die Unterminierung der Rechte von Beschäftigten haben.

http://jungle-world.com/artikel/2012/36/46187.html

Peter Nowak

Wo bleiben die Stimmen der Moslems in der Beschneidungsdebatte?


Die Aufruferliste zu einer für kommenden Sonntag geplanten Demonstration gegen ein Beschneidungsverbot zeigt, dass moslemische Stimmen wenig beachtet und auch schnell mal ausgeschlossen werde
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Ein auf den ersten Blick wahrhaft ökumenisches Netzwerk will am kommenden Sonntag in Berlin gegen ein Beschneidungsverbot demonstrieren. Der Diözesenrat der Katholiken gehört ebenso zu den Unterstützern wie die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Ansonsten dominieren jüdische Organisationen die Unterstützerliste. Von säkularer Seite unterstützt die Organisation Honestly concerned die Demonstration. Sie hat sich bisher als israelsolidarische Organisation scharf gegen islamistische Bestrebungen gewandt aller Art gewandt.

Daher war es umso erstaunlicher, als ein Blogger reißerisch vermeldete, dass die Hamas auf der Beschneidungsdemonstration mitlaufe. Tatsächlich geht es um das Islamische Kultur- und Erziehungszentrum Berlin e.V., dem im Verfassungsschutzbericht nachgesagt wird, ein Treffpunkt von Hamas-Anhängern zu sein. Abgesehen von der Problematik, den Verfassungsschutzbericht zum Maßstab der Beurteilung einer Organisation zu machen, klingt deren Beurteilung schon wesentlich unaufgeregter als die Überschrift auf dem Blog der rechtsliberalen Ruhrbarone, die mit der Präsentation von Fotos schwerbewaffneter, vermummter Islamisten neben den Beitrag die Grenze zum Ressentiment deutlich überschritten haben.

Unabhängig davon ist es fraglich, ob es so klug von den Demoorganisatoren war, den umstrittenen islamischen Kulturverein sofort von der Aufruferliste zu streichen. Es wäre doch besser gewesen, zuvor einige Fragen zumindest einmal zu stellen. Wie kann es eine der Hamas nahestehende Organisation mit ihrer Ideologie vereinbaren, nicht nur mit jüdischen sondern auch mit explizit proisraelischen Organisationen zu der Demonstration gegen Beschneidung aufzurufen? Daraus könnten sich zwei Schlussfolgerungen ergeben. Entweder die . Nähe zur Hamas ist längst nicht so eng, wie die Blogger suggerieren, oder das islamistische Spektrum befleißigt sich einer recht flexiblen Bündnispolitik auch im Kernbereich ihrer Politik. Schließlich muss der Verein eine solche Kooperation auch vor dem eigenen Umfeld rechtfertigen. Wenn er die Unterstützung ernstgemeint hat, hätte wohl in Deutschland am Sonntag erstmals eine islamistische Organisation auf einer Demonstration gemeinsam mit proisraelischen Initiativen teilgenommen und der Streit um Israel wäre ausgespart geblieben, was natürlich im Vorfeld hätte abgeklärt werden müssen.

Gerade solch eine Kooperation unter Absehung des Nahostthemas hätte vielleicht dem in der letzten Zeit vielbeklagten Antisemitismus in islamistischen Milieus deutscher Großstädte entgegentreten können. Natürlich gibt es dafür keine Garantie, aber eine solche mögliche Entwicklung wurde schon im Vorfeld durch reißerische Berichte, den Link auf einen Absatz aus dem Verfassungsschutzbericht und die nachfolgende Streichung der Gruppe von der Aufruferliste verhindert. Natürlich ist von einem säkularen Standpunkt ein solches Bündnis auf religiöser Grundlage keineswegs unproblematisch, wie die zumindest informelle Zusammenarbeit jüdischer und islamischer Gruppen gegen Schwulen- und Lesbenparaden in Israel zeigt.

Warum werden islamische Stimmen zur Beschneidung kaum beachtet?

Bei den Beschneidungsdebatte der letzten Wochen fällt wiederum ein Ungleichgewicht auf, das sich in der Aufruferliste zur Demo gut widerspiegelt. Während die Reaktionen aus den jüdischen Gemeinden in der Öffentlichkeit breit rezipiert werden und teilweise mit Verständnis, teilweise auch mit von Antisemitismus durchsetzen Ressentiments begegnet werden, finden Stimmen und Stellungnahmen aus den islamischen Gemeinden medial weit weniger Beachtung. Selbst in der Wochenzeitung Jungle World, auf deren Diskoseiten in den letzten Wochen die wohl gründlichste Debatte über die Beschneidung und die verschiedenen Facetten zu lesen war, wurde oft nur mit wenigen Sätzen darauf hingewiesen, dass Menschen moslemischen Glaubens gleichfalls von einer Einschränkung oder einem Verbot der Beschneidung betroffen wären.

Dass diese Tatsache öffentlich kaum wahrgenommen wird, könnte das Dementi eines höchst umstrittenen Satzes des Kurzzeitpräsidenten Christian Wulff sein, demzufolge der Islam zu Deutschland gehört. Sein Nachfolger Gauck hat mittlerweile formuliert, dass die hier lebenden Moslems zu Deutschland gehören. Wenn man die Debatte um die Beschneidung verfolgt, kommen auch sie kaum vor.
http://www.heise.de/tp/blogs/6/152736
Peter Nowak

Esel hinter Stacheldraht

Durch die Documenta wurde ein lange vergessenes nordhessisches NS-Konzentrationslager und ein dort verübtes Massaker weltweit bekannt

Zu Documenta-Zeiten durchweht das nordhessische Kassel ein kosmopolitischer Flair. Menschen aus allen Ländern und Kontinenten sind auf der Suche nach den in der gesamten Stadt verteilten Kunstwerke. Auch die kleine Gruppe, die sich am Mittwochmittag am Kasseler Opernplatz trifft könnte als eine der vielen Kunstexkursionen durchgehen. Doch die hier beginnende Tour ins knapp 15 Kilometer entfernte Cuxhagen ist eine Zeitreise in die deutsche Vergangenheit, in eine Geschichte des Beschweigens und Verdrängens. Die Nazis errichteten in Cuxhagen auf dem Gelände des idyllisch an der Fulda gelegenen Klosters Breitenau. das seit 1874 als Arbeitshaus benutzt wurde, am 15 Juni 1933 eines jener frühen Konzentrationslager, in die Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter und andere Nazigegner verschleppt wurden. In Hessen gehörte neben Breitenau noch das durch den Roman „Das siebte Kreuz“ von Anna Seghers weltbekannt gewordene Osthofen zu diesen KZ der ersten Stunde. Durch die diesjährige Documenta machten sich in den letzten Wochen viele Künstler und Ausstellungsbesucher aus aller Welt auf die Zeitreise in die deutsche Geschichte Nordhessens, meint Gunnar Richter. Er beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit diesen Ort, zunächst als Student, dann als engagierter Wissenschafter und seit einigen Jahren als Leiter der Gedenkstelle Breitenau. Als er Ende der 70er Jahre an der Kasseler Gesamthochschule sein Studium begann, gingen die meisten ehemaligen Nationalsozialisten in Westdeutschland in Rente und eine durch die Apo politisierte junge Generation interessierte sich für die Alltagsgeschichte des NS. Unter dem damaligen SPD-Oberbürgermeister Hans Eichel habe Kassel eine Vorreiterrolle bei der Aufarbeitung der NS-Geschichte gespielt, berichtet Richter stolz.
Mittlerweile sei die Zusammenarbeitung mit der Bevölkerung vor Ort gut. Als die jungen Studierenden Ende der 70er Jahre auf dem Klostergelände nach Spuren der NS-Verbrechen forschten, stießen sie auf eine Mauer des Schweigens. Davon wollten die Bewohner nie etwas gehört und gesehen haben. Im Sommer 1940 wurde Breitenau zum Arbeitserziehungslager erklärt. Ein Großteil der Insassen waren ausländische Zwangsarbeiter, darunter auch Kinder Am 30. März 1945, als die US-Befreier schon wenige Kilometer an das Lager herangerückt waren, ließ die SS achtundzwanzig Gefangene erschießen. Sechzehn Opfer des in der Geschichtsforschung als „Massenmord am Fuldaberg“ bezeichneten Verbrechens kamen aus der Sowjetunion, 10 aus Frankreich und zwei aus Holland. „In den 70er Jahre gab es vor Ort keinerlei Hinweise auf das Verbrechen“, erinnert sich Richter. Dabei hatte der Kasseler Journalist Willi Beltz, der wie sein Vater als Kommunist im KZ-Breitenau inhaftiert war, in seinem 1960 erschienenen Widerstandsrom „Die Standhaften“ die Massenerschießung beschrieben, sich t allerdings bei der Opferzahl geirrt Der langjährige Vorsitzende der Kasseler VVN/Bund der Antifaschisten. Beltz hat auch über das Holzkreuz berichtet, das nach der Befreiung durch die Alliierten im Kloster Breitenau aufstellten. Erst nach einer mühevollen Suche, wurden die Geschichtsforscher in den 70er Jahren fündig. Denn das Kreuz, aber auch die Leichen der Erschossenen waren schon lange auf einen Kriegsopferfriedhof in der Nähe umgebetet worden. Mit den Opfern und dem Kreuz schien im Kloster Breitenau jede Spur des NS-Verbrechens beseitigt. In einer Festschrift zum 600ten Jubiläum von Cuxhagen wird 1952 die gesamte NS-Zeit ganz ausgeblendet Man merkt Richter den Stolz auf die Veränderungen im nordhessischen Geschichtsbild, das er mit angestoßen hat. Aber man hört seinen engagierten Anführungen auch an, dass für ihn die Geschichte nicht vergangen ist. Immer wieder erinnert er daran, dass die Verbrechen der Nazis nicht im Verborgenen sondern vor aller Augen stattfanden. In den Vitrinen der Breitenauer Ausstellung finden sich Kopien der nordhessischen Lokalpresse der NS-Zeit, die ausführlich über das Konzentrationslager Breitenau berichtet. Ein Zeitungsfoto aus jener Zeit, das in der Ausstellung zu sehen ist, beeindruckt viele Besucher und inspirierte einige Künstler, die in den letzten Wochen die Ausstellung besucht haben. Es zeigt einen Esel hinter Stacheldraht Das Foto wurde am 1. April 1933 am Kasseler Opernplatz aufgenommen An diesem Tag hatten die Nazis zum ersten landesweiten Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen. Der von der SA bewachte Esel hinter Stacheldraht sollte zeigen, was denen blüht, die den Boykott ignorieren.
In der Unterzeile aus der zeitgenossischen Zeitung heißt es über diese SA-Präsentation: „Die Kasseler haben sich von morgens bis abends darüber gefreut“.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/237679.esel-hinter-stacheldraht.html

Peter Nowak

Von den Schwierigkeiten, einen Flughafen zu eröffnen

Nun wird auch klar, warum Wowereit die Große Koalition vorgezogen hatte

Eigentlich sollte erst am kommenden Freitag bekannt gegeben werden, dass die Eröffnung des Hauptstadtflughafens bei Berlin abermals verschoben wird. Jetzt wird ein Zeitraum zwischen dem 20. und 27. Oktober 2013 genannt, wenn die Winterflugpläne in Kraft treten. Diese erneute Verschiebung ist nicht mehr so überraschend wie es das Canceln der mit vielen Plakaten schon wochenlang zuvor angekündigten Einweihung des Willy-Brand-Flughafens am 3. Juli dieses Jahres war. Allerdings wird das Projekt durch die terminliche Streckung noch um einige Millionen teurer. Vor allem viele Unternehmer, die langfristige Verträge auf dem neuen Areal geschlossen haben, sind sauer. Auch manche Tegeler Bewohner, die froh waren, endlich auch mal ein Open-Air-Konzert organisieren zu können, waren düpiert. Aber die Berliner, die schließlich im Nahverkehr tagtäglich Geduld zeigen müssen, reagieren eher mit Schulterzucken auf die erneute Vertagung. Manche bieten auch schon Wetten auf den Zeitpunkt an, an dem die erneute Verschiebung bekannt gegeben wird.

Wowereit hat mit großer Koalition vorgesorgt

Anders reagiert die politische Klasse in Berlin. Die erneute Verschiebung der Eröffnung wird die seit Wochen stetig sinkenden Sympathiewerte für den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit sicher nicht erhöhen. Doch der hat vorgesorgt. Manche haben sich gewundert, warum er nach den letzten Wahlen zum Abgeordnetenhaus nicht das von seiner Parteibasis und vielen seiner Wählern favorisierte Regierungsbündnis mit den Grünen eingegangen ist, sondern die große Koalition mit der Union vorgezogenen hat.

Seit einigen Wochen ist klar, warum Wowereit gegen heftige Widerstände diese Kooperation suchte. Denn als Bürgermeister einer rotgrünen Koalition, die nur eine Stimme Mehrheit vorweisen konnte, hätte er sich nach dem Debakel um den Hauptstadtflughafen, über das er als Aufsichtsvorsitzender sicher weniger überrascht als die meisten Zeitungsleser war, Sorgen um den Bestand seiner Regierung machen müssen. Bei der großen Koalition können in beiden Parteien einige Parlamentäre querschießen und die Mehrheit für Wowereit steht noch immer. Zudem muss die Union jetzt offiziell Wowereit den Rücken freihalten und Kritik und Rücktrittsforderungen ihren Brandenburger Parteifreunden, die dort in der Opposition sind, überlassen.

Dafür konnten die Berliner Grünen ihre Oppositionsrolle umso lautstarker wahrnehmen und zumindest den Rücktritt Wowereits vom Posten des Aufsichtsrates des Flughafens fordern. Zudem können sie sich etwas in Interessenvertretung der Bürger üben, indem sie die Bewohner der Region um den Flughafen unterstützen, die nach einer Flugroutenänderung vergeblich ein neues Planfeststellungsverfahren forderten und nun die Verzögerung der Flughafeneröffnung nutzen, um auf eine Nachrüstung beim Lärmschutz zu drängen.

Wäre ihre Wunschkoalition in Erfüllung gegangen, hätte man die grünen Parlamentäre genauso verdruckst den Bürgermeister unterstützen hören wie jetzt die Union. Soweit bleibt alles im parlamentarischen Bereich und das Gezerre der Flughafeneröffnung gibt unfreiwillig einen guten Einblick in die Konstruktion der Rollen von Regierung und Opposition in der bürgerlichen Demokratie.

Zahlen die Beschäftigten die Zeche?

Wer in den Verzögerungen einen Schaden für den Wirtschaftsstandort Deutschland sieht, vergisst, dass es im Ausland sicher wichtigere Probleme als das Eröffnungsprozedere eines Airports gibt, der international anders als Köln und Rhein/Main nicht besonders von Interesse ist.

Die größten Opfer für die Verzögerungen konnten wieder einmal die Beschäftigten auf den Flughafen zahlen. Von Anfang an war klar, dass ein Großteil zu prekären Bedingungen arbeiten wird. Jetzt nehmen die Unternehmen die durch die Eröffnungsverzögerungen entstandenen Kosten zum Anlass, um die Arbeitsbedingungen noch weiter zu drücken.

„Dieser Flughafen entwickelt sich zu einem Versuchslabor für immer prekärere Arbeitsverhältnisse in der Region“, sagte Ver.di-Sekretär Max Bitzer auf einer Konferenz vor einer Woche. Da stand die erneute Verzögerung der Eröffnung noch gar nicht fest.
Peter NowakNun wird auch klar, warum Wowereit die Große Koalition vorgezogen hatte

Eigentlich sollte erst am kommenden Freitag bekannt gegeben werden, dass die Eröffnung des Hauptstadtflughafens bei Berlin abermals verschoben wird. Jetzt wird ein Zeitraum zwischen dem 20. und 27. Oktober 2013 genannt, wenn die Winterflugpläne in Kraft treten. Diese erneute Verschiebung ist nicht mehr so überraschend wie es das Canceln der mit vielen Plakaten schon wochenlang zuvor angekündigten Einweihung des Willy-Brand-Flughafens am 3. Juli dieses Jahres war. Allerdings wird das Projekt durch die terminliche Streckung noch um einige Millionen teurer. Vor allem viele Unternehmer, die langfristige Verträge auf dem neuen Areal geschlossen haben, sind sauer. Auch manche Tegeler Bewohner, die froh waren, endlich auch mal ein Open-Air-Konzert organisieren zu können, waren düpiert. Aber die Berliner, die schließlich im Nahverkehr tagtäglich Geduld zeigen müssen, reagieren eher mit Schulterzucken auf die erneute Vertagung. Manche bieten auch schon Wetten auf den Zeitpunkt an, an dem die erneute Verschiebung bekannt gegeben wird.

Wowereit hat mit großer Koalition vorgesorgt

Anders reagiert die politische Klasse in Berlin. Die erneute Verschiebung der Eröffnung wird die seit Wochen stetig sinkenden Sympathiewerte für den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit sicher nicht erhöhen. Doch der hat vorgesorgt. Manche haben sich gewundert, warum er nach den letzten Wahlen zum Abgeordnetenhaus nicht das von seiner Parteibasis und vielen seiner Wählern favorisierte Regierungsbündnis mit den Grünen eingegangen ist, sondern die große Koalition mit der Union vorgezogenen hat.

Seit einigen Wochen ist klar, warum Wowereit gegen heftige Widerstände diese Kooperation suchte. Denn als Bürgermeister einer rotgrünen Koalition, die nur eine Stimme Mehrheit vorweisen konnte, hätte er sich nach dem Debakel um den Hauptstadtflughafen, über das er als Aufsichtsvorsitzender sicher weniger überrascht als die meisten Zeitungsleser war, Sorgen um den Bestand seiner Regierung machen müssen. Bei der großen Koalition können in beiden Parteien einige Parlamentäre querschießen und die Mehrheit für Wowereit steht noch immer. Zudem muss die Union jetzt offiziell Wowereit den Rücken freihalten und Kritik und Rücktrittsforderungen ihren Brandenburger Parteifreunden, die dort in der Opposition sind, überlassen.

Dafür konnten die Berliner Grünen ihre Oppositionsrolle umso lautstarker wahrnehmen und zumindest den Rücktritt Wowereits vom Posten des Aufsichtsrates des Flughafens fordern. Zudem können sie sich etwas in Interessenvertretung der Bürger üben, indem sie die Bewohner der Region um den Flughafen unterstützen, die nach einer Flugroutenänderung vergeblich ein neues Planfeststellungsverfahren forderten und nun die Verzögerung der Flughafeneröffnung nutzen, um auf eine Nachrüstung beim Lärmschutz zu drängen.

Wäre ihre Wunschkoalition in Erfüllung gegangen, hätte man die grünen Parlamentäre genauso verdruckst den Bürgermeister unterstützen hören wie jetzt die Union. Soweit bleibt alles im parlamentarischen Bereich und das Gezerre der Flughafeneröffnung gibt unfreiwillig einen guten Einblick in die Konstruktion der Rollen von Regierung und Opposition in der bürgerlichen Demokratie.

Zahlen die Beschäftigten die Zeche?

Wer in den Verzögerungen einen Schaden für den Wirtschaftsstandort Deutschland sieht, vergisst, dass es im Ausland sicher wichtigere Probleme als das Eröffnungsprozedere eines Airports gibt, der international anders als Köln und Rhein/Main nicht besonders von Interesse ist.

Die größten Opfer für die Verzögerungen konnten wieder einmal die Beschäftigten auf den Flughafen zahlen. Von Anfang an war klar, dass ein Großteil zu prekären Bedingungen arbeiten wird. Jetzt nehmen die Unternehmen die durch die Eröffnungsverzögerungen entstandenen Kosten zum Anlass, um die Arbeitsbedingungen noch weiter zu drücken.

„Dieser Flughafen entwickelt sich zu einem Versuchslabor für immer prekärere Arbeitsverhältnisse in der Region“, sagte Ver.di-Sekretär Max Bitzer auf einer Konferenz vor einer Woche. Da stand die erneute Verzögerung der Eröffnung noch gar nicht fest.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152720
Peter Nowak

Die Piraten und der Systemerhalt

Eine Analyse aus dem transcript-Verlag:
In Wählerumfragen rangiert die Piratenpartei erstmals seit Monaten hinter der LINKEN. Doch von einem Ende der Piraten zu sprechen, wäre verfrüht. Der Gegenwind ist ein Zeichen, dass die Partei auch für die Öffentlichkeit in den Niederungen der Politik angekommen ist.

Während die Grünen in ihrem ersten Jahrzehnt mit dieser Rolle haderten und ein einflussreicher linker Flügel vergeblich dagegen ankämpfte, haben die Piraten schon kurz nach ihrer Gründung die Rolle als Systemstabilisierer anerkannt und werben offensiv damit. Dieser Befund…

„Die Piraten und der Systemerhalt“ weiterlesen