Europaweite Jagd auf Flüchtlinge

23 EU-Staaten beteiligen sich an Polizeiaktion zum Aufspüren von Illegalen

»Elf Flüchtlinge, überwiegend aus Eritrea und Syrien sind gestern Abend, gegen 23 Uhr, mit dem ICE in Fulda gestrandet. In Gießen und Kassel sind insgesamt neun Flüchtlinge durch die Bundespolizei festgestellt worden. Im Bahnhof Gießen kamen die Flüchtlinge aus Somalia.« Solche Meldungen finden sich zurzeit auf der Homepage der Deutschen Bundespolizei besonders häufig. Denn seit dem 13. Oktober werden Bahnhöfe, Flughäfen und Autobahnraststätten von der Polizei besonders intensiv kontrolliert. Die Beamten sind auf der Suche nach Menschen, die sich ohne gültige Dokumente in Deutschland aufhalten. Sie agieren im Rahmen der EU-weiten Aktion »Mos Maiorum«. Der lateinische Titel bedeutet »Sitte der Ahnen«. Damit wird ein römisches Rechtsmodell bezeichnet, das auf die Befolgung traditioneller Prinzipien basiert. Ziel der Polizeiaktion, die bis zum 26.Oktober andauern soll und an der sich 23 EU-Staaten beteiligen, ist nach Angaben des Bundesinnenministeriums, das Sammeln von »Erkenntnissen zur unerlaubten Migration«.

Für Andreas Linder vom Flüchtlingsrat Baden Württemberg ist diese Polizeimaßnahme ein Ausdruck des vollständigen Scheiterns einer Flüchtlingspolitik, die unter dem Stichwort Dublin II bis heute vor allem von Deutschland weiter vehement verteidigt wird. Danach ist jenes EU-Land für die Geflüchteten zuständig, in dem diese als erstes den EU-Raum betreten. »Weil Italien viele Migranten unkontrolliert passieren lässt, werden die Kontrollmaßnahmen in EU-Länder wie Deutschland verlegt«, betont Lindner. Wie viele Antirassismusgruppen kritisiert auch Lindner, dass bei den Kontrollen das sogenannte Racial Profiling angewandt wird: »Diese Polizeioperation zielt jedoch einzig darauf ab, Menschen aufgrund ihrer Herkunft zu kontrollieren. Dies ist eines Rechtsstaats nicht würdig«, erklärt die Landesvorsitzende der Thüringer Bündnisgrünen Astrid Rothe Beinlich. Ihre Fraktion will im Thüringer Landtag eine Kleine Anfrage einbringen, um zu erfahren, wie viele Menschen in dem Bundesland im Rahmen von »Mos Maiorum« kontrolliert werden.

Doch es gibt auch Aktionen der Zivilgesellschaft. »Wir werden in den nächsten Tagen die Augen offen halten, um zu sehen, wie die Kontrollen ablaufen«, erklärte Madeleine Henfling vom Thüringer Flüchtlingsrat gegenüber »nd«. In Köln haben bereits am Montag ca. 40 Antirassisten im Hauptbahnhof gegen die Kontrollen protestiert.

Für Patrice L., der seinen vollen Namen nicht in der Zeitung lesen will, bedeuten die nächsten 14 Tage eine besondere Belastung. Der in Äthiopien geborene und seit zwei Jahren in Berlin lebende Mann hat keine gültigen Papiere für Deutschland. »Ich werde in den nächsten zwei Wochen Bahnhöfe und Autobahnen meiden«, erklärt er. Dazu raten auch Antirassismusgruppen, die an Bahnhöfen mehrsprachige Warnungen vor den Kontrollen aufgehängt haben.

Peter Nowak

Wenn Flucht zum Delikt wird